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Veröffentlichungsreihe der Arbeitsgruppe Public Health Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

ISSN-0935-8137

P96-209

The Patient Looks at the Care System:

Das stationäre Versorgungsgeschehen aus der Perspektive von Aids-Patienten

von Katrin Witte

Berlin, Oktober 1996

Publications series of the research unit Public Health Policy

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung D-10785 Berlin, Reichpietschufer 50

Tel.: 030/25491-577

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Das vorliegende Dokument ist die pdf-Version zu einem Discussion Paper des WZB. Obschon es inhaltlich identisch zur Druckversion ist, können unter Umständen Verschiebungen/Abweichungen im Bereich des Layouts auftreten (z.B. bei Zeilenumbrüchen, Schriftformaten und – größen u.ä.).

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Sie sollten daher, um allen Missverständnissen vorzubeugen, aus diesem Dokument in der folgenden Weise zitieren:

Witte, Katrin: The Patient Looks at the Care System: Das stationäre Versorgungsgeschehen aus der Perspektive von Aids-Patienten. Discussion Paper P96-209. Berlin :

Wissenschaftszentrum, Berlin. 1996.

URL: http://bibliothek.wz-berlin.de/pdf/1996/p96-209.pdf

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Abstract

Die vorliegende Arbeit zielt auf die Optimierung der stationären Versorgung von Aids- Patienten. Ausgehend von der Auswertung qualitativer Patienteninterviews wird für verschiedene Angebote im stationären Bereich des Berliner Gesundheitswesens die Frage gestellt, ob sie den Bedürfnissen, Wünschen und Erfordernissen der Patienten entsprechen und dem Erhalt ihrer Autonomie und Lebensqualität förderlich sind. Ziel der Untersuchung ist es, einen Beitrag zu einer verbesserten, patientenorientierten, integrierten und kontinuierlichen Versorgung chronisch Kranker zu leisten. Durch die Analyse der Interviews sollen Vorzüge und Defizite stationärer Einrichtungen und ihrer Vernetzungen erkennbar gemacht und somit eine Evaluation von Versorgungsverhältnissen ermöglicht werden, die die subjektive Erfahrung und das differenzierte Qualitätsurteil der Betroffenen achtet und nutzt.

Die Arbeit entstand im Kontext der vom BMFT geförderten und am Wissenschaftszentrum Berlin durchgeführten Studie „Versorgungsverläufe von Aids-Patienten. Prozessurale und dynamische Aspekte der Versorgungsnutzung" - FKZ: V-034-92 (Projektleitung: Prof. Dr.

Rolf Rosenbrock, Dr. Doris Schaeffer).

Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Arbeitsgruppe Public Health am Wissen- schaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Herrn Rosenbrock, Frau Schaeffer, Frau Muthesius und Herrn Bredemeyer möchte ich recht herzlich für ihre vielfältigen Anregungen und ihre Unterstützung danken, die sie mir bei der Herstellung dieser Arbeit zukommen ließen.

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Inhaltsverzeichnis

Seite

1. Einleitung 1

1.1 Innovation im Zeichen von Aids ... 1

1.2 Zur Public-Health-Relevanz ... 2

1.3 Ein patientenzentrierter Qualitätsbegriff als Grundlage der Untersuchung... 3

1.4 Das Datenmaterial ... 5

1.5 Die stationäre Aids-Krankenversorgung als Gegenstand der Untersuchung... 6

1.6 Zur Methode... 9

1.6.1 Gegenstandsangemessene qualitative Methode ... 9

1.6.2 Methodisches Vorgehen... 11

2. Hinderungsgründe und Bestimmungsfaktoren einer patientenorientierten Versorgung im Krankenhaus 13

2.1 Einleitung... 13

2.2 Verhaltensbezogene Determinanten von Patientenorientierung... 15

2.2.1 Der verengte ärztliche Blick... 15

2.2.2 Informationsbegrenzung... 18

2.2.3 Beziehungslosigkeit... 22

2.3 Organisatorische Determinanten von Patientenorientierung... 26

2.3.1 Die Inhumanität der Institution Krankenhaus ... 26

2.3.2 Arbeitszergliederung, Spezialisierung ... 29

2.3.3 Desintegration ... 31

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3. Auswertung 37

3.1 Die Sicht der Patienten auf nicht-aidsspezialisier-

te Krankenhäuser 35

3.1.1 Die Ärzte aus der Sicht der Patienten ... 35

3.1.1.1 Medizinische Expertise... 35

3.1.1.2 Information, Beteiligung... 37

3.1.1.3 Begleitung ... 39

3.1.2 Das Pflegepersonal aus der Sicht der Patienten... 40

3.1.3 Die psychosoziale Betreuung aus der Sicht der Patienten ... 42

3.1.4 Die Versorgungsorganisation aus der Sicht der Patienten... 43

3.1.4.1 Interne Organisation... 43

3.1.4.2 Externe Organisation... 43

3.1.5 Zusammenfassung der Ergebnisse... 45

3.2 Die Sicht der Patienten auf das Auguste-Viktoria- Krankenhaus 50

3.2.1 Die Ärzte aus der Sicht der Patienten ... 50

3.2.1.1 Medizinische Expertise ... 50

3.2.1.2 Information, Beteiligung ... 54

3.2.1.3 Begleitung ... 61

3.2.2 Das Pflegepersonal aus der Sicht der Patienten ... 63

3.2.3 Die psychosoziale Betreuung aus der Sicht der Patienten ... 67

3.2.3.1 Die Psychologen ... 67

3.2.3.2 Der Sozialdienst ... 69

3.2.3.3 Die Berliner Aids-Hilfe... 71

3.2.4 Die Versorgungsorganisation aus der Sicht der Patienten ... 73

3.2.4.1 Die Organisation der Aufnahme... 74

3.2.4.2 Die Organisation des Stationsalltages ... 75

3.2.4.3 Die Entlassungsorganisation ... 77

3.2.5 Sterben im AVK... 81

3.2.6 Zusammenfassung der Ergebnisse ... 85

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4. Bilanzierung und Diskussion 89

4.1 Einleitung... 89

4.2 Medizinische Expertise... 90

4.3 Information... 96

4.4 Begleitung ... 101

4.5 Organisation des Stationsalltages ………..…… 105

4.6 Entlassungsorganisation ... 106

4.7 Schlußbemerkung ... 109

5. Literaturverzeichnis 111

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1. Einleitung

1.1 Innovation im Zeichen von Aids

"Und wahrhaftig entdeckte ich etwas Hingerissenes und Sanftes in ihrer Gräßlichkeit, gewiß ist es eine Krankheit zum Tode, doch rafft sie einen nicht dahin, es ist eine Krankheit in Stufen, eine sehr lange Treppe, die mit Sicherheit zum Tod führt, aber deren jede Stufe ein Lernen ohnegleichen bedeutet, es ist eine Krankheit, die Zeit zum Sterben gibt, und die dem Tod Zeit zum Leben gibt, Zeit, die Zeit zu entdecken und endlich das Leben zu entdecken..." (Guibert 1993:173).

Das Auftauchen der übertragbaren und unheilbaren Immunschwächekrankheit Aids und ihre besonders zu Beginn der Pandemie häufig überaus dramatische Darstellung in den Medien führte zu einer nicht unbedingt realistischen, aber dennoch produktiven Gefahrenwahrnehmung in der Öffentlichkeit, die sich in einer plötzlichen sowie auch beträchtlichen Steigerung der Reform- und Ausgabenbereitschaft der staatlichen Akteure niederschlug (Rosenbrock 1992:5).

Die vielfältigen beachtlichen Neuerungen, die im Zuge des Auftretens von Aids ein- geführt und erprobt werden konnten, sind auf die Herstellung größtmöglicher Versorgungsintegration, d.h. auf eine stetige und lückenlose medizinische, pflegerische und psychosoziale Versorgung der Patienten gerichtet. Es entstanden neue Formen einer engmaschigen berufs- und institutionsübergreifenden Kooperation, die vor allem die tiefe Kluft zwischen ambulanter und stationärer Versorgung überbrücken sollten. Dem grundlegenden Reformprinzip -ambulant vor stationär- wurde durch den gezielten Ausbau ambulanter Pflegedienste Rechnung getragen. Die Herausbildung von Aids-Schwerpunktpraxen, die eng mit den Krankenhäusern zusammenarbeiten und weitreichende Aufgaben der Versorgungssteuerung übernehmen, die Schaffung aidsspezialisierter stationärer und teilstationärer Angebote, die Öffnung der Einrichtungen der professionellen Krankenversorgung für Angehörige und informelle Helfergruppen sind weitere Reformansätze, die im Rahmen der Aids-Krankenversorgung verwirklicht werden konnten. Angesichts der Vielfalt der Innovationen kann tatsächlich festgestellt werden, daß Aids die erstarrten Strukturen der Krankenversorgung in Bewegung gebracht hat (Schaeffers, Moers 1992).

In zwei am Wissenschaftszentrum Berlin durchgeführten Studien standen diese Innovationen im Mittelpunkt. Zunächst erfolgte eine Versorgungspfadanalyse (Schaeffer, Moers 1992, 1993, 1993a und b, 1994, 1995; Schaeffer, Moers, Rosenbrock 1992,

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1992a), die sich mit der Untersuchung der von den Akteuren des Krankenversor- gungssystems bereitgestellten Versorgungsangebote und -pfade, mit der Deskription der vielfältigen Einrichtungen der Aids-Krankenversorgung, ihrer Schnittstellen und komplexen Vernetzungen, befaßte. Da diese Untersuchung maßgeblich auf Experteninterviews beruhte, die mit professionellen Akteuren aus stationären und ambulanten Einrichtungen geführt wurden, standen hier die subjektiven Sichtweisen der Leistungsanbieter und ihre Steuerungspraktiken im Vordergrund des Interesses; der Blick auf das Versorgungsgeschehen erfolgte hier vornehmlich aus ihrer Perspektive.

