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Näsif aljazigi.
Von A. von Kremer.
Am 8. Februar d. J. ward endlich der alte Scheich Näsif
aljazigi zu den Vätern versammelt; ich sage endlich: denn der
Tod war ftir den Armen eine Erlösung. Er war seit März 1869
anf der linken Seite vollständig gelähmt und lebte nur noch mit
der andern Hälfte.
Näsif war ein Sohn des Gebirges, wo er in dem von Beirut
zwei Stunden entfernten Dorfe Kafr^imä i^-*^ im Jahre 1800
das Licht der Welt erblickte. Dieser Herkunft blieb er auch sein
ganzes Leben lang treu in Erscheinung, Sprache und Lebensart.
Wer "ihn zum ersten Mal sah, konnte in dem rauhen, etwas schwer¬
fälligen Manne, in der einfachen, gewöhnlich sogar vernachlässigten
Landestracht, um so weniger den vollendeten Verskünstler, den
grossen Sprachkenner vermuthen, da er seine Muttersprache ohne
alle affectirte Eleganz zu sprechen pflegte.
Seine literarischen Leistungen gehören zu dem Besten, was in
dieser Richtung von neuarabischen Literaten geleistet worden ist.
Seine Makamen , eine Nachahmung jener des Hariri , nehmen den
ersten Platz ein. Allerdings zeigt sich auch hierin, wie verfehlt
die Wege sind, auf weicbe die arabische Poesie geratben ist: alles
beruht auf eitlem Prunk mit seltenen und oft unverständlichen
Wörtern, Wortspielen, die sich auf längst vergessene Ereignisse des
arabischen Alterthumes bezieben, und unnacbahmbaren Verskünste¬
leien. Dieser schwierigen Aufgabe hat er sich mit grossem Ge¬
schick entledigt und zugleich, nach echtarabischer Gelehrtenart, sei¬
nem Buche, von dessen Unverständlicbkeit er selbst überzeugt war,
einen reichhaltigen Commentar beigefügt, der eine wahre Fundgrube
philologischen Wissens ist.
Ein grosses Verdienst erwarb sich Näsif durch seine kleinen
grammatikalischen und syntaktischen Schriften um die Heranbildung
seiner Landsleute. Vor 20 Jahren war es eine noch sehr seltene
Erscheinung, wenn ein eingeborner Cbrist seine Muttersprache
fehlerfrei sprach und schrieb. Es befasste sich seitdem eine Anzahl
gebildeter Männer damit, durch einen mehr wissenschaftlichen
Sprachnnterricht die Eingebornen allmälig zum Bewusstsein des
von Kremer, Ndsif aljazigi. 245
Werthes und der Bildungsfähigkeit ihrer Sprache zu bringen. Unter
denjenigen, die in dieser Richtung thätig waren, verdient Näsif an
erster Stelle genannt zu werden. Allerdings that er in dieser Rich¬
tung des Guten etwas zu viel, indem er den rein sprachlichen
Studien, gegenüber den realistischen, eine allzu grosse Bedeutung
beilegte ; für den Neuaraber sind aber gerade diese letzteren vor
allem erforderlicb, um ihn aus dem Circulus vitiosus der altara¬
bischen Scheinbildung in die Hallen moderner europäischer Gesittung einzuführen.
Grosser Dichter, wie ihn alle hiesigen Zeitungen nennen, war
er nach europäischen Kunstbegriffen nicht Trotzdem lässt sich
vieles aus seinen Gedichten anführen, das fein gedacht und mit
Anmuth zum Ausdruck gebracht ist.
So führt die unter dem Titel „die Gärten" (o'-^') hier er¬
scheinende Revue eine Anzahl Versproben aus seinen Gedichten an,
wovon ich einiges auswähle. Vorerst zwei Bruchstücke aus den
„Blumengedichten" (^^Qj^yO- I.
Seht hier die Blumenbraut vom Thau mit Perlen reich bedeckt,
Sie lächelt und sie ruft: o Mabad! sei nun auferweckt!i)
Und als der Schleier sank, der ihr Antlitz bisher umfangen.
Da färbte gleich die Scham ihr rosenroth die Wangen.
Und nun thut auch das Veilchen seine dunklen Wimpern auf;
Ihm winkt die Nachtigall und lässt nun ihrem Sange Lauf.
Die Turteltaube auch mit ihrem Halsband paradiert.
Sobald sie sah, dass sich der Wiedhopf mit der Krone ziert.
Das Königthum der Rose ward den Blumen allen klar:
Und desshalb bringen eilends sie die Huldigung ihr dar.
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1) Mabad, ein berühmter Säuger. Vgl. Kitäb Bl'ajäni I. p. 19. VIII, 134 der Ausgabe von Kairo.
246 von Kremer, Ndsif aljazigi.
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n.
Der Ost weht Grüsse üher Berg und Thal,
Den Gruss erwiedert süss die Nachtigall;
Die Blumen neigen freundlich sich von fern,
Sie sprächen, wenn sie Worte fänden, gern.
Oh seht den See, der in der Sonne strahlt,
Wie cr ihr Gold in Silber rückbezahlt.
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Weniger Anerkennung verdient nach europäischen Begriffen
vieles, was die Orientalen als Meisterstücke preisen. So führt ein
hiesiger Biograph folgenden Vers als „berühmt" an (^^.^ixil o^^JIj ;
Wer da behauptet, dass er nie gefehlt.
Dem sei als erster Fehler dies gezählt.
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Eine besondere Virtuosität besass Näsif in den unter dem
Namen ta'rih bekannten Gelegenheitsgedichten. Er leistete hierin
das Unglaublichste in Künstelei und Wortflickerei , fand aber hie¬
durch die grösste, oft aucb mit materiellen Gunstbezeugungen ver¬
bundene Anerkennung bei seinen Landsleuten.
Ausser seinen Makamen verfasste er drei Gedichtsammlungen,
wovon zwei in Druck erschienen, die dritte aber, die er ^yij^i eJLi
nannte, nur handschriftlich vorhanden ist. Ueber Grammatik, Syntax,
Prosodie und Rhetorik schrieb er mehrere Abhandlungen, theils in
Prosa, theils in Versen (»jj-*-;!). Ich nenne von diesen Arbeiten
folgende: S^Us^l ^^.ia eine Prosaschrift über Syntax, dann öj.>
t^! und ^Ijc!))! JjjoI zwei Lehrgedichte über Syntax;
dann o^ill jS>^\ '^bS nnd ljUjI-I J-ios ^LaI über Grammatik und
Syntax, in Prosa. Ueber Rhetorik: das ..iU;>! w\äc wjUj und
von Kremer, Näsif aljäsiqt. 247
j'jIaJi , letzteres ein Lehrgedicht ; über Prosodie die Abhand¬
lung: »jjlAit S.Liöi. Lexikographisch ist die Schrift: oLziJI olajjQjij c\.fj^\ ^j, welche nur handschriftlich vorhanden ist.
In Europa ward durch eine lateinische Uebersetzung das Send¬
schreiben bekannt, das er über de Sacy's Ausgabe der Makamen
des Hariri verfasste. Endlich lieferte er auf Bitte der amerikani¬
schen Missionäre eine metrisch arabiscbe Uebersetzung der Psalmen.
Sein Lebenslauf war im ganzen ein wenig bewegter. Als jun¬
ger Manu trat er als Secretär in die Dienste des Emir Beschir,
des Fürsten des Libanons. Nachdem er zwölf Jahre in dieser
Stelle verblieben war, siedelte er nach Beirut über, wo er in be¬
scheidener Unabhängigkeit allgemein beliebt und geachtet seinen
literarischen Bestrebungen lebte.
Wenige Wochen bevor er starb hatte er den Schmerz einen innig
geliebten Sohn zu verlieren, anf dessen Tod er sein letztes unvoll¬
endetes Gedicht verfasste. Ich lasse hier die ersten Verse dieses
rührend schönen Trauergedichtes folgen:
llabib schied hin, o Herz, vergeh!
Verkündet, Thränen, nur mein Weh!
Ich hegt' ihn bis zum Tod; da kam er
Und raubt' ihn nächtlich, wie der Wolf das Reh.
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Näsif hinterlässt eine zahlreiche Familie in geordneten Ver¬
hältnissen. Einer seiner Söhne, Ibrähim, scheint die literarischen
Neigungen seines Vaters zu theilen. Eine Tochter, Wardah mit
Namen, dichtete ebenfalls und hat eine kleine Gedichtsammlung im
Druck herausgegeben. Seit ihrer Verehelichung scbeint sie aber
zum Dichten keine Zeit mehr zu finden und ich glaube, ohne den
poetischen Verdiensten dieser Dame zu nahe zu treten, es nicht
allzusehr bedauern zu sollen.
Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass ich Näsif einige Wo¬
chen vor seinem Tode besuchte : er sprach nur schwer verständlich,
erinnerte sich aber noch seiner Correspondenz mit Prof Fleischer.
Beirut am 16. März 1871.
248 Gildemeister, zwei arabische Inschriften auf Elfenbeinbüchsen.