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Der Berliner Kongreß von 1878. Die Politik der Großmächte und die Probleme der Modernisierung in Südosteuropa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hrsg.

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Rezensionen

Gerrit W. Gong; The Standard of >Civilization< in International Society. Oxford:

Clarendon 1984. X I V , 267 S.

209 M G M 2 / 8 5

Der Zivilisationsstandard (Standard of Civilization) — im folgenden mit Standard abge- kürzt — ist ein völkerrechtlicher Terminus, der sich im 19. Jahrhundert zunehmend durchsetzte. Er trat an die Stelle der Tradition eines Rechts der christlichen Nationen und sodann des europäischen öffentlichen Rechts. Der Verfasser der vorliegenden Studie, Fel- low in Sino-Soviet Affairs des Georgetown Centers, Washington, unternimmt zweierlei.

Zum einen entwickelt er systematisch-theoretisch den Bedeutungswandel des »Standards«, zum zweiten liefert er Fallstudien zur Ausbreitung jenes Standards in außereuropäischen Gebieten.

Zum ersten dient ihm vornehmlich die völkerrechtliche Literatur, hier die Handbücher und großen publizistischen Auseinandersetzungen als Quelle. Als Vorgeschichte wird knapp der spanische Scholastiker Francisco de Vitoria ( t 1546) vorgestellt, der den India- nern natürliche Rechte zuerkannte, die sie — wenn auch nur unter bestimmten Bedingun- gen — geltend machen konnten. Von dorther führte in vier Sektoren ein Weg zum Stan- dard des 19. Jahrhunderts: 1. unveräußerliche Rechte, die mit der Freiheit des Handels, der Reise und der Bekehrung zusammenhingen, 2. der durch Diplomatie gesetzte Rahmen zwischenstaatlichen Verkehrs, 3. das Gefühl der Verantwortlichkeit gegenüber Benachtei- ligten und 4. der Trend zur Zivilisierung gemäß europäischen Standards.

Gong wendet sich einerseits gegen Autoren, die für den Standard eine Amalgamierung auch mit nichteuropäischen Traditionen geltend machen (Alexandrowicz), andererseits grenzt er sich von dem heutigen »Dritte-Welt-Argument« ab, jener Standard sei allein ein dünner ideologischer Schleier europäischen Herrschaftswillens gewesen. Dennoch läßt auch Gong keinen Zweifel daran, daß sich das Bewußtsein der überlegenen Zivilisation vornehmlich mittels überlegener Waffentechnik durchsetzte — sei es durch direkte An- wendung, Drohung damit oder antizipatorische Reaktionen der »Nicht-Zivilisienen«. Es war also primär nicht die Mentalität, die zur weltweiten Durchsetzung des Standards drängte, sondern die Feuerkraft.

Probleme ergaben sich immer dann, wenn »barbarische«, also »halbzivilisierte« Völker in rechtlichen Austausch mit Europäern gerieten und Verträge abschlössen. Hierdurch konn- ten sie zum Teil selbst Ansprüche an Europäer gemäß dem Standard anmelden, der dann nur zu leicht eben mit dem Argument der noch nicht hinreichend durchgesetzten Zivilisa- tion nicht voll gewährt wurde. Im 20. Jahrhundert sieht Gong eine Auflösung des Stan- dards gerade von innen her: Die Barbarei zumal deutscher Kriegführung, die Übertragung von Kolonialpraktiken auf Europa, trug zur inneren Aushöhlung bei; die formale Einbe- ziehung der Staaten der Dritten Welt, welche die Europäer mit dem nur instrumentalen Charakter ihres Standards konfrontierten, lassen in der Gegenwart eine Pluralität von Vorstellungen zu. Diese haben noch nicht zu einer einheitlichen neuen Definition gefun- den, aber in dem Standard der Nichtdiskriminierung bzw. der Modernisierung zeichneten sich neue Schlüsselelemente ab.

Die historischen Fallbeispiele gehen aus von der Entwicklung der Vertragsbeziehungen

»nichtzivilisierter« Staaten mit Europa, beziehen dann aber die innere Transformation je- ner Staaten sowie die diplomatische Penetration durch Europa ein. Das führt bisweilen zu sehr vergröbernden Stellungnahmen. In einem Kapitel werden Rußland, das Osmanische Reich und Abessinien behandelt, je eigene Kapitel sind Japan, China und Siam gewidmet.

Deutlich wird dabei, daß es eigene und nichteuropäische Standards zumal im Osmani- schen Reich und in China gab, die sich mit vergleichbarem Ethnozentrismus — dieser so- ziologische Schlüsselbegriff fällt bei Gong nur einmal — der Auseinandersetzung mit Eu- ropa zu stellen hatten. Die Anwendung des europäischen Völkerrechts auf das Osmani- sche Reich im Pariser Frieden von 1856 wird zu Recht als ein rein formaler Akt angese- hen, dem keine tatsächliche Gleichberechtigung folgte. Die Kapitulationen werden hier wie auch sonst als Hauptmerkmal europäischer Durchdringung herausgearbeitet. Die Dia- lektik zwischen innerer Transformation der »unzivilisierten« Staaten und Anspruch auf deren Zulassung zum Standard liegt auf der Hand. »As China gradually accepted the Eu- ropean Standard, it began to object to >unequal treaties< in terms of previously foreign no-

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tions such as the inviolability of sovereignty and the equality of >civilized< states in interna- tional law.« (S. 147) Diese Aussage gilt im K e r n auch f ü r die a n d e r e n Fälle. J a p a n er- scheint gleichsam als M u s t e r k n a b e durch gezielte Ü b e r n a h m e westlicher Standards, die sich z u m ersten Mal nachdrücklich in der weitgehenden Beachtung europäischer kriegs- rechtlicher G e b r ä u c h e g e g e n ü b e r China 1 8 9 4 / 9 5 zeigten. D a ß s o d a n n der »Ostasiatische Dreibund« von Frankreich, R u ß l a n d u n d D e u t s c h e m Reich die J a p a n e r diplomatisch der territorialen Früchte ihrer Anpassung beraubte, habe in J a p a n g e n e r a t i o n e n l a n g Ressenti- ments hinterlassen. J a p a n w u r d e s o d a n n durch den Sieg im Krieg über R u ß l a n d 1 9 0 4 / 0 5

— er wird S. 162 fälschlich auf 1905/06 datiert — als erste nichtweiße M a c h t z u m Stan- dard formal akzeptiert, was b e d e u t e n d e Folgen f ü r die T r a n s f o r m a t i o n eben dieses Stan- dards selbst hatte.

H e r v o r z u h e b e n ist die sonst hierzulande wenig bekannte E r ö r t e r u n g Siams, des einzigen nie kolonisierten asiatischen Landes, das sich freiwillig — aber u n t e r d e m E i n d r u c k der K a n o n e n b o o t e vor C h i n a u n d J a p a n — der »Zivilisation« ö f f n e t e . G e r a d e hier leidet die verdienstvolle Schilderung j e d o c h an einem bisweilen hagiographischen T e n o r g e g e n ü b e r heutigem T h a i l a n d b e w u ß t s e i n .

Die Fallstudien w e r d e n v o m A u t o r nicht systematisiert, aber es d r ä n g t sich d o c h der Ein- d r u c k auf, d a ß g e r a d e die militärische Gleichberechtigung ein wichtiges Entreebillet w a r

— so Japans Beteiligung am Ersten Weltkrieg, noch deutlicher aber im Falle Siams, das sich durch die — rein f o r m a l e — Kriegserklärung an die Mittelmächte Ausgangspositio- nen f ü r einen diplomatischen Kampf gegen die Kapitulationen schuf. D a ß auch f ü r das Osmanische Reich bei d e m Kriegseintritt auf Seiten der Mittelmächte 1914 die Zusage ei- ner A u f h e b u n g von Kapitulationen eine wichtige Rolle spielte, wird leider nicht e r w ä h n t und nur die Friedensdiplomatie bis z u m Lausanner Frieden von 1923 erörtert.

G o n g s Band hat seine Stärken in der D i f f e r e n z i e r u n g völkerrechtlicher A r g u m e n t a t i o n , die in der T a t als wichtiger I n d i k a t o r f ü r das expandierende internationale System im 19.

J a h r h u n d e r t gelten kann. Die diesem M a ß s t a b z u g r u n d e l i e g e n d e n machtpolitischen u n d ökonomischen Interessen w e r d e n j e d o c h nicht mit der gleichen Klarheit angesprochen. In diplomatischen Z e r e m o n i e n (der chinesische K o t a u ist hier besonders k e n n z e i c h n e n d ) , Gesandtschaften an europäische H ö f e etc. spiegelten sich nicht nur Z u s a m m e n s t ö ß e u n t e r - schiedlicher R e c h t s o r d n u n g e n , sondern unterschiedlicher Kulturen. D e r Standard of civili- zation europäischer P r o v e n i e n z ist hierunter ein zentraler Faktor. Die D u r c h s e t z u n g sei- nes Anspruchs auf Universalität im 19. J a h r h u n d e r t hat viel mit den U r s a c h e n heutiger weltpolitischer Konstellationen, z u m a l dem N o r d - S ü d - K o n f l i k t zu tun. Jost Dülffer

Coalition Warfare. An U n e a s y Accord. Ed. by Keith Neilson a n d R o y A. Prete.

W a t e r l o o , O n t a r i o : Laurier University Press 1983. X I V , 146 5.

Einer m e h r j ä h r i g e n T r a d i t i o n entsprechend hatte sich das Royal Military College of C a - n a d a f ü r sein Symposium 1981 erneut einem der g r o ß e n ü b e r g r e i f e n d e n T h e m e n der m o - dernen Militärgeschichte z u g e w a n d t : der Koalitionskriegführung. D a m i t w u r d e ein Fra- genkreis aufgegriffen, der u n t e r der Formel v o m »einheitlichen O b e r b e f e h l « schon zu den zentralen Anliegen militärhistorischer N a c h b e r e i t u n g des Ersten Weltkrieges g e h ö r t hatte.

Die Diskussion u m den w ü n s c h e n s w e r t e n bzw. erreichbaren G r a d an strategischer K o o r - dination und Vereinheitlichung v o n E i n s a t z g r u n d s ä t z e n u n d K o m m a n d o s t r u k t u r e n sollte ihre N e u a u f l a g e insbesondere im angelsächsischen Bereich mit d e n E r f a h r u n g e n amerika- nisch-britischer Z u s a m m e n a r b e i t seit 1 9 4 2 / 4 3 finden u n d schließlich p r ä g e n d auf das Sy- stem militärischer Integration im R a h m e n der N A T O einwirken.

Die Schwierigkeiten bei der politischen Abstimmung innerhalb der Koalitionen zweier Weltkriege hatten freilich a u c h frühzeitig deutlich g e m a c h t , d a ß d e m P h ä n o m e n neuzeitli- 210 eher Militärbündnisse mit rein militärischen M a ß s t ä b e n nicht hinreichend b e i z u k o m m e n

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war. In seinem einführenden Systematisierungsversucii wies daher Paul Kennedy auf die mehrdimensionale Herausforderung der modernen Staatenwelt im Kriege durch die N o t - wendigkeit umfassender nationaler, technischer und psychologischer Mobilisierung hin.

Sie war durch den einzelnen Nationalstaat nicht mehr zu leisten, weshalb die erforderliche Machtbündelung mit nationalstaatlichen Souveränitätseinbußen schon im Frieden erkauft werden mußte. Mit dieser Kräftekonzentration wuchsen indes auch D a u e r und Intensität der Auseinandersetzungen bereits im Ersten Weltkrieg in einem M a ß e an, daß sich Koali- tionen in der Zwischenkriegszeit öffentlicher Abneigung und dem Versuch ihrer Uberwin- dung im allgemeinen Sicherheitssystem des Völkerbundes ausgesetzt sahen. Sein Scheitern bei der Eindämmung der Achsenmächte wie die ähnlich kurzlebige H o f f n u n g auf die kon- fliktregelnde Kraft der U N O nach 1945 vermochten jedoch die »Zeit der Blöcke« als Kon- stitutivum unseres Jahrhunderts kaum nachhaltig zu beeinträchtigen.

Stärker auf die militärische Ausformung von Allianzen beschränkten sich demgegenüber Norman Stone f ü r die deutsch-österreichischen und Ulrich Trumpener f ü r die deutsch-tür- kischen Beziehungen im Ersten Weltkrieg. Im Verhältnis zur Habsburgermonarchie wirkte sich die absolute deutsche Dominanz ab 1916 geradezu kontraproduktiv auf deren Kriegseinsatz aus, da ein immer offenkundiger auf deutsche Rechnung geführter Krieg er- hebliche Rückwirkungen auf die sinkende Reichsloyalität ihrer nichtdeutschen Teile zeiti- gen sollte. Reibungsfreier funktionierte da schon die Zusammenarbeit mit den T ü r k e n , da eine geglückte Auswahl der eingesetzten deutschen Offiziere, ihre Kooperationsbereit- schaft gerade wegen fehlender Sprachkenntnisse und ihre überwiegende V e r w e n d u n g als Stabsgehilfen türkischer Kommandeure das militärische Prestige des Bündnispartners weitgehend intakt hielten.

In den Beiträgen von / . L. Granatstein zu Kanada und John Erickson zur Sowjetunion wurde der Bogen weiter über beide Weltkriege hinweg gespannt. Am Beispiel des kanadi- schen Diplomaten H u m e W r o n g wurden der W e g und das sich wandelnde Selbstverständ- nis der kanadischen Koalitionspolitik im 20. J a h r h u n d e r t nachgezeichnet. 1914—18 noch fast völlig in der größeren Handlungseinheit des britischen Empires aufgehend, sollte sich der wachsende U m f a n g kanadischer Kriegsanstrengungen im Zweiten Weltkrieg — theo- retisch vorgedacht im Kreis um W r o n g — in schrittweise Mitbestimmungsgewinne umset- zen lassen, die schließlich in Kanadas eigenständiger Rolle innerhalb der N A T O gipfelten.

Auch die sowjetische Militärwissenschaft wertete die Gesamterfahrungen eines J a h r h u n - derts f ü r die Grundlegung ihrer Koalitionstheorie aus, wobei jenseits aller ideologischen Vorbehalte zaristische Militärschriftsteller inzwischen mehr und mehr einbezogen werden.

Die Erfahrung schwerster nationaler Rückschläge f ü r ein auf sich allein gestelltes Rußland (Krimkrieg, Russisch-Japanischer Krieg) traf sich dabei mit der politisch-ideologischen In- terpretation von der prinzipiellen Unversöhnlichkeit zweier weltpolitischer Lager seit 1917. Beides zusammen machte AlUanzpolitik zum integralen Bestandteil sowjetischer Si- cherheitspolitik, da nur über sie so existenzgefährdende Konstellationen wie im Bürger- krieg oder bei Hitlers Ausgreifen nach Osten f ü r die Z u k u n f t vermeidbar erscheinen.

Den Schlußpunkt setzte lan Nish mit seinen Betrachtungen zur »Großostasiatischen Wohlstandssphäre« im Zweiten Weltkrieg. Zur politischen Absicherung seines Expansio- nismus im pazifischen Raum suchte Japan das regionale Eigeninteresse Ostasiens über das doppelte Angebot wirtschaftlicher Zusammenarbeit und panasiatischer Einheit gegen westliche Fremdherrschaft zu organisieren. Zu ungeschminkt trat freilich schon in den Jahren der militärischen Erfolge die propagandistische Kaschierung großjapanischen Ei- gennutzes hervor, als daß mehr denn einige unbedeutende Kollaborationsgruppen gewon- nen werden konnten.

Greift man abschließend Kennedys Bemühen um Systematisierung noch einmal auf, so mag man es gewiß bedauern, daß die unterschiedlichen Ansätze von Mittelmächten und Entente im Ersten bzw. Achsenmächten und Anti-Hitler-Koalition im Zweiten Weltkrieg nicht auch in den Einzelbeiträgen stärker gegeneinander gehalten wurden. Auch die Spie- gelung von Blockpolitik und kollektiven Sicherheitssystemen in der Zwischen- und N a c h - kriegszeit würden sicher zusätzliche Gesichtspunkte f ü r vergleichende Generalisierungen geboten haben. Dagegen entschädigt allerdings die Riege ausgewiesener Fachleute, die f ü r 211 diese anregende T a g u n g gewonnen werden konnte, bei weitem. Bruno Thoß

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Franz Uhle-Wettler: H ö h e - und W e n d e p u n k t e deutscher Militärgeschichte. M a i n z : H a s e & K o e h l e r 1984. 348 S.

At first glance this Book invites dismissal as an example of the old military history at its worst — a general's anecdotal narrative, praising the G e r m a n army a n d d e f e n d i n g G e r m a n y ' s soldierly traditions. Such an interpretation w o u l d be significantly misleading.

T h e a u t h o r , w e l l - k n o w n f o r advocating an alternative defense structure f o r the Federal Repubüc, uses battles as case studies structuring his a r g u m e n t t h a t the military's direct responsibility f o r the genocidal, ideological wars of the m o d e r n era has been gravely exaggerated. A c c o r d i n g t o U h l e - W e t t l e r , intellectuals escalated national consciousness into nationalism, bringing a b o u t the end of decency an chivalry in w a r . Pohticians r e f u s e d to control this emerging chauvinism, instead b e c o m i n g its p r e y and putting State p o w e r at the Service of an environment of suspicion, hostility and vengeance. T h e a r m y played at best a Hmited role in the process. It was an accepted and p o p u l ä r Institution in Prussian and G e r m a n society. Leuthen was not w o n , n o r Stalingrad sustained, by brutalized a u t o m a t a . But the a r m y ultimately o w e d its position t o its professional effectiveness. It earned public trust by its battlefield P e r f o r m a n c e .

U h l e - W e t t l e r ' s insistence on this point makes his w o r k an overt challenge to the c u r r e n t tendency of scholars in b o t h the Federal Republic and the G D R to c o n c e n t r a t e o n the flaws and failings of the G e r m a n military: a r r o g a n c e and narrowness, brutality a n d caste spirit, incompetence even at the primary task of preparing a n d fighting w a r s ^ T h e approach represents a reevaluation of evidence t o o o f t e n in the past used t o r e i n f o r c e myths. It also involves a significant attempt to put history at the Service of a n e w o r d e r , w h e t h e r d e m o c r a t i c o r socialist. A n d the o u t p o u r i n g of books, dissertations and articles incorporating this position and f o o t n o t i n g each o t h e r brings with it significant risks of overkill and distortion. It is ironic, for example, t h a t the most balanced recent interpretation of the W e h r m a c h t ' s fighting p o w e r has been written by an Israeli scholar, Martin van Creveld^.

