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Silvia Kuske Reislamisierung und Familienrecht in Algerien

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Silvia Kuske •

Reislamisierung und Familienrecht in Algerien

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ISLAMKUNDLICHE UNTERSUCHUNGEN • BAND 205

begründet von

Klaus Schwarz

h e r a u s g e g e b e n

von

Gerd Winkelhane

KLAUS SCHWARZ VERLAG • BERLIN

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ISLAMKUNDLICHE UNTERSUCHUNGEN • BAND 205

Silvia Kuske

Reislamisierung und Familienrecht in Algerien

Der Einfluß des malikitischen Rechts auf den „Code Algérien de la Famille"

K S KLAUS SCHWARZ VERLAG • BERLIN • 1996

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Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kuske, Silvia:

Reislamisierung und Familienrecht in Algerien : der Einfiuss des malikitischen Rechts auf den „Code Algérien de la famille"

/ Silvia Kuske. - Berlin : Schwarz, 1996 (Islamkundliche Untersuchungen ; Bd. 205) ISBN 3 - 8 7 9 9 7 - 2 5 7 - 5

NE: GT

Alle Rechte vorbehalten.

Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages

ist es nicht gestattet, das Werk oder einzelne Teile daraus nachzudrucken oder zu vervielfältigen.

© Gerd Winkelhane, Berlin 1996.

Klaus Schwarz Verlag GmbH, Postfach 41 02 40, D-12112 Berlin ISBN 3 - 8 7 9 9 7 - 2 5 7 - 5

Druck: Offsetdruckerei Gerhard Weinert GmbH, D-12099 Berlin

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Inhaltsverzeichnis:

Vorwort 1

1. Historischer Rückblick: Islam und Rechtsentwicklung in Algerien 3

1.1. Algerien bis zur Annexion durch die Osmanen 4 1.1.2. Der Islam maghrebinischer Ausprägung 6 1.2. Algerien als Teil des Osmanischen Reiches 8 1.3. Französische Besetzung und Kolonialisierung Algeriens 11

1.3.1. Verwaltung der "neuen französischen Provinzen" 14 1.3.2. Die Gesetzgebung unter der französischen Kolonialherrschaft 16

1.3.3. Veränderungen im Rechtssystem 17 1.3.4. Der Rechtsstatus muslimischer Algerier 20 1.3.5. Auswirkungen der Kolonialzeit auf die Situation der Frauen 21

1.4. Beginnender Nationalismus 23 1.5. Der Weg in die Unabhängigkeit 28

1.6. Resümee 30

2. Rahmenbedingungen für die Entstehung eines algerischen Familienrechts 33

2.1. Historische Entwicklung 33 2.1.1. Versuch einer Neudefinition der Rolle der Frau im unabhängigen Algerien 33

2.1.2. Die Gesetzentwürfe für ein algerisches Familienrecht (1963-1984) 35

2.2. Der religiös-historische Hintergrund 40 2.2.1. Die Bedeutung der Sarfa 40 2.2.2. Die mälikitische Rechtsschule 43

3. Vergleich des Code de la Familie mit den entsprechenden Passagen des mälikitischen

Rechts 49 3.1. Juristische Definition der Ehe 51

3.2. Verlobung (jjitba) 52 3.3. Voraussetzungen und Grundelemente der Heirat 54

3.3.1. Heiratsalter 54 3.3.2. Die konstitutiven Elemente der Trauung 56

3.3.2.1. Zustimmung der Ehepartner (ridä") 56

3.3.2.2. Der Vormund (walt) 58 3.3.2.3. Die Zeugen (Sahidän) 63 3.3.2.4. Mitgift (mahr oder sadüq) 64

3.4. Polygynie 67 3.5. Akt und Bestätigung der Heirat ('aqd az-zawag wa-itbät) 70

- I -

(8)

3.6. Zusatzklauseln im Ehevertrag (iurüt) 70 3.7. Hinderungsgründe für eine Heirat 72

3.7.1. Absolute Hindernisse ohne zeitliche Beschränkung (mawäni' mu'abbada) . 72

3.7.2. Temporäre Hindernisse (mawäni' mu'aqqata) 74 3.8. Mangelhafte und nichtige Ehen (ankiha fäsida wa-ankiha bätila) 78

3.9. Rechte und Pflichten der Ehegatten 81 3.10. Auflösung der Ehe durch Scheidung 90

3.10.1. Die Verstoßung (taläq) 91 3.10.1.1. Die Haltung des CF zur Verstoßung 93

3.10.2. Die richterliche Scheidung (tatltq) 96 3.10.2.1. Richterliche Scheidung auf Initiative des Mannes 96

3.10.2.2. Richterliche Scheidung auf Initiative der Frau 97 3.10.2.3. Scheidungsgründe, die beide Ehepartner dazu berechtigen, vor

Gericht die Auflösung der Ehe zu beantragen 101 3.10.2.3.1. Scheidung bei gegenseitigem Einverständnis der Ehepartner

(taläq ridä'i) 101 3.10.2.3.2. Scheidung auf Grund eines unbotmäßigen Verhaltens (nuSüz)

eines Ehepartners 102 3.10.2.3.3. Scheidung bei Streit Qjisäm) zwischen den Ehepartnern 102

3.10.3. Der Hui' 103 3.10.4. Verbindlichkeit der richterlichen Urteile 105

4. Reaktionen auf den CF vor und nach 1984 107 4.1. Die Position der Islamisten 108

4.1.1. Die islamistische Frauenbewegung 112 4.2. Die Position der nichtislamistischen Frauenbewegung 113

5. Fazit 119

Abkürzungsverzeichnis 121 Literaturverzeichnis 123

Index 140

- II -

(9)

1 Vorwort

Die hier von mir vorgelegte wissenschaftliche Untersuchung zum algerischen Familienrecht, insbesondere zu dem 1984 verabschiedeten sogenannten Code de la Famille, wurde angeregt durch einen Vortrag von Khalida Messaoudi, einer in der algerischen Frauenbewegung engagierten algerischen Professorin, zum Thema "Le Code de la Famille: une décision politique", den sie 1992 in Tübingen hielt.

Durch diesen Vortrag wurde mir die Bedeutung von Gesetzestexten für die Lage der muslimischen Frauen deutlich. Bei den derzeitigen Diskussionen in Europa zum Thema 'Frau im Islam', die sich überwiegend an Schlagwörtern wie Schleierzwang, Unterdrückung der Frau etc. festmachen, wurde der rechtliche Aspekt meines Erachtens bisher vernachlässigt. Besonders deutlich macht dies folgendes Zitat von Frau Messaoudi:

La boucle est bouclée. Le Code de la Famille fait du statut d'infériorité de la femme, de son enfermement et de son exclusion de la vie sociale un élément fondamental. Un cadre juridique légitime à jamais l'infériorisation de la femme algérienne.

Um diese Behauptung auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen, entschied ich mich dazu, die Situation der algerischen Frauen detailliert am Beispiel des algerischen Code de la Famille und seiner Entstehungsgeschichte zu untersuchen. Als Quelle dienten mir der Text des Code de la Famille selbst sowie mälikitische Rechtswerke. Zusätzlich habe ich Rechtskommentare zum algerischen Familienrecht herangezogen

1

und von Europäern verfaßte Kommentare zum mälikitischen Recht. Leider ist die Quellenlage nur unzureichend, da durch die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Algerien zur Zeit weder Literatur vor Ort beschafft noch Einsicht in Rechtsakten genommen werden kann.

Die im algerischen Familienrecht festgelegten Gesetze sind nur vor dem Hintergrund der vorangegangenen historischen Entwicklung der Rechtssituation in Algerien zu verstehen.

Deshalb gebe ich zuerst einen Überblick über die islamische Geschichte Algeriens. Das zweite Kapitel stellt die der Verabschiedung des Code de la Famille vorangegangenen Diskussionen dar. Um die Heftigkeit dieser Diskussionen verständlich zu machen, lasse ich einen kurzen Abriß über die Bedeutung der Sarta für islamische Länder folgen. Anschließend zeige ich die wichtigsten Merkmale der mälikitischen Rechtsschule auf. Für den Vergleich selbst habe ich diejenigen Themen gewählt, die im Westen als Ausgangspunkt für die Beurteilung der Stellung der Frau im Islam herangezogen werden: das Ehe- und das Scheidungsrecht. Dieser Vergleich bliebe aber unvollständig, wenn er nicht in seinem sozialen Kontext betrachtet würde. Deshalb

An dieser Stelle möchte ich Herrn Prof. Dr. Martin Forstner danken, der mir freundlicherweise die algerischen Rechtskommentare zum Code de la Familie zur Verfugung gestellt hat. Ohne diese Hilfe hätte der Vergleich viel von seiner Aussagekraft eingebüßt.

(10)

2

stelle ich zum Schluß die Bedeutung dieses Rechts für die beiden Gegenpole der algerischen Gesellschaft dar: Frauenbewegung und Islamisten.

Ich habe dieses Thema zum Gegenstand meiner Untersuchungen gemacht, weil es ein zentrales Konfliktfeld der aktuellen Auseinandersetzungen in Algerien behandelt. Die Diskussion um die rechtliche Stellung der Frau wird sehr emotional geführt. Für die westliche Welt ist es eines der plakativsten Themen, um unbesehen Vorurteile gegenüber der islamischen Welt tradieren zu können. In Algerien selbst ist es Teil des blutig geführten Kampfes um die zukünftige Ausrichtung der Politik, die auch die künftige Stellung der Frau in der algerischen Gesellschaft bestimmen wird.

Die Umschrift des Arabischen orientiert sich an den Regeln der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, mit Ausnahme von Zitaten sowie im Deutschen geläufigen Begriffen und Ortsbezeichnungen. Arabische Pluralbildungen werden, wo es aus Gründen der leichteren Lesbarkeit angebracht ist, entsprechend der deutschen Schreibweise wiedergegeben (z.B.

HaHfas statt >}ulafä

r

).

Allen Koranzitaten liegt die Übersetzung von Rudi Paret zugrunde.

(11)

i 1. Historischer Rückblick: Islam und Rechtsentwicklung in Algerien

Die ehemals sozialistische Republik Algerien, im zentralen Maghreb gelegen, weist viele geographische und kulturelle Parallelen zu ihren Nachbarstaaten Libyen, Tunesien, Marokko und Mauretanien auf. Gemeinsam sind diesen Ländern auch die großen historischen Einschnitte:

Islamisierung und Arabisierung seit der Eroberung durch die Araber Ende des 7.Jahrhunderts sowie die Kolonialisierung durch europäische Staaten seit dem 18.Jahrhundert. In wesentlichen Punkten allerdings unterscheidet sich die historische Entwicklung Algeriens von der seiner Nachbarstaaten. So unterstand das heutige algerische Staatsgebiet vor der Kolonialherrschaft der Franzosen nie einer Zentralregierung. Erst gegen Ende des 18.Jahrhunderts kann von einem staatsähnlichen Gebilde gesprochen werden.

2

Hinzu kommt, daß Algerien als erstes nordafrikanisches Land kolonialisiert wurde und am längsten unter dem europäischen Kolonialismus zu leiden hatte. Erst 1962, nach einem acht Jahre dauernden Kampf, der eine Million Menschenleben forderte, erlangte Algerien die Unabhängigkeit.

Der neue algerische Staat entschied sich für die Staatsform einer sozialistischen Republik unter Führung der Einheitspartei Front de Libération Nationale (FLN). Die sozialistische Orientierung führte außerhalb der islamischen Welt vielerorts zu der Einschätzung, daß Algerien weniger religiös geprägt sei als andere Länder mit überwiegend islamischer Bevölkerung und daß der Islam in Algerien keinen politischen Machtfaktor darstelle. Spätestens der Wahlerfolg der Front Islamique du Salut (FIS) bei den Kommunalwahlen 1990 hat gezeigt, daß dies - zumindest was einen Teil der Bevölkerung betrifft - eine grobe Fehleinschätzung war.

3

Religion spielt in Algeriens Geschichte

4

nicht erst seit heute eine entscheidende Rolle in der Politik. Um zu verstehen, in welchem Maße religiöse Faktoren die historische und damit auch die juristische Entwicklung in einem Land mitbestimmt haben, dessen Verfassung bis heute den Islam als Staatsreligion festschreibt, ist ein Überblick über die in dieser Hinsicht relevanten historischen Ereignisse seit der Invasion durch die Araber notwendig.

: s . dazu s . l l dieser Arbeit.

1 Bei den Kommunalwahlen am 12.6.90 erreichte die erst im September 1989 legalisierte F1S 54,25% der abgegebenen Stimmen bei den Gemeinderatswahlen und 57,44% der abgegebenen Stimmen bei den Wahlen zu den Provinzparlamenten.

4 Unter Algerien ist im folgenden immer das Gebiet des heutigen Staates Algerien zu verstehen.

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4

1.1. Algerien bis zur Annexion durch die Osmanen

Das heutige Staatsgebiet Algeriens war in vorislamischer Zeit von zahlreichen, politisch zersplitterten Berberstämmen bevölkert, auf deren soziale und politische Organisation weder Römer noch Wandalen oder Byzantiner, die nacheinander Teile dieses Gebietes beherrschten, größeren Einfluß ausüben konnten.

Die Araber, die seit dem Jahr 647 mehrmals Vorstöße nach Nordafrika unternahmen, scheiterten zunächst am Widerstand der berberischen Stämme. Erst mit der Eroberung Karthagos und dem Sieg über al-Kähina

5

im Jahr 698 wurde Nordafrika als Provinz "Ifriqiya"

Teil des umaiyadischen Herrschaftsbereichs.

6

Allerdings beschränkten sich die Veränderungen unter den umaiyadischen Gouverneuren auf die Einführung islamischer Rechtsprechung und das Erheben von Steuern - und das nur dort, wo die neue Verwaltung über ausreichende Durchsetzungsfähigkeit verfügte. So waren die Konsequenzen für die einheimische Bevölkerung zunächst gering:

the conquest ... meant neither Islamization nor Arabization. Arabization required many centuries and Islamization was the work of the Berbers themselves.

7

Die Islamisierung der Berber vollzog sich anfänglich in Gestalt eines massiven Übertritts der Berber zur Ibädiyya, einem Zweig der härigitischen Bewegung.

8

Deren egalitäre Prinzipien fanden unter der berberischen Bevölkerung Anklang, da diese, gegenüber den arabischen Einwanderern ohnehin benachteiligt, sich auch im Fall ihrer Bekehrung als "Muslime zweiter Klasse" empfand. Aufgrund der Opposition der Härigiten zur umaiyadischen Herrschaft war das ibäditische Bekenntnis auch als islamische Legitimation für den Widerstand gegen die Maßnahmen der umaiyadischen Verwaltung geeignet.

9

Im Jahr 740 erhoben sich mehrere ibäditische Berberstämme gegen die Umaiyaden und gründeten unter 'Abdarrahmän b. Rustam das theokratisch regierte Reich um die Stadt Tähert (761 - 909/10), dem die Berber des Aurfcs

1 Al-Kähina (arab., Seherin, Wahrsagerin) führte eine Konföderation von Berberstämme des Aures bei ihrem Kampf gegen die Araber an. Vgl. Singer, Maghreb, S.264.

6 Eine neuere Studie zur Ausbreitung des Islam im Westen ist 'Abdulwähid Dhanun Tähä, The Muslim conquest and settlement of North Africa and Spain, London 1989.

