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um ihre Übereinstimmung mit den alten Mustern, soweit es das moderne Ausdrucksbedürfnis zuläßt, ist in der Gegen¬ wart eines der wesentlichen Gebiete des geistigen Lebens

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Academic year: 2022

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(1)

Entwicklung und traditionelle Pflege der arabischen

Schriftsprache in der Gegenwart^)

Von Hans Wehr, Greifswald

Das traditionelle arabische Bildungsideal stellt die Kennt¬

nis und Pflege der 'arabiya, der alten Hochsprache, wie sie

in den Werken der klassischen Grammatiker und Lexiko¬

graphen festgelegt ist, sehr stark in den Vordergrund. Mehr

als anderwärts gilt im arabischen Orient die Sprache als ge¬

heiligter Besitz, und die Sorge um ihre Reinerhaltung, d. h.

um ihre Übereinstimmung mit den alten Mustern, soweit es

das moderne Ausdrucksbedürfnis zuläßt, ist in der Gegen¬

wart eines der wesentlichen Gebiete des geistigen Lebens.

Das Aufkommen des arabischen Nationalismus und der Idee

der Einheit und Verbundenheit der politisch zerspaltenen

arabischen Länder {al-wahda al-'arabiya) hat den ideellen und

praktischen Wert der relativ einheitlichen Schriftsprache in

ein neues Licht gerückt: Sie ist ein Zeugnis ruhmvoller ge¬

schichtlicher und kultureller Tradition, und mit ihrer Hilfe

kann eine Verständigung zwischen den Gebildeten etwa von

Casablanca und Bagdad stattfinden, die bei Anwendung der

stark differenzierten natürlichen Umgangssprachen auf ganz

erhebliche Schwierigkeiten stoßen würde. Aber wie schon in

der Zeit der arabisch-islamischen Eroberungszüge die alte

beduinische Mustersprache sich mit der Erweiterung des Ge¬

sichtskreises trotz aller Bemühungen der Philologen wandelte,

neue Elemente aufnahm und alte fallen ließ, so kann auch in

1) Viele der im vorliegenden Aufsatz berührten Fragen durfte ich

vor dem Druck mit Herrn Dr. Tähir Khemiri besprechen, dessen gute

Kenntnis der ägyptischen Verhältnisse mir sehr wertvoll war und dem

ich für seine Auskünfte zu großem Dank verpflichtet bin.

(2)

H.Wehr, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Sciiriftspraciie 17

der Gegenwart die Wachsamkeit der Puristen und Reformer

über die Reinheit der Sprache im klassischen Sinn nicht wirk¬

samer sein, als der Zwang einer neuen Zeit, die durch die

europäische Kulturinvasion bestimmt ist. Wenn auch die

heutige arabische Literatur Beispiele für eine wenigstens nach

Wortschatz und Grammatik ,, reine" Sprache aufweist, so ist

doch der größte Teil dessen, was heute gedruckt und gelesen

wird, voll von Erscheinungen, die den Vertretern des sprach¬

lichen Traditionalismus fortgesetzt Anlaß zur Kritik bieten.

So wird der allgemeine Konflikt zwischen Tradition und mo¬

derner Praxis auch in den Verhältnissen auf sprachlichem

Gebiet widergespiegelt.

Die Reflexion über sprachliche Dinge, über ,, falsch" und

,, richtig" ist bekanntlich bei den Arabern schon sehr alt. Wir

wissen, daß die alten Philologen in umfangreichen Werken

den Wortschatz und die grammatischen Regeln der als

unübertreffliches Ausdrucksmittel geltenden alten Beduinen¬

sprache für alle Zeiten festlegten und daß diese Werke bis

heute oberste sprachliche Autorität geblieben sind. Daraus

ergibt sich eine in solcher Strenge sonst kaum zu beobach¬

tende konservative Haltung. Während sonst auch in künst¬

lichen Hochsprachen, die nicht reine Gelehrtensprachen sind,

neue Erscheinungen unbemerkt aufkommen und stillschwei¬

gend vom Sprachgebrauch sanktioniert werden, schwebte

hier das Muster einer durch eine gewaltige Bestandsaufnahme

mumifizierten Sprachform vor Augen. Eine lebendige Weiter¬

entwicklung konnte jedoch niemals ganz verhindert werden.

Schon seit dem 2. Jahrhundert d. H. traten Sprachkritiker

auf, die sich mit den volkstümlichen Abweichungen des

Sprachgebrauchs von der als Norm angesehenen Sprache be¬

faßten. Es galt, zumal die Gebildeten vor Verstößen gegen

die Reinheit des Sprachgebrauchs als oberstes Merkmal der

Bildung zu bewahren. Die Bemühungen dieser alten Sprach¬

kritiker gingen von den gleichen Voraussetzungen aus wie

die der modernen Kritiker. Auch der Anlaß ihrer Tätigkeit

ist ein ähnlicher. Waren es damals neben dem Eindringen von

Vulgarismen als Merkmal innerer Entwicklung die neuen

Zeitachrift d. DUO Bd. »7 (N'eae Folge Bd. 22) 8

(3)

18 H.Wbhb, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache

Lebensverhältnisse in den eroberten alten Kulturländern wie

Syrien und Ägypten, die einen Wandel der Sprache bedingten,

so ist die heutige Epoche wiederum durch eine gewaltige Er¬

weiterung des Gesichtskreises gekennzeichnet, durch das Be¬

kanntwerden mit dem Abendland und seinen modernen Er¬

rungenschaften.

Als im vorigen Jahrhundert nach dem Einbruch Europas

in den islamischen Gesichtskreis nationale Regungen bei den

Arabern wach wurden, führte auch die Gefahr, in der die

Sprache schwebte, eine Besinnung auf die alte philologische

Tradition herbei, die sich in der 2. Hälfte des vorigen Jahr¬

hunderts zu äußern begann. Diese Bestrebungen gingen von

Syrien aus und zwar von christlichen Arabern. Hier hatten

sich die französischen Jesuiten nicht ohne politische Tendenz

gegen die amerikanische Mission in Beirut niedergelassen, wo

sie bis zum heutigen Tage durch ihre Universität und ihre

Druckerzeugnisse Einfluß auf die arabische Bildung ausüben,

indem sie die islamische Welt mit Lehrbüchern versorgen, die

selbst bis nach Indien z. T. in Gebrauch sind. Syrische Ver¬

treter der Sprachgelehrsamkeit des vorigen Jahrhunderts wie

Näsif al-Yäzigl, Ibrähim al-Yäzigl, Butrus al-Bu¬

stäni stehen bis heute in gutem Ruf. Besonders Ibrähim

al-Yäzigl, der von 1847—1906 lebte, versuchte mit Erfolg,

das sprachliche Gewissen wieder wachzurütteln. Schon im

vorigen Jahrhundert wurde also in den Kreisen der Gebil¬

deten das kritische Bewußtsein in sprachlichen Dingen neu

geweckt. Aber erst im 20. Jahrhundert gewann der Gedanke

einer umfassenden SprachreiForm, wie sie schon Muhammed

'Abduh in sein Reformprogramm einbezog, feste Gestalt.

Eine Invasion völlig neuer Begriffe aus Europa hatte ein¬

gesetzt, die man vorläufig nur mit den übernommenen Fremd -

Worten oder durch selbständige Prägungen ausdrücken konnte,

die vielleicht schon der erste beste Leser nicht verstand. Ge¬

rade die modernsten Ausdrucksgebiete, auf die das Arabische

am wenigsten eingestellt war, mußten in der Presse am häufig¬

sten behandelt werden. Wenn vorher der bildungsmäßige und

ästhetische Wertbegrifl bei der Reflexion über sprachliche

(4)

H.Wbhr, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache 19

Fragen allein maßgebend gewesen war, so ist in den letzten

Jahrzehnten immer stärker der praktische, soziologische

WertbegrifF an seine Seite getreten. Das Arabische soll ohne

Opferung der Reinheit und Richtigkeit im tradionellen Sinn

vor allem ein glattes Ausdrucksmittel werden, das mit eigenen

Mitteln ohne die Gefahr von Mißverständnissen auch mo¬

dernste Fragen erörtern kann. Diesem Ideal entsprechend

mußten die einheimischen Philologen von der Sprachkritik

zum Sprachschöpfertum übergehen, um den reichen Wort¬

schatz des Altarabischen und die Möglichkeiten organischer

neuer Bildungen den neuen Ausdrucksbedürfnissen dienstbar

zu machen. Ägypten, das in immer zunehmendem Maße Syrien

in der Führung ablöste, nahm sich dieses Gedankens an und ist

bekanntlich seit 1934 Sitz einer Königlichen Akademie der

Arabischen Sprache, deren Aufgabe es ist, über die Reinheit

des Ausdrucks zu wachen und die vor allem fachtechnische

rein arabische Bezeichnungen prägen soll. Wenn man die

heute herrschende Uneinheitlichkeit des sprachlichen Aus¬

drucks und Geschmacks, den immer noch wachsenden ge¬

waltigen neuen Wortbedarf und die Schwierigkeit einer Po¬

pularisierung von Neuprägungen in Erwägung zieht, so wird

man gewiß die praktischen Wirkungsmöglichkeiten einer sol¬

chen Akademie nicht überschätzen.

Wenden wir uns nach diesem Überblick den heute herr¬

schenden Verhältnissen zu, so tritt uns auf sprachlichem Ge¬

biet jener allgemeine Konflikt zwischen Traditionsgebunden¬

heit und Modernismus mit seinen Kompromißlösungen, Mi¬

schungserscheinungen und scharfen Gegensätzen andererseits

vor Augen, der das geistige Leben vor allem in Ägypten, dem

führenden Land arabischer Sprache, charakterisiert. Zwischen

den Gebildeten Ägyptens, die sich wie M. H. Haikai für Anatole

France oder wie Saläma Müsä für Bernard Shaw begeistern

und sich dem europäischen Geist viel stärker verbunden füh¬

len als dem der Azhar und zwischen denen, die ihr Bildungs¬

ideal im Studium einer über tausendjährigen altarabischen

Literatur sehen und dem europäischen Geist allenfalls eine

Überlegenheit in technischen Dingen einräumen, besteht ein

(5)

20 H. Wkhb, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schrittsprache

gewaltiger Gegensatz. In elementarer Form äußert sich dieser

Zwiespalt z. B. auf dem Gebiet wissenschaftlichen Denkens.

