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Gemeinsam lernen ohne Lehrplan - Kollegiale Beratung als Maßnahme der beruflichen Bildung.: Eine empirische Studie zur Akzeptanz von präsenzbasierten und computervermittelten Beratungsszenarien.

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Academic year: 2022

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Gemeinsam lernen ohne Lehrplan - Kollegiale Beratung als Maßnahme der beruflichen Bildung.

Eine empirische Studie zur Akzeptanz von präsenzbasierten und

computervermittelten Beratungsszenarien.

Kultur- und Sozialwissen- schaften

Masterarbeit

Silke Westphal

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1 Gemeinsam lernen ohne Lehrplan - Kollegiale Beratung als Maßnahme der beruflichen Bildung.

Eine empirische Studie zur Akzeptanz von präsenzbasierten und computervermittelten Bera- tungsszenarien.

Masterarbeit

angefertigt im M.A. Bildung und Medien: eEducation an der FernUniversität in Hagen im Lehrgebiet Lebenslanges Lernen

Prüfer: Prof. Dr. Uwe Elsholz Betreuer: Dr. Rüdiger Wild

von

Silke Westphal

forschung@silke-westphal.de

Themenstellung am: 31. Mai 2016 Vorgelegt am: 5. Dezember 2016

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2 Zusammenfassung

Die vorliegende explorative Studie untersucht die Fragestellung, ob Kollegiale Beratung im Internet von Personen in Interaktionsberufen als geeignete Maßnahme der beruflichen Bil- dung akzeptiert wird. Dabei war von besonderem Interesse, welche Hürden, Herausforde- rungen und Probleme damit verbunden sind; auch und insbesondere im Vergleich mit Kolle- gialer Beratung in Präsenz. Für die Untersuchung wurde auf Basis bestehender Modelle ein an den Untersuchungsgegenstand angepasstes Akzeptanzmodell entwickelt. Zur Beantwor- tung der Forschungsfrage wurde zunächst mit 20 Teilnehmenden ein Praxistest einer Platt- form für Kollegiale Beratung im Internet durchgeführt. Dabei wurden sieben Fälle beraten.

Die anschließende fragebogengestützte Untersuchung ergab 18 vollständige Datensätze von Teilnehmenden und 42 Datensätze von Nicht-Teilnehmenden. Die Auswertung zeigte, dass bei den Nicht-Teilnehmenden vor allem keine Kenntnis über das Angebot Kollegiale Bera- tung im Internet bestand. Eine weitere Hürde wurde im Finden oder Gründen einer Bera- tungsgruppe gesehen. Bei den Teilnehmenden kann aufgrund der Befragungsergebnisse von einer grundsätzlichen Akzeptanz Kollegialer Beratung im Internet ausgegangen werden.

Dennoch erscheint es erforderlich, ein speziell an die Bedingungen asynchroner Kommuni- kation angepasstes Modell für Kollegiale Beratung im Internet zu entwickeln. Weitere For- schungsaktivitäten erscheinen wünschenswert.

Abstract

The present explorative study examines the question whether online peer-supervision is ac- cepted as a suitable measure of vocational education and training by personal service pro- fessionals. It was of particular interest, which obstacles, challenges and problems are con- nected with it, in particular in comparison with face-to-face peer-supervision. For the investi- gation, an acceptance model adapted to the object of investigation was developed on the basis of existing models. In order to answer the research question, a practical test of an in- ternet based platform for peer-supervision was conducted with 20 participants. Seven cases have been discussed. The subsequent questionnaire-based study yielded 18 complete rec- ords of participants and 42 records from non-participants. The evaluation showed that, in the case of non-participants, there was above all no knowledge that online peer-supervision ex- isted. A further hurdle was seen in finding or establishing a peer-supervision group. In the case of the participants, a basic acceptance of online peer-supervision can be assumed based on the results of the survey. However, it seems necessary to develop a specialised model for online peer-supervision specific to the conditions of asynchronous communication.

Further research activities appear desirable.

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3 Inhaltsverzeichnis

Seite 1. Gemeinsam lernen ohne Lehrplan – Einführung in das Thema der Arbeit 6 2. Interaktionsarbeit als Kernaufgabe bei der Erstellung personenbezogener

Dienstleistungen 11

2.1. Merkmale und Charakteristika von Interaktionsarbeit 11 2.2. Emotions- und Gefühlsarbeit als wesentliche Komponenten von

Interaktiosarbeit 13

2.3. Besonderheiten bei der beruflichen Bildung für Interaktionsarbeit 14 3. Darstellung und Analyse der Methode Kollegiale Beratung 17

3.1. Problematik der Abgrenzung Kollegialer Beratung gegen andere Bildungs-

und Beratungsangebote 18

3.2. Lernen ohne Lehrplan. Fälle als Ausgangspunkt Kollegialer Beratung 21 3.3. Lernen ohne Lehrkraft. Bedeutung und Voraussetzungen wechselseitiger

Beratung in der Gruppe 23

3.4. Gemeinsam Lernen. Die Bedeutung der Gruppe in der Kollegialen Beratung 26 3.5. Die Funktion der Ablaufstruktur in der Kollegialen Beratung 29 3.6. Die Rollen in der Kollegialen Beratung und ihre Funktion 33 4. Lerntheoretische und bildungswissenschaftliche Perspektiven auf Kollegiale

Beratung 36

4.1. Konstruktivismus als lerntheoretische Perspektive auf Kollegiale Beratung 37 4.2. Berufliche Handlungskompetenz und reflexive Handlungsfähigkeit als

Zielgrößen beruflicher Bildung 39

4.3. Kompetenzentwicklung durch selbstgesteuertes Lernen 42 4.4. Kompetenzentwicklung durch reflexives Lernen und Erfahrungslernen 46

4.5. Kompetenzentwicklung durch E-Learning 49

5. Entwicklung eines Modells für die Untersuchung der Akzeptanz Kollegialer

Beratung im Internet 53

5.1. Herleitung des Modells für die Untersuchung der Akzeptanz Kollegialer

Beratung im Internet 54

5.2. Aspekte des Einflussfaktors Medium 56

5.3. Aspekte des Einflussfaktors Methode 61

5.4. Aspekte des Einflussfaktors Mensch 62

5.5. Bedeutung von Nicht-Akzeptanz für das Verständnis von Akzeptanz 64

(5)

4

6. Darstellung des empirischen Forschungsprozesses 67

6.1. Erläuterung und Begründung der Methodenwahl 67

6.2. Vorbereitung und Durchführung des Praxistests 71

6.3. Vorbereitung und Durchführung der Erhebung 75

6.4. Auswertung der erhobenen Daten 79

6.5. Präsentation der Ergebnisse 80

6.6. Diskussion der Ergebnisse 88

7. Fazit und Ausblick 92

Anhang 94

I. Begriffsklärung Methode, Modell und Szenario 95

II. Übersicht der Fragen in den Fragebögen für Teilnehmende und Nicht-

Teilnehmende 97

III. Zuordnung der Hinderungsgründe im FB_KKB zu Faktoren und

Aspekten 98

IV. Zuordnung von Items zu Faktoren und Aspekten im FB_KBI 100

V. Fragebogen für die Nicht-Teilnehmenden 106

VI. Fragebogen für die Teilnehmenden am Praxistest 112

VII. Verbale Daten aus dem Fragebogen 131

VIII. Auswertung BE03_01 Berufserfahrung 141

IX. Auswertung KK01 Hinderungsgründe der Nicht-Teilnehmenden 142 X. Auswertung KK01 Hinderungsgründe der Nicht-Teilnehmenden

(gruppiert) 144

XI. Einzelauswertung der Items KK01_09, KK01_17 und KK01_27 146 XII. Auswertung der Items TE01-TE04 und TE07 Mobile Nutzung 147

XIII. Auswertung TE05 Benachrichtigungen 148

XIV. Auswertung TE08 Einfache Benutzung 149

XV. Auswertung KB01 Anzahl der Fälle und KB02 Rollen 150

XVI. Auswertung KB03 Kommunikation 151

XVII. Auswertung KB06 Lernen 152

XVIII. Auswertung KB09 Gruppenbildung 154

XIX. Auswertung KB09 Gruppenbildung (gruppiert) 155

XX. Auswertung AN02 Zukünftige Anwendung KBI 156

Literaturverzeichnis 158

Erklärung 165

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5 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Struktur der Ausarbeitung 10

Abbildung 2: Doppelte Unschärfe bei der Recherche nach Kollegialer Beratung 19 Abbildung 3: Abgrenzung der Methode Kollegiale Beratung 20 Abbildung 4: Zwei grundlegend unterschiedliche E-Learning-Welten 50

Abbildung 5: Allgemeines Akzeptanzmodell 54

Abbildung 6: Modell für die Untersuchung der Akzeptanz Kollegialer Beratung

im Internet 56

Abbildung 7: Aspekte der Einflussfaktoren Medium, Methode und Mensch 64 Abbildung 8: Nutzungstypen entsprechend Einstellungs- und Verhaltensakzeptanz 65

Abbildung 9: Phasen des Forschungsprozesses 71

Abbildung 10: Persönliche Raumübersicht auf kokom.net 72

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Vergleich exemplarisch ausgewählter Ablaufschemata

Kollegialer Beratung 29

Tabelle 2: Art der beruflichen Tätigkeit 80

Tabelle 3: Umfang der Berufserfahrung in Jahren 80

Tabelle 4: Höchster berufsqualifizierender Bildungsabschluss 81 Tabelle 5: Erfahrung mit Kollegialer Beratung in Präsenz 81 Tabelle 6: FB_KKB Item KK01_01 „Ich wusste nicht, dass es dieses Angebot gibt“ 82

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6 1. Gemeinsam lernen ohne Lehrplan – Einführung in das Thema der Arbeit

Kollegiale Beratung ist als berufliches Bildungsangebot seit vielen Jahren etabliert. Zu Be- ginn der 1970er Jahre wurde die Methode1 zunächst vor allem in der Fortbildung von Lehr- kräften2 eingesetzt, die auf diese Weise als kritisch erlebte Situationen aus dem Schulalltag reflektieren und daraus lernen sollten (Gudjohns, 1977). Allgemein bezeichnet Kollegiale Beratung ein Bildungsangebot, in dem Fälle aus der beruflichen Praxis der Teilnehmenden in einer Gruppe ohne offizielle Leitung beraten werden. Die Beratungen erfolgen in verteilten Rollen und werden anhand eines Ablaufschemas durchgeführt.

In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren ist nun eine zunehmende Popularität und Verbrei- tung auch in anderen Berufsfeldern als der Schule zu beobachten (Tietze, 2010, S. 16). Dies lässt sich vor allem an der Vielzahl aktueller Veröffentlichungen von Leitfäden und Anleitun- gen ablesen, beispielsweise für Führungskräfte (Nowoczin, 2012), zum Einsatz in Verände- rungsprojekten (Arnold, 2013) oder in der betrieblichen Bildung (u.a. Brinkmann, 2013; Er- penbeck, Sauter, & Sauter, 2016; Kaesler, 2016; Tietze, 2010). Das wahrscheinlich bekann- teste Buch zu Kollegialer Beratung in Unternehmen und anderen Organisationen ist seit 2003 in inzwischen siebter Auflage erschienen (Tietze, 2015). Kollegiale Beratung scheint als Maßnahme der Beruflichen Bildung einen „Nerv“ zu treffen.

Ein Grund dafür liegt sicherlich in der zunehmenden Verbreitung von Dienstleistungsarbeit.

Durch die zunehmende Tertiarisierung der Wirtschaft sind immer mehr Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich und hier insbesondere im Bereich der personenbezogenen Dienst- leistungen entstanden (Jacobsen, 2010, S. 203; Statistisches Bundesamt, 2016, o.S.). In diesen Arbeitsfeldern üben die Dienstleistenden auf andere Menschen bezogene Tätigkeiten aus wie führen, anleiten, betreuen, pflegen, beraten, erziehen und lehren. So verschieden diese Tätigkeiten ansonsten sein mögen, ist bei allen die Interaktion mit Menschen der zent- rale Gegenstand und Inhalt der Arbeit (Böhle, 2011, S. 457).

Interaktionsarbeit stellt hohe Anforderungen an die berufliche Handlungskompetenz der Be- schäftigten, die sich aus der Subjektivität und Emotionalität der Beteiligten und somit einer strukturellen Unbestimmtheit der Arbeit ergeben. Beschäftigte sehen sich vor die Herausfor- derung gestellt, „in bestimmten (Interaktionsarbeits-) Situationen bestimmte, dieser Situation inhärente Probleme zu lösen. Zugleich ist offen, wie genau diese Problemlösung aussieht“

(Brater & Rudolf, 2006, S. 270). Wer Interaktionsarbeit erbringt, muss also eine Art „schöpfe- rische Kraft“ (Brater & Rudolf, 2006, S. 270) entwickeln, die es möglich macht, Vorgehens- weisen je nach gegebenen Rahmenbedingungen zu generieren (ausführlich: Kapitel 2).

1 Für die Begriffe Methode, Modell und Szenario wird auf Anhang I verwiesen.

2 Es wird versucht, eine geschlechtsneutrale Schreibweise im Text durchzuhalten. Wenn dies nicht möglich ist, um an zitierte Textpassagen anzuschließen, wird die im zitierten Originaltext verwendete Sprachform übernom- men. Dies ist meist die männliche. Ansonsten werden männliche und weibliche Sprachformen parallel oder, in Aufzählungen, abwechselnd gebraucht.

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7 Bislang werden diese Kompetenzen aufbauend auf einer beruflichen Qualifikation überwie- gend durch berufliches Handeln in der Echtarbeit erworben. Curricular strukturierte Lehrgän- ge oder Seminare können auf die individuellen Lern- und Klärungsbedarfe, die sich aus In- teraktionsarbeit ergeben, nicht in hinreichendem Maße eingehen (Böhle, 2011, S. 460). Dies gilt auch und insbesondere für Führungskräfte, bei denen herkömmliche Personalentwick- lungsmaßnahmen kaum noch einen konkreten Nutzen bewirken. Sie sind bereits umfang- reich geschult und haben einen zu individuellen Entwicklungsbedarf, um noch von Semina- ren profitieren zu können (Pichler, 2013, S. 19ff).

Kollegiale Beratung bietet sich hier als eine Form selbstgesteuerten, reflexiven Lernens aus Erfahrungen an, um die berufliche Handlungskompetenz und die reflexive Handlungsfähig- keit der Beschäftigten und Führungskräfte zu entwickeln (ausführlich: Kapitel 4). Die Metho- de Kollegiale Beratung kann dabei durch fünf Kennzeichen charakterisiert und gegen andere Bildungsformate abgegrenzt werden:

• das Lernen anhand von Fällen aus der beruflichen Praxis der Teilnehmenden;

• die wechselseitige Beratung in Abwesenheit einer Lehrkraft oder Leitung;

• das Lernen in der Gruppe mit mindestens drei, besser fünf bis acht Teilnehmenden;

• die Prozessstrukturierung durch Orientierung an einem Ablaufschema und

• in jeder Beratungsrunde wechselnde Rollen (ausführlich: Kapitel 3).

Kurz gefasst ist Kollegiale Beratung „ein Format personenorientierter Beratung, bei dem im Gruppenmodus wechselseitig berufsbezogene Fälle der Teilnehmenden systematisch und ergebnisorientiert reflektiert werden“ (Tietze, 2010, S. 24).

Klassischerweise wird Kollegale Beratung unter Anwesenden praktiziert, sei es in der eige- nen Abteilung oder in einer unternehmensübergreifenden Beratungsgruppe (Tietze, 2015, S.

215). Nahezu sämtliche derzeit verfügbare Literatur zu Kollegialer Beratung bezieht sich auf eine Beratung in Präsenz. Wie jede andere Bildungsaktivität im Erwachsenenalter konkurriert Kollegiale Beratung allerdings mit vielen anderen beruflichen und familiären Verpflichtungen.

Die täglich zu erledigende Arbeit ist in der Phase der Berufstätigkeit „einer der bedeu- tendsten Konkurrenzfaktoren für Lernzeiten“ (Schmidt-Lauff, 2008, S. 377). In einer umfang- reichen Studie berichten viele Befragte, dass sie trotz Lerninteresses vor lauter Arbeit nicht zum Lernen kämen. Auch familiäre Verpflichtungen verringern die für Bildungsaktivitäten frei verfügbare Zeit (Schmidt-Lauff, 2008, S. 377).

Die Frage nach möglichen Zeitfenstern für Weiterbildung und somit Kollegiale Beratung ist insbesondere für Berufstätige mit Reisetätigkeit oder familiären Verpflichtungen nicht leicht zu beantworten. Darüber hinaus sind nicht in allen Betrieben geeignete Kolleginnen und Kol- legen für die Gründung einer Beratungsgruppe vor Ort vorhanden. Um eine Teilnahme auch unabhängig von Zeit und Ort zu ermöglichen, wurden seit 2005 mehrere Plattformen entwi-

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8 ckelt, die Kollegiale Beratung als eine Form von reflexivem E-Learning (ausführlich: Hojnik &

Pauschenwein, 2015, S. 146) über das Internet anbieten.

