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«Projekt Krematoriumsleichenschau» – Von Pietätsgefühlen und anderen Interessen

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Autor

Regina Aebi-Müller, Anne-Sophie Morand

Titel II. Personen- und Familienrecht / «Projekt

Krematoriumsleichenschau» – Von Pietätsgefühlen und anderen Interessen

Buchtitel DER MENSCH ALS MASS

Festschrift für Peter Breitschmid

Jahr 2019

Seiten 71-90

Herausgeber Ruth Arnet, Paul Eitel, Alexandra Jungo, Hans Rainer Künzle

ISBN 978-3-7255-7927-3

Verlag Schulthess Juristische Medien AG

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II. Personen- und Familienrecht

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Regina Aebi-Müller*/Anne-Sophie Morand**

«Projekt Krematoriumsleichenschau» – Von Pietätsgefühlen und anderen Interessen

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I. Einleitung

Einer Medienmitteilung der Universität Bern1 war im Herbst 2017 zu entnehmen, dass das Institut für Rechtsmedizin (IRM) ein neues Forschungsprojekt lanciere. Mittels einer zweiten Leichenschau soll während eines Jahres unmittelbar vor der Kremation bei sämtlichen Verstorbenen, bei denen der Arzt auf der Todesbescheinigung einen natürlichen Todesfall attestiert hat, untersucht werden, ob am Leichnam äusserliche Hinweise für eine nicht-natürliche Todesart bestehen.

Von dem darauf folgenden Interesse der Medien können Rechtswissenschafter in der Regel nur träumen – selbst den praxisrelevanten Projekten des Jubilars wurde kaum je so viel Aufmerksamkeit zuteil. Neben neutralen oder gar positiven Berichterstattungen, die im Wesentlichen das Forschungsanliegen und das geplante Vorgehen erläuterten (dazu sogleich Ziff. II),2 fanden sich zahlreiche kritische Beurteilungen.

Insbesondere wehrten sich mehrere grössere Bestattungsunternehmen ausdrücklich gegen das

* Prof. Dr. iur., Fürsprecherin, Ordentliche Professorin für Privatrecht und Privatrechtsvergleichung an der Universität Luzern

** Dr. iur., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Luzern

Die Autorinnen danken Alexander Lueger, BLaw, für die sorgfältigen formalen Arbeiten und die Ergänzung der Literatur.

1 <

www.unibe.ch/aktuell/medien/media_relations/medienmitteilungen/2017/medienmitteilungen_2017/untersuchung_zu r_dunkelziffer_nicht_natuerlicher_todesfaelle_im_kanton_bern/index_ger.html> (besucht am 15. Juli 2018).

2 Exemplarisch dazu die Beiträge im Bund vom 29. September 2017, <www.derbund.ch/bern/stadt/heikle-studie-fuer- hehres-ziel/story/12648694>, sowie in der Berner Zeitung vom 11. Oktober 2017,

<http://www.bernerzeitung.ch/front-oberland/unentdeckte-toetungsdelikte-studie-soll-licht-ins-dunkle- bringen/story/12705666> (beide besucht am 15. Juli 2018).

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Forschungsvorhaben.3 Ein Bestattungsunternehmen wandte sich gar mit einem offenen Brief nicht nur an den Projektleiter, sondern auch an die Öffentlichkeit. Die wesentlichen Argumente gegen das Projekt lassen aufhorchen: Die Krematoriumsleichenschau sei eine «Störung der Totenruhe»,4 die Verstorbenen

«gehörten» den Angehörigen, sodass sich der Projektleiter an «fremdem Eigentum» vergreife, zudem verletze die Öffung des Sarges die Privatsphäre der Familien und der verstorbenen Person und religiöse Empfindlichkeiten. Mit diesen Vorbringen benennen die Kritiker des Projekts zentrale Forschungsinteressen des Jubilars: Beginn und Ende des Lebens, Persönlichkeitsschutz, Privatsphäre und viele weitere Themen haben Peter Breitschmid stets umgetrieben. Die erwähnten Medienberichte, die den Autorinnen fast zeitgleich mit der Anfrage zu einem Festschriftbeitrag zur Kenntnis gelangt sind, sollen als Ausgangspunkt und «Aufhänger» für einige Betrachtungen dazu dienen, ob die Einwände aus rechtlicher Sicht ernst zu nehmen sind.

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II. Ausgangslage

1. Zum Hintergrund des Forschungsprojekts

In der Schweiz müssen Todesfälle gemäss Art. 35 Abs. 1 ZStV innerhalb von zwei Tagen nach dem Tod dem zuständigen Zivilstandsamt gemeldet werden. Als Beweismittel dient gemäss Art. 33 ZGB eine Zivilstandsurkunde, die in Form einer ärztlichen Bescheinigung einzureichen ist.5 Diese wird i.d.R. von einem Hausarzt oder einem Notarzt nach Durchführung einer Leichenschau ausgestellt.6 Neben der zweifelsfreien Todesfeststellung gehört u.a. auch die Klassifikation der Todesart zu den wichtigen Aufgaben der Leichenschau. Hierbei wird zwischen natürlichen, nicht-natürlichen und unklaren Todesarten unterschieden.7

Ärzte stehen bei einer Leichenschau oft unter zeitlichem und emotionalem Druck, weshalb Todesfeststellungen u.U. unter ungünstigen Umständen vorgenommen werden. Zudem fehlt den zur Todesfeststellung gerufenen Medizinern meist eine spezifische Ausbildung.8 Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass gelegentlich wichtige Hinweise auf nicht-natürliche Einwirkungen, die bei einer sorgfältigen Untersuchung entdeckt worden wären, übersehen werden und irrtümlich ein natürlicher Tod bescheinigt wird. Die richtige Angabe der Todesart ist von entscheidender Bedeutung: Menschen, die einem natürlichen Tod erlegen sind, werden direkt zur Erdbestattung oder Kremation freigegeben. Anders verhält es sich bei nicht-natürlichen oder unklaren Todesfällen, die der zuständigen Strafverfolgungsbehörde zu melden sind und der Rechtsmedizin zur Untersuchung vorgelegt werden.

Rechtsmediziner haben in der Vergangenheit bei ihren Untersuchungen gelegentlich Fälle aufgedeckt, in denen die festgestellte Todesursache und Todesart nicht korrekt erfasst wurden. So wurde bspw. der Fall publik, bei dem festgehalten wurde, die Person sei aufgrund eines epileptischen Anfalls gestorben – tatsächlich kam die Person aber

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durch einen Kopfschuss ums Leben.9 Bekannt ist auch der Fall, in dem eine Person einer Stichverletzung im Bauch erlegen war, bei der Leichenschau aber ein Nierenversagen als Todesursache galt.10 In den Medien für Schlagzeilen sorgte im Jahr 2010 sodann der Fall eines Hanfdiebes. Die Polizei war im besagten Fall wegen eines Autounfalls ausgerückt, bei dem drei Verletzte vorgefunden wurden. Einer der Insassen war so schwer verletzt, dass vor Ort der Tod (durch Unfall) festgestellt werden musste. Bei der Untersuchung im

3 S. den Beitrag in der Zeitung 20 Minuten vom 28. September 2017, <www.20min.ch/schweiz/bern/story/19268970>

(besucht am 15. Juli 2018); vgl. ferner den bereits erwähnten Beitrag im Bund (Fn. 2).

4 Gemeint ist wohl der Straftatbestand der «Störung des Totenfriedens» i.S.v. Art. 262 StGB.

5 Art. 35 Abs. 5 ZStV.

6 Hausmann Roland, Die ärztliche Leichenschau: Was ist zu beachten?, Swiss Medical Forum 2015, S. 840 ff., 840.

7 Bär Walter/Keller-Sutter Morten, Leichenschau, Obduktion und Transplantation, in: Kuhn Moritz/Poledna Thomas (Hrsg.), Arztrecht in der Praxis, 2. Aufl., Zürich 2007, S. 767 ff., 769 f.; Hausmann Roland (Fn. 6), S. 842 f. Nicht- natürliche Todesfälle beruhen auf deliktischen, unfallmässigen oder selbstschädigenden Handlungen. Die Kategorie unklarer Todesfall wurde für Fälle geschaffen, in denen ein offensichtlicher Hinweis auf die drei Todesarten fehlt, ein nicht-natürlicher Tod jedoch möglich ist. Nichtnatürliche sowie unklare Todesfälle werden unter dem Begriff der aussergewöhnlichen Todesfälle (im Fachjargon: agT) zusammengefasst.

8 Trapp Christiane, Staging des Tatortes und andere Inszenierungen bei Tötungsdelikten, Diss. Freiburg, Zürich/Basel/Genf 2012, S. 118.

9 Jackowski Christian/Hausmann Roland/Jositsch Daniel, Eine Dunkelziffer bei Tötungsdelikten in der Schweiz: Fiktion oder Realität?, Kriminalistik 10/2014, S. 607 ff., 609.

10 Jackowski/Hausmann/Jositsch (Fn. 9), S. 9 f.

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Institut für Rechtsmedizin konnte aufgedeckt werden, dass der Tod zufolge einer Schussverletzung eingetreten war, welche der Arzt am Ort des Unfallgeschehens übersehen hatte – der Mann war auf der Flucht von einem Hanfbauer erschossen worden.11

In Deutschland wird in Fachkreisen geschätzt, dass auf jedes erkannte Tötungsdelikt mindestens ein nicht erkanntes Tötungsdelikt kommt.12 Darüber hinaus wird in Studien aufgezeigt, dass nicht nur Tötungsdelikte unerkannt bleiben, sondern auch sonstige nicht-natürliche Todesfälle fälschlicherweise als natürlich gekennzeichnet werden.13 Zufallsfunde von Tötungsdelikten, Unfällen oder Suiziden, die im Rahmen der ersten Leichenschau nicht als solche erkannt wurden, stützen die Vermutung, dass die ärztliche Todesbescheinigung nicht selten fehlerhaft ist. Zu solchen Entdeckungen kommt es in Deutschland insbesondere deshalb, weil unser Nachbarland zwei wirksame Instrumente kennt, die Zufallsentdeckungen auslösen. Dies sind erstens die im Rahmen von Forschungsprojekten durchgeführten Verwaltungssektionen14 und zweitens die in fast allen Bundesländern obligatorisch angeordnete Krematoriumsleichenschau, d.h. eine zweite, unmittelbar vor der Kremation von Fachpersonen durchgeführte Untersuchung des Verstorbenen.15

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Für die Schweiz liegen bislang keine Zahlen oder Studien vor, die sich mit nicht erkannten Tötungsdelikten befassen. In Fachkreisen wird jedoch geschätzt, dass die Dunkelziffer an nicht-natürlichen Todesfällen in der Schweiz höher anzusetzen ist als diejenige in Deutschland.16 Vor diesem Hintergrund nahm sich das IRM in Bern der Problematik an: Im Rahmen eines Forschungsprojekts sollen während eines Jahres sämtliche Leichen im Krematorium Bern einer zweiten, durch einen Rechtsmediziner durchgeführten Leichenschau unterzogen werden. Dazu muss die Leiche aus dem Sarg gehoben, ausgezogen, müssen die gesamte Körperoberfläche sowie die Körperöffnungen inspiziert und muss die Leiche danach wieder sauber hergerichtet und in den Sarg verbracht werden. Im Rahmen des Forschungsprojekts sind weder eine Obduktion noch eine Flüssigkeits- oder Gewebeentnahme geplant, zudem soll die Untersuchung ausschliesslich mit anonymisierten Totenscheinen stattfinden.17 Das Forschungsprojekt wurde von verschiedenen Stellen, u.a. durch eine Ethikkommission, geprüft. Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) sowie die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern begrüssen die Durchführung der Studie ausdrücklich.18 Soweit ersichtlich, wurde mit dem Projekt bis zur Fertigstellung des vorliegenden Manuskripts noch nicht begonnen, was auf den erwähnten Medienrummel zurückzuführen sein mag.

2. Die Einwände gegen das Projekt

Wie eingangs erwähnt, kam es nach Publikwerden des Forschungsprojekts zu kontroversen Diskussionen.

Insbesondere Bestattungsunternehmen wehrten sich vehement gegen die geplante Durchführung – «im Notfall verschweisse ich meine Särge».19 Ihrer Meinung nach vergreife sich das IRM an fremdem Eigentum – «der Sarg und die verstorbene Person gehören den Angehörigen» – und es müsse demnach eine Einwilligung der Angehörigen vorliegen. Das Projekt hätte zur Folge, dass in die Trauerarbeit und damit die

11 S. dazu den Beitrag in der Berner Zeitung vom 11. Oktober 2017 (Fn. 2).

12 Hoppmann Gerhard, Die Todesbescheinigung, Ein Kreuzchen der Ärzte entscheidet, Kriminalistik 3/2014, S. 155 ff.;

Jackowski/Hausmann/Jositsch (Fn. 9), S. 607 ff.

13 Héroux Verena/Uebbing Katrin/Navarro-Crummenauer Bianca/Urban Reinhard/Breitmeier Dirk, Fehlerhafte Angabe der Todesart nach insuffizienter Leichenschau, Archiv für Kriminologie 5–6/2015, S. 189 ff.; Rückert Sabine, Tote haben keine Lobby, Die Dunkelziffer der vertuschten Morde, Hamburg 2000, S. 1 ff.; eindrücklich auch die Zahlen bei Seifert Lisa, Wenn der natürliche Tod gar nicht so natürlich war, CME 1–2/2016, S. 38, wonach sich im Rahmen einer grossangelegten Studie der Universität Greifswald bei 60.7 % der als natürlich deklarierten Sterbefälle Anhaltspunkte für einen nicht-natürlichen Tod zeigten, u.a. übersehene Strangulationsmarken.

14 Verwaltungssektionen sind Obduktionen, die durchgeführt werden, wenn keine Anhaltspunkte für eine Fremdeinwirkung bestehen, jedoch die Todesursache zur Erhärtung der Todesursachenstatistik erhoben werden soll.

15 Wilmes Sandra Miriam, Die Praxis der ärztlichen Leichenschau im ambulanten Bereich in Hamburg, Diss. Hamburg, Hamburg 2014, S. 4. f.

16 S. zum Ganzen Jackowski/Hausmann/Jositsch (Fn. 9), S. 607 ff.

17 S. dazu den Beitrag in der Berner Zeitung vom 11. Oktober 2017 (Fn. 2).

18 Medienmitteilung der Universität Bern vom 11. Oktober 2017 (Fn. 1); ferner den Beitrag im Bund vom 29. September 2017 (Fn. 2).

19 S. den Beitrag in der Zeitung 20 Mintuten vom 25. Oktober 2017, <www.20min.ch/schweiz/bern/story/-Im-Notfall- verschweisse-ich-meine-Saerge--23819712> (besucht am 15. Juli 2018).

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Privatsphäre der Angehörigen eingegriffen werde: «Es ist schlichtweg zu spät, alles nochmals zu hinterfragen. Eine allenfalls neue Erkenntnis würde bei Angehörigen sowohl einen emotionalen wie auch finanziellen Schaden verursachen» und «Hinterbliebene müssten [...] sich gegen eine Untersuchung wehren dürfen». Sodann wurde argumentiert, eine Leichenschau stelle einen «Eingriff in die Privatsphäre der verstorbenen Person» dar – «Es ist unmöglich einen solchen Sarg zu öffnen, alle Sachen und die Person aus dem Sarg zu nehmen, die Person auszuziehen, sie komplett entblösst zu untersuchen ohne, die Privatsphäre erheblich zu verletzen». Ohnehin sei das Vorgehen «ein massiver Einschnitt in die Totenruhe und Menschenwürde».20

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Ende November 2017 wurde im Grossen Rat des Kantons Bern sodann von Seiten der SVP ein parlamentarischer Vorstoss in Form einer Motion eingereicht.21 Diese verlangte vom Regierungsrat, die geplante Krematoriumsleichenschau zu verbieten. Konkret wurde auch hier moniert, dass die Studie des IRM die Totenruhe und die Menschenwürde verletze. Der Regierungsrat liess im Mai 2018 in seiner Antwort verlauten, dass er die Motion zur Ablehnung empfehle, da die Ausgestaltung des Forchungsvorhabens allein im Verantwortungsbereich der Universität Bern und im Rahmen der Wissenschaftsfreiheit liege.22

3. Übersicht über den Gang der Untersuchung

Nachfolgend soll nicht näher auf die Frage eingegangen werden, ob der Projektleiter sich ohne entsprechende Erlaubnis Zutritt zum Krematorium verschaffen könnte, um sein Vorhaben verwirklichen zu können. Gemäss den erwähnten Medienbeiträgen war nämlich das betroffene Krematorium Bern, das als

«Bernische Genossenschaft für Feuerbestattung» privatrechtlich organisiert ist, mit dem Projekt einverstanden. Können sich die Rechtsmediziner auf diese Weise legal Zugang zu den Särgen beschaffen, können sich die folgenden rechtlichen Erwägungen darauf konzentrieren, ob durch deren Öffnung und die Leichenschau Rechte der Verstorbenen oder deren Angehörigen verletzt werden, wie das von den Kritikern moniert wird.

Die durch das ZGB nach Art. 28 ff. ZGB geschützten Persönlichkeitsrechte sind dabei im hier interessierenden Bereich weitestgehend deckungsgleich mit den grundrechtlich geschützten Positionen der Betroffenen nach Art. 10 und 13 BV (Persönliche Freiheit und Schutz der Privatsphäre). Lediglich bei der Frage nach einer allfälligen Rechtfertigung einer Persönlichkeits- oder Grundrechtsverletzung muss diesbezüglich unterschieden werden. Daher wird nachfolgend vorerst noch nicht auf die Frage eingegangen, ob das Handeln des Projektteams als öffentlich- oder als privatrechtlich qualifiziert werden muss. Vielmehr knüpfen die Autorinnen, getreu ihrer Fachkompetenz, an den durch die Kritiker des Projekts aufgeworfenen zivilrechtlichen Fachtermini («Privatsphäre», «Eigentum» usw.) an. Aus Sicht des Strafrechts könnte sich die von den Kritikern des Forschungsprojekts angesprochene Frage stellen, ob die Legalinspektion eine

«Störung des Totenfriedens» i.S.v. Art. 262 StGB darstellt. Dies wird im Folgenden nicht näher thematisiert.

Die enge Umschreibung des Tatbestands der genannten Norm und das be- 79

schriebene, sorgsame Vorgehen des Projektteams lassen jedenfalls den vorläufigen Schluss zu, dass die Tatbestandsmerkmale dieser Strafnorm nicht erfüllt sein dürften.

20 S. zum Ganzen den offenen Brief des Bestattungsunternehmens aurora auf

<www.aurorabestattungen.ch/files/aurora/pdf/Offener%20Brief%20zur%20Sudie%20Kremationsleichenschau%20de r%20Uni%20Bern.pdf>; Beitrag in der Zeitung 20 Mintuten vom 25. Oktober 2017,

<www.20min.ch/schweiz/bern/story/-Im-Notfall-verschweisse-ichmeine-Saerge--23819712>; Beitrag in der Berner Zeitung vom 25. Oktober 2017, <www.langenthalertagblatt.ch/region/bern/Bestatter-kritisieren- Leichenschau/story/28915186>; Beitrag in der Zeitung 20 Mintuten vom 28. September 2017,

<www.20min.ch/schweiz/bern/story/Forensiker-oeffnen-Saerge--um-Delikte-zu-erkennen-19268970> (alle besucht am 15. Juli 2018).

21 Motion Aebischer/Krähenbühl (2017.RRGR.718, Kanton Bern) «Totenruhe muss gewahrt bleiben!» vom 29.

November 2017, S. 1 f.

22 Antwort des Regierungsrates vom 9. Mai 2018 auf die Motion (BE) Nr. 2017.RRGR.718 (Fn. 21), S. 1 ff.

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III. Kein postmortaler Persönlichkeitsschutz 1. Tod als Ende der Rechtsfähigkeit

Gemäss Art. 31 Abs. 1 ZGB endet die Persönlichkeit mit dem Tod. Eine exakte Definition des Todes sucht man in der Schweizer Gesetzgebung bis heute vergebens. Zwar erhielt die Schweiz mit dem Inkrafttreten des TransplG im Jahr 2007 erstmals überhaupt eine Regelung zum Todeszeitpunkt: In Art. 9 TransplG ist festgehalten, dass ein Mensch tot sei, wenn die Funktionen seines Hirns einschliesslich des Hirnstamms irreversibel ausgefallen sind. Für die konkrete Todesfeststellung wird in der TransplV sowie in der Lehre23 jedoch auf entsprechende Richtlinien der medizinischen Wissenschaften verwiesen. Für die vorliegend interessierende Fragestellung ist der genaue Todeszeitpunkt allerdings irrelevant: Bei Eintreffen des Verstorbenen im Krematorium sollte der Tod nach menschlichem Ermessen jedenfalls eingetreten sein – die Studie hat jedenfalls nicht explizit zum Ziel, Fälle falscher Todeserklärungen aufzudecken. Spannend wäre dies freilich schon, denn zwischen der Todesbescheinigung des Arztes und der Überreichung des verschlossenen Sarges an das Krematorium liesse sich auch an den Austausch von Leichen oder ähnlich makabere Szenarien denken. Weitere Überlegungen dazu bleiben der regen Fantasie des Lesers überlassen.

Das «Ende der Persönlichkeit» bedeutet nach unbestrittener Auffassung das Ende der Rechtsfähigkeit. Der Verstorbene kann daher nicht mehr Träger von Rechten und Pflichten sein.24 In seinem Namen können keine Rechte geltend gemacht oder (gerichtlich) durchgesetzt werden. Es gilt m.a.W. der Grundsatz der Unübertragbarkeit von Persönlichkeitsrechten.25 Nur (aber immerhin) vererbliche, namentlich vermögensrechtliche Ansprüche des Verstorbenen gehen kraft Universalsukzession auf die Erben über.26 Mit dem Ende der Rechtsfähigkeit kann der Verstorbene nicht mehr Träger von Persönlichkeitsrechten sein, weshalb eine rechtlich relevante Persönlichkeitsverletzung des

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Verstorbenen – z.B. der Privatsphäre oder körperlichen Integrität – ausscheidet. Weder die verstorbene Person noch deren Vertreter kann in diesem Zusammenhang eine Klage erheben oder Beschwerde führen.27 Die Rechtsprechung anerkennt lediglich gewisse «Nachwirkungen der Persönlichkeit»,28 wobei die hier zur Diskussion stehende, rein äusserliche Untersuchung des Leichnams, verglichen mit den in der Rechtsprechung zur Diskussion stehenden Sachlagen,29 unter diesem Gesichtspunkt unerheblich sein dürfte.

Von gewissen Bestimmungsrechten abgesehen (dazu sogleich Ziff. III.2), hat das Bundesgericht mit Recht die Theorie des sog. postmortalen Persönlichkeitsschutzes für natürliche Personen stets strikte abgelehnt.30 Nach dieser Auffassung würden Persönlichkeitsrechte einer Person nach ihrem Tod nicht vollständig erlöschen, und der Verstorbene hätte damit eine «aktive Opferrolle post mortem» inne.31 Hinterbliebene, die der Verstorbene zu Lebzeiten mit der Aufgabe beauftragt hat, seine Persönlichkeit zu schützen, könnten im Fall einer Persönlichkeitsverletzung im Namen des Verstorbenen das Gericht anrufen.32 Die Theorie ist

23 Exemplarisch: Beretta Piera, in: Honsell Heinrich/Vogt Nedim Peter/Geiser Thomas (Hrsg.), Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 5. Aufl., Basel 2014, Art. 31 ZGB N 31; Breitschmid Peter, in: Breitschmid Peter/Jungo Alexandra (Hrsg.), Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Art. 1–456 ZGB, PartG, 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2016, Art.

31 ZGB N 5; Hausheer Heinz/Aebi-Müller Regina, Das Personenrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, 4.

Aufl., Bern 2016, Rz. 03.33 f.; BGE 98 Ia 508 E. 3; vgl. auch BGE 123 I 112 E. 7c.

24 Exemplarisch: Bucher Eugen/Aebi-Müller Regina, in: Berner Kommentar, Art. 11–19d ZGB, 2. Aufl., Bern 2017, Art.

11 ZGB N 46.

25 Exemplarisch: Morand Anne-Sophie, Persönlichkeitsrechtliche Schranken im Sportsponsoring, Diss. Luzern, Zürich/St. Gallen 2016, Rz. 296.

26 Hausheer/Aebi-Müller (Fn. 23), Rz. 03.30.

27 BGE 129 I 302 E. 1.2.4.

28 BK-Bucher/Aebi-Müller (Fn. 24), Art. 11 N 47 m.w.H.; Hausheer/Aebi-Müller (Fn. 23), Rz. 10.27; s. sodann hinten Ziff. III.2.

29 Vgl. etwa BGE 118 IV 319, wo Hotelzimmer, Leiche und Unterlagen eines Politikers kurz nach dessen Suizid fotografiert und die Bilder in einer Boulevardzeitschrift abgedruckt worden waren.

30 BGE 129 I 302; Hausheer/Aebi-Müller (Fn. 23), Rz. 03.30 und 10.27; Morand (Fn. 25), Rz. 307 ff. m.w.H.

31 Breitschmid Peter/Kamp Annasofia, Persönlichkeitsschutz Verstorbener, Urheberpersönlichkeitsschutz im Besonderen, successio 1/2011, S. 19 ff., 25; Morand (Fn. 25), Rz. 308.

32 Morand (Fn. 25), Rz. 308.

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unvereinbar mit der erwähnten Rechtsauffassung, wonach eine verstorbene Person mangels Rechtsfähigkeit auch nicht parteifähig ist, weshalb niemand als Vertreter eines Toten einen Prozess führen kann.33

2. Bestimmungsrechte mit Bezug auf die Bestattung

Obwohl die Persönlichkeit mit dem Tod eines Menschen endet, anerkennt das Bundesgericht, dass «ein mit der Gestaltung der Bestattung zusammenhängendes Persönlichkeitsrecht den Tod des Bürgers überdauern kann».34 Auch die Lehre bejaht in den genannten Bereichen eine gewisse Wirkung des Persönlichkeitsrechts über den Tod hinaus.35 Das Recht auf ein schickliches Begräbnis – als Teilgehalt der Bestimmungsrechte betreffend die Bestattung – ist in der Bundesverfassung zwar nicht mehr ausdrücklich 81

gewährleistet (früher Art. 53 Abs. 2 aBV), es ergibt sich heute aber aus Art. 7 BV.36 Lehre und Rechtsprechung sind sich darüber einig, dass ein Mensch zu Lebzeiten im Rahmen der Rechtsordnung die Modalitäten seiner zukünftigen Bestattung (z.B. die Frage der Wahl zwischen Erdbestattung und Kremation) sowie das Schicksal seines Leichnams (z.B. betreffend die Organentnahme, Obduktion oder Körperspende) bestimmen kann und damit eine gewisse Wirkung des Persönlichkeitsrechts über den Tod hinaus bejaht werden muss.37 Das Selbstbestimmungsrecht eines Menschen, über seinen toten Körper zu verfügen sowie die Modalitäten der Bestattung zu regeln, hat grundsätzlich Vorrang vor dem Bestimmungsrecht der Hinterbliebenen.38

IV. Rechtsstellung der Erben

Wie erwähnt, sind Persönlichkeitsrechte unvererblich.39 Daher ist es Erben auch nicht möglich, Persönlichkeitsrechte des Verstorbenen kraft eigenen Rechts, d.h. im eigenen Namen durchzusetzen. An die Erben gehen im Rahmen der Unversalsukzession nur vererbliche Rechte des Verstorbenen über.40 Die Erben sind daher als solche (zur Frage der Rechtstellung der Angehörigen s. hinten Ziff. V) nicht befugt, an Stelle des Verstorbenen in eigenem Namen zu klagen, wenn der Verstorbene ihrer Auffassung nach in seiner Persönlichkeit verletzt wird. Dies trifft unabhängig davon zu, ob es sich um gesetzliche oder um (durch Testament oder Erbvertrag eingesetzte) Erben handelt.

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Abgesehen von hier nicht interessierenden punktuellen Regeln im Transplantations- sowie im Humanforschungsgesetz finden sich keine spezifischen Rechtsnormen zum Schutz des Leichnams oder betreffend eine allfällige Verfügungsmacht.41 Was die behauptete (vorne Ziff. II.2) Verletzung des

33 Vgl. BSK ZGB I-Beretta (Fn. 23), Art. 31 ZGB N 39; CHK-Breitschmid (Fn. 23), Art. 31 ZGB N 6; BGE 129 I 302 E.

1.2.4.

34 BGE 97 I 221 E. 4b.

35 BK-Bucher/Aebi-Müller (Fn. 24), Art. 11 ZGB N 47 m.w.H.

36 Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996, BBl 1997 I S. 1, 141; Tag Brigitte, Rechtliche Aspekte der Sektion nach Schweizer Recht, in: Tag Brigitte/Groß Dominik (Hrsg.), Der Umgang mit der Leiche, Sektion und toter Körper in internationaler und interdisziplinärer Perspektive, Frankfurt a.M. 2010, S. 25 ff., 40.

37 Exemplarisch die Hinweise in BGE 129 I 173 E. 4; 127 I 115 E. 4a. 38 BGE 129 I 173 E. 4 m.w.H.; s. dazu neustens BGer 5A_906/2016 E. 3.4.

39 S. u.a. Breitschmid/Kamp (Fn. 31), S. 21 ff.; Brückner Christian, Das Personenrecht des ZGB, Zürich 2000, Rz. 651 ff.; BK-Bucher/Aebi-Müller (Fn. 24), Art. 11 ZGB N 47 m.w.H.; Meyer Caroline, Privatrechtliche Persönlichkeitsrechte im kommerziellen Rechtsverkehr, Eine vergleichende Untersuchung zur tatsächlichen und rechtlichen Kommerzialisierung von Persönlichkeitsrechten, Basel 2008, Rz. 805; Morand (Fn. 25), Rz. 296 ff. und 309 m.w.H;

BGE 129 I 302 E. 1.2.5; vgl. Seemann Bruno, Persönlichkeitsvermarktung und virtuelle Realität, Untersterblichkeit im Recht und Rechner, sic! 3/1997, S. 259 ff., 264; s.a. Göksu Tarkan, in: Breitschmid Peter/Jungo Alexandra (Hrsg.), Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Art. 457–640 ZGB, 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2016, Art. 560 ZGB N 7 f.; ein Teil der Lehre fordert hingegen, dass zumindest für die vermögenswerten Bestandteile der Persönlichkeit die Vererblichkeit zu diskutieren sei, s. dazu Büchler Andrea, Bundesgericht, I. Öffentlichrechtliche Abteilung, Urteil vom 4.7.2003 i.S., X. und Y. c. Kanton Zürich, Staatsrechtliche Beschwerde, BGE 129 I 302, AJP 6/2004, S. 740 ff., 742.

40 CHK-Göksu (Fn. 39), a.a.O.; Müller Franz/Lieb-Lindenmeyer Saskia, in: Kren Kostkiewicz Jolanta/Wolf Stephan/Amstutz Marc/Fankhauser Roland (Hrsg.), Orell Füssli-Kommentar, ZGB Kommentar, 3. Aufl., Zürich 2016, Art. 560 ZGB N 4.

41 Tag, Sektion (Fn. 36), S. 41 ff. m.w.H.; s. dazu auch hinten Ziff. V.3.

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«Eigentums am Leichnam» anbelangt, werden im Schrifttum unterschiedliche Ansätze verfolgt.42 Ein Teil der Lehre bejaht zwar die Sachqualität des Leichnams gestützt auf das Argument, dass nach Art. 31 Abs. 1 ZGB die Persönlichkeit mit dem Tod ende; die Ansicht wird aber sogleich dahingehend relativiert, dass die Leiche aus ethisch-weltanschaulichen Überlegungen der Sachherrschaft entzogen werden müsse.43 Die ganz h.L.

geht davon aus, dass der Leichnam zum Vornherein nicht Gegenstand des Sachenrechts sein könne.44 Dessen rechtliche Behandlung unterstehe in Anwendung von Art. 1 Abs. 2 ZGB aber besonderen, gewohnheitsrechtlichen und auf dem Wege freier richterlicher Rechtsfindung festgelegten Rechtssätzen.45 Erst nach Ablauf einer längeren Zeitspanne können Leichen in gewissen Sachlagen zu gewöhnlichen – oder vielleicht eher: ungewöhnlichen – Sachen und damit zum Gegenstand des Rechtsverkehrs werden;46 ein hübsches Beispiel dürfte die Gletschermumie «Ötzi» sein, deren unerlaubte Entfernung aus dem Südtiroler Archäologiemuseum zweifellos als Diebstahl geahndet werden könnte. Ist der Leichnam aber – vor dem erwähnten längeren Zeitablauf – keine Sache i.S. des Sachenrechts, so können daran auch keine Eigentumsrechte und auch kein Besitz begründet werden, und zwar weder durch die Erben noch durch Angehörige. Das im Rahmen der Kritik am Projekt Krematoriumsleichenschau vorgebrachte Argument der Verletzung der Eigentumsrechte verfängt daher nicht.

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V. Persönlichkeitsschutz der Angehörigen 1. Grundsätzliches

Wie dargelegt, kann der Verstorbene, der seiner Persönlichkeitsrechte verlustig gegangen ist, keine Persönlichkeitsverletzung geltend machen. Denkbar ist hingegen, dass seine Angehörigen durch das

«Projekt Krematoriumsleichenschau» in ihrer eigenen Persönlichkeit bzw. in ihren Grundrechten widerrechtlich verletzt werden.

Dabei ist vorwegzuschicken, dass nicht jede Beeinträchtigung bereits den Tatbestand der Persönlichkeits- bzw. Grundrechtsverletzung erfüllt. Vielmehr bedarf es dazu einer gewissen objektiven Intensität und Nachhaltigkeit der Betroffenheit. Im Privatrechtsverhältnis wird eine eigentliche «Verletzung» (in Abgrenzung zur blossen Betroffenheit) vorausgesetzt.47 Mit Bezug auf Eingriffe des Staates muss eine elementare Erscheinung der Persönlichkeitsentfaltung in Frage stehen; nicht jeder staatliche Akt, der sich auf die persönliche Lebensgestaltung auswirkt, stellt einen eigentlichen Grundrechtseingriff dar.48 Bei der Beurteilung der Schwere der nachfolgend näher zu thematisierenden Beeinträchtigungen ist im Übrigen dem beschriebenen, konkreten Setting des Forschungsvorhabens Rechnung zu tragen. Von Bedeutung ist insbesondere, dass, wie dargelegt, die Todesbescheinigungen anonymisiert werden und keine Rückschlüsse auf die Identität des Verstorbenen zulassen. Als untersuchende Personen sind ausgebildete Rechtsmediziner vorgesehen, die im Umgang mit Leichen geschult sind und die eine allfällige Unregelmässigkeit sofort erkennen können. Es handelt sich sodann um eine rein äusserliche Untersuchung ohne Eingriff in die Hülle des Leichnams. Die Leichenschau würde nur wenige Minuten in Anspruch nehmen und den Vorgang der Kremation nicht verzögern.49 Persönliche Gegenstände, die allenfalls in den Sarg gelegt wurden, würden darin verbleiben und wären für die Forscher in keiner Weise von Belang.

Selbst wenn im Einzelfall tatsächlich eine Persönlichkeitsverletzung vorliegt, bedeutet dies nicht automatisch auch eine widerrechtliche Verhaltensweise. Vielmehr ist denkbar, dass ein Rechtfertigungsgrund besteht.

Darauf ist zurückzukommen (hinten Ziff. VII).

42 Eine Darstellung von Lehrmeinungen findet sich u.a. bei Kälin Oliver, Der Sachbegriff im schweizerischen ZGB, Diss. Zürich, Zürich 2002, S. 66. Das Bundesgericht hatte bisher keinen Anlass, zur Rechtsnatur des Leichnams Stellung zu nehmen.

43 Wiegand Wolfgang, in: Honsell Heinrich/Vogt Nedim Peter/Geiser Thomas (Hrsg.), Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch II, 5. Aufl., Basel 2015, Vorbem. Art. 641 ff. ZGB N 13 und 17 ff.

44 BK-Bucher/Aebi-Müller (Fn. 24), Art. 11 ZGB N 48; Wolf Stephan, in: Kren Kostkiewicz Jolanta/Wolf Stephan/Amstutz Marc/Fankhauser Roland (Hrsg.), Orell Füssli-Kommentar, ZGB Kommentar, 3. Aufl., Zürich 2016, Art. 641 ZGB N 3.

45 BK-Bucher/Aebi-Müller (Fn. 24), Art. 11 ZGB N 48; Karavas Vagias, in: Rütsche Bernhard (Hrsg.), Stämpflis Handkommentar zum Humanforschungsgesetz, Bern 2015, Art. 9 HFG N 19; Manaï Dominique, Droits du patient face à la biomédicine, 2. Aufl., Bern 2013, S. 271; Rey Heinz, Die Grundlagen des Sachenrechts und das Eigentum, 3. Aufl., Bern 2007, Rz. 112.

46 Rey (Fn. 45), Rz. 115.

47 Hausheer/Aebi-Müller (Fn. 23), Rz. 12.06 f.

48 Exemplarisch BGE 118 Ia 427 E. 4b.

49 Anders verhält es sich selbstredend dann, wenn tatsächlich ein Tötungsdelikt entdeckt und der Staatsanwaltschaft gemeldet würde.

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2. Pietätsgefühl der Angehörigen

Lehre und Rechtsprechung anerkennen, dass eine rechtlich relevante Persönlichkeitsverletzung (als Persönlichkeitsverletzung gemäss Art. 28 ZGB oder als Grundrechtseingriff nach Art. 10 BV) auch durch eine gegen eine verstorbene Person gerichtete Handlung erfolgen kann.50 Der Angehörige beruft sich dabei nicht auf die Rechte des Toten, sondern auf seine eigene affektive Persönlichkeit, die er durch eine – an sich gegen den

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Verstorbenen gerichtete – Verhaltesweise als verletzt sieht. Geschützt werden hierbei das Andenken, die Empfindungen und die psychische Integrität der nahen Angehörigen, also alles, was die innere Verbundenheit mit der verstorbenen Person und die darauf beruhenden geistig-ideelle Beziehung verkörpert.51 Hintergrund des Andenkensschutzes ist die Überzeugung, dass nahe Angehörige durch ein stark ausgeprägtes Andenken mit dem verstorbenen Menschen verbunden sind.52 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist für den Einbezug in den Kreis der «nahen Angehörigen» die Intensität der Verbundenheit mit dem Verstorbenen massgebend.53

Nahe Angehörige können gestützt auf ihr Pietätsgefühl z.B. bei einer Ehrverletzung bzw. Verunglimpfung des Verstorbenen Klage erheben.54 Der Andenkensschutz schliesst aber auch die Achtung der Totenruhe, mithin die Unberührtheit der Leiche, sowie das Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Verstorbenen ein.55 Exemplarisch ist an Obduktionen56 zu denken. Diese können allfällige Kultushandlungen oder die Erweisung der letzten Ehre stören und das Pietätsgefühl der Angehörigen verletzen, selbst wenn der Leichnam nach einer Obduktion wieder verschlossen wird und eine offene Aufbahrung nach wie vor möglich ist.57 Indessen bedeutet der Schutz des Pietätsgefühls nicht, dass nahe Angehörige jeden möglichen Eingriff in die – wie dargelegt grundsätzlich erloschene – Privatsphäre eines Verstorbenen unter dem Deckmantel ihrer eigenen Persönlichkeit abwehren können. Es muss jeweils im Einzelnen genau dargelegt werden, inwiefern das Andenken, die Empfindungen und die psychische Integrität des Hinterbliebenen verletzt sind.58

Das äusserliche Erscheinungsbild, das bei einer Krematoriumsleichenschau gesichtet wird, kann einiges über eine Person aussagen. Zu denken ist bspw. an die körperliche Verfassung, an Narben oder aussagekräftige Tattoos. Die Kenntnisnahme dieser Merkmale durch den Rechtsmediziner könnte ausnahmsweise das Ansehen einer hinterbliebenen Person beeinträchtigen. Dies würde indessen voraussetzen, dass die Person, welche die Leichenschau vornimmt, den Verstorbenen mit den nahen Angehörigen überhaupt in Verbindung bringen kann, was bei einer anonymisierten Untersuchung, wie sie im Rahmen des Forschungsprojekts geplant ist, gerade nicht zutrifft. Die Studie soll zudem bewusst im Krematorium unmittelbar vor der Einäscherung angesetzt werden,

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sodass die Trauerarbeit der Angehörigen nicht gestört wird. Die Angehörigen bekommen von der Untersuchung nichts mit, sie nehmen vorher Abschied. Der Leichnam wird danach zwar nochmals ausgezogen, im Anschluss der Untersuchung aber auch direkt wieder angezogen und so hergerichtet, wie er vorgefunden wurde.59

50 Breitschmid/Kamp (Fn. 31), S. 22; Hausheer/Aebi-Müller (Fn. 23), Rz. 12.73; Morand (Fn. 25), Rz. 305 f.; BGE 129 I 302 E. 1.2.2 m.w.H.; BGer 5A_496/2014 E. 3.

51 Morand (Fn. 25), Rz. 306.

52 Maurer Susan/Kersting Daniel, Ist der Leichnam eine Sache?, Jusletter vom 29. August 2011, Rz. 20; vgl. auch BGE 127 I 115 E. 6b.

53 BGE 101 II 177 E. 5b: «[...] il faut entendre, par proche, la personne qui était la plus étroitement liée au défunt, et est par conséquent la plus touchée par sa disparition»; vgl. auch BGer 5A_906/2016 E. 3.3.3.

54 Morand (Fn. 25), Rz. 306.

55 Tag Brigitte, Zum Umgang mit der Leiche, Rechtliche Aspekte der dauernden Konservierung menschlicher Körper und Körperteile durch Plastination, MedR 9/1998, S. 387 ff., 392.

56 Dazu ausführlich Bär/Keller-Sutter (Fn. 7), S. 774 ff.

57 BGE 127 I 115 betr. behörliche Autopsieverfügung.

58 BGer 5A_496/2014 E. 3.

59 Eine ausführliche Beschreibung des geplanten Vorgehens ist in der Berner Zeitung vom 11. Oktober 2017 zu finden (Fn. 2).

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Nach dem Gesagten ist das Pietätsgefühl der Angehörigen zwar grundsätzlich zu respektieren, das Projekt Krematoriumsleichenschau, so wie es in den öffentlichen Medien beschrieben wurde, führt jedoch nach einem objektivem Massstab nicht zu einer rechtlich erheblichen Persönlichkeitsverletzung.

3. Bestimmungsrechte der Angehörigen mit Bezug auf den Umgang mit der Leiche

Hat die verstorbene Person keine entsprechenden Anordnungen getroffen, stehen den Angehörigen in einem gewissen Umfang Bestimmungsrechte zu.60 Die nächsten Angehörigen trifft die Pflicht zur Organisation der Bestattung, mit der in der Regel ein Bestattungsunternehmen beauftragt wird.61 Zu klären sind u.a. die Art der Bestattung (Erdbestattung oder Kremation), die Wahl von Sarg, Sargschmuck und Einkleidung, der Transport des Verstorbenen vom Sterbeort zu den Einstellräumen und von dort zum Abdankungsort, die Gestaltung der Abdankungsfeier usw.62 Angehörige bestimmen sodann (jedenfalls in Ermangelung von Weisungen des Verstorbenen), ob eine geistliche oder weltliche Bestattung stattfinden soll und welche Glaubenvorschriften gegebenenfalls beachtet werden sollen.63 Des Weiteren ist grundsätzlich der Wille der Angehörigen bei der Frage der Durchführung einer Obduktion zu beachten, wenn diese nicht aufgrund der Todesumstände gesetzlich vorgeschrieben ist. Dabei steht nicht das physische Eindringen in den Körper im Vordergrund, sondern der Umstand, dass durch den Eingriff Erkenntnisse über die verstorbene Person gewonnen werden können.64

Nicht geklärt ist indessen, welche Rechtsfolgen die Missachtung eines entsprechenden Wunsches bzw.

Bestimmungsrechts der Angehörigen nach sich zieht. Wiederum kommt als Rechtsgrundlage lediglich der (zivil- bzw. grundrechtliche) Persönlichkeitsschutz in Betracht. Die äusserliche Untersuchung des Leichnams stellt nun aber, wie bereits ausgeführt, keine Verletzung der Persönlichkeit (des Pietätsgefühls) der Angehörigen dar. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Angehörigen sich dazu explizit geäussert haben;

für die Anwendbarkeit des zivil- bzw. grundrechtlichen Persönlichkeitsschutzes genügt in diesem Zusammenhang nicht ein wie auch immer geartetes Selbst- bzw. Fremdbe-

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stimmungsrecht. Selbst wenn man eine gewisse psychische Beeinträchtigung zufolge der Veränderung des geplanten Ablaufs der Kremation bejahen würde, würde (jedenfalls nach Auffassung der Autorinnen des Beitrags) der nötige Schweregrad nicht erreicht, um von einer eigentlichen Verletzung bzw. einem Grundrechtseingriff sprechen zu können. Dabei ist auch zu bedenken, dass die besonders heiklen Fälle der Missachtung religiöser Vorschriften regelmässig Erdbestattungen betreffen, die vom Projekt jedoch gar nicht betroffen sind. Nicht betroffen sind auch Verstorbene, die im Hinblick auf die Einhaltung bestimmter Riten repatriiert werden.

4. Privatsphäre der Angehörigen

Die Privatsphäre ist privatrechtlich durch Art. 28 ZGB sowie öffentlichrechtlich durch Art. 13 BV geschützt.

Danach soll eine Person in gewissen Grenzen selber bestimmen dürfen, wer welches Wissen über sie haben darf und umgekehrt, welche personenbezogenen Begebenheiten und Ereignisse des konkreten Lebens einer breiteren Öffentlichkeit gerade nicht zugänglich sein sollen.65 Geschützt werden – etwas verkürzt ausgedrückt – insbesondere jene Lebensvorgänge, die eine Person berechtigterweise nur mit einem begrenzten, ihr relativ nahe verbundenen Personenkreis teilen will (sog. «Privatsphäre») oder die jeglicher Kenntnisnahme entzogen sein sollen (sog. «Geheimsphäre»).66

Legen Angehörige im Rahmen eines Abschiedsrituals persönliche Erinnerungsgegenstände, Briefe, Fotos usw. in den Sarg eines Verstorbenen, so werden diese im Rahmen der Krematoriumsleichenschau entdeckt, obschon die Angehörigen womöglich davon ausgegangen sind, der Sarg werde vor der Kremation nicht nochmals geöffnet und die Erinnerungsstücke blieben somit vor Einblicken Dritter geschützt. Bei der

60 Tag, Sektion (Fn. 36), S. 45 und 49 f.; BGer 5A_906/2016 E. 3.3.2.

61 Breitschmid Peter/Matt Isabel, Organspende, Sektion und Bestattung – zivilrechtliche Streifzüge, successio 2/2011, S. 82 ff., 100.

62 Breitschmid/Matt (Fn. 61), S. 100.

63 Widmann Hans-Joachim, Der Bestattungsvertrag – ein Werkvertrag?, AJP 8/2003, S. 959 ff., 959; BGer 9A_506/2016 E. 3.3.2.

64 Breitschmid/Matt (Fn. 61), S. 97, Fn. 79.

65 Hausheer/Aebi-Müller (Fn. 23), Rz. 12.113; BGE 138 II 346 E. 8.2.

66 Hausheer/Aebi-Müller (Fn. 23), Rz. 12.120.

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Beantwortung der Frage, ob das «Projekt Krematoriumsleichenschau» eine widerrechtliche Verletzung der Privat- oder Geheimpshäre der Angehörigen bewirkt, ist allerdings zu differenzieren:

–Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, dass das Lesen von ausschliesslich an den Verstorbenen adressierten, zur Verbrennung bestimmten Briefen die Persönlichkeit des Verfassers verletzen würde. Das vorliegend interessierende Forschungsprojekt sieht allerdings nur eine Untersuchung des Leichnams, nicht der Sargbeigaben vor und das bloss abstrakte Risiko einer widerrechtlichen Verletzung durch einen einzelnen Mitarbeiter begründet für sich genommen noch keine Verletzung.

–Heikler sind andere Beigaben wie Fotos und Erinnerungsstücke, die nicht in einem Couvert oder anderweitig eingepackt wurden und die damit zwangsläufig durch den Rechtsmediziner zur Kenntnis genommen werden. Ist etwa ein Angehöriger mit dem Verstorbenen auf einer Fotografie zu sehen, ist ein Wimpel einer Fussballmannschaft oder die selbst gemachte Zeichung der Enkelin des Verstorbenen beigelegt worden, so sagt dies nicht nur etwas über den Verstorbenen aus, sondern auch über den Angehörigen. Sieht nun der Rechtsmediziner flüchtig eine entsprechende Beilage, ist eine Beeinträchtigung der Privatsphäre der Angehörigen nicht auszuschliessen. Ob der für eine rechtlich relevante Verletzung erforderliche Schweregrad der Beeinträchti-

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gung erreicht wird, ist hingegen nicht ohne weiteres klar. Es liesse sich beispielsweise argumentieren, die Beilagen im Sarg seien, ähnlich wie im Zusammenhang mit dem Recht am eigenen Bild, als eine Art

«Beiwerk» zu betrachten.67 Obschon das Handlungsziel des Rechtsmediziners nicht die Kenntnisnahme der Sargbeilagen, sondern die Untersuchung des Leichnams ist, könnte damit allenfalls eine Persönlichkeitsverletzung begründet werden. Der Analogieschluss geht jedoch fehl: Gegenstände, die zwar im Sarg liegen, aber nicht mit der Leiche verbunden sind, lassen sich nicht mit Fotos vergleichen, auf denen als «Beiwerk» identifizierbare Personen abgebildet sind, da es sich bei der Fotografie um ein einzelnes, zusammenhängendes Bild handelt. Bei der Krematoriumsleichenschau wird die Leiche aus dem Sarg gehoben und die Gegenstände bleiben im Sarg. Das Miterfassen eines Menschen als

«Beiwerk» auf einem (dauerhaften) Bild ist eher geeignet, eine Persönlichkeitsverletzung zu bewirken, als das nur flüchtige Erblicken einer offenen Sargbeilage. Zu bedenken ist sodann, dass Sargbeigaben auch bei einer anderweitigen Kontrolle im Krematorium – etwa bei einer grundsätzlich denkbaren Überprüfung der Identität des Leichnams mit der auf dem Totenschein bezeichnete Person – sichtbar würden. Daher müssen Angehörige ohnehin damit rechnen, dass die Beigaben nicht unter allen Umständen unentdeckt verbrannt werden.

Nach Auffassung der Autorinnen kann daher im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt in aller Regel nicht von einer eigentlichen Verletzung der Privat- oder Geheimsphäre gesprochen werden. Auch unter diesem Gesichtspunkt erweist sich das Vorhaben als rechtlich zulässig.

VI. Rechtfertigung einer allfälligen Persönlichkeits- bzw. Grundrechtsverletzung

Wie dargelegt, ist im Zusammenhang mit dem «Projekt Krematoriumsleichenschau» in aller Regel bereits das Vorliegen einer Persönlichkeits- bzw. Grundrechtsverletzung zu verneinen. Dennoch soll nachfolgend kurz die Frage angesprochen werden, ob eine allfällige Verletzung, sollte sie ausnahmsweise doch vorliegen, gerechtfertigt werden kann. Die Persönlichkeit des Einzelnen ist, wie erwähnt, sowohl im Verhältnis unter Privaten gewährleistet als auch gegenüber staatlichen Eingriffen, d.h. im öffentlichen Recht. Mit Bezug auf die Rechtfertigung einer allfälligen Verletzung der Rechte der Angehörigen ist entsprechend zu unterscheiden:

Das Institut für Rechtsmedizin als Teilbereich der Universität Bern bzw. der dort angestellte Forscher, der das Projekt zusammen mit seinen ebenfalls öffentlich-rechtlich angestellten Mitarbeitern durchführen will, dürfte mit seinem Handeln zweifellos dem öffentlichen Recht unterstehen. Die Rechtfertigung einer Persönlichkeits- bzw. Grundrechtsverletzung misst sich daher an Art. 36 BV, d.h. erforderlich ist eine hinreichende

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gesetzliche Grundlage, ein überwiegendes öffentliches Interesse, und die Grundrechtseinschränkung muss überdies verhältnissmässig sein.

67 Bei fotografischen Abbildungen, in denen eine Person «Beiwerk» ist, ist gemäss Bundesgericht eine Persönlichkeitsverletzung zu bejahen; dazu u.a. BGE 138 II 346 E. 8.3.

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Das privatrechtlich organisierte Krematorium, das aufgrund privatrechtlicher Verträge mit den Bestattern bzw. gestützt auf die genossenschaftliche Verbindung mit diesen tätig wird und das dem Forscher die Durchführung des Forschungsprojekts erst ermöglicht, ist kein staatlicher Akteur. Würde man das Krematorium aus diesem Grund als Miturheber einer privatrechtlichen Persönlichkeitsverletzung bezeichnen,68 müsste die Rechtfertigung nach Art. 28 Abs. 2 ZGB erfolgen. Die Verletzung müsste durch Einwilligung, überwiegendes öffentliches oder privates Interesse oder Gesetz gerechtfertigt sein.69 Die Rechtfertigung durch Einwilligung der Angehörigen wird nachfolgend nicht näher geprüft, würde doch das Einholen der Einwilligung im Einzelfall und der Verzicht auf die Leichenschau bei deren Ausbleiben die Forschungsergebnisse verfälschen.

Als gesetzliche Grundlage des Projekts lässt sich die in Art. 20 BV verankerte Forschungsfreiheit anrufen.

Dieses Grundrecht schützt die wissenschaftliche Forschung und umfasst die Gewinnung und Weitergabe menschlicher Erkenntnisse durch die freie Wahl von Fragestellungen, Methode und Durchführung.70 Auch in Art. 21 der Kantonsverfassung (KV)71 sowie in Art. 10 des Gesetzes über die Universität (UniG)72 des Kantons Bern ist die Gewährleistung der Freiheit von Forschung und Lehre festgehalten. Die Universität Bern (und damit auch das IRM) ist innerhalb der Grenzen von Verfassung und Gesetz autonom.73 Diese Autonomie gilt auch für die Wissenschaftsfreiheit. Je schwerer ein Eingriff wiegt, desto differenzierter muss dieser in der gesetzlichen Grundlage umschrieben werden. Da nicht von einem schweren Eingriff in den verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutz der Angehörigen ausgegangen werden kann, besteht für das geplante Forschungsprojekt mit Art. 10 UniG in Bezug auf die Normdichte und sodann auch in Bezug auf die Normstufe nach Auffassung der Autorinnen eine genügende gesetzliche Grundlage.

Das Forschungsinteresse des IRM wurde eingangs bereits umschrieben; es handelt sich dabei um ein öffentliches Interesse, sodass auch die zweite Voraussetzung der Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs vorliegt.

Sodann ist auch die Verhältnissmässigkeit, die im Kern deckungsgleich ist mit der Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen, zu bejahen. Es besteht ein erhebliches

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Interesse der Öffentlichkeit (und meist auch der Angehörigen) daran, dass jeder Todesfall korrekt einer Ursache zugeodnet wird und keine aussergewöhnlichen Todesfälle übersehen werden. Indem das Forschungsprojekt dazu beitragen will, die Qualität der ärztlichen Leichenschau zu prüfen und zu verbessern, dient es daher einem erheblichen öffentlichen Interesse. Die Forschung im Rahmen der Krematoriumsleichenschau dient sodann im weiteren Sinn auch der Weiterentwicklung der Medizin und bezweckt damit als mittelbares Fernziel die Lebensrettung.74 Sollten im Rahmen des Projekts unerkannte Straftaten aufgedeckt werden, so trägt dies zur Wahrung des öffentlichen Interesses an einer Verfolgung von Offizialdelikten bei. Auf der anderen Seite haben Angehörige das Interesse, dass Forscher nicht ihre Privatsphäre (mit Bezug auf Sargbeigaben) und ihr Pietätsgefühl verletzen, indem der Sarg unmittelbar vor der Verbrennung nochmals geöffnet wird. Selbst wenn man diesen Interessen der Angehörigen im Einzelfall den Charakter einer Verletzung beimisst, muss die Interessenabwägung zu Gunsten der Forschungsinteressen ausfallen.

Liegen nach dem Gesagten eine hinreichende gesetzliche Grundlage und ein öffentliches Interesse vor und überwiegt schliesslich (im Rahmen einer Verhältnismässigkeitsprüfung) dieses Forschungsinteresse die Integritätsinteressen der Angehörigen, so ist nicht nur ein allfälliger Grundrechtseingriff gerechtfertigt, sondern es ist auch – soweit man das Projekt dem Privatrecht zuordnen will – der Rechtfertigungsgrund des überwiegenden öffentlichen Interesses nach Art. 28 Abs. 2 ZGB zu bejahen. Die zivilrechtliche Interessenabwägung ist insofern identisch mit jener, die im öffentlichen Recht im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung erforderlich ist. Unabhängig von der rechtlichen Zuordnung des Verhaltens des

68 Zur weit gefassten Passivlegitimation bei privatrechtlichen Persönlichkeitsverletzungen s. etwa Aebi-Müller Regina, in: Breitschmid Peter/Jungo Alexandra (Hrsg.), Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Art. 1–456 ZGB, PartG, 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2016, Art. 28a ZGB N 3.

69 Exemplarisch: CHK-Aebi-Müller (Fn. 68), Art. 28 ZGB N 29 ff.

70 Biaggini Giovanni, Orell Füssli-Kommentar, BV Kommentar, 2. Aufl., Zürich 2017, Art. 20 BV N 3 ff.; BGE 127 I 145 E. 4b.

71 Verfassung vom 6. Juni 1993 des Kantons BE (KV; BSG 101.1).

72 Gesetz vom 5. September 1996 über die Universität (UniG; BSG 436.11).

73 Art. 1 Abs. 2 UniG Bern.

74 Vgl. Tag, Sektion (Fn. 36), S. 46.

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Forschungsteams bzw. des Krematoriums erweist sich eine allfällige Persönlichkeitsverletzung daher als rechtmässig.

VII. Ergebnis

Das Forschungsprojekt «Krematoriumsleichenschau» hat die Gemüter bewegt. Dass der Tod und das Abschiednehmen von einer verstorbenen Person emotional aufgeladene Themen sind, versteht sich von selbst. Bei einer nüchternen rechtlichen Betrachtungsweise bleibt von den Vorwürfen der Projektgegner allerdings nicht viel übrig:

Persönlichkeitsrechte und insbesondere die Privatsphäre des Verstorbenen werden nicht tangiert, weil die Persönlichkeit mit dem Todeseintritt ein Ende gefunden hat. Eigentumsrechte der Erben oder der Angehörigen werden schon deshalb nicht verletzt, weil am Leichnam kein Eigentum i.S. des Sachenrechts bestehen kann. Bestimmungsrechte der Angehörigen können sich zwar sehr wohl auf die Art und den Ort der Bestattung beziehen, gehen aber nicht so weit, dass die rein äusserliche Leichenschau davon umfasst wäre. Persönlichkeitsrechte der Angehörigen können ausnahmsweise tangiert sein, wenn bei der Krematoriumsleichenschau Sargbeigaben, die den Blicken Dritter entzogen sein sollten, durch die Forschenden (flüchtig) gesehen werden. Will man insofern – ausnahmsweise – das Vorliegen einer rechtlich relevanten Persönlichkeits- bzw. Grund-

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rechtsverletzung bejahen, so ist aber nach Auffassung der Autorinnen des Beitrags angesichts des hohen Forschungsinteresses ein Rechtfertigungsgrund zu bejahen. Das Projekt erweist sich daher als zulässig. Die eingangs erwähnten Bedenken der Kritiker laufen damit ins Leere. Gewichtet man die Persönlichkeitsrechte der Angehörigen höher als das Forschungsinteresse, das letztlich die Aufklärung (womöglich schwerer) Straftaten zum Ziel hat, droht – um mit den Worten des Jubilars (freilich in etwas anderem Kontext) zu schliessen – «neben einer postmortalen Persönlichkeitsverherrlichung eine Sterbe-Bürokratie zu entstehen»75.

75 Breitschmid/Matt (Fn. 61), S. 104.

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