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Freie Menschen in freien Vereinbarungen

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Freie Menschen in freien

Vereinbarungen

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Projektwerkstatt, Ludwigstr. 11, 35447 Reiskirchen-Saasen 06401/90328-3, Fax -5 (auf Anfrage), unterwegs 01522/8728353 (20 kmöstlich Gie tagungshaus@projektwerkstatt.de, www.projektwerkstatt.de/seminarhaus

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www. h errsch aftsfrei .de.vu

Freie Menschen in freien

Vereinbarungen

M ensch en m it einer I dee gelten so lange als Spinner, bis sie sich du rch gesetzt h aben.

M ark Twain

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I n h a l t

1 I ntro: I nh alt 5

è Vorweg 9

è Woru m geh t es? 11

2 Grundlagen und Gesch ichte von H errsch aft

Gesch ichte sozialer Organisieru ng 1 4

è Sozia l e Organ isation a l s Gru n d form m en sch l ich en Leben s 1 4

è Wer m ach t Gesch ich te? Was prä gt die Gesel l sch aft? 1 7

è E m a n zip ation : D a s H errsch a ftsförm ige au s den B ezieh u n gen verdrän gen 2 2 M asse . . . in Form gegossen: Wird au s Vielen Vielfalt? 29

è Sozia l e Organ isieru n g al s Teil des Men sch sein s 2 9

è E in e Men ge von Men sch en kan n seh r u n tersch iedl ich au sseh en 2 9

è I n wel ch er Form l eben wir? 38

è B iol ogie u n d Ku l tu r d es Men sch en bieten m eh r 39

è P l ädoyer fü r Viel fal t oh n e H ierarch ie 40

Gesch ichte form aler H errsch aft 43

è N orm ieru n g, Kon trol l e u n d San ktion im Wa n d el der Zeit 43 è Wa s l a n ge wä h rt . . . : D ie kl assisch en Form en form al er Mach t 43 è N eu e Wel tordn u n g: Mod ern isierte, form al e H errsch aft 47

è E rsch ein u n gsform en in stitu tion al isierter Mach t 52

è Kein ru h iges Leben oh n e Verdrä n gu n g 56

Gesch ichte der P roduktivkraft als ökonom isch e

Unterdrücku ng des M ensch en 57

è Gesch ich tl ich e E n twickl u n g der P rod u ktivkraft 59

è Von d er p erson a l -kon kreten zu r abstra kten Vergesel l sch aftu n g 63 è Ökon om isch e Zwä n ge, Abh än gigkeit u n d Kap ital verteil u n g 66

Disku rsive H errsch aft 70

è Wie sich Tradition en , N orm en u n d Wah rh eiten ein bren n en 70

è D isku rssteu eru n g 73

è B eispiel e fü r D isku rssteu eru n g 74

è Rol l en u n d Zu rich tu n g 81

è Au fkl äru n g: D em askieren al s Ziel 83

Wir, alle und die Stim m en des Ganzen 84

è Repräsen tation u n d Verein n ah m u n g 84

è Sch l u ssgedan ke 88

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3 Was sind Welt u nd Leben? 89

è D er ewige Streit u m D iesseits u n d J en seits 90

è D yn a m isch e Materie in Sel bstorgan isieru n g 96

è Ma terie im Wan del − a n B eispiel en 1 1 1

è Wa h rh eit u n d Wa h rn eh m u n g 1 22

Was ist der M ensch? 1 37

è Wa s p rägt den Men sch en ? 1 37

è Abh än gigkeit, Geborgen h eit, Losgel östsein 1 48

è F l u ch ten : D ie Ma trix der Geborgen h eit 1 51

è Sta tt F l u ch ten : Su bjekt d es eigen en Leben s werden 1 57

Selbstentfaltu ng 1 61

è E goism u s a l s An trieb 1 63

è Wie geh t's? 1 66

è Wa s h in dert u n s? 1 72

Autonom ie & Kooperation 1 77

è Wo E igen n u tz u n d Gem ein n u tz sich gegen seitig förd ern 1 77

è Au ton om ie u n d Koop eration 1 79

è B ezieh u n gskisten : Au f die Art der Koop eration kom m t es an 1 82

è Vorau ssetzu n gen fü r „Au ton om ie u n d Kooperation“ 1 86

è D er Weg zu Au ton om ie u n d Koopera tion 1 89

M ensch − N atur − Tech nik 1 91

è Men sch u n d N a tu r 1 91

è N atu r u n d N a tü rl ich keit 1 94

è N atu rn u tzu n g al s Al l ian ztech n ol ogie 1 96

è Tech n ik: H eil sbrin ger, teu fl isch oder ein fach n u r Werkzeu g? 2 00

è Forsch u n g u n d Forsch u n gsfreih eit 2 04

4 Strategien 207

è D ie B rü cke von d er Th eorie zu r P raxis 2 07

H eu te beginnen, nie au fh ören 208

è E m an zip ation u n d Sel bsten tfal tu n g al s offen er P rozess 2 08

Fragend sch reiten wir voran 21 5

è Mu t zu r Vision bei kritisch er Refl exion 21 5

H orizontalität und offene System e 21 7

è Rä u m e, Kom m u n ika tion u n d m eh r oh n e P rivil egien 21 7

è Verh an del n oh n e Regel n u n d Metaeben en 21 8

è Worau f ist dan n n och Verl ass? 2 24

è Anwen d u n gsfel der 2 27

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Koordinierung und Kooperation 231

è Au f der Metaeben e d er Gesel l sch aft 2 31

è Zen tra l e Steu eru n g 2 31

è D em okra tisch e Legitim ation 232

è Rä te 233

è D ie ü berseh en en P robl em a l l er Mod el l e: E l iten , Ressou rcen , disku rsive Ma ch t 238

è Persp ektiven 2 41

Ökonom ie oh ne Zwang und Unterdrücku ng 243

è H errsch aftsfrei wirtsch aften 243

è E in e a n d ere P rod u ktion swel t ist m ögl ich ! 247

è Kl a rstel l u n g: E m a n zip ation ist etwas a n deres al s (N eo-)L iberal ism u s 252 è Mögl ich keiten u n d Gren zen dezen tral er Wirtsch aftsform en 253

5 P raxis: Experim ent, Aktion und Alltag 258

è D em askieru n g des H errsch a ftsförm igen in Verh äl tn issen u n d B ezieh u n gen 258

è H errsch aft a bwickel n 259

è An eign u n g u n d Au steil en 2 61

è B eteil igu n gsm ögl ich keiten a u sdeh n en , H em m n isse a bba u en 262

è U top ien en twickel n , ben en n en u n d voran treiben 264

è E xperim en te u n d Anwen d u n gsfel der 265

è Aktion : Öffen tl ich keit u n d Widerstan d 267

Gem eingü ter und frei zu gänglich e Ressou rcen 268

è Com m on s, Open Access u n d d er kl ein e U n tersch ied 268

è Organ isation sform en 274

è H ü rden u n d H em m n isse 275

è B eispiel e fü r Com m on s u n d Op en Access 277

Streit: Organisierte Vielfalt und Antrieb für den weiteren P rozess 285

è An ba h n u n g von Kom m u n ikation u n d Koop eration 285

è Orte sch a ffen u n d Meth oden „erfin den“ 288

è Al l tagstau gl ich keit: D irekte I n terven tion ü ben 289

Umwelt u nd Ressourcen 291

è Zen tra l e Steu eru n g oder U m wel tsch u tz von u n ten ? 2 91

è U mwel t oder Mitwel t? 292

è F l äch en - u n d Roh stoffverbra u ch 292

è Fazit: U mwel tsch u tz ist ein e Ma ch tfrage 296

è E xperim en te u n d Aktion en 297

Über das Örtlich e h inaus: Wie entsteht das Große? 300

è D irekte u n d gesam tgesel l sch aftl ich e Kooperation 300

è B eispiel Wa sserversorgu n g 302

è E n ergieversorgu n g 304

è B eispiel Mobil ität 307

è Konversion : D a s N eu e a u s dem Al ten form en 308

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Widerstand als utopisch es Feld 31 0

è E m an zip atorisch e Organ isieru n g u n d Strategie 31 1

è Wid ersta n d . . . oh n e sich an Mach tkäm p fen zu beteil igen 31 6

è U n d was h eißt da s praktisch ? 31 9

è Wer sch a fft d en Wan del ? 325

Anh ang: Glossar 326

è L iteratu r 347

è B ü ch er u n d Material ien 351

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Sel bstorganisierung im Al l tag:

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Vorweg

Um gleich falsch e Erwartu ngen zu verh in dern : Fragestellu n g dieser Abh andlu ngen ist nicht, welch e Gesellsch aftsform Au sbeu tu ng, Unterdrü cku ng u nd alles Sch lechte zwisch en den M en sch en bzw. im Umgang m it ih rer Umwelt au ssch ließt? Das wäre n ämlich nicht nu r vermessen, sondern au s h errsch aftskritisch er Sicht sogar kontraprodu ktiv. Denn alles, was etwas garantieren, also vermeintlich e Sich erh eit anstreben will, m u ss in der Kon sequ enz au toritären Ch arakter au fweisen. Das Gu te zu erzwin gen oder au ch nu r festsch reiben zu wollen, ist der Tü röffner fü r M achtansprü ch e. N icht zu fällig wü rde das den aktu ellen Legiti- m ationsdisku rsen fü r Kriege, Strafen u nd Überwach u ng äh neln.

Die Fragestellu ng lau tet anders: Unter welch en Rah menbedingu ngen (Verh ältn issen) ist der Anteil kooperativer Verh altensweisen u nd Organisieru ngsform en am h öch sten − u n d gleich zeitig der konku rrieren der bis dominierender am geringsten? Denn daru m geht es:

Das Kooperative u n d Gleich berechtigte soll wach sen, das Kon ku rrierende u nd Unterwer- fen de weich en . Dafü r bedarf es nicht Kontroll- u nd M achtmech anismen, son dern deren Abbau zu gu nsten von Selbstorgan isieru n gsprozessen freier M ensch en, die ih r M iteinan der selbständig u n d oh ne P rivilegien gestalten. Sie sch ließen freie Vereinbaru n gen oder treten diesen bei, oh n e Zwang u nd oh ne Vereinnah mu ng.

Vor I h nen u n d Eu ch , liebe LeserI nnen, liegen nu n ü ber 350 Seiten voller Gedanken u n d Entwü rfe. Wer nach einem Patentrezept fü r die bessere Zu ku nft su cht, wird enttäu scht wer- den. Alle Texte sin d eine Werbu n g fü r das B egreifen des Lebens als dyn amisch er P rozess u n d fü r den geü bten Um gang im notwendigerweise u nsich eren Fah rwasser der Selbst- entfaltu ng. Wir könn en wäh len zwisch en dem Spru ng zu rü ck in die geistige Entmü ndi- gu ng, die dann den Ansch ein von Geborgenh eit bietet, die als Sich erh eit au sgelegt wird.

Oder den Spru n g in das Abenteu er des Leben s, in den „ wilden Dsch u n gel der freien Kooperation“, wie es in nah esteh enden Debatten einmal benannt wu rde. Es werden Fragen offen bleiben − u nd das ist gu t u nd notwendig. Den n der Drang nach endgü ltigen Antwor- ten , Sich erh eiten oder Wah rh eiten kann ebenso fatal wirken wie die Gleich gü ltigkeit ge- genü ber den Ersch ein u ngen im H ier u nd Jetzt. Das Unbefriedigende ist neben der H off- nu ng au f das B essere wichtigster Ansporn, sich ein zu m isch en, N eu es zu entwerfen u nd zu sch affen .

í Welch en möglich st verlässlich en Sch u tz fü r das Selbstbestim mu ngsrecht der M en - sch en kann es geben?

í Was gesch ieht in h errsch aftsfreien Räu men bzw. welch e Gefah ren nicht-kooperativer Verh altensformen ergeben sich , wen n es keinerlei institu tionelle Entsch eidu ngsfin- du n g u nd Kontrolle meh r gibt?

í Welch e H errsch aftsstru ktu ren entsteh en, wenn die formale M acht abgesch afft wäre?

B ilden sich Seilsch aften? Kom mt es manipu lativer I nform ationspolitik, zu M acht- kämpfen zwisch en den Ebenen, zu m M achtgebrau ch von M eh rh eit gegen M inder- h eit, Kollektiv gegen Freirau m, M ain stream gegen Experiment?

í Gibt es noch Entsch eidu n gen? Wenn ja, wie seh en die Verfah ren au s?

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í Kann es h ierarch isch e, z. B. nach Fü h rer- oder demokratisch en P rinzipien organi- sierte Freiräu me innerh alb der h errsch aftsfreien Gesellsch aft geben?

í I st der Abbau ökonomisch er Ungleich h eiten Vorau ssetzu ng oder eh er Folge h err- sch aftsfreier Welt? Oder beides? Fü r wieviele oder welch e Unterdrü cku ngsform en gilt das au ch?

Fragen ü ber Fragen stellen sich − u n d dieses B u ch wird sie nicht lösen. Aber Perspekti- ven , Denkrichtu n gen , M öglich keiten u n d konkrete I deen zeigen. Sie kön nen zu m H an- deln , weiteren N ach denken oder zu Kritik anregen. Das wäre doch sch on viel. Vielleicht wäch st au ch die Wu t au f das B esteh en de u nd der M u t, es zu m Einstu rz zu bringen. Oder zu m indest daran zu kratzen. Das wäre au ch viel. Ein e andere Welt ist ja nicht n u r möglich , sondern nötig. Und waru m ü berh au pt nu r ein e? Eine h errsch aftsfreie Welt ist Vielfalt oder keine h errsch aftsfreie Welt.

Saasen, 30.1 2. 201 1

Eine Erklärung zur Entstehungsgeschichte dieses Buches befindet sich auf Seite 3 oben und muss hier nicht wiederholt werden.

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Woru m g eh t es?

Der M ensch kann sich u nd seine Umwelt abstrah ieren. Das h eißt, er kann so tu n , als stän de er au ßerh alb seiner selbst u n d beobachte sich . Er kann ü berlegen, ob das sinnvoll ist oder n icht, was er gerade tu t, getan h at oder tu n will. Gleich es lässt sich zu r eigenen Umwelt sagen − je sogar zu einer entfernten Umwelt, die gerade gar nicht direkt vor Au - gen steht. Der Körper, allen voran die H än de, bieten h ervorragende M öglich keiten, kon- krete I deen zu r Verän deru ng der äu ßeren Ersch eiu ngen au ch u m zu setzen. Der Kopf m it dem leistu ngsfäh igen Geh irn spielt m it, das in seh r kom plexen H andlu ngsabläu fen zu tu n.

N icht nu r lässt sich so die N atu r direkt verändern, z. B. kann ein B oden au fgelockert, Was- ser u mgeleitet oder H olz zu Papier werden. Es lassen sich au ch nicht n u r einfach e H ilfsm it- tel h erstellen, sondern m eh r versch achtelte Vorgän ge entwerfen , bei denen z. B. ein Werk- zeu g h ergestellt wird, das ein Werkzeu g h erstellt, mit der eine M asch ine h ergestellt wird, die die Um gebu n gsbedingu ngen verändert. Selbst das ist noch recht einfach − kommen noch Kooperationen vieler B eteiligter u nd programmierte Algorith men wie die Software von Com pu tern h inzu , so entsteht ein seh r kom plexer Ablau f, der am Ende die Au ffas- su ngsfäh igkeiten der Einzelnen sch nell ü bersteigt. Allerdings lassen sich wieder H ilfsmittel erzeu gen, die die Steu er- u nd Übersch au barkeit von Vorgängen verbessern − oder ver- sch lechtern.