Gegenüber merklichen Ansätzen zur Übernahme kritischer

Grundsätze steht die traditionelle Form gelehrter Betätigung

in voller Blüte, die in der Aneignung eines paraten Gedächt¬

nisstoffes, im Auswendiglernen großer Textmengen aus den

alten Autoritäten die Grundlage für gelehrte Dispute sieht.

Während in den bildenden Künsten weithin eine arabisch¬

islamische Tradition überhaupt fehlt oder verleugnet wird,

weist die schöne Literatur neben den vom Abendland über¬

nommenen Formen (Roman, Novelle, Kurzgeschichte, Essay,

Skizze) auf dem Gebiet der Poesie getreue Nachahmungen

altarabischer Vorbilder auf. Bedenkliche Mischungen euro¬

päischer und arabischer Elemente bietet vor allem die Musik ;

obgleich die bodenständigen Formen überwiegen, gilt es man¬

chen ägyptischen Musikern als fortschrittlich, ihren Melodien

primitive Harmonien zu unterlegen oder auf einheimischen

Instrumenten, also mit arabischer Skala modernste Tänze

westeuropäischer Herkunft zum besten zu geben. Der rein

europäischen Organisation der Verwaltung und des öffent¬

lichen Lebens haben sich sogar Einrichtungen nicht entzogen,

die aufs engste mit der islamischen Tradition verknüpft sind.

Die Reform der Azhar durch Mustafä al-Marägl, die Moder¬

nisierung der /Sari'a-Gerichte, die Errichtung eines Wagf-

ministeriums, die Staatsform Ägyptens u. a. nennt Tähä

Husain in Mustaqhal at-taqäfa 1, Kap. 7 als deutliche Beweise

dafür, daß die Europäisierung viel weiter vorgeschritten sei,

als die Anhänger des Überlieferten es sich klarmachen, und

daß es nach vollzogener praktischer Wende eigentlich nur

noch einer seelischen Wende bedürfe, um Ägypten zu einem

europäischen Land zu machen. In diesem 1938 erschienenen

Buch setzt er sich wiederum für eine radikale Europäisierung

ein, die aber alle ererbten Kulturwerte wie Religion, Sprache,

Literatur usw. unangetastet lassen soll, wie auch die europäi¬

schen Völker diese Dinge einer internationalen Kultur nicht

zum Opfer gebracht haben. Aber die Verhältnisse liegen doch

wohl in Ägypten wesentlich komplizierter, da der Orient nicht

(6)

H. Wehr, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache 21

organisch in diese neue Welt hineingewachsen ist. Die Frage,

wo die Modernisierung im einzelnen Fall haltzumachen habe,

wird bei der Gegensätzlichkeit der Meinungen und bei der

Stärke der Reaktion unlösbar sein, und die Zwitternatur des

heutigen ägyptischen Kulturlebens wird durch weitere Mo¬

dernisierung nur begünstigt werden. Alle diese widerspruchs¬

vollen und ungeklärten Verhältnisse, die hier nur angedeutet

werden können, haben, wenn auch nur zum Teil, in der Lage

der Dinge auf sprachlichem Gebiet Parallelen.

Während die Sprache des Modernisten Muh. Husain Hai -

kal streckenweise aus dem Französischen übersetzt zu sein

scheint und offenbare Verstöße nicht nur gegen den Geist,

sondern auch gegen die Regeln der klassischen Sprache auf¬

weist, schreibt z. B. der 1924 verstorbene Manfalüti, der in

keiner fremden Sprache zu Hause war, ein Arabisch, das als

besonders rein gilt und z. T. längst vergessene alte Wörter

wieder aufnimmt, so daß er dem Leserpublikum unverständ¬

lich bleiben würde, wenn er nicht in den Fußnoten solche

lexikalischen Raritäten erläutern würde. Aber die Dinge liegen

doch nicht so einfach, daß man diesen Gegensatz verallgemei¬

nern dürfte. Ein so ausgesprochen modern denkender Autor

wie Tähä Husain schreibt und spricht ein auch von vielen

Traditionshütern anerkanntes, in Ägypten geradezu bewun¬

dertes Hocharabisch. Das entspricht vollkommen der von ihm

vertretenen und geforderten Geisteshaltung, die modernste

Fortschrittlichkeit mit strengster Wahrung überzeitlicher eig¬

ner Werte vereinbaren will. Auch sonst finden wir es bestätigt,

daß eine extrem moderne Denkweise sich nicht notwendig in

sprachlicher Nachlässigkeit äußern muß. Bisr Färis, der in

vollkommen europäischer Einstellung über die Schwierigkeiten

berichtet,, die sich aus dem Konflikt mit den konservativen

Geistern für einen modernen Autor in Ägypten ergeben und

der zu strengen Urteilen über die Verhältnisse im geistigen

Leben kommt i), schreibt als ehemaliger Zögling der Azhar

selbst ein sehr reines Arabisch und tadelt die von Haikai und

1) Des difficultes d'ordre linguistique, culturel et social que rencontre un ecrivain arabe moderne specialement en Egypte. REI 10, 1936.

(7)

22 H. Wbhb, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache

Gabrän vertretene antitraditionalistische Richtung, die (par

imperitie!) gegen Geschmack und Korrektheit verstoße und

die moderne Bewegung schädige, da sie den Angriffen der

Traditionahsten eine Bresche biete.

Die Zahl der Autoren, die in enger Anlehnung an die alten

Muster schreiben und den Forderungen der wachsamen Tradi¬

tionalisten wirklich durchweg nachzukommen vermögen, ist

beschränkt. Denn die tägliche Zeitungslektüre und das Denken

in fremden Sprachen bilden mächtige Einflüsse, denen sich

selbst derjenige Autor nicht immer entziehen kann, der ganz

in der klassischen Sprache lebt, d. h. der einen großen Teil

seines Lebens und seiner Arbeitskraft auf das Studium um¬

fangreicher philologischer Werke und auf das Memorieren

zahlreicher Poesie- und Prosatexte der alten Literatur ver¬

wandt hat. Es ist klar, daß die Neigung zu einer solchen rein

gelehrten Vorarbeit sich nicht immer mit der Gabe freier

künstlerischer Intuition verbindet. Diesen Zwiespalt zwischen

äußerem Formzwang und dichterischem Schöpferwillen hebt

Biär Färis in seinem erwähnten Aufsatz stark hervor. Er

gibt einer bereits weit verbreiteten Tendenz Ausdruck, wenn er

sich vor allem gegen jene traditionelle Richtung wendet, die

mit der Anwendung von Synonymen, ausgefallenen alten Wor¬

ten, Assonanzen und Wortspielereien, mit der Einfügung von

Versen, Koran- und Haditzitaten und Reimprosa ein altes Stil¬

ideal lebendig erhalten will. Als Verfechter dieses Stils in der

Gegenwart nennt er besonders Ahmed Hasan az-Zayyät,

den Herausgeber der Risäla. Er wendet sich mit Ironie gegen

die Herrschaft des Traditionalismus und der äußeren Form

auf dem Gebiete der Poesie, wo man nur genug alte Verse aus¬

wendig können und Reimtechnik und Phraseologie der alten

Dichter beherrschen müsse, um selber Dichter zu sein.

Eine solche überkonservative Richtung, die ihr Ideal in

der Nachahmung der Stilformen und des überreichen rhetori¬

schen Schmuckes alter Muster sieht, ist in der modernen Prosa

nur schwach vertreten. Die alte Schule, wie sie z. B. auch von

MustafäSädiqar-Räfi'i vertreten wird , hat heute in Ägyp¬

ten außerhalb streng konservativer Kreise nicht allzu viele

(8)

H. Wbhb, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache 23

Anhänger beim LeserpubHkum, dessen Geschmack mehr einer

schlichten und glatten Schreibweise zuneigt. So gibt es heute

in Ägypten eine Anzahl von Schriftstellern, die bei mehr oder

weniger schlichter Stilkunst eine im traditionellen Sinn kor¬

rekte Sprache schreiben, ohne in die Nawädir-Sucht zu ver¬

fallen und Künsteleien und das Prunken mit philologischer

Beschlagenheit vermeiden. Autoren wie TähäHusain,Man¬

sür Fahmi, Ahmed Amin^), al-Mäzini können trotz man¬

cher Unterschiede insgesamt als Repräsentanten dieser Schreib¬

weise gelten, die auch den Puristen keinen wesentlichen An¬

stoß bietet. Verfehlt wäre es jedoch, das Arabisch solcher im

Orient geschätzter Stilisten schlechthin als „klassisch" zu be¬

zeichnen. Denn auch sie verwenden natürlich eine Unmenge

nachklassischer und moderner Worte und Bedeutungen. Ihr

Stil verleugnet keineswegs immer den Geist der modernen

Sprachen. Was aber dem gebildeten Publikum heute den Stil

eines Autors reizvoll macht, ist jene schlichte, glattfließende,

mühelose und doch rhetorisch so wirkungsvolle Sprache, wie

sie Täha Husain schreibt und spricht, dessen öffentliche Vor¬

träge stets stark besucht sind und zwar auch von Gegnern

seiner Ansichten, die lediglich seine Sprache schätzen*). Wie

mir Herr Dr. Khemiri versicherte und wie mir auch von an¬

derer Seite bestätigt wurde, wird heute in Ägypten vor allem

Taufiq al-HakIm um seines geschliffenen Stiles willen hoch¬

geschätzt, der geradezu als der ,,Star" unter den modernen

Autoren gelten soll (obgleich seine Sprache von Europäismen

keineswegs frei ist! Vgl. auch Brockelmann's Bemerkungen

GAL Suppl. III 243 zu al-kull fl wähid). — Einen besonderen

Reiz bedeuten für den orientalischen Leser die diskreten Ein-

flechtungen von Anspielungen auf Stellen der alten Literatur.

