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Die Seele der USA Der moralische Kompass der Präsidentenwahl

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SWR2 Glauben

„Die Seele der USA“

Der moralische Kompass der Präsidentenwahl

Von Sebastian Hesse

Sendung: 31.1.2021, 12.05 Uhr Redaktion: Anna Koktsidou Produktion: SWR 2021

Die Richtung, die der neue amerikanische Präsident einschlagen wird, ist

wegweisend für den Zusammenhalt im Land. Wie werden sich religiöse Gruppen verhalten?

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MANUSKRIPT

Atmo O-Ton: „Are you hearing what I hear because I hear an Army of Angels…“)

Mitte Dezember letzten Jahres – auf der National Mall, der berühmten Flaniermeile im Herzen von Washington DC. Aus allen Landesteilen sind evangelikale Christen in die Hauptstadt geströmt, um ihrem Idol beim Kampf um das Weiße Haus zur Seite zu stehen: Noch-Präsident Donald Trump.

Atmo O-Ton („How many of y’all have been to a Stop the Steal Rally or a Jericho March? …”)

“Ihr seid die neue Pioniere, die unser Land retten!” – ruft ein Geistlicher den Kundgebungsteilnehmern zu. Weit über 80 % der weißen Evangelikalen hatten bei der Präsidentschaftswahl für Trump gestimmt: Wie bereits 2016 ist Amerikas religiöse Rechte Trumps loyalste Wählergruppe. Seine haltlose Behauptung, Joe Biden sei ein Wahlbetrüger, - und in Wahrheit habe er, Trump, die Präsidentschaftswahl haushoch gewonnen: Diese Legende wird hier nur allzu gerne geglaubt.

Atmo O-Ton (Stop the Steal, stop the steal…“)

“Stop the Steal!, - stoppt den Stimmenklau -, skandiert die Menge vor der Kulisse des Kapitols. Die Schwestern Susan und Julia sind aus zwei weit voneinander entfernt liegenden Bundesstaaten angereist, aus Texas und aus Missouri. Auch sie sind fest davon überzeugt, dass Biden die Wahl gestohlen hat.

O-Ton („It was totally stolen! I watched almost all the hearings…”)

Die Wahl sei komplett gestohlen worden, meint Susan, die Gerichte wollten nur die Beweise nicht sehen. Die Schwestern tragen ein riesiges Banner:

JESUS SAVES steht darauf, in schwarzen Lettern auf gelbem Grund. Wie viele der konservativen Protestanten, - Seelenverwandte der deutschen Pietisten -, fürchten auch Susan und Julia, dass die Biden-Präsidentschaft das Ende des traditionellen, christlichen Amerikas einläutet.

O-Ton („They have a whole liberal agenda that they’re going to force upon us…“)

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“Die werden uns ihre linke Agenda aufzwingen”, sagt sie, “sie werden uns Christen verfolgen!“ Dieses Bedrohungsgefühl teilen viele an diesem Sonntag auf der National Mall. Ein tiefsitzendes Unbehagen. Trumps evangelikale Anhänger glauben, ihr Vorkämpfer sei um seinen Wahlsieg betrogen worden, um zu verhindern, dass er ihren Glauben, ihre Werte, ihre Art zu leben vor existenzieller Not bewahrt.

Atmo O-Ton (“Our father, who art in heaven, hallowed be thy name…”)

Wenige Wochen später, am 6. Januar dieses Jahres, sind wieder JESUS SAVES – Banner in Washingtons Zentrum zu sehen: Beim Marsch auf das Kapitol, der in der gewaltsamen Erstürmung des Parlamentsgebäudes mündet. Christliche Ikonographie verschmilzt mit patriotischer und auch rassistischer Symbolik: Jesus-Portraits und Kreuze inmitten eines Fahnenmeers aus Südstaaten-Flaggen und Trump-Bannern.

Atmo O-Ton („USA, USA, USA…“)

Für die Protestierer sind die USA ein auserwähltes Land, das Gott gezielt einem auserwählten Volk gab. ‚God’s own Country’! --- so empfindet es auch Shauna aus Utah:

O-Ton („Well, this is God’s Country, as they say it’s the promised land…”)

“Dies hier ist das gelobte Land, das wir für die gesamte Menschheit erhalten müssen.“ Auch Patricia, ebenfalls aus Utah nach Washington angereist, glaubt fest an den vielbeschworenen ‚American Exceptionalism‘, an eine gottgewollte Ausnahmerolle Amerikas.

O-Ton (“I’m going to continue to fight by believing that God gave us this nation…”)

Sie werde weiter für dieses Land kämpfen, das Gott dieser Nation gegeben hat.

Die meisten der Demonstranten am Kapitol glauben, sie seien an einer Art Endkampf um die Seele Amerikas beteiligt. Dass nur Trump die Zerstörung des Landes zu verhindern weiß und sie ihm zur Hilfe eilen müssen.

O-Ton (“And I believe this is just the starting. If President Trump doesn’t get in because of the corruption…”)

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„Wenn Trump vom korrupten Establishment um seinen Sieg gebracht wird, dann müssen wir ihm zur Seite stehen“, ruft Richard, „und wenn wir mit Gewalt für Gerechtigkeit sorgen müssen!“

O-Ton („We might have to take it back by force … a lot of people are willing to do that if we have to!”)

Es mangele nicht an Leute, die zu tun bereit sind, was getan werden muss!

Atmo O-Ton: Gottesdienst in der First Baptist Church in Dallas

Sonntagmorgen in der‘First Baptist Church’ in Dallas, Texas. Wegen Corona bleiben Chor und Orchester in der gewaltigen ‚Megachurch‘ vorerst weiter unter sich. Die evangelikale Kirchengemeinde, die wie in den USA üblich als privatwirtschaftliches Unternehmen geführt wird, zählt 14-tausend Mitglieder. In Pandemie-Zeiten können sie nur am heimischen Bildschirm verfolgen, wie ihr Pfarrer ans Rednerpult tritt. Pastor Robert Jeffress ist ein glühender Verehrer von Donald Trump. Dessen Wahlniederlage ist für Jeffress, wie für so viele Evangelikale, eine ‚bittere Pille‘.

O-Ton (“This is a bitter pill for millions of Christians like myself … why would God let this happen?”)

Viele Christen würden sich fragen: Warum hat Gott das zugelassen? – ruft der kleinwüchsige, schmalschulterige Geistliche mit dem Spitzmausgesicht seiner Gemeinde zu. Jeffress trägt einen blauen Anzug, einen akkurat gebundenen roten Schlips nebst passendem Einstecktuch. Auf der riesigen Bühne seiner

‚Megachurch‘ wirkt er etwas verloren. Das gleicht der prominente Südstaatenprediger mit Wortgewalt aus: Wenn es um Donald Trump geht, dann kennt Jeffress‘ Begeisterung keine Grenzen:

O-Ton („I believe this with all of my heart that in the centuries to come Christians … President in American history!”)

Donald Trump werde als der größte und frömmste Präsident aller Zeiten in die Geschichte eingehen! Nur allzu gerne listet Jeffress die Errungenschaften seines Idols auf:

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O-Ton („The vast accomplishments of Donald J. Trump! Not least of which is 200 federal judges … for all he’s done for our country!”)

Über 200 konservative Richter habe Trump an die Bundesgerichte berufen.

Darunter gleich drei an den Supreme Court, den Obersten Gerichtshof. Auf die neuen Verfassungsrichter von Trumps Gnaden, darunter zuletzt Amy Coney Barrett, stützt sich die Hoffnung der Evangelikalen, dass die liberale Abtreibungs-Gesetzgebung der USA irgendwann zurückgenommen werden könnte. Schwangerschafts-Abbrüche zu erschweren: Das ist für die Evangelikalen, und überhaupt die religiöse Rechte, das mit Abstand wichtigste gesellschaftspolitische Anliegen. In ihrem Sinne hatte Trump den Schutz des ungeborenen Lebens zur politischen Priorität erklärt. Dass die Agenda dieses Präsidenten zündete, auch seine israel-freundliche Nahost- Politik, ist leicht nachvollziehbar. Aber warum die moralisch so rigiden Evangelikalen ihm dafür so bereitwillig die Absolution für seine Sünden gaben, - seine Affären und Scheidungen, seine Gier, seine Eitelkeit, seine schlechten Manieren -, das ist rätselhaft geblieben. Professor Randall Balmer, der den Lehrstuhl für Religionsgeschichte am renommierten Dartmouth College inne hat, schüttelt bei dieser Frage nur den Kopf:

O-Ton („Well, Sebastian, that has been the question that has been bedaddeling me for the last four or five years trying … than any candidate ever. To me it’s a huge puzzle!”)

Das hat mich in den letzten vier, fünf Jahren beschäftigt, das herauszufinden.

Da ist dieser zweimal geschiedene, dreimal verheiratete frühere Kasino- Betreiber, ein Frauen-Aufreißer und Frauen-Verächter, ohne jede religiöse Kompetenz, der sehr viel mehr evangelikale Stimmen bekommt als je ein Kandidat zuvor. Das ist mir ein Rätsel!

Mit untrüglichem politischen Instinkt hat Donald Trump von Anbeginn seiner politischen Karriere an das evangelikale Milieu umschmeichelt: Er hat der religiösen Rechten Aufmerksamkeit geschenkt, ihre Sprache gesprochen und sich vor allem geschickt als einer der ihren verkauft:

O-Ton („Donald Trump speaks the language of victimization very, very fluently … but nevertheless they recognize that vocabulary, that

discourse.”) (2)

Donald Trump versteht es sehr, sehr geschickt, die Opferrolle

einzunehmen! Auch die Evangelikalen sehen sich zunehmend als Opfer dieser Gesellschaft. Deshalb identifizieren sie sich mit Trump. Dem geht es zwar nur um sich selbst, - er ist immer das Opfer -, aber trotzdem erkennen sie sich in ihm wieder.

Ganz ähnlich beschreibt auch der Politikwissenschaftler Matthew Wilson, von der Southern Methodist University im texanischen Dallas, den

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strategischen Coup Trumps: Er hat sich einem gesellschaftlichen Milieu angedient, das den Glauben an Verbündete in der Tagespolitik längst verloren hatte.

O-Ton („Some of it is Trumps own personal kind of bombastic larger than life appeals … that evangelicals feel about the cultural position of Christianity.”) (2)

Zum einen Teil ist es Trumps bombastische, überlebensgroße

Selbstinszenierung, aber zum anderen Teil eben auch die schiere Verzweiflung, die viele Evangelikale über den kulturellen Stellenwert des Christentums

verspüren.

Zwei Faktoren haben sich also gegenseitig begünstigt: Trumps Fähigkeit, ständige Aufmerksamkeit zu erregen, und das Unbehagen der religiösen Rechten, die sich von der säkularisierten Mehrheitsgesellschaft verachtet und an den Rand gedrängt fühlt.

O-Ton („Evangelicals feel increasingly that their values and their world view and their way of life … and moreover they’re becoming bolder and more aggressive in their assertion of secularism.”) (2)

Die Evangelikalen haben zunehmend das Gefühl, dass ihre Werte, ihre

Weltsicht, ihre Art zu leben, ausgegrenzt und bedroht werden in den USA. Und da liegen sie nicht völlig falsch! Das ist ja keine Einbildung: Viele Erhebungen bestätigen, dass es größere Abneigung und auch Feindseligkeit gegen die Rolle des Christentums in dieser Gesellschaft gibt. Über die letzten Jahrzehnte hinweg haben wir eine steigende Anzahl an Demokraten erlebt, die sich als Atheisten bezeichnen, die keine Anbindung an eine Kirche haben und die immer aggressiver in ihrer Kirchenfeindlichkeit werden.

In scharfem Kontrast dazu hat Trump seine evangelikalen Mitstreiter so nahe an das Zentrum der Macht gelassen wie kein Präsident vor ihm. Pastor Robert Jeffress etwa durfte regelmäßig ‚Prayer Breakfasts‘, Gebets-Frühstücke, im Oval Office abhalten. Als Trump die amerikanische Botschaft in Israel symbolträchtig verlegen ließ, von Tel Aviv nach Jerusalem, da durfte Jeffress mitreisen und das Gebet zur Einweihung sprechen. Gerne prahlt der Südstaatenprediger mit seinem persönlichen Draht ins Weiße Haus. Und länglichen Anekdoten, wenn ihn Trump grade mal wieder angerufen und um Rat gebeten hat:

O-Ton („Tuesday afternoon I was driving down Harry Heinz Boulevard and my telephone rang … can you take the call?”)

Von diesem System der gegenseitigen Aufwertung haben sowohl der Präsident, als auch seine evangelikale Wählerschaft profitiert: Eine politische Allianz.

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Doch wie echt und authentisch ist Donald Trumps Glauben? Ist da mehr als nur ein zynisches Kalkül auf massenhafte Wählerstimmen? Noch näher dran am Präsidenten als Jeffress ist die Fernsehpredigerin Paula White, die in Florida eine Megachurch betreibt, die ‚City of Destiny Church‘ in Apopka.

White und Trump verbindet eine langjährige Freundschaft:

O-Ton (“Is it accurate to describe you as Donald Trump’s spiritual adviser? … and I know that Donald is saved!”)

„Sind Sie Donald Trumps spirituelle Beraterin?”, wird White in einem Interview gefragt. So würde sie das nicht sagen, winkt die Predigerin ab, aber sie spiele seit über 15 Jahren eine spirituelle Rolle in Trumps Leben. Der damalige New Yorker Baulöwe und Lebemann hat angeblich White zu sich in den Trump Tower eingeladen, nachdem er zutiefst beeindruckt ihre TV-Show

‚Paula White today‘ gesehen hatte. Hat sie ihn also zu Gott geführt?

O-Ton („Did you bring Donald Trump to Jesus? … I know that Donald is saved!”)

Sie habe Trump die Heilige Schrift nahegebracht und wisse nun, dass seine Seele gerettet sei. Die 1966 geborene, mehrfach geschiedene Paula White ist eine Anhängerin der sogenannten ‚Prosperity Theology‘, der Wohlstands- Theologie. Die lehrt, dass Gottgefällige bereits auf Erden mit materiellem Reichtum und Gesundheit belohnt werden. Wealth and Health. Das war ganz nach Trumps Geschmack: 2017 brachte er White mit nach Washington und ließ sie zum Auftakt seiner Präsidentschaft das Gebet bei der Amtseinführung sprechen.

O-Ton (“As a Nation we now pray for our President Donald John Trump

… we pray this in the name of Jesus Christ. Amen!”)

Später richtete Trump Paula White ein eigenes Büro im Weißen Haus ein. Sie sollte eine Art dauerhafte Verbindungsrolle für ihn ins evangelikale Milieu unterhalten, einen direkten Draht. White sah in ihrem neuen Nebenjob einen geradezu sakralen Akt:

O-Ton When I walk on White House Grounds – God walks on White House grounds … and where I stand is holy!“)

„Wenn ich über das Gelände des Weißen Hauses laufe, dann läuft dort Gott“, so die Predigerin, die nie ein Theologie-Studium absolviert hat. Sie habe jede Autorität, das Weiße Haus zu Heiliger Erde zu erklären. Wo sie stehe, da halte

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das Heilige Einzug. Kurz vor der Präsidentschaftswahl, im Herbst letzten Jahres, predigte sie dann in ihrer ‚City of Destiny‘ - Kirche in Florida, Trumps Wahlsieg sei unausweichlich, da Engel zu seiner Hilfe eilen würden.

O-Ton (“Victory, victory, victory, victory … they’re coming here, in the name of Jesus, from South America.”)

Mit verdrehten Augen spricht Paula White in fremden Zungen. Religiöse Ekstase als politischer Wahlaufruf:

O-Ton (“Hicka, hacka, anda, atta … I hear the sound of victory!”)

Auftritte wie dieser blieben nicht im geschützten Raum von Whites Kirche: Der Videomitschnitt steht bis heute im Netz. Unter Trump erfuhren Amerikas Evangelikale eine Aufmerksamkeit wie nie zuvor. Seltsamerweise blieben alle anderen Kirchen, Konfessionen und Glaubensgemeinschaften weitgehend stumm.

Atmo O-Ton: ‚The Imaginary City‘ an der Westmoreland Congregational

Die ‚Westmoreland Congregational United Church of Christ‘ in Bethesda, Maryland, ist schon von Weitem ein Blickfang. Die rote Backsteinkirche im New England – Kolonialstil, mit ihrem spitzen, schneeweißen Turm und ihren weißen, griechischen Säulen, liegt auf einem Hügel. Im Dezember 2014 wurde hier THE IMAGINARY CITY uraufgeführt, ein sakrales Musikwerk für Solisten, Chor und Orchester. Das Libretto stammt von Timothy Tutt, dem Pfarrer der Westmoreland Church, einer ausgesprochen liberalen Kirchengemeinde.

Timothy und ich sitzen auf einer Parkbank vor der Kirche und die Rede kommt auf die Stürmung des Kapitols, die erst wenige Tage zurückliegt.

O-Ton („It makes me angry and it makes me terribly sad … makes me sad in addition to making me angry.”)

Das macht mich wütend und auch furchtbar traurig! Das Leben und Werk Christi, in dem es um Frieden, Gerechtigkeit, Güte und Einbeziehen geht, missbraucht zu sehen von Leuten, die Religion mit Gewalt, Macht, Gier und Personenkult gleichsetzen: Das macht mich traurig und wütend.

Wenn Pfarrer Tutt seine Kirchengemeinde vergleicht mit den Randalierern vom Kapitol, dann kommt er aus dem Staunen nicht heraus, wie extrem unterschiedlich politische Schlussfolgerungen sein können, die Gläubige aus ein und derselben Religion ziehen.

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O-Ton („Almost like a Holy War! Watching the religious symbolism … different views, Some of them to me are quite abhorrent!”)

Das hatte etwas von einem Heiligen Krieg! Mitanzusehen, wie christliche Symbole für Gewalt genutzt wurden, hat mir noch einmal bewusst gemacht, was für unterschiedliche Spielarten des Christentums es doch gibt! Es gibt nicht das eine Christentum, es gibt viele Christentümer in diesen Tagen. In Amerika gibt es nicht diese eine, für alle zuständige Kirche, sondern viele Sichtweisen. Manche davon finde ich ziemlich abstoßend!

Der gebürtige Texaner Timothy Tutt, der ein wenig wie der junge George Clooney aussieht, rechnet sich selber der religiösen Linken zu, dem progressiven Gegenentwurf zur traditionellen religiösen Rechten. Und er macht sich Vorwürfe: Seine Seite des konfessionellen Spektrums sei zuletzt im politischen Diskurs kaum mehr zu hören gewesen.

O-Ton („The American religious left however has experienced tremendous decline … no longer as obviously a Christian voice, a religious voice, as it once was.”)

Die Religiöse Linke in den USA hatte in den letzten 50, 60, 70 Jahren einen enormen Rückgang zu verzeichnen. Wir sind als Stimme noch da, aber doch hauptsächlich mit unserem eigenen Bedeutungsverlust beschäftigt. Wir waren nicht mehr so sehr in der Lage, uns zu Wort zu melden. Dann haben sich viele, die sich mal als religiöse Linke gesehen haben, von der Religion abgewandt und engagieren sich jetzt in politischen Parteien oder politischen Initiativen.

Unsere Stimme ist noch da, aber sie wird nicht mehr als christliche, als religiöse Stimme wahrgenommen.

Tutt‘s Westmoreland Church ist eine typische Nachbarschaftskirche. Sie wirkt regional begrenzt, kaum über ihr Einzugsgebiet hinaus. Aber nur wenige Meilen die Massachussentts Avenue hinunter, in Richtung Washington, steht eines der berühmtesten Gotteshäuser Amerikas: Die neugotische National Cathedral, ein Bollwerk des religiösen Liberalismus.

Atmo O-Ton: ‚Lobet den Herren‘ aus der ‚National Cathedral‘

Nach der öffentlichen Vereidigung des neuen US-Präsidenten sind Joe Biden und seine Frau Gill, - und viele andere mehr, die Rang und Namen haben im politischen Washington -, in der National Cathedral zu Gast, zum

‚Inaugural Prayer Service‘. Die episkopale Gemeinde der Nationalkathedrale ist das geistliche Zentrum Washingtons. Unter anderem finden hier die Trauergottesdienste für verstorbene Präsidenten statt. Das Gebet zur Amtseinführung wird von Mariann Edgar Budde eröffnet, der Bischöfin an der Kathedrale:

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O-Ton („Welcome to this Inaugural Prayer Service, coming to you from the National Cathedral … and for the world.”)

Wenige Tage zuvor treffe ich mich mit der Bischöfin. Mariann Budde und ich sitzen in der Wintersonne auf eine Parkbank, direkt vor dem imposanten Gotteshaus. Auch Budde ist noch ganz aufgewühlt von dem erschreckenden Geschehen rund um das Kapitol. Schier unerträglich findet sie den Schulterschluss zwischen Evangelikalen und unverhohlenen Rassisten.

O-Ton („There have always been strong racist and reactionary elements in this country … it’s particularly traumatizing to see this happening in a country that has rightly or wrongly prided itself for standing for

something else.

In diesem Land gab es schon immer starke rassistische und reaktionäre Elemente. Wie könnte es auch anders sein, da dieses Land auf Sklaverei gründet. Seit der Staatsgründung mussten wir mit systemischem Rassismus leben. Diese Kräfte sind jetzt entfesselt worden. Sie wurden während der Trump-Präsidentschaft verstärkt und legitimiert. Das traumatisiert umso mehr, als dass sich dieses Land ja etwas darauf einbildet, für etwas ganz anderes zu stehen.

Wenn die Bischöfin systemischen Rassismus in den USA beklagt, dann nimmt sie dabei ihr eigenes Wirkungsfeld gar nicht aus. Amerikas Kirchengemeinden hätten es versäumt, sich energisch gegen ‚White Supremacy‘, gegen den rassistischen Anspruch auf weiße Vorherrschaft zu stellen.

O-Ton („The Churches have both complicity and their history. Those of us who are white … the whole make America great again thing, our people…, all that language is racist code.”)

Die Kirchen waren immer auch Komplizen! Wer von uns weiß ist, hat immer auch von den weißen Privilegien profitiert. Es gibt viel zu tun, um den

Rassismus in unseren eigenen Institutionen zu bekämpfen. Das ganze Gerede von ‚Make America great again‘; - diese Sprache ist nichts als

verschlüsselter Rassismus!

Während der Tage des Machtwechsels in Washington lädt Budde einen Gastprediger in ihre Kathedrale, den prominenten schwarzen Hochschullehrer und Geistlichen Michael Eric Dyson. Und der erklärt von der Kanzel herab, dass das Konzept vom ‚American Exceptionalism‘, der Ausnahmerolle Amerikas, das der religiösen Rechten so heilig ist, nichts anderes sei als eine Chiffre für weiße Vorherrschaft.

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O-Ton („American Exceptionalism is really … white supremacy on the sly!”)

Den amerikanischen Kirchen gibt Dyson in seiner Predigt eine massive Mitschuld.

O-Ton (“The American Church has sinned by betraying truth as white, … and America as white!”)

Für Bischöfin Mariann Budde ist die ‘National Cathedral’ mehr als nur ein Gebetshaus: Freie Gedanken und provokative Thesenwie die von Dyson sind ihr stets willkommen. Zögerlicher reagiert die Geistliche dagegen auf einige der versöhnlichen Worte Joe Bidens. Wann immer sie den neuen Präsident sagen hört: „Wir sind so viel besser!“, „Das ist doch nicht Amerika!“ --- dann geht ihr durch den Kopf: „Oh, doch, genau das ist Amerika!“

O-Ton („Whenever I hear the president elect say we’re better than this

… this isn’t America! And I think, well, actually it is America!”)

Atmo O-Ton „Lobet den Herren“ / „Amazing Grace“ (Brooks)

Auch wenn die religiöse Rechte ihren Anhängern suggeriert, dass mit der Präsidentschaft von Joe Biden ein säkulares Zeitalter anbricht, in dem kein Raum mehr ist für Religion: In Wahrheit ist gerade der neue Mann im Weißen Haus ein tiefgläubiger Mensch. Zu seiner Amtseinführung hatte Biden ausdrücklich Sylvester Beaman gebeten, den Pastor der ‚Bethel African Methodist Episcopal Church‘ in Bidens Heimatort Wilmington. Die beiden Männer verbindet eine Freundschaft von bald drei Jahrzehnten.

O-Ton („To your glory, majesty, dominion … collective faith. Amen!”)

Joe Biden ist erst der zweite US-Präsident katholischen Glaubens, nach John F. Kennedy.

O-Ton („Look, I’m a practicing Catholic. I believe Faith is a Gift!”)

Glaube sei für ihn als praktizierendem Katholik ein Geschenk, sagt Biden immer wieder. Und das weckt Erwartungshaltungen. Gleich auf ihrer

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allerersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme sieht sich Bidens neue Pressesprecherin Jen Psaki mit der Frage konfrontiert, wie es denn der Katholik Biden mit dem Reizthema Abtreibung zu halten gedenke:

O-Ton („Well, I think we will have more to say on the Mexico City policies in the coming days … I don’t have anything more for you on that.”)

Sie wolle bei dieser Gelegenheit nur daran erinnern, dass Biden ja ein bekennender Katholik sei und ein regelmäßiger Kirchgänger. Doch Psaki hätte der Frage gar nicht so unbeholfen ausweichen müssen, denn Biden hat sich wiederholt eindeutig zum Thema Abtreibung positioniert:

O-Ton („I’m prepared to accept as a matter of faith … discussion with Pope Benedict.”)

Aus Glaubensgründen, so Biden, lehne er, wie auch seine Frau, Abtreibungen ab. Er akzeptiere für sich die katholische Doktrin, weigere sich aber, sie anderen aufzuzwingen. Das habe er auch dem Papst so erläutert. Was klingt, als könnte es keinem weh tun, hat Biden in den frühen Tagen seiner Präsidentschaft bereits Probleme eingehandelt. Der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz in den USA, Erzbischof José Gomez aus Los Angeles, begrüßt zwar, dass Amerika wieder einen katholischen Präsidenten hat. Und rühmt Bidens Haltungen zur Todesstrafe und zur Einwanderung, zu Flüchtlingen und zum Klimawandel. Doch beim Thema Abtreibung klingt der Erzbischof nicht mehr so angetan:

O-Ton („When politicians who profess the catholic faith … this is a difficult and complex situation.”)

„Wenn Politiker, die sich zum Katholischen Glauben bekennen, sich nicht an die Kirchendoktrin gebunden fühlen, dann verunsichert das die Gläubigen“, moniert Gomez. Bei den Evangelikalen sorgt Bidens Bemühen um Neutralität für Wut und Verärgerung. Sie stellen Bidens Glauben nicht in Frage, begrüßen dessen Kirchenzugehörigkeit. Aber sie fremdeln mit seiner Haltung in der Abtreibungsfrage und unterstellen, - ganz wie Trump es im Wahlkampf getan hat -, dass sich hinter Biden der linke Parteiflügel verbirgt und die Strippen zieht. Der Hochschullehrer Matthew Wilson, von der Southern Methodist University in Dallas, glaubt dennoch, dass Biden versöhnlich wirken kann:

O-Ton („It’s not so much that Evangelicals are afraid of Joe Biden per se.

They are very wary about the … what sort of tone he tales with regard to

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those people who might disagree with him on some of the culture wars questions.”) (3)

Evangelikale haben nicht unbedingt grundsätzlich Angst vor Joe Biden. Sie sind eher misstrauisch gegenüber einem bestimmten Flügel der demokratischen Partei, der Biden allzu stark beeinflussen könnte. Ob Biden also als heilende Kraft

wirken kann, wird maßgeblich davon abhängen, in welcher Tonlage er die zu erreichen versucht, die in Fragen des Kulturkampfes nicht bei ihm sind.

Vorerst ist es einsam geworden um die Evangelikalen. Ihren Frontmann haben sie verloren und ihre bevorzugte politische Partei, - die Republikaner -, ist mit sich selbst beschäftigt. Trumps dramatischer Abgang hat das ganze Land durcheinander gerüttelt. Der Schock über Chaos und Gewalt während seiner letzten Tage sitzt tief. Amerika sortiert sich neu. Auch auf der religiösen Rechten.

Atmo O-Ton (Sakrale Musik)

Sollte Trumpismus ohne Trump eine Renaissance erfahren, dann schlägt möglicherweise doch noch die Stunde des Mike Pence. Als der ultra- konservative ehemalige Gouverneur von Indiana vor vier Jahren Vizepräsident wurde, das war der Jubel groß auf der religiösen Rechten. Pence schien alles richtig zu machen: Bis kurz vor Schluss war er Trumps einzig verbliebener Weggefährte der ersten Stunde. Der natürliche Thronanwärter. Doch dann zerbrach auch diese so wetterfest scheinende politische Allianz. Pence tauchte ab, wohl um seine Wunden zu lecken. Matthew Wilson von der Southern Methodist University in Dallas ist überzeugt davon, dass dieser dramatische Bruch Trumps Verhältnis zu den Evangelikalen neu definiert:

O-Ton („And the fact that Trump just absolutely kicked Mike Pence to the curb … that will certainly hurt Donald Trump in the eyes of many Evangelicals who see Mike Pence as one of their own.”) (4)

Und die Tatsache, dass Trump am Ende Mike Pence in den Rinnstein getreten hat, sich gegen ihn gewendet hat, Pence einen Verräter genannt hat, nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, - das war voll daneben! Und das schadet Donald Trump langfristig in den Augen vieler Evangelikaler, die Mike Pence als einen der ihren ansehen.

So mancher Evangelikale hinterfragt unterdessen wohl auch, ob es nicht überzogen war, Trump eine kultartige Gefolgschaft zu verschaffen; - als Gegenleistung für Richterstellen und eine verlagerte Botschaft. Wilson jedenfalls mutmaßt, dass der Nimbus des gottgesandten Heilsbringers ohnehin nie so strahlend war wie behauptet.

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O-Ton („The disconnect between the policies that they liked under President Trump and the personal behavior … so Evangelicals are going to be in a bit of a political wilderness for a while.”) (2/4)

Die Trennlinie zwischen Trumps Politik, die ihnen gefiel, und seinen

Verhaltensweisen, die viele nie wirklich angesprochen hat: Diese Trennung ist jetzt so gewaltig, und psychologisch kaum mehr zusammen zu bringen, dass die Evangelikalen jetzt erst mal politisch in der Wildnis stehen.

Der Aufarbeitungsprozess jedenfalls hat bereits begonnen. Pat Robertson, prominenter Fernsehprediger und eine Legende in evangelikalen Kreisen, sieht das Zusammenwirken mit diesem Präsidenten inzwischen mit gemischten Gefühlen. Trump habe zwar viel getan für die religiöse Rechte, aber…

O-Ton („The President still lives in an alternate reality …“)

Der Präsident lebe weiterhin in einer Parallelwelt, so Robertson. Es sei wohl an der Zeit zu sagen, das war’s, wir ziehen weiter. Der Sozialwissenschaftler Robert Jones, dessen Washingtoner Think Tank PRRI, ‚Public Religion Research Institute‘, die Wechselbeziehungen zwischen Politik und Glaubensgemeinschaften untersucht, meint, für die Evangelikalen sei es an der Zeit für eine Beichte!

O-Ton („Confession is actually the first step to reconciliation. And so I think it will actually depend on how many religious … that’s going to be a prerequisite for setting us back on a path to health in terms of US politics.”)

Schuldbekenntnisse sind immer der erste Schritt hin zur Versöhnung. Insofern hängt es davon ab, wie viele weiße, christliche Anführer bereit sein werden, sich von Trumps einwanderungsfeindlicher Haltung zu distanzieren. Sich von dem Verherrlichen weißer Vorherrschaft in Trumps Reden zu distanzieren. Ob sie bereit sind, hier ernsthaft in sich zu gehen. Es bleibt abzuwarten, ob sie das tun. Aber das wird die Voraussetzung für eine politische Gesundung sein.

Robert Jeffress von der First Baptist Church in Dallas jedenfalls hat sich mit dem Unabänderlichen arrangiert. Zuletzt widmete der Pastor dem Wechsel im Weißen Haus eine gesamte Sonntagspredigt. Und überraschte seine Gemeinde mit der Versicherung, er sei keineswegs deprimiert über den Wahlausgang.

O-Ton („I’m not depressed over the election results … he is still in control!”)

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Er sei hoffnungsfroher denn je über die Zukunft Amerikas und der Welt. Als Christen müsse man den neuen Präsidenten Biden an seinen Taten messen.

Doch eines stehe fest: Wenn Biden erfolgreich ist, dann ist auch Amerika erfolgreich.

O-Ton (“As Christians we first of all should commend President Biden … if President Biden succeeds, we all succeed!”)

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