Von Anton Jiektt, Bonn
W. F. Albright zum 60. Oehurtatag (24. Mai 1951) gewidmet.
Die Frage nach dem Ursprmig unseres Alphabets ist in letzter Zeit des
öfteren erörtert worden, dank der Auffindung mehrerer neuer Schrift¬
systeme auf dem Boden Palästina-Sjrriensi. Dabei war besonders wert¬
voll, daß diese neugefimdenen Schriftarten alle älter sind als die bisher
als älteste angesehene Schrift Palästina-Syriens, nämlich die altsemitische (oder auch phönizische genannt).
Bei der Erörterung unseres Problems kommen 4 Schriftsysteme in
Frage^ :
1. Die gublitische Schrift;
2. die sinaitische Schrift (in einer älteren und in einer jüngeren Form) ;
3. die ugaritische Schrift ; 4. die altsemitische Schrift.
Die gublitische Schrift wurde bei den französischen Ausgrabungen in
Bybios gefunden und dürfte in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends
V. Chr. ebenda in Gebrauch gewesen sein'. Es handelt sich bei ihr um
eine Silbenschrift von (soweit bisher bekannt) rund 75 Zeichen, wohl in
Anlehnung an ein ähnliches Prinzip der babylonischen Keilschrift ent¬
standen; jeder Konsonant wird mit einem der 3 Vokale a, i und «(vorher¬
gehend oder folgend) in Verbindung gebracht (also ba, bi, bu, ab, ib, ub
usw.).
Die sinaitische Schrift, zuerst auf der Sinaihalbinsel, dann auch in
Palästina gefunden*, war auf Grund archäologischer Indizien in der Zeit
von 1800—1200 v.Chr. in Gebrauch; wir unterscheiden bei ihr eine
ältere und eine jüngere Form. Es handelt sich hier um ein Alphabet von
1 Vgl. zuletzt H. Schmökel, FuF. 1950, S. 153ff. — Die Diskussion
zwischen R. Dussaud und M. Dunand in Syria, Bd. 25 und 26. — Bea,
Aug. Die Entstehung des Alphabets. Rom 1946.
^ Vgl. dazu die Tabelle.
ä Vgl. Dunand, M., Byblia Grammata, 1945, S. 71 f., T. 8—14, sowie
die Entzifferung dieser Schrift durch E. Dhobme Syria, Bd. 25, S. Iff. —
Eine Schriftprobe bei A. Jirku FuF. 1950, S. 90ff. — Nach dem alt¬
orientalischen Namen der Stadt Bybios: Gubla, nennen wir diese Schrift
gublitisch.
* Vgl. Gardiner, A., The inscriptions of Sinai. 1917. — Leibovich, J.
ZDMG. 1930, S. Iff.
34 ZDMG 100/2
I.
Gubli¬
tische Schrift (Gleiche
Form) II.
Gubli¬
tische Schrift (Gleicher Lautwert)
III.
Sinai¬
tische Schrift (Ältere
Form)
IV.
Sinai¬
tische Schrift (JQngere
Form)
V.
Altse¬
mitische Schrift
VI.
Laut¬
wert
VII.
Nekme (HebrS- Isch)
VIII.
Ugari¬
tische Schrift
1
^ K.^
D Aleph
(Rind)
■»-(sa)
^Oi) ean.(3u)
2 □ Ü3) □.0 F\
1.^
b Beth
(Haus) JJ-
3
> A 1A g Gimel
I
4
<^ 1^
d Oalet
IJL
5
^ ^
h Heh
^
6
y,Y
w Waw
^H>-
7
^
ZL z Zajin
f
8 rn X z
Zajin V
9
g m H,B
h Chet
"4-^
10
I M,B
h Chet
f
11 o 0® t Tet
»"J ■<
12
7(S1) l
j Jod
II 13
57 m)
k Kaph
(Hand- nocbe)
l=>-
14 7(12) 7 ? L,C
1 Lamed
m
I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII.
e Gubli¬
tische Schrift (Gleiche
Form)
Gubli tische Schrift (Gleicher Lautwert)
Sinai¬
tische Schrift (Ältere
Form)
Sinai¬
tische Schrift (Jüngere
Form)
Altse¬
mitische Schrift
Laut- wert
Name (Hebrä¬
isch)
Ugari¬
tische Schrift
15 AAA
(n 3)
AWS
f in
m Mem
(Wasser) ^
16 h h n Nun CKK»—
17 T W s Samek ^
18 W 6 Samek
äVa e^lA a| A
19 o
(SD
<s>
0 o c 'Ajin
(Auge) <
20 o g 'Ajin
(Auge) ^
21 \y
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P Peh
?=
22 9 Sade
n
23
tr-
? Sade o—-a
24
8 (dl) 8 ?,?