Nicht nur in der Literatur, sondern auch in der gehobenen

Sprache der besseren Journalisten begegnet man auf Schritt

und Tritt Wendungen, die dem Koran entstammen oder auch

1) Der Herausgeber der Taqäfa und frühere Mitarbeiter der Siyäsa,

dessen Sprache nach Mitteilung von Herrn Dr. Khemiri geschätzt wird.

2) Vgl. Khemiri- Kampffmeyer, Leaders in Contemporary Arabic

Literature, 35.

(9)

24 H. Wbhh, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache

auf klassische Autoren zurückgehen. Solche feinen Anspie¬

lungen, die uns in der Regel entgehen, da wir nichts oder wenig

auswendig können, und auf die wir erst durch die Zusammen¬

arbeit mit einem gebildeten Araber aufmerksam werden,

wecken beim orientalischen Leser Reminiszenzen an auswen¬

dig Gewußtes, und dieses Wiedererkennen bildet einen Haupt¬

reiz beim Lesen.Die Fähigkeit eines Autors, solche alten Wen¬

dungen passend einzuflechten, ist ein nicht zu unterschätzen¬

des Kriterium für die Bewertung seines Stiles.

Im allgemeinen bieten die zuvor genannten und andere

beliebte Autoren aber auch den Puristen keinen oder wenig

Anstoß (im Gegensatz etwa zu Mahmüd Taimür), d. h. in

grammatischer Hinsicht werden die klassischen Regeln streng¬

stens befolgt, der Wortschatz greift gern auf frühe Autoren

zurück und bewegt sich bei nachklassischen und modernen

Worten und Bedeutung in der Regel in den Bahnen der zu¬

lässigen Analogie, meidet jedenfalls streng Entlehnungen aus

der Umgangssprache sowie ersetzbare Fremdwörter, die

äußerst verpönt sind. Gewisse Freiheiten bietet der Taumln

(insbesondere der Gebrauch eines Verbums an Stelle eines

sinnverwandten unter Beibehaltung der Rektion des vor¬

schwebenden Verbs ^). So sind die Grenzen ziemlich eng ge¬

zogen. Zahlreiche Wörter, die dem weniger aufmerksamen

Autor in die Feder fließen, entstammen der Umgangssprache

oder lassen sich jedenfalls nicht als Qiyäs rechtfertigen. Sie

zu erkennen und zu vermeiden, verlangt ein nicht zu unter¬

schätzendes Maß sprachlicher Bildung.

Während die Fragen der Verbesserung des Wortschatzes

von den Sprachreinigern mit größtem Eifer erörtert werden,

ist es auffallend, daß man die zahllosen phraseologischen Euro¬

päismen viel seltener kritisiert fmdet, die doch gerade das her¬

vorstechende unarabische Element der heutigen Sprache bil¬

den und für unser Gefühl viel stärker gegen den Geist der

'arabiya verstoßen, als etwa die Anwendung von Wörtern der

1) Vgl. die Regeln, nach denen die Kairiner Akademie den Taumln

als qiyäsi anerkennt, in Ma§allat al-majma' I 33.

(10)

H. Wbhb, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache 2S

Volkssprache^). Man findet sie auf Schritt und Tritt, nicht nur

in der Zeitungssprache, sondern bei fast allen Autoren. Sie

geben der Sprache weithin europäisches Gepräge, mag die

Wahl der Worte und die Beachtung der grammatischen Re¬

geln eine noch so sorgfältige sein. Selbst einem so musterhaften

Stilisten wie Tähä Husain unterlaufen Wendungen wie

diese: 4jLi Js. ^ylM> ,,und siehe, sie hängen an seinen

Lippen" QMat al-fikr 10, ^^1 ojjjl ojJiJI ^1 „die Umstände

wollten es, daß" eb. 104, ,^1 Ji»)| a._,,_ ,,das Mißgeschick

will es, daß" Mustaqbal at-taqäfa 1 73, (.L* zX^ ,, gewaltige

Verantwortungen" eb. 4, l^L. .y» Je J Jji--. ,, die Zu¬

kunft der Bildung in Ägypten im Lichte seiner Vergangenheit"

eb. 6, lijt ^ Jil ^ dLjtj ,,es gibt (= there is)*) noch eine

andere Sache, die nicht geringer ist als diese" eb. 12, vgl. 67,

73u. ö., ^1 JjVl iJicSli ,, es scheint auf den ersten Blick, daß"

Min ha'ld 3. Mögen solche Fälle bei Tähä Husain immerhin

selten vorkommen, so sind doch die Werke vieler weniger

geschätzter Stilisten stark davon durchsetzt, von den Zei¬

tungen ganz zu schweigen. Nachdem der Einfluß des Franzö¬

sischen stark gesunken ist, sind es vor allem Anglizismen, die

neu eindringen. Nun empfindet man zweifellos auch im Orient

die Sprache Haikal's als europäisch gefärbt, man bemüht

sich aber verhältnismäßig wenig um die Ausmerzung der ein¬

zelnen FäUe, die natürlich auch praktisch undurchführbar

wäre. Wenn sogar den besten lebenden Autoren solche Wen¬

dungen unterlaufen, so zeigt das, wie stark sie bereits im

Sprachgefühl heimisch sind und wie leicht sie auch dem kriti¬

schen Betrachter entgehen können. Sie konnten sich um so

leichter einbürgern, da solche Wendungen kein unarabisches

Wort enthalten und auch die Konstruktion rein arabisch ist,

1) Eine Auswahl besonders verbreiteter Wendungen in MSOS

XXXVII, 21 ff.

2) Ein sehr häuflger Anglizismus der modernen Sprache; vgl. ^

J J<l tllLt (there is no hope!) Taqwlm Misr 1936, 60; <_jr tilL*.

«yklilL cJ^\Ji eb. 178. Dagegen ist tammata in gleicher Bedeutung

(nicht 1^*1) mit dial, tämma ,,es gibt, da ist" (Stumme, Märchen und Gedichte aus Tripolis 3,12; 26, 28; 32,11) gleichzusetzen.

(11)

26 H.Wbhb, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache

SO daß formal also kein Anstoß erregt wird. In diesem Sinn

äußert sich 'Abdalqädir al-Magribi in einem bemerkens¬

werten Aufsatz Ta'rib al-asällb^), der dies an dem Beispiel

iXi x ^ „er bat um ihre Hand" (statt ^J«i)

erläutert.

Die Grundsätze, denen die offiziellen Vertreter konserva¬

tiver Sprachregelung huldigen, werden nun keineswegs all¬

gemein als verbindlich angesehen. Zwar bemühen sich die Au¬

toren in der Regel, dem wachsamen Auge der Puristen keinen

Anlaß zur Ärgernis zu geben. Wenn sich je nach Bildungsgang

und Sorgfalt des Schriftstellers Vulgarismen und andere Ent¬

gleisungen in mehr oder weniger starkem Maß in einem großen

Teil der repräsentativen Literatur finden, so ist das bei den

Schwierigkeiten, mit denen heute jeder Modernist zu kämpfen

hat, der nicht zugleich ein guter Philologe ist, nicht weiter er¬

staunlich und im allgemeinen unbeabsichtigt. Jedoch fehlt es

nicht an Stimmen, die offen gegen eine zu enge, von dogmati¬

schen Vorurteilen beherrschte Sprachregelung polemisieren.

Der amerikanische Syrer Mihä'il Nu'aima verspottet die

Sprachkritiker, indem er ihre Tadeleien als „Froschgequake"

bezeichnt"). Saläma Müsä, der hypermoderne koptische

Sozialist will sogar die geheiligte Schriftsprache durch die Um-

1) Makalla I 332 ff. Dieser Aufsatz, der einzige in den ersten 3 Bän¬

den der Akademiezeitschrift, der sich mit der Phraseologie befaßt, bringt viele Beispiele verbreiteter Wendungen französischen Ursprungs; u. a.:

L.J jIp i- ^J'\^^ (il a v6cu seize printemps), Jfyi\ jL *, J«1.1 jL

(rögneri), jx\ (die Situation retten, von Bbockelmann, GAL,

Suppl. III 162 sogar bei Mäzini notiert), ^y^UII Cjjy (die Beziehungen

wurden gespannt, tendus), oiül Jl, Jt:A\ Jl (au revoir, ä domain)

0^ J^ (*nf j-s Gesundheit trinken), .lyu* idi <ilxU (rire

jaune!). IjTL ck^t, (in seiner Eigenschaft als) usw. Solche Beispiele

lassen sich natürlich zu Hunderten notieren. An anderer Stelle, Ma^_

II 17 gebraucht der Verf. selbst ,ju^| jlil , .Rettung der Situation"!

Im allgemeinen halten sich die Veröffentlichungen der Akademiemit¬

glieder, wie zu erwarten, von Europäismen frei und bieten überhaupt

Musterbeispiele dafür, bis zu welchem Grad es heute möglich ist, das

Ideal klassischen Sprachgebrauchs zu verwirklichen.

2) Bbockelmann, GAL, Suppl. III 474.

(12)

H. Wbhk, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache 27

gangssprache ersetzt wissen, da sie als modernes Ausdrucks¬

mittel nicht mehr genüge^). In dem Aufsatz Mustaqbal al-luga

al-'arablya (in al-badä'i' waH-tara'if) tritt Gabrän Halil Ca-

brän offen für eine Bereicherung der Schriftsprache durch

Worte der Umgangssprache ein, wie auch Must. 'Abd ar-

Räziq eine Annäherung von Schrift- und Umgangssprache

wünscht*). Mahmüd Taimür schreibt in seinen ägyptischen

Kurzgeschichten bewußt eine Sprache, die dem Geist der Um¬

gangssprache nahesteht und vulgäre Wörter und Wendungen

nicht verschmäht. Er wagt es auch im Interesse einer realisti¬

schen Wirkung in den Dialogen zum Teil die 'ämmiya anzu¬

wenden, wie es neben Mahmüd Tähir Läsin und Haikai

(Zainab) auch Taufiq al-Hakim (al-kull fi wähid, Yaumlyät

näHb fi H-aryäf) tut. Da die 'ämmiya die natürliche, zuerst

erlernte Sprache ist, wird es nie ganz ausbleiben, daß sie die

künstliche Hochsprache mehr oder weniger stark durchsetzt,

obgleich die offizielle Philologie seit jeher gerade darin ein

Merkmal schwerster Sprachverderbnis sieht ').

Das traditionelle Ideal wird also in der repräsentativen

Literatur von einer beschränkten Anzahl der Autoren an¬

nähernd verwirklicht, im allgemeinen angestrebt und von

manchen verleugnet. Es ist klar, daß in der Sprache der Presse

und des Rundfunks, bei der jadas praktische Ausdrucksbedürf¬

nis und die rasche Formulierung eine wesentliche Rolle spie¬

len, der europäisierende Sprachtyp und überhaupt eine ge¬

lockerte Ausdrucksweise günstigen Boden finden mußte. Eine

gewisse Spannung zwischen dem künstlerischen und dem

praktischen Charakter ist allen Sprachen zu eigen. Man kann

aber nicht mit den Puristen diejenigen sprachlichen Erzeug¬

nisse, die der Praxis dienen, aus der Betrachtung ausschließen

und als fehlerhaft ablehnen, wenn die als falsch und unarabisch

1) Brockelmann, GAL, Suppl. III 214, Kh.-Ka. 33.

2) eb. 465 bzw. Hiläl 37, 1166.

3) Da die Beschäftigung mit der 'ämmiya um ihrer selbst willen den

arab. Philologen immer sehr fern lag, ist es bemerkenswert, daß die

Kairiner Akademie das Studium der Dialekte in Anlehnung an die

europäische Orientalistik mit auf ihr Programm geschrieben hat (Art. 2,

Abs. 3 des Gründungsdekretes, Ma§. 1 7).

H

(13)

28 H.Wehr, Entwicklung u. tradition. Pflege d.arab. Schriftsprache

bezeichneten Erscheinungen sich bereits eingebürgert haben

und dutzendfach belegt werden können^). In der Tat hat sich

bei den Journalisten Ägyptens ein Sprachusus herausgebildet,

der in freier Entwicklung und ohne allzu engherzige Erwä¬

gungen im Anschluß an die europäischen Zeitungssprachen

zustande gekommen ist.Wenn wir diesen als gültig anerkennen

und etwa in ein Wörterbuch aufnehmen, so entspricht dies

nicht nur dem praktischen Bedürfnis, sondern es ist auch

wissenschaftlich vollkommen berechtigt. Nie, auch nicht zu

den Zeiten höchsten schriftstellerischen Fleißes ist bei den

Arabern so viel Schriftsprachliches verbreitet und mit Auge

und Ohr aufgenommen worden wie heute, da Presse und Rund¬

funk täglich alle der Schriftsprache Kundigen mit umfang¬

reichen Textmengen überschütten und das Interesse wei¬

tester Kreise fmden. In dem überwiegenden Teil dessen, was

heute geschrieben und dem unmittelbaren Bedürfnis ent¬

sprechend gelesen und gehört wird, pflegt man den inter¬

national-europäischen Ausdruckstyp. An den syntaktisch

knappen, immer wiederkehrenden Formulierungen der etwa

in den politischen Meldungen gebotenen Sprache, die man

streckenweise wörtlich ins Deutsche, Englische, Französische,

Italienische übersetzen kann, schult sich nicht allein das

Sprachgefühl des Durchschnittsgebildeten, der selten oder

gar nicht zur Lektüre literarischer Texte kommt, sondern ihr

Einfluß äußert sich hin und wieder selbst bei angesehenen

Autoren. Aber auch in der Behördensprache, im modernen

Rechtswesen, im kaufmännischen Leben, überall, wo das

praktische Mitteilungsbedürfnis den Gedanken an die Form

in den Hintergrund drängt, zeigt sich zugleich mit der Be¬

handlung europäischer Gegenstände eine Annäherung an den

europäischen Sprachgeist. E. Schwyzer*) hat zum erstenmal

den Begriff der kulturellen Sprachverwandtschaft behandelt

1) Bercher erinnert im Vorwort seines Supplements Lexique

Arabe-Franfais (1938) an die juristische Formel , .Error communis facit jus", die auch für die Beurteilung sprachlicher Verhältnisse vorzüglich anwendbar ist.

2) Genealogische und kulturelle Sprachverwandtschaft. Universität Zürich. Festgabe 1914. V. Philos. Fak. I S. 133fr.

(14)

H. Wehr, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache 29

und dem der genealogischen Sprachverwandtschaft gegenüber

gestellt. Nirgends in der Geschichte kann die Tatsache so gut

beobachtet werden, wie am Beispiel der europäischen Na¬

tionen in der Gegenwart, daß Kulturverwandtschaft eine Ver¬

wandtschaft des Sprachgeistes erzeugt. Die gleichen Aus¬

drucksbedürfnisse und jahrhundertelanger Austausch haben

es mit sich gebracht, daß über die Grenzen verschiedenen

grammatischen Baues hinweg eine weitgehende Gleichmäßig¬

keit des Ausdrucks zustande gekommen ist, die sich vor allem

in der Phraseologie, aber auch im Satzkau äußert. Das Voka¬

bular der europäischen Sprachen bietet im weitesten Umfang

gleiche Ausdrucksmöglichkeiten. Alle diese für gewöhnlich

selbstverständlichen Dinge erscheinen in ganz anderem Licht,

wenn man von der Beschäftigung mit einer exotischen Sprache

herkommt, oder wenn man auch nur die Schwierigkeiten des

Übersetzens aus dem klassischen Latein und aus einer spani¬

schen oder italienischen Zeitung vergleicht. Allerdings ist

diese internationale Phraseologie in verschiedenem Gewand

auf die schriftsprachlichen Ausdrucksgebiete beschränkt, die

sich irgendwie auf Gegenstände des internationalen Kultur¬

lebens beziehen. (Die Sprache eines fremdsprachlichen wissen¬

schaftlichen Aufsatzes kommt uns mehr entgegen als die eines

Romans in der gleichen Sprache.) In den Kreis dieser kultu¬

rellen Sprachverwandtschaft sind bereits viele außereuro¬

päische Sprachen einbezogen worden^). Araber, Türken und

Perser haben längst ihre kulturelle Symbiose aufgegeben und

haben sich getrennt voneinander dem Einfluß Europas öffnen

müssen. Nirgends aber ist ein in der Vergangenheit begrün¬

detes Gegengewicht gegen die Europäisierung der Sprache

mit ihren flüchtigen Lehnübersetzungen*), Fremdwörtern und

1) Vgl. z. B. C. Meinhof, Die Christianisierung der Sprachen Afrikas (Basel 1905).

2) Es ist erstaunlich, wie oft den Journalisten gerade auf diesem

Gebiet die schlimmsten Dinge unterlaufen. Wenn z. B. in einem Auf¬

satz (Ahräm) unter mehreren Strafarten auch jU; aufgezählt wird, was

,, Hinrichtung" heißen muß, so hat den Verf. m. E. zweifellos die

Doppeldeutigkeit von engl, execution zu diesem Lapsus bewogen.

(15)

30 H.Wbhr, Entwicklungu. tradition. Pflege d.arab. Schriftsprache

ihrem fremden Geist in so starkem Maße vorhanden wie im

arabischen Orient. Das ganze geistige Erbe, die Pflege einer

hochstehenden kulturellen Vergangenheit, der politische

Unionsgedanke und vor allem die islamische Religion sind

eng verknüpft mit dem Ideal einer ,, Reinerhaltung" der

Sprache. Wenn dennoch dieses Ideal streng genommen immer

nur von wenigen zu verwirklichen ist und die große Masse des

praktischen Schrifttums sich dem internationalen Ausdrucks¬

typ angeschlossen hat, so ist die Schuld nicht so sehr in der

Unbildung oder Nachlässigkeit des einzelnen Autors zu suchen,

wie manche arabische Sprachkritiker meinen, sondern in dem

alle umfassenden höheren Zwang, den Zeitgeschmack und

modernes Ausdrucksbedürfnis ausüben und dem sich nur ein¬

zelne Erwählte mit großer Selbstkritik, umfassendem sprach¬

lichen Wissen und bewußtem Vorsatz entziehen können.

Im Einzelnen kann man mehrere Umstände anführen,

welche die antitraditionalistische Entwicklung begünstigt

haben: Der Kreis derer, die wirklich entscheidenden Einfluß

auf die Gestaltung der Sprache haben und gezwungen sind,

modernste Dinge auf arabisch auszudrücken, ist, an europäi¬

schen Verhältnissen gemessen, klein. Er beschränkt sich auf die

Publizisten, die Vertreter der technischen, naturwissenschaft¬

lichen und administrativen Berufe. Diese haben zum großen

Teil in Deutschland, Frankreich, England und der Schweiz

studiert, sie verfügen über internationale Beziehungen und

sind fast ausnahmslos polyglott. Ihre Beschäftigung mit der

'arabiya und mit traditionsgebundener Denkweise ist im all¬

gemeinen mit der Erwerbung der Sahädat ad-diräsa at-täna-

wlya, des Reifezeugnisses abgeschlossen. Dazu kommt, daß

der arabische Unterricht nicht eben schmackhaft gemacht

wird, so daß die ägyptischen Schüler gerade die arabischen

Stunden am meisten hassen und dementsprechend die Prü¬

fungsergebnisse gerade in diesem Fach am schlechtesten sind ^).