U h l e - W e t t l e r does much t o reestablish the operational image of the P r u s s i a n / G e r m a n army. Leuthen and Vionville, T a n n e n b e r g in 1914 and France in 1940, affirm its absolute and relative effectiveness as a military instrument. H e is less convincing, even on his o w n terms, w h e n arguing f o r the army's limited political role. T h e most telling anecdote in the b o o k involves a h e u t e n a n t , insulted by the Russian ambassador at a c o u n reception, w h o responded with a challenge. H i s colonel, his brigade a n d division Commanders, all insisted on retracting this impolitic gesture, but the lieutenant was upheld by his corps Commander on the g r o u n d s t h a t h o n o r was not subject to pragmatic considerations. P r e m a c o n t e m p o r a r y G e r m a n perspective, the incident invites interpretation as anachronistic militarism r u n r a m p a n t . Second thoughts, however, suggest U h l e - W e t t l e r is correct in his insistence that an officer must be m o r e than a civil servant in u n i f o r m , and less than h u m a n litmus paper f o r currently fashionable social or political positions. An American reviewer in the a f t e r m a t h of V i e t n a m is likely to smile ruefully at the idea of a junior officer possessing t h a t fine a sense of h o n o r , however misplaced, and to laugh aloud at the n o t i o n of that h o n o r being sustained by his superiors if the process involved any risk to t h e m . U n f o r t u n a t e l y , the a u t h o r leaves his Störy incomplete. U h l e - W e t t l e r fails t o explain w h a t became of the Standesehre he so eloquently describes u n d e r the pressures of W o r l d W a r I and Versailles, to say n o t h i n g of the N a z i era. N o r does he explain convincingly w h y the G e r m a n army, consistently g o o d at winning battles, failed t o win its wars. A r g u a b l y the two p h e n o m e n a reflect the limitations of the mihtary tradition U h l e - W e t t l e r admires. Even at its best it p r o d u c e d n o m o r e than able technicians. It inspired deep insight into neither the craft of w a r n o r the art of statesmanship. A n d given the geographic, domestic a n d diplomatic constraints on G e r m a n y , this was not e n o u g h . Dennis E. Showalter

' As in B. Schulte: Die deutsche Armee 1900—1914. Zwischen Beharren und Verändern.

Düsseldorf 1977.

212 2 M. van Creveld: Fighting Power. Westport 1982.

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Der Schweizerische Generalstab. L'Etac-major general suisse. Bd 1 — 3. Basel, Frank- furt a. M.: Halbing & Lichtenhahn 1983 ( = Centre d'histoire et de prospective mili- taires. Serie Recherches de sciences comparees. T . 3 — 5.)

Bd 1. Georges Rapp, Viktor Hofer: V o n den Anfängen bis zum Sonderbundskrieg.

268 S.

Bd 2. Viktor Hofer: Die Zeit des Weiterausbaus. Entstehung und Entwicklung einer interdisziplinären Institution (1848 — 1874). 276 S.

Bd 3. Rudolf Jaun: Das eidgenössische Generalstabskorps 1804 — 74. Eine kollektiv- biographische Studie. 312 S.

Karl J. Walde: Generalstabschef Jakob H u b e r , 1 8 8 3 - 1 9 5 3 . Aarau, Frankfurt a. M., Salzburg: Sauerländer 1983. 192 S.

Edgar Schumacher: Brevier des Offiziers. Zitate und Texte ausgewählt und bearbei- tet von Ernst Wetter. Frauenfeld: H u b e r 1983. 112 S.

Zweimal im 20. Jahrhundert wurde die schweizerische Armee aufs Pikett gestellt: während des Ersten und des Zweiten Weltkrieges. Beide Male wurde der erfolgreich ausgeführte Auftrag der bewaffneten Neutralitätssicherung mit Anerkennung durch die politischen In- stitutionen belohnt, doch die Konsequenzen f ü r die Streitkräfte als O r g a n der Exekutive gestalteten sich unterschiedlich: W ä h r e n d nach 1918 die Weiterentwicklung der Streit- kräfte aus innenpolitischen Gründen nicht vorangetrieben wurde, sorgte nach den exi- stenzbedrohenden Gefahren des Zweiten Weltkrieges ein breiter politischer Konsens f ü r den kontinuierlichen Ausbau der militärischen M a c h t als Demonstration des politischen Selbstbehauptu'ngswillens. Die militärischen Persönlichkeiten und Institutionen, denen die Verantwortung für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte oblag, sind bisher von der schweizerischen Geschichtsschreibung, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht behandelt worden, und so darf es nicht wundernehmen, wenn nunmehr ein ganzes Bündel von Desiderata der schweizerischen Militärgeschichte der Neuzeit nicht nur systematisch, sondern sogar mit großzügiger Unterstützung des Fonds national de la recherche scientifi- que angegangen werden kann.

Die Anfänge eines schweizerischen Generalstabs liegen, wie in allen anderen Staaten auch, weitgehend im dunkeln, wenn man die Ansätze zu einer modernen Stabsorganisation auch mit Sicherheit in der napoleonischen Zeit zu suchen hat. Jedenfalls veranlaßte 1976 der damalige Leiter der Generalstabskurse der schweizerischen Armee eine Arbeit über die Entwicklung des eidgenössischen Generalstabs, die dann von diesem gefördert und als langfristiges systematisches Forschungsprojekt f o n g e f ü h r t wurde, das die Zeit von 1798 bis (zunächst) 1950 behandeln soll. D e r erste Teil dieser bis 1874 reichenden Untersu- chung liegt nun in drei informativen, inhaltlich und formal solide gearbeiteten Bänden vor.

Ihre Verfasser sind Generalstabsoffiziere und promovierte Akademiker und bringen in die- ser Kombination beste Voraussetzungen f ü r die D u r c h f ü h r u n g ihres Auftrages mit.

Im Band 1 gibt Viktor Hofer, bekannt durch eine p r o f u n d e Studie über General Guisans Abschlußbericht über den Aktivdienst 1939—1945, zunächst eine knappe Orientierung über die Herausbildung der militärischen Führungsorganisation von der Antike bis 1798, wobei er die exemplarische Bedeutung des schwedischen Generalquartiermeisterstabs im Dreißigjährigen Krieg für die moderne europäische Entwicklung herausstellt. In der Eid- genossenschaft freihch vollzog sich die Ausbildung einer effektiven Führungsorganisation wenig vorteilhaft: Der Zusammenbruch der Schweiz 1798 war die Konsequenz sichtbar gewordener Unzulänglichkeiten der Wehrorganisation wie überhaupt der Staatsverfas- sung.

Georges Rapp unterzieht sich der anspruchsvollen Aufgabe, die Entwicklung von 1798 bis zum Sonderbundkrieg zu untersuchen. In dieser von inneren Auseinandersetzungen und äußeren Einflußversuchen gekennzeichneten Periode gab es f ü r die Etablierung eines zeit- angemessenen Generalstabs entscheidende Anstöße. Seit 1804 bestand zwar eine General- stabsorganisation, doch wurde darunter die Gesamtheit des schweizerischen Offizierkorps verstanden, ohne daß es aber entsprechend qualifizierte Generalstabsoffiziere gab. W e - sentliche Bedeutung f ü r die Schaffung eines Korps entsprechend ausgebildeter General- 213 Stabsoffiziere gewannen die Arbeiten des Generals D u f o u r , der zwar seine Forderung

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nach einer zentralen Ausbildungseinrichtung für Führungsgehilfen nicht verwirklichen konnte, aber doch für eine funktionierende Stabsorganisation des schweizerischen Heeres im Sonderbundkrieg sorgte. Eine Wende zum Besseren ergab sich aber erst aus dem ideali- stischen Aufbruch bei der anschließenden Neubegründung des schweizerischen Bundes- staates und aus der regen Tätigkeit überall sich bildender Offiziergesellschaften, die über- zeugend ihre Forderung nach Reformen vorzubringen wußten. Die Darstellung dieser bis 1874 reichenden Periode im Band 2 entstammt wiederum der Feder von Viktor Hofer. Wil- helm Rüstow, ehemaliger preußischer Offizier, und Ernst Rothpeltz wurden zu Motoren für eine der Zeit angemessene Heeresorganisation und Ausbildung. Von 1857 bis 1865 er- folgte die Einrichtung eines eidgenössischen Stabsbureaus, welches zur Keimzelle des heu- tigen schweizerischen Stabes der Gruppe für Generalstabsdienste wurde. 1874 kam es mit der grundlegenden Neuordnung des Militärwesens zur Schaffung eines Generalstabs- korps, das in seinen Grundzügen auch heute noch Bestand hat. Parallel mit diesen Maß- nahmen zur Organisation des Generalstabsdienstes gingen die Forderungen nach einer an- gemessenen Ausbildung der Führungsgehilfen. Hier leistete Entscheidendes eine 1857 in Aarau tagende Offizierversammlung, deren Reformvorschläge schließlich zur Zentralisie- rung der Generalstabsausbildung an der Zentralmilitärschule in Thun und zur Einführung eines effektiven Auswahlverfahrens führten. So ungenügend die Leistungen der schweize- rischen Führungsorganisation 1856/57 und im Sicherungsdienst 1859 waren, 1870/71 zeigten sich in der Durchführung der Grenzsicherung — trotz aller Unzulänglichkeiten — doch erhebliche Fortschritte.

Fragen nach der sozialen Herkunft, der Berufs- bzw. militärischen Fachausbildung, kurz der sozialen Struktur des Generalstabsoffizierkorps ist Rudolf Jaun im dritten Band nach- gegangen und hat hierfür konsequent einen einleuchtenden sozialwissenschaftlichen An- satz gewählt. Etwas mehr als 600 Lebensläufe von Generalstabsoffizieren untersucht Jaun in seiner sogenannten Kollektivbiographie nach den verschiedensten Kriterien. Natürlich waren Anspruch an Persönlichkeit und Können und die Wirklichkeit noch nicht zur Dek- kung zu bringen. Zunehmend aber wählte nach 1848 das Generalstabskorps seine Angehö- rigen aus Kreisen des Bürgertums und des Berufsmilitärs. Die Mitwirkung von finanziell wie geistig gleichermaßen unabhängigen Milizoffizieren aus Industrie und Gewerbe brachte für die Entwicklung des Militärwesens im allgemeinen wie für die des General- stabs im besonderen große Vorteile.

Die drei Verfasser haben eine Kärrnerarbeit geleistet, die uneingeschränkte Anerkennung verdient. Neben der Auswertung der Literatur zur eidgenössischen Militärgeschichte wa- ren zahllose Archivalienbestände in verschiedenen Archiven aufzuspüren und auszuwer- ten. Die Freude am Entdecken wertvoller Hinweise merkt man den Autoren, besonders V.

Hofer, immer wieder an, und so entstand eine aus zahllosen Informationen gespeiste Dar- stellung, die dadurch allerdings streckenweise schwer lesbar ist und bei einer Neuauflage gekürzt und gestrafft werden sollte. Mit dem Dank an die Verfasser für ihre verdienstvolle Arbeit geht die Hoffnung einher, daß auf die Fortsetzung des opus magnum durch die Untersuchungen von Hans Senn und Hans Rapold über die Jahre des Ersten und Zweiten Weltkrieges nicht zu lange gewartet werden muß.

Einen Beitrag zur Fortsetzung der Darstellung dieser Entwicklung des eidgenössischen Generalstabskorps bildet die Biographie Jakob Hubers, während des Zweiten Weltkrieges Generalstabschef der schweizerischen Armee, aus der Feder von Divisionär Walde, dem wir bereits eine gründlich gearbeitete Guderian-Biographie verdanken. Huber steht auch heute noch völlig im Schatten des populären und allseits geachteten Oberbefehlshabers General Guisan, der seinen ersten Führungsgehilfen selbst aussuchte und ihn wie folgt be- schrieb: »Ruhig, aufrichtig, diszipliniert, ohne große Phantasie, zurückhaltend, Gelehr- ter.«

Huber entstammte bäuerlichen Verhältnissen, seine Eltern schickten ihn wie seinen Bruder ins Gymnasium, wo er mit dem Erlernen der alten Sprachen eine solide Lebensgrundlage erhielt. Im Technikum in Winterthur bekam er seine Ausbildung zum Chemietechniker und erwarb nebenher ausgezeichnete Kenntnisse im Vermessungswesen. Nachdem er als 214 Geometer in Tunesien und Ägypten gearbeitet hatte, trat er als Instruktionsoffizier bei der

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Artillerie ein; im Austausch weilte er 1914 bei einem mecklenburgischen Artillerieregi- ment, mußte diesen für ihn so gewinnbringenden Aufenthalt aber wegen des Kriegsaus- bruchs vorzeitig abbrechen. D e r junge Artillerieoffizier tat sich als Verfasser mehrerer Lehrbücher seiner W a f f e hervor, durchlief die Generalstabsausbildung erfolgreich und be- kleidete mehrere Truppenführersteilungen, ehe er 1937 stellvertretender Generalstabschef wurde. Nach der Kaltstellung des Generalstabschefs Labhart wurde H u b e r 1940 unter gleichzeitiger Beförderung zum Korpskommandanten dessen Nachfolger. In dieser Funk- tion gehörte es zu seinen vornehmsten Aufgaben, Entscheidungen des Oberbefehlshabers vorzubereiten und auszuführen. Bedeutenden Anteil hat H u b e r an der Entscheidung zum Bezug des Reduits und seinem Ausbau, den verschiedenen Modifizierungen dieser operati- ven Lösung. In dieser Tätigkeit erweist er sich als gründlicher Planer, als sorgfältig wägen- der, alle Belange der Staatsverwaltung berücksichtigender Soldat, der seine Überlegungen übrigens auch politisch umsichtig abzusichern wußte. Die große auf ihm ruhende Verant- wortung prägte ihn im Verlauf des Krieges immer mehr: Er wuchs nicht nur an seiner Auf- gabe zum allseits anerkannten und hoch geachteten Fachmann, er w u r d e auch mehr und mehr der verehrte Vorgesetzte, dessen vornehmliche Eigenschaften unbestechliches Urteil, umfassende Fürsorge, Gerechtigkeitssinn, aber auch Strenge und Unerbittlichkeit bei der Dienstaufsicht waren.

Für Vorgesetzte und Untergebene war H u b e r nicht immer einfach; sein Zusammenwirken mit dem Oberbefehlshaber schildert Walde jedoch insgesamt als positiv, ergänzten sie sich von ihren Anlagen und Anschauungen her doch vortrefflich, wobei die Beherrschung der Muttersprache des anderen eine ganz wesentliche Verständnisgrundlage schuf. Dennoch blieb das dienstliche Verhältnis der beiden M ä n n e r nicht ohne Spannungen, die ihre Ursa- chen nicht nur in unterschiedlichen operativen und taktischen Auffassungen hatten, son- dern auch in der Institution des »Persönlichen Stabes des Generals«, der eben mehr w a r als eine bloße Adjutantur und von H u b e r wohl nicht ganz zu Unrecht gelegentlich als seine Stellung schwächende K o n k u r r e n z empfunden wurde. Auch mußte H u b e r von Zeit zu Zeit feststellen, daß er in wesentlichen Angelegenheiten umgangen und von wichtigen Ent- scheidungen nicht unterrichtet wurde. Die Spannungen fanden ihren H ö h e p u n k t 1942 in der Bitte Hubers, ihn aus seiner Stellung als Generalstabschef zu entlassen, der Guisan nicht entsprach. Ihren Abschluß fand die Zusammenarbeit der beiden M ä n n e r 1945 in ih- ren großen Rechenschaftsberichten, die beide publiziert sind. Wegen seiner detaillierten Angaben zu den Operationsmöglichkeiten und Festungswerken w u r d e H u b e r z. T . heftig kritisiert, und auch der Bundesrat konnte einen Tadel nicht unterdrücken, als er erklärte, er hätte sich den Bericht etwas zurückhaltender gewünscht.

Walde zeichnet von H u b e r das Bild eines vorbildlichen Offiziers, den er geschickt im Rahmen der Bedingungen seiner Zeit porträtiert. Persönliche Bescheidenheit und ein ho- hes Pflichtgefühl haben ihn die Forderung des älteren Moltke erfüllen lassen: M e h r sein als scheinen, viel leisten, wenig hervortreten.

In der Schlußphase von Hubers Tätigkeit als Generalstabschef begann ein Offizier in ver- antwortungsvolle Verwendungen hineinzuwachsen, der heute zu den Klassikern der schweizerischen Militärliteratur gezählt werden darf: Divisionär Edgar Schumacher. Aus Aufsätzen, Vorträgen und Denkschriften dieses humanistisch hochgebildeten, als militäri- scher Fachmann überall anerkannten Offiziers hat Divisionär z. D. Ernst Wetter Texte und Zitate zusammengestellt, die als »Brevier eines Offiziers« in einer unruhigen, keine allgemeingültigen Maßstäbe mehr respektierenden Zeit vor allem jüngeren Soldaten eine Wegleitung sein können und nach dem Willen des Herausgebers auch sein sollen.

Schumacher wurde 1897 in Bern geboren. N a c h dem Studium der klassischen Philologie und Anglistik und sich daran anschließenden Auslandsaufenthalten trat er als Instruktions- offizier in die Armee ein, kommandierte Verbände und Großverbände und leitete die Zen- tralschulen; 1956 schied er aus dem Dienst. N a c h übereinstimmendem Urteil, nicht nur seiner Kameraden, verband er hervorragende militärische Fachkenntnisse mit einer unge- wöhnlich breit und tief angelegten Bildung. Es waren diese gediegenen Kenntnisse, die es ihm erlaubten, Verhältnisse und Entwicklungen seiner Zeit kritisch zu beurteilen und f ü r 215 zeitbedingte Probleme ausgewogene, zukunftsorientierte Lösungen aufzuzeigen. Seine

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Gedanken wußte er dabei in eine Form zu kleiden, die sicii an den Forderungen der alten Sprachen orientierte und nach Klarheit, Logik und Anschaulichkeit klassisch genannt wer- den kann. Viele seiner Formulierungen erreichen nach Form und Inhalt die berühmten Aphorismen und Maximen zurückliegender Jahrhunderte; so überrascht es auch nicht, daß der Herausgeber dem Büchlein den Untertitel »Zitate und Texte« gegeben hat. Sie sind um die Themen »Krieg und Frieden«, »Volk und Armee«, »Soldatisches Wesen«,

»Der Offizier«, »Führerpersönlichkeit«, »Menschenführung«, »Militärische Führung«,

»Erziehung und Ausbildung« — um die wichtigsten Komplexe zu nennen — gruppiert und den zahlreichen Aufsätzen, Vorträgen und Abhandlungen Schumachers entnommen.

Abgeschlossen wird die Publikation mit drei Vortragstexten: Wesen und Pflicht des O f f i - ziers, Vom Beruf des Offiziers, V o m Soldatischen. Was der Herausgeber an Gedanken Schumachers zusammengetragen hat, enthält allgemeingültige Aussagen zur soldatischen Existenz, die klassischen Ansprüchen genügen und als Vademecum auch in die H a n d eines jeden deutschen Offiziers gehörten. Manfred Kehrig

Preußen in der deutschen Geschichte nach 1789. Hrsg. von Gustav Seeber und Karl- Heinz Noack. Berlin: Akademie-Verlag 1983. 354 S. ( = Studienbibliothek D D R - Geschichtswissenschaft. Bd 3.)

W e n n die Bände der Studienbibliothek das Ziel haben, durch Forschungsergebnisse der DDR-Historiographie den Fachwissenschaftlern und Studierenden in der D D R »Arbeits- grundlagen und fundiertes Wissen zu vermitteln«, so bleibt offen, warum es so heterogene und so alte Arbeiten sein müssen, die hier in einem Sammelband vorgelegt werden. Die 16 zum Teil über zehn Jahre alten Aufsätze werden von einem Forschungsbericht Gustav Seebers, Professor am Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der D D R , über die Forschungsergebnisse der D D R - H i s t o r i k e r zur Preußenforschung einge- leitet. In der Zeit vor der G r ü n d u n g der D D R suchten die kommunistischen Forscher in der SBZ und in der Sowjetunion zunächst vor allem unter dem Oberbegriff »reaktionäres Preußentum« die staatlichen und politisch-ideologischen Erscheinungen zu charakterisie- ren — und deren verhängnisvolle Wirkungen zu zeigen —, die »von der Kontinuität der reaktionären Klassenlinie in der deutschen Geschichte Zeugnis ablegten« (S. 14).

Nach der G r ü n d u n g der D D R und der Durchsetzung des Marxismus-Leninismus in der Geschichtswissenschaft war die weitere Preußenforschung nicht nur an die dogmatischen Grundlinien dieses Geschichtsbildes gefesselt, sondern auch von den Beschlüssen abhängig, die das Zentralkomitee der S E D zur Geschichtswissenschaft in der D D R erließ. Anfang der sechziger Jahre änderten sich diese Zielsetzungen: »Entsprechend den gestiegenen Aufgaben bei der Entwicklung des sozialistischen Bewußtseins und der höheren Verant- wortung in der internationalen Klassenauseinandersetzung, insbesondere mit dem staats- monopolistischen System der BRD, kam es zu einem wesentlichen Ausbau des marxi- stisch-leninistischen Geschichtsbildes.« (S. 33) Mit dem Beginn der siebziger Jahre, in dem

— laut Seeber — der Prozeß der Internationalisierung im Rahmen der sozialistischen Staatengemeinschaft eine neue Stufe erreichte, wurde die Stellung der deutschen Geschichte und damit auch Preußens im weltpohtischen Kontext untersucht, wobei den Klassenkräf- ten und den preußischen Junkern besondere Aufmerksamkeit zufiel. Die Aufarbeitung ter- ritorialgeschichtlicher Aspekte in der Bundesrepublik in Veröffentlichungen und in Aus- stellungen verdoppelten offensichdich das Forschungsinteresse an Preußen in der D D R , zumal es nach Auffassung der D D R - H i s t o r i k e r im westlichen Teil Deutschlands angeblich nur darum ging: »dem imperialistischen Staat BRD ein historisches Fundament zu schaf- fen und der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik gewissermaßen nur eine Außenseiterrolle in der deutschen Geschichte zuzuweisen« (S. 46). D a ß hier in grotesker 216 Weise ein Sachverhalt auf den Kopf gestellt wird, mag dem Leser in der D D R entgehen;

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denn von seilen der Forschung in der D D R wird doch seit langem der Versuch unternom- men, den eigenen Staat aus den positiven Wurzeln der deutschen Geschichte zu legitimie- ren und die Bundesrepublik mit den negativen Erscheinungen zu verknüpfen.

Es sind die ideologisch bedingten Ungenauigkeiten, Ungereimtheiten und überflüssigen Attacken auf die Forschungsergebnisse in der Bundesrepublik, die eine Lektüre des Sam- melbandes trotz einiger — allerdings schon seit längerer Zeit bekannter — durchaus wich- tiger Einzelergebnisse dem Leser so erschweren. Dies wird besonders in dem den Band ab- schließenden Beitrag von H e i n z H ü b n e r , Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, deutlich, der allerdings aus dem Jahre 1977 stammt und daher die neueren Forschungser- gebnisse nicht reflektieren kann und in dem auch das vom Militärgeschichtlichen For- schungsamt herausgegebene »Handbuch der deutschen Militärgeschichte 1648 — 1939«

angegriffen wird, weil es — wie ich meine, zu Recht — den Militarismus als ein interna- tionales Phänomen beschreibt.

Andere Beiträge wenden sich Problemen wie »Oswald Spenglers Preußischer Sozialismus«, der »Krise der preußischen Monarchie 1858 —1862« und »Junkertum und Faschismus« zu.

Die »Ursachen der mihtärischen Siege Preußens in den Kriegen 1864, 1866, 1870/71«

sieht Heinz Helmert zum einen in der Politik und Diplomatie Bismarcks, zum anderen in den politischen und militärischen Grundsätzen und M a ß n a h m e n des Kriegsministers Albrecht v. Roon und des Generalstabschefs v. Moltke. Diesen Personen sei, trotz aller Über- einstimmung mit der preußischen Monarchie, eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen, der bürgerlichen Umwälzung der Gesellschaft, nicht abzusprechen. Die Wehrpflicht in Preußen habe der Armee zudem ein besseres Re- krutenmaterial zugeführt, als dies das Konskriptionssystem in Frankreich und Österreich vermocht habe. Die Modernisierung der Armee habe sich nicht zuletzt durch die Über- nahme von höher entwickelter W a f f e n - , Transport- und Nachrichtentechnik, U m w a n d - lung der Führungsstrukturen und Abstoßen überholten und feudalen Ballasts vollzogen.

Ein zusätzliches Plus sieht der Autor in der Auffrischung des Offizierkorps durch bürgerli- che Elemente. Schließlich habe die Überlegenheit der preußischen Armee in ihrer Marsch- und Manövrierfähigkeit erleichtert. Schlachten unter operativ und kräftemäßig günstigen Bedingungen anzunehmen.

Auf dem militärgeschichtlichen Sektor ist noch der bereits 1974 erschienene Artikel von Helmut O t t o von Interesse, der sich mit der Entwicklung des preußisch-deutschen Milita- rismus vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis 1918 beschäftigt. Doch bleibt die These, der Militarismus sei eine internationale [sie!] Erscheinung als Kraft gegen den weltrevolutio- nären Prozeß, wenig befriedigend. Auch eine angeblich zu beobachtende Verstärkung des preußischen Militarismus auf Grund der »aggressiven Kolonialpolitik des deutschen Impe- rialismus« (S. 270) unterstreicht noch einmal das M a n k o dieses Bandes, der sich zu sehr an ideologisch vorgegebenen Linien orientieren mußte.

Reiner Pommerin

Heinrich Lwfz.-Zwischen Habsburg und Preußen. Deutschland 1815 — 1866. Berlin:

Siedler 1985. 527 5. ( = Die Deutschen und ihre Nation. Bd 2.)

Deutschland im 19. Jahrhundert 1815—1871. Göttingen: V a n d e n - hoeck & Ruprecht 1984. 267 S. ( = Deutsche Geschichte. Bd 8.)

R u n d ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen von Franz Schnabels unvollendet ge- bliebener Geschichte Deutschlands im 19. J a h r h u n d e r t ' ist die Zeit offensichtlich wieder reif für Gesamtdarstellungen der Epoche zwischen dem Zusammenbruch des alten Reiches und der Reichsgründung von 1866—1871. Nachdem Thomas Nipperdey die Serie ein- schlägiger Veröffentlichungen maßstabsetzend eröffnet hat^, liegen nun die Arbeiten von 217 Heinrich Lutz und Reinhard R ü r u p vor.

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Es ist klar, daß die Geschichte dieser Epoche heute nicht mehr ausschheßlich als Vorge- schichte der bismarckschen Reichsgründung geschrieben, diese nicht mehr selbstverständ- lich und selbstgewiß als »Erfüllung« deutscher Geschichte im 19. J a h r h u n d e r t betrachtet werden kann. V o r dem Hintergrund der Erfahrungen unseres Jahrhunderts richtet sich das Interesse der Historiker auf ihr Eigengewicht, auf die Tatsache, d a ß den Bewegungs- kräften dieser Zeit, nimmt man alles in allem, etwas ganz anderes als geschichtliche Per- spektive vorschwebte, als die politischen, kulturellen und räumlichen Vorstellungen, die sich nach 1871 f ü r Generationen mit dem Begriff »Deutschland« verbanden und die erst in der heutigen Studenten- und Schülergeneration zu verblassen beginnen. Hier liegt der ge- meinsame Ausgangspunkt der beiden zu besprechenden Gesamtdarstellungen, die anson- sten wenig gemeinsam haben.

D e r Konzeption der auf sechs Bände angelegten »Neueren Deutschen Geschichte« des Siedler-Verlags entsprechend richtet sich die Darstellung von Heinrich Lutz an ein breites historisch interessiertes Publikum. D e r Band ist mit Illustrationen, Schaubildern und Kar- ten üppig ausgestattet. Allerdings läßt die Koordination von Bild und Text manchmal zu wünschen übrig, so etwa, wenn auf S. 117 Szenen aus dem gesellschaftlichen Leben der adeligen und bürgerlichen Oberschicht zwar in kontrapunktischer Beziehung zur vorange- gangenen Erörterung des Pauperismus stehen, die Lektüre des fortlaufenden Textes, in dem es um Bürokratie und Militärverfassung geht, aber eher stören.

Für Lutz steht das preußisch-österreichische Ringen um Vorherrschaft im Zentrum der Geschichte der »deutschsprachigen Mitte Europas« zwischen der Errichtung des Deut- schen Bundes und Königgrätz. Dabei gehl er von dem politischen »Faktum« der »inneren Zerstörung der großdeutschen Idee durch die Barbarei des Dritten Reiches« aus. In der Konsolidierung neuer staatlicher Gebilde in Mitteleuropa nach 1945 sieht er jedoch die Möglichkeit, »die Nationalbewegung und die Formen vergangener deutscher Staatsbil- dung unbefangen und im unverkürzten Zusammenhang ihrer politischen, soziokulturellen und europäischen Perspektive zu verfolgen« (S. 9).

Beginnend mit einer knappen und präzisen Skizze der innerdeutschen und europäischen Mächtekonstellation zwischen 1815 und 1830 behandelt er zunächst in zwei Abschnitten die sozialgeschichtlich-kulturellen Entwicklungen und die politisch-sozialen Bewegungen im V o r m ä r z und läßt seine Darstellung dann einmünden in das zentrale Kapitel über die Revolution von 1848/49. Es folgen zwei weitere Kapitel, die dem wirtschaftlichen und ge- sellschaftlichen Wandel in der nachrevolutionären Phase und dem in Königgrätz entschie- denen Machtkampf zwischen Preußen und Österreich gewidmet sind. Ein Epilog über das deutsch-österreichische Verhältnis bis 1918 beschließt den Band.