k Koph tJ— «3
25
9\ A
r Resch
(Haupt)
>0-r_
b-O-"*^
26 W(g) Lr^ LrJ W,w h Schin
27 ^ \A/,W t Schin
28 4-(t) + X t Taw
M«
28—29 verschiedenen Zeichen; demnach um einen großen Fortschritt gegenüber der gubhtischen Silbenschrift'.
Die ugaritische KeUschrift^, die für das 15. und 14. Jahrhundert v. Chr.
bezeugt ist, lehnt sich an das System der Keile der babylonischen Keil¬
schrift an, die damals im ganzen Vorderen Orient die Verkehrs-Schrift
und -Sprache war. Da es sich aber gegenüber den Hunderten von Zeichen
der babylonischen Kehschrift hier um ein Alphabet von 30 Buchstaben
handelt, so ist dasselbe zweifellos unter dem Einfluß der sinaitischen
Schrift entstanden, die schon seit dem 18. Jahrb. v. Chr. in Gebrauch
war^. Man schuf wohl gerade deshalb ein Keilschriftalphabet, weil der
weiche Ton als Schreibmaterial leichter zu beschaffen war als Papyrus,
und auch leichter zu beschreiben war als Stein oder Metall*.
Schließlich ist die schon seit langem bekannte altsemitische Schrift zu
nennen, ein Alphabet mit 22 Buchstaben, das dann über die Phönizier zu
den Griechen kam, und so die Vorlage auch für unsere Schrift wurde. Wir
werden weiter unten sehen, daß sie selbst auch schon eine Fortsetzung
der sinaitischen Schrift ist. Die altsemitische Schrift wird nicht eher als
im 12. Jahrh. v. Chr. in Gebrauch gewesen sein.
Diese chronologische Reihenfolge der oben kurz skizzierten Schrift¬
systeme, die wir auf Grund archäologischer Daten annehmen können,
findet ihre Bestätigung durch Erwägungen auf dem Gebiete der Laut¬
lehre; was deshah) möglich ist, da alle diese genannten Schriftarten
kana'anäische verwandte Dialekte wiedergeben. Die altsemitische Schrift
zeigt nämlich gegenüber der sinaitischen und ugaritischen Schrift ein
weit vorgeschritteneres Stadium, indem hier in der Schrift verschiedene
Laute zusammengefallen sind, die dort noch durch 2 verschiedene Zeichen
wiedergegeben werden. Man vergleiche dazu den cA-Laut in Nr. 9—10 der
Tabelle, der in der sinaitischen und ugaritischen Schrift noch differenziert
wird, in der altsemitischen Schrift aber nur mehr durch ein Zeichen
wiedergegeben wird (vgl. femer Nr. 17—18, 19—20, 22—23, 26—27)5.
' Die Deutung dieser Inschriften wurde in jüngster Zeit bedeutend ge¬
fördert durch W. F. Albbioht., BASOR. Nr. 109, S. 16ff., 110, S. Off.
' Die Bezeichnung geht auf die Stadt Ugarit (heute Ras Scliamra an der
phönizischen Küste) zurück, wo diese Schrift zum erstenmal entdeckt wurde.
^ Die ugaritische Keilschrift haben, unabhängig v-oneinander, 1930
E. Dhoeme (Paris) und H. Baueb (Halle) entziffert.
* Vgl. auch die Aufzeichnung des ugaritischen Keilschrift-Alphabets
auf einer zu Ras Schamra gefundenen Tontafel (Manchester Guardian
21. 3. 1950). Cf. Gobdon, G. Orientalia, 1950, S. 374 ff. — Eissfeldt, O.
FuF. 1950, S. 217ff.
' Nr. 7—8, die in der ugaritischen Schrift noch unterschieden werden,
scheinen in der sinaitischen Schrift, wie später in der altsemitischen, schon
zusammengefallen zu sein. — Der in Nr. VI, 8 sich findende Laut i dürfte
aus dem Churrischen entlehnt sein. Er gibt im Ugaritischen einen Laut
Daß die altsemitische Schrift irgendwie mit der sinaitischen zu¬
sammenhängt, zeigen imzweideutig Nr. 3, 7, 8, 9, 11, 14, 19 und 28.