Während die Versorgungspfadanalyse die von den professionellen Akteuren geebneten Wege erkennbar macht, zielt die Patientenpfadanalyse (Rosenbrock, Moers, Schaeffers 1992,1993,1995) auf das reale Nutzungsverhalten und subjektive Erleben der Erkrankten. Ausgehend von der Auswertung qualitativer Patienteninterviews werden hier die Wege und Irrwege der Erkrankten durch die Vielfalt des Versorgungswesens nachgezeichnet sowie ihre Sichtweisen des Versorgungsgeschehens analysiert. In der vorliegenden Untersuchung wird ein Detailaspekt bearbeitet und nach dem Qualitätsurteil der Patienten hinsichtlich des Krankenhausgeschehens gefragt. Beleuchtet werden ihre Wahrnehmung der Versorgungsrealität, ihre Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche sowie ihr Erleben des Geschehens im Krankenhaus und gefragt, welche Konsequenzen daraus für die Gestaltung der Arbeit und der Krankenbehandlung erwachsen.

1.2 Zur Public-Health-Relevanz

Ist nun eine Untersuchung, die auf die Optimierung der Versorgung Schwerstkranker und Sterbender ausgerichtet ist und auf der Analyse von Einzelfällen beruht, überhaupt Public Health zuzurechnen?

Der Wandel des Krankheitspanoramas in den modernen Industriegesellschaften, der durch die starke Zunahme chronischer Erkrankungen und durch die steigende Anzahl multimorbider hochbetagter Patienten gekennzeichnet ist, erfordert auf große Populationen orientierte versorgungspolitische Maßnahmen zur Sicherstellung des gewachsenen Hilfe- und Pflegebedarfs. Dieser Entwicklung trägt auch die Ottawa-Charta Rechnung, wenn sie eine "Neuorientierung von Gesundheitsdiensten" (WHO 1986; Trojan, Stumm 1992: 90) auf die Bedürfnisse chronisch kranker und pflegebedürftiger Patienten als wesentliches Ziel eines neuen, auf Partizipation beruhenden Public Health Konzeptes für die entwickelten Industrieländer Westeuropas und Nordamerikas nennt (Badura 1994:63). Da die vorliegende Untersuchung nicht vorrangig und unmittelbar auf die Gestaltung der konkreten Betreuungsverhältnisse einzelner Individuen orientiert ist, sondern vor allem aus "makrostruktureller Perspektive" (Schaeffer, Moers, Rosenbrock

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1994: 20) auf Modifikationen des Krankenversorgungssystems zielt, kann sie mit Sicherheit als zu Public Health gehörig betrachtet werden. Geht es doch in dieser Arbeit gerade darum, ausgehend vom Urteil chronisch kranker Patienten, Verbesse- rungsvorschläge für den Prozeß der Umstrukturierung und Anpassung eines prioritär akut- und individualmedizinisch ausgerichteten stationären Versorgungssystems an das gewandelte Krankheitspanorama zu erarbeiten. Daß die Adäquatheit der Maßstäbe, die der Steuerung der Krankenversorgung zugrundeliegen, auch immer wieder am Einzelfall überprüft werden sollte, ist eine Forderung, der die vorliegende Untersuchung gleichermaßen Rechnung zu tragen sucht.

Es ist jedoch nicht allein die Orientierung auf versorgungsstrukturelle Zusammen- hänge, sondern auch die inhaltliche Grundkonzeption dieser Arbeit, die es rechtfertigt, ihre Public Health Relevanz zu reklamieren. Es wird zu zeigen sein, daß die vorliegende Untersuchung auf ein neues Verständnis der Versorgung chronisch Kranker und Pflegebedürftiger zielt, demzufolge sich die Optimierung ihrer Betreuung keineswegs in der Linderung oder Beseitigung von Krankheitssymptomen erschöpft, sondern immer auch auf die Stärkung salutogener Potentiale gerichtet ist, die die Bewältigung eines Lebens mit chronischer Erkrankung ermöglichen und erleichtem. Erweitert sich der Blick auf die sozialen und psychischen Bewältigungspotentiale der Patienten und ihrer Umwelt, so kündigt sich darin auch die Überwindung des begrenzten biomedizinischen Paradigmas an, die sowohl für New Public Health als auch für ein neues Pflegeverständnis grundlegend ist. Wenn die vorliegende Analyse "...darauf hinarbeite(t), ein Versorgungssystem zu entwickeln, das auf die stärkere Förderung von Gesundheit ausgerichtet ist und über die medizinisch-kurativen Betreuungsleistungen hinausgeht" (WHO 1986; Trojan, Stumm 1992:90) und wenn zugleich eine patientenorientierte Versorgung zum Maßstab erhoben wird, die auch darauf ausgerichtet ist, die gesundheitsförderlichen Potentiale der Patienten in ihrem sozialen Kontext zu mobilisieren und zu stärken, dann ist sie unzweifelhaft unter Public Health zu subsumieren.

1.3 Ein patientenzentrierter Qualitätsbegriff als Grundlage der Untersuchung

Während die Zufriedenheit der Patienten mit der ärztlichen Behandlung in den USA bereits seit den 60er Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen ist, wächst in Deutschland erst in jüngerer Zeit die Bereitschaft, dem Urteil der Patienten Beachtung zu schenken (Mielck et al. 1993:142). Für dieses zwar neue, aber stetig zunehmende Interesse an der Meinung der Patienten zum Versorgungsgeschehen werden verschiedene Gründe benannt: So wird angeführt, daß man der Patientenzufriedenheit heute verstärkte Bedeutung beimesse, weil immer mehr zur Kenntnis genommen werde, daß die psychische Befindlichkeit der

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Erkrankten einen entscheidenden Einfluß auf den medizinischen Behandlungserfolg sowie auch auf das zukünftige Inanspruchnahmeverhalten und die Compliance ausübe (Calnan 1988:927; Mielck et al 1993:142; Sträub 1993:

378). Ais weiterer Grund für das wachsende Interesse am Urteil der Patienten werden politisch-demokratische Bestrebungen genannt, die besonders seit der basisorientierten Deklaration von Alma Ata (1978) darauf drängen, Patienten größere Beteiligung zu gewähren, um so ihre Position gegenüber Leistungserbringern und Staat zu stärken (ebd.). Ferner wird auf das Wirken ökonomischer Interessen hingewiesen, die bei zunehmender Konkurrenz im Gesundheitswesen auf das Urteil des Kunden setzen, um Wettbewerbsvorteile zu erlangen (Mielck et al. 1993: 142). Schließlich werden auch berufsethische Motive angeführt, die auf eine stärkere Orientierung ärztlichen Handelns auf die Bedürfnisse der Patienten zielen (Calnan 1988:927).

Neben diesen in ihrer Motivation und Ausrichtung sehr unterschiedlichen Einflußgrößen sollte noch ein weiterer wesentlicher Faktor Erwähnung finden, mit dem das gestiegene Interesse am Urteil des Patienten erklärt werden kann: Vor dem Hintergrund vermehrten ökonomischen Drucks wächst auch im Gesundheitswesen immer mehr die Einsicht, daß Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung transparent, überprüfbar und vergleichbar sein sollten.

Patientenzufriedenheit gelangt so im Rahmen von Qualitätssicherungsprogrammen als eine wesentliche Komponente der Ergebnisqualität zunehmend ins Blickfeld.

Sollen Maßnahmen zur Qualitätssicherung nicht allein der Kostendämpfung im Ge- sundheitswesen, sondern vor allem auch dem Wohle der Erkrankten dienen, so ist es erforderlich, einen "patientenzentrierten Qualitätsbegriff (Klemperer 1996: 22) zugrundezulegen, der nicht nur auf klinische Effektivität oder ökonomische Effizienz zielt, sondern die soziale Akzeptanz der Versorgungsleistung zum zentralen Maßstab erklärt. Eine Definition von Versorgungsqualität, die die Wünsche und Erwartungen der Patienten in den Mittelpunkt rückt, wurde vom Institut of Medicine der National Academy of Sciences der USA 1990 formuliert. Demzufolge "(ist) Qualität der Behandlung das Maß, in dem die gesundheitliche Versorgung von Individuen oder Gruppen die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß von Patienten erwünschte, auf die Gesundheit bezogene Ergebnisse erzielt werden, und zwar in Übereinstimmung mit dem aktuellen (professionellen Wissen)1" (Klemperer 1996:

22). In Anlehnung an diese Definition soll

1) Der Originaltext lautet: "Quality of care is the degree to which health Services for individuals and populations increase the likelihood of desired outcomes and are consistant with current Professional knowledge" (Klemperer 1966: 22). Klemperer übersetzt "consistant with current professionell knowledge" mit" in Übereinstimmung mit dem aktuel-

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in der vorliegenden Untersuchung sowohl das Qualitätsurteil der Patienten erkennbar gemacht als auch der schwierige Versuch einer Annäherung an die zugrundeliegenden Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen unternommen werden, die sich im Prozeß der Auseinandersetzung mit der vorgefundenen Versorgungsrealität offenbaren. Wenn auch der Standpunkt des Patienten gewählt und seinem Urteil Beachtung geschenkt werden sollte, so muß doch auch berücksichtigt werden, daß er keineswegs immer Recht hat (Sträub 1994:148); es bedarf des Diskurses zwischen Nutzem und Leistungsanbietern, in den das Wissen und die Visionen aller Berufsgruppen und keineswegs nur die Einschätzungen des ärztlichen Berufsstandes einfließen sollten.

1.4 Das Datenmaterial

Das zugrundeliegende Datenmaterial umfaßt 43 Interviews, die mit 32 Patienten geführt wurden. Den epidemiologischen Realitäten entsprechend, ist der größte Teil der Befragten homosexuell. Jene acht Frauen, die an der Studie teilnahmen, wurden überwiegend durch intravenösen Drogenkonsum infiziert. Einbezogen in die Untersuchung wurden sowohl der Mittelschicht angehörende Homosexuelle als auch Repräsentanten sozial benachteiligter Schichten und Gruppen. Befragt wurden lediglich Aids-Erkrankte, d.h. Patienten, bei denen schon manifeste Symptome der Infektion aufgetreten waren und die bereits formelle oder informelle Hilfen in Anspruch genommen hatten. Der Zugang zu den Patienten gelang vor allem mit Hilfe der professionellen Akteure, die bereits im Rahmen der Vorläufer- Studie interviewt worden waren sowie auch durch Vermittlung der Aids-Community.

Hinsichtlich des Grades ihrer Strukturiertheit und bezüglich ihres Inhalts differieren die Interviews stark voneinander. Es liegen sowohl problemzentrierte Interviews vor, die vornehmlich auf die Erfragung des Krankheits- und Versorgungsverlaufes gerichtet sind, als auch Interviews mit stark narrativen Zügen, die nicht nur auf die Versorgungsnutzung sondern ebenso auf die lebensweltlichen Bedingungen der Erkrankten und ihren gesamten biographischen Kontext zielen. Letztere müssen im Zusammenhang mit einer Erweiterung der Fragestellung gesehen werden, die sich im Verlauf der Studie als sinnvoll erwies: Eine tiefergehende Analyse des Nutzungshandelns, die dieses als Bestandteil einer umfassenden Arbeit zur Krankheitsbewältigung (Corbin, Strauss 1993) begreift, erforderte eine breitere Befragung, die sich auf Lebenswelt und Biographie der Patienten erstreckt (Rosenbrock, Moers, Schaeffer 1995: 2). Daß im Prozeß

len Wissen des Berufsstandes" und meint damit wohl allein den ärztlichen. Meines Erachtens sollten aber alle an der Versorgung beteiligten Professionen gemeint sein.

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der Datenerhebung und Auswertung neue Entscheidungen zur Auswahl des empiri- schen Materials getroffen werden können, entspricht dem von Strauss beschriebenen Konzept des Theoretical Sampling" (1994:70), bei dem die Datensammlung nicht nach einem vorab festgelegten Plan, sondern nach den Erfordernissen der allmählich emergierenden Theorie erfolgt, bis deren theoretische Sättigung erreicht ist (Vgl. Flick 1992:4).

1.5 Die stationäre Aids-Krankenversorgung als Gegenstand der Untersuchung Die stationäre Behandlung von Aids-Patienten in Berlin konzentriert sich im wesentlichen auf drei verschiedene Krankenhäuser, die Universitätsklinika Benjamin Franklin und Rudolf Virchow sowie das Auguste-Viktoria-Krankenhaus, in denen durch die Umsetzung eines jeweils unterschiedlichen Betreuungsmodells versucht wird, eine krankheitsangemessene, integrierte und lückenlose Versorgung zu gewährleisten. In Anbetracht überlanger kostenintensiver Krankenhausaufenthalte und vor dem Hintergrund der zunehmenden Chronifizierung und ambulanten Behandelbarkeit der Aids-Erkrankung entstanden in diesen Kliniken neue Versorgungsformen, die vornehmlich darauf zielen, unvermeidbare und kurze stationäre Behandlungen mit einer prioritär im häuslichen Bereich stattfindenden medizinischen und pflegerischen Betreuung eng zu ver- knüpfen.

Eine Behandlung von Aids-Erkrankten außerhalb dieser, mit besonderen finanziellen und personellen Mitteln ausgestatteten Schwerpunktkrankenhäuser, bildet in Berlin eher die Ausnahme. Vereinzelte Patienten geraten meist zufällig, z.B. als Notfall, in nicht-aidsspezialisierte Kliniken oder weil andere Krankheitsbilder Vorrang besitzen sowie auch zu Beginn ihrer Erkrankung, wenn die Infektion erstmalig diagnostiziert wird. Im Verlauf des fortschreitenden Krankheitsprozesses finden dann nahezu alle Patienten den Weg in eine aidsspezialisierte Einrichtung.

Im Universitätsklinikum Benjamin Franklin wurde im Bereich der internistischen Poliklinik eine Ambulanz für Aids-Erkrankte eingerichtet, die als Bindeglied zwischen ambulantem und stationärem Sektor fungieren soll.

Versorgungsintegration hoffte man hier sowohl durch eine enge Einbindung des neuen Angebotes in das Krankenhaus als auch durch eine intensive institutionsübergreifende Zusammenarbeit der Ambulanzärzte mit ihren niedergelassenen Kollegen herzustellen. Die neue Einrichtung sollte vor allem solchen Erkrankten dienen, deren medizinische Behandlungserfordernisse die diagnostischen und therapeutischen Kenntnisse und Möglichkeiten ihrer nicht- aidsspezialisierten Hausärzte übersteigen, ohne daß dabei eine stationäre Versorgung bereits oder noch geboten wäre. Erweist sich eine Krankenhauseinweisung dennoch als unumgänglich, so werden die Patienten nicht

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nicht auf einer speziellen Station für AidsErkrankte, sondern jeweils, der im Vordergrund stehenden Symptomatik entsprechend, in unterschiedlichen Fachabteilungen des Hauses behandelt. Der Verzicht auf aidsspezialisierte Stationen kommt gerade jenen Patienten entgegen, die angesichts einer mit Stigmatisierungen behafteten Erkrankung Wert auf Anonymität legen (Schaeffer, Moers 1992).

Das Betreuungsmodell in der internistisch-infektiologischen Abteilung des Universitätsklinikums Rudolf Virchow verbindet die stationäre Behandlung mit einer Tagesklinik, die werktags lange geöffnet und auch am Wochenende in dringenden Fällen zugänglich ist. Eine integrierte und kontinuierliche Versorgung der Erkrankten soll auch hier durch eine feste Anbindung der neuen teilstationären Einrichtung an die unmittelbar benachbarten Infektionsstationen sowie durch eine verstärkte Kooperation mit den Hausärzten erreicht werden. Im Gegensatz zu der dezentralen Arbeitsweise der Ambulanz im Universitätsklinikum Benjamin Franklin, in der auch die Untersuchungen ambulanter Patienten überwiegend an die respektiven Fachabteilungen im Hause delegiert werden, verfügt man hier über umfassende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, die es erlauben, die meisten Behandlungen in der Tagesklinik selbst durchzuführen. Auch in diesem Krankenhaus finden sich vermehrt Patienten, die eine Offenlegung ihrer Erkrankung und sexuellen Identität eher scheuen. In der infektiologischen Abteilung werden Aids-Patienten gemeinsam mit anders Erkrankten untergebracht, wobei ihr Anteil auf einer Station nach der in dieser Klinik verfolgten Integrationsstrategie ein Fünftel nicht überschreiten soll (Schaeffer, Moers 1992:99).

Als Ergebnis der strukturanalytischen Versorgungspfadanalyse zeigt sich, daß beide Betreuungsmodelle ihrem programmatischen Anspruch auf eine enge Verknüpfung von ambulanter und stationärer Versorgung in der Praxis nur unzureichend zu entsprechen vermögen (Schaeffer, Moers 1992). Eine wirklich enge Einbindung der neuen Angebote in das Netz ambulanter Betreuungseinrichtungen konnte in beiden Krankenhäusern nicht in zufriedenstellendem Maße gelingen. Als problematisch und folgenreich für das zentrale Anliegen dieser Betreuungsmodelle, die Herstellung von Versorgungskon- tinuität, erwies sich vor allem ein Wandel ihres Aufgabenprofils, der sich allmählich und eher unbeabsichtigt, infolge der zunehmenden Nachfrage primärversorgender Leistungen durch die Patienten vollzog. Aufgrund der verstärkten übernähme versorgungsorganisatorischer und psychosozialer Aufgaben, für die weder die Ambulanz noch die Tagesklinik ausreichend ausgerüstet sind, geraten diese Einrichtungen sowohl an die Grenzen ihrer Kapazitäten als auch in eine unproduktive Konkurrenz zu niedergelassenen Ärzten, denen sie ihre Klientel streitig machen. Als nachteilig für die Patienten wirkt sich die wachsende Entfremdung von ihren Hausärzten aus; besonders im Spätstadium der Erkrankung, bei Eintritt von Pflegebedürftigkeit, die eine intensive ärztliche

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Betreuung im häuslichen Bereich erfordert, drohen gravierende Versorgungseinbrüche, die nur durch eine Krankenhauseinweisung kompensiert werden können, die an sich vermeidbar wäre. Mit der zunehmenden Verlagerung der Versorgung Aids-Erkranker in den stationären Bereich, die sich in diesen beiden Betreuungsmodellen abzeichnet, kann ein zufriedenstellender Beitrag zur Herstellung einer integrierten und kontinuierlichen Versorgung wohl kaum geleistet werden; es ist im Gegenteil sogar zu befürchten, daß sich die Kluft zwischen ambulanter und stationärer Versorgung hier noch weiter vertiefen könnte (ebd.).

Das dritte aidsspezialisierte Angebot, das "Schöneberger Modell", in dessen Mittelpunkt das Auguste-Viktoria-Krankenhaus (AVK) steht, ist ein umfassendes innovatives Projekt zur Krankenversorgung, das nach dem Vorbild des General Hospital in San Francisco auf größtmögliche Versorgungsintegration setzt. Bei diesem Betreuungsmodell werden keine neuen Elemente, Einrichtungen oder Instanzen, in das bestehende System der Krankenversorgung eingefügt; es beruht auf einer neuen Gewichtung der vorhandenen Kräfte und auf der Verdichtung und Verstärkung ihrer Kooperation. Eine weitreichende Verkürzung der Liegezeiten zugunsten einer Pflege im vertrauten häuslichen Bereich ist eine vorrangige Zielsetzung dieses Modells. Durch eine intensive, vornehmlich auf persönlichen Arbeitsbeziehungen beruhende Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten, insbesondere den aidsspezialisierten Schwerpunktpraxen, soll eine kontinuierliche Versorgung und gleichbleibend fachkompetente medizinische Betreuung sichergestellt werden. Eine enge berufsübergreifende Kooperation bei der Entlassungsorganisation und die Öffnung des Krankenhauses für die ambulanten Pflegedienste, die schon hier Kontakt zu den Patienten aufnehmen können, soll zu einem lücken- und problemlosen Transfer in die ambulante Versorgung beitragen.

Durch die Einbindung von Angehörigen und Selbsthilfegruppen sowie durch die Ak- zeptanz der besonderen Bedürfnisse und Lebensweisen der Erkrankten soll eine wirklich patientenorientierte Versorgung erreicht werden (ebd.). Obgleich auch hier zunächst eine Mischbelegung angestrebt wurde, erfolgt die Unterbringung heute, unter dem Druck steigender Fallzahlen, auf reinen Aids-Stationen. So finden sich in dieser Klinik vermehrt homosexuelle Patienten, die offen mit ihrer Erkrankung und ihrem Schwulsein umgehen.

Da sich eine Einschränkung des Gegenstands der Untersuchung im Rahmen dieser Arbeit als unumgänglich erwies, soll sich die Auswertung der Patienteninterviews lediglich auf das Auguste-Viktoria-Krankenhaus sowie auf die Erfahrungen jener Erkrankten beziehen, die in nicht-aidsspezialisierten Kliniken behandelt wurden. Die Wahl fiel auf das im Zentrum des Schöneberger Modells stehende AVK, weil zu dieser Einrichtung

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besonders reichhaltiges und aussagekräftiges Datenmaterial vorliegt und vor allem, weil hier besonders vielversprechende und weitreichende Innovationen eingeführt und erprobt werden konnten; gerade für diese Klinik erschien es daher besonders interessant herauszufinden, wie sich die modellhaften Betreuungskonzepte und neuen Kooperationsmodalitäten auf das stationäre Versorgungsgeschehen auswirken und ob und wie sie von den befragten Patienten erlebt und bewertet werden. Zudem ist das AVK die Klinik mit dem größten Zulauf: Rund die Hälfte aller Berliner Aids-Kranken wurde in dieser Einrichtung behandelt (Einberger-Spiegel, L'age 1992: 306). Wenn hier ebenso die Patientensicht auf nicht-aidsspezialisierte Kliniken analysiert werden soll, so wird damit beabsichtigt, dem innovativen Angebot im AVK das Bild des "normalen" Stationsalltages gegenüberzustellen, das die Erkrankten in ihren Erzählungen entwerfen, um so festzustellen, ob und inwieweit sich die Erfahrungen im Schwerpunktkrankenhaus tatsächlich von den Schilderungen und subjektiven Bewertungen des Versorgungsgeschehens in nicht- aidsspezialisierten Häusern unterscheiden. Es sind sehr unterschiedliche Krankenhäuser und Fachabteilungen, auf die sich die Patienten in ihren Interviews beziehen. Die Befragten schildern Erlebnisse und Erfahrungen aus dem Urban Krankenhaus, dem Krankenhaus Moabit, der Frauenklinik in der Pulsstraße, dem Krankenhaus Neukölln, dem Gertrauden-Krankenhaus sowie auch aus dem Haftkrankenhaus Plötzensee. Während sich 16 Patienten in 27 Interviews zum Versorgungsgeschehen im AVK äußern, finden sich nur bei acht Erkrankten Erleb- nisse und Einschätzungen zu nicht-aidsspezialisierten Kliniken, die sie in zehn Interviews zum Ausdruck bringen. Sechs Befragte konnten über Erfahrungen in beiden Krankenhaustypen berichten.

Alle Patienten, deren Erzählungen in der vorliegenden Untersuchung berücksichtigt werden, sind inzwischen verstorben. Ihnen, die sich trotz krankheitsbedingter Beeinträchtigungen und oftmals erheblicher Schmerzen für eine Befragung zur Verfügung gestellt haben, gelten meine Anteilnahme und mein Dank.

1.6 Zur Methode

1.6.1 Gegenstandsangemessene qualitative Methode

Wenn es, einem patientenorientierten Qualitätsbegriff folgend, das zentrale Anliegen der vorliegenden Untersuchung ist, ein differenziertes und umfassendes Bild der Patientensicht auf das Versorgungsgeschehen nachzuzeichnen, so bedarf es einer Methode, die diesem Ziel angemessen ist. Meine Entscheidung, die vorliegende Arbeit im Rahmen der Patientenpfadanalyse zu erbringen, war nicht nur dem Interesse an Neuerungen in der Aids-Krankenversorgung geschuldet, sondern auch von dem Wunsch geleitet, Methoden qualitativer Sozialforschung zu erproben, die auf die spezifische Situation des einzelnen Erkrankten zielen, den

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Blick auf die Feinstruktur seiner Relevanzkriterien und Handlungsmotivationen lenken und so in besonderem Maße geeignet erscheinen, auch die dem Qualitätsurteil der Patienten zugrundeliegenden Bedürfnisse, Maßstäbe und Erwartungen zu erfassen.

Im deutlichen Kontrast zu einer seit über zwei Jahrzehnten in Fachkreisen geführten kritischen Diskussion um Humanität im Krankenhaus, in der immer wieder die patientenfeindlichen Strukturen und Verhaltensweisen in dieser Instituten beklagt werden (Vgl. Kap. 2), zeigt sich als Ergebnis von Studien zur Patientenzufriedenheit eine erstaunlich positive Bewertung: Rund drei Viertel der Patienten erklären in der Regel ihre hohe Zufriedenheit mit der stationären Versorgung (Raspe 1983:51;

Aust: 1994). Als Gründe für diese auffallend positive Beurteilung des Leistungsgeschehens in der Klinik werden unter anderem die Erleichterung über die gegebenenfalls stattgefundene Genesung genannt sowie auch die besondere von Abhängigkeit und Autonomieverlust geprägte Rolle des Krankenhauspatienten, die eine kritische Auseinandersetzung mit dem Versorgungsgeschehen erschwert (Aust 1994: 34f). Es sind jedoch nicht nur die spezifischen Bedingungen des Krankenhauses, die das Urteil der Befragten zu verzerren scheinen, sondern auch die zur Erhebung der Patientenzufriedenheit angewandten Verfahren, mit denen sich ihre überwiegend positiven Antworten erklären lassen. Werden auf der Grundlage quantitativer, standardisierter Verfahren pauschale, allgemeine Fragen gestellt, so wird relativ unabhängig von der zugrundeliegenden objektiven Situation zumeist eine hohe Zufriedenheit bekundet. Dies gilt nicht nur für Krankenhäuser, sondern auch für Zufriedenheitsuntersuchungen in anderen Lebensbereichen, wie etwa Arbeits- oder Wohnverhältnissen (Ipsen 1978; Feuerstein, Badura 1991:116;

Aust 1994;). Kritik wird meist erst dann geübt, wenn Detailfragen die Aufmerksamkeit der Befragten auf konkrete Teilbereiche des Untersuchungsgegenstandes lenken. So zeigt sich für Krankenhauspatienten, daß Gefühle der Angst und Machtlosigkeit erst im Rahmen tiefergehender Analysen, nach einer ins einzelne gehenden Befragung zum Ausdruck gebracht werden (Aust 1994:28). Da hinter den hohen Zufriedensheitsergebnissen, die auf der Grundlage undifferenzierter, globaler Befragungsverfahren entstehen, ein beträchtliches kritisches Potential verborgen bleiben kann, läßt sich mit ihnen wohl kaum die Qualität und Angemessenheit des stationären Versorgungsgeschehens belegen (Vgl. Feuerstein, Badura 1991: 116). Offensichtlich bedarf es methodischer Verfahren, deren Reichweite die bloße Ermittlung globaler Zufriedenheitswerte übersteigt und die die Möglichkeit offerieren, die "geschichtete Hierarchie bedeu- tungsvoller Strukturen" (Geertz 1983: 12) zu durchdringen um zu einer "dichten Be- schreibung" (ebd.) des Patientenerlebens zu gelangen, die auch die tieferliegenden subjektiven Bedürfnisse und Bewertungsmaßstäbe umfaßt.

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1.6.2 Methodisches Vorgehen

Zunächst erfolgte die thematische Sequenzierung und Identifikation relevanter Textpassagen. Dabei wurden die subjektiven Einschätzungen und Wertungen, die die Patienten bei der Beschreibung ihrer Erfahrungen mit dem Versorgungssystem äußern, herausdestilliert. Schon in dieser ersten Phase der Materialaufbereitung galt das spezielle Interesse der großen Vielfalt der Ausdrucksformen, in denen die subjektive Anteilnahme der Erzählenden am geschilderten Gegenstand erkennbar wird. Wertungen werden ja nicht nur direkt zur Sprache gebracht, sondern zeigen sich auch subtil und latent in der Art und Weise der Beschreibung eines Gegenstandes oder der Schilderung einer erlebten Situation; sie treten in der Anordnung und Abfolge der erzählten Inhalte in Erscheinung, sie offenbaren sich in der jeweils gewählten Stil- und Sprachebene, in der Metaphorik, in den verwendeten Tempora und im Zeitgerüst der Erzählung, über diese Beobachtungen wurden zahlreiche Memos erstellt, d.h. kurze, auf die jeweilige Textstelle bezogene, konzeptuelle Notizen angefertigt.

Die Analyse der Interviews erfolgt in Anlehnung an die in den 60er Jahren von Glaser und Strauss entwickelte 'Gegenstandsbezogene Theoriebildung' (Grounded Theory) (Glaser, Strauss 1967). Es handelt sich hierbei um ein Verfahren, das Forschung als kreativen Prozeß zur Generierung von Theorien begreift, die fest in den zugrundeliegenden Daten verhaftet sind und fortlaufend an ihnen gemessen und kontrolliert werden (Wiedemann 1991: 440). Kennzeichnend für diese Vorgehensweise ist die Absage an eine strenge Hypothesengeleitetheit:

wenngleich das Fachwissen des Forschers und seine persönlichen Erfahrungen in den Erkenntnisprozeß einfließen sollen, so hat er sich doch Offenheit gegenüber dem Gegenstand zu bewahren und seine theoretischen Konzepte, subjektiven Annahmen und methodischen Verfahrensweisen ständig zu reflektieren, zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern (Strauss 1994: 36). Die Theoriebildung soll von den Daten ausgehen und in jeder Phase des sukzessiv voranschreitenden Konzeptualisierungsprozesses fest und nachvollziehbar in ihnen begründet sein.

Im Verlauf der Auswertung wurden die vorliegenden Textausschnitte einem 'line by line analysis' unterzogen. Dabei wurden texterschließende Fragen gestellt, um die Daten quasi aufzubrechen und zu tiefergehenden Sinnstrukturen zu gelangen. Es wurde nach den Bedingungen gefragt, unter denen sich eine bestimmte untersuchte, in den Daten geschilderte Handlung vollzieht, es wurde nach den Interaktionen der Akteure im For-

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schungsfeld gefragt, nach deren Strategien und Taktiken sowie nach den Konsequenzen ihrer Handlungen (Vgl.: ebd.: 57). Einzelnen Textstellen wurden dabei ein oder mehrere Kodes zugeordnet, d.h. ihnen wurde ein Stichwort, ein Begriff oder eine Kategorie zugeschrieben. Diese Kodes sollten nicht nur vordergründig auf den Inhalt der Textstelle verweisen, sondern darüber hinaus auf relevante Phänomene des erforschten Wirklichkeitsbereichs zielen, die durch diese Textstelle berührt werden. In einem weiteren Schritt wurde dann versucht, Bezüge zwischen den einzelnen Kodes herzustellen, sie zu verbinden oder voneinander abzugrenzen, sie zu selektieren oder zu bündeln sowie auch Schlüsselkategorien zu finden, um weniger Wichtiges unter Wesentlichem zu subsumieren. Da die Auffindung und Bestimmung des Wesentlichen und Bedeutsamen immer auch durch die Subjektivität des Auswertenden geleitet und geprägt wird, habe ich mich um eine "in hohem Maße Selbst-reflexive Herangehensweise an die Forschungsarbeit" (ebd.: 34) bemüht, dies ganz besonders, weil ich hier auch mit Lebenswelten konfrontiert war, die mir eher fremd sind.

Die anspruchsvoll anmutende Vorgehensweise zur Auswertung der Interviews führte zu Ergebnissen, die vielleicht ebenso durch ein "normales" bewußtes, intensives und sorgfältiges Lesen und Deuten zu erreichen gewesen wären.

Strauss selbst betont, daß die qualitative Datenanalyse "...sich nicht sonderlich von den pragmatischen Analyseverfahren des Alltagsmenschen unterscheide(t), wenn er über seine Probleme nachdenkt" (ebd.: 27). Der Forscher soll allerdings diese

"...alltagsweltlichen Denkmuster bewußter und 'wissenschaftlich rigoroser'..." (ebd.:

27) gebrauchen. Gleichwohl wird darauf hingewiesen, daß beträchtliche Erfahrung erforderlich ist, um nach den Leitlinien dieser kreativen Theorie erfolgreich arbeiten zu können (Vgl.: ebd.: 90). In Anbetracht des engen zeitlichen Rahmens, der für die sehr umfangreiche Auswertung zur Verfügung stand und angesichts einer komplexen, immer wieder neu zu gestaltenden Verfahrensweise, kann die hier vorgelegte Auswertung lediglich als eine erste Ergebnisannäherung betrachtet werden, die noch ergänzt und vertieft werden könnte. Die Faustregel "Machen Sie sich keine Sorgen, fast jeder Weg bringt brauchbare Ergebnisse" (ebd.: 990, die A.

Strauss dem unerfahrenen Forscher zu Beginn des Kodierens mit auf den Weg gibt, war mir daher bei dieser Arbeit ein wahrer Trost.

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2. Hinderungsgründe und Bestimmungsfaktoren einer patientenorientierten Versorgung im Krankenhaus

2.1 Einleitung

Meines Erachtens ist Patientenorientierung als eine übergeordnete Leitmaxime zu verstehen, die auf eine optimale, am Wohle des Patienten ausgerichtete Versorgung zielt. Eine solche allgemeine Vorgabe bedarf jedoch der Konkretisierung. Der Bedeutungsgehalt von Patientenorientierung sollte nicht ahistorisch, sondern in kritischer Auseinandersetzung mit bestehenden Versorgungsverhältnissen bestimmt werden. Er ist beständigem Wandel unterworfen und erfordert immer wieder Neudefinitionen; wenn auch soziale Phantasie zum Tragen kommen sollte, so bemißt er sich doch am Erreichten und Erreichbaren.

Die Diskussion um eine patientenorientierte stationäre Versorgung ist keineswegs neu. Eine verstärkte Auseinandersetzung um eine Humanisierung des Krankenhauses setzte bereits in der ersten Hälfte der 70er Jahre ein, in einer Zeit vielfältiger Liberalisierungsbemühungen und Reformbestrebungen, die auf einen demokratischen Wandel der Gesellschaft und ihrer Institutionen gerichtet waren.

Wenn sich auch die Gewichtung einzelner Themen verschoben hat, so wurden doch nahezu alle Kritikpunkte, die in der heutigen Debatte um Patientenorientierung im Krankenhaus eine Rolle spielen, bereits damals klar formuliert oder zumindest angedeutet. Daß die gleichen Forderungen heute, nach gut zwei Jahrzehnten, noch immer Aktualität und Brisanz besitzen, zeugt von der erheblichen Reformresistenz des Gesundheitswesens und ganz besonders seines stationären Sektors.

Dem humanitären Auftrag Menschen zu heilen entsprechend, wäre an sich zu erwarten, daß alle Bemühungen innerhalb eines Krankenhauses auf das Wohl des Patienten orientiert und sämtliche Strukturen auf seine bestmögliche Versorgung ausgerichtet sein müßten. Auf den mächtigen Einfluß anderer, divergierender Absichten und Bestrebungen wird jedoch immer wieder hingewiesen: Neben Lehr- und Forschungsinteressen, die einer patientengerechten Versorgung entgegenstehen können (Rohde 1975: 1890, neben wachsenden Autonomiebestrebungen unterschiedlicher hochspezialisierter Abteilungen, die sich in einer zunehmend komplexer werdenden Organisation immer weiter von den Erkrankten entfernen (Eichhorn 1993: 2460, sind es vor allem auch wirtschaftliche Zielsetzungen, die ohne ausreichende Berücksichtigung der Versorgungsqualität verfolgt werden (Schott 1993: 261 f) und damit dem Prinzip Patientenorientierung zuwiderlaufen.

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Es ist jedoch nicht allein die Verfolgung patientenferner Ziele, sondern auch eine besondere mit Mängeln behaftete und von Deformationen geprägte Form des Umganges mit dem Erkrankten selbst, die eine wirklich humane stationäre Versorgung vereitelt. Wenn Rohde die soziale Situation des Patienten im Krankenhaus mit den Begriffen "beherrschender Beherrschter" (Rohde 1975:171) oder "vorrangiger Untergeordneter" (ebd.) kennzeichnet, dann weist er damit zwar auf die zentrale Position des Erkrankten in der Klinik hin, betont aber auch die subalterne Stellung, die er in ihr einnimmt.

Wenn Mängel und Unzulänglichkeiten benannt werden, die eine humane Behandlung und Betreuung der Patienten verhindern oder erschweren, so geschieht dies immer auf der Grundlage eines bestimmten Menschenbildes und Gesundheitsverständnisses, denen die vorgefundene Versorgungsrealität gegenübergestellt wird. Die Kritik an der Inhumanität der stationären Versorgung, die in den 70er Jahren verstärkt einsetzte und bis heute andauert, gründet im wesentlichen auf der Ablehnung einer beschränkten naturwissenschaftlich- technisch geprägten Vorstellung vom Menschen und seiner Gesundheit, die ihn auf seine erkrankten Organe reduziert, zum Objekt ärztlichen Handelns degradiert und seine psychisch-biographischen Prägungen und sozialen Lebenszusammenhänge unberücksichtigt läßt. Gerade angesichts zunehmender chronischer Erkrankungen und ihrer speziellen Behandlungserfordernisse, die meist auf eine langfristige Betreuung im häuslichen Bereich und sozialen Umfeld gerichtet sind, erweist sich ein solcher "biologischer Reduktionismus" (Schott 1993: 262) im besonderen Maße als ungeeignet. Wenn auch Einhelligkeit besteht in der Ablehnung dieser beschränkten, "durch das Maschinenparadigma geprägten Medizin" (Uexküll, Wesiack 1988: 612), so bedarf doch die Forderung nach 'Ganzheitlichkeit', die diesem somatisch-reduzierten Gesundheitsverständnis immer wieder mit unterschiedlichen Akzentuierungen entgegengestellt wird, einer näheren Präzisierung: Dem positiven, weit gefaßten Gesundheitsverständnis der WHO entsprechend, sollte ein ganzheitlicher Anspruch keineswegs auf die bloße Beachtung der Einheit von Körper und Psyche beschränkt bleiben, sondern auch das soziale Umfeld der Erkrankten und vor allem jene gesellschaftlichen Strukturen und Verhältnisse berücksichtigen, die die "grobe Ungleichheit im Gesundheitsstatus der Menschen verursachen" (WHO 1978; Labisch 1982:643). Ein solcher

"oppositioneller Ganzheitlichkeitsanspruch" (Kühn 1989:5) wird eine bestmögliche medizinisch-somatische Behandlung der Patienten erstreben, ihren psychischen Bedürfnissen und besonderen sozialen Lebensumständen Rechnung tragen sowie vor allem schichtspezifische Benachteiligungen berücksichtigen, nicht allein um sie zu kompensieren, sondern auch, um auf eine Veränderung jener Strukturen in- nerhalb und außerhalb der Klinik zu drängen, die die Entstehung von Krankheiten begünstigen oder verstärken.