Die Stärke dieser Gesamtdarstellung liegt sicherlich in der kenntnisreichen Schilderung der Aktionen und Reaktionen, die das Problem der deutschen Nationalstaatsbildung auf der Bühne der »großen Politik« innerhalb Deutschlands und in Europa ausgelöst hat. D a - bei geht Lutz weit über den Rahmen traditioneller Diplomatiegeschichte hinaus, und es ge- lingt ihm, den preußisch-österreichischen Antagonismus auch als Folge eines sich be- schleunigenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Auseinanderdriftens der beiden deutschen Großmächte verständlich zu machen. Insbesondere die Passagen über die innere Geschichte der Habsburger Monarchie, als deren intimer Kenner und

»Anwalt« gegenüber einer immer noch kleindeutsch verengten Betrachtungsweise sich Lutz erweist, gehören zum Besten, was das Buch zu bieten hat. Es entspricht der deutli- chen Intention, dieser Verengung entgegenzuarbeiten, daß der Autor insgesamt der groß- deutsch-katholisch-antipreußischen Komponente der deutschen Geschichte vor 1866 be- sondere Aufmerksamkeit widmet und wohl auch Sympathie entgegenbringt.

Demgegenüber stehen allerdings Ausblendungen und Blickverengungen, die das Gesamt- bild letztlich fragwürdig werden lassen. Man vermißt in dem umfangreichen W e r k eine Auseinandersetzung mit den die Epoche doch prägenden bürgerlichen Bewegungskräften des Liberalismus und Nationalismus, die im Reflexionsniveau und in der Faktenvermitt- lung dem heutigen Forschungsstand auch nur entfernt entspräche. Sie werden zwar in das sozial- und ideengeschichdiche Panorama, das Lutz f ü r den V o r m ä r z , die Revolution und die Reaktionszeit entwirft, markierend eingezeichnet, dabei ihrer inneren Geschichte und 218 Dynamik aber weitgehend beraubt. Zwischen Habsburg und Preußen und im Vergleich

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etwa zur entstehenden Bewegung des politischen Kathohzismus spielt die bürgerliche Emanzipationsbewegung als historisches Subjekt nur eine sehr untergeordnete Rolle.

So steht denn auch im Kapitel über die Revolution das Handeln der Regierungen ganz im Vordergrund. Die revolutionäre Bewegung selbst tritt nur sehr verkürzt ins Blickfeld. Lutz begründet das damit, daß angesichts der besonderen Bedingungen der österreichischen Staadichkeit der »Liberalisierungsoptimismus der Liberalen von Anfang an ziemlich wirk- lichkeitsfern« (S. 320) erscheine und das Gewicht der liberalen und demokratischen Grup- pierungen sich bei Einbeziehung Gesamtösterreichs in die Betrachtung erheblich redu- ziere.

Hier wirkt sich eine Betrachtungsweise, die ganz auf das Problem der Nationalstaatsbil- dung fixiert ist, fatal aus. Sie ignoriert, daß die bis heute fortwirkenden historischen Im- pulse der hier behandelten Epoche sich aus der zunächst bürgerlich formulierten Emanzi- pations- und Partizipationsforderung ergaben, daß die daraus resultierenden Problemla- gen und Konflikte auch unsere Gegenwart noch weitgehend bestimmen. Die Nichtvollen- dung des deutschen Nationalstaates in dieser Beziehung hatte f ü r den weiteren Verlauf der deutschen Geschichte mindestens ebenso belastende Folgen wie das »Draußenbleiben«

der deutschen Österreicher, das Lutz in seinem Epilog noch einmal als Kardinalproblem der staadichen Existenz der Deutschen in Mitteleuropa bis 1945 hervorhebt.

Mit dem Band von Reinhard Rürup ist nun nach zehn Jahren die zehnbändige »Deutsche Geschichte« des Verlages V a n d e n h o e c k & Ruprecht, die noch von Joachim Leuschner ( f ) als Herausgeber auf den W e g gebracht worden war, endlich komplett. Hans-Ulrich W e h - ler hatte mit seiner vieldiskutierten strukturgeschichtlichen Analyse des Kaiserreiches den Anfang gemacht.

Einer theoriegeleiteten Sozial- und Strukturgeschichte ist auch R ü r u p verpflichtet. In einer einleitenden Problemskizze definiert er den »Transformationsprozeß von der ständisch- feudalen zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft« als den zentralen Gegenstand seiner Darstellung der deutschen Geschichte zwischen 1815 und 1871. Im Wechsel zweier Ge- sellschaftsformationen sieht er den inneren Zusammenhang der drei Themenkomplexe

»nationale Frage«, »Schicksal des Liberalismus« und »Industrialisierung«, die als jeweils dominierende Orientierung in dieser Reihenfolge den Wandel der historiographischen Perspektive aber auch die Ausweitung und Differenzierung der Forschung markieren. Im zeitlichen Ablauf gliedert sich dieser Transformationsprozeß in drei Phasen: »Die preußi- schen Reformen, die Revolution von 1848 und die >Revolution von oben< in den sechziger Jahren kennzeichnen verschiedene Stufen und Formen der Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft — wenn man so will: den dreifachen Anlauf der >bürgerlichen Revolution< in Deutschland.« (S. 17)

Theoretisch zielt der Anspruch Rürups also darauf, die Totalität des historischen Prozes- ses zu erfassen, was angesichts des knappen Raumes, der ihm zur V e r f ü g u n g steht, erheb- hche konzeptionelle und kompositorische Probleme aufwerfen muß. Er versucht, diesen Schwierigkeiten durch eine Zweiteilung der Darstellung zu begegnen.

Im ersten Teil bietet er dem Leser eine glänzende Skizze der sozialgeschichtlichen Ent- wicklungslinien Deutschlands im 19. Jahrhundert. Auf der H ö h e des Forschungsstandes, in präziser Sprache und ohne Zuflucht zum wissenschaftlichen Jargon zu nehmen, werden die Haupttendenzen der Bevölkerungsentwicklung, die gesellschaftlichen und ökonomi- schen Strukturen der landwirtschaftlichen und industriellen Produktion und schließlich die Ausbildung der bürgerlichen Klassengesellschaft mit ihren Vergesellschaftungsformen und sozialen Beziehungen (Familie, Verein, Minderheiten) geschildert. Diese knapp hun- dert Seiten können vom Laien ebenso mit Gewinn gelesen werden wie vom Spezialisten, dem über der Detailforschung der Gesamtüberblick verlorenzugehen droht.

Demgegenüber fällt der zweite Teil deutlich ab. Die streng chronologische Gliederung ist ein notdürftiges Gerüst, an dem alles übrige aufgehängt wird, von der politischen Ge- schichte im engeren Sinne über die Verfassungsgeschichte bis zur Kulturgeschichte. Deut- lich ragt die knappe Analyse der Revolution von 1848/49 aus diesem Sammelsurium her- aus, in der es Rürup, wenn auch um den Preis vieler Wiederholungen, gelingt, die im er- 219 sten Teil gelegten Grundlagen fruchtbar zu machen, Struktur und Ereignis zu einem über-

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z e u g e n d e n Gesamtbild z u s a m m e n z u f ü g e n . Pflichtübungen wie die 42 Zeilen über »Klassik und Romantik« (S. 122 f.) w ä r e n d a g e g e n besser unterblieben.

Insgesamt machen die so unterschiedlichen Gesamtdarstellungen von Lutz u n d R ü r u p deutlich, d a ß die Epoche des bürgerlichen A u f b r u c h s , des K a m p f e s u m nationale Einheit und der Entstehung der kapitalistischen Industriegesellschaft t r o t z der zeitlichen und q u a - litativen Distanz, die uns n a c h 1871, 1918, 1933 und 1945 von ihr trennt, keineswegs historiographisch »abgehakt« w e r d e n k a n n , s o n d e r n o f f e n b a r eine b e s o n d e r e Affinität zu zentralen Fragen unserer G e g e n w a r t aufweist. Eckhard Fuhr

F. Schnabel: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Bd 1 - 4 . Freiburg i.Br. 1 9 2 9 - 1 9 3 7 . Th. Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800 — 1866. Bürgerwelt und starker Staat. München 1983.

Regierung, Bürokratie und Parlament in Preussen und Deutschland von 1848 bis zur Gegenwart. H r s g . von G e r h a r d A. Ritter. Düsseldorf: D r o s t e 1983. 224 S. ( = Bei- träge z u r Geschichte des Parlamentarismus u n d der politischen Parteien. Bd 73.) T h i s slim volume Covers a lot of g r o u n d , albeit s o m e w h a t unevenly. It consists chiefly of papers, revised and enlarged, presented at the G e r m a n Historikertag in M ü n s t e r in 1982, u n d e r the heading »Government, Bureaucracy a n d Parliament in Prussia and G e r m a n y 1848 — 1933«. T h e session was p a r t of a larger project sponsored by the Kommission f ü r Geschichte des Parlamentarismus u n d der politischen Parteien, t o p r o d u c e a » H a n d b u c h der Geschichte des deutschen Parlamentarismus«, of which several contributions have al- r e a d y been published. T h e c u r r e n t volume consists of an introduction a n d eight articles, a r r a n g e d chronologically. It has t w o central themes: (1) the mutual relations between gov- e r n m e n t , bureaucracy and parliament in Prussia and G e r m a n y ; and (2) a comparison of the roles and w o r k i n g m e t h o d s of the parliaments of Prussia and the Reich. T h i s singling- o u t of Prussia, while justified by t h a t state's p r e p o n d e r a n t role, excludes the interaction of o t h e r State parliaments with the central Reichstag, which w o u l d provide additional in- sights. Also neglected are comparisons of the G e r m a n parliamentary scene with t h a t in o t h e r E u r o p e a n countries. Such comparisons, as the editor, P r o f e s s o r G e r h a r d A. Ritter, points out, might reveal certain c o m m o n problems shared by all m o d e r n industrial states in trying to integrate their societies and deal with the g r o w i n g complexity of relations be- tween governments, administrations, and parliaments.

T h e first essay by M a n f r e d B o t z e n h a r t deals with relations between the Prussian a n d F r a n k f u r t parliaments in 1848. It is an elaboration on the author's earlier study Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848—1850 (1977), and concludes t h a t differences and rivalries between the t w o parliaments were detrimental to G e r m a n unification. Both Prussia's king and the majority of its parliament, while divided on domestic issues, w e r e united in their desire to preserve the independence, integrity, and identity of the Prussian m o n a r c h y . T h e resulting tensions between Berlin and F r a n k f u r t , the a u t h o r concludes, could n o t help but contribute to the ultimate victory of the counter-revolution.

T h e article by G ü n t h e r G r ü n t h a l on relations between government, bureaucracy, a n d p a r - liament in Prussia f r o m 1848 to 1867, throws n e w light on the constitutional conflict of the early 1860s by disentangling the complicated b u d g e t a r y issues which precipitated it. Some of the roots of the conflict m a y be f o u n d in the restriction of the b u d g e t a r y rights of the L a n d t a g during the 1850s which, together with the continued influence of an e n t r e n c h e d bureaucracy, assured the p r e d o m i n a n c e of the executive over the various Landtage. U n d e r the vague provisions of the »incomplete« (unvollendete) Constitution of 1850, parliament could disapprove of, but n o t prevent, governmental acts which it considered u n c o n s t i t u - 220 tional.

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T h e next phase in che history of German parliamentarism is discussed in Klaus Erich Poll- mann's essay on »Parlamentseinfluss während der Nationalstaatsbiidung 1867—1871«. It points CO changes in the existing party structure and che resulting proliferation of parties which prevented a clear division into majority and Opposition, as it existed in Britain. A further obstacle to a well-functioning parliamentary system was the continued dualism be- tween Prussian Landtag and Reichstag, enhanced by the differing franchises on which they were based. T h e fateful hindrance which this dualism presented to the modernisation called for by the growing industrialization of both Prussia and Germany, is stressed by Bernhard M a n n in his »Observations on the relations between government, bureaucracy, and parliament in Prussia 1867 — 1918«. T h e complexity and wide ränge of his subject only permit a brief Skizze, but it offers many fresh insights. T h e Bismarckian Reichsverfassung, Mann concludes, failed to achieve its foremost task, to reconcile the old Prussia with the new Germany. But he also questions whether other nations would have been more success- ful in solving similar problems.

T h e article by Konrad v. Zwehl on the German government and the Reichstag during the imperial period (1871 — 1918), also sees lack of coordination between Prussia and Ger- many as one of the major reasons for the failure of the German empire to develop a gen- uine parliamentary regime. Zwehl presents a useful historiographical discussion of current interpretations of his subject. T h e r e follows a careful and detailed analysis of the Reichs- tag's manifold weaknesses and the government's efforts to obstruct their remedy. Chief among these weaknesses was the Reichstag's inability to build a firm majority, in part due to the Center party's ambivalent role. It was only after the outbreak of the First W o r l d W a r that the search for a reorientation (Neuorientierung) of German parliamentarism gained momentum.

T h e change from empire to republic and a comparison between the two systems is the sub- ject of Peter-Christian Witt, »Kontinuität und Diskontinuität im politischen System der Weimarer Republik«. T h e W e i m a r Constitution, while recognizing the central position of the Reichstag, still left the executive and bureaucracy with sufficient crucial functions to justify speaking of continuity between empire and republic. It was only in Prussia, as H o r s t Möller, »Verwaltungsstaat und parlamentarische Demokratie: Preussen 1919 — 1932«, shows, that an effective parliamentary system was established. T h e reasons f o r its smooth functioning are carefully and convincingly analyzed in this original and val- uable contribution.

For obvious reasons there is no chapter on relations between government, bureaucracy, and parliament during the »Third Reich«. T h e concluding essay by Winfried Steffani,

»Republik der Landesfürsten«, deals with the German Federal Republic. It is a theoretical discussion by a political scientist of the relationship between federalism and parliamenta- rism. Unlike the other contributions, it compares the German Situation with that in other countries, notably Great Britain, the Commonwealth, and the United States. According to Steffani, the Federal Republic has a unique system of Verbundsföderalismm. Its main fea- ture is the participation of the federal council (Bundesrat) and its leading members, the minister presidents (or Landesfiirsten) in the legislative and administrative process. T h e r e thus exists a triumvirate of Bundestag, Bundesregierung, and Bundesrat. This arrangement differs from Great Britain and to some extent the United States. In its emphasis on the sig- nificance of the Bundesrat and the minister presidents of the various Länder in present Ger- man politics, the article treats a subject often overlooked or underrated.

As a whole, this volume is a useful and sometimes stimulating contribution to recent Ger- man history. T h e r e are some minor flaws: the general reader would have welcomed a more detailed introduction to the historiography of German parliamentarism as well as a brief identification of the various contributors. But then, this compilation is clearly in- tended for specialists, w h o do not need such Information. O n the positive side, there is a helpful index, something rarely found in collective ventures of this kind.

Hans W. Gatzke

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Der Berliner Kongreß von 1878. Die Politik der Großmächte und die Probleme der Modernisierung in Südosteuropa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hrsg.

von Ralph Melville und Hans-Jürgen Schröder. Wiesbaden: Steiner 1982. XVIII, 539 S. (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, Mainz, Ab- teilung Universalgeschichte. Beih. 7.)

Zweimal war Berlin in seiner vergleichsweise kurzen Geschichte als Hauptstadt des Deut- schen Reiches Schauplatz einer großen internationalen Konferenz, beide Male unter dem Vorsitz Bismarcks, des »ehrlichen Makler[s], der das Geschäft wirklich zustande bringen will« (so der Kanzler im Februar 1878 im Reichstag). Im Juni und Juli 1878 tagte im Reichskanzleramt der Berliner Kongreß, der in der historischen Rückschau zu Recht als

»historischer Knotenpunkt ersten Ranges« gewertet wird (Imanuel Geiss). Sechs Jahre spä- ter, um die Jahreswende 1884/85, versammelten sich im gleichen »Kongreßlokal« erneut Staatsmänner und Diplomaten, diesmal aus 15 Staaten unter Einschluß der USA, zur Ber- liner Afrika-Konferenz. Bei beiden Gelegenheiten ging es um die Beilegung einer Krise, um Interessen- und Einflußsphären, um die politische Neuordnung eines Teils der Welt — 1878 des Balkans, 1884/85, auf dem Höhepunkt des hektischen »scramble for Africa«, des afrikanischen Kontinents. Beide Konferenzen, auf denen das Deutsche Reich eine füh- rende, nicht unumstrittene Rolle spielte, fanden im Zeichen des 100. Jahrestages über den Kreis der Historiker hinaus beträchtliche Aufmerksamkeit. Europa im vermeintlich glän- zenden Zenit seiner Funktion als »Regulator der Weltpolitik« — das war ein Thema, das in einer Zeit der Rückbesinnung auf Europas politische Stellung in der Welt auch das In- teresse einer breiteren Öffentlichkeit garantierte.

Veranstalter der internationalen wissenschaftlichen Tagung über den Berliner Kongreß waren im Oktober 1978 das Mainzer Institut für Europäische Geschichte und die Associa- tion Europeenne d'Histoire Contemporaine. 33 der damals gehaltenen Referate liegen nun in einem Sammelband vor. Sie bieten ein differenziertes Gesamtbild europäischer Politik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, genauer: europäischer Politik im Umkreis des Berliner Kongresses und des Balkans. Nur wenige Referate konzentrieren sich auf den Kongreß selbst; im Grunde sind es nur diejenigen von Imanuel Geiss, Henryk Batowski, Nicolas Fotino und vielleicht noch Barbara Jelavich. Alle anderen Referate sind um zwei Schwerpunkte gruppiert, die der Untertitel des Bandes zutreffend umschreibt: um die Po- litik der Großmächte auf dem Balkan bis zum Ersten Weltkrieg, ihre Antriebskräfte, Mo- tive, Ziele, innenpolitischen Voraussetzungen und Bedingungen, und um die nationalen und wirtschaftlichen Probleme des südosteuropäischen Raumes in der zweiten Jahrhun- derthälfte, die dort zu beobachtenden politischen und sozialen Wandlungs- und Moderni- sierungsprozesse unter dem Einfluß von Großmächtepolitik und Industrialisierung.

Die gelegentlich weit ausholenden Beiträge schlagen Schneisen in das Dickicht der

»Orientalischen Frage«, die, wie Lothar Gall betont, für das 19. Jahrhundert von zentraler Bedeutung war (S. 5). Sie warten mit interessanten Ergebnissen auf und vermitteln zum Teil ganz neue Perspektiven auf das damalige Geschehen. Das gilt insbesondere für die Ausführungen von L. Gall (Die europäischen Mächte und der Balkan im 19. Jahrhundert), Fernand L'Huillier (Les rapports franco-allemands de la veille du Congres de Berlin ä son lendemain), Konstantin Kosev (Die Orientpolitik Preußen-Deutschlands in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts und die Befreiung Bulgariens), Krumka Sarova (The Bul- garian Question in the Foreign Policy of Great Britain and Russia, 1856 — 1876) oder Horst Haselsteiner (Zur Haltung der Donaumonarchie in der Orientalischen Frage). Die Politik Bismarcks wird gleich von mehreren Autoren analysiert, so von Heinz Wolter, An- dreas Hillgruber, Cvetana Todorova und Bruce Waller, dessen Referat »Wirtschaft, Machtkampf und persönliche Rivalität in der Außenpolitik Bismarcks vom Berliner Kon- greß bis zum Abschluß des Zweibundes« zu den anregendsten Arbeiten des Bandes über- haupt gehört.

Die Studien über die Politik der Großmächte werden ergänzt durch solche Arbeiten, wel-

che die Sicht, die Vorstellungen und die nationalpolitischen Erwartungen der kleinen, sich

emanzipierenden Nationen des Balkans behandeln. Diese doppelte Perspektive ist ohne

222 Frage eine Stärke des Bandes. In welchem Maße die Balkanvölker, aber z. B. auch die Po-

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len, in der Krise seit 1875 nur Objekte der großen Politik waren und wie wenig auf ihre Bemühungen um politische Befreiung Rücksicht genommen wurde, wird vor allem in den Beiträgen der ost- und südosteuropäischen Historiker hervorgehoben. Auf dem Berliner Kongreß konnten sich die Völker, um deren Schicksal es ja letztlich ging, nur unvollkom- men Gehör verschaffen. Welcher Methoden sich ihre Repräsentanten in Berlin bedienen mußten, um ihre Wünsche vorzubringen, und welchen Diskriminierungen sie ausgesetzt waren, kommt in mehreren Beiträgen zur Sprache, so bei H e n r y k Batowski, Nicolas Fo- tino und Barbara Jelavich. D a ß die Vertreter des Osmanischen Reiches auf dem Kongreß nur eine unwesentlich bessere Behandlung erfuhren, veranschaulicht Roderic Davison in einer glänzenden Untersuchung (The O t t o m a n Empire and the Congress of Berlin). Das Urteil der ost- und südosteuropäischen Historiker über den Berliner Kongreß und seine Beschlüsse ist daher erwartungsgemäß weithin negativ (vgl. z. B. S. 80, 189 ff., 400, 442), während ihre westeuropäischen Kollegen eher dazu bereit sind, den Kongreß als erfolgrei- ches Instrument zur Stabilisierung der Verhältnisse in einer gefährlichen europäischen Konfliktzone zu werten.

Gerade die zweite Gruppe von Aufsätzen, die sich mit der Modernisierung der traditiona- len Agrargesellschaften auf dem Balkan befaßt, profitiert davon, daß hier südosteuropäi- sche Historiker ausgiebig zu W o r t kommen und Fragen behandeln, die in der westeuropäi- schen Historiographie meist vernachlässigt werden. Das Material, das hier ausgebreitet wird, die Ergebnisse und die Schlußfolgerungen der Beiträge sind außerordentlich wert- voll, auch wenn man festhalten muß, daß die Autoren den Begriff »Modernisierung« un- kritisch übernehmen und sich in der Regel streng an den engen nationalstaatlichen Erfah- rungshorizont halten. Welche Einsichten jedoch ein vergleichender Ansatz vermitteln kann, zeigen eindrucksvoll die Referate von György Ränki über die ökonomische Ent- wicklung auf dem Balkan in den 1870er Jahren, von Danica Milic (Die ökonomische Pe- netration des Balkans und der Türkei durch die Industriestaaten) und von Dimitrije Djordjevic über die Rolle des Militärs im P r o z e ß der Nations- und Staatsbildung. V o r al- lem Djordjevics methodisch überzeugender Aufsatz schlägt in mancher Hinsicht auch ei- nen Bogen zu Problemen, die heute in vielen neuen Staaten der sogenannten Dritten Welt studiert werden können. Um Aufklärung und die Zerstörung gedankenlos tradierter Kli- schees bemüht sich schließlich Kemal Karpat, wenn er nachdrücklich auf die ethnische und religiöse Toleranz im Osmanischen Reich hinweist und die These vertritt, daß unge- achtet vieler Unzulänglichkeiten und Schwierigkeiten des multinationalen Reiches das W o r t vom »kranken M a n n am Bosporus« kaum der historischen Wirklichkeit gerecht wird.

Die Fülle der Gesichtspunkte und Themen in diesem Band kann hier nur angedeutet wer- den. Sie mag überwältigen. Die Herausgeber haben auf eine längere, resümierende Z u - sammenfassung der Beiträge verzichtet. Ihr Verdienst und das der Veranstalter der Main- zer T a g u n g ist es, den 100. Jahrestag des Berliner Kongresses zum Anlaß genommen zu haben, die vielfältigen Probleme des europäischen Krisenherdes im 19. J a h r h u n d e r t unter neuen Aspekten und mit neuen Fragestellungen diskutieren zu lassen. Das Aufzeigen der zunehmenden sozialen, wirtschaftlichen und nationalen Dynamik in diesem Raum, der sich dort überschneidenden Interessen der Großmächte und seiner Funktion f ü r das euro- päische Mächtesystem machen den Band auch für den, der nicht auf die Geschichte des Balkans spezialisiert ist, zu einer ungewöhnhch ertragreichen Lektüre. Zu bedauern ist ei- gentlich nur das Fehlen einer Balkankarte und eines Registers. Peter Alter

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Roger Chickering:We Men W h o Peel Most German. A Cultural Study of the Pan- German-League, 1886—1914. Boston, London, Sydney: Allen & Unwin 1984.

X r V , 365 S.

Heinrich Claß, der Vorsitzende des Alldeutschen Verbandes (ADV), fragte 1912 gegen Schluß seines »Kaiser«-Buches pathetisch: »Was wird aus der Welt, wenn die Deutschen verderben?« Das war insofern keine schmückende Floskel, als er und Leute seiner D e n k a r t tatsächlich glaubten, die Deutschen seien ihrem Verderben — was immer das bedeuten mochte — schon ganz nahe.

Das alldeutsche Pandämonium der inneren und äußeren Feinde w u r d e von der einschlägi- gen Literatur mehrfach beschrieben; auch gibt es eine Reihe von recht bestimmt lautenden Thesen, auf welchen Wegen und in welchem Grade der A D V Schaden gestiftet habe. Die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Bemühungen findet Chickering zu Recht lückenhaft und revisionsbedürftig, weil sie vorwiegend von äußeren Erscheinungsbildern hergeleitet wurden. Folglich unterzieht der Verfasser das ganze bekannte Quellenmaterial einer in- tensiven Nachlese, um die Fein- und Tiefenstrukturen der Verbandsideologie und der Verbandsorganisation freizulegen. Endlich erhalten wir den wohl bestmöglichen Einblick in das Innenleben des A D V , insbesondere in das seiner Basis; darüber hinaus wird ganz er- heblich ergänzt und korrigiert, was uns bisher über die Wirkungsmächtigkeit des A D V mitgeteilt worden ist.

Allem voran interessiert Chickering, ob sich im A D V nicht vielleicht ein leidlich rand- scharf identifizierbarer Menschentyp konzentriert habe und ob die absonderliche Wirk- lichkeitserfassung der Alldeutschen nicht etwa mit ihren spezifischen Alltagserfahrungen zusammenhängen könne. H i e r f ü r untersucht er ihre »Symbole« und »Metaphern«, weil sie

— anthropologisch gesehen — das alldeutsche Selbstverständnis früher sowie auch optisch und verbal klarer widerspiegeln, als es ihre programmatischen Ideologiefragmente vermö- gen. Ständig beschworen sie die Symbole »Volk«, »Kultur« und »Ordnung«, und diesen Sinnbildern deutscher G r ö ß e wurden nach und nach weitere hinzugefügt: Bismarck, die Flotte, der »Arier« und endlich das H e e r und selbst das Kaisertum.

D e r A D V gab sich nicht damit zufrieden, diese Symbole patriotisch-gemütvoll zu vereh- ren, sondern er hielt sich auch f ü r berufen, sie inhaltlich festzulegen und bei der politi- schen Führung entsprechende Konsequenzen anzumahnen. Er maßte sich das W ä c h t e r a m t über die nationalen Symbole an und trat so in Konkurrenz zu Regierung und Krone, den bis dahin zweifelsfrei legitimierten H ü t e r n nationaler Werte und nationaler Interessen. Die Konkurrenz um das Wächteramt machte, wie Chickering wiederholt betont, das politisch Neuartige im Kaiserreich aus; an dieser Stelle brach ein schwer kontrollierbares plebiszitä- res Element in den Wilhelminischen Obrigkeitsstaat ein.

Indem der A D V die nationalen Symbole bzw. Interessen auslegte, bezeichnete er auch de- ren Feinde und Gefährdungen. In der hierauf verwendeten Metaphorik stößt Chickering auffallend oft auf Bilder von Überschwemmungen, vom Ertrinken u.a. Auf diese Weise summierten sich eingebildete und tatsächliche Konflikte zur unwiderstehlichen W u c h t ei- ner einzigen Naturkatastrophe, die nichts als »Chaos« hinterlassen konnte. Aus derglei- chen Bildern sprach eine tiefsitzende Angst vor dem Verlust einer »Ordnung«, in der man sich geborgen wußte.

Es ist sattsam bekannt, d a ß die Ansprüche und Ängste, wie sie in den alldeutschen Äuße- rungen auftraten, dem W e r t h o r i z o n t des Besitz- und Bildungsbürgertums entstammten.

Diese allzu weitgefaßte Z u o r d n u n g präzisiert Chickering nun entscheidend. U n d z w a r er- stellt er ein statistisches Sozialprofil aufgrund von Angaben über 2700 M ä n n e r , die zwi- schen 1891 und 1914 Ämter in A D V - O r t s g r u p p e n innehatten. Zusätzliches Relief erhält die Analyse durch analoge Daten aus ähnlichgesinnten Verbänden — etwa dem Ostmar- ken-, dem Flotten- oder dem Wehrverein — sowie aus der Friedensgesellschaft. (Übrigens werden die »vaterländischen Vereine« auch in die Darstellung immer wieder als kontra- stierende und aufhellende Folie einbezogen.) Die markanteste Gruppe unter den A D V - Aktivisten stellten demnach diejenigen Akademiker, die im öffentlichen oder quasi-öffent- lichen Dienst standen; es handelte sich zugleich um einen Personenkreis, der soeben Ein- 224 gang in die Honoratiorenschicht fand, deren gesellschaftliches Ansehen im Verblassen be-

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