DER NEUGEFUNDENE ALTAR VON BEERSCHEBA*
von Diethelm Conrad, Marburg
Während der 5. Kampagne 1973 der Ausgrabungen am Tel Beerscheba (teil
es-seba) wurden Steine eines Hörneraltars gefimden, die in die zur Straße hin gele¬
gene Frontmauer eines der Pfeilerhallengebäude östlich des Stadttors eingebaut und damit „vergraben" waren. Die Steine dieses Altars sind aus einem lokalen kalkigen
Sandstein sorgfältig zubehauen, der auf dem Teil sonst nicht verwendet wird. In
einen der Steine ist eine sich windende Schlange eingegraben. Der Rekonstmktions-
versuch des Altars ergab Maße von ca. 157 cm Höhe auf ca. 150 cm mal 150 cm
Breite, also von ungefähr 3x3x3 Ellen (vgl. Y. Aharoni, BA 37,1974, 2—6; ders.,
Tel Aviv 2, 1975, 154 ff). Die Altarsteine, von denen einige auch an anderen Stel¬
len „vergraben" gefunden wurden, sind während der Zeit von Stratum II verbaut
worden, das trotz des Widerspmchs von Y. Yadin (BASOR 222,1976,5-17) wohl
Ende des 8. Jh. v. Chr. in einer heftigen Zerstömng sein Ende fand (Feldzug San¬
heribs, 701 V. Chr.?). In der letzten Kampagne 1976 wurden vier weitere Steine des Altars ausgegraben, und zwar in der Aufschüttung des Glacis von Stratum II. Diese Steine weisen deutliche Brandspuren auf; damit ist die Funktion des Hömeraltars als Brandopferaltar ziemlich sicher. Die Auffindung des Altars stellt jedoch mehr
Fragen als sie beantwortet: Stand der Altar in einem Tempelhof? Wo war der zuge¬
hörige Tempel? Welche Art von Kult wurde hier ausgeübt? Wamm wurde der Altar
abgerissen und „beerdigt"? Wurde nur der Altar abgerissen oder auch der zugehörige
Tempel? Geschah dies zur Zeit Hiskias; ist also die sog. Reform des Hiskia doch
mehr als man bisher meinte?
• Eine ausführliche Bearbeitung des Altars und der mit ihm verbundenen Probleme soll er¬
scheinen in: Beersheba II, Excavations at Tel Beer-sheba, Publications of the Institute of Archaeology Tel Aviv.
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen
DIE FUNKTION DES ZITATES IN DER RABBINISCHEN TRADITIONSLITERATUR'
von Arnold Goldberg, Freiburg i. Br.
Die uns vorliegende rabbinische Traditionsliteratur (,,Talmud und Midrasch")
enthält kein einziges persönliches Werk. Vielmehr sind alle größeren Werke und
auch die kleineren Einheiten darin Sammlungen von einzelnen Traditionen, sei es
in Form von Aussagen zu bestunmten religionsgesetzlichen (halachischen) Fragen,
wie in der Mischna oder Tosefta, sei es in der Form von fiktiven oder echten Erörte¬
mngen, wie in der Gemara, sei es in der Form von Auslegungen, die in der Abfolge
der Schrift geordnet sind (sog. Auslegungsmidraschim), sei es in der Form von Ho¬
milien oder Predigten (Homilienmidrasch). Unabhängig von der Form der Anord¬
nung des Traditionsstöffes und von den Absichten, in denen die einzelnen Werke
und deren klemere Einheiten verfaßt wurden, haben fast alle gemeinsam, daß sie
fast ausschließlich aus einzelnen Zitaten bestehen.
Als Zitat im Kontext dieser Literatur kann man jede literarische Einheit bestim¬
men, die namentlich oder anonym eine in sich abgeschlossene oder auch nur frag¬
mentarische, verbale Äußemng wiedergibt. Diese Zitate sind weitgehend schriftlich
oder mündlich tradierten Werken entnommen, die für uns verloren sind. Sie haben
meist schon eine bestimmte literarische Form (Ma'ase, Midrasch, Gleichnis, Lehr¬
satz etc.). Diese Formen sind zugleich Gmndformen der Traditionsliteratur, wie sie
uns vorliegt. Die vorliegenden Werke sind nur zu einem geringen Teil Kompendien
— oder kommentarhafte Sammlungen solcher Zitate (thematisch, nach Autoren
oder in der Abfolge der Schrift geordnet). Viehnehr stehen die Zitate oft in argu¬
mentativen, diskursiven größeren Zusammenhängen, die besonders in der diskursi¬
ven Sugya des Talmuds und in den kleinen Ausfühmngen der Homilien offensicht¬
lich sind. Die Zitate (= Gmndformen) sind hier zumeist größeren, komplexeren
Formen untergeordnet, deren sich der Redaktor bediente, um mittels der Zitate
auch, oder sogar vor allem, seiner eigenen Meinung Ausdmck zu verleihen. Der Re¬
daktor stellt oft implizierte oder ausdrückliche Fragen und antwortet dann mit
wenigstens einem oder mehreren Zitaten. Oder er stellt eine Behauptung auf, die
durch Zitat bewiesen wird, oder Zitate werden asyndetisch, tatsächlich aber in dis¬
kursiver Folge aneinandergereiht. Das Traditionsmotiv ist also nicht mehr die Wei¬
tergabe des Traditionsstoffes, die Tradition an sich. Vielmehr bedient sich der
Autor - Redaktor der komplexeren Einheiten des Zitates zum Zwecke der Mit¬
teilung seiner eigenen Meinung, wobei die Übereinstmimung dieser Meinung mit der
Tradition, d.h. der Meinung der Altvorderen oder „der Lehre" schlechthin, durch
1 Vgl. A. Goldberg, Entwurf einer formanalytischen Methode für die Exegese der rabbinisehen Traditionshteratur, Frankfurter judaistische Beiträge, Heft 5, 1977, S. 1 ff.
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen