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Konzepte, Methoden und Praxis der Klinischen Psychiatrie

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Academic year: 2022

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Begründet von:

Wolfgang Gaebel Franz Müller-Spahn (†) Herausgegeben von:

Wolfgang Gaebel Peter Falkai Wulf Rössler

Übersicht über die bereits erschienenen Bände:

l Stefan Weinmann:

»Evidenzbasierte Psychiatrie«

l Rolf-Dieter Stieglitz:

»Diagnostik und Klassifikation in der Psychiatrie«

l Thomas Becker/Holger Hoffmann/Bernd Puschner/Stefan Weinmann:

»Versorgungsmodelle in Psychiatrie und Psychotherapie«

l Hans Joachim Salize/Reinhold Kilian:

»Gesundheitsökonomie in der Psychiatrie«

l Tillmann Supprian:

»Frühdiagnostik von Demenzerkrankungen«

l Werner Strik/Thomas Dierks:

»Biologische Psychopathologie«

l Sabine C. Herpertz/Knut Schnell/Peter Falkai (Hrsg.):

»Psychotherapie in der Psychiatrie«

l Wulf Rössler/Birgit Matter (Hrsg.):

»Kunst- und Ausdruckstherapien«

l Oliver Gruber/Peter Falkai (Hrsg.):

»Systemische Neurowissenschaften in der Psychiatrie«

l Jens Kuhn/Wolfgang Gaebel (Hrsg.):

»Therapeutische Stimulationsverfahren für psychiatrische Erkrankungen«

l Wulf Rössler/Vladeta Ajdacic-Gross (Hrsg.):

»Prävention psychischer Störungen«

l Wolfram Kawohl/Wulf Rössler (Hrsg.)

»Arbeit und Psyche«

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Arbeit und Psyche

Grundlagen, Therapie, Rehabilitation, Prävention – Ein Handbuch

1. Au fl age

Verlag W. Kohlhammer

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insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applika- tionen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wis- senschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamenten- beipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häug angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

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1. Auage 2018 Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print:

ISBN 978-3-17-025762-7 E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-025763-4 epub: ISBN 978-3-17-025764-1 mobi: ISBN 978-3-17-025765-8

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Prof. Dr. med. Wolfram Kawohl, geb. 1971, ist Chefarzt und Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie bei den Psychiatrischen Diensten Aargau AG. Er ist Titularprofessor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Zürich und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit dem zusätzlichen Schwerpunkttitel Psychia- trie und Psychotherapie der Abhängigkeitserkrankungen. Bis 2016 war er Chefarzt des Zentrums für Soziale Psychiatrie an der Psych- iatrischen Universitätsklinik Zürich. Nach Promotion und Habilita- tion zu Themen der klinischen Neurophysiologie beschäftigt sich Wolfram Kawohl seit Jahren klinisch und wissenschaftlich intensiv mit den Zusammenhängen zwischen Arbeit, psychischer Gesundheit und Krankheit. Die Inklusion von Menschen mit psychischer Erkrankung in die Arbeitswelt stellt dabei den zentralen Schwerpunkt dar. Ein besonderes Anliegen ist ihm der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis. Zwischen 2013 und 2015 hatte Kawohl eine Gastprofessur an der Leuphana Universität Zürich inne, im Rahmen derer er sich mit den Themen integrierte psychiatrische Versorgung und Job Coaching beschäftigte.

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wulf Rössler, geb. 1947, war von 1996 bis 2013 ordentlicher Professor für klinische Psychiatrie, speziell Sozialpsychiatrie an der Universität Zürich und gleichzeitig Direktor an der Psychiatrischen Universitätsklinik. Zuvor war er während 15 Jahren am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.

Dort leitete er u. a. über 7 Jahre das Landesprogramm Psychiatrie Baden-Württemberg, ein Versorgungsforschungsprogramm mit 43 Modelleinrichtungen. 2009 wurde er als Fellow an das Collegium Helveticum, einer gemeinsamen Forschungseinrichtung der Universi- tät Zürich und ETH Zürich berufen und hat dort bis 2017 verschie- dene interdisziplinäre Forschungsprojekte durchgeführt. 2009–2017 war er auch Gesamtprojektleiter des »Zürcher Impulsprogramms zur nachhaltigen Entwick- lung der Psychiatrie«, ein umfassendes Forschungsprogramm mit neuen Teilprojekten zur Versorgung psychisch kranker Menschen. Nach seiner Emeritierung hat er jeweils Professuren an den Universitäten Lüneburg und Sao Paulo angenommen. Seit 2017 ist er als Seniorprofessor an der Charité in Berlin tätig. Im Fokus seiner Forschung steht die psychiatrische Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung. Er ist Präsident der International Federation of Psychiatric Epidemiology.

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Wolfram Kawohl & Wulf Rössler

Nach jahrelanger Beschäftigung mit dem Thema berufliche Reintegration bei psychi- scher Erkrankung und dem vielfachen und intensiven Austausch mit Fachleuten ver- schiedenster Disziplinen zum Thema reifte in den Herausgebern des vorliegenden Wer- kes der Wunsch, über das eigene Fachgebiet der Psychiatrie und Psychotherapie hinaus eine multidisziplinäre Sicht des Themenkom- plexes Arbeit und psychische Gesundheit bzw. Erkrankung, kurz »Arbeit und Psy- che«, zusammenzutragen. Dies auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sowohl in der Allgemeinbevölkerung als auch in den Medien und von vielen Fachpersonen dieses interessante Gebiet allzu oft auf Schlagworte wie Burnout und Berentung reduziert wird.

Angesichts der in diesem Kontext häufig unterstellten schädlichen Wirkung von Ar- beit ist uns an einer differenzierten Sichtweise gelegen, die die potentiell schädliche Wir- kung von nicht passender oder gefährlicher Arbeit nicht unterschätzt, andererseits aber auch die positiven Effekte von Arbeit be- rücksichtigt.

Bereits bei der Beschäftigung mit dem von uns im Kohlhammer-Verlag einige Jahre zuvor herausgegebenen zweibändigen Hand- buch »Soziale Psychiatrie« wurde klar, dass das durchaus in beiden Bänden vertretene Thema mehr Raum verdient und dass dies nur im Rahmen eines eigenen Buches mög- lich sein würde. Dies insbesondere angesichts dessen, dass die zahlreichen nicht-psychiatri- schen Bezüge, die hier zu berücksichtigen sein würden, in dem Umfang kaum in ein psychiatrisches Lehrbuch passen, weder in- haltlich noch bzgl. des angestrebten Um-

fangs. Umso mehr freuen wir uns nun, auch dieses Schwerpunktwerk vorlegen zu kön- nen. Es ist uns gelungen, Autorinnen und Autoren eines breiten fachlichen Spektrums zu gewinnen und soziologische, theologi- sche, ökonomische, psychologische, psych- iatrische, historische, politische und nicht zuletzt auch die Experts-by-Experience- bzw.

Erstpersonen-Perspektiven zusammenzutra- gen. Es freut uns besonders, dass sich zwei selbst von psychischer Erkrankung betroffe- ne Autoren bereiterklärt haben, ihre Erfah- rung mit dem Finden und Behalten eines Arbeitsplatzes und der Beeinträchtigung durch Symptome und unpassende Arbeits- bedingungen niederzuschreiben. Es soll aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass sich im Vergleich zu anderen Buchprojekten der Herausgeber, bei denen in großer Mehrzahl wissenschaftliche Autoren beteiligt waren, die Gewinnung von Autoren aus Wirtschaft und Behörden schwierig bzw. de facto un- möglich gestaltete. Zahlreiche Anfragen an Unternehmensvertreter mit der Bitte, die Unternehmersicht auf das Thema darzustel- len, blieben unbeantwortet. Bereits gemachte Zusagen wurden zurückgezogen, dies auch von einer Behörde mit wissenschaftlichem Dienst zu einem Zeitpunkt, als das Projekt bereits weit fortgeschritten war. Das Thema Arbeitsschutz mit besonderer Berücksichti- gung der Prävention psychischer Störungen blieb somit unbearbeitet. Auch zum Thema Integrationsfirmen ergingen nach jeweiligen definitiven Zusagen mehrere Absagen.

Spätestens seit der Jahrtausendwende ist das Thema psychische Erkrankungen in das Blickfeld der Ökonomie geraten. Grund da-

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für ist die Zunahme an Arbeitsunfähigkeits- fällen, Ausfallzeiten und Berentungen, die im Kontext psychischer Erkrankungen stehen.

Die von manchen Autoren und Meinungs- führern aus dieser Zunahme abgeleitete An- sicht, psychische Erkrankungen hätten gene- rell zugenommen, lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Epidemiologische Studien ge- ben keinen Hinweis darauf, dass wir es mit einer tatsächlichen Zunahme der Inzidenz psychischer Störungen zu tun haben. Viel- mehr ist anzunehmen, dass sich die Be- schwerdeschilderung Betroffener sowie die diagnostische Aufmerksamkeit geändert ha- ben. Während in den 1990er-Jahren ein von einer Depression Betroffener bei einer haus- ärztlichen Konsultation vielleicht noch kör- perliche Beschwerden in den Vordergrund rückte, werden heute auch depressive Sym- ptome wie Schlafstörungen, Antriebsmangel und Libidoverlust eher benannt und sicher- lich von ärztlicher Seite auch eher erfragt. Im Zuge dieser von den Massenmedien beglei- teten und teilweise mit hervorgerufenen Ver- änderung, erfuhr das Konzept Burnout eine für ein psychisches Störungsbild ungewöhn- liche Popularität. Die zunehmende gesamt- gesellschaftliche Beschäftigung mit dem The- ma psychische Erkrankungen ist aus psych- iatrischer Sicht natürlich erfreulich. Men- schen, die unter einer psychischen Störung leiden, sollen die jeweilige indizierte Behand- lung bekommen. Die benannte Entwicklung leistet sicherlich ihren Beitrag dazu. Gleich- zeitig besteht jedoch die Gefahr, dass Arbeit nicht als etwas Menschliches und Erstrebens- wertes, sondern als grundsätzlich krankma- chend und bedrohlich gesehen wird. Dies trifft auf stark belastende Arbeitsbedingun- gen sicherlich zu, sollte aber eben nicht generalisiert werden. Die nicht ganz neue Grundhaltung, dass Menschen, die unter einer psychischen Erkrankung leiden, zu- nächst nicht arbeiten sollten und dann an- schließend nur äußerst behutsam und unter umfassenden Trainings-, Erprobungs- und Therapiemaßnahmen an die Rückkehr zur

Arbeit herangeführt werden sollten, hat durch das Thema Burnout sicherlich keine Relativierung, sondern eher noch eine Stär- kung erfahren. Dies ist insofern bedauerlich, als dass seit den 1990er-Jahren ein erprobtes Konzept vorliegt, welches erwiesenermaßen sogar Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen ermöglicht, eine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt, also in der freien Wirtschaft, anzunehmen. Dies geschieht nota bene ohne vorherige trainierende oder prü- fende Maßnahmen.

Wenn man Menschen nach der Bedeutung und der Aufgabe von Arbeit im Sinne von Erwerbstätigkeit fragt, wird zunächst meist die Sicherung des Lebensunterhaltes ge- nannt. Auch von Sinnstiftung wird die Rede sein und, hat man es mit einer therapeutisch geschulten Person zu tun, von Tagesstruktu- rierung. Diese Punkte sind jedoch grundsätz- lich auch ohne Arbeit auf dem ersten Ar- beitsmarkt erreichbar. Der Lebensunterhalt lässt sich, wenn auch auf in der Regel nied- rigerem Niveau, zur Not auch über Trans- ferleistungen sicherstellen. Sinnfinden viele Menschen nicht nur durch Arbeit, sondern in ihrer Familie, ihrem sozialen Netz, durch Hobbies und bei ehrenamtlichen Tätigkei- ten. Ähnliches gilt für die Tagesstruktur. Ein vierter Punkt, der meist ungenannt bleibt, ist jedoch für die meisten Menschen nicht be- friedigend ohne Erwerbsarbeit zu erreichen.

Es handelt sich hierbei um die soziale Ein- ordnung. Sowohl ältere als auch zeitgenössi- sche soziologische Modelle gesellschaftlicher Struktur nehmen neben horizontalen Posi- tionierungen auch eine vertikale Einordnung vor. Die gängigen Schichtmodelle mit Eintei- lungen in obere, mittlere und untere Schich- tungen sind hier zu nennen. Zumindest im Bereich der unteren und mittleren Schichten wird die gesellschaftliche Einordnung durch arbeitsbezogene Faktoren bestimmt. Kreckel hat 1992 das Konzept der meritokratischen Triade vorgelegt. Demnach bestimmen die drei Faktoren Bildungsabschluss, Stellung im Erwerbsleben und Einkommen die soziale

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Ungleichheit. Sobald sich an einem dieser drei Faktoren etwas ändert, verändert sich auch die gesellschaftliche Position. Jeder, der eine Beförderung, Gehaltserhöhung oder das Erreichen eines angestrebten Abschlusses er- lebt hat, weiß dies zumindest implizit. Jeder, der einen beruflichen Abstieg, Gehaltseinbu- ßen oder gar die Aberkennung oder Entwer- tung eines Titels erlebt oder am Beispiel von einigen Politikern miterlebt hat, weiß dies ebenso. Und wer dies ebenso weiß sind die Menschen, die aufgrund einer psychischen Störung ihren Arbeitsplatz verloren haben.

Es ist daher unserer Meinung nach nicht empfehlenswert, dieses Moment zu verharm- losen und zu versuchen, einer Person zu suggerieren, dass sich durch die Arbeitslosig- keit für sie nicht so viel ändere, so lange nur für ausreichend Mittel, z. B. durch eine Ren- tenversicherung, Tagesstruktur und Sinnstif- tung, z. B. durch eine therapeutische Maß- nahme oder durch eine Tätigkeit auf dem zweiten oder dritten Arbeitsmarkt, gesorgt sei. Schilderungen Betroffener nach wieder- erhalt eines Arbeitsplatzes auf dem ersten Arbeitsmarkt sprechen hier eine deutliche Sprache.

Das vorliegende Werk soll gleichermaßen allgemeinverständliche Darstellungen liefern wie auch wissenschaftlichen Grundsätzen genügen. Im Gegensatz zu referierten Publi- kationen, z. B. aus den von den Herausge- bern durchgeführten verschiedenen prospek- tiven Studien zum Thema, ermöglicht eine Buchveröffentlichung jedoch zumindest in Teilen ein größeres Ausmaß an Subjektivität.

Dies fängt bei der Themenauswahl an und mag sich, bei allem wissenschaftlichen An- spruch, über die Schwerpunktbildung in den einzelnen Kapiteln bis in die Darstellungen des jeweiligen Gegenstandes und in die ge- troffenen Schlussfolgerungen hinein erstre- cken. Dies gilt es u. E. nicht zu vermeiden, sondern diese Subjektivität kann und soll zum Diskurs beitragen und das Themenfeld somit voranbringen. Wir haben daher bei der redaktionellen Bearbeitung der Kapitel den

Autorinnen und Autoren möglichst große inhaltliche Freiheit gelassen. Hinzu kommt die nicht unwesentliche Tatsache, dass ein so breites Themengebiet nicht von ein oder zwei Herausgebern überblickt werden kann und daher dem Expertenstatus der einzelnen Au- torinnen und Autoren ein besonders großes Gewicht zukommt.

Im ersten Kapitel stellt der Historiker Manfred Füllsack die Geschichte der Ar- beitsrationalisierung dar und gibt eine Pro- gnose zur Arbeit der Zukunft ab. Er schlägt hierbei dir Brücke zur Umverteilungsdebatte sowie zum Umgang mit dem Thema prekäre Arbeit (

Kap. 8). Vier soziologische Auto- rinnen und Autoren beleuchten im Kapitel 2 aus arbeitssoziologischer Perspektive insbe- sondere das Thema Belastung durch Arbeit und identifizieren drei Herausforderungen für das betriebliche Belastungsmanagement:

Arbeits- bzw. Selbstorganisation, Kommuni- kation und Kooperation sowie Selbst- bzw.

Lebensführung. Die ökonomische Perspekti- ve, unterteilt in die Bereiche Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft, kommt im dritten Kapitel zum Zuge. Die Rollen und die Be- deutung verschiedener Stakeholder für die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit psychischen Erkrankungen werden hier ana- lysiert.

Auch die Theologie hat sich vielfach mit dem Thema Arbeit auseinandergesetzt, zu- mal insbesondere die christliche und die jüdische Religion das allgemeine Konzept der Arbeit entscheidend beeinflusst haben.

Die politischen Regelungen und kollektiven Einstellungen zur Arbeit sind sogar, wie im vierten Kapitel dargelegt, ohne den Einfluss der Religion nicht vollständig zu verstehen.

Auch wenn sich religiöse Einflüsse in unserer Gesellschaft momentan auf dem Rückzug zu befinden scheinen, erschien es uns wichtig, diesen Einflüssen im vorliegenden Werk aus- reichend Platz einzuräumen, zumal der theo- logische Diskurs durchaus aktuelle Themen wie Nachhaltigkeit umfasst. Ein Werk über die Arbeit und deren Wechselwirkung mit

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psychischer Gesundheit und Krankheit ist ohne Darstellung der unternehmerischen Sicht nicht vollständig. Umso mehr bedauern die Herausgeber, dass sich trotz intensiver Bemühungen und anfänglicher Zusagen kein Unternehmensvertreter finden ließ, der sich inhaltlich und zeitlich in der Lage sah, einen entsprechenden Beitrag zu leisten. Durch eine ungefähr zeitgleich mit dem Beginn der Ar- beit am vorliegenden Werk begonnene Un- ternehmensbefragung der Arbeitsgruppe ei- nes der Herausgeber (WK) wird nun im Kapitel 5 dennoch auch die Unternehmer- perspektive dargestellt. Mit Ursula Engelen- Kefer konnte hingegen eine prominente Ge- werkschaftsvertreterin gewonnen werden, die im sechsten Kapitel über Arbeit und Arbeitslosigkeit und deren Auswirkungen auf die Psyche aus gewerkschaftlicher Sicht berichtet. Naturgemäß besteht in diesem Kapitel ein besonders enger Bezug zur Situa- tion in Deutschland.

Die Schlagworte Integration und Inklusi- on sind aus dem Themenfeld Arbeit und Psyche nicht wegzudenken, werden jedoch teilweise recht beliebig und austauschbar verwendet. Dass sie insbesondere letzteres nicht sind, wird im siebten Kapitel ausführ- lich von dem Soziologen Dirk Richter dar- gestellt. Dies nicht ohne den Hinweis, dass Arbeit nur ein Aspekt der Inklusion ist, wenngleich aber der dominante.

In der klinischen und wissenschaftlichen Arbeit der Herausgeber und auch im vorlie- genden Werk kommt die Grundhaltung zum Ausdruck, dass Arbeit ein hohes und grund- sätzlich erstrebenswertes Gut ist, auch für Menschen, die von psychischer Erkrankung bedroht sind, darunter leiden oder in der Vergangenheit betroffen waren. Gleichzeitig sollte aber auch berücksichtigt werden, dass nicht jede Form von Arbeit per se erstrebens- wert oder gar gesundheitsförderlich ist. Ein Beispiel für problematische und potentiell gesundheitsschädliche Formen von Arbeit sind prekäre Arbeitsverhältnisse, die dem Arbeitnehmer keine ausreichendefinanzielle

oder planerische Sicherheit zu geben vermö- gen. Diesem nicht ausreichend beforschten und gleichzeitig hoch relevanten Thema wird in Kapitel 8 Raum gegeben. Nicht nur in medizinischen Fachgebieten wie Arbeitsme- dizin, Psychiatrie und Psychotherapie und Allgemeinmedizin nimmt die Arbeit eine zentrale Rolle ein. Die Psychologie widmet ihr mit der Arbeits-, Betriebs- und Organisa- tionspsychologie drei zueinander in enger Beziehung stehende Teilgebiete. Kapitel 9 liefert einen entsprechenden Überblick. In der Medizin wiederum ist die Einschätzung von Arbeitsfähigkeit einerseits eine Alltäg- lichkeit, andererseits aber nicht ohne Fall- stricke. Während bei manchen Ärzten die Grundhaltung zu bestehen scheint, jeden Patienten vor der Arbeit schützen zu müssen, finden sich andererseits immer wieder auch ärztliche Kollegen, die mit geradezu detekti- vischer Aktivität ihren Patienten oder Gut- achtensprobanden deren Arbeitsfähigkeit beweisen wollen. Über den medizinischen Bereich hinaus haben die Themen Arbeitsfä- higkeit und Invalidität auch juristische Im- plikationen, die in den Kapiteln 10 und 11 dargestellt werden, wobei sich das elfte Ka- pitel besonders auf die Begutachtung fokus- siert.

In Kapitel 12 werden die Auswirkungen von Stress auf die psychische Gesundheit referiert. Ein Teilaspekt dieser Thematik stellt das Burnout-Konzept dar, welches durch die nicht nur in Laienkreisen fast schon inflationär zu nennende Verwendung des Begriffs Burnout einer besonders kriti- schen Würdigung bedarf. Andererseits sollte nicht vergessen werden, dass die psychiatri- sche Praxis zeigt, dass manche Menschen durch die breite gesellschaftliche Akzeptanz des Konzepts Burnout eher bereit sind, psychiatrisch-psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wer die »Diagnose«

Burnout bekommen hat, muss aus Laiensicht ja für eine Sache buchstäblich gebrannt haben, während jemandem mit einer Depres- sion fälschlicherweise eher Willensschwäche

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attestiert werden wird. Eine Bezugnahme auf die im ersten Kapitel dargestellte protestan- tische Arbeitsethik drängt sich hier geradezu auf. Ein medizinisches Fachgebiet, welches so eng wie nur denkbar mit dem Gegenstand Arbeit verbunden ist und ihn sogar im Na- men trägt ist die Arbeitsmedizin. Im 13.

Kapitel wird auf die arbeitsmedizinische Sicht der Arbeit und Psyche unter besonderer Berücksichtigung des Arbeitsschutzes einge- gangen. Dabei fällt auf, dass Arbeitsschutz- maßnahmen vor allem der Prävention kör- perlicher Schäden dienen, während ein Ar- beitsschutz vor psychischen Erkrankungen zumindest noch nicht spezifisch formuliert wurde.

Während, wie in den Kapiteln zu prekärer Arbeit (

Kap. 8), zu Stress (

Kap. 12) und zur Arbeitsmedizin (

Kap. 13) dargestellt, nicht passende, ausbeuterische oder gefähr- liche Arbeit schädlich sein kann, darf nicht vergessen werden, dass dasselbe für die Ar- beitslosigkeit gilt. Nicht ohne Grund gibt es einen Zusammenhang zwischen Arbeitslo- senraten und Suiziden. Wie wir mittlerweile wissen, ist nicht nur der Anstieg der Arbeits- losenraten während der Wirtschaftskrise ab 2008 international mit einem Anstieg der Suizidraten einhergegangen. Statistische Mo- dulationen konnten sogar zeigen, dass neun- mal so viele Suizide wie durch den bloßen Anstieg anzunehmen mit Arbeitslosigkeit assoziiert sind. Da zudem psychische Störun- gen klar als mit einem höheren Suizidrisiko einhergehend belegt sind, haben wir es bei psychisch kranken Arbeitslosen also mit einem Hochrisikoklientel zu tun. Insbeson- dere in einem Umfeld mit einer niedrigen Grundarbeitslosigkeit ist der Anstieg von Suiziden besonders ausgeprägt. Dies könnte damit zu erklären sein, dass die gesellschaft- liche Grundannahme, einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt zu haben, verletzt wird. Der Anstieg der Suizidraten tritt be- reits sechs Monate vor dem Anstieg der Ar- beitslosenraten auf. Bereits die Aussicht, den Arbeitsplatz zu verlieren, wirkt sich also auf

die Suizidrate aus. Die Suizidprävention soll- te sich in diesem Zusammenhang also bei- spielsweise auf die Schulung von Fachperso- nen, die in Personalabteilungen und Arbeits- ämtern beschäftigt sind, richten. Diese Fach- personen haben bereits vor Eintritt der tatsächlichen Arbeitslosigkeit mit den Betrof- fenen zu tun und sollten in der Lage sein, Hinweise auf Suizidalität wahrzunehmen und entsprechend zu handeln. Kapitel 14 widmet sich dem zentralen Thema der Aus- wirkungen von Arbeitslosigkeit auf die psy- chische Gesundheit.

In den Kapiteln 15, 16 und 17 zur beruf- lichen Rehabilitation und zur praktischen Anwendung evidenzbasierter psychiatrischer Rehabilitation werden Wege aus der Arbeits- losigkeit und Möglichkeiten der Verhinde- rung eines Arbeitsplatzverlustes durch psy- chische Erkrankung aufgezeigt. Die Suppor- ted Employment-Methode Individual Place- ment and Support stellt den Goldstandard beruflicher Rehabilitation bei psychischer Erkrankung dar, wobei zu beachten ist, dass Arbeit hier nicht nur als Ziel der Rehabilita- tion gesehen wird, sondern als rehabilitatives Mittel selbst.

Ein von Autoren akademischer Proveni- enz dominiertes Werk wie das vorliegende sollte nicht auf die Darstellung durch Exper- ten aus Erfahrung (experts by experience) verzichten. Zwei psychiatrierfahrene Men- schen haben sich bereiterklärt, ihre Sicht und ihre Erfahrungen mit dem Wechselspiel aus Arbeit, psychischer Erkrankung und psychi- scher Gesundheit mit dem Leser zu teilen. Die im entsprechenden Kapiteln 18 enthaltene Unmittelbarkeit der Darstellungen wird so sicher von keinem Autor erreicht werden, der nicht aus einer solchen Erstpersonenperspek- tive (hier wie auch im internationalen Schrift- tum alsFirst-Person-Accountbezeichnet) auf die Thematik blickt.

Die Kapitel 19 und 20 beschäftigen sich mit traditionellen psychiatrisch rehabilitati- ven Maßnahmen wie Arbeitstherapie und heute sog. Werkstätten für Menschen mit

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Beeinträchtigungen. Auch hier konnten in- ternationale Experten gewonnen werden, sodass die Situation in Deutschland, Öster- reich und der Schweiz abgebildet wird. Zu- sätzlich zu dem hier beschriebenen sog.

»Zweiten Arbeitsmarkt« existiert der bei- spielsweise in der Schweiz als »Dritter Ar- beitsmarkt« bezeichnete Bereich des Ehren- amtes bzw. der Freiwilligenarbeit. Dieser wird im Kapitel 21 thematisiert. Das Buch schließt mit einem Kapitel zum betrieblichen Gesundheitsmanagement und zur betriebli- chen Gesundheitsförderung (BGM) ab.

BGM umfasst heute auch den Bereich der

psychischen Gesundheit. Gleichzeitig ist es von einem bloßen Absenzenmanagement, welches, falsch angewandt, sogar nachteilige Effekte auf die Gesundheit haben dürfte, abzugrenzen.

Bei der Beschäftigung mit dem Buch mag dem aufmerksamen Leser auffallen, dass einzelne Themen, die eigene Kapitel verdient hätten, fehlen oder in übergeordneten Kapi- teln behandelt werden. Wir hoffen, in einer eventuellen späteren Auflage das Spektrum noch erweitern zu können und freuen uns über Rückmeldungen hierzu aus der Leser- schaft.

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Die Herausgeber . . . 5

Einführung . . . 6

Wolfram Kawohl & Wulf Rössler 1 Geschichte und Zukunft der Arbeitsrationalisierung. . . 19

Manfred Füllsack 1.1 Die Mühen der Arbeit und ihre Folgen . . . 20

1.2 Arbeit durch Arbeit . . . 21

1.3 Arbeitsteilung . . . 23

1.4 Rationalisierung . . . 24

1.5 Der komparative Kostenvorteil . . . 25

1.6 Umdenken . . . 27

2 Arbeitssoziologische Belastungsforschung zu neuen Arbeitsformen. . . 29

Norbert Huchler, Stephanie Porschen-Hueck, Tobias Ritter & Stefan Sauer 2.1 Der Arbeitssoziologische Blick auf Arbeit und Belastung . . . 29

2.2 Selbstsorganisation und Belastung am Beispiel agiler Entwicklungsprozesse . . . 32

2.3 Belastungen durch Kooperation und Kommunikation am Beispiel Projektarbeit . . . 34

2.4 Selbst-/Lebensführung und Belastung am Beispiel entgrenzter Arbeit . . . 37

2.5 Gesundheitspolitik als breite Aufgabe . . . 40

3 Ökonomische Aspekte der Arbeitsmarktintegration von Menschen mit psychischen Erkrankungen . . . 44

Stephan A. Boehm & Beatrix Eugster 3.1 Einleitung . . . 44

3.2 Bedeutung einer verstärkten Arbeitsmarktintegration von Menschen mit psychischen Erkrankungen – eine Stakeholderanalyse . . . 44

3.3 Zusammenfassung und Kernerkenntnisse . . . 54

4 Zur Arbeit berufen? Ethik der Arbeit aus theologischer Perspektive . . . 57

Torsten Meireis 4.1 Einleitung . . . 57

4.2 Zur historischen Veränderung der Arbeitskategorie . . . 58

(15)

4.3 Gegenwart und Zukunft der Arbeit: Herausforderungen aus

theologisch-ethischer Perspektive . . . 68

5 Einstellung von Unternehmensvertretern zur Beschäftigung von Menschen mit psychischen Erkrankungen . . . 76

Rebekka Schneider, Wolfram Kawohl & Barbara Lay 5.1 Einführung . . . 76

5.2 Perspektive von Arbeitgebenden . . . 77

5.3 Profil der Unternehmen, die Personen mit einer psychischen Erkrankung beschäftigen . . . 81

5.4 Voraussetzungen für eine Beschäftigung . . . 82

5.5 Kenntnis von Unterstützungsangeboten . . . 82

5.6 Relevanz von Unterstützungsangeboten . . . 83

5.7 Ausblick . . . 84

6 Arbeit und Arbeitslosigkeit aus der Gewerkschaftsperspektive . . . 87

Ursula Engelen-Kefer 6.1 Arbeit, Arbeitsbedingungen und Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik . . . 89

6.2 Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne, Armut . . . 92

6.3 Paradigmenwechsel in Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik . . . 94

6.4 Brain Drain, Brain Gain, Brain Circulation . . . 98

6.5 EU-Jugendarbeitslosigkeit – Vorfahrt für Solidarität . . . 99

7 Inklusion, Exklusion und Integration: Schlüsselkonzepte für die psychiatrische (Arbeits-) Rehabilitation. . . 102

Dirk Richter 7.1 Soziale Integration: Das Ziel der frühen Sozialpsychiatrie . . . 103

7.2 Inklusion und Exklusion: Theoretische Perspektiven . . . 105

7.3 Exklusion statt Integration: Die soziale Realität für viele Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung . . . 108

7.4 Individuum und Gesellschaft: Exklusion durch Nicht-Passung . . . 109

7.5 Unterstützte Inklusion: Die Rolle des Hilfesystems . . . 110

7.6 Schlussfolgerung: Real Life First? . . . 111

8 Prekäre Arbeit und psychische Gesundheit. . . 115

Helen Schmidt & Wolfram Kawohl 8.1 Armut und psychische Gesundheit . . . 115

8.2 Working Poor . . . 116

8.3 Arbeitsplatzfaktoren . . . 118

8.4 Psychische Gesundheit von Working Poor . . . 118

8.5 Fazit . . . 119

(16)

9 Arbeit und Psyche aus arbeits- und organisationspsychologischer Sicht: Ein Überblick mit Fokus auf Hobfolls (1989) Theorie der

Ressourcenerhaltung. . . 122

Sebastian Fischer 9.1 Einleitung . . . 122

9.2 Stresserleben entlang der Theorie der Ressourcenerhaltung . . . 123

9.3 Leistungs- und Termindruck . . . 125

9.4 Konflikte mit Kollegen und Führungskräften . . . 126

9.5 Schwierigkeiten in der Arbeitsorganisation . . . 127

9.6 Handlungsspielraum und eigeninitiatives Handeln . . . 128

9.7 Arbeitslosigkeit und Arbeitsplatzverlust . . . 129

9.8 Fazit . . . 130

10 Arbeitsunfähigkeit. . . 134

Ulrike Hoffmann-Richter 10.1 Einleitung . . . 134

10.2 Begriffsklärung . . . 134

10.3 Beurteilung der Leistungsfähigkeit als ärztliche Aufgabe? . . . 136

10.4 Methodologie und Methodik . . . 138

10.5 Praktisches Vorgehen . . . 142

10.6 Operationalisierungshilfen . . . 146

10.7 Literaturhinweise . . . 147

11 Ausgewählte forensisch-psychiatrische Aspekte bei der Begutachtung der Arbeitsfähigkeit. . . 149

Michael Liebrenz & Roman Schleifer 11.1 Einführung . . . 149

11.2 Das Gutachten als »Brückenschlag« zwischen Medizin und Recht . . . 150

11.3 Das Gutachten als Messinstrument mit einem Fokus auf der Funktion . . . 150

11.4 Grenzen gutachterlicher Tätigkeit . . . 151

11.5 Abklärungstiefe und die Forderung nach der Anpassung an die Vorgaben des Auftraggebers . . . 152

11.6 Ethische Aspekte der Begutachtung . . . 154

11.7 Die Begutachtung von Menschen mit Migrationshintergrund/ unzureichenden Sprachkenntnissen der Landessprache(n) . . . 156

11.8 Umgang mit anderen Professionen und Disziplinen . . . 158

11.9 Kasuistiken aus der Gutachtenspraxis . . . 159

12 Stress und psychische Erkrankungen . . . 162

Bernd Krämer & Wolfram Kawohl 12.1 Historische Veränderung der Arbeit und der Arbeitsbedingungen . . . . 162

12.2 Arbeit und Stress . . . 163

12.3 Stressfolgestörungen bei Akutem Stress . . . 167

(17)

12.4 Stressfolgestörungen bei Chronischem Stress . . . 169

12.5 Zusammenfassung . . . 172

13 Arbeit, Arbeitsschutz und Psyche aus arbeitsmedizinischer Sicht . . . 174

Brigitta Danuser 13.1 Einleitung . . . 174

13.2 Evolution von Arbeit und Gesundheit . . . 175

13.3 Funktioniert das Management von Arbeit und Gesundheit in der Schweiz? . . . 182

13.4 Schlussfolgerungen . . . 188

14 Arbeitslosigkeit und psychische Gesundheit . . . 191

Helga Gumplmaier & Matthias Jäger 14.1 Präambel: zur Bedeutung von Arbeit für psychisches Wohlbefinden . . . 191

14.2 Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und psychischer Gesundheit . . . . 193

14.3 Risikofaktoren für psychische Probleme bei Arbeitslosigkeit . . . 195

14.4 Folgen von Arbeitsplatzverlust und -unsicherheit . . . 197

14.5 Wirtschaftliche Lage . . . 200

14.6 Maßnahmen zur Verbesserung der psychischen Gesundheit . . . 201

15 Inklusion in den allgemeinen Arbeitsmarkt als Ziel der Rehabilitation. . . 207

Dorothea Jäckel & Holger Hoffmann 15.1 Einleitung . . . 207

15.2 Arbeit und psychische Gesundheit . . . 208

15.3 Arbeitsrehabilitation im Wandel . . . 209

15.4 Teilhabe am Arbeitsleben – von der Integration zur Inklusion . . . 211

15.5 Konzept der Funktionalen Gesundheit– ICF . . . 212

15.6 Indikation und Ziele von Arbeitsrehabilitation . . . 213

15.7 Black Box oder Evidenzbasierung in der Arbeitsrehabilitation . . . 214

15.8 Wirkfaktoren in der Arbeitsrehabilitation: Förderfaktoren und Barrieren für den arbeitsbezogenen Outcome . . . 215

15.9 Best Practice in der psychiatrischen Arbeitsrehabilitation . . . 225

15.10 Zusammenfassung und Ausblick . . . 227

16 Supported Employment. . . 237

Holger Hoffmann, Dorothea Jäckel & Wolfram Kawohl 16.1 Grundsätze des Supported Employment . . . 237

16.2 Die SE-IPS Fidelity Scale-15 . . . 238

16.3 Wissenschaftliche Evidenz für die Überlegenheit von SE-IPS . . . 240

16.4 Ist SE-IPS auch außerhalb der USA erfolgreich? . . . 241

16.5 Wer profitiert von SE-IPS? . . . 243

16.6 Stärken und Chancen des SE-IPS . . . 244

16.7 Schwächen und Risiken des SE-IPS . . . 245

16.8 Fazit . . . 246

(18)

17 Praktische Aspekte des Job Coachings . . . 250

Bettina Bärtsch & Micheline Huber 17.1 Einleitung . . . 250

17.2 Job Coaching in der Praxis . . . 250

17.3 Störungsspezifische Aspekte des Job Coachings . . . 254

17.4 Fallbeispiele . . . 259

17.5 Fazit . . . 261

18 First-Person-Account. . . 263

18.1 Der lange Anfang . . . 263

M. U. 18.2 Ich will es schaffen . . . 271

O. R. 19 Arbeitstherapie/klinische Arbeitstherapie . . . 275

Albrecht Konrad 19.1 Tradition und Entwicklung der Arbeitstherapie . . . 275

19.2 Begriffsklärung und Hintergründe zum besseren Verständnis . . . 276

19.3 Bedeutung des Selbstbildes in Bezug zur Arbeit . . . 279

19.4 Ausgangssituation Arbeitsmarkt/Arbeitswelt . . . 280

19.5 Historie . . . 280

19.6 Klinische Arbeitstherapie am Beispiel der PUK Zürich . . . 282

19.7 Patientenperspektive auf die klinische Arbeitstherapie . . . 286

19.8 Faktoren einer erfolgreichen (Re-)Integration . . . 287

19.9 Beispiele aus der Praxis . . . 288

19.10 Schlussbemerkung . . . 289

20 Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigungen. . . 292

Irmgard Plößl, Kurt Orlandi (Schweiz) & Maria Egger (Österreich) 20.1 Die Situation der Werkstätten für behinderte Menschen in Deutschland . . . 292

20.2 Rechtliche Rahmenbedingungen . . . 294

20.3 Angebotsbreite der Werkstätten zur beruflichen Teilhabe . . . 296

20.4 Werkstätten als Ort der Qualifizierung: Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich . . . 298

20.5 Werkstätten als Ort der beruflichen Teilhabe: Arbeitsbereich . . . 299

20.6 Werkstätten als Ort der Persönlichkeitsentwicklung . . . 301

20.7 Werkstätten als Teil der Wirtschaft . . . 302

20.8 Finanzierung der Werkstätten . . . 302

20.9 Werkstätten als Weg zu beruflicher Teilhabe und Inklusion . . . 304

20.10 Die Situation in der Schweiz . . . 306

20.11 Die Situation in Österreich . . . 307

(19)

21 Ehrenamt und Freiwilligenarbeit . . . 310

Matthias Jäger & Wolfram Kawohl 21.1 Einleitung . . . 310

21.2 Begriffliche Definitionen und Abgrenzung . . . 311

21.3 Verbreitung in der Gesellschaft . . . 312

21.4 Motivationale Faktoren . . . 314

21.5 Zusammenhänge mit physischer Gesundheit und Mortalität . . . 315

21.6 Zusammenhänge mit psychischer Gesundheit . . . 316

21.7 Einflussfaktoren . . . 317

21.8 Gesundheits- und gesellschaftspolitische Implikationen . . . 318

21.9 Offene Fragen und Forschungsdesiderate . . . 319

22 Betriebliches Gesundheitsmanagement und psychische Gesundheit am Arbeitsplatz . . . 321

Brita Müller-Kanneberg & Sebastian Fischer 22.1 Betriebliches Gesundheitsmanagement . . . 321

22.2 Psychische Gesundheit im BGM . . . 327

22.3 Zusammenfassung . . . 331

Autorenverzeichnis . . . 334

(20)

Manfred Füllsack

Das Thema Arbeit wird gegenwärtig vor allem im Hinblick auf zwei miteinander verwobene Problemfelder diskutiert: Zum einen ist dies die zunehmende Klage vieler Berufstätiger, in ihrer Arbeit mit psychisch belastenden Aspekten wie Stress, Burnout oder auch Mobbing und Demotivation kon- frontiert zu sein (Ehrenberg 2004). Die Zahl der Fehlzeiten infolge psychischer Erkran- kungen ist im letzten Jahrzehnt dramatisch gestiegen (Hillienhof 2014). Interessanter- weise geht die Überbelastung vieler Arbei- tender mit dem Anwachsen der seit den 1990er-Jahren etwas verharmlosend als So- ckelarbeitslosigkeit bezeichneten Beschäfti- gungsproblematik einher, was implizieren würde, dass ein Teil der europäischen Ge- sellschaft zu viel arbeitet, während ein ande- rer zu wenig oder keine Arbeit hat.

Zum anderen wird das Thema Arbeit zurzeit wieder vermehrt mit der Frage in Verbindung gebracht, ob denn die fortschrei- tende Rationalisierung und Automatisie- rung, vor allem die Entwicklung der Infor- mations- und Kommunikationstechnologie, zu einem nachhaltigen Abbau von Erwerbs- arbeitsplätzen führt. Bisher war man diesbe- züglich von einem sich schlimmstenfalls be- schleunigenden ökonomischen Strukturwan- del ausgegangen, der im Prinzip den Schwund an Arbeitsplätzen, den er in einem Bereich verursacht, durch Schaffung neuer Arbeitsplätze in anderen Bereichen auffängt – irgendjemand muss die Maschinen und Roboter ja schließlich auch entwerfen und bauen, so das gängige Argument. In den letzten Jahren wurden allerdings vermehrt Stimmen laut, die darauf hinweisen, dass die

Geschwindigkeit der Automatisierung die der Schaffung neuer Arbeitsmöglichkeiten zu übersteigen beginnt und dass überdies die Rationalisierung mittlerweile auch jene Dienstleistungsbereiche erfasst, die bislang als die großen Hoffnungsträger für die Unterbringung der in der Industrie nicht mehr benötigten Arbeitskräfte betrachtet wurden. Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee (Brynjolfsson & McAfee 2009) vom Massachusetts Institute of Technology beispielsweise meinen, dass der technische Fortschritt erstmals in der Geschichte der Menschheit in der Tat mehr Arbeitsplätze vernichtet als er neue schafft. Und Carl Frey und Michael Osborne von der Oxford Martin School (Osborne und Benedikt 2013) halten von den mehr als 700 in den USA erfassten Berufen fast die Hälfte für akut Rationalisierungsgefährdet. Angesichts jüngster Medien-Meldungen über automa- tisch generierte Zeitungsnachrichten (Stadler 2014), maschinell erstellte Krankheitsdiag- nosen (Cohn 2013) und Forschungsergebnis- se (Schmidt und Lipson 2009), aber auch komplexere Pflegeaufgaben, die bereits weit- gehend von Haushaltsrobotern übernom- men werden1, scheint die Möglichkeit nicht mehr ganz von der Hand zu weisen, dass die Ökonomie der Zukunft bei gleicher Produk- tivität deutlich weniger menschliche Arbeits- kräfte benötigt als dies heute der Fall ist.

1 Robotics-VO (2013) A Roadmap for US-Ro- botics. From Internet to Robotics. 2013 Edi- tion.http://www.robotics-vo.us/node/332(ac- cessed 15.5.2014)

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Wenn dem so ist, stellt sich freilich die Frage, wie denn der maschinell erzeugte Wohlstand unter die Menschen gebracht werden soll.

Wenn Arbeitsleistung nicht mehr ausschließ- lich von Menschen gekauft werden muss und damit an Lohnzahlung gebunden ist, werden andere Formen der Umverteilung von Pro- duktivitätsgewinnen notwendig.

Obwohl für uns moderne Arbeitende die beiden Problemfelder–einerseits steigende Belastung, andererseits maschinelle Ratio-

nalisierung–auf den ersten Blick ein wenig divers wirken, sind sie doch in ihren Bedin- gungen aneinandergeknüpft. Gerade der Umstand nämlich, dass Arbeit als mühevoll erlebt wird, als anstrengend und mitunter krankmachend, hat immer schon einen entscheidenden Impuls dafür gegeben, die Arbeit zu rationalisieren. Diesen Wurzeln und Prinzipien der Rationalisierung lässt sich bis in die ferne Vergangenheit nach- spüren.

1.1 Die Mühen der Arbeit und ihre Folgen

Bereits die Begründer der europäischen Kul- tur, etwa das antike Griechenland und das römische Reich, fassten ihre Arbeit in Begrif- fen, die die Mühen und Anstrengungen er- kennen lassen, die sie mit Arbeit assoziierten und die die Gründe zur Rationalisierung der Arbeit lieferten. Die Griechen zum Beispiel fassten den Aspekt der Mühe alsponos. Die Römer bezeichneten das Schwanken ihrer Sklaven unter einer Last alslaborare, das– leicht erkennbar–zur Wurzel des englischen labouroder des italienischenlavorowurde.

Alstripaliumbezeichneten sie eine Art Joch, das zur Folter und Bestrafung von Sklaven und Arbeitsunwilligen eingesetzt wurde und damit die Wurzel des französischen travail und des spanischen trabajo darstellt. Eine Vielzahl von Berichten schildert die Leiden und Entbehrungen antiker Arbeitender, schon damit verbunden aber auch die Ver- suche, diese durchtéchne–altgriechisch für zielorientierte Wissensanwendungen von Handwerkern – zu minimieren (Füllsack 2009).

Mit dem Schaffen diesertéchneund ihren entsprechenden Manifestationen, also allem voran etwa den Werkzeugen, verband sich der zweite wichtige Aspekt der antiken Arbeit, nämlich die Erarbeitung des ergon,

des Werkes, also des bleibenden, des nicht verkonsumierten Teils des Arbeitsprodukts.

Diese bleibenden Werte der Arbeit fassten die Römer alsoperaund machten es damit zur Wurzel etwa des französischenœuvreoder des künstlerischenOpus. Ebenfalls den As- pekt des Hervorbringens benennen lateini- sche Begriffe wiefacereundfaber, aus denen sich zum einen das Faktum, das Gemachte, und andererseits, leicht erkennbar, die Fabrik oder die Fabrikation herleiten. Nicht zuletzt im Englischen kennt man bis heute die Unterscheidung der mühevollen und der hervorbringenden Aspekte der Arbeit, also vonlabourundwork.

Offensichtlich arbeiten also Menschen, und übrigens auch manche Tiere, so effektiv, dass nicht alle Arbeitsprodukte sofort und vollständig konsumiert werden müssen. Ar- beit erzeugt bleibende Werte, was von weit- tragender Bedeutung ist–vor allem für die Arbeit selbst. Genau damit ersparen sich nachfolgende Generationen nämlich, die vorgeleistete Arbeit ihrer Vorfahren zu wie- derholen. Sie müssen das Rad nicht immer wieder von Neuem erfinden. Diese Ersparnis, die später prominent unter dem Begriff

»Kapital« gefasst wurde, steht nachfolgen- den Generationen zur Verfügung, um sie in

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die je aktuelle, in die »lebendige« eigene Arbeit zu investieren und so die Chancen zu steigern, die Welt neuerlich effizient zu be- arbeiten. Genau dies schuf aber bisher auch stets neue Arbeitsaufgaben. Hatte die Vorge- neration unter Kälte gelitten, so stand nun, nach »Erarbeitung« des Feuers, vielleicht die Versorgung mit trockenem Brennmaterial an. Mühten sich die Vorgänger mit der Statik ihrer Bauwerke, so sorgten die Ma- thematik und die Architektur für das Prob- lem rasant wachsender Städte. Und war für die Vorgeneration mangelnde Mobilität ein zentrales Problem, so machte nun, nach Erarbeitung von Kraftfahrzeugen, der Treib- stoffnachschub, der Ausstoß von schädli- chen Abgasen oder die Parkplatzknappheit in großen Städten Probleme, an denen von Neuem gearbeitet werden musste. Kurz, die Welt der nachfolgenden Generation wurde

durch die bleibenden Arbeitsprodukte der Vorgänger zu eineranderen Welt. Die Ar- beitsprodukte, die die Vorgänger generier- ten, aber nicht oder nicht ganz verbrauchten, ersparten der Nachfolgegeneration zwar einerseits Arbeit, bildeten gleichzeitig aber auch den Ausgangspunkt für je neue Arbeit, sie bildeten den Status quo, anhand dessen sich zeigte, welche Probleme und Knapphei- ten es nun mittels Arbeit zu bewältigen galt.

Arbeit– und dies war bisher eine vielfach bestätigte Regel– erzeugte, wenn sie auch nur halbwegs erfolgreich verrichtet wurde, stets notwendig und unausweichlich Bedarf für weitere Arbeit. Grundsätzlich ist dies auch weiterhin so, Arbeit macht Arbeit (Priddat 2010). Die Frage, die sich dazu heute allerdings stellt, ist, ob diese Arbeit noch in jedem Fall von Menschen verrichtet werden muss.

1.2 Arbeit durch Arbeit

Das Prinzip von Arbeit durch Arbeit gilt dabei nicht nur für die Rationalisierung mit Artefakten, Werkzeugen etwa, welche als nicht konsumierte Arbeitsprodukte in den Arbeitsprozess rückinvestiert werden. Es be- zieht sich vielleicht mehr noch auf die Ar- beitsteilung, die als notwendige Bedingung jede Form von Rationalisierung begleitet. Ein bekanntes Beispiel (Baecker 2002), das ich hier vereinfacht wiedergebe, beleuchtet die- sen Umstand recht anschaulich. Es bezieht sich auf eine idealtypische frühe menschliche Gesellschaft, die im Wesentlichen von nur einer einzigen Art zu arbeiten lebt, also zum Beispiel von der Jagd nach wilden, vielleicht auch gefährlichen Tieren. Um diese zu erja- gen, brauchen die Jäger dieser Gesellschaft, außer Kraft, Geschick und Ausdauer, auch viel Mut und vielleicht sogar ein wenig Aggression. Eine solche Jagdgesellschaft

wird deshalb gut daran tun, sich auf ihre Jagd einzustimmen, sich aufzuputschen, für einen entsprechenden Adrenalinspiegel zu sorgen, der ihr ermöglicht, den Gefahren erfolgreich zu trotzen. Und sie wird darüber hinaus gut daran tun, dafür zu sorgen, dass sie sich nach der Jagd wieder entsprechend beruhigt. Aufgeputschte und blutrünstige steinzeitliche Jäger sind kein geeigneter Um- gang für daheimgebliebene Frauen und Kin- der. Diese Gesellschaft wird also Bedingun- gen dafür schaffen müssen, die Jäger vor und nach ihrer Arbeit geeignet zu umsorgen, sie also zum Beispiel in einer Art »Quarantäne- station« mit spezifischen Ritualen auf die Jagd vorzubereiten und danach wieder abzu- reagieren, bevor sie auf ihre Familien treffen.

Tatsächlich zeigen ethnologische Studien, wie sie etwa Stanley H. Udy (Udy 1970) be- schrieben hat, dass Jagdgesellschaften solche

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Quarantänestationen – oftmals Kult- oder Zeremonienstätten am Rande des Dorfes – vorsahen und dass sie darüber hinaus, je nach Prosperität der Gesellschaft, auch ent- sprechend ausgeschmückte Rituale zur Vor- und Nachbereitung der Jäger kannten. Nicht selten wurden diese Zeremonienstätten dabei auch von spezialisiertem Personal betreut, von Priestern etwa, die sich mit verschie- densten Kulthandlungen, Tänzen, Gesängen sowie der Verabreichung Mut machender Mittel um die passende Gestimmtheit der Jäger kümmerten. Diese Vor- und Nachbe- reitung der Jäger beschäftigte mitunter sogar mehrere Mitglieder derselben Gesellschaft und wurde in der Regel, wenn sie erfolgreich zur Produktivitätssteigerung der Jagd bei- trug, auch sukzessive erweitert. Die Kult- handlungen erhielten damit zunehmend Be- deutung und begannen sich allmählich gegenüber der Jagd zu verselbstständigen.

Nicht mehr nur die Jäger, sondern nun auch die Priester und Zeremonienmeister und die sonstigen mit dieser »Kultur« beschäftigten Gesellschaftsmitglieder arbeiteten nun mit an den Belangen dieser Sozietät. Aus einer Ge- sellschaft, die–so haben wir angenommen– zunächst nur jagte, um ihr Dasein zu sichern, wurde, gerade indem sie sich darum bemüh- te, ihre Arbeit zu effektivieren, eine arbeits- teilige Gesellschaft. Sie bestand nun (zumin- dest) aus Jägern und Priestern.

Dies ist keine zufällige Entwicklung. Ar- beit hat grundsätzlich die Tendenz, sich zu differenzieren. Wo immer Arbeitsabläufe effektiviert werden, um sich die damit ver- bundenen Mühen zu sparen, und diese Ef- fekte auf die Arbeit zurückwirken, entsteht neue Arbeit. Wenn durch Ausbildung von Arbeitskräften etwa komplexere Aufgaben zu bewältigen sind, so entsteht unvermeidbar Bedarf an Lehrern und Schulen. Wenn durch sinnvolle Organisation Produktionsabläufe effektiviert werden, so entsteht Bedarf an Management und Kontrolle. Und wenn sich durch technische Innovationen Steigerungen an Output und Wirtschaftswachstum erzie-

len lassen, so entsteht Bedarf anresearch and development, an Wissenschaft im weitesten Sinn. Mit anderen Worten: Arbeit macht Arbeit, und das unablässig und in sich be- schleunigendem Ausmaß.

Schon in Gesellschaftsformen, die gerne als einfach beschrieben werden,finden sich deshalb zahlreiche Differenzierungen, die auch für die moderne Arbeitswelt von Be- deutung sind. Interessant scheint zum Beispiel der Umstand, dass schon Jägergesellschaften in gewissem Sinn zwischen Arbeitsplatz und Wohnort unterscheiden und damit verbun- den soziale Kompetenzen entwickeln. Anders als die meisten Jäger im Tierreich nehmen Menschen die Mühe auf sich, ihre Jagdbeute auch über weitere Strecken zu ihrer Höhle oder Behausung zu transportieren, um sie da mit anderen Mitgliedern der Gemeinschaft zu teilen. Dieses Teilen der Beute als grundle- gender sozialer Akt erfordert, wenn er effizi- ent sein soll, die Beobachtung und Adminis- tration der Beute, die die anderen einbringen, also erste sozioökonomische Überlegungen und Kalkulationen. Anthropologen vermu- ten, dass dies half, die Schwankungen der Nahrungsmittelversorgung durch Jagd zu mildern, was insbesondere für die Versor- gung noch nicht angelernter Kinder und Jugendlicher wichtig war. Zumindest Nah- rungsmittel dürften dabei interessanterweise auch vom frühen Menschen niemals wirklich gerecht unter allen Gemeinschaftsmitgliedern aufgeteilt worden sein, sondern immer schon unter Bevorzugung bestimmter Mitglieder (Stanford 1999).

Auch begann der Mensch früh damit, seine Nahrung nicht roh zu verschlingen, sondern sie zumindest ansatzweise aufzube- reiten. So wurden beispielsweise mit Fellen ausgelegte und mit Wasser gefüllte Boden- vertiefungen gefunden, in die heiße Steine gelegt wurden, um erste Kräutersuppen und Ähnliches zuzubereiten. Darüber hinaus be- gann der Mensch bald, seine Beute durch Darstellung etwa auf Höhlenwänden oder in Form von Skulpturen ins Bild zu setzen: Das

(24)

nahm ihr zum einen den Schrecken, den sie als in der Regel unvorhersehbar aus dem Dickicht hervorbrechende und damit kaum jemals »in Ruhe« betrachtbare »Bestie« aus- übte; zum anderen ließ sie sich damit auch

»analytisch« erfassen. Mithilfe gezeichneter Darstellungen konnten etwa spezifische Ver- haltensweisen der Beute vorab erörtert wer- den, junge Jäger konnten auf verwundbare Stellen der Tiere aufmerksam gemacht und mit weiteren Informationen versehen wer- den, die für den Jagderfolg wesentlich waren, –dies umso effizienter, je genauer die Dar- stellungen waren. Wenig verwunderlich also, dass bereits aus der Zeit von vor circa 35 000

Jahren Höhlenmalereien vorliegen, deren Detailliertheit ahnen lässt, dass hier Spezia- listen am Werk waren, die vielleicht gar nicht mehr nur nebenbei und gelegentlich auf Wänden zeichneten. Möglich, dass sich zu- mindest wohlhabendere Gemeinschaften schon zu dieser Zeit so etwas wie Künstler leisteten, die zumindest partiell von den unmittelbaren Tätigkeiten der Nahrungsbe- schaffung freigestellt waren – dies freilich nicht, um l’art pour l’art, sprich eine im modernen Sinn »handlungsentlastete« Kunst zu generieren, sondern, um mithilfe »darstel- lender Analyse« die Jagdergebnisse zu effek- tivieren (Füllsack 2009).

1.3 Arbeitsteilung

Auf der einen Seite unterstützten also die analytischen Aufgaben dieser frühen Künstler die mühevollen und gefährlichen Tätigkeiten der Jäger. Auf der anderen Seite erbrachten deren Aktivitäten, wenn sie durch diese Art der Unterstützung besser gelangen, jenes Sur- plus an Arbeitsprodukten, hier etwa Nah- rungsmittel, mit dem den Höhlenmalern die Spezialisierung auf ihre Kunst ermöglicht wurde. Eine vergleichbare Form der wechsel- wirkenden Arbeitsteilung hatte der griechi- sche Philosoph Aristoteles früh im Hinblick auf die Entstehung der Mathematik geltend gemacht. Von ihm stammt die scharfsinnige Beobachtung, dass sich die Mathematik eigentlich der Prosperität der ägyptischen Wirtschaft verdankt, die es aufgrund regel- mäßiger Nil-Hochwasser manchen Ägyptern – Aristoteles stellt diesbezüglich die Priester heraus–erlaubte, sich auf geistige Tätigkei- ten, eben unter anderem auf das Rechnen zu spezialisieren. Nur weil die Arbeit der Bauern wegen des fruchtbaren Nil-Schlamms so pro- duktiv war, dass damit auch andere, nicht Landwirtschaft treibende Gesellschaftsmit-

glieder versorgt werden konnten, wurde es diesen möglich, sich geistigen Dingen, unter anderem der Mathematik zu widmen, die dann ihrerseits, etwa durch die Berechnung von günstigen Saat- oder Erntezeiten, von Sonnenständen, von Lagerbeständen oder auch bei der Planung von Getreidespeichern oder sonstigen Bauwerken auf die Verrich- tungen der körperlichen Arbeit zurückwirkte.

Aristoteles fasste diese nicht unmittelbar körperlichen Tätigkeiten unter dem Begriff scholézusammen, was gewöhnlich als Muße übersetzt wird, aber als Wurzel des deut- schen Wortes Schule darauf schließen lässt, dass damit eine weitreichende Arbeitsteilung zwischen körperlichen und eher geistigen Tätigkeiten angesprochen ist. In der späteren Industriearbeit führte eine ähnliche Teilung zwischen manueller blue-collar-Arbeit und eher geistiger, weil administrativer white- collar-Tätigkeit schließlich dazu, die heute auch politisch noch maßgebliche Differen- zierung von Arbeitern und Angestellten und schließlich von verarbeitendem und Dienst- leistungsgewerbe einzuleiten.

(25)

Systematisch beginnt die entsprechende Differenzierung bereits im Mittelalter Fuß zu fassen, wo als Vorläufer der industriellen Produktion die Manufaktur verschiedene Handwerke in sogenannten Arbeitshäusern zusammenzufassen begann. Eigenständige Berufsstände, die zuvor verstreut und dezen- tral ihre Produkte und Leistungen anboten, begannen zentral unter einem Dach zu pro- duzieren. Drechsler, Gerber, Schlosser, Ver- golder und andere schlossen sich zum Bei- spiel zur Kutschenmanufaktur zusammen;

Schmiede, Schlosser, Nadler etc. zur Steck- nadelmanufaktur.

Mit diesen Zusammenschlüsse wurde es möglich, die Arbeit systematisch aufzuteilen.

Die vielfältigen Tätigkeiten, die zuvor etwa ein Nadler im Zuge des Herstellens von Steckna- deln verrichtet hatte–von der Eisenbearbei- tung über das Ziehen des Metalls, das Schnei-

den, das Zuspitzen, bis hin zur Verpackung, Verkauf, Rechnungsführung etc. – konnten von einzelnen, sich jeweils spezialisierenden Arbeitern in Einzelschritten verrichtet werden, was, wie der Ökonom Adam Smith (Smith 1776/1937) dann hervorhob, die Produktivi- tät erheblich zu steigern erlaubte.

Gleichzeitig wurde damit allerdings die geachtete Arbeit von Handwerkern auch allmählich entwertet: Für die Verrichtung der verschiedenen Einzelschritte war kein außergewöhnliches Spezialwissen mehr nö- tig, das dem Arbeitenden Prestige und Nach- frage sicherte. Darüber hinaus brachte der zerstückelte Prozess den Arbeitenden um den Bezug zu seinem Produkt. Das fertige Werk verschwand aus seinem Blickfeld. Beides waren Probleme, die die aufkommende In- dustriearbeit maßgeblich und fortlaufend belasteten.

1.4 Rationalisierung

Worauf beruht aber nun der enorme Pro- duktivitätsgewinn im Detail, mit dem die industrielle Arbeit die Welt so maßgeblich zu verändern begann? Um dies im Detail zu verstehen, empfiehlt es sich, die Möglichkei- ten zur Rationalisierung der Arbeit anhand eines einfachen theoretischen Beispiels durch zu überlegen.

Zum Inbegriff der industriellen Produk- tionsweise wurde zu Beginn des 20. Jahrhun- derts bekanntlich das Fließband, an dem Arbeitsprozesse in einzelne Schritte aufgeteilt und in stets gleiche Handgriffe zerstückelt wurden. Die damit verbundene Rationalisie- rung führt sich auf die Möglichkeit zurück, Regelmäßigkeiten im Arbeitsvorgang zu nut- zen und die sich dabei wiederholenden Teile oder Abschnitte des Prozesses zusammenzu- fassen, sie gleichsam zu bündeln. Man stelle sich, um diesen Effekt genauer zu sehen, kurz

einen Gestrandeten auf einer einsamen Insel vor, einen Robinson etwa, der, um auf seiner Insel zu überleben, Fische zu fangen versucht.

Eine der Regelmäßigkeiten dieses Arbeitspro- zesses könnte darin bestehen, dass sich Fische an kleinen Haken, auf denen ein Köder angebracht ist, relativ leicht aus dem Wasser ziehen lassen. Einen Fisch dagegen nur mit den Händen aus dem seichten Wasser ans Land zu werfen, gelingt zwar vielleicht auch schlecht und recht, benötigt aber im Schnitt, sagen wir, sechs Stunden Zeit. Mit Haken schafft es Robinson durchschnittlich alle zwei Stunden einen Fisch zu fangen. Und mit nur einem davon lassen sich gewöhnlich gleich mehrere Fische fangen. Der Haken »verkör- pert« also gleichsam einen sich wiederholen- den Aspekt in diesem Arbeitsprozess. Im Haken ist, wie dies Karl Marx ausdrückte, Arbeit »geronnen«. Die Wiederverwendbar-

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keit des Hakens bewahrt den sich wiederho- lenden Aspekt des Hakenherstellens auf.

Während dieser Haken allerdings herge- stellt wird–nehmen wir dafür eine Dauer von 6 Stunden an–, kann Robinson keine Fische fangen. In ökonomischen Termini birgt der Haken so genannte »Opportunitätskosten«

und zwar in der Höhe der in seiner Herstel- lungszeit nicht gefangenen Fische. Wenn wir annehmen, dass Robinson noch über weitere Nahrungsquellen verfügt, die ihm vielleicht sogar lieber sind als Fisch, so scheint es für ihn wenig verlockend, 6 Stunden lang an der Herstellung eines Hakens zu arbeiten, dabei auf Nahrungsmittelproduktion zu verzich- ten, weil ja dafür keine Zeit bleibt, nur um hier und da einen Fisch zu fangen. Wie leicht nachzurechnen ist, rentiert sich der Haken in diesem Beispiel erst ab dem zweiten Fisch.

Diese Menge zu fangen dauert (im Schnitt) ohne Haken 2 × 6¼12 Stunden und mit Haken 6þ2 × 2¼10 Stunden.

Das heißt, der Haken erspart Arbeit erst ab einer bestimmten Wiederholungsdichte.

Nur wenn Robinson in der Tat hinrei- chend oft Fische zu fangen gedenkt, ren- tiert sich für ihn die Investition in den Haken. Sobald dies aber der Fall ist, steigt die Rendite schnell an: je mehr Wiederho- lungen, desto höher die Arbeitserspar- nis. Bei fünf Fischen beträgt die Ersparnis bereits 14 Stunden, bei 10 bereits 34 Stunden. Anders gesagt, die Wiederanwen- dung des Hakens ist äußerst attraktiv, und zwar im Wortsinn, wie wir gleich sehen werden.

Ein aus Holz oder Knochen unter primi- tiven Bedingungen geschnitzter Angelhaken mag freilich nicht allzu viele Wiederanwen- dungen erlauben. Ein modernes Computer- programm dagegen, dass, einmal geschrie- ben, im Prinzip nahezu kostenfrei kopiert werden kann, erlaubt tendenziell unendlich viele Anwendungen.

1.5 Der komparative Kostenvorteil

Was aber nun, wenn dieser Robinson Fische nicht sonderlich schätzt? Woher kommt dann die benötigte Wiederholungsdichte?

Die Antwort liefert hier, wie so oft, die Gesellschaft. Ein Freitag an Robinsons Seite, der Fisch mag und bereit ist, ihn gegen andere Produkte zu tauschen, würde die Hakenher- stellung schnell rentabel werden lassen.

Auch hier lässt sich freilich zunächst ein Einwand machen, der das Beispiel infrage stellt, bei genauerem Hinsehen aber Gründe dafür verdeutlicht, warum Arbeit im Zuge ihrer Rationalisierung tatsächlich produkti- ver zu werden scheint. Es dürfte leicht vor- zustellen sein, dass Freitag, als profilierter Insulaner, sowohl wesentlich effektiver Fi- sche fängt als Robinson, wie auch die dazu nötigen Haken in kürzerer Zeit herstellt.

Freitag benötigt, sagen wir, nur eine Stunde pro Haken und eineinhalb Stunden, um damit einen Fisch zu fangen. Warum sollte also der geschickte Freitag mit dem ineffi- zienten Robinson überhaupt tauschen? Alles was Robinson zu Wege bringt, dauert länger als wenn Freitag es selbst tut. Robinsons Arbeit scheint Freitag eher zu bremsen, an- statt Arbeit zu sparen.

Warum es trotzdem auch für Freitag rational sein könnte, zu tauschen, beantwor- ten erneut die Opportunitätskosten der Ar- beit. Sie liegen dem zugrunde, was David Ricardo »komparativen Kostenvorteil«

nannte. Würden sowohl Robinson wie auch Freitag ausschließlich als Selbstversorger leben, so würde Robinson in diesem Beispiel mindestens 10 Stunden arbeiten müssen, um

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einen Haken herzustellen und zwei Fische zu fangen. Freitag wäre wesentlich schneller, würde aber ebenfalls noch vier Stunden für dasselbe Ergebnis benötigen.

Wenn sie sich dagegen zu tauschen ent- schließen und Robinson den Fischfang und Freitag die Hakenherstellung übernimmt, so würde, um dasselbe Ergebnis, nämlich ins- gesamt zwei Haken und vier Fische zu er- zeugen, Robinson nur 8 Stunden (für vier Fische) und Freitag nur zwei Stunden (für zwei Haken) arbeiten müssen. Beide würden sich bei gleichem gesellschaftlichen Output jeweils zwei Stunden Arbeit ersparen, die sie, anstatt wirklich zu sparen, im Sinne der industria, also derfleißigenArbeit, in erhöhte Arbeitsaktivität und damit Produktivität in- vestieren könnten. Beide hätten damit gro- ßen Anreiz, sich auf die Herstellung nur eines der beiden, in diesem Beispiel relevanten Güter zu spezialisieren und ihre Produkte zu tauschen. Und dies gilt in analoger Weise auch für beliebig viele weitere Akteure und ihre Produkte.

Das Um und Auf des Rationalisierungs- prozesses und der damit verbundenen Pro- duktivitätssteigerung ist also die Bündelung von Wiederholbarem, von Regelmäßigkei- ten. Im Hinblick auf die heutige Digitalisie- rung vieler Arbeitsschritte lässt sich dies auch informationstheoretisch anschaulich zei- gen. Die bekannte Fibonacci-Sequenz bei- spielsweise für, sagen wir, ungefähr hundert Stellen zu berechnen, macht, obwohl sie sehr einfach ist, doch einige Arbeit. Den Algorith- mus »Wiederhole 100-malFn¼Fn -1þFn -2 mit F0¼0 und F1¼1« dagegen niederzu- schreiben, erspart einiges dieser Arbeit, ein- fach, weil das zugrundeliegende Prinzip der Sequenz–die Addition der je vorhergehen- den beiden Zahlen – damit auf einen sich wiederholenden Teilaspekt reduziert und damit einer möglichen Spezialisierung zu- gänglich gemacht wird. Im Bereich der menschlichen Arbeit wurde diese Art von Spezialisierung, etwa im Zuge der Industria- lisierung, zunehmend (und zunehmend auch

systematisch) Fachkräften anheimgestellt, die sich allerdings, weil ihrer Arbeit Regel- mäßigkeiten zugrunde lagen, etwas später durch Maschinen ersetzen ließen. Heute leisten solche Spezialisierung eben vielfach die Rechner.

Nun wird an dieser Stelle allerdings immer wieder eingewandt, dass sich nicht jeder Prozess so einfach rationalisieren lässt. Viele menschliche Tätigkeiten seien zu komplex, um sie vollständig in sich wiederholende Teilaspekte zu zerstückeln. Frey und Osbor- ne etwa machen als Rationalisierungs-Fla- schenhals Aufgaben aus, die Wahrnehmung und Manipulation, sowie kreative und sozia- le Intelligenz erfordern (Osborne und Frey 2013). Gerade aktuell so wichtig werdende Arbeitsarten wie die Erziehung, die Pflege, die Bildung unserer Mitmenschen scheinen sich damit, zusammen mit vielen administ- rativen Tätigkeiten, maschineller Verrich- tung zu sperren. Es scheint schwierig, in diesen Arbeitsprozessen Wiederholbares zu finden, das sich dann einfach automatisieren ließe. Die Suche danach scheint unsere Mög- lichkeiten zu übersteigen.

Interessanterweise lässt sich aber gerade diese Suche nach Rationalisierungsmöglich- keiten ihrerseits recht gut an Rechner ausla- gern. Diese orientieren sich dabei paradoxer- weise ausgerechnet an der Natur. Sie imitie- ren dazu Evolutionsprozesse, die davon aus- gehen, dass jeder noch so simple Organismus in seiner Nische, in der er die dort gegebenen Regelmäßigkeiten energetisch nutzt, eine sol- che Suche erfolgreich absolviert hat. Seinen Metabolismus etwa im Winter, wenn kaum Nahrung zufinden ist, regelmäßig herunter- zufahren und zu schlafen, dafür aber im Sommer bei großem Ressourcenangebot ak- tiv zu sein, ermöglicht es dem Murmeltier die saisonalen Wiederholungen der Jahreszeiten energetisch zu nutzen. Allerdings wendet die Natur bei dieser Suche nun ein Prinzip an, das kulturellen Wesen in der Regel verschlos- sen bleibt. Die Natur selektiert einfach knall- hart diejenigen aus, die beim Finden nutzba-

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rer Regelmäßigkeiten keinen Erfolg haben.

Sie lässt, anders gesagt, nur die Erfolgreichen leben und spürt genau damit die versteckten

»Rationalisierungsmöglichkeiten« auf.

Den Umstand, dass wir–so ist zumindest zu hoffen–Personen, die unter den hochdy- namischen Beschäftigungs- und Arbeitsbe- dingungen moderner Gesellschaften keine nutzbaren Regelmäßigkeiten aufspüren, nicht einfach sich selbst überlassen, sind wir mittlerweile zumindest teilweise in der Lage, mithilfe von Rechnern zu kompensieren. In der Computertechnologie wird die evolutio- näre Selbst-Optimierung zum verbreiteten Standard. Mit Hilfe Genetischer Algorith- men lassen sich Computerprogramme, die an sich bereits hoch komplexe Anordnungen von Wiederholbarem darstellen, einem evo- lutiven Wettbewerb aussetzen, im Zuge des- sen die Effizienz Jahrtausende währender Evolution im Aufspüren und Anpassen an Regelmäßigkeiten in wenigen Sekunden nachvollzogen wird (Hoos 2012). Roboter- systeme–deren Bestandteile deswegen heute nicht mehr so oft nach den slawischen Be-

zeichnungen für Sklave und Arbeit (rab, rabota), sondern eher alsBrain based devices bezeichnet werden– sind in der Lage, ihre Aufgaben durch Auslese der dafür am besten geeignetsten Instanzen in kürzester Zeit opti- mal zu erfüllen. Da wir–bisher zumindest– wenig dabei empfinden, ein ineffizientes Computerprogramm einfach zu löschen, bzw. einen schlecht arbeitenden Roboter einzustampfen, scheint die Vision des Com- putertechnikers Ray Kurzweil (Kurzweil 2005) einer schon in näherer Zukunft ver- fügbaren, sich selbst optimierenden Maschi- nengeneration nicht mehr ganz abwegig. Da diese Maschinen selbständig und rasend schnell Rationalisierungsmöglichkeiten auf- spüren, könnten auch Arbeitsformen, die wir aktuell für nicht rationalisierbar halten, in Zukunft von Rechnern und Maschinen aus- geführt werden. Die jüngsten »Erfolgsmel- dungen« aus diesen Bereichen, die weitrei- chende Veränderungen in Verwaltung, Er- ziehung, Ausbildung und nicht zuletzt in der Beschäftigung ankündigen, scheinen in diese Richtung zu deuten.

1.6 Umdenken

Zugegeben, noch ist es nicht so weit. Von wirklichem »jobless growth«, wie ein völlig von Arbeit entkoppeltes Wirtschaftswachs- tum zuweilen genannt wird, kann noch keine Rede sein. Einstweilen schürt die Beschäfti- gungsintensität der Dienstleistungswirt- schaft in vielen europäischen Volkswirtschaf- ten noch die Hoffnung, dass in der Industrie wegrationalisierte Arbeitskräfte zumindest zahlenmäßig im Servicesektor beschäftigt werden können (Marterbauer 2007). Für den Einzelnen bietet dies freilich meist wenig Trost. In der Dienstleistungfinden bei weitem mehr Jüngere Aufnahme, als in der Industrie Ältere abgebaut werden. Der ökonomische

Strukturwandel lässt damit vor allem ältere Arbeitnehmer der »Generation 50þ« außen vor. Und da Jüngere dies vermehrt wahrneh- men können und dabei auch aktuell schon nicht gerade einfach ins Berufsleben einstei- gen, steigt allgemein die Beschäftigungsunsi- cherheit. Diese Unsicherheit, die zusätzlich von einer voranschreitenden Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse gesteigert wird, sorgt heute, mehr als die schweißtrei- benden Mühen der körperlichen Arbeit, für jene Belastungen, denen sich der moderne Arbeitende ausgesetzt sieht. Das paradoxe Fazit daraus lautet, dass die Belastung offen- sichtlich steigt, gerade weil der moderne

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Mensch Erfolg zu haben scheint, sich immer größerer Teile seiner Arbeit zu entledigen.

Der eigentliche Grund für diese Paradoxie ist dabei leicht auszumachen: es ist die nach wie vor selbstverständliche und wenig hinter- fragte Konvention, Produktivitätserfolge ausschließlich über Arbeitslöhne umzuver- teilen. Nur wer arbeitet, soll auch zu essen haben, lautet die jahrhundertealte Devise.

Wenn freilich der Mensch in der Tat nicht mehr in jedem Arbeitsbereich für die Pro- duktion notwendig ist und die entsprechen- den Bereiche mit technologischem Fortschritt eher mehr zu werden scheinen, so scheint es an der Zeit über andere Formen der Umver- teilung von Produktivitätserfolgen nachzu- denken und den Menschen von den Mühen und Lasten der Arbeit zu befreien.

Literatur

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Referenzen

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