E-Learning ist ganz allgemein ein Arrangement von elektronischen Mitteln, Räumen und Verknüpfungen, das individuell oder gemeinsam zum Lernen bzw. zur Kompetenz- entwicklung und Bildung von Lernenden in selbst bestimmten Zeiten genutzt werden kann (Arnold, Kilian, Thillosen & Zimmer, 2015, S. 22). Doch während zu anderen E-Learning An- geboten inzwischen umfangreich geforscht und publiziert wurde, ist die verfügbare Literatur zu Kollegialer Beratung im Internet nach wie vor überschaubar und stammt überwiegend aus dem direkten Umfeld der Plattformen (u.a. Arnold, Bogner, & Prescher, 2012; Jordaan, E- ckert, & Tarnowski, 2016; Spangler, 2012).

Auch die empirische Forschung zu online durchgeführter Kollegialer Beratung steht noch ganz am Anfang. In einer der wenigen Studien brachen fast die Hälfte der Ratsuchenden den Beratungsprozess ab, zum Teil ohne die Beratungsgruppe über diese Entscheidung und eventuelle Beweggründe zu informieren. Die Autoren vermuten, dass die Teilnahme an der Beratung wohl nicht als gewinnbringend genug eingeschätzt wurde (Arnold, Bogner, & Pre- scher, 2012; S. 291-293). Anders formuliert, steht derzeit noch die Frage der Akzeptanz Kol- legialer Beratung im Internet durch die Zielgruppe im Raum.

Diese Fragestellung genauer zu untersuchen erscheint lohnenswert, da Akzeptanz in der bildungswissenschaftlichen Literatur allgemein als wesentlicher Faktor für den Erfolg von E- Learning-Maßnahmen angesehen wird (Bürg, Rösch, & Mandl, 2005, S. 4; Goertz & Johan- ning, 2004, S. 84; Kreidl, 2011). Mit der hier vorliegenden Arbeit soll deshalb die Frage be- antwortet werden, ob online durchgeführte Kollegiale Beratung von Personen in Interaktions- berufen als geeignete Maßnahme der beruflichen Bildung akzeptiert wird und welche Hür- den, Herausforderungen und Probleme damit verbunden sind – auch und insbesondere im Vergleich mit Kollegialer Beratung in Präsenz.

Eine Sichtung der verfügbaren Literatur ergab, dass Akzeptanz von E-Learning meist in or- ganisationalen Kontexten wie Unternehmen oder Hochschulen untersucht wurde (Bürg, Rösch, & Mandl, 2005; Kreidl, 2011; Simon, 2001) oder auf der Basis von Modellen, die für den Einsatz in Unternehmen entwickelt wurden (Davis, 1989; Davis & Venkatesh, 1996; Mül- ler-Böling & Müller, 1986). In Unternehmen oder Hochschulen ist die Freiwilligkeit der Nut- zung von E-Learning-Systemen allerdings nur eingeschränkt gegeben. Selbst wenn keine formale Anordnung erfolgt, könnten sich die Individuen doch zur Nutzung veranlasst sehen, weil sie bei Verweigerung Nachteile befürchten (Müller-Böling & Müller, 1986, S. 28; Simon, 2001, S. 104). Diese Modelle erscheinen deshalb nur wenig übertragbar auf eine Situation, in der Personen völlig frei sind, ein Lernangebot anzunehmen - oder eben nicht. Es kann, wie oben schon ausgeführt, vermutet werden, dass Individuen die für Kollegiale Beratung im Internet erforderlichen (vor allem zeitlichen) Ressourcen nur dann aufwenden, wenn sie da-

(10)

9 rin einen konkreten Nutzen für sich erkennen (Arnold, Bogner, & Prescher, 2012; S. 291- 293). Welcher Art dieser Nutzen ist, müsste allerdings ebenfalls erst noch ermittelt werden.

Eine empirische Untersuchung, die sich mit der Akzeptanz Kollegialer Beratung im Internet befasst, betritt deshalb in mehr als nur einer Hinsicht Neuland. Da derzeit kaum Literatur und noch weniger empirische Studien zu dieser Thematik vorliegen, muss zunächst über eine explorative Studie empirisches Basiswissen für die weitere Bearbeitung des Problems und die Strukturierung des Forschungsfeldes beschafft werden. Im Gegensatz zu hypothesentes- tender Forschung, ist die Vorgehensweise bei explorativer Forschung nur „wenig strukturiert und unterliegt einem relativ großen subjektiven Einfluss“ (Häder, 2015, S. 73). Die einzelnen Arbeitsschritte ergeben sich vielmehr aufgrund der im vorausgegangenen Schritt gewonne- nen Erkenntnisse (Häder, 2015, S. 73).

Diesem Ablauf entsprechend gliederte sich der Forschungsprozess in fünf unterschiedlich lange Phasen. Nach der theoretischen Entwicklung eines an den Untersuchungsgegenstand angepassten Akzeptanzmodells, wurde eine Plattform für Kollegiale Beratung gemeinsam mit zwanzig freiwillig teilnehmenden Mitforschenden einem intensiven Praxistest unterzogen (Schulmeister, 2003, S. 34). Insgesamt wurden im Zeitraum Juli bis September 2016 sieben Fälle aus dem beruflichen Alltag der Teilnehmenden in wechselnden Gruppenzusammenset- zungen beraten. Die im Feld gewonnenen Erkenntnisse flossen gemeinsam mit den theoreti- schen Grundlagen aus der Vorbereitungsphase in die Fragebogenerstellung ein. Durch die Befragung der Teilnehmenden wurde deutlich, welche Vorteile Kollegiale Beratung im Inter- net bietet und welche Schwierigkeiten auftreten können. Um das Phänomen Akzeptanz auf einer solideren Datenbasis beurteilen zu können, wurden mit einem zweiten Fragebogen auch Nicht-Teilnehmende befragt. Auf diese Weise war es möglich, Hinderungsgründe für eine Teilnahme zu identifizieren.

Ausgehend vom Konzept der Interaktionsarbeit werden in Kapitel 2 zunächst die wesentli- chen Charakteristika und Rahmenbedingungen der Zielgruppe erläutert. Dabei ist insbeson- dere von Interesse, wie die für Interaktionsarbeit notwendigen Kompetenzen erworben wer- den können. Im folgenden Kapitel 3 wird Kollegiale Beratung als Methode analysiert und ge- genüber anderen Bildungs- und Beratungsangeboten abgegrenzt. Die lerntheoretische und bildungswissenschaftliche Einordnung der Methode erfolgt ausführlich in Kapitel 4. Gegen- stand des darauf folgenden Kapitels 5 ist der Akzeptanzbegriff selbst und die Entwicklung eines vorläufigen Akzeptanzmodells zur Untersuchung Kollegialer Beratung im Internet. Eine ausführliche Darstellung des empirischen Forschungsprozesses, die Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse sowie die Beantwortung der Forschungsfrage erfolgt in Kapitel 6.

Im abschließenden Kapitel 7 ist Raum für die eigene Reflexion des Forschungsprozesses sowie die Benennung offener Fragen.

(11)

10 Die inhaltlichen Zusammenhänge der folgenden Ausarbeitung werden in Abbildung 1 visuali- siert.

Abbildung 1: Struktur der Ausarbeitung (eigene Darstellung)

Im folgenden Kapitel wird zunächst Interaktionsarbeit als Phänomen und Lernanlass erläutert und somit die Zielgruppe der Untersuchung in dieser Hinsicht analysiert.

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11 2. Interaktionsarbeit als Kernaufgabe bei der Erstellung personenbezogener

Dienstleistungen

2.1. Merkmale und Charakteristika von Interaktionsarbeit

Die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten einen umwälzenden Strukturwandel erlebt. Davon hat insbesondere der Dienstleistungssektor3 profitiert, in dem heute drei Viertel aller Erwerbstätigen beschäftigt sind (Statistisches Bun- desamt, 2016, o.S.). Dienstleistungen werden häufig relational definiert, also in Relation zu etwas, was sie nicht sind (Jacobsen, 2010, S. 206). In diesem Sinne bezeichnet der Begriff Dienstleistungen wirtschaftliche Güter, die nicht-materiell, nicht transportierbar und nicht la- gerbar sind (Schubert & Klein, 2015). Sie erfordern zu ihrer Erstellung außerdem einen ex- ternen Produktionsfaktor. Dies bedeutet, dass „ein Objekt aus dem Verfügungsbereich des Nachfragenden in den Produktionsprozess des Anbietenden eingebracht wird, um an diesem Faktor mit dem Ziel einer Nutzenstiftung eine Transformation durchzuführen“ (Handelsblatt, 2006, S. 1247). So übergibt beispielsweise ein Unternehmen die Buchhaltungsunterlagen an eine Steuerberatungskanzlei, um von dieser den Jahresabschluss durchführen zu lassen.

Im Fall der so genannten personenbezogenen Dienstleistungen besteht dieser externe Pro- duktionsfaktor nicht aus einem Gegenstand, sondern einer Person. Anders ausgedrückt wird ein Mensch als Subjekt in den Arbeitsprozess eingebracht, das eigene Interessen und Be- dürfnisse hat, selbständig handelt und nicht automatisch dem Herrschaftsbereich der Dienst- leistungsorganisation unterliegt (Böhle, 2011, S. 456; Dunkel & Weihrich, 2010, S. 189). Das Feld personenbezogener Dienstleistungen umfasst Tätigkeiten wie „Pflegen und Betreuen, Führen, Beköstigen, Beherbergen, Befördern, Unterhalten, Lehren, Verkaufen, Beraten, Er- ziehen, Therapieren, Überwachen oder Strafen“ (Dunkel & Weihrich, 2010, S. 178). Auch wenn diese Berufsfelder auf den ersten Blick sehr heterogen wirken, haben sie doch die so genannte Interaktionsarbeit als gemeinsamen Nenner: Die Interaktion mit einem Gegenüber ist der zentrale Gegenstand und Inhalt der Arbeit (Böhle, 2011, S. 457). Sie ist für das Gelin- gen personenbezogener Dienstleistungen so wesentlich, dass sie als „Kernaufgabe“ (Böhle, Glaser, & Büssing, 2006, S. 29) der Dienstleistenden anzusehen ist. Badura & Gross formu- lierten deshalb schon 1976 die These von der Ko-Erstellung oder Ko-Produktion personen- bezogener Dienstleistungen, die auch heute noch als wesentliche Grundlage für das Ver- ständnis von Interaktionsarbeit angesehen wird (Badura & Gross, 1976, S. 69; Badura, 1995, S. 183; Baethge, 2011, S. 451; Bahl, 2014, S. 14; Böhle, Glaser, & Büssing, 2006, S. 28;

Böhle, 2011, S. 456).

3Der Dienstleistungssektor umfasst eine Fülle äußerst verschiedener Wirtschaftszweige wie beispielsweise Ver- kehr und Lagerei, Gastgewerbe, Information und Kommunikation, Erbringung von Finanz- und Versicherungs- dienstleistungen, Öffentliche Verwaltung, Erziehung und Unterricht, Gesundheits- und Sozialwesen sowie Kunst, Unterhaltung und Erholung (Statistisches Bundesamt, 2014, o.S.).

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12 Mit der Ko-Produktionsthese ist vor allem der Umstand angesprochen, dass es für Interakti- on und somit Interaktionsarbeit einer unterschiedlich umfangreichen Mitwirkung der Kund- schaft an der Erstellung der Dienstleistung bedarf. Diese Mitwirkung kann beim Frisör eher passiv daraus bestehen, still zu halten, während bei anderen Dienstleistungen wie beispiels- weise einer Psychotherapie die Hauptarbeit vom Patienten oder der Patientin erbracht wer- den muss (Badura & Gross, 1976, S. 69). Es ist offensichtlich, dass die Qualität der Dienst- leistung in hohem Maße von der Kooperationswilligkeit, aber auch der Kooperationsfähigkeit der Kundschaft abhängt (Badura & Gross, 1976, S. 69). Für diejenigen, die Interaktionsarbeit erbringen, besteht die Schwierigkeit der Ko-Erstellung nun darin, dass sich die Kundschaft häufig nicht im Klaren darüber ist, was sie braucht oder ihren Bedarf nicht adäquat kommu- nizieren kann. Insofern gehört die Aushandlung des zu erzielenden oder überhaupt erzielba- ren Ergebnisses zur Dienstleistung mit dazu (ausführlich: Böhle, 2011, S. 458). Wird die Dienstleistung darüber hinaus nicht oder nur begrenzt freiwillig in Anspruch genommen, wie es beispielsweise bei Lernenden im allgemeinbilden Schulsystem der Fall ist, kommt es vor, dass die „Kunden und Klienten sich der Realisierung der Dienstleistung widersetzen und damit die Dienstleistenden bei ihrer Arbeit eher behindern als fördern“ (Böhle, 2011, S. 458).

Lehrende müssen beispielsweise unterrichten, selbst wenn die Lernenden den Unterricht ablehnen, stören oder auf andere Weise sabotieren.

Es ist an dieser Stelle noch einmal wichtig darauf hinzuweisen, dass Interaktion und Koope- ration nicht dasselbe sind. Vielmehr ist „Kooperation ein Spezialfall von Interaktion, der sich auch für den Fall nicht selbstverständlich realisieren lässt, dass die Beteiligten ein gemein- sames Ziel vor Augen haben (was ohnehin nicht immer gegeben ist)“ (Dunkel & Weihrich, 2010, S. 194).

Aus den bisherigen Ausführungen wird deutlich, dass Interaktionsarbeit selbst unter den Be- dingungen einer zunehmenden Digitalisierung kaum durch Maschinen erbracht werden kann.

Bis zum Aufkommen elektronischer Datenverarbeitungsmaschinen in den 1940er Jahren galt Angestellten- und Dienstleistungsarbeit insgesamt als nicht rationalisierbar und mechanisier- bar (Jacobsen, 2010, S, 211-212). Diese Auffassung gilt inzwischen allerdings als überholt (Baethge, 2011, S. 451; Böhle, Glaser, & Büssing, 2006, S. 37).

Es kann festgehalten werden, dass Interaktionsarbeit vor allem im Bereich der personenbe- zogenen Dienstleistungen eine Kernaufgabe der Beschäftigten darstellt. Sie erbringen ihre Arbeitsleistung in der Beziehung oder in der Interaktion mit ihrer Kundschaft und müssen sich dazu auf deren Interessen und Bedürfnisse einstellen. Dazu leisten sie Emotions- und Gefühlsarbeit, die im nächsten Abschnitt vorgestellt wird.

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13 2.2. Emotions- und Gefühlsarbeit als wesentliche Komponenten von

Interaktionsarbeit

Es wurde bereits angerissen, dass für die erfolgreiche Erstellung einer personenbezogenen Dienstleistung die Kooperationsfähigkeit und –bereitschaft der Kundschaft erforderlich ist.

Beides darf aber nicht als gegeben vorausgesetzt werden. Interaktionsarbeit ist im Gegenteil in besonderem Maße durch Unbestimmtheiten, Unwägbarkeiten und Unplanbarkeiten ge- kennzeichnet (Böhle, 2011, S. 456). Drei Kernkomponenten sind für die Interaktionsarbeit deshalb wesentlich: die Emotionsarbeit, die Gefühlsarbeit und das daraus resultierende sub- jektivierende Arbeitshandeln.

Bezugsgröße der durch die Beschäftigten zu leistenden Emotionsarbeit sind sogenannte Gefühlsregeln. Diese werden von den Dienstleistenden als individuelle Gefühlsregeln selbst aufgestellt, im Rahmen der beruflichen Sozialisation erworben oder durch die arbeitgebende Organisation vorgegeben. Sie können auch Teil eines gesellschaftlichen, in der Umwelt ver- ankerten Rollenbildes sein (Böhle, Glaser, & Büssing, 2006, S. 35-36). So sollen Beschäftig- te in der Hotellerie beispielsweise jederzeit und unter allen Umständen Gastfreundschaft ausstrahlen, Betreuungseinrichtungen geben ihren Beschäftigten über Leitbilder den Um- gang mit Bewohnerinnen und Bewohnern vor oder eine Lehrkraft hat an sich selbst den An- spruch, stets geduldig mit den Lernenden zu sein. Weichen nun die während der Arbeit emp- fundenen Gefühle von den bestehenden Gefühlsregeln ab, erleben die Beschäftigten eine emotionale Dissonanz. Die Emotionsarbeit besteht nun darin, die Diskrepanz zwischen den authentischen und den erwarteten, den Gefühlsregeln entsprechenden, Gefühlen zu verrin- gern oder abzubauen. Dies kann über die Anpassung der nach außen gezeigten Gefühle oder die Anpassung der empfundenen Gefühle in Richtung auf Regelkonformität erreicht werden (ausführlich: Böhle, Glaser, & Büssing, 2006, S. 30ff).

Bei der Gefühlsarbeit geht es in Abgrenzung zur Emotionsarbeit um die Beeinflussung frem- der Gefühle, genauer gesagt, die der Kunden, Klientinnen und Patienten. Da die Dienstleis- tung nur gemeinsam erstellt werden kann, ist es Aufgabe der Arbeitenden, die für ein Gelin- gen „förderliche emotionale Verfassung von Kunden und Klienten zu gewährleisten“ (Böhle, 2011, S. 458). Konkret geht es darum, aufgebrachte, verängstigte oder verwirrte Personen zu beruhigen, Vertrauen aufzubauen oder eine lernförderliche Atmosphäre zu schaffen (u.a.

Böhle, 2011, S. 458). In diesem Sinne wird durch Gefühlsarbeit die angemessene Erfüllung der Arbeitsaufgabe oft erst ermöglicht (Böhle, Glaser, & Büssing, 2006, S. 32).

Die dritte Komponente von Interaktionsarbeit ist das so genannte subjektivierende Arbeits- handeln. Mit der Bezeichnung „subjektivierend“ wird sowohl der Subjektcharakter der Akteu- re als auch die Bedeutung subjektiver Aspekte wie Gefühle und Erfahrungen angesprochen (ausführlich: Böhle, Glaser, & Büssing, 2006, S. 33). Da Unbestimmtheiten, Unwägbarkeiten und Unplanbarkeiten bei personenbezogenen Dienstleistungen nicht die Ausnahme, sondern

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14 die Regel darstellen, ist eine strenge Standardisierung von Arbeitsabläufen nur mit Ein- schränkungen möglich. Ein „objektivierendes, zweckrationales Arbeitshandeln, das auf ei- nem planbaren Vorgehen beruht“ (Böhle, Glaser, & Büssing, 2006, S. 33), ist wenig gegen- standsadäquat. Die Beschäftigten müssen damit zurechtkommen, dass das Nicht-Planbare in immer wieder neuer Weise entsteht, selbst wenn die Arbeit sorgfältig geplant wurde. Hier- bei hilft ihnen ihr in der Arbeit gesammeltes Erfahrungswissen (Böhle, 2005, S. 9).

Wie Personen für diese komplexen Tätigkeiten ausgebildet und vorbereitet werden, ist Ge- genstand des nächsten Abschnitts.

2.3. Besonderheiten bei der beruflichen Bildung für Interaktionsarbeit

Wie bereits zu Beginn des Kapitels herausgearbeitet wurde, ist Interaktionsarbeit Bestandteil sehr verschiedener Tätigkeiten oder Berufe im Dienstleistungssektor. Interaktionsarbeit selbst ist dabei kein Ausbildungsberuf oder Studienfach und häufig noch nicht einmal deren expliziter Bestandteil. Im Moment ist die Pflege (im Sinne von Pflegeberufen) einer der weni- gen Bereiche, in dem der Umgang mit eigenen Gefühlen und die Beeinflussung der Gefühle von Patienten expliziter Ausbildungsbestandteil ist. In anderen Berufsfeldern werden eher allgemeine Schlüsselqualifikationen wie soziale Kompetenz, Dialogfähigkeit und kommunika- tive Kompetenzen oder das Führen von Verkaufsgesprächen trainiert (Böhle, 2011, S. 460).

Was derzeit noch fehlt, ist ein „theoretisch begründetes umfassendes Konzept der ‚Qualifi- zierung für Interaktionsarbeit‘“ (Brater & Rudolf, 2006, S. 269).

Dieses Konzept müsste dann auch der Vielfalt der Berufsbilder gerecht werden, innerhalb derer Interaktionsarbeit geleistet wird. Um aufzuzeigen, wie breit das Spektrum ist, sei hier auf die gelegentlich in der Literatur anzutreffende Unterscheidung zwischen primären und sekundären Dienstleistungen verwiesen. Die Gruppe der primären Dienstleistungen umfasst dabei einfache kaufmännische Tätigkeiten und allgemeine Dienstleistungen in Gastronomie und Hotellerie sowie in der Logistik. Die sekundären Dienstleistungen zeichnen sich durch anspruchsvolle Tätigkeiten aus, für die oft ein Hochschulabschluss gefordert wird (Baethge, 2011, S. 447-448).

Interaktionsarbeit ist auch deshalb schwierig zu vermitteln, weil es keine „richtige Vorge- hensweise“ gibt. Bei der Ausbildung für andere Berufe wird mit Hilfe bewährter Verfahren eine Vorgehensweise solange trainiert, bis sie in das Verhaltensrepertoire der Lernenden übergegangen ist. Auf diese Weise lernen Menschen, wie sie richtig feilen, servieren oder Brot backen (Brater & Rudolf, 2006, S. 270). Die Schwierigkeit, diese durchaus bewährte Vorgehensweise auf Interaktionsarbeit zu übertragen, liegt darin, dass es dabei gar nicht oder nur zum Teil darum geht, einen bestimmten Handlungsablauf möglichst fehlerfrei zu beherrschen. Es geht vielmehr darum, „in bestimmten (Interaktionsarbeits-) Situationen be-

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15 stimmte, dieser Situation inhärente Probleme zu lösen. Zugleich ist offen, wie genau diese Problemlösung aussieht“ (Brater & Rudolf, 2006, S. 270). Das Lernziel kann also nicht sein, im technischen Sinne richtige Interaktionsarbeit zu leisten, so wie man richtig feilt, serviert oder Brot backt. Die Lernenden müssen vielmehr eine Art „schöpferische Kraft“ (Brater &

Rudolf, 2006, S. 270) entwickeln, die es ihnen ermöglicht, Vorgehensweisen je nach gege- benen Rahmenbedingungen zu generieren.

Bislang werden die für Interaktionsarbeit notwendigen Kompetenzen überwiegend durch be- rufliches Handeln in der Echtarbeit erworben, also indem die Interaktionsarbeitenden Erfah- rung sammeln. Wenn das Sammeln von Erfahrung in der Echtarbeit allerdings die einzige Möglichkeit des Kompetenzerwerbs ist, bedeutet das für die Beschäftigten einen Lernweg, der lang und belastend sein kann, ohne einen Erfolg zu garantieren. Vielmehr erweist sich die „Selbstbelehrung im Dialog mit der Realität“ (Brater & Rudolf, 2006, S. 274) oft als Über- forderung. Diese Überforderung speist sich vor allem daraus, dass den Interaktionsarbeiten- den häufig nicht klar ist, dass sie mit objektivierendem, regelgeleitetem Handeln, das sie aus anderen Bereichen der Ausbildung kennen, in der realen Interaktion mit einem Gegenüber nicht weiter kommen. Sie leisten in der Praxis zu wenig Gefühls- und Emotionsarbeit und erleben deshalb Widerstände und Konflikte, die sie glauben aushalten zu müssen (Brater &

Rudolf, 2006, S. 275).

Einen Ausweg aus dieser Problematik bieten Praktika oder Betriebsphasen, die bereits in die schulische oder universitäre Ausbildung integriert werden. In diesen Phasen sammeln die Lernenden Erfahrungen in der Echtarbeit, die dann berufspädagogisch erschlossen werden können (Brater & Rudolf, 2006, S. 288). Mögliche Lernformen für die reflexive Bearbeitung der gewonnenen Erfahrungen sind neben Supervision auch Intervision oder Fallbesprechung in Gruppen, also Kollegiale Beratung (Brater & Rudolf, 2006, S. 302).

Abschließend sollen die wesentlichen Aussagen noch einmal zusammengefasst werden.

Interaktionsarbeit ist ein wesentlicher Bestandteil personenbezogener Dienstleistungen, bei deren Erstellung die Kundschaft als Ko-Produzierende mitwirkt. Sie besteht aus drei Aspek- ten: der Emotionsarbeit, der Gefühlsarbeit und dem daraus resultierenden subjektivierenden Arbeitshandeln. Die Emotionsarbeit wird von den Interaktionsarbeitenden geleistet, um eige- ne emotionale Dissonanzen aufzulösen oder zu minimieren. Gefühlsarbeit wird in Bezug auf die Kundschaft geleistet, um die gemeinsame Arbeit an der Dienstleistung erst zu ermögli- chen. Das subjektivierende Arbeitshandeln trägt dem Umstand Rechnung, dass Interakti- onshandeln oft unplanbar und unbestimmt ist und deshalb je individuelle Lösungen für spezi- fische Problemlagen erarbeitet werden müssen. Bislang wird diesen Besonderheiten der Interaktionsarbeit in den grundständigen Ausbildungen noch nicht genügend Beachtung ge- schenkt. Fehlbelastungen und Überforderung der Beschäftigten können mögliche Folgen sein.

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16 Die angesprochenen Unbestimmtheiten, Unwägbarkeiten und Unplanbarkeiten von Interakti- onsarbeit können zu Klärungs-, Reflexions- und somit Lernbedarfen bei den Beschäftigten führen. Kollegiale Beratung bietet die Möglichkeit, individuell und direkt am als schwierig er- lebten „Fall“ aus der Berufspraxis zu lernen. Im folgenden Kapitel soll diese Methode vorge- stellt und entlang ihrer charakteristischen Merkmale diskutiert werden.

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17 3. Darstellung und Analyse der Methode Kollegiale Beratung

Im vorangegangenen Kapitel wurde erläutert, was genau unter Interaktionsarbeit zu verste- hen ist und wie verschiedene Rahmenbedingungen dieser Art von Arbeit aussehen. Aus der Darstellung wurde bereits deutlich, dass aus Interaktionsarbeit sehr individuelle Klärungs- und Lernbedarfe erwachsen können. Die als reflexionsbedürftig angesehenen Situationen können von den Beschäftigten als „Fälle“ in eine Kollegiale Beratung eingebracht und syste- matisch bearbeitet werden.

Kollegiale Beratung ist in Deutschland seit ungefähr vierzig Jahren Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen, zunächst vor allem aus dem Bereich der Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer (u.a. Gudjohns, 1977; Mutzeck, 1989; Schlee, 2012). Die konzeptionellen Wurzeln reichen allerdings noch weiter zurück. Als ältester Vorläufer der Kollegialen Beratung können die von dem ungarischen Arzt und Psychoanalytiker Michael Balint gemeinsam mit seiner Frau Enid Ende der 1940er Jahre entwickelten Balint-Gruppen angesehen werden (Rappe- Giesecke, 1994, S. 72; Schlee, 2012, S. 22; DBG, 2016 o.S.).

Frühe Konzepte aus der Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern nehmen auf diese Wur- zeln explizit Bezug. Gudjons‘ Konzept der „Fallbesprechung in Lehrergruppen basiert auf einer Integration von Elementen aus der psychoanalytischen Balintgruppe, der Supervisi- onspraxis in Therapie und Sozialarbeit, der Institutionsanalyse und -beratung, dem Group Counseling und dem gruppendynamischen Selbsterfahrungsseminar“ (Gudjons, 1977, S.

375). Auch andere, moderne Ansätze Kollegialer Beratung nehmen für sich in Anspruch, psychoanalytisch fundiert zu sein, wie beispielsweise KoBeSu, kurz für Kollegiale Beratung und Supervision (Schlee, 2012), oder das so genannte „Heilsbronner Modell“ (Spangler, 2012). Andere Modelle haben sich von ihrem psychoanalytischen Erbe4 weitgehend gelöst (Tietze, 2015). Zu Beginn der Kollegialen Beratung stand also nicht die Entwicklung einer Beratungstheorie, sondern der konkrete „Bedarf von Berufstätigen nach regelmäßiger Pra- xisberatung, der sich in Gruppen von Gleichgesinnten mit unkomplizierten und vorhandenen Gesprächsmitteln günstig decken ließ“ (Tietze, 2010, S. 18). Entsprechend vielfältig sind die Theoriebezüge der einzelnen Veröffentlichungen.

Für die gestiegene Beliebtheit Kollegialer Beratung in den letzten Jahren können mehrere mögliche Faktoren ausgemacht werden. Zum einen bringt sie den Lernenden einen „Sofort- nutzen durch konkrete, situative Problemlösungsstrategien und Praxislösungen vor Ort“

(Schmid, Veith, & Weidner, 2013, S. 11), die Schulungen und Seminare nicht bieten können.

Da Kollegiale Beratung nach der Einführung ohne professionelle Unterstützung durch Leh- rende praktiziert wird, stellt sie eine flexible und kostengünstige Weiterbildungsalternative

4Eine ausführliche Darstellung des psychoanalytischen Hintergrundmodells im Kontext von Lern- und Bildungsbe- ratung findet sich bei Knoll, 2008, S. 74ff. Von einer wiederholenden Darstellung wird aus Platzgründen abgese- hen.

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18 dar, die darüber hinaus zu einer besseren Vernetzung der Teilnehmenden beitragen und Isolation entgegenwirken kann (Arnold, 2013; Schmid, Veith, & Weidner, 2013, S. 11; Spang- ler, 2012, S. 35; Tietze, 2010, S. 95) .

Auf eine knappe Formel gebracht, bezeichnet Kollegiale Beratung „ein Format personenori- entierter Beratung, bei dem im Gruppenmodus wechselseitig berufsbezogene Fälle der Teil- nehmenden systematisch und ergebnisorientiert reflektiert werden“ (Tietze, 2010, S. 24).

Aufgrund der praxisorientierten Entwicklung ist die Literatur zu Kollegialer Beratung jedoch deutlich heterogener als die Definition zunächst vermuten lässt. Deshalb soll im nächsten Abschnitt herausgearbeitet werden, durch welche Charakteristika sich Kollegiale Beratung auszeichnet und wie dadurch eine Abgrenzung zu anderen Bildungs- und Beratungsangebo- ten ermöglicht wird.

3.1. Problematik der Abgrenzung Kollegialer Beratung gegen andere Bildungs- und Beratungsangebote

Wer sich mit Kolleginnen und Kollegen zu aktuellen beruflichen Problemen beraten möchte, kann aus einer Vielzahl verschiedener Modelle auswählen. Insbesondere in den letzten zehn Jahren sind praxisorientierte Anleitungen für verschiedene Berufsgruppen und Anwendungs- gebiete auch außerhalb der „klassischen“ pädagogischen Arbeitsfelder neu erschienen (u.a.

Arnold, 2013; Brinkmann, 2013; Erpenbeck, Sauter, & Sauter, 2016; Nowoczin, 2012;

Spangler, 2012). Andere bewährte Publikationen werden teilweise mehrmals neu aufgelegt (Franz & Kopp, 2010; Schmidt, Veith, & Weidner, 2013; Tietze, 2015).

Die verschiedenen Auffassungen von Kollegialer Beratung unterscheiden sich dabei aller- dings erheblich, was die theoretischen Bezüge, die Beratungsschritte und weitere Merkmale angeht. Selbst die Benennung der verschiedenen kollegialen Beratungsmodelle ist alles an- dere als einheitlich (Jordaan, Eckert, & Tarnowski; 2016, S. 2; Linderkamp, 2011, S. 39).

Knoll stellt eine Tendenz fest, Kollegiale Beratung als „Dachbegriff zu verwenden, unter dem sehr unterschiedliche Arbeitsformen verstanden und beschrieben werden“ (Knoll, 2008, S.

54). Insofern ist gleich zu Beginn festzuhalten, dass es nicht die eine Kollegiale Beratung gibt, was Linderkamp veranlasst, von kollegialen Beratungsformen zu sprechen (Kaesler, 2016, S. 14; Linderkamp, 2011).

Was für die reine Anwendung keine große Rolle spielt, stellt für die wissenschaftliche Be- schäftigung mit Kollegialer Beratung eine Herausforderung dar. Tietze schätzt die „begriffli- che Vielfalt und konzeptuelle Unschärfe“ (Tietze, 2010, S. 24) als ein Grundproblem von Dis- kurs und Forschung über Kollegiale Beratung ein. Dieses Grundproblem zeigt sich bereits bei der Recherche nach Literatur, denn hinter der Bezeichnung Kollegiale Beratung verber- gen sich durchaus verschiedene Ansätze; und viele Konzepte, die eine vergleichbare Pro-

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19 zessstruktur aufweisen und zu vergleichbaren Zwecken eingesetzt werden, werden nicht als Kollegiale Beratung bezeichnet. Anders ausgedrückt, müssen Forschende bei der Literatur- recherche mit einer doppelten Unschärfe des Begriffs Kollegiale Beratung umgehen.

Beispielsweise wird in einer Publikation eine „Kollegiale Beratung“ beschrieben, bei der eine Person eine andere in einem Zeitrahmen von 10 Minuten zu einem beruflichen Problem be- rät. Dies entspricht nicht dem gesuchten Phänomen. Im nächsten Abschnitt der gleichen Veröffentlichung wird eine „Praxisberatung in der Gruppe“ beschrieben. Hier beraten sich mehrere formal gleichrangige Personen nach einer spezifischen Prozessstruktur in verteilten Rollen zu Fällen aus der beruflichen Praxis (Knoll, 2008, S. 55ff). Bei der Literaturrecherche gilt es also, das tatsächlich gesuchte Phänomen unabhängig von der Benennung durch die Autorinnen und Autoren ausfindig zu machen (Abbildung 2).

Abbildung 2: Doppelte Unschärfe bei der Recherche nach Kollegialer Beratung (eigene Darstellung)

Werden die in der Literatur aufgefundenen Modelle unter bildungswissenschaftlicher Per- spektive ausgewertet, können bestimmte Charakteristika als kennzeichnend für die Methode Kollegiale Beratung identifiziert werden. So findet Kollegiale Beratung nach Meinung der meisten Autorinnen und Autoren innerhalb einer Gruppe von mindestens drei und höchstens zehn Personen statt, wobei eine Teilnehmendenzahl zwischen vier und sieben als besonders geeignet gilt (Schmidt, Veith, & Weidner, 2013, S. 15, Spangler, 2012, S. 93; Tietze, 2015; S.

12). Ausgangspunkt der Beratungen ist die Schilderung eines Falls, also einer als problema- tisch oder klärungsbedürftig erlebten Situation aus dem beruflichen Kontext der Teilnehmen- den (Gudjons, 1977, S. 376; Tietze, 2010, S. 67; Tietze 2015, S. 30-36).

Die Beratungen werden in verteilten Rollen durchgeführt, wobei neben dem Fallgeber oder der Fallgeberin meistens eine Moderation und mehrere Beratende vorgesehen sind. In man- chen Konzepten finden sich darüber hinaus Rollen wie Protokollführung oder Prozessbe- obachtung, die allerdings nicht zwingend besetzt werden müssen (Rimmasch, 2010, S. 18;

Schmidt, Veith, & Weidner, 2013, S. 34-36; Tietze, 2015, S. 52-59).

Strukturiert werden die Beratungsprozesse nach einem vorher festgelegten und allen Teil- nehmenden bekannten Ablaufschema, das je nach Modell zwischen zwei und zehn Schritte umfasst (u.a. Knoll, 2008, S. 58-60; Mutzeck, 1989, S. 181; Spangler, 2012, S. 43ff; Tietze,

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20 2015, S. 60ff.). Da die Beratungsschritte allen Teilnehmenden der Gruppe gleichermaßen bekannt sind, hat die Moderation eine reine Servicefunktion für die Gruppe und keinen Ex- pertenstatus (Kaesler, 2016, S. 17). Dies bedeutet, dass die Kollegiale Beratung standard- mäßig ohne professionelle Begleitung auskommt, wobei insbesondere beim Erlernen der Methode, der Einführung im organisationalen Kontext oder im Konfliktfall innerhalb der Gruppe die Unterstützung durch Externe angeraten wird (Gudjons, 1977, 375; Mutzeck, 1989, S. 181; Rimmasch, 2010, S. 41; Schmidt, Veith, & Weidner, 2013, S. 82-83; Tietze, 2015, S. 227).

Durch die bisher ausgearbeiteten Charakteristika ist es möglich, Kollegiale Beratung gegen andere Formate abzugrenzen und das gesuchte Phänomen zu identifizieren. Abbildung 3 verdeutlicht, wie Bildungs- und Beratungsangebote nach und nach durch das Prüfen einzel- ner Merkmale herausgefiltert werden, so dass am Ende nur Modelle übrig bleiben, die dem gesuchten Phänomen entsprechen.

Abbildung 3: Abgrenzung der Methode Kollegiale Beratung (eigene Darstellung)

Es kann zusammengefasst werden, dass Kollegiale Beratung ein Bildungsangebot ist, bei dem Fälle aus der beruflichen Praxis der Teilnehmenden in einer Gruppe ohne offizielle Lei- tung beraten werden. Die Beratungen erfolgen in verteilten Rollen und werden anhand eines Ablaufschemas durchgeführt. Die hier aufgezählten Charakteristika machen dabei nur in ih- rer Gesamtheit und ihrem Zusammenwirken das Format Kollegiale Beratung aus (ausführ-

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21 lich: Tietze, 2010, S. 25ff). Weist eine Bildungsmaßnahme eines dieser Kennzeichen nicht auf, ist davon auszugehen, dass es sich nicht um Kollegiale Beratung handelt.

Die einzelnen Charakteristika werden in den folgenden Abschnitten genauer beschrieben.

Dabei wird zunächst erläutert, was unter Fällen zu verstehen ist (Kapitel 3.2). Im Anschluss wird das Lernen ohne professionelle Begleitung thematisiert und kritisch hinterfragt (Kapitel 3.3). Danach wird vorgestellt, welche Bedeutung die Lern- und Beratungsgruppe (Kapitel 3.4) sowie die Ablaufstruktur haben (Kapitel 3.5). Warum Kollegiale Beratung in verteilten, wechselnden Rollen durchgeführt wird, ist Gegenstand des letzten Abschnitts (Kapitel 3.6).

Eine Diskussion unter bildungswissenschaftlicher Perspektive erfolgt später in Kapitel 4.

3.2. Lernen ohne Lehrplan. Fälle als Ausgangspunkt Kollegialer Beratung

Ausgangspunkt einer Kollegialen Beratung ist stets ein so genannter Fall (u.a. Gudjons, 1977, S. 376; Rimmasch, 2010; Tietze, 2010; Tietze, 2015), ein Anliegen (Schmid, Veith, &

Weidner, 2013) oder allgemein eine Situation (Knoll 2008) aus der beruflichen Praxis der Teilnehmenden. Was genau unter einem Fall zu verstehen ist, wird nicht in allen Veröffentli- chungen präzise definiert, sondern vor allem in den praktischen Anleitungen eher am Bei- spiel erläutert. Klepsch bringt es in seinem Artikel auf die knappe Formel „Ein Kunde zickt, ein Projekt scheitert…“ (Klepsch, 2013, o.S.). Trotz der saloppen Formulierung ist damit be- reits angesprochen, was einen Fall ausmacht.

Ein Fall ist immer etwas, was von der Routine abweicht, was irritiert oder stört (Tietze, 2015, S. 30, S. 70). Es sind Situationen im beruflichen Umfeld, die aus verschiedenen Gründen als unbefriedigend oder klärungsbedürftig erlebt werden. Anders ausgedrückt handeln Fälle „von Ausnahmen im beruflichen Kontext, bei denen Verläufe oder Ergebnisse nicht erwartungs- gemäß eintreten und bei denen die Diskrepanz zwischen Erwartungen und Erleben psycho- logisch bedeutend nachwirkt, z. B. in Form von Enttäuschung, kreisenden Gedanken oder Beanspruchung“ (Tietze, 2010, S. 67). Insbesondere Probleme bei der beruflichen Kommu- nikation oder Interaktion mit anderen Menschen können als Fall bearbeitet werden (Gudjons, 1997, S. 376; Spangler, 2012, S. 34; Tietze, 2015, S. 70).

Um den übrigen Mitgliedern der Beratungsgruppe zu vermitteln, worum es geht, schildert der Fallgeber oder die Fallgeberin zu Beginn einer Beratung den als klärungsbedürftig einge- schätzten Sachverhalt. Diese Situationsbeschreibung greift aus der stets weit komplexeren Realität diejenigen Aspekte heraus, die aus der Sicht der ratsuchenden Person relevant er- scheinen. Auf diese Weise skizziert die Fallgeberin oder der Fallgeber sein „Realitätsmodell der Situation“ (Tietze, 2015. S. 75). Die Falldarstellung enthält dabei Informationen über die beteiligten Personen, deren Beziehungen untereinander, die konkreten Ereignisse, die struk- turellen Rahmenbedingungen und die Gefühle des Fallerzählers oder der Fallerzählerin

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22 (Schmid, Veith, & Weidner, 2013, S. 39-40; Tietze, 2015. S. 78). Es bleibt deshalb nicht aus, dass bei der Falldarstellung fachliche, organisatorische, kulturelle, hierarchische, soziale und individuelle Probleme verwoben werden, was für den Fallgeber oder die Fallgeberin aller- dings nicht immer erkennbar ist. Die Komplexität ist durch die eigene emotionale Beteiligung nicht handhabbar und führt unter Umständen zu ungeeigneten Lösungsansätzen. Dennoch enthält die Falldarstellung Hinweise auf das Problem oder auf „verdeckte, noch verborgene Problemzusammenhänge“ (Rimmasch, 2010, S. 23-24).

Während der Schilderung der Ausgangslage hören die übrigen Gruppenmitglieder aufmerk- sam und ohne zu unterbrechen zu. Sie achten auf nonverbale Signale wie Gestik, Mimik und Tonfall bei der Fallgeberin oder dem Fallgeber und auf ihre eigenen emotionalen Reaktionen während des Zuhörens (Schmid, Veith, & Weidner, 2013, S. 34). Auf diese Weise entstehen auch bei den Beratenden eigene Bilder der Situation (Tietze, 2015. S. 75). Was hier exemp- larisch beschrieben wurde, gilt für ein in der deutschsprachigen Literatur häufig anzutreffen- des, konstruktivistisch orientiertes Verständnis von Fällen in der Kollegialen Beratung (u.a.

Mutzeck, 1989, S. 178; Schlee, 2012, S. 31ff), wobei der Bezug zum Konstruktivismus in manchen Veröffentlichungen lediglich impliziert wird (Tietze, 2010, S. 68).

Es kann deshalb festgehalten werden, dass ein Fall in der Kollegialen Beratung nicht von derjenigen Person zu trennen ist, die ihn in die Beratung einbringt. Es kommt eben gerade nicht oder nicht in erster Linie auf die objektiven Gegebenheiten an (Tietze, 2010, S. 68), sondern wie und warum diese als problematisch und klärungsbedürftig erlebt werden. Die Orientierung an realen Fällen aus der beruflichen Praxis führt dazu, dass selbst die Mitglie- der der Beratungsgruppe vor dem jeweiligen Treffen nicht wissen, was Gegenstand der Be- ratung sein wird und welche Erkenntnisse der Fallgeber oder die Fallgeberin daraus wird ziehen können.

Kollegiale Beratung grenzt sich deshalb eindeutig von allen Bildungsangeboten ab, in denen Lernprozesse anhand von Lehrplänen oder Curricula vorstrukturiert werden. Lehrpläne ha- ben die zentrale Funktion, Lernprozesse für alle Teilnehmenden eines Bildungsganges zu vereinheitlichen. Bei aller Heterogenität beziehen sie sich in der Regel auf Lehrinhalt und Stoffgebiet, Bildungs- und Lernziele, die zeitliche Aufteilung und Anordnung des Stoffes so- wie personelle und inhaltliche Zuordnungen beispielsweise nach Altersstufen oder Schular- ten (Lehner, 2009, S. 123).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ein Fall in der Kollegialen Beratung eine Situation aus dem beruflichen Alltag eines Gruppenmitglieds bezeichnet, die von der Routine abweicht oder aus anderen Gründen als klärungsbedürftig empfunden wird. Die Falldarstel- lung gibt den Beratenden nicht nur Informationen zu den beteiligten Personen, deren Bezie- hung untereinander und den Rahmenbedingungen, sondern auch zu den Eindrücken und Gefühlen, die der Fallgeber oder die Fallgeberin mit der Situation verbindet. Fall und ratsu-

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23 chende Person sind untrennbar miteinander verbunden. Dies grenzt Kollegiale Beratung zu allen Bildungsformaten mit didaktisch geplanten Lerninhalten ab.

Nachdem relativ ausführlich dargelegt wurde, was unter Fällen zu verstehen ist, soll nun er- läutert werden, wie diese beraten werden. Dazu wird zunächst der Aspekt der wechselseiti- gen Beratung ohne professionelle Begleitung ausgeführt.

3.3. Lernen ohne Lehrkraft. Bedeutung und Voraussetzungen wechselseitiger Beratung in der Gruppe

Im Unterschied zu anderen Bildungsmaßnahmen wird Kollegiale Beratung standardmäßig ohne professionelle Begleitung durchgeführt. Insofern bezieht sich die Bezeichnung „kollegi- al“ nicht notwendigerweise darauf, dass alle Teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen, also Beschäftigte einer Organisation sind. Sie zielt vielmehr auf die „prinzipielle und praktizierte Möglichkeit zur Reziprozität der Beratungsbeziehungen zwischen allen Teilnehmenden von Fallberatung zu Fallberatung“ (Tietze, 2010, S. 27). Wer bei einem Treffen den Fall beisteu- ert, agiert im nächsten Fall vielleicht als Moderation und berät in einem dritten.

Diese Umkehrbarkeit mag zunächst überraschen, weil kompetente Beratung als sowohl fachlich wie emotional sehr anspruchsvoll gilt (Giesecke, Käpplinger, & Otto, 2007, S. 34).

Insbesondere zu Beginn einer Beratung werden Beratende mit äußerst komplexen Problem- stellungen konfrontiert, die sie in kurzer Zeit aufnehmen und im weiteren Beratungsprozess systematisierend bearbeiten. Sie müssen noch während des Zuhörens das Gehörte analy- sieren, dabei die Beziehung zur ratsuchenden Person aufrecht erhalten und in der Folge durch gezieltes Fragen gemeinsam mit ihr mögliche Optionen eruieren. Insofern ist Beratung

„eine Kunst, die viel Wissen und Erfahrung auf Seiten der Beratenden erfordert“ (Giesecke, Käpplinger, & Otto, 2007, S. 34). Grundsätzlich geht es bei Beratung um eine durch eine Beraterin oder einen Berater unterstützte5 „eigenständige Situationsbewältigung durch die betroffene Person, wobei die inhaltlichen Ergebnisse wesentlich von dieser selbst bestimmt werden und deshalb zu Beginn des Prozesses noch nicht feststehen“ (Knoll, 2008, S. 109- 110). Beratung erweitert die Möglichkeiten der ratsuchenden Person, „bisher unberücksich- tigte Aspekte zu erkennen und in Handlungsstrategien umzusetzen“ (Nowoczin, 2012, S.

31). Ganz offensichtlich handelt es sich bei professioneller Beratung um Interaktionsarbeit, wie sie in Kapitel 2 ausführlich beschrieben wurde.

Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass Kollegiale Beratung professionelle Beratung nicht ersetzen, sondern lediglich ergänzen soll (u.a. Tietze, 2015, S. 40; ähnlich: Fengler, Sauer, & Stawicki, 1994, S. 196), werden doch auf Seiten der Beratenden und insbesondere

5 Ausführliche Darstellungen zu Beratungstechniken finden sich beispielsweise bei Knoll (2008, S. 110ff) für Bil- dungsberatung sowie Brinkmann (2013, S. 33ff) und Hendriksen (2011, S. 30-31) für begleitete Intervision.

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24 der Moderation spezifische Kompetenzen als erforderlich angesehen. Es wird zwar in mehre- ren Publikationen darauf hingewiesen, dass insbesondere beim Erlernen der Methode Kolle- giale Beratung die Unterstützung durch Externe zum Beispiel in Form eines Einführungs- workshops anzuraten ist (Gudjons, 1977, 375; Kaesler, 2016, S. 29; Mutzeck, 1989, S. 181;

Rimmasch, 2010, S. 41; Schmidt, Veith, & Weidner, 2013, S. 82-83; Tietze, 2015, S. 227), es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass diese Workshops ausreichen, eine umfassende Beratungskompetenz zu entwickeln.

Die Literatur zu Kollegialer Beratung selbst ist, was die erforderlichen Kompetenzen zu ihrer Durchführung angeht, sehr uneinheitlich. In manchen Publikationen werden Kommunikation und Kooperation (Mutzeck, 1989, S. 178), Kenntnisse in Gruppendynamik, Fragetechniken und Aktives Zuhören (Tietze, 2015, S. 234-240) benannt. Weitere Veröffentlichungen thema- tisieren die für das Gelingen Kollegialer Beratung notwendigen Kompetenzen der Teilneh- menden nicht oder lediglich implizit (u. a. Schmid, Veith, & Weidner, 2013; Spangler, 2012, S. 90). Dies gilt insbesondere für die eigentlich wichtigste Teilnahmevoraussetzung an Kolle- gialer Beratung, die verbale Ausdrucksfähigkeit, also Kompetenz im ursprünglich von Chomsky gemeinten Sinne (1987, S. 14). Um den übrigen Gruppenmitgliedern die eigene Realitätskonstruktion zur Verfügung zu stellen, müssen Teilnehmende sich differenziert in der jeweiligen Arbeitssprache ausdrücken können. Wer diese nicht oder nur auf Einstiegsni- veau beherrscht, wird sich mit der Teilnahme an kollegialer Beratung schwer tun (Mutzeck, 1989, S. 180; Rimmasch, 2010, S. 40).

Werden Voraussetzungen benannt, so ist dennoch häufig nicht ausführlich erläutert, wie die- se denn erworben werden sollen. Laut Tietze haben sich die Gruppenmitglieder das „für die Kollegiale Beratung notwendige Know-how“ (2015, S. 12) selbst angeeignet und sind mit der Ablaufstruktur vertraut. Dadurch ist die Verantwortung für den Prozess auf mehrere Schul- tern verteilt (Tietze, 2015, S. 12). Mutzeck sieht den Ausgangspunkt in der Grundannahme, dass Ratsuchende und Beratende „im allgemeinen von ihren Möglichkeiten her (potenziell) gleiche Basisfähigkