Zu Genesis XLL Von Eduard Mahler.
Es ist eine längst anerkannte Tatsache, daß im biblischen Schrift¬
tum neben anderen altorientalischen, hauptsächlich babylonischen- assyrischen Elementen vielfach auch Berührungspunkte mit ägyptischen
Kulturelementen zu treffen sind. In meinem zu Basel bei dem
dort im Jahre 1904 getagten zweiten internal, religions-bistor. 5
Kongresse gehaltenen Vortrage: , Kalenderdaten in religions-histo¬
rischer Bedeutung" habe ich nachgewiesen , daß den biblischen
Festen in ganz un verhüllter Weise ein Charakter innewohnt, der
auf Ägypten hinweist (siehe auch meinen Artikel ,The ^odes
Ha'abib' in PSBA. Nov. 1905). Gegenwärtig ist es mir um einige lo
biblische Personennamen zu tun, zu deren Identifizierung ich mit
einigen Worten beitragen möchte.
I. Vor allem ist es der dem Joseph vom Pharao verliehene
Name nlSD nrcS (Gen. XLI, 45), dem wir unsere Aufmerksamkeit
zuwenden wollen. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß dieser 15
Name ein echt ägyptischer sei, und tatsächlich wurde auch seit
dem Aufblühen der ägyptologischen Wissenschaft mehrfach versucht,
die ägyptische Bedeutung dieses Namens zu ergründen. Aber alle
bisherigen Versuche, unter denen namentlich jener Steindorff's
(Zeitschr. f ägypt. Spr. XXVII, 41 und XXX, 50), wonach nJ^B nSBJt so
= D{d)-pi-nt{r)-{l(!o)f-cnh, d. i. ,es spricht der Gott, und er lebt",
den meisten Anklang verdient, sind wohl vom ägyptologischen
Standpunkte aus höchst beachtenswert, können aber nicht als ganz
vorwurfsfrei hingenommen werden, da sie der in der Gen. Cap. XLl
entworfenen Erzählung nicht gut angepaßt werden können. Die 25
Bibel erzählt uns da vom Traume Pharao's, seiner Deutung durch
Joseph und der dadurch dem Joseph zuteil gewordenen Rang¬
erhöhung (so Gen. XLI, 1—44), und mit dieser im Zusammenhange
erhielt Joseph den Namen n:yD n:BS, denn schon im folgenden
Verse (Gen. XLI, 45) lesen wir: n:yB n3Bl£ qOTi DiB ns-iB «"ip""!. so
Es muß also dieser Name mit der hier entworfenen Erzählung —
gleichviel ob diese als Dichtung oder als ein Stück Geschichte hin¬
gestellt wird — in innigem Zusammenhange stehen, d. h. es muß
626 Mahler, Zu Genesis XLI.
der Name, den Pharao dem Joseph gab, ein solcher sein, der mit
dem Kern der Erzählung — d. i. der Traumdeutung Joseph's und
dem von ihm erteilten Rate betreff der Pürsorge in den sieben
Jahren des Überflusses — in kausalem Verhältnisse steht, denn jene
5 Deutung und der von Joseph erteilte Ratschlag, wodurch dem Übel
einer Hungersnot abzuhelfen sei, waren es, die auf Pharao so mächtig
wirkten; nur diesen zufolge erhielt Joseph seine Rangserhöhung
und seinen neuen Namen. In der Gleichung jedoch n:yc nJDlt =
D{(t)-pi-nt(r)-{loi)f-cnh = ,es spricht der Gott, und er lebt« ist
10 ein solcher kausaler Zusammenhang vergeblich zu suchen. Da ist
die von den Bibelkommentatoren gegebene Deutung eine viel ent¬
sprechendere. So übersetzt z. B. der Targum-Onkelos die
betreffende Bibelstelle also: "pbj pTODWi N-aJ ciOv mus nsiD N-ipi
n-'b d. i. Pharao nannte den Namen Joseph's .Mann, dem die Ge¬
is heimnisse offenbar sind«." ünd hierauf stützend gibt Raschi zu
nrronrElt den Kommentar: ni3iESn tbiew .Erklärer des Verborgenen«.
Vgl. auch Josephus Ant. II, 6, i : «at TtQOGrjyÖQCvasv avrov ipo^ofi- q}ävr]xov, aniSwv ävTOV ngbg xo naqdöo^ov Tf;? Gvviatmg. Orjiialvei
yag rb ovofia KQvnräv evQev^v und Chronieon Paschale f. 76:
20 ii>o^i&oiiipavj(&rj cb aneKaXv<pd'ri ^ekXov. Und dennoch vermag ich
nicht für diese Deutungen einzutreten, weil icb es einfach für ganz
unlogiscb halten muß, daß der ägyptische Pharao seinem höchsten
Würdenträger — und zu solchem ward Joseph erboben — einen
andern' als ägyptischen Namen gegeben habe, nryo nJES muß also
2S ein mit hebräischen Buchstaben wiedergegebener ägyptischer
Name sein, d. h. ns^D nSDi: ist die hebräische Transkription
der den betreffenden Namen ausgedrückten Hieroglyphengmppe.
Ist dies aber der Pall , dann kann es nicht schwer sein , aus der
hebräischen Transkription die ursprüngliche Hieroglyphengruppe
30 herzustellen. Tun wir dies, so werden wir sehen, daß es gar nicht
schwer ist, für die hebräische Buchstabengruppe eine solche ägyptische Hieroglyphengruppe zu setzen, die nicht allein den Anforderungen
der Ägyptologie sondern auch jenen der biblischen Darstellung voll¬
kommen entspricht.
35 Vor allem ist Bit nichts anderes als ^ll^, d. i. aber eine defektive
Schreibung für oder ^"^o = dfi = .Speise«, .Nah¬
rung«, auch .Vorrat« (siehe Erman, .Defect. Schreibungen« in
Zeitschr. f. ägypt. Spr. XXIX, 3 5). Wir finden diese defektive Schreibung
(d. i. ^( für ^^"^ = dfi) gar häufig, so z. B. in der von
40 Erman (Zeitschr. f. ägypt. Spr. 127 ff.) behandelten ,Naukratisstele«.
Hier lesen wir im Abschnitte 0 (p. 128): 11^==^ «>-=-^|;^'^ .er
macht gesund den, der seine Speise hat"; im Abschnitte G (pag. 130):
vvww
•^^^]^'^^=^ „sie ist es, die seine Nahrung gibt"; da-
7egen im Abschnitte E (p. 129): ^Z.'^.^Wh^ZL
„die Wüsten bringen ihm ihre Speise'. Gleiches finden wir in dem
Namen des Oberpropheten Hcp-dfil (Erman, Zehn Verträge aus d.
Mittl. Eeich; Zeitschr. f. ägypt. Spr. 1882, 159 ff). Im 1. Vertrage &
ist dieser Name so geschrieben: ^ ^-^"^^^ ~ Hcp-dfÜ d.i.
„der Nil, meine Nahrung' oder auch: „der Nil, mein Ernährer';
im 2., 3., 5., 7., 8. und 10. Vertrage lautet er so: ^ , , ^l^, während
er im 4. Vertrage durch die Hieroglyphengruppe und
im 6. und 9. Vertrage durch | ^ ^ ^ITll'^^ genannt ist. lo
„3" ist die hebräische Wiedergabe für das den Genitiv oder
Dativ charakterisierende awwv, während n das ägyptische ^=5s=f = ti
d. i. „Land' wiedergibt.
^wvwv
nSBS ist also in ägypt. Hieroglyphen umgesetzt: • oder
auch o www 5^5i=f = dfi-n-U d. i. „Nahrung dem Lande'. !.'•>
Berücksichtigen wir aber noch, daß z. B. chs nicht nur
„kämpfen", sondern auch „Kämpfer" heißt, ^ nicht nur „schreiben", sondem aueh „der Schreiber" ist, ^ sms nicht nur „bedienen", sondern auch „Dienst" und auch „Diener' also denjenigen bezeichnet,
der den Dienst leistet, daß ferner aib = rein und ^'^^
= Priester, also der ist, der die Reinigung vornimmt usw., so ist
wohl leicht einzusehen, daß ^^^^ = ^^"^^ dfi nicht nur „Nah¬
rung" sondern wohl auch „Ernährer" bedeutet. Es ist also : n3DS =
/Swww5^s=f _ M.fi-ti = „Ernährer des Landes",
ein Name, der mit der in Genesis XLI entworfenen Erzählung in 25
vollkommener Übereinstimmung ist und dies um so mehr als Joseph
auch im hebräischen Bibeltexte diesen Namen führt (siehe Genesis
XLII, 6): y-isn Qy bab T^amKii Nin yisn by ii-'biun Nin iqoi-'-
d. i. „Joseph war der Hen-scher über das Land, er war der Er¬
nährer allem Volke des Landes". 30
628 Mahler, Zu Genesis XLI.
Was den 2. Teil des Namens d. i. nryc betrifft, so sind hierfiir
zweierlei Deutungen möglich : 1) ist D = = pi, also der be-
r\ wWAf
stimmte Artikel, während n"' der Gruppe ^ = cnh d. i. „Leben", -<a r\ www
„lebendig", „Lebende" entspricht, also n:SD = j q ~ pi-cnh
5 d. i. „der Lebende"; 2) ist c = „ oder auch ^ d. i. „der
J-] Q VWWV
Spender" und somit n:5s = ■¥■ „der Lebensspender".
* " 1 ©
'=L_-n O.Ä"""^ D Q www
Es ist daher: n'.yzi nrsis = ,71 K\ oVSr . "IT ^ =
^~-V-£©s-o ici ^T^a nl ©
dfi-n-U, pdl-cnh = „Ernährer des Landes, Lebensspendev".
AUerdings könnte man die Frage aufwerfen, ob und wo denn
10 in ägypt. Texten ein analoger Name vorkäme, der die hier vorge¬
schlagene Interpretation zu rechtfertigen oder zu bekräftigen ver¬
möge? Doch glaube ich, daß diese Frage, so verlockend sie auch
sein mag, ganz unbegründet ist; denn wenn auch heute noch kein
analoger Name in der Literatur der Ägypter nachweisbar ist, wer
15 wollte die Bürgschaft dafür übernehmen, daß der Spaten der
Archaeologen nicht schon morgen mehrere Denkmäler ans Tages¬
licht gefördert haben wird, auf denen analoge Namen zu lesen sein
werden?! So bald die hier vorgeschlagene Deutung den Gesetzen
nnd Regeln der Ägyptologie entspricht, muß sie als akzeptabel er-
20 scheinen, und dies um so mehr, als keine der von ägyptologischer
Seite bisher vorgeschlagenen Identifikationen und Deutungen dem
Bibelworte so sehr entsprechen, als gerade die hier vorgeschlagene.
Übrigens sind Namen mit 7^ gar nicht selten; vgl. oben Hcp-dfi-t.
Siehe auch Hieronymus Quaest. in Genesim: „Licet hebraice
23 hoc nomen „absconditorum repertorem" sonet, tamen quia ab
Aegyptis ponitur, ipsius linguae debet habere rationem. Inter¬
pretatur ergo sermone aegyptio „Salvator mundi"". Salvator
^
darum ist auch die Auffassung der Vulgata jener der LXX hier
30 vorzuziehen. Die Vulgata übersetzt (Gen. XLI, 44—45): 44. Dixit
quoque rex ad Joseph: Ego sum Pharao: absque tuo imperio non
movebit quisquam manum aut pedem in omni terra Aegypti.
45. Vertitque nomen ejus, et vocavit eum lingua Aegyptiaca,
Salvatorem mundi.
35 II. In Genesis XLI, 50—52 erzählt uns die Bibel, daß dem
Joseph von seiner Prau 'Osnat, einer Tochter des Puti-Pera', Priesters
zu 'On, zwei Söhne geboren wurden : rrijrr und QilEt*. Die Bibel
gibt für beide Namen die etymologische Bedeutung. Ist es aber
mundi und ^Zl ° Vjt = sind wohl homonome Begriffe, und
wirklich denkbar, daß ein Mann, der ganz und gar mit seiner Ver¬
gangenheit gebrochen, seinen Namen ägyptisiert und schon vermöge
seiner hohen Staatswürde, die er bekleidet, sich als Vollägypter
fühlt, auch eine Ägypterin und noch dazu die Tochter des Ober¬
priesters zu On (= Heliopolis) zur Gattin wählt, den ihm von dieser 5
Frau gebornen Kindern andere als ägyptische Namen gegeben
habe? rua:'« und nincN sind gewiß gute ägyptische Namen!
Welche? Schon zur Zeit des Mittl. Reiches, also lange vor den
h>^Hiiilti^^ Q
Tacren Joseph's war der Name [ ^itVlf = "Imn-sS ,Sohn des
° I wvwv J2T
Amon' gar nicht selten. In Zeitschr. f. ägypt. Spr. XXVIII, 92 lo
rinden wir einen hohen militärischen Würdenträger dieses Namens:
^ ^ ^ (; ebendort p. 93 wird ein Würdenträger dieses
<:— wvwv Vj 1 www
Namens genannt, der den Titel ^^Cj^i „Großer der Gefolgs¬
leute" führte. Und so nannte auch Joseph seinen ältern Sohn:
r ^immu^
rräzrs d. i. 1, 'Imn-s3. Daß er dieseu Namen wählte, der i6
1VWWV —
an den Nationalgott der Ägypter erinnert, war nur ein Akt der
Klugheit, denn damit zeigte er den Ägyptern, daß er, wenn auch
fremder Abstammung, mit den Fremden, die damals unter dem
Namen der Hak-Sasu = Hyksos Ägypten und namentlich das Nil¬
delta überfluteten, nichts geraein habe, sondern voll und ganz Ägypter 20
sei. Er, der einen echt ägyptischen Namen führte und eine Tochter
des Hohepriesters zu On zur Gattin hatte, nannte seinen erstge¬
bornen Sohn nm:?: = {'A^A^\A —'"^^ = 'Imn-s3 „Sohn des Amon".
r^fMiuiiu, r.
Daß in nu:« statt [ = 'Iran nur '—' = ran steht, das ( im
VW\AA/ WNAAft/
Anlaut also fehlt, ist gewiß nicht auffallend; gar oft finden wir 25
solche defektive Schreibungen ; z. B. für ( , für (
und andere mehr.
Aber auch eres», der Name des zweiten Sohnes, ist echt
ägyptisch; er heißt J^^^^(^^= Nfr-m-bn „der Schöne
ist da!" Bezüglich des hebr. N für ägypt. ^'^^^ = hebr. : siehe so
hebr. rrcN für ägypt. Ns-nt in Steindorft's Art., Zeitschr. f. ägypt.
Spr. 1889, 41.
630
Zu H. Duensing, Christlich-palästinisch-aramäische
Texte und Fragmente.
Von Agnes Smith Lewis.
Ich habe die Rezension des Herrn Professors Dr. Schultheß
von dem Buche des Herrn Dr. Hugo Duensing im ersten Hefte des
laufenden Jahrgangs dieser Zeitschrift mit sehr großem Interesse
gelesen, weil sie in drei Punkten mit meiner eignen Arbeit nahe
6 verwandt ist.
I. Erstens brauche ich kaum zu erwähnen, daß ich in der letzten
Schrifttafel in Dr. Duensing's Buche eine genaue Abbildung meines
kleinen Lektionars erkenne, imd freue mich sehr darüber, daß er
den Text von sieben unter den zwölf bis jetzt fehlenden Blättern
10 herausgegeben hat. Glücklicherweise ist das Buch kein Palimpsest.
Ich besitze aber noch fünf Blättchen, von denen zwei dem Hefte
angehören, eins dem Anfange des Heftes und eins den
Schluß der Handschrift bildet. Das fünfte ist fol. 80, das auf mir
unbegreifliche Weise früher in die Hände des Herrn Dr. Schultheß
15 gekommen ist, und welches er in ZDMG. 56, p. 257 schon heraus¬
gegeben hat. Die 11 Blättchen ordnen sich also folgendermaßen:
foil. 229—231 gehören mir,
foil. 232—238 sind von Dr. Duensing herausgegeben,
fol. 239 gehört mir;
20 foil. 229—231 enthalten die Texte Jesaia XXV, 3—12 und
Joel II, 28—31»,
foil. 232—238 Joel II, 31»'— III, 8, Acta II, 1—21, Römer¬
brief XIII, 7 — 14 und Epheserbrief IV, 25 — 31, und
fol. 239 Epheserbrief IV, 32— V, 2.
25 Mit Herrn Dr. Duensing's und seines Verlegers gütiger Einwilligung beabsichtige ich den Text aller 12 Blätter in einer kleinen Beilage zu den Studia Sinaitica VI herauszugeben.
II. Dr. Duensing hat (S. 14, 15) die untrre Schrift von zwei
Blättern eines Palimpsests drucken lassen, wozu er bemerkt: „Mit
30 diesen Fragmenten gehören die von Schultheß ZDMG. 56, 257 f.
veröffentlichten Stücke (No. VI) zusammen". Ich besitze aber eine