Sein Studienfach lernt der Student in Ägypten zu einem Teil,

in Europa ausschließlich aus europäischen Lehrbüchern ken-

1) Vgl. Björkman, WI 22 1940, S. 125, nach ^äfi? 'Aflfi, 'Alä

häniiS as-siyäsa 72.

(16)

H.Wehb, Entwicklungu. tradition. Pflege d.arab. Schriftsprache 31

nen. Bei diesen Verhältnissen ist einer weitgehenden Über¬

nahme europäischer Wendungen und Ausdrücke in Form von

unbewußten Lehnübersetzungen der Weg geebnet, wenn der

Betreffende zur Publizistik übergeht oder sich auf seinem

Fachgebiet schriftstellerisch betätigt. Viel günstiger liegen die

Dinge freilich bei denen, die am Där al-'ulüm studiert haben,

oder in der Fakultät der arabischen Sprache an der Azhar oder

in der Literaturfakultät der ägyptischen Universität tiefer in

den Geist des klassischen Arabisch eingedrungen sind. Aber

der große Anteil des erstgenannten Typs an der Formung der

heutigen Sprache ist nicht zu bezweifeln.

Auf der anderen Seite steht der Kreis der ganz in der

sprachlichen Tradition wurzelnden Philologen alten Stils, die

größte Beschlagenheit in der klassischen Sprache mit einem

heiligen Eifer für die Säuberung der modernen Sprache ver¬

binden. Meist stehen aber diese eigentlichen Träger des sprach¬

lichen Wissens und Gewissens auch beruflich und geistig ganz

auf dem Boden der islamisch-arabischen Tradition. Ihre prak¬

tischen Möglichkeiten, die Ausdrucksweise gerade da, wo es

not tut, nämlich auf den modernen Lebensgebieten zu beein¬

flussen, sind daher viel geringer, als die der Berufsjournalisten,

die Ereignisse der europäischen Politik und der Kriegführung

und modernste technische Fortschritte auf arabisch aus¬

drücken müssen und deren Erzeugnisse wegen ihrer prakti¬

schen Wichtigkeit täglich von allen gelesen werden.

Eine Oberschicht von europäisch gebildeten Journalisten,

die vor allem im Englischen zu Hause sind, hat also wesent¬

lichen Einfluß auf die Gestaltung der Sprache, die dem zei¬

tunglesenden und rundfunkhörenden Publikum täglich in gro¬

ßen Mengen geboten wird und weithin zur Norm geworden ist.

Auch die Urteilsfähigkeit über sprachliche Dinge ist auf einen

verhältnismäßig kleinen Teil der Bevölkerung beschränkt.

Wenn die Statistik für Ägypten rund 80% männlicher und

96% weiblicher Analphabeten angibt'), so dürfen diese Zahlen

1) Nach der Volkszählung von 1927 genauer 21,8 bzw. 3,5% des

Lesens und Schreibens Kundige (Annuaire statistique). Bjobkhan 112

und 118.

a «

(17)

32 H.Wbhb, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache

nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch von den 20% bzw.

4% derer, die lesen und schreiben können, nur ein kleiner Teil

ein einigermaßen sicheres Sprachgefühl für die Schriftsprache

besitzt und in der Lage ist, einen von Vulgarismen freien Pri¬

vatbrief zu schreiben oder gewisse Entgleisungen der Zeitungs¬

sprache selbständig zu beurteilen und zu erkennen^). Wenn

schon die Unterrichtsverhältnisse der madäris tänawlya Ägyp¬

tens dieses Ziel für wenige Höhergestellte nur annähernd

garantieren können, so wird man vom Elementarunterricht

der makätih nicht allzu viel erwarten dürfen. In den sehr be¬

suchten englischen und amerikanischen Schulen Ägyptens und

in den Kolonialschulen Französisch-Nordafrikas und Libyens

werden die Kinder zur Zweisprachigkeit erzogen, was ein Mi¬

nus für die Erlernung der arabischen Schriftsprache bedeutet.

Bei alledem dürfen nun die bereits zu verzeichnenden Er¬

folge der Reformbestrebungen nicht als zu ungünstig beurteilt

werden. Denn die neu erwachte Besinnung hat es mit sich ge¬

bracht, daß heute die Literatur viele Beispiele einer an den

klassischen Mustern orientierten Sprache aufweist. Sogar in

der gehobenen Sprache der besseren Journalisten begegnet

man auf Schritt und Tritt Wendungen, die dem Koran ent¬

stammen oder auch auf klassische Autoren zurückgehen. Zahl¬

reiche Neuprägungen für europäische Fremdwörter, die heute

vollkommen lebendig sind, sind von guten Philologen aus¬

gegangen und erweisen sich als unanfechtbar. Auch in Zu¬

kunft wird es wohl möglich sein, wie bisher Termini festzu¬

legen und einzubürgern. Daß es grundsätzlich durchführbar

ist, puristischen Neuprägungen Geltung zu verschaffen, lehrt

das Beispiel vieler europäischer Sprachen, besonders das des

1) Obgleich erst der Schulbesuch mit der Kenntnis der Schrift eine

genauere Kenntnis der Hochsprache vermittelt, vermögen Analpha¬

beten Vorgelesenes dem Sinne nach zu verfolgen, wie es denn in den

arabischen Ländern ein bekanntes Bild ist, daß ein Lesekundiger auf

der Straße oder im Kaffeehaus einem größeren Kreis von Analphabeten aus der Zeitung vorliest. Dies geschieht natürlich in einer phonetisch

der Volkssprache angenäherten Form. Ein Bild davon, wie ein gewöhn¬

licher Kairiner Zeitungsleser einen hochsprachlichen Text ausspricht, vermittelt Gairdneb in The Phonetics of Arabic.

(18)

H . Wbhr, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache 33

Deutschen im Weltkrieg. So stellt auch die Kairiner Akademie

die Fragen des Wortschatzes durchaus in den Vordergrund.

Vulgäre und fremdsprachliche Wörter sollen durch rein ara¬

bische ersetzt werden. Wenn sich in der alten Sprache vor¬

liegende Wörter nicht finden lassen, die man den modernen

Begriffen zuordnen könnte, so werden nach den bekannten

Methoden des ikiqäq oder des magäz neue eingeführt'). Nach

solchen Prinzipien verfuhren auch die vielen privaten Sprach¬

schöpfer in den letzten Jahrzehnten, die in zahlreichen Ver¬

öffentlichungen, besonders in Zeitschriften ihre Vorschläge

der Öffentlichkeit unterbreiteten. Neu und verheißungsvoll

ist die Tatsache, daß hier eine staatliche Autorität diese Be¬

strebungen in eine einheitliche Bahn zu lenken bemüht ist. In

den mir zugänglichen drei ersten Bänden der Magallat magma'

al-luga al-'arablya al-malaki (1935—37) werden so annähernd

1000 Bezeichnungen geprägt oder genehmigt (auch für inter¬

nationale griechisch-lateinische Termini.) Die Zusammen¬

setzung der Akademie bürgt dafür, daß ihre Vorschläge den

traditionellen Forderungen entsprechen und philologisch be¬

gründet sind. Wieweit aber die Verbreitung der gefundenen

Ausdrücke gediehen ist, läßt sich gegenwärtig nicht übersehen.

Die Herausgabe eines normativen Wörterbuches durch die

Akademie, das den gesamten nach ihrer Auffassung als gut

anzuerkennenden Wortbestand zu verzeichnen hätte, würde

sicher viel dazu beitragen, die heute im Wortschatz herrschende

Anarchie zu beheben, vorausgesetzt, daß man einem solchen

Werk eine autoritäre Geltung verschaffen könnte, wie sie etwa

Duden oder Larousse besitzt.

Daß der Wortschatz für die modernen Ausdrucksgebiete

(Rundfunktechnik, Chemie, Medizin, Physik usw.) anarchi¬

sche Verhältnisse aufweist, ist nicht verwunderlich*). Wenn

1) Die Grundsätze, nach denen die Kategorien des Taumln, Ta'rib, lUiqäq sowie nichtklassische Wörter {al-lafz al-muwallad) zulässig sein sollen, sind in Maj. I 33—37 und II 5—13 näher dargelegt.-

2) Es gibt zwar mehrere Fachwörterbücher, z. B. Muh. Sharaf,

A Dictionary of Biology, Medicine and Allied Sciences. Kairo 1930.

Amin al-Ma'lüf, Mu'gam al-hayawän. Kairo 1932. Ahmed 'Isä Bey,

ZeittcJjrift d. DUO Bd. 97 (Neue Folge Bd. 22 3

(19)

34 H.Wehb, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache

die arabischen Autoren gezwungen sind, speziellere Begriffe

auf arabisch irgendwie auszudrücken und das europäische

Fremdwort vermeiden wollen oder ein bereits von anderen

geprägtes Wort ihnen nicht zusagt, so wählen sie oft auf eigene

Faust ein älteres, längst vergessenes Wort aus, dessen Bedeu¬

tung nach ihrer Meinung ungefähr paßt, oder prägen aus einer

alten Wurzel ein neues Wort, und verwenden es, zuweilen ohne

die griechische, lateinische oder englische Entsprechung an¬

zugeben. Jedes Heft der Zeitschrift al-Muqtataf, die sich um

die Popularisierung moderner wissenschaftlicher Erkenntni«se

bemüht, liefert zahlreiche Beispiele für dieses private Sprach¬

schöpfertum. Solche Ausdrücke sind natürlich einem anderen

Araber, selbst einem Kenner des betreffenden Fachgebietes,

den man darüber befragt, ganz unverständlich, da sie eben

nur einmal vorkommen').

Wesentlicher ist, daß uns in der schönen Literatur z. T. bei

angesehenen Autoren Wortbedeutungen und Neubildungen

begegnen, die als einmalige Eigenmächtigkeiten des Verfassers

gelten müssen. Manche Stellen bei Raihäni oder Gabrän

bleiben daher auch einem sprachlich hochgebildeten Araber

dunkel oder befremdlich. Solche Fälle zeigen, daß ein Stan¬

dardwortschatz längst nicht in dem Maße gegeben ist, wie in

Dictionnaire des noms des plantes. Kairo 1930. Othman Labib Abdoh

und Azer Armanious, The medical botanical Vocabulary. Kairo 1929.

Diese bieten neben älterem Material auch zahlreiche neue Vorschläge.

Jedoch hat sich keines als maßgebliches Nachschlagewerk in den be¬

treffenden Fachkreisen durchzusetzen vermocht.

1) Der Wunsch, sich originell auszudrücken und sich nicht einem

bestehenden Usus anzuschließen, ist oft dafür verantwortlich zu machen,

daß mehrere Bezeichnungen nebeneinander bestehen, auch für Gegen¬

stände, die recht alltäglich geworden sind. Z. B. liest man für das be¬

kannte längst eingebürgerte ölll^l«—I ,, Schallplatten" auch

(Muqt. 1935, 336), für ,, Lautsprecher" neben auch ^ii.

OjJI (Ahräm). Umgekehrt entstehen gelegentlich Kollisionen, indem

scharf zu unterscheidende Begriffe durch das gleiche Wort wieder¬

gegeben werden: Während TaimürlJ 6v. u. für ,, realistisch"

gebraucht, verwendet es Haikai {Fl auqät al-faräg 177, u.) für ,, posi¬

tivistisch" (Gegensatz „metaphysisch").

(20)

H. Wehr, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache 35

unseren weitgehend genormten Sprachen. Abgesehen davon,

daß jedes alte klassisch belegte Wort, auch wenn es schon

längst dem Sprachbewußtsein entschwunden ist, als schlecht¬

hin korrekt gilt und ohne weiteres anwendbar ist, müssen wir

also oft damit rechnen, daß ein Autor mit bewußter Freiheit

oder in unbewußter Verkennung der alten Bedeutung BegrifTs-

verschiebungen vornimmt oder einmalige Neuprägungen

schafft, die ein anderer mißbilligt oder gar nicht versteht.

Viele solcher Fälle werden von den arabischen Sprachgelehrten

öffentlich kritisiert.

Dazu kommt noch die weite Ausdehnung des Sprach¬

gebietes. Für Fachausdrücke, die in Ägypten bereits festliegen,

werden in irakischen, syrischen oder tunesischen Zeitungen

z. T. andere gebraucht. In den anderen Ländern oder gar in

Amerika bildet die Wachsamkeit der Sprachkritiker nicht in

dem Maße eine Schranke für die sprachliche Anarchie, wie in

Ägypten, wo die Pflege der sprachlichen Tradition in voller

Blüte steht. Aber auch wenn wir von den anderen Ländern

absehen, ist doch auch der in der Literatur Ägyptens verwen¬

dete Wortschatz noch weit von einer Einheitlichkeit und Nor¬

malisierung entfernt, die es gestattete, zu entscheiden, ob ein

Wort zum lebendigen Sprachbestand zu rechnen ist oder nicht.

Die Kenntnis aller dieser Verhältnisse ist von unmittel¬

barer Bedeutung bei der Abfassung eines praktischen Wörter¬

buches der heutigen Schriftsprache, wie es gegenwärtig im Ent¬

stehen ist. Für eine solche Arbeit kann die Betrachtungsweise

der einheimischen Philologen nicht maßgebend sein, die immer

dazu neigen, Werturteile zu fällen, wo wir einfach konstatieren

und die demgemäß eine große Menge oft zu belegender Worte

und Wendungen als „falsch" und daher nicht zum Sprach¬

bestand gehörig beurteilen. Diese Haltung, die eine notwen¬

dige Weiterentwicklung nur in den geregelten Bahnen zu¬

billigt, die in der alten Sprache selbst vorgezeichnet sind, ist

geistesgeschichthch vollkommen verständlich. Die Vertreter

der einheimischen Sprachgelehrsamkeit wollen ja grundsätz¬

lich nicht Tatsachen zusammenstellen, die man beobachtet

hat, sondern die man beobachten muß, um ,, richtig" zu schrei-

s*

(21)

36 H. Wehb, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache

ben. Selbst bei uns sind die Erkenntnisse der allgemeinen

Sprachwissenschaft an den üblichen Werken über „Sprach¬

richtigkeit" und „Sprachfehler" spurlos vorübergegangen.

Das Vorbild Frankreichs, des klassischen Landes der Sprach¬

normierung in Europa, mag die genannte Haltung im arabi¬

schen Orient noch bestärkt haben. Wie die Wörterbücher der

Akademien Frankreichs und Italiens nicht die vorgefundenen

Wörter, sondern eine befürwortete Auswahl bieten, so wäre

auch die Schaffung eines normierenden Wörterbuches fürs

Arabische, etwa durch die Kairiner Akademie in sich berech¬

tigt und vielleicht sehr fruchtbar. Es braucht nicht betont zu

werden, daß unsere Aufgabe eine ganz andere sein muß, daß

gerade die modernsten Neuerungen des Wortschatzes, die viel

zahlreicher eingebürgert sind, als die bisherigen Wörterbücher

erkennen lassen, als Zeugnisse einer freien Fortentwicklung

berücksichtigt werden müssen, auch wenn sie sich unarabisch

ausnehmen'). Das gilt auch für die Entlehnungen aus der

'ämmiya. Da nun einmal viele konkrete Dinge — z. B. Ge¬

brauchsgegenstände des alltäglichen Lebens, Termini der Hand¬

werkersprache, auch manche Pflanzen- und Tiernamen — sich

eindeutig und bequem nur durch das im Alltagsleben wirklich

gebrauchte Wort ausdrücken lassen, so sind vulgäre Worte in

großer Menge anzutreffen. Bemerkenswert ist z. B. die hohe

Anzahl von Vulgarismen in einem so repräsentativen Werk

wie dem ägyptischen Staatsalmanach (Taqwlm Misr), der

jährlich erscheint und einen Querschnitt durch das gesamte

öffentliche Leben Ägyptens bietet. Über den Kreis der Kon¬

kreta hinaus, die als Termini Eingang gefunden haben, sind

viele durchaus entbehrliche Vulgarismen zu fmden, je nach

Bildungsgrad und Geschmack des Autors. Die Grenzziehung

wird von Fall zu Fall erfolgen müssen. Die Heranziehung eines

1) Obgleich für unser Gefühl manche Bildungen mit Nisbeadjektiven, die außerordentlich häufig vorkommen, unschön sind, erweisen sie sich als sehr praktisch. Vgl. z. B. Äs>j ,, Ölgemälde", 'ja\>j J—Lr*

,, Sportberichterstatter", i^ljj (y-j ,, Studiengebühren", ^yJ«.! laJic ,, Druckfehler", ijy., oL^' ,, Tonwellen". Englische Komposita sind auf solche Weise leicht wiederzugeben.

(22)

H . WiHB, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache 37

Wörterbuchs der Volkssprache, wie es von Kurt Munzel für

das Ägyptisch-Arabische vorbereitet wird, ist für das volle

Verständnis der Tageszeitungen jedenfalls nicht immer ent¬

behrlich.

Das eigentliche Problem für den Lexikographen des mo¬

dernen Arabisch liegt anderswo. Es ergibt sich aus den oben

dargestellten eigentümlichen Verhältnissen. Da es geradezu

hohe klassische Bildung beweist, auf längst vergessene alte

Wörter zurückzugreifen, betreiben manche Autoren eine wahre

Jagd nach lexikalischen Raritäten. So ist es einerseits unmög¬

lich, den modernen Wortschatz nach rückwärts abzugrenzen,

d. h. festzulegen, was nicht mehr zum heutigen Sprachbestand

zu rechnen ist. Andererseits ist es oft nicht einfach, eine Grenze

zwischen modernen Ausdrücken zu ziehen, die eingebürgert

sind und solchen, die noch nicht oder überhaupt nicht einzu¬

beziehen sind, sondern als einmalige ad hoc geprägte Aus¬

drücke für ein praktisches Wörterbuch wertlos sind. Dahin ge¬

hören vor allem viele Spezialausdrücke technischer und wissen¬

schaftlicher Gebiete, deren nur ein kleiner Fachkreis bedarf.

Dagegen liegt für die in der Zeitungs- und Rundfunksprache

häufig behandelten Gebiete der Politik, der Kriegführung,

des Militärwesens') eine etwas festere Terminologie vor.

Die Syntax des Altarabischen ist im allgemeinen konstant

geblieben, wenn man davon absieht, daß gewisse Feinheiten

der alten Sprache nur noch von einem engeren Kreis von Auto¬

ren oder gar nicht mehr gepflegt werden. Dennoch gibt es auch

hier Erscheinungen, die teils als Merkmale einer inneren Ent¬

wicklung, teils als Spuren europäischen Einflusses gelten

müssen. Als Nachtrag zu den in MSGS XXXVII, Abt. II,

S. 12—20 gebotenen Bemerkungen folgen hier einige weitere

Beobachtungen, z. T. mehr stilistischer Natur. Da solche Er¬

scheinungen teilweise auf die weniger sorgfältige Prosa be-

1) Eine reichhaltige Sammlung militärischer Ausdrücke bietet das

1942 erschienene Vokabular von W. von Soden, Arabische wehrsprach-

liclie Ausdrücke. Die neue militärische Terminologie, besonders für die Dienstgrade hat E. Rossi in Oriente Moderno 1940, 348 ff. zusammen¬

gestellt.

(23)

38 H.Wbhb, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache

schränkt sind, mag mancher darin eine Bereicherung der ^fatä'

a/-'ämma-Literatur sehen. Ohne zu verkennen, daß ein Teil

davon bei den um ihrer Sprache willen geschätzten Autoren

nicht vorkommen dürfte, muß doch festgestellt werden, daß

sie nicht vereinzelt vorkommen und daher gebucht werden

müssen.

Eine auffällige Lockerung der Konstruktusverbindung

durch Einfügung von Attributen zum regierenden Nomen ist

in der Behördensprache zu beobachten. Der Titel des zweit¬

höchsten Offiziers der ägyptischen Luftwaffe ist seit 1939:

iJJ<»l-"Vl flca;l» (Oriente Moderno und Ahräm), |.i*a?l» (etwa

Generalkommandant) wird dabei wohl als ein Wort emp¬

funden. Der nächst niedere Dienstgrad ist jA»LVl x'l».

Der offizielle Titel eines hohen Kultusbeamten ist Jjl jJjw

i-._,JI (Taqwlm 168). Im ägyptischen Kultusministerium

lautet eine andere Dienstbezeichnung ähnlich IJII J,i jiz^A

»>»)Lll ij\jy (Hiläl 1938, 1037). Eine ägyptische Behörde

heißt ^^1^ ^jJi. „Vormundschaftsgericht der Provinz"

(Provinzial-Vorm.-Ger.) bzw. ÄläiUJll ^jJdt ,,Vorm.-Ger.

der Präfektur" Taqwlm 235. Ferner: oLi:-! iXf- „das

Appellationsgericht von Ägypten" (Taqwlm 226). Sogar dop¬

pelt im folgenden Beispiel: ijxJCVl liul. ^^-Lf ylk. üj ,,die

Feuerwehr des Kommunalrates von Alexandrien" Taqwlm366.

Eine den Regeln entsprechende Konstruktion mit Nachstel¬

lung des Attributs kann in solchen Fällen nicht in Frage kom¬

men, weil eng zusammengehörige ganz geläufige Verbindungen

mit terminologischem Wert vorliegen'). Wie diese gramma¬

tische Behandlung zeigt, scheint eine Verbindung wie

jlLll nach dem Grade der Zusammenghörigkeit einem wirk¬

lichen Kompositum des Englischen (fire-brigade) nahezustehen.

— Die bei Wkight II 90 und Rkckendorf, Ar. Synt. S. 136/37

erwähnten Beispiele bieten keine Parallele.

Die auch schon früher vorkommende Erscheinung, daß

2 Regentia eines Genitivs diesem voraufgehen (vgl. Brockkl-

1) Allerdings bliebe hier die gut arabische Umschreibung mit li, die

heute beliebt ist, wenn man umständliche Wortstellung vermeiden will

[MSOS 1. c. 19).

(24)

II. Wehr, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache 39

MANN, Grundriß II, 230f.) hat an Umfang bedeutend gewon¬

nen. Im Taqwlm Misr ist sie außerordentlich häufig belegbar,

z. B. ^ oii-Jlj 180, ;_,-itil ^j) 107,

<LcjS\ jjj 108, ^jJiJ\ oLjL^j^X. III. Sogar mit 3 regierenden

Nomina: ijUJI oL;>Jl .'^3, ^\^\ 107, lu*, ^\y^ ^\

<_;-LJ| 115. Auch bei Präpositionen: ;_^| ^jSi.) ^\a\ 72. Spitta

verzeichnet solche Fälle S. 261 fürs Vulgärarabische. Dennoch

dürfte auch das Vorbild der Wortstellung der europäischen

Sprachen dazu beigetragen haben, daß diese Stellung gegen¬

über dem umständlichen Typus l*"l-LJrj ij-jlall «öa -Lt!)l" heute

besonders weitgehend in der Behördensprache bevorzugt wird.

Zur Einleitung des indirekten Fragesatzes wird nicht nur

j\ und IjJ, sondern auch ^ gebraucht; Hai kal, Fl auqät

al-faräg 324, 3 v. u.: c-JJjl c^\S'^ U, l^-j 0» ^r*'*"

<^ jL\ „der Richter fragte sie nach ihrem Namen und Alter, und

ob sie das Verbrechen begangen habe" (weitere Belege sind

mir allerdings nicht bekannt). So werden alle drei für ,,wenn"

zur Verfügung stehenden Wörter zur Wiedergabe von if bzw.

si angewendet, und |j| werden auch von Ahmed al-'Awä-

miri in Mag. 1 160—162 getadelt. Tähä Husain verwendet

statt dieses Gebrauches wohl durchweg ^ für ,,ob" (vgl.

Kor. 21, III: jXl tSjjl ob) oder direkten Fragesatz mit

J* oder J.

Oft verwendet man heute J statt Jl, zweifellos unter Ein¬

wirkung der Volkssprache, der die Präpos. Jl ja fremd ist und

in der J die Richtung angibt. Sehr häufig in der Zeitungs¬

sprache, aber auch in der Literatur. ^ ,,die Rückkehr

nach Ägypten" Haikai 1. c. 346, 5. ^-iOI ,,eine Neigung zur

Veränderung" eb. 109, 5 v. u. Oft ^b-l und mit J (al-

Haddäd, Imra'atunäZ, Taimür I ^, Sarkis 1579, 2. Ahräm oft).

Vulgär ist auch die in die Schriftsprache eingedrungene

Eigenheit, daß Nisbe-Adjektive nicht die Femininendung

annehmen (Spitta § 125 f.). Z. B. im Taqwlm Jlü i-JU

„eine transportierbare Pumpe" 367, J^_j»\ „amerik.

Leitern" 368, ^yL,* Ja. ,, Sommeranzüge" 397, Jl> oljL- ,, zivile

Kraftwagen" (äg. Führerschein), *f\ ,, Rundfunkappa¬

rat" Muqt. 1935, 333, ^'L^l ijlll „die elektrische Materie"

(25)

40 H. Wbhb, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftspraclie

(Muhtärät al-Muqt. II, in einem Aufsatz des Hrsg. Sarrüf

selbst). Vgl. außer Spitta auch Feghali, Syntaxe arabe du

Liban, 139 und Fleischer, Kleinere Schriften II 13.

Merkmal einer inneren Entwicklung sind die Präpositionen,

die wie im Altarabischen in der Gegenwart besonders zahlreich

durch Verwendung von Nomina im Akkusativ entstehen. Den

MSOSl. c. 17 genannten Fällen sind noch hinzuzufügen: 'j._J

,,in Verbindung mit" z. B. Taqw. 120, ^ ,, jenseits, über —

hinweg" Haikai, Auqät 379, Bercher, Raihäni, Faisal 6, 16,

Tcujw. 64, 'ji^ ,,nach — hin, in Richtung auf" Taqw. 65,

Bercher, ,, infolge von, auf — hin" (Ahräm 7. 3.34—3. 2.)

J> „bei" (Ahräm 31. 1. 39—13. 2.), Jill „am untern Teil

von". JL» „gebunden an, unter" scheint nur in Verbindungen

wie den folgenden vorzukommen: .ijJl jl» , jj^JIoJ üLll ,,die

Sache unterliegt der Nachprüfung, der Erforschung" o. ä.,

so auch zitiert bei 'Abd al-Qädir al Magribl, Mag. 1, 341.

Vgl. Taqw. 58. 59: oliXL.*^! ju». jj->JI ü <iUj ji» „denn dies

ist Gegenstand des Studiums" (Filastin). „unter" z. B.

Ar,U-. j»j „unter seiner Herrschaft" Muqt. 1935, 36, ,,in Ab¬

hängigkeit von, gebunden an" Haikai, Auqät bO, T. Husain-

T. Hakim, Qasr 120 und Bercher. Gabrän, 'Awäsif A 3 v. u.

schreibt: 'Jj „gegen meinen Willen", JU ,, gleich bei,

gerade bei" (temp.) Haikai, Auqät 338, Taimür, Atläl 138, 13.

Die in den europäischen Sprachen stark ausgeglichenen An¬

fangs- und Schlußformeln des Briefstils hat das Arabische z. T.

übernommen. Viele arabische Briefe beginnen nicht mit den

sonst am Anfang üblichen Begrüßungs- und Segensformeln,

sondern mit der direkten Anrede des Adressaten. Vgl. z. B.

Taimür 1 151: L „meine Liebe!" L ,,meine Teure!"

Eine eigenartige syntaktische Besonderheit ergibt sich, wenn

der Name des Angeredeten hinzutritt. Die europäische An¬

redeformel wird dann unter Weglassung von l der Wortfolge

nach getreu wiedergegeben. liirU ,, meine liebe Aischa!"

Haikai, Auqät 345, li--* jj,^^ eb. 350')!a^lx* Taimür

1) Hier sei auch der Schluß dieses Briefes mitgeteilt, der an Über- setzer'treue nichts zu wünschen übrigläßt: elo«! ^_,lJ| liilrf jUül jy (.>(- Üi ^Jl.

(26)

H.Wbhr, Entwicklungu. tradition. Pflege d.arab. Schriftsprache 41

I 171; in einem Brief König Faisals (bei Raihäni, Faisal b.

S. 8): 1^1 Ebenso in mir vorliegenden Privatbriefen.

Da nach elementarer Regel der attributive Charakter des

Adjektivs nicht wiedergegeben ist, so scheint der Eigenname

als Apposition empfunden zu werden. Das frz. ma chire A.

oder das engl, my dear A. ist also nicht wörtlich übersetzt,

sondern — weniger als das — die Wortfolge ist schematisch

wiedergegeben. Daß Derartiges zur Norm werden konnte,

zeigt mit aller Deutlichkeit die Stärke des europäischen Ein¬

flusses.

Das Adverb in unserem Sinn ist eine dem Arabischen

fremde grammatische Kategorie {?arf ist nur teilweise etwas

Entsprechendes). Die wenigen Ansätze des Altarabischen zu

adverhaler Verwendung des Akkusativs von Adjektiven lassen

sich als Kürzung des Typus Uxi erkennen. In

unseren Sprachen ist das Adverb dagegen ein unendlich oft

angewandtes Stilmittel, die Aussage des Verbs zu bekräftigen,

zu modifizieren oder näher zu charakterisieren. Abgesehen von

einer starken Erweiterung der akkusativischen Adverbialbil¬

dung (vgl. MSOS 1. c. S. 16) versucht man dies arabisch durch

bi mit abstraktem Nomen nachzuahmen. Besonders häufig ist

dieser Typus bei Taimür: oilnl. ^ro»! „sie entfernte ihn sanft"

145, Je^ ,,sie stand schnell auf" 146, ^jSc: ,,sie spricht

zornig" 147, jJui ,,sie lächelt kokett" 147, 1^1

,,sie sieht sie entsetzt an" 157, Ui. cX-*l „sie ergriff heftig seine Hand" 162, .Ij*:-!. tiU^" .^J». ,,sie begann spöttisch zu lächeln" 154, iAi, J^ .iJl5',,sie weinte heftig" 195, usw.

Schließlich sei noch auf eine nicht syntaktische Besonder¬

heit hingewiesen, die dem heutigen Stil, besonders der Zei¬

tungen, oft europäischen Anstrich gibt. Die Vorliebe unserer

Sprachen für abstrakte Nomina hat das Arabische zu einer

weitgehenden Verwendung der masädir gezwungen. Da wir

zu diesen gern Plurale bilden, hat die schon früher vorkom¬

mende Pluralbildung des masdar auf -ät eine starke Erweite¬

rung erfahren. Solche europäisch gedachten Plurale vom no¬

men actionis sind in den Zeitungen ungemein verbreitet. Aus

der großen Fülle nur folgende Beispiele: oLbi-l ,, Schluß-

(27)

42 H. Wehb, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache

folgerungen", „Nachforschungen", <^j^ oijl-u^l ,, krie¬

gerische Vorbereitungen", oljUil „Siege", oloir „Bindungen", obUyl „Anweisungen, Ratschläge", olj^" ,, Vorstellungen", o\S\jUi.\ „Abonnements", .jiU«; „Analysen" u. v. a. Bei Taimür

besonders beliebt oLS^ und ol*Lil als Nachbildungen von

franz. rires und sourires, z. B. 1 118. Gabrän, 'Awäsif 38, 7:

olov'" „Seufzer". — Die Vorliebe unserer Sprachen für Ab¬

strakta im nahezu konkreten Sinn wirkt sich auch aufs Ara¬

bische aus: öljU.Vl ^ ,,da8 Einsammeln der Mieten (= der

Mietsgelder, durch den Hauswirt)" Taimür 137, otWl ,, Bei¬

hilfen, finanzielle Beiträge" eb. 120, „Einkünfte"

{Ahräm u. Tagwim).

Manche andere stilistische oder syntaktische Eigentümlich¬

keit, der man hier und da begegnet, könnte noch angeführt

werden, so z. B. die übliche Bevorzugung nominaler Ausdrücke

«tatt verbaler und im Zusammenhang damit die Anhäufung

von Tlftwdar-Abstrakten, die selbst ins Deutsche übersetzt

kurios wirken, z. B. iJujL.\ j>u» ^ »»die

Öffentlichkeit war besorgt über die Möglichkeit des Verbotes

des Erscheinens der Zeitung" {Ahräm). Aber solche Genitiv¬

ketten kennt auch die alle Sprache (vgl. Reckendorf, Ar.

Synt. 137). Auch der Ersatz des Passivs durch den 5. Stamm,

wie er z. B. im Taqwlm häufig belegt werden kann — offenbar

unter der Einwirkung der Umgangssprache — ist nicht auf die

Gegenwart beschränkt. Manches andere ist eben doch nicht

eigentlich für die Gesamtheit des praktischen Schrifttums und

der weniger sorgfältigen Autoren so charakteristisch, daß man

es als modernes Arabisch bezeichnen könnte, sondern erweist

sich als einmalige Entgleisung. Und an solchen Fällen fehlt es

nicht. Im allgemeinen sind neue Erscheinungen auf rein syn¬

taktischem Gebiet in größerem Umfang auch nicht zu erwarten.

Ähnliches gilt auch für alle sonstigen Verstöße gegen die

Elementargrammatik. Es ist erstaunlich, wie konservativ der

grammatische Bau aufs Ganze gesehen die Jahrhunderte über¬

standen hat und wie wirksam gerade hier die traditionelle Be-

-wertung der alten Muster sich erwiesen hat, vor allem, wenn

man bedenkt, daß das Arabische nie ausschließlich Gelehrten-

(28)

H. Wkhb, Entwicklung u. tradition. Pflege d. arab. Schriftsprache 43

spräche gewesen ist, sondern ganz allgemein als Schriftsprache

gehandhabt wurde. Nie konnten sich auf die Dauer vulgäre

Abweichungen von der Norm aufrechterhalten, wie sie viele

mittelarabische Autoren aufweisen. Bei geringerer Ehrfurcht

vor den alten Mustern hätten solche leicht selbst zur Norm

werden können, wie sich überall im sprachlichen Leben auch

künstliche Hochsprachen in grammatischer Hinsicht zu wan¬

deln pflegen. Wenn heute z. B. Gabrän Cj.] als Akkusativ

zu iSt/il gebraucht {'Awäsif 31, 3), was man sonst nur in

äußerst nachlässigen privaten Schriftstücken liest — merk¬

würdigerweise ist auch in Elias' Wörterbuch afalu durchweg

triptotisch I — so kann das nie zur Norm werden wie etwa ge¬

wisse phraseologisch-stilistische Erscheinungen, und zwar des¬

halb, weil die letzteren weniger leicht greifbar sind und nicht

ohne weiteres unter Hinweis auf eine bekannte Regel gerügt

werden können.

Wir dürfen also zusammenfassend sagen, daß die formalen,

in Regeln faßbaren Elemente der heutigen Sprache keine

wesentlichen Abweichungen aufweisen, es sei denn, daß viele

syntaktische Erscheinungen in Vergessenheit geraten sind

und syntaktische Neuerungen in beschränktem Umfang auf¬

treten. Dagegen weisen Phraseologie und Stilistik, die sich ja

überall weit stärker der Kontrolle entziehen, zahllose, dem

Geist der 'arabiya völlig zuwiderlaufende Modernismen euro¬

päischer Herkunft auf, die zum großen Teil schon nicht mehr

als solche erkannt werden und selbst den besten Stilisten un¬

bewußt unterlaufen. Der Wortschatz endlich unterliegt zwar

sehr stark der Kontrolle und unarabische Bildungen sind sehr

leicht greifbar, aber hier spielt neben der unbewußten Nach¬

bildung das praktische Bedürfnis, neue Dinge auszudrücken,

eine so entscheidende Rolle, daß es nicht zu verwundern ist,

wenn sich ohne den Konsens der Philologen manches heraus¬

gebildet hat, bei dessen Entstehen die Forderungen der Not¬

wendigkeit oft wesentlicher waren als sprachästhetische und

philologische Erwägungen.

Wenn nun also Morphologie und Syntax während einer so

langen Geschichte sich nicht wesentlich verändert haben und

(29)

44 H. Wbhb, Entwicklung u. tradition. Pflege d.arab. Sciiriftspraciie

wenn es manchen heute gelingt, eine der 'arabiya nahekom¬

mende Sprache zu schreiben, so darf uns das nicht darüber

hinwegtäuschen, daß die Sprache der überwiegenden Menge

des heutigen Schrifttums dem Geiste der 'arabiya sehr fern

steht. Auch die bestgehütete Sprache führt nicht jenes ab¬

strakte Dasein, wie es eine schulmeisterliche Auffassung vor¬

aussetzt, sondern ist ein Produkt des sie gebrauchenden Men¬

schen, das seinen Veränderungen mit unterliegt. Nur eine

wirklichkeitsfremde Betrachtungsweise kann in der heutigen

arabischen Schriftsprache eine mit Fehlern durchsetzte 'ara-

blya sehen. Mit gleich viel oder mit gleich wenig Recht wie

man dem klassischen Latein das Neulatein gegenüberstellt

(das ja auch keine Veränderungen in Lautbild und Grammatik

erfahren hat), könnte man dem klassischen Arabisch die heu¬

tige Schriftsprache als Neuarabisch gegenüberstellen, wenn

diese Bezeichnung nicht schon für die modernen Dialekte in

Anspruch genommen wäre'). Es würde sich empfehlen, mit

Leckrf*) vom neuklassischen Arabisch {Varabe neo-classique)

zu reden, um nicht die Fiktion der Unveränderlichkeit des

Arabischen zu pflegen.

Die Möglichkeiten der arabischen Sprachkritiker und

Sprachreiniger für die Zukunft wurden schon angedeutet: In

Formenbildung und Syntax wird man weiterhin mit Erfolg

die Geltung der alten Muster wahren und fördern können.

Wie die grammatischen Abweichungen mittelalterlicher Auto¬

ren von der Norm ihre Geltung in keiner Weise erschüttern

konnten, so mögen vielleicht auch moderne Besonderheiten

auf syntaktischem Gebiet, wie sie oben aus der Behörden-

1) Die übliche Bezeichnung der arabischen Dialekte als Neuarabisch

ist zwar prägnant, kann aber leicht dem Außenstehenden ein falsches

Bild vermitteln. Denn einmal bilden ja die Dialekte nicht die Fort¬

setzung zu der als Altarabisch bezeichneten klassischen Hochsprache,

wie diese Bezeichnung es vorauszusetzen scheint. Andrerseits gibt es

Dialekte neben der Hochsprache doch nicht etwa erst in neuerer Zeit,

wenn uns auch die mittelalterlichen Formen des Vulgärarabischen wenig bekannt sind.

2) Litterature Dialectale et Renaissance Arabe Moderne (Bulletin d'ßl.

Or. de l'Inst. Franfais de Damas, II, S. 8).

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