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Nachdem eine so verstandene, Gesellschaftskritik integrierende Ganzheitlichkeit (Bischoff 1994: 40) als wesentliches Leitmotiv von Patientenorientierung benannt wurde, möchte ich im Folgenden -bezugnehmend auf die wissenschaftliche Diskussion zum Thema- für verschiedene Bereiche der stationären Versorgung Hinderungsgründe und Determinanten aufzeigen, durch die eine humane Behandlung und Betreuung der Erkrankten erschwert oder auch gefördert wird.

Dabei soll der Einteilung Eichhorns gefolgt werden, der betont, daß eine Vereitelung oder Beeinträchtigung von Patientenorientierung sowohl durch das Verhalten des Klinikpersonals als auch durch die Organisation des Krankenhauses bedingt werden kann (Eichhorn 1993: 241). Wenn hier auch im Hinblick auf eine sinnvolle Strukturierung eine analytische Trennung beider Bereiche erfolgt, so ist es doch zugleich wichtig, ihre vielfältige wechselseitige Bedingtheit zu betonen:

Einerseits werden die Handlungsspielräume der professionellen Akteure durch organisatorische Sachzwänge bestimmt, andererseits sind die Organisa- tionsstrukturen selbst keineswegs unveränderbar, sondern das geronnene Ergebnis menschlicher Gestaltungstätigkeit.

2.2 Verhaltensbezogene Determinanten von Patientenorientierung 2.2.1 Der verengte ärztliche Blick

Verfolgt man die Diskussion um eine patientenorientierte stationäre Versorgung in der BRD, so fällt auf, daß die Arzt-Patient-Beziehung ein beherrschendes Thema ist. Andere an der stationären Versorgung beteiligte Berufsgruppen geraten kaum ins Blickfeld. Erst im Verlauf der 90er Jahre, im Zuge der beginnenden Etablierung der Pflegeforschung, wächst allmählich auch das wissenschaftliche Interesse an einer patientenorientierten Pflege im Krankenhaus.

Im Mittelpunkt der Kritik des ärztlichen Verhaltens steht eine lediglich auf meß- und objektivierbare Befunde fixierte Wahrnehmung, die es ermöglicht, den Patienten ohne Berücksichtigung seiner individuellen Besonderheit einem vorgefaßten Krankheitsschema zuzuordnen. Unter Außerachtlassung der personalen und sozialen Identität des Einzelindividuums ist der Prozeß der Diagnosestellung allein auf die Erkenntnis des Typischen und Allgemeinen gerichtet. Demgemäß erfolgt auch die Zuweisung einer Standardtherapie quasi automatisch, ohne Beachtung der besonderen Persönlichkeit des Erkrankten, lediglich aufgrund der zuvor schablonenhaft vorgenommenen Klassifizierung. Auf den vergegenständlichenden Transformationsprozeß vom individuellen Erkranken zum 'Fall' weist Raspe hin, wenn er ausführt: "Behandelt ...wird also nicht Vorfindliches, sondern Vorfindliches wird so 'hergerichtet', daß behandelt werden kann"

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(Raspe 1976: 13). Nur unschwer läßt sich hier das zuvor beschriebene naturwissenschaftlich-somalische Krankheitsparadigma wiedererkennen, welches bei der gesamten Auseinandersetzung um Humanität im Krankenhaus von grundlegender Bedeutung ist.

Die selektive, auf das Organische bezogene ärztliche Sichtweise wird durch die zunehmende Technisierung der Krankenhausmedizin noch weiter akzentuiert (Badura 1993: 38). Die Aufmerksamkeit und das Zeitbudget der Ärzte werden in wachsendem Maße von der Überwachung der Apparaturen sowie von der Auswertung technischer Daten absorbiert, wobei die Interaktion mit den Erkrankten immer mehr aus dem Blickfeld gerät (Feuerstein 1993: 45). Auch durch eine computerisierte Informationsübermittlung innerhalb der Klinik wird die Tendenz zur Distanzierung von der Persönlichkeit des Patienten, seiner Biographie und individuellen Krankheitsgeschichte verstärkt. Eine effiziente und reibungslose über Medien erfolgende Kommunikation in einer stark arbeitsteiligen, hochspezialisierten Krankenhausorganisation erfordert eindeutige, von jeglicher Subjektivität bereinigte Daten, die keiner zeitaufwendigen Interpretation mehr bedürfen (ebd). Ein solcher negativer Trend zur Verdrängung der Individualität des Patienten aus dem Behandlungsprozeß sollte nun keinesfalls als eine zwangsläufige und unabänderliche Begleiterscheinung zunehmender Technisierung im Krankenhaus betrachtet werden. Durch eine frühzeitige, auf das gesamte Krankenhaussystem gerichtete Planung, die auf eine verknüpfte Optimierung (Vgl. Trebesch 1990: 7) von Patientenbetreuung, Arbeitsorganisation und Technikgestaltung zielt, kann unerwünschten Entwicklungen bei der Einführung neuer Technologien wirksam begegnet werden. Zudem sollte nicht unberücksichtigt bleiben, daß auch technologische Unzulänglichkeit Patienten belasten oder gefährden und damit inhuman wirken kann (Rohde 1975:172).

Die Grenzen des biomedizinischen Paradigmas und des mit ihm verbundenen verengten ärztlichen Blicks werden durch das gewandelte Krankheitspanorama in besonderem Maße evident, über vier Fünftel der Menschen in der Bundesrepublik sterben heute an chronischen, bzw. inkurablen Erkrankungen (Dt. Bundestag 1990:39). Aus dieser veränderten Mortalitäts- und Morbiditätsstruktur ergeben sich grundlegend neue Anforderungen an das Versorgungssystem. Der bevorzugte Ort der Bewältigung chronischer Erkrankung ist nicht die Klinik, sondern der häusliche Bereich des Patienten. Lediglich in den akuten Phasen seiner langandauernden Erkrankung wird der chronisch Kranke stationäre Behandlung in Anspruch nehmen, die ihm zwar zu einer vorübergehenden Beherrschung seines Krankheitsprozesses verhelfen kann, nicht aber Heilung zu verschaffen vermag. Damit in den stabilen Phasen der Erkrankung, in denen eine Beruhigung des pathogenen Prozesses eintritt, eine Versorgung zu Hause

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stattfinden kann, müssen ambulante Dienste zur Verfügung stehen, die die häusliche Pflege und Betreuung des Patienten sicherstellen. Da im Verlauf lebenslanger chronischer Erkrankung ein beständiger Wechsel zwischen ambulantem und stationärem Sektor häufig unvermeidlich ist, sollte der Herstellung von Versorgungskontinuität und speziell der Schnittstellenregulation besondere Aufmerksamkeit gezollt werden. Es sind jedoch nicht nur die Akteure des Versorgungssystems, die ihren Beitrag zur Beherrschung chronischer Erkrankungen zu leisten haben, sondern vor allem auch die Patienten selbst, die eine aktive Rolle bei der Bewältigung des pathogenen Prozesses spielen sollen.

Corbin und Strauss weisen auf den erheblichen, niemals enden wollenden organisatorischen Aufwand der Verlaufskurvenarbeit hin, die sich auf krankheits- bedingte Erfordernisse, auf die Bewältigung des Alltages sowie auf die Neukonzipierung des Selbstbildes und der Biographie des Patienten erstreckt und die vorrangig von ihm und seinen Angehörigen innerhalb seines sozialen Kontextes erbracht werden muß (Corbin, Strauss 1993).

Wenngleich die ärztliche Unterstützung des chronisch Kranken vornehmlich im ambulanten Sektor verortet ist und der Krankenhausarzt lediglich in den akuten Phasen interveniert, um einer Verschlimmerung entgegenzuwirken, so erfordert das gewandelte Krankheitspanorama doch auch für das klinikärztliche Tun ein neues Paradigma, das neben der Beherrschung des somalischen Prozesses auch die psychische und soziale Unterstützung des Erkrankten vorsieht. Bereits in der Klinik müssen Weichen gestellt werden, um den gesamten weiteren Krankheitsverlauf günstig zu beeinflußen. Die erste Orientierung des Patienten nach der Diagnosestellung, seine Motivation zur selbständigen und aktiven Verlaufskurvenarbeit und die Steuerung seiner Versorgung aus der Klinik heraus sind ärztliche Aufgaben, die in Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen zu leisten sind. Sie erfordern eine neue, erweiterte Wahrnehmungsstruktur, einen auf die Ganzheit des Erkrankten gerichteten Blick, der seine singuläre Persönlichkeit ebenso wie seine soziale Lebenssituation umgreift. Keinesfalls sollte es sich dabei aber um einen einseitig untersuchenden Blick auf ein passives Subjekt handeln, das einer allumfassenden Ausforschung preisgegeben wird. Der Gefahr einer unge- wollten und daher unzulässigen Einmischung in private Befindlichkeiten und Lebensbereiche kann sicher nur begegnet werden, wenn der mündige Patient selbst bestimmen kann, ob und wie weit der Arzt an der Versorgungssteuerung und Verkaufskurven-Planung beteiligt werden soll. Wenn ein Erkrankter die ärztliche Intervention lediglich auf die Reparatur seines beschädigten Organs oder -bei einer chronischen Krankheit- auf die Linderung seiner konkreten somatischen Beschwerden beschränkt sehen will, so muß dies unbedingt als seine eigenverantwortliche Entscheidung ermöglicht und akzeptiert werden.

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Wenn hier ein um die psychosoziale Dimension erweiterter ärztlicher Blick als wesentliche Komponente von Patientenorientierung gefordert wird, so soll diese Zielvorstellung vor allem auf der Ergänzung des biomedizinischen Modells, nicht etwa auf seiner grundsätzlichen Ablehnung gründen. Die großen Errungenschaften einer naturwissenschaftlich-technischen Medizin können und sollen nicht geleugnet werden. Ihre segensreichen Wirkungen (sowie auch ihre Schrecken) sind eine alltägliche Erfahrung meiner beruflichen Praxis in der psychosozialen Betreuung von Tumorpatienten: Wenn man gesehen hat, wie ein von starken Schmerzen gepeinigter chronisch-kranker Patient mit Knochenmetastasen nach einer palliativen Bestrahlung wenigstens vorübergehend Beweglichkeit, Schmerzfreiheit und Lebensqualität wiedergewinnt, so verbietet sich jegliche pauschale und undifferenzierte Absage an eine naturwissenschaftlichtechnische Medizin.

Zielsetzung ist also keineswegs ihre Ablehnung, sondern ihre Humanisierung und Komplementierung durch psychologische, soziale und gesellschaftlich orientierte Sichtweisen.

2.2.2 Informationsbegrenzung

Ein weiterer die Arzt-Patient-Beziehung betreffender Kritikpunkt, der besonders in den 70er Jahren in der wissenschaftlichen Diskussion um eine humane stationäre Versorgung eine beherrschende Rolle spielte, ist das unzureichende ärztliche Informationsverhalten. Bereits zu Beginn der 70er Jahre wurden in verschiedenen Bundesländern empirische Untersuchungen durchgeführt, die ein erhebliches Informationsdefizit bei Krankenhauspatienten erkennbar werden ließen (Engelhardt et al. 1973; Raspe 1976; Raspe,Siegrist 1979). Das Wissen der Patienten über ihre Erkrankung und Behandlung wurde bei ihrer Entlassung mit den diagnostischen Erkenntnissen und therapeutischen Maßnahmen der Klinikärzte verglichen. Als übereinstimmendes Ergebnis dieser Studien zeigte sich, daß gut die Hälfte der Patienten das Krankenhaus mit falschen oder lückenhaften Kenntnissen über ihre Diagnose verließ (Engelhardt et al. 1973: 86; Raspe 1976a: 56). Die Informiertheit der Patienten über ihre Therapie erwies sich sogar als noch schlechter. Rund zwei Drittel der Erkrankten verfügten bei ihrer Entlassung nicht über ein ausreichendes, ihre Behandlung betreffendes Wissen (ebd.). Wenn die Patienten auch meist zu benennen vermochten, was im Prozeß der Behandlung mit ihnen geschehen war, so konnten sie doch kaum erklären, warum eine bestimmte Therapie bei ihnen zur Anwendung kam (Raspe 1976a: 57). Als besonders niedrig erwies sich das diagnostische und therapeutische Wissen bei Schwerkranken und prognostisch ungünstig beurteilten alten Patienten (ebd.: 58).

Im Widerspruch zu diesen mäßigen oder sogar unzureichenden Kenntnissen der meisten Befragten konnte ein uneingeschränkter Wunsch nach weitreichenden Informationen bei den Erkrankten festgestellt werden. Als Ergebnis seiner empirischen Untersuchungen nennt Raspe einen Anteil von rund 80 % der

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Patienten, die hohe Informationsbedürfnisse ins Krankenhaus mitbringen" (Raspe 1983:44). Dieser Prozentsatz könnte sich noch erhöht haben: Armstrong weist darauf hin, daß das Bedürfnis nach Information schon längst zum festen Bestandteil der Patientenerwartungen geworden ist (1991: 261). v. Ferber betont, daß Krankenhauspatienten heute nicht nur eine ihren Verständnismöglichkeiten angemessene Information über Diagnose und Therapie erwarten, sondern auch einen Risikodialog, der neben den medizinischen Folgen der Erkrankung auch Fragen der Lebensqualität berücksichtigt (1991:250).

Welches könnten nun die wichtigsten Faktoren sein, die eine angemessene und für die betroffenen Patienten zufriedenstellende Information in der Klinik erschweren?

Durch die besonderen einschränkenden Bedingungen der Institution Krankenhaus wird das Ungleichheits- und Abhängigkeitsverhältnis, welches die Arzt-Patient- Beziehung ohnehin kennzeichnet, noch verstärkt. Es ist nicht allein das Kompetenzgefälle zwischen dem medizinischen Experten und dem Patienten als Laien oder das unterschiedliche Relevanzsystem, das den divergierenden Informationsbedürfnissen des diagnostizierenden Arztes und des subjektiv betroffenen Patienten zugrundeliegt, das ihre Kommunikation erschwert, sondern auch die besondere Situation der Hospitalisierung des Erkrankten, die seine Chancen initiativ zu werden und sich Informationen zu beschaffen schmälert (Raspe.Siegrist 1979: 115). In einem Zustand belastender Erkrankung ist der Patient aus seinem Alltag und seinen vertrauten sozialen Beziehungen gerissen und in eine fremde Umgebung versetzt, in der er für die Befriedigung seiner Bedürfnisse auf ständig wechselnde und ihm unbekannte Personen angewiesen ist, die subtile Einfluß- und Sanktionsmöglichkeiten besitzen, mit deren Hilfe sie seine Anpassung an die Reglementierungen der Institution durchsetzen können. In einer solchen Situation der "psychosozialen Entwurzelung" (Rohde 1975:197) und Abhängigkeit sind seine Verhandlungsmöglichkeiten weitgehend beschnitten und eine aktive Verfolgung seiner Interessen erheblich erschwert.

Die Asymmetrie der Kommunikationsbeziehungen zwischen Klinikarzt und Patient wird am Beispiel der Visite besonders deutlich. Im Stationsalltag ist die Visite die wichtigste sowie häufig auch die einzige Situation, die die Möglichkeit zu einem Informationsaustausch zwischen Arzt und Patient bietet. Ausgehend von der Beobachtung und detaillierten Analyse der Kommunikationsgepflogenheiten bei Visitengesprächen in verschiedenen Krankenhäusern konnte Raspe nachweisen, daß der Gesprächsverlauf weitestgehend vom Arzt gelenkt und dominiert wird (1983). Häufig wird über den Patienten gesprochen und nicht mit ihm. In der ohnehin knapp bemessenen Zeit von wenigen Minuten, die für den einzelnen Patienten zur Verfügung steht, bietet sich dem Erkrankten kaum die Gelegenheit, die Initiative zu ergreifen; meist stellt er nur ein bis zwei

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Fragen pro Visitengespräch (Raspe 1983: 116). Seine Beiträge sind überwiegend reaktiv, d.h. sie beziehen sich auf Anregungen, Mitteilungen oder Fragen des Arztes, auf den das gesamte Gespräch fokussiert ist, der es beginnt und über seine Beendigung entscheidet. Versuche des Patienten, auf Thema und Richtung des Gespräches Einfluß zu nehmen, werden durch Nichtbeachten seiner Initiativen, durch abrupten Themen- oder Adressatenwechsel sowie auch durch andere Formen der Ablenkung vereitelt (ebd.). Eine direkte und eigenständige Kommunikation zwischen Patient und Krankenschwester findet in der Regel nicht statt. Der Inhalt der Visitengespräche bezieht sich vornehmlich auf technische Dispositionen, auf krankheits- und befundbezogene oder organisatorische Aufgaben. Patientenzentrierte Themen, wie etwa die noch zu erwartende Dauer des stationären Aufenthaltes, der weitere Verlauf der Erkrankung oder die soziale Prognose kommen weit weniger zur Sprache. Gerade bei Schwerstkranken und Sterbenden werden diese heiklen Themen besonders hartnäckig ausgeklammert;

gerade bei ihnen ist auch eine stark ungleichgewichtige Gesprächsbeteiligung am häufigsten zu beobachten (Raspe, Siegrist 1979:130). Die weitgehende Ignorierung und Beschneidung der Informationsbedürfnisse der Patienten resultiert nicht nur aus den Handlungs- und Einstellungsroutinen der professionellen Akteure, sondern auch aus arbeitsstrukturellen und organisatorischen Bedingungen, durch die sie in ihrem Tun bestimmt werden. Die überfrachtung der Visite durch verschiedenartige Aufgaben wie körperliche Untersuchung, Kurvendiskussion und Organisationsabsprachen beschneidet die Zeit für Patientengespräche.

Personalmangel und Arbeitshetze wirken sich negativ auf Umfang und Qualität der Visitengespräche aus. In großen Mehrbett zimmern ist Intimität kaum herstellbar;

die Formulierung privater heikler Fragen ist in Anwesenheit mehrerer fremder Personen besonders erschwert.

Eine Absage an obsolete Handlungsroutinen und die kreative Suche nach neuen Formen der Kommunikation, die einen verbesserten Informationsaustausch zwischen Ärzten und Patienten im Krankenhaus ermöglichen, wäre dringend geboten. Für die Visite wird eine Entflechtung der verschiedenen Aufgaben, die bisher gleichzeitig zu erfüllen sind, vorgeschlagen, mit dem Ziel mehr Zeit für das Gespräch mit dem Patienten zu gewinnen (Raspe 1983:129). Es wäre sicher auch sinnvoll, neben der Visite noch zusätzliche Gesprächsmöglichkeiten zu schaffen, bei denen sich Arzt und Patient unter Ausschaltung Dritter begegnen könnten.

Veränderungsbemühungen sollten jedoch nicht nur auf die Rahmenbedingungen gerichtet sein, sondern auch auf die Gestalt der Kommunikationsbeziehung selbst, die eine Beteiligung der Patienten weitgehend ausschließt. Zu fordern wäre ein gleichberechtigter Dialog mit hohen Freiheitsgraden, der "...den Begriffsraum, den der untersuchende Arzt definiert hat..." (Armstrong 1987:193) überschreitet und dem Patienten die Möglichkeit offeriert, seine Subjektivität, seine Alltagsgeschichte und sein Krankheitswissen einzubringen, insofern ihm dies wünschenswert erscheint.

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Eine ganzheitliche Sichtweise, die sowohl die sozialen und gesellschaftlichen Prä- gungen des Patienten im Auge behält als auch seine individuellen Bedürfnisse berücksichtigt, sollte auch für das ärztliche Informationsverhalten richtungsweisend sein. Raspe und Siegrist heben hervor, daß Patienten unterer Sozialschichten keineswegs geringere Informationsbedürfnisse ins Krankenhaus mitbringen als Erkrankte der Mittelschicht. Durch Sprachbarrieren und Autoritätsängste werde es ihnen jedoch in besonderem Maße erschwert, ihr Anliegen in der Klinik auch durchzusetzen (Siegrist, Raspe 1979: 122). Diese Einschätzung deckt sich mit den Erfahrungen meiner beruflichen Praxis; nach meiner Beobachtung scheint das Problem allerdings nicht nur bei den Erkrankten selbst zu liegen, sondern auch in einer tatsächlichen latenten Benachteiligung von Unterschichtpatienten durch Ärzte, Pflegepersonal und psychosoziale Betreuer, die sich besonderes im zeitlichen Rahmen der Zuwendung niederschlägt, die diesen Menschen gewährt wird.

Größere Aufmerksamkeit wird häufig der Mittelschichtspersönlichkeit gewidmet, weil sie den professionellen Akteuren in der Regel sozial näher steht und von ihnen als interessanter empfunden wird. Dabei wäre es sicher wichtig, sich gerade jenen Erkrankten besonders intensiv zuzuwenden, die ihre Interessen und Bedürfnisse am wenigsten zu artikulieren vermögen; neben den sozial benachteiligten Patienten sind dies vor allem Alte, Schwerkranke und Sterbende. Nicht zuletzt sollte auch hier betont werden, daß der Besonderheit des Einzelfalles Rechnung zu tragen ist.

Singuläre psychische Befindlichkeiten und individuelle biographische Prägungen erfordern spezielle, auf das einzelne Individuum orientierte Vorgehensweisen. Auch die Ablehnung jeglicher Aufklärung von selten des Patienten sollte als eine mögliche Form der Krankheitsverarbeitung respektiert werden.

Die umfassende Information des Erkrankten über seine Diagnose, Therapie und Prognose, sowie auch über den Tagesablauf auf den Stationen und die dort agierenden Fachkräfte, ist eine unabdingbare Komponente von Patientenorientierung. Das Ziel von Information und Aufklärung sollte der größtmögliche Autonomieerhalt des Patienten sein und ihn dazu befähigen, unter Abwägung aller Risiken selbständig Entscheidungen über seinen Behandlungsverlauf zu treffen. Eine gründliche Unterrichtung des Erkrankten darf keinesfalls auf jene Behandlungssituationen beschränkt bleiben, in denen lediglich die Herstellung einer weitgehenden Compliance von ärztlicher Seite beabsichtigt wird. Informationen sollten umfassend und ohne jeglichen Druck erteilt werden, so daß sie den Patienten in die Lage versetzen, gegebenenfalls auch gegen ärztliche Optionen zu votieren. Die sorgfältige Aufklärung des Erkrankten ist nicht nur als Voraussetzung einer autonomen Entscheidungsfindung unerläßlich, sondern auch, weil sie Angst zu mindern vermag. Durch Angstreduktion die Befindlichkeit zu heben und dem Patienten

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zu einer besseren Orientierung in einer Situation der Hospitalisierung und des belastenden Krankheitserlebens zu verhelfen, sollte eine vordringliche Aufgabe eines wirklich patientenorientierten Informationsverhaltens sein. Antonovsky nennt die Verstehbarkeit' (comprehensibility) einer Situation als eine Komponente des gesundheitsförderlichen 'Sense of Coherence' (Antonovsky 1991: 127). Für die Bewältigung eines Problems sei es erforderlich, über eine 'kognitive Landkarte' (ebd.) seiner Beschaffenheit und seines Ausmaßes zu verfügen. Eine patientenorientierte Information im Krankenhaus könnte dem Erkrankten helfen, eine erste Skizze dieser 'kognitiven Landkarte' zu entwerfen und ihn überdies so weit wie möglich befähigen, sie allmählich selbst zu vollenden.

2.2.3 Beziehungslosigkeit

Auf die unzureichende Berücksichtigung der psychischen Befindlichkeit, der biographischen Prägungen und sozialen Lebensumstände der Patienten von ärztlicher Seite wurde bereits mehrfach Bezug genommen. Es wurde aufgezeigt, daß die psychosozialen Erfordernisse der Erkrankten durch einen reduktionistischen, organorientierten ärztlicher Blick weitgehend ausgeblendet werden. Diese Tendenz zur Ausgrenzung der Patientenpersönlichkeit wird durch die Entwickung einer apparatezentrierten Hochleistungsmedizin noch weiter verstärkt (Badura 1993:38).

Die fortschreitende professionelle Spezialisierung und die wachsende Arbeitsteiligkeit innerhalb der hochkomplexen Krankenhausorganisation führen zu einer immer stärker werdenden Fragmentierung der Versorgung. Da der Patient im Prozeß der Behandlung einer Vielzahl ständig wechselnder professioneller Akteure ausgesetzt ist, wird die Herstellung einer kontinuierlichen und vertrauensvollen Beziehung zu einzelnen Helfern in der Klinik zunehmend erschwert.

Auch im Bereich der Pflege, für den an sich die Nähe zum Patienten kennzeichnend ist, läßt sich eine Zergliederung der Arbeitsabläufe beobachten, die einer emotionalen Betreuung des einzelnen Erkrankten entgegensteht. Wenngleich in der pflegewissenschaftlichen Diskussion immer wieder ein ganzheitlicher, auf den einzelnen Patienten zentrierter Ansatz gefordert wird, zeigt sich doch im Stationsalltag der Krankenhäuser ein nachdrückliches Beharren auf herkömmlichen funktionspflegerischen Konzepten (Barthdomeyczick 1993: 98). Funktionspflege zergliedert die notwendigen Verrichtungen am einzelnen Erkrankten in Teiloperationen, die jeweils zu festgelegten Zeiten von unterschiedlichen Pflegekräften bei allen Patienten der Reihe nach ausgeführt werden.

Dementsprechend ist die Fachkraft lediglich für die Durchführung bestimmter Arbeitsvorgänge, wie etwa Waschen oder Medikamentenzuteilung bei allen Patienten verantwortlich, nicht aber für die umfassende Pflege und Betreuung eines

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einzelnen Erkrankten. Einem Werkstück vergleichbar wird der Patient hier zum Objekt einer Abfolge von Bearbeitungsvorgängen, in deren Verlauf er mit immer neuen ihm nur wenig bekannten Personen konfrontiert wird. Dieses Pflegesystem mag zwar einem rationellen und effizienten Betriebsablauf dienen, eine eingehende und kontinuierliche psychosoziale Betreuung des Patienten, die die Vertrautheit zwischen Pflegeperson und Erkranktem zur Voraussetzung hat, kann in seinem Rahmen jedoch kaum geleistet werden. Eine Bezugnahme auf die psychosozialen Betreuungserfordernisse wird zudem durch die zunehmende überfrachtung der Pflegetätigkeit mit patientenfernen organisatorischen und administrativen Aufgaben erschwert, die vor allem auch auf Weisung der Ärzte zu verrichten sind, d.h. der Unterstützung des krankheitsbezogenen medizinischen Behandlungsprozesses dienen (Moers 1994:161). Das Zeitbudget, das für die direkt auf den Patienten gerichtete Pflege und besonders für "Gefühlsarbeit" (Strauss, et al. 1980: 629) zur Verfügung steht, wird dadurch empfindlich geschmälert. Um eine patientenorientierte Pflege zu gewährleisten, die eine psychosoziale Betreuung der Patienten als integralen Bestandteil ihrer Tätigkeit auffaßt, wäre vor allem ein berufsautonomes Handeln erforderlich, welches nicht nur im Dienste der Ärzte erfolgt und auf praktische Handlungen zur Beseitigung von Krankheit beschränkt bleibt, sondern bereits in der Klinik darauf gerichtet ist, die vorhandenen Gesundheitspotentiale der Patienten zu mobilisieren und zu stärken. Eine solches gesundheitsförderndes und autonomieerhaltendes Pflegekonzept wird nur im Rahmen eines Bezugspflegesystems verwirklicht werden können, das die dauerhafte Zuständigkeit und Verantwortung einer Fachkraft für die gesamten pflegerischen Erfordernisse und Betreuungsbedürfnisse eines Patienten vorsieht.

Daß die Implementierung eines patientenzentrierten Organisationsablaufes im Bereich der Pflege auch zu höheren Anforderungen und Belastungen bei den Pflegekräften führt, denen nur durch die Bereitstellung und Sicherung angemessener personalwirtschaftlicher und organisatorischer Rahmenbedingungen begegnet werden kann, wird immer wieder betont (Grau, Schmitz-Gericke 1993:156f).

Die unzureichende psychosoziale Betreuung des Krankenhauspatienten ist ein allseits bekannter Mißstand, der seit nunmehr zwei Jahrzehnten, in der Diskussion um eine patientenorientierte Versorgung in der Klinik kontinuierlich Erwähnung findet: Als Ergänzung einer naturwissenschaftlich-technischen Krankenhausmedizin fordert Engelhardt, daß "...menschlich-verstehende, d.h. anthropologische Zugangswege zum Kranken..." (1973: 215) gefunden werden sollten. Raspe kritisiert den Zumutungscharakter einer krankheits- und befundzentrierten Klinischen Medizin und postuliert die Berücksichtigung von "psychosozialen Determinanten von Befund, Krankheit und Befinden" (1976: 21). Uexküll und Wesiack fordern für das Krankenhaus eine "...patientenzentrierte Medizin..., welche die psychosozialen Gesichtspunkte gleichrangig mit den somatischen Aspekten be-

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