Die Grenzen m en sch lich er Gestaltu ngsfäh igkeit sind also weit gesteckt u nd lassen sich stän dig weiter deh nen. Die entsch eidende Frage ist, wofü r diese Fäh igkeiten genu tzt wer- den. Woh in wird die P rodu ktivkraft gelenkt? Wie seh en die Entsch eidu ngswege au s? Au f welch e Weise entsteh en Kooperationen, wie können Entwicklu n gen beeinflu sst werden − u n d du rch wen? All das kann nicht „ wissen sch aftlich“ oder tech nisch entsch ieden werden.

Woh l können fü r alle Entsch eidu ngen dann wieder die passen den H ilfsm ittel erstellt wer- den, aber die Richtu ng selbst ist eine politisch e. Eine, die den M ensch en angeht u nd, au s eman zipatorisch er Sicht, von ih nen au sgeh en sollte.

Zu r Zeit dient gesellsch aftlich e Aktivität ü berwiegen d der Steigeru ng von P rofiten u nd der Kontrolle. B eide sind mitu nter au ch verbu nden u nd besteh en wieder au s vielen Teilaspek- ten , bilden die dom in anten Säu len gesellsch aftlich er Organ isation. Seit Jah rh u nderten.

Der lan ge Gewöh nu n gsprozess lässt sie wie N atu rgesetze ersch ein en , doch bei näh erer B etrachtu ng sin d sie mit allen verfü gbaren M itteln der H errsch aftsau sü bu ng du rch gesetzt u n d im mer wieder neu inszen iert − von formal begrü ndeten Droh ku lissen (Gesetze, Stra- fe) bis zu disku rsiver Verm ittlu ng.

Em anzipation als Ringen u m gesellsch aftlich e B edingu ngen bedeu tet also zu n äch st, die M etafrage imm er wieder zu stellen . Es reicht nicht, n u r ü ber die tech nisch e Lösu ng der Energieversorgu ng, der N ah ru ngsmittelerzeu gu ng, zu M edikam enten u nd ärztlich er B e- h an dlu n g, zu Wissen, Kom mu n ikationsformen u n d Entsch eidu n gsfindu n g zu debattieren.

Son dern zu r Disposition steht die Frage, wie darü ber entsch ieden wird − also die Eigen- tu msfrage, die Frage der Tran sparenz aller Abläu fe, die M eth oden der Entsch eidu ngsfin- du ng, ja sogar sch on die Frage, wie ü ber diese Fragen disku tiert u nd entsch ieden wird.

Au ch geh ört dazu die Kläru ng, ob ü berh au pt etwas fü r alle festgelegt werden soll, was also Entsch eidu ngen ü berh au pt bedeu ten u nd nach sich zieh en . Sch nell kön nen schwindel- erregen de H öh en meh rfach verkn oteter Gedan kenstränge erreicht werden , die bei allem

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zu berü cksichtigen sind. Den n soziale Gefü ge sind h och kom plex. Einfach e Einzellösu n- gen werden ih nen selten oder nie gerecht. Dah er sei eine der wichtigsten Sch lu ssfolgeru n- gen sch on am B eginn gen annt. Es wird keine neu e N orm , kein neu es Gesetz geben kön- n en, dass Emanzipation passgenau besch reibt u nd sich ert. N u r der M en sch selbst, allein oder in der Komm u nikation mit anderen, ist in der Lage, kom plex wirken de Lösu ngen zu entwerfen u nd − da diese imm er nu r fü r den M oment gelten könn en − weiterzu entwi- ckeln. Es gibt also keinen Anfang u nd kein En de. Es gibt im mer Alternativen , aber u ns wer- den nicht im mer alle einfallen. Fortsch ritt basiert dah er au f der Offenh eit der Gegenwart u nd der Reflexion, ob nicht noch Anderes oder B esseres möglich wäre. Das wiederh olt sich nach jedem Sch ritt voran . . .

Fragend sch reiten wir voran . . .

Solch e Erkenntnis von Em anzipation als stän digem P rozess ist nicht neu . Eine sch öne For- m u lieru n g drang au s dem Lakandonisch en Urwald, dem symbolisch en Au sgangspu nkt za- patistisch er Au fstandsku ltu r in Ch iapas (M exico), in die Welt. N äm lich , dass B efreiu ng im- m er ein von Versu ch , I rrtu m , Reflexion u nd neu em (verbessertem ) Versu ch geprägter P ro- zess sein m ü sse. „ Fragend sch reiten wir voran“ wu rde zu einem wichtigen Leitspru ch des Au fstandes, der am 1 .1 .1 994 eine gefü h lte Alternativlosigkeit in vielen Regionen der Erde du rch brach .

Fragend sch reiben wir voran . . .

Dieser I dee folgen au ch die Texte au f diesen Seiten. Sie sollen, so jedenfalls die H offn u ng, B ekanntes u nd N eu es verbinden, weiterentwickeln u nd in s Gespräch brin gen. Aber sie könn en kein M an ifest, keine Gesch ichtssch reibu ng u nd keine Utopie sein, die irgen deine beson dere B edeu tu ng h at, einen h erau sgeh obenen Statu s beanspru cht oder gar Wah rh ei- ten . Denn solch es gibt es nicht, au ch wenn m itu nter Verlau tbaru n gen als solch e definiert werden , u m sie au fzu plu stern . Alles, was mensch lich er P rodu ktivkraft entspring, h at u nter einem eman zipatorisch en B lickwin kel dan n B estand, wenn es M ensch en, zu mindest Ein- zelnen , nü tzt. Es wäre sch ön, wenn diese Texte irgendwo etwas gedanklich voranbringen könn en − also Au sgan gspu nkt von wieder neu en I deen u n d Erkenntnissen sind, die das, was h ier steht, ü berwinden. Das kann du rch Widerlegu ng oder du rch Erweiteru ng gesch e- h en. Fatal wäre es, wenn diese Texte h ier in 1 0 oder 1 00 Jah ren wie ein Gesetzesbu ch be- h andelt wü rden. Lieber leben diese I deen als B estan dteil der sich darau s wiederu m entwi- ckelnden M eth oden, Tech n iken , P rodu kte oder I deen weiter, wäh rend der Urspru ng in Ver- gessenh eit gerät u n d gern e au ch geraten kann. Das Klam mern h eu tiger politisch er Th eo- rie an u ralte Texte beweist vor allem, wie wen ig Dynam ik seit lan gem sch on ü berall dort h errscht, wo es nicht u m P rofit u nd M acht geht. Die Sch alter der Gesellsch aft sind falsch gestellt. M en sch lich e Sch affenskraft treibt in au toritären Systemen nicht die Eman zipation u nd ein besseres Leben voran, sondern P rofit u nd Kontrolle. Das eigentlich Typisch e am M en sch wird versch ü ttet: Sich entfalten , Anderen die Entfaltu n g ermöglich en u nd insge- samt so das Potential der M ensch en zu m gu ten Leben voran brin gen .

N och eines: Alles, was h ier steht, ist offen, darf weiterverwen det u n d weiterentwickelt wer- den. Es wäre kein Sch aden, wen n es u nbeachtet bleibt. Aber es erh öht die Ch ance, nü tz- lich fü r M ensch en u nd ein besseres Leben, wenn alles verwendet u nd weiterentwickelt wer-

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den kan n. Form ale H ü rden sind H andbremsen der Em anzipation. Sie ein zu reißen , ist Teil von B efreiu n g.

„ Freie M ensch en in freien Vereinbaru ngen I I “ ist die ü berarbeitete u nd ergänzte Version der ersten Au flage, die 1 999 u nd 2000 von der Gru ppe Gegenbilder gesch affen wu rden.

Die ersten Entwü rfe der neu en Texte entstan den im Winter 201 0/1 1 im Gießener Gefäng- nis. Verfasser war Jörg B ergstedt, der dam als eine Freih eitsstrafe wegen einer Aktion gegen die Agro-Gentech nik absitzen mu sste. Danach konnten sie bis Dezem ber 201 1 disku tiert werden , u m ansch ließend im I nternet (also h ier) aktu alisiert u nd dann m it au sgewäh lten der gesamten Zitate in B u chform gegossen zu werden.

Ergänzende Literatu r

Um Wiederh olu n gen zu verm eiden , finden sich − vor allem in den Ka- piteln zu r Strategie u nd P raxis − Verweise au f Text au s anderen Veröf- fentlich u ngen, die im Rah men der gleich en oder äh nlich er Debatten entsteh en. Es sind dies vor allem die konkreten Zu ku nftsentwü rfe im B u ch „ Au tonom ie & Kooperation“ sowie das M eth odenh an dbu ch zu m Abbau von H ierarch ien u n d Dominanzen in Gru ppen mit dem Titel

„ H ierarch N I E! “. Alle Texte, au f die verwiesen wird, sind au ch im I nternet u n d au f der CD „ Utopien“ zu finden. Der Link ist an gegeben. Wir empfeh - len , zu m indest diese drei Werke als zu sammenh ängendes „ Set“ der De- batte u n d des Ringens u m Em anzipation zu nu tzen.

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Al l es für al l e! Diese Texte steh en unter einer Creative Com m ons-Lizenz. Sie dürfen frei verwendet und verändert werden. Bedingungen: Al l e darauf aufbauenden Werke m üssen im gl eich en Sinne frei sein und ebenfal l s unter dieser Lizenz veröffentl icht werden. E ine Quel l enangabe für „ Freie Mensch en in Freien Vereinbarungen“ oder diese I nternetseiten wäre nett.

D i r e c t - A c ti o n - R e a d e r 6 , - € Ak ti o n s ti p p s b i s zu m Ab w i n k e n - vo n K o m m u n i k a ti o n s g u e r i l l a ü b e r S tra ß e n - th e a te r, B e s e tze n u n d B l o c k i e re n , L i e - d e r u n d k re a ti ve s D e m o n s tr i e re n b i s zu r S a b o ta g e u n d G e w a l tfra g e . M i t e i - n e m g r u n d l e g e n e n E i n l e i tu n g s k a p i te l . A4 , 6 8 S .

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Gesch i ch te sozi a l er Org a n i si eru n g

Sozi al e Organ i sati on al s Gru n dform m en sch l i ch en Leben s

Der M ensch kan n, ab einem bestimmten Alter, als I n dividu u m allein ü berleben . Er könnte sich aber dann bereits nicht m eh r fortpflanzen, d. h . die M ensch h eit insgesamt wü rde bei völliger I solieru ng der I ndividu en au ssterben. Er kann sich zu dem − als B etroffeneR oder N u tzn ießerI n − der du rch die Gesamtzah l aller M ensch en geleisteten Arbeit nicht entzie- h en, denn sie ist ü berall au f dem P laneten spü rbar u nd wirksam. Es spricht aber au ch gar n icht viel dafü r, dass der M ensch fü r das einsame, abgekoppelte Dasein bestimmt ist. I m Gegenteil: M en sch lich es Leben ist von N atu r au s erkenn bar au f Kooperation u nd Kom mu - n ikation angelegt. Das gilt selbst dann, wenn die viel weitergeh en de, fü r den M ensch en ty- pisch e, seh r komplexe soziale Organisieru ng au ßer Acht gelassen wird. Denn sch on von der biologisch en Au sstattu ng h er spricht alles fü r ein Lebewesen, dass vor allem du rch Kooperation ü berlebt. Sichtbar wird dass an der langen Kindh eits- u nd Ju gendph ase, die ein M en sch nu r in der Obh u t u nd B egleitu ng Älterer ü berleben kan n. Zu dem ist der M en sch nu r seh r u n genü gend m it M öglich keiten au sgestattet, sich vor Fressfeinden zu sch ü tzen. Er h at gar keine körpereigenen Waffen, kann nu r begrenzt sch nell lau fen , kau m gu t klettern u nd könnte sich vielleicht du rch einen Spru ng ins Wasser vor man ch en Rau b- tieren retten , falls solch es gerade in der N äh e ist u n d nicht von anderen Fressfeinden besie- delt wird. N u r Kooperation h ilft, denn ein e Ansamm lu ng von M ensch en stellt sch nell eine ü berlegen e Kam pfeinh eit gegenü ber jedem An greifer dar.

M en sch en sind in vielerlei H insicht „ Allrou nder“. Alle ih re Sinne sind einigermaßen, aber keiner besonders gu t au sgeprägt. I h re N ah ru ngsqu ellen können breit gestreu t sein − Tiere u nd P flan zen, frisch e u nd h altbare Stoffe könn en dazu geh ören. Au ch das legt Kooperation n ah e, da die B esch affu ng der u ntersch iedlich en N ah ru ngsmittel im mer seh r versch ieden er Aktivitäten bedu rfte. Zwar sind die kon kreten Rollenau fteilu n gen , die im Lau fe der M en sch - h eitsgesch ichte dan n entstanden (z. B. zwisch en M ännern u n d Frau en oder H ierarch ien in Stämm en, Sippen u nd an deren sozialen B indu ngen), nicht au s der N atu r ableitbar, aber dass ü berh au pt eine Arbeitsteilu ng entstand, war sch on von der B iologie h er n ah eliegen d.

Der M ensch lebt nicht als H erde oder Schwarm, wo alle I ndividu en zu r gleich en Zeit au ch weitgeh end das gleich e tu n − also alle fressen, weiterwandern oder zu r Tränke zieh en.

Viel wichtiger aber als die biologisch en Gru ndlagen wirkte sich die ku ltu relle Entwicklu ng des M ensch en au s. Die zielt noch viel stärker au f Kooperation u nd dam it au ch Arbeitstei- lu ng h in. Viele wirku ngsmächtige „Werkzeu ge“, die M ensch en sich an eignen, wären fü r EinsiedlerI nnen ebenso ü berflü ssig wie bei gleich gesch altetem Verh alten . Dazu geh ört die komplexe Sprach e. Sie bot die Ch ance, zu neh mend vielfältigere soziale P rozesse au fzu - bau en, weil n u n au ch I nformation en zwisch en Teilen, die sich nicht meh r u nm ittelbar ge- genseitig erlebten, au sgetau scht werden konnten. Absprach en waren möglich , die ein ab- gestimmtes Verh alten ü ber große Entfern u ngen u nd au ch zeitlich voneinander versch obe- n en zu m Ziel h atten. Das eröffnete gru ndsätzlich neu e H an dlu ngsm öglich keiten , die alle feh len wü rden, wenn M ensch en n icht miteinan der kooperierten.

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Zwisch en isolierten I ndividu en fiele der P rozess gegenseitigen Lern ens weg u nd damit ein e der typisch en Fäh igkeiten von M ensch en , sich kom pakt u nd zu au sgewäh lten P u nkten das in Jah rh u nderten erarbeitete Wissen von Generation zu Generation weiterzu geben. Die Weitergabe von I nform ationen ü ber Sprach e, Vor- u nd N ach m ach en stellt eine bedeu tende neu e Qu alität im Flu ss der Evolu tion dar, spezifisch fü r h öh ere Lebensformen u nd in sei- nen Au sformu n gen typisch fü r den M ensch en. Der Selbstentfaltu ng des I ndividu u m s wü r- den also viele M öglich keiten genom men, wen n sich die I ndividu en voneinan der losgelöst du rch s Leben kämpfen wü rden. Der M en sch ist ein soziales Wesen − dieser Satz kann also au ch au s eman zipatorisch er Sicht bejaht werden (meh r h ier).

Doch damit ist noch nichts darü ber au sgesagt, wie das Zu sam menleben der M en sch en stattfindet − u nd wie es sich entwickelt h at. Denn ob die h eu tigen, sich ja ständig verän- dernden Formen sozialer B ezieh u ngen au ch den en in der Gesch ichte der M en sch en ent- sprach en, ist so klar nicht. Die Gesch ichtssch reibu n g h ierzu reicht u nmittelbar, d. h . in Form von sch riftlich en oder sonstigen Überlieferu ngen bis ca. 3000 Jah re zu rü ck. Arch äo- logisch e Au sgrabu ngen frü h erer Siedlu ngen lassen Rü cksch lü sse au f Form en des Zu sam- m en lebens zu , etwa ü ber die B estattu ngsku lte von Toten, von Fein dseligkeiten u nd Krie- gen, aber wenig ü ber die konkreten Um gangsweisen im Alltag. Wie sah das Zu sam menle- ben au s, bevor es Familien gab? Sch ließlich ist meh r als zweifelh aft, dass Fam ilien ein e lange Tradition in der M ensch h eitsgesch ichte h aben, feh lte doch bis zu dem Zeitpu nkt, an dem ü berh au pt klar wu rde, dass M än ner Anteil an der Fortpflanzu ng h atten , ein abstrakter Gru nd fü r die Fam ilie als Fortpflanzu ngsgemeinsch aft. Gab es trotzdem, au f erotisch er An- zieh u ng fu ßen de, feste Zweierkisten? Oder dom inierten eh er Sippen, Stämm e oder äh nli- ch e meh r oder weniger feste Gemeinsch aften? Was gesch ah mit den M en sch en, die es dort nicht au sh ielten? Oder die als u ntragbar galten? Wie sch arf waren die Grenzen zwi- sch en den Gemein sch aften gezogen − falls es ü berh au pt so starr abgegrenzte gab? I m Jah r 201 0 zeigten m eh rere Forsch u ngsarbeiten, dass etlich e Teile des h eu tigen mensch li- ch en Genoms vom N eandertaler stam men dü rften, d. h . die sich au seinanderentwickeln- den Teile der M ensch h eit h aben sich offensichtlich im mer wieder sch nell vermischt, wenn sie in Kontakt kam en − ob freiwillig oder gezwu n genermaßen, dü rfte schwer feststellbar sein.

Es ist angesichts der fortsch reitenden Ku ltu rtech niken des M en sch en wie Sprach e, die Ent- wicklu ng von H ilfsm itteln u nd Werkzeu gen, die H altbarm ach u ng von Lebensm itteln u sw.

denkbar oder sogar wah rsch einlich , dass sich die Form en des Zu sam menlebens im Lau fe der Zeit veränderten. Ebenso dü rften sie au ch innerh alb eines Zeitabsch nittes an versch ie- denen Orten recht u ntersch iedlich gewesen sein. Eine weltweite Disku rssteu eru ng, wie sie h eu te ü ber M edien, B ildu ng u n d Gesetze recht einfach möglich ist u nd N ormen als allge- m eingü ltig zu setzen weiß, gab es frü h er nicht. Doch ob darau s ein e bu ntere Vielfalt von Organ isieru n gsformen entstan d, ist u n bekannt.

Je länger m en sch in die eigen e Gesch ichte zu rü cksch au t, desto enger sind die damals Le- benden m it den n atü rlich en Verwoben h eiten verbu n den, desto weniger abstrah ierten sie ih r Leben u nd ih re Umweltbedin gu ngen. Die Gesch ichte der M ensch en ist ein prägnantes B eispiel fü r die Entwicklu ng des Lebendigen u nter Sch affu ng im mer neu er M öglich keiten, die wiederu m die B edingu ng der Entwicklu n g weiterer M öglich keiten bildet.

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Arbeitsteilu ng u nd H ierarch ie

Arbeitsteilu ng dü rfte, wie gezeigt, von B egin n an die Entwicklu ng der M ensch h eit begleitet h aben. M it zu neh mender Fäh igkeit zu r sprach lich en u n d später sch riftlich en , d. h . ü ber weite Strecken transportierbaren Kom mu nikation n ah m die Arbeitsteilu n g an Kom plexität zu . Das ist aber nicht au tom atisch m it der Entsteh u ng von H ierarch ien verbu nden . H ierar- ch isch e Arbeitsteilu n g ist eine bestimmte, aber nicht n otwen dige Form der Au fteilu ng von Tätigkeiten. Diese kann au ch einvern eh m lich , z. B. n ach N eigu n g, au genblicklich er Lu st, n ach Fäh igkeiten oder gemeinsam erörterten N otwendigkeiten erfolgen. M öglich ist eine zu fällige oder rotierende Arbeitsteilu ng. Ob die h eu te dom in ierende h ierarch isch e Arbeits- teilu ng von B eginn an die M en sch h eit prägte, weiß niemand. Es gibt H inweise, dass sich zu m indest die H ierarch ien versch oben. So h aben in alten H öh lenm alereien u nd Sku lptu - ren Darstellu ngen weiblich er Körper ein en wesentlich h öh eren Anteil bei solch en Figu ren, die wichtige gesellsch aftlich e Positionen einnah m en − bis h in zu den frü h en Göttinnen. I m Ju dentu m, Ch ristentu m u nd I slam ist davon n ichts m eh r zu spü ren bzw. die Gleich berech - tigu n g mu ss in der N eu zeit mü h sam zu rü ckerkämpft werden m it bislang nu r m äßigem Er- folg.

Arbeitsteilu ng ist keine au sreich ende Erkläru ng fü r die Entsteh u ng u nd Existenz von H ie- rarch ien. Allerdings kann sie diese befördern, weil eine h ierarch isch gegliederte Arbeitstei- lu ng sich selbst verstärkt. Du rch Arbeit werden Ressou rcen gesch affen , die bei u ngleich er Verteilu ng besteh ende H ierarch ien zementieren oder sogar steigern. Dazu geh ören I nfor- m ationen, P rodu ktion sm ittel u n d, seit es die Geldwirtsch aft gibt, das u niverselle Tau sch m it- tel Geld. I n den letzten Jah rtau senden kam die Formalisieru ng der H ierarch ien h inzu , die sie n och viel weitergeh ender selbst bestärkte: Wenn h errsch ende Kreise die Regeln ein er Gesellsch aft festlegen, wird sich das in ih rem eigenen M achtanspru ch widerspiegeln. So sch ü tzen Gesetze h eu te vor allem den M achtanspru ch des Staates, die P rivilegien von M ännern u nd I nländern, das Eigentu m u n d geh ortetes Wissen, die Verteilu n g von Waffen u nd Ressou rcen .

Existieren also erst einm al H ierarch ien , so zeigen diese imm er die Tendenz zu ih rer Selbst- verstärku ng, weil die bereits P rivilegierten au ch fü r zu kü nftige Verteilu ngsprozesse ein e u n- gleich e Zu ordnu ng von Ressou rcen u nd H andlu ngsmöglich keiten erreich en können. Zu - dem werden sie dazu n eigen, ih re privilegierte Position zu verteidigen. Diese ist u nter ande- rem du rch das Au fbegeh ren der N icht-P rivilegierten, aber au ch du rch die Konku rrenz zwi- sch en den P rivilegierten gefäh rdet. Ersteres fü h rt zu m B edü rfnis nach Kontrolle, d. h . die in der H ierarch ie oben Steh en den bau en Überwach u ngssysteme au f, u m etwaige Angriffe au f ih re Stellu ng frü h zeitig erkenn en u n d abweh ren zu können. Zweiteres, also der interne Konku rrenzkam pf fü h rt zu einer Au frü stu ng mit Du rch setzu n gsm itteln, u m die eigen en P rivilegien gegen den Zu griff anderer P rivilegierter verteidigen oder au sbau en zu können.

N otwendig wäre das alles nicht. Es gibt keinen sch lü ssigen Gru nd dafü r, dass die M en sch - h eit H ierarch ien bräu chte. Sie sind entstanden (wodu rch , ist nicht absch ließend u nd erst recht nicht in allen Details geklärt) u nd sch u fen dann, als sie bestanden , eine Tendenz zu r Selbstverfestigu ng oder sogar Verstärku ng.

Etlich e au ch h eu te noch oder n eu besteh ende Form en h orizontaler, d. h . h ierarch iefreier Kooperation zeigen aber, dass es der H ierarch ien n icht bedarf. Es spricht sogar einiges da- fü r, dass H ierarch ien eh er dem Leben u nd der Selbstentfaltu n g der M en sch en konträr u n d

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feindlich gegenü bersteh en , d. h . dass die Tatsach e, dass die M ensch h eit fast ü berall h ierar- ch isch operiert, ein wichtiger H emmsch u h fü r Fortsch ritt u nd Weiterentwicklu ng ist. Dieses zu klären, ist Au fgabe der folgenden Absch nitte.

Wer m ach t Gesch i ch te?

Was prägt di e Gesel l sch aft?

N u n ist Gesch ichte nicht nu r Sch icksal. Zwar sind viele Aspekte u n d Einflü sse fü r den M en- sch en u n abän derlich , aber selbst M aterie u nd n icht-m ensch lich es Leben u nterliegt einem Verän deru ngsprozess, der als Evolu tion bezeich net wird. I n diesem P rozess entsteh en neu e Qu alitäten, die die Au sgangsbedin gu ngen der Weiterentwicklu ng verändern.

I n der m ensch lich en Gesellsch aft wirken diese Eigensch aften von M aterie u n d Leben wei- ter. H inzu kommt die ku ltu relle Entwicklu ng, die als neu e Qu alität au s dem Lebendigen h e- rau s entstand u nd nu n du rch eigene M ech anism en wie Sprach e, Doku mentation von Wis- sen , organ isierten Lern en u n d Werkzeu ggebrau ch die Gesch ichte der mensch lich en Ge- sellsch aft vorantreibt. Dieser P rozess ist derart komplex, dass es schwerfällt, alle Antriebs- kräfte zu ben en nen . Wie ü blich besteht in dem Versu ch , dieses zu tu n , bereits die Gefah r der Vereinfach u ng. Dah er sind die folgen den H inweise mit Vorsicht zu genießen. Erst recht gilt das aber fü r andere Th eoriedebatten, wen n sie die gesellsch aftlich e Entwicklu ng au f nu r ein en der P rozesse zu rü ckzu fü h ren versu ch en. Das entlastet des Kopf, weil das Den- ken ü ber die Welt einfach er wird. Doch der u ngeh eu ren Komplexität mensch lich er Gesell- sch aft wird es nicht gerecht.

Trotzdem gesch eh en die Verkü rzu ngen ü berall, au ch im klassisch en Gesch ichtsu nterricht:

Da stü rzen sich steh ende H eere in riesige Sch lachten (Antike bis M ittelalter), später rekru - tieren Fü h rer ganze B evölkeru n gen fü r ein noch blu tigeres Gem etzel. Kreu zzü ge verwü s- ten u nd sch eitern , B au ernkriege u nd Arbeiterrevolu tion en prägen die Jah reszah len. Große Kriege u n d gesellsch aftlich e Sch lachten werden in die Köpfe der Sch ü lerI nn en gedro- sch en, als wäre mensch im M ath em atiku nterricht. Die män nlich e Sch reibweise reicht da- bei, denn Frau en komm en in dieser Art h istorisch er B etrachtu ng gar n icht erst vor. Sind es die großen Fü h rer u nd Sch lachten, die die Welt verän dern? Welch e Wirku ng h atte die Er- findu ng der Glü h birne oder die erst allm äh lich e Erkenntnis, dass Rassen gar nicht existie- ren? Was tru gen die P hysikerI nnen zu r Gesch ichte bei, die h erau sfanden, dass das Atom doch spaltbar ist − oder später dass die B estan dteile sich n och weiter zerlegen ließen bis zu m . . . tja, bis zu m N ichts? Wer war wichtiger: Galilei oder Alexander, der Große? Und wa- ren die beiden ü berh au pt die tatsäch lich prägenden Figu ren ih rer jeweiligen persönlich en Sch lachten?

Gesch ichte ist die Gesch ichte der Elitenkäm pfe

Au ch wenn sich bis h eu te seltsame Th eorien h alten oder sogar verstärken, die kleine Kreise als Drahtzieh er der Welt verm u ten − M arionetten spielerI nnen gleich − , das alles war u n d ist Unsinn . Die Welt ist zu groß u nd kom plex, so voller Konku rrenzen u nd Streit, dass sie niemand allein , au ch kein e einzelne Gru ppe regieren kann. Sie mag große Ressou rcen fü r sich sich ern u n d au fwändig verteidigen . Aber sie erreicht nicht die Win kel dieser Welt. Ge- rade zentrale Fü h ru n gen nicht. Desh alb h at der Wandel von der M onarch ie oder der Dikta-

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tu r zu m modern en Rechtsstaat ja au ch Vor- u nd N achteile: Den Vorteil, dass die Willkü r- lich keit des H errsch ens in der Sph äre der au f m eh rere Staaten im Staate verteilten M acht zu rü ckgeht. Aber gleich zeitig den N achteil, dass du rch die Au sstattu ng breiterer Kreise m it M acht diese sich in ih rer Wirku ng au sdeh nt u n d bis in die kleinsten B ereich e des privaten Lebens reicht.

H inter allen Fü h ru n gsperson en u nd -gremien fand sich im mer ein e Sph äre privilegierter M en sch en. I h re P rivilegien u nd die M ittel, diese du rch - u nd einzu setzen , h abe im Lau fe der Gesch ichte gewech selt. Kriege, Revolu tionen, Kran kh eiten oder Wah len konnten die konkreten Person en verdrängen u nd P latz fü r N eu e sch affen. Das P rin zip aber bleib: Jede Gesellsch aft u nd jeder gesellsch aftlich e Su brau m bildet im N orm alfall eine Fü h ru n gs- sch icht h erau s, die au fgru nd ih rer P rivilegien die Lage m eh r beeinflu sst als andere. Die ei- n en verfü gen ü ber Apparate legitimer, direkter Gewalt (z. B. Polizei oder M ilitär). Die ande- ren beeinflu ssen stärker Disku rse (M edien, B ildu ngsanstalten) oder M oralvorstellu ngen (frü h er Religionen , h eu te Esoterik, z.T. M edizin ). Zwisch en ih n en u nd h in zu den M achtlo- sen bilden sich meh r oder weniger fließende Übergänge. Doch Gren zen bleiben − ge- prägt du rch den Zu gang zu P rivilegien oder Verh alten scodes u n d m eh r. Diese Fu n ktions- eliten , wie sie h eu te bezeich net werden, entsteh en du rch gesellsch aftlich e Position u nd Ein- flu ssm öglich keiten , wäh rend frü h er der Zu gan g zu r M acht stärker ü ber politisch e Ämter, Adelszu geh örigkeit oder − prägend in den letzten zwei Jah rh u nderten − B esitz von Kapi- tal u nd P rodu ktionsm itteln organisiert war.

I nnerh alb dieser Eliten besteht keine Einigkeit au ßer der, die P rivilegien gegenü ber den N icht-P rivilegierten oder gegen ü ber gesellsch aftlich er Um gestaltu ng zu verteidigen. Dar- ü ber h in au s besteh en Konku rren zen u m Ressou rcen u nd P rivilegien, die in h eftige M acht- kämpfe oder sogar Kriege au sarten können. Es sind solch e Elitenkämpfe, die seh r ent- sch eidende Weich en stellu ngen fü r die Weiterentwicklu ng von Gesellsch aft sch affen. H ier rollen nicht nu r Köpfe, sondern au ch materielle Ressou rcen, Gelder, Land u n d meh r.

„D ie Tran sform ation der D em okra tie“, Vol ta ire Verl ag in B erl in (S. 31 )

Innerhalb eines Systems hingegen gehen nur Führungskonflikte vor sich, die im wesentli- chen Konkurrenzkämpfe zur Ablösung der jeweiligen Führungsgruppe sind und die der teil- weisen Umgruppierung innerhalb eines Oligarchienkreises dienen. Die Verkürzung des Herrschaftskonflikts auf den Führungskonflikt reproduziert staatlich-politisch den gesell- schaftlichen Vorgang − und den manipulativ vorgenommenen Versuch − der Reduzierung des Antagonismus auf den Pluralismus. Diese Verkürzung − das eigentliche technisch-politi- sche Kernstück des Friedens − trägt wesentlich zur Anpassung und schließlich zur Auflö-

sung eines antagonistischen Bewußtseins gegen den Oligarchien bei.

Pareto Tra ttato: * Die Geschichte ist ein Friedhof von Eliten.

Gesch ichte ist die Gesch ichte der Befreiu ngskäm pfe

Doch nicht nu r Eliten sch reiben Gesch ichte. Politisch e Verh ältnisse wie die B e- teiligu ng sozialer Sch ichten in Fü h ru ngsgrem ien, die Au sform u lieru n g von Ge- setzen, die Eigentu m sverh ältnisse u n d M acht in B etrieben oder die Gü ltigkeit von Gru ndrechten, entspringen au ch gesellsch aftlich en Au fständen, die nicht imm er von Eliten inszeniert werden. P roteste oh n e Eliten sind meist an ih rer relativen Unstru ktu - rierth eit zu erkennen, sie werden in der Öffentlich keit als ch aotisch wah rgen omm en . Aber diese Öffentlich keit ist dom iniert von den Eliten, die ih re Sichtweise du rch setzen u nd jeden

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* Zitiert in: Geb-

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h ardt, Jürgen/

Münkl er, H erfried (1 993) , „ Bürger- sch aft und H err- sch aft“, N om os in Baden-Baden ( S. 227)

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politisch en P rotest sofort zu einer Sach e der Eliten u mzu fu n ktionieren versu ch en, in dem Teile der Eliten den Au fstand vereinn ah men u nd als eigenes Du rch setzu ngspotential nu t- zen.

Viele Au fstände entsteh en aber oh ne Eliten. Selbst in der jü ngsten deu tsch en Gesch ichte ist das bei den Sozialprotesten n ach der Jah rtau sendwende („ M ontagsdem os“ ) ebenso der Fall gewesen wie vorau ssichtlich bei den P rotesten gegen die DDR-Regieru ng 1 989. I n beiden Fällen h aben politisch en Eliten aber seh r sch nell die Fü h ru ng an sich gerissen, den selbstorganisierten P rotest dam it getötet, aber die Kraft des P rotestes in eine Stärku ng ih rer eigen en politisch en Einflu ssmöglich keiten u mgesetzt. Am Ende der DDR h errschte die CDU, wäh rend die späteren M ontagsdemos von der sich dann grü ndenden Partei Die Linke transformiert wu rde).

So trau rig die m eisten Verläu fe au ch sind h in sichtlich des Unvermögen s, sich selbst u n d h orizontal zu organisieren sowie gleich zeitig die Vereinnah mu ngs- u nd Fü h ru ngsversu ch e bish eriger oder n eu er Eliten von sich zu weisen , so bleiben die fü h ru ngslosen P h asen doch nicht oh ne Wirku ng. Oh ne sie wäre so m anch e Veränderu n g nie gekomm en. Den n selbst wenn Eliten B ewegu ngen vereinn ah men, geht der I mpu ls au f die u norgan isierten Anfänge zu rü ck. N icht imm er werden die damit verbu ndenen I nh alte vollständig verdreht − u n d da- h er bleiben au ch die spontanen B efreiu ngskäm pfe au ßerh alb der Eliten ein Antrieb der Ge- sch ichte. Elitenkämpfe u nd B efreiu ng können zu dem u nabh ängig von einander existieren u n d in gleich e Richtu ngen wirken. Der Kam pf u m repression sarm e oder -freie Räu me z. B.

in der H au sbesetzerI n nen bewegu ng oder h eu te im I ntern et sin d B eispiele h ierfü r. Aktionen

„ von u nten“ u nd Rivalitäten von Eliten fanden bzw. fin den h ier gleich zeitig statt, aber au f versch ieden en gesellsch aftlich en Ebenen.

M öglich bleiben zu dem selbstbefreiende Käm pfe, die von Eliten n icht beachtet werden oder diese wirksam fernh alten. Selten gesch ieht dieses in Form einer abru pten, zeitlich be- sch ränkten Au fleh nu ng oder gar einem Au fstand. Letztere sin d m eist von Eliten gefü h rt, die wü tende M en sch enm assen lenken oder benu tzen (sieh e oben). Verbreitet h ingegen sin d P rozesse, die gar nicht besonders au ffallen, aber denn och wirken , weil sich I deen, Über- zeu gu ngen u nd Sichtweisen lan gsam verbreiten − oft von u nten nach oben inn erh alb ge- sellsch aftlich er H ierarch ien. Der Wandel setzt sich „ graswu rzelartig“ fort.

Gesch ichte ist die Gesch ichte der P roduktivkraftentwicklu ng

P rodu ktivkraft ist meh r als P rodu ktion. Gemeint ist die Fäh igkeit des M ensch en, seine Um- gebu ng zu formen, seine Lebensbedingu ngen selbst zu gestalten u nd dabei Werkzeu ge al- ler Art (im weitesten Sin ne) zu entwickeln, die ih m bei der Umgestaltu n g h elfen u nd som it die P rodu ktivkraft erh öh en. Zu dem sammelt er Kn ow-H ow − sowoh l als ein zelne Person wie au ch in der Gesamth eit.

Fraglos: Diese Fortentwicklu ng der P rodu ktivkraft ist ein e ständige Weiterentwicklu ng, au ch wenn es gesch ichtlich e Epoch en u nd Ström u ngen gab, die Wissens- oder Werkzeu g- fortsch ritte zu rü ckdreh en wollten (m en sch denke nu r an die Vernichtu n g vieler selbständig denkender M ensch en, ü berwiegend Frau en, u nter der Versch leieru n g als H exenverbren- nu ng oder die kü nstlich e Zerstöru ng von Städten u nd B ildu ngseinrichtu ngen u nter den Roten Kh m er in Kambodsch a).

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Anders als die Konku rrenzkäm pfe stellt die P rodu ktivkraftentwicklu n g weitgeh end ein en voransch reitenden P rozess dar, ist also ein zentraler Antrieb der Evolu tion des M ensch en u nd der Gesellsch aft. Allerdings ist sie n icht die einzige Kraft − u n d erst recht nicht der ein- zige gesch ichtsbildende Einflu ss. Das m ag m en sch m itu nter bedau ern, aber Destru ktiv- kräfte h aben imm er au ch eine Rolle gespielt u nd die Gesch ichte der M ensch en mitge- sch rieben.

Es wäre zu dem eine Vereinfach u ng, m en sch lich es Leben, Sprach e u nd andere Kom mu n i- kation, Streit u nd Kooperation, Distanz u n d N äh e zwisch en M ensch en imm er n u r als Au s- dru ck der Steigeru n g von P rodu ktivkraft zu bewerten. Ku nst, Solidarität, Liebe u n d alles − nu r P rodu ktivkraft?

Gesch ichte ist die Gesch ichte der Disku rse u nd Deu tu ngen M en sch en denken meist in B egriffen, Kategorien u nd Wertu ngen. Das h at praktisch e Vor- teile, u m sich z. B. ein Abbild der Welt im Kopf zu m ach en, Vorgänge ein zu ordnen u nd sich m it anderen zu verstän digen. Die Einordnu ng des Wah rgen omm en en in solch e Denk- m u ster fü h rt zu einer stets su bjektiven Au fnah m e neu er I nform ationen. Abweich ende Kate- gorien u nd B egriffe kön nen dann zu M issverstän dn issen oder Deu tu ngsfeh lern in der Komm u nikation fü h ren.

Allerdings entsteh en B egriffe, Kategorien u nd Wertu n gen nicht in dividu ell, son dern sin d selbst wieder Teil sozialer B eeinflu ssu ng u nd I nteraktion. Was u nter ein em B egriff zu ver- steh en ist, welch e Assoziationen er h ervorru ft u nd wie Wah rgen omm en es in das vorh an- dene Sch ema von B egriffen, Kategorien u nd Wertu ngen eingebau t wird, ist stark von der jeweiligen ku ltu rellen P rägu n g abh än gig. Diese u ntersch eidet sich bereits kleinteilig von- einander. So wird ein Arbeiter im VW-Werk oder die Arbeitssu ch ende bei der H artz-I V-Ver- gabestelle etwas ganz anderes mit dem B egriff „ Arbeit“ verbinden als eine stu dierte M arxis- tin, die im Th eorieseminar oder Rotweinzirkel disku tiert. Der P hysiker, der B erech nu ngen zu Leistu ng u nd Kraft von M asch in en anstellt, h at wiederu m ein en anderen B egriff im Kopf.

Dennoch sind die B edeu tu ngen nicht willkü rlich . Sie könn en formal definiert sein (wie der B egriff „ Arbeit“ in physikalisch en Gleich u ngen) oder du rch prägende Denkmu ster u n d ih re ständige Reprodu ktion in Sprach e, B ildern u nd an deren Au sdru cksformen dominiert sein. Der P rozess, der m eh r oder wen iger gleich gesch altete Deu tu ngen erzeu gt, wird Dis- ku rs genannt. Sie h aben m ächtigen Einflu ss au f die Gesellsch aft, weil au s ih n en prakti- sch es H an deln folgt. Da au s der sozialen Ein gebu ndenh eit des M ensch en folgt, dass Den- ken u n d Werten im mer beeinflu sst werden kan n, stellen die Disku rse u nd ih re Steu eru ng ein mächtiges M ittel der B evölkeru ngskontrolle dar. Dass Arbeit (im Sinne von Erwerbsar- beit) das I mage eines M en sch en au smacht, h at meh r Einflu ss au f den Drang von M en- sch en, u nbedingt ih re Arbeitskraft verkau fen zu wollen, als die Kontrollperson in der Ar- beitsagentu r. Der Respekt vor Eigentu m , die An gst vor Kriminalität, der H ass au f Au slände- rI n nen , die Sorge u m den Standort Deu tsch land, die Eh rfu rcht vor Roben -, Kittel- u nd Titel- trägerI nnen − all das folgt au s Disku rsen. M it ih nen verbu nden sind Form en von Kontrolle u nd Unterdrü cku ng, die der passende Disku rs legitimiert. Das ist keine Überrasch u ng, denn du rch P rivilegien entsteh en u ntersch iedlich e Einflu ssm öglich keiten au f die Disku rse.

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Diese Aspekte sind so wichtig, dass ih nen eigene Kapitel gewidm et sein sol l en.

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Deren Steu eru ng ist also vor allem Sach e der Eliten. Die dort stattfindenden Konku rren z- kämpfe, aber au ch soziale Kämpfe u nd Einzelim pu lse von nicht privilegierten Kreisen oder Personen können neu e Disku rse entfach en. Denn die Verteilu ng der Steu eru n gsm acht ü ber Disku rse ist zwar seh r u n gleich verteilt, aber ganz kontrollierbar sind sie fü r die M äch - tigen, Fü h ru ngsgrem ien oder Eliten nicht. Das Ringen u m die Deu tu ng gesellsch aftlich er Ereign isse u nd Zu stände ist dah er ein Param eter von Gesch ichte. Er wird angesichts der m edial geprägten „Wissensgesellsch aft“ imm er wichtiger.

Gesch ichte ist die Gesch ichte der externen Au toritäten

Au sü bu ng von H errsch aft bedarf, u m dau erh aft wirksam zu bleiben, der Androh u ng u n d bei B edarf au ch Anwendu ng massiver Gewalt oder ein er Legitim ation, die B efeh l u nd Ge- h orsam, Au sbeu tu ng u nd Unterdrü cku ng zu einem Akt von Sch icksal, externer Kräfte oder h öh erer Vernu nft m ach en. Der Legitimationsh intergru nd h at im Lau fe der Gesch ichte ge- wech selt − n otwen dig war aber immer einer. M it dem Wech sel ging regelmäßig au ch ein Au stau sch der kon kreten Personen oder gesellsch aftlich en Sch ichten einh er, die die M acht- eliten bildeten.

Erfolgreich waren Legitimation en immer dann, wenn sie au f Disku rse u nd Ängste au fset- zen kon nten , die oh neh in in breiten Sch ichten der B evölkeru ng vorh an den waren. Dazu geh ören die Religion en , die au s den zu näch st u nerklärlich en u n d bedroh lich wirken den N atu rereignissen ein e Existenz h öh erer M ächte ableiteten. Sie taten das in einem sich ü ber die Jah rtau sende wan delnden P rozess des Entwerfen s imm er neu er B ilder irgendwelch er Gotth eiten oder fremder Energien, au ßerirdisch er Welten , Totengrü nde u nd meh r. B litz, Donn er, Kran kh eiten oder andere, vorü bergeh ende Un erklärlich keiten konnten erfolgreich zu Au sdru cksform en der extern en, h öh eren M ächte u m gedeu tet werden. Vielen M en sch en verfielen, ob n u n au s Angst vor den u nbeh errsch bar ersch einenden N atu rgewalten oder au s Opportu nismu s gegenü ber den jeweiligen M achth aberI nn en, dem Glau ben an h öh ere Au toritäten u n d ließen sich ein gem einden in das Kollektiv der Gläu bigen, das sein e ph anta- sievoll kreiierten Welterkläru ngsmodelle einerseits von Generation zu Generation weiter- gab u n d andererseits in absu rden Sch lachten anderen M en sch en, die sich andere Er- kläru n gsm ärch en zu rechtgelegt h atten, au fdrü ckte.

I mm er aber sch u fen die Erzäh lu ngen Legitim ation fü r die Au sü bu n g von H errsch aft. Alle Religionen teilen den M ensch en Rollen zu , verbu nden mit u ntersch iedlich er Gestaltu ngs- m acht in der Gesellsch aft. Diese ist nu n nicht m eh r willkü rlich du rch gesetzt, sondern ba- siert au f h öh eren Weih en: Der Papst wird, selbst wenn er noch so wirres Zeu g von sich gibt, als Stellvertreter Gottes betrachtet. Tau sende von Kirch enfu nktionärI nn en kanzeln die u nterdrü ckte B evölkeru ng mit M einu n gen u n d Anweisu ngen ab, die sie als Verkü ndu ng h öh erer Weish eiten verpacken u nd mit Droh u ngen vor göttlich en Strafen verbinden, u m andere gefü gig zu m ach en.

Dieser Legitimation sh intergru nd modernisierte sich im Lau fe der Gesch ichte, mitu nter in blu tigen Übergangssch lachten zwisch en den Religion en oder in Folge der Au fkläru ng, die allerdings nicht die Emanzipation der M ensch en, sondern nu r den Wech sel der h öh eren Au toritäten verkü n dete. Fortan ersch ien die H an dlu ngsanweisu ng wah lweise als kategori- sch er I m perativ, als Recht göttlich en Urspru ngs oder im N amen des Volkes − alles weiter- h in freie Erfindu ngen, die Au sü bu ng von M acht legitimierten. Die N eu eru ngen entspran-

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