Aber auch hier läßt sich in einigen Fällen deutlich eine Entwicklung er¬
kennen; so in Nr. 1, wo die ältere Form der sinaitischen Schrift noch
einen Rinderkopf zeigt, der in der jüngeren Form und in der altsemiti¬
schen Schrift schon stilisiert ist. Das Gleiche läßt sich bei Nr. 2, 13, 16,
19 und 25 feststellen.
Die Namen, die die einzelnen Buchstaben im Hebräischen erhielten
(vgl. Spalte VII), lassen in einigen Fällen noch deutlich das Urbild der
sinaitischen Schrift erkennen; vgl. Nr. 1, 2, 13, 19 und 25. Mit vielen
dieser Namen wissen wir aber nicht viel anzufangen. Vielleicht liegt dies
daran, daß die ursprüngliche Bedeutung dieser Namen im Hebräischen
verloren gegangen ist ; d. h. wir wissen einfach nicht mehr, was das Wort
Lamed bedeutete, mit dem das Zeichen Nr. 14 benannt wurde (usw.)'.
Die wenigen sicheren Fälle zeigen aber, daß man zur Bezeichnung eines
Buchstaben das Bild eines Gegenstandes wählte, dessen Name mit dem
betreffenden Buchstaben begann^.
Wie verhält sich nun zu dieser Entwicklungsreihe Sinaitisch — ^Alt-
semitisch die gublitische Schrift ? Nur 2 Zeichen derselben (Nr. 14 und
28) haben die gleiche Form und den gleichen Lautwert wie die sinaitische
Schrift; 5 weitere (Nr. 12,15,19, 24 und 26) haben bloß die gleiche
Form. Ein mageres Ergebnis, das höchstens zu der Annahme einer
gelegentlichen ,, Anregung", nicht aber einer organischen Verwandt¬
schaft berechtigt.
Es ist schon des öfteren die Frage aufgeworfen worden, ob nicht die
sinaitische Schrift von den ägyptischen Hieroglyphen abhängig sei. Nur
in 7 Fällen lassen sich hier gemeinsame gleiche Zeichen nachweisen^, aber
wieder, der im jHebräischen mit Zajin, im Arabischen mit Däl und Zäj
umschrieben wird.
^ So weist eines der ältesten Literaturdenkmäler des Alten Testamentes,
das Ri. 5 sich findende Deborä-Lied, eine Reihe von öcTra^ XeyöfiEva auf,
die wir zum Teil in dem viel älteren Ugaritisch wiederfinden.
' Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß im Äthiopischen der
Buchstabe n (vgl. Tabelle Nr. 16) den Namen Nahas ,, Schlange" führt
(vgl. die ältere sinaitische Form!), während das Hebräische den aus dieser
Sprache heraus nicht zu deutenden Namen Nun bewahrt hat. (In anderen
semitischen Sprachen bedeutet dieses Wort ,, Fisch"; im Hebräischen ist
es nur als Eigenname erhalten.)
' Vgl. Nr. 1 mit Erman Ad. Schrifttafel 1929. F, 1.
Nr. 2 Nr. 5 Nr. 16 Nr. 19 Nr. 25 Nr. 28
O, 1.
A, 28.
J, 10.
D, 4.
D, 1.
Z, 3.
auch hier haben die ägyptischen Hierogl jT)hen einen anderen Laut wert als der jeweilige sinaitische Buchstabe.
Ähnlich verhält es sich, wenn man die gublitische Schrift mit den
ägyptischen Hieroglyphen vergleicht. Im besten Falle handelt es sich um
Entlehnungen, was die äußere Form betrifft.
Diese Feststellungen dürfen nicht überraschen. Denn während die
ägyptischen Hieroglyphen eine Mischung von Ideogrammen, Silben¬
zeichen und Buchstaben sind, handelt es sich bei der gubhtischen Schrift
um eine reine Silbenschrift, bei der sinaitischen Schrift schon um ein
reines Alphabet. Hier stoßen wir in beiden Fällen auf die Persönlich¬
keiten zweier Schrifterfinder, wenn wir auch ihre Namen M^ohl niemals
erfahren werden.
So ergibt sich, was den Ursprung unseres Alphabets betrifft, das
folgende BUd : Um 2000 v. Chr. entsteht in Bybios, wohl unter dem Ein¬
fluß des babylonischen KeUschriftsystems, die gublitische Schrift, eine
reine Silbenschrift. Soweit wir es heute beurteilen können, ist dieses
schwerfähige Schriftsystem mit seinen mindestens 75 Zeichen über
Bybios hinaus nicht verwendet worden.
Nicht lange darauf, um 1800 v. Chr., wird auf dem Boden Palästinas
das erste Alphabet geformt, eine Schöpfung der vorisraelitischen,
kana'anäischen Kultur, das nach seinem ersten Fundort sinaitisch ge¬
nannt wurde. Zuerst in einer älteren, dann in einer jüngeren, schon mehr
linearen Form, erhält sich diese Schrift, die nur die Konsonanten schreibt
(hierin vielleicht an das ägyptische Vorbild sich anlehnend), bis ungefähr um 1200 V. Chr. Im 15. /14. Jahrhundert v. Chr. wird in der phönizischen Küstenstadt Ugarit ein keilinschriftliches Alphabet von 30 verschiedenen
Zeichen geschaffen, das zweifellos in seinem alphabetischen Prinzip von
der sinaitischen Schrift beeinflußt war. Auch diese Schrift schrieb nur
die Konsonanten; bloß der Gutturallaut Aleph (vgl. Tabelle Spalte
VIII, 1) wird imterschiedlich geformt; je nachdem er mit a, i oder u ge¬
sprochen avurde. Um 1200 v. Chr. wird aus der schon stark linearen
sinaitischen Schrift die altsemitische mit 22 Buchstaben, wobei eine
Reihe verwandter Laute zusammengeworfen werden (vgl. oben!). So
sind auch die ältesten Denkmäler in altsemitischer Schrift nicht vor das
12./11. Jahrhundert anzusetzen. Von hier trat dann dieses Schrift¬
system seinen Siegeszug über die Welt des Mittelmeeres nach Europa an.
von der Entstehung der tiberischen Grammatik
(Paul E. Kahle, The Cairo Geniza. London, Oxford University Press,
1947. XII + 240 S. The Schweich Lectures of the British Academy 1941)
Von EiNAK BR0NNO, Vserslev
Einleitung
Als Ausgangspunkt des Buches dient der in der Geniza der Synagoge
in Alt-Kairo gemachte Fund eines überaus reichhaltigen Materials he¬
bräischer, aramäischer und anderssprachiger Fragmente. Die von
Kahle aus diesem Material erschlossenen Ergebnisse für die hebräische
Linguistik und für die Geschichte des Bibeltextes bhden die Haupt¬
punkte des Buches.
Im Kap. I (1 — 35) gibt Kahle nicht nur eine allgemeine Einleitung
mit einer Darstellung der Geschichte der Greniza und einem Bericht über
die Weise, in der ihr Inhalt der Wissenschaft zugänglich gemacht wurde,
sowie eine Ubersicht über das mannigfache Material, sondern auch —
u. a. — eine Erörterung der liturgischen Poesie der Juden, besonders im
byzantinischen Imperium.
Das Kap. II (36 — 116) ist dem hebräischen Bibeltext gewidmet, und
im Kap. III (117 — 228) werden die Bibelversionen (die Targume, die
Septuaginta, die Peschitta, die syrischen Evangelia, Tatians Diatessaron
und das arabische Diatessaron) behandelt. Der Darstehung schließen sich
einige Addenda an (229 — 34), in denen Kahle u. a. einige Arbeiten er¬
wähnt, die ihm erst nach Abschluß der dem Buche zugrimdeliegenden
Schweich Lectures 1941 vorliegen konnten. 235 — 40 bringt der Verfasser
einen ausführlichen Namenindex.
Eine Kritik der Theorien Kahles von der Entstehung der tiberischen
Grammatik wird weiter unten versucht werden.
Durch die historische Untersuchung der Aussprache der Laryngale
(86—95), des Pronominalsuffixes der 2. m. sg. (95—102) und der
BGDKPT (102—08) gelangt Kahle 109 zu dem Schluß, daß "the
Masoretes altered and corrected the pronunciation of the Hebrew
Biblical text which they had in their hands in three groups of cases, and
that they did so under Arabic and Syriac influences". Die Argimientation
Kahles fußt größtenteUs auf zwei QueUen, nämlich teUs auf der zweiten
Kolumne der Hexapla des Origenes (der Secunda), teils auf der von