7 Laroui, History, S.87.

' Näheres zu Anfängen und Auswirkungen der hsrigilischen Revolte bei Le Tourneau, North Africa, S.215f.

9 Die Rolle der Ibädiyya für den Selbstbehauptungskampfder Berber ist gut dargestellt bei Ulrich Rebstock, Die Ibäditen im Magrib (2./8.-4 MO.Jh). Die Geschichte einer Berberbewegung im Gewand des Islam, Berlin 1983. Zur frühen Geschichte der Ibädiyya vgl. auch Werner Schwartz, Die Anfänge der Ibäditen in Nordafrika. Der Beitrag einer islamischen Minderheit zur Ausbreitung des Islams, Wiesbaden 1983.

(13)

5

tributpflichtig waren.

10

Nachdem ihr Reich von den Fätimiden

11

zerschlagen worden war, ließen sich die Ibäditen im M'zab nieder, wo sie bis heute sieben Oasen bewohnen.

12

Die Auseinandersetzungen der orthodoxen sunnitischen Bevölkerung mit der fcärigitischen Häresie und dem von den Fätimiden propagierten ismä'Hitischen Bekenntnis

13

führten schließlich dazu, daß in Ifriqiya die "Orthodoxie malikitischer Observanz die unangefochtene Oberhand gewann."

14

Diese Entwicklung wurde im 11 .Jahrhundert durch die politischen Ereignisse forciert. In Marokko waren die Almoraviden (al-muräbitüri), eine religiöse Erneuerungsbewegung, an die Macht gekommen.

15

Ihre bedeutendste Hinterlassenschaft war die endgültige Durchsetzung der mälikitischen Rechtsschule, die von nun an zum religiösen Bindeglied für Nordafrika wurde.

Davon ausgenommen blieb nur die M'zab-Region.

16

Die Almoraviden übergaben die religiöse Autorität an fuqahä\ die überall im Land für die praktische Umsetzung der mälikitischen Rechtsprechung sorgten.

17

Als im 12Jahrhundert die Almohaden

18

die Herrschaft in Nordafrika ergriffen, erlitt die

10 Zu Struktur und Rechtssystem im theokratischen Staat der Rustamiden vgl. Abun-Nasr, History, S.75f.

11 Die ismä'Hitische Dynastie der Fätimiden (909-1171 n.Chr.) beherrschte vom tunesischen Mahdiyya aus Nordafrika. Nach ihrer Eroberung Ägyptens wurde Nordafrika von 972 bis 1048 von den Ziriden, fitimidischen Vizekönigen, regiert. Vgl. Halm, Fätimiden, S.170ff.

12 Zur Organisation des religiösen Gemeindelebens vgl. Schmucker, Sekten, S.507f.

13 Das ismä'ililische Bekenntnis war schon während der Herrschaft der Fätimiden in Nordafrika auf die unmittelbare Umgebung des Hofs und einige berberische Stämme beschränkt, die die militärische Elite stellten, und hat keine bleibenden Spuren im Maghreb hinterlassen. Alle Aspekte der fatimidischen Herrschaft in Nordafrika sind ausführlich dargestellt bei H.Halm, Das Reich des Mahdi, München 1991.

14 Singer, Maghreb, S.272. Neben dem "Muwatta" des Mälik b. Anas wurde die "Mudawwana', eine Rechtssammlung des Sahnün (QädT in Qairawän, gest. 864) zum wichtigsten Werk der Mälikiyya. Sahnüns streng mälikitische Auslegung der Rechtsquellen wurde sehr bald wegweisend für Ifriqiya und al-Andalus.

13 Als erste berberische Dynastie Nordafrikas beherrschten die Almoraviden, die aus der mauretanischen Sahara stammten, von Marrakesch aus 1060-1147 n.Chr. den Maghreb und das muslimische Spanien. Westalgerien wurde 1082 n.Chr. erobert. Zu den Almoraviden s. F. Meier, Almoraviden und Marabute, in: WI (21), 1981, S.80-163; A. Noth, Das Ribat der Almoraviden, in: W.Hoenerbach (Hg.), Der Orient in der Forschung: Festschrift für Otto Spies zum S.April 1966, Wiesbaden 1977, S.499-511;

Jacinto Bosch Vi Ii, Los Almorávides, Tetuán 1956.

16 Zur Geschichte der Ibäditen im M'zab vom 8.Jahrhundert bis zur Unabhängigkeit Algeriens vgl. die Arbeit von Sigrid Faath, Die Banü MTzäb: eine religiöse Minderheit in Algerien zwischen Isolation und Integration, Schleessel 1985.

17 Aufgabenbereich, Machtpotential und Innovationen derßiqahä' sind ausfuhrlich dargestellt in: Laroui, History, S.160ff.

Die Konsequenz, mit der die Almoraviden Religionspolitik betrieben, unterstreicht Laroui: er bezeichnet sie als den "western counterpart to the seljuks of the east". Ebd., S.160.

" Die Almohaden (al-muwahhidiin\ 1147-1269 n.Chr.) lösten die Herrschaft der Almoraviden im Maghreb und in Spanien ab. Dir rascher Erfolg beruhte einerseits darauf, daß die Almoraviden ihrem Anspruch auf religiös-konservative Lebensführung und entsprechende Gestaltung ihrer Politik nicht mehr gerecht wurden, andererseits auf der Rivalität zwischen den Konföderationen der Sanhäga- und Masmüda-Berber, auf die sich Almoraviden und Almohaden jeweils stützten. Vgl. dazu: R. I x Toumeau, The Almohade movement in North Africa in the 12th and 13th centuries, Princelon 1969, sowie A. Huici Miranda, Historia política del imperio almohade, Tetuán 1956-57.

(14)

$

Dominanz der mälikitischen Rechtsschule allerdings einen Einbruch. Ihr Mahd! Ibn Tümart (gest. 1130) hatte sich bei seinen Studienreisen nach Cordoba und in den Orient der Rechtsdogmatik (usül al-flqh) zugewandt und stand damit im Gegensatz zu den maghrebinischen fiiqahä', die ihr Hauptaugenmerk auf die angewandte Jurisprudenz gerichtet hatten. Der von Ibn Tümart propagierte moralische und juristische Rigorismus - er lehnte u.a. alle Rechtsschulen ab - überlebte jedoch das Ende der Almohadenherrschaft nicht.

Nachdem die Almohaden im Verlauf des 13.Jahrhunderts ihre Machtbasis in Spanien verloren, fiel auch Nordafrika wieder in die Hände verschiedener Kleinherrscher. In Algerien kämpften im Osten die 'Abdalwädiden und im Westen die Hafsiden darum, Nordafrika wieder unter einer Herrschaft zu vereinen. Unter den Hafsiden erlebten - trotz ihrer almohadischen Herkunft" - der mälikitische Rigorismus und die islamische Mystik einen Aufschwung. Auch im Herrschaftsbereich der 'Abdalwädiden erhielten die mälikitischen fuqaha' wieder ihre Machtposition zurück. Beide Dynastien mußten jedoch schon im Verlauf des 14.Jahrhunderts bedeutende Einschränkungen ihres Herrschaftsbereichs hinnehmen.

So konnte Ende des 15.Jahrhunderts von einer stabilen politischen Lage nicht mehr die Rede sein: neben den beiden einflußreicheren Dynastien existierten unzählige kleine autonome Staaten, die sich häufig um Marabuts

20

oder religiöse Bruderschaften gebildet hatten. Die Küstenstädte hatten sich selbständig gemacht und waren zu Basen für Piraten geworden. Die Aufteilung des Landes schwächte die Widerstandskraft gegen die Spanier, die nach dem Fall Granadas 1492 unter dem Vorwand eines religiösen Kreuzzuges begannen, die Küstenstädte anzugreifen. Innerhalb weniger Jahre wurde die gesamte algerische Küste von ihnen beherrscht.

1.1.2. Der Islam maghrebinischer Ausprägung

Im Unterschied zu den arabischen Kernländern und den östlichen islamisierten Gebieten ging im Zentralmaghreb der Einfluß des Islam nicht direkt von Medersen (arab.: madrasa, PI.

madäris) und 'ulamä' aus. Vielmehr bestimmten hier religiöse Bruderschaften (turuq)

21

und

19 Die selbständige hafsidische Herrschaft (1228-1574) wurde vom Enkel des Almohadenscheichs Abu Hafs 'Umar, eines Genossen des Mahdl, mit dem Anspruch gegründet, den Verfall der almohadischen Lehre und Macht rückgängig zu machen.

M Arab. 'muräbu', im eigentlichen Wortsinn ein Verteidiger der Grenzen des Islam. Später auf Heilige und deren Nachkommen übertragen, die die Segenskraft (baraka) des Heiligen weitervererben. Zu ihrer Rolle als neutrale Vermittler zur Konfliktlösung in einer segmentarischen Gesellschaft ohne Staatsmacht s. E.Gellner, Saints of the Atlas, London 1969.

11 Turuq, Sg. tarfqa (arab.) eigentlich: Weg, Methode, aber auch die Bezeichnung für religiöse Bruderschaft, Derwischorden.

De Jong definiert turuq "als hierarchisch organisierte initiatorische Verbände, die auf einem mystischen Konzept des Islams beruhen ... Das Maß der formellen Organisation ... kann variieren von einem mystischen Lehrer mit einer kleinen örtlichen Gruppe von Anhingern, die nicht selten in einer Art von Klostergemeinschaft (khanaqah, tekke, zawiya) und ohne formalisierte Funktionen zusammenwohnen, bis zu einer supranationalen hierarchischen Struktur mit allen Merkmalen einer bürokratischen Organisation."

(15)

7 die Verehrung von Marabuts und Surafit™ die religiöse Entwicklung maßgeblich mit.

23

Während Tunesien und Marokko immerhin mit der Zaytüna und der Qarawiyyln über religiöse Hochschulen als Zentren des scholastischen Islams verfügten, existierte eine derartige Institution in Algerien nicht. Auch hier nimmt Algerien wieder eine Sonderstellung ein.

In dem Maß, wie die politische Einheit des Maghreb zerfiel, wuchs der Einfluß religiöser Bruderschaften auf Kosten der Juqahä' und 'ulamü.deren Autorität nicht zuletzt auf der Unterstützung durch die jeweilige Zentralmacht beruht hatte.

By joining these Orders Muslims also participated in a communal life that was especially rewarding at a time when the general Muslim Community to which they belonged was split into warring states. In the lodges of the Sufi Orders the Muslims gradually came to find a home, spiritually and physically.

24

Die Bruderschaften entwickelten schon früh einen spezifisch maghrebinischen Doppel Charakter:

Sie waren sowohl Träger sufischer und volksislamischer Praktiken

25

als auch gleichzeitig Vertreter der Orthodoxie in nur oberflächlich islamisierten Regionen.

Einerseits entsprachen sie den aus der ganzen islamischen Welt bekannten sufischen Gemeinschaften, wobei dem Aspekt der Heiligenverehrung besondere Bedeutung zukam. Diese Verehrung konzentrierte sich auf Marabuts und ihre Nachkommen, die entweder Gründer oder prominente Mitglieder von Bruderschaften mit nationaler Bedeutung und Gefolgschaft sein konnten oder eine rein lokale Anhängerschaft um sich scharten:

Eng verknüpft mit der Stammesstruktur ... bilden sie hinsichtlich ihrer Bedeutung eine Skala, die von dem rein lokalen Heiligen ..., der vielleicht von einem halben Dutzend Frauen im Jahr besucht wird, bis zu einem Heiligen wie Mulai Idris reicht, den alle Marokkaner... gleichermaßen verehren.™

Dies., Bruderschaften, S.487.

n Sg. Sarff: Titel der Nachkommen des Propheten, deren soziales und religiöses Prestige auf ihre Abstammung zurückgeht.

Vgl. EI', Art. Sharif.

u Die Themen Magie und Heiligenverehrung in Nordafrika sind ausfuhrlich dargestellt bei E. Doutté, Magie & Religion dans l'Afrique du Nord, Paris 1984 (repr. der Ausg. Alger, 1908) und E. Dermenghem, Le culte des saints dans l'Islam maghrébin, Paris 1954.

" Abun-Nasr, History, S.l 19.

23 Diese umfassen u.a. die Verehrung von Heiligengräbern, jährlich stattfindene Wallfahrten und Feste (mausim) zu Ehren der Heiligen. Hiufig werden die Verehrten auch mit bestimmten Orten wie Bäumen oder Quellen in Verbindung gebracht. Eine Vielzahl solcher Praktiken finden sich bei E. Westermarck, Ritual and Belief in Morocco, London 1926.

M Crapanzano, Die Hamadia, S.24. Crapanzano bezieht sich hier auf Marokko, der geschilderte Sachverhalt gilt aber ebenso fiir die anderen maghrebinischen Länder.

(16)

s

Andererseits waren die Mitglieder von Bruderschaften in Regionen, die von den städtischen Zentren des orthodoxen Islams entfernt lagen, als religiöse "Experten" konkurrenzlose Träger der Islamisierung. Gerade in Algerien, wo keine bedeutende theologische Ausbildungsstätte existiert(e), waren Lernwillige gezwungen, zu diesem Zweck an die Zaytüna oder die Qarawiyyîn zu gehen. Weniger Ambitionierte konnten sich in einer der vielen Zäwiyas in die Grundlagen ihrer Religion einweisen lassen. Somit erfüllten Angehörige von Bruderschaften in Nordafrika Funktionen, die in den islamischen Kernländern in den Händen von 'ulamä' und fiiqahä' lagen:

dans l'histoire du Maghreb ... tous les ordres se sont présentés comme missionaires de l'orthodoxie, non comme porteurs de déviance."

In diesen Zäwiyas wurde ein scholastischer orthodoxer Islam gelehrt.

28

In dieser Hinsicht durchzieht die mälikitische Ausprägung des algerischen bzw. maghrebinischen Islam auch die Bruderschaften.

Die Funktion der Bruderschaften war nicht, analog zum heutigen westlichen Verständnis von Religion, auf die Befriedigung religiöser oder geistiger Bedürfnisse beschränkt. Angesichts einer häufig fehlenden oder schwachen Zentralmacht und aufgrund der Verehrung, die bestimmte regionale oder Stammesgemeinschaften einzelnen Marabuts und ihren Nachkommen entgegenbrachten, beschränkte sich deren Einfluß nicht auf die religiöse Sphäre, sondern umfaßte häufig auch soziale, ökonomische und politische Belange. Daher entstanden um die Zäwiyas, die Zentren religiöser Bruderschaften, oder um die Wirkungsstätten einzelner Marabuts häufig regionale Herrschaften, die theokratisch vom Vorsteher einer Bruderschaft (muqaddam, iail}) oder einem Marabut beherrscht wurden. Zwischen solchen Gemeinschaften bestanden häufig Rivalitäten um Grundbesitz, Einflußbereich und politische Macht.

1.2. Algerien als Teil des Osmanischen Reiches

Anfang des 16.Jahrhunderts annektierten die Osmanen Algier. Mit Ausnahme von Marokko geriet bald das gesamte Nordafrika unter osmanische Oberhoheit. Die als Barbarossa-Brüder bekannten Piraten 'Arüg und Hair ad-DTn baten 1516 den osmanischen Sultan Selim I. um Hilfe beim Kampf gegen die Spanier und boten ihm als Gegenleistung Algier an. Hair ad-DTn

" Colonna, Présence, S.246.

21 Vgl. dazu Arkoun, Algeria, S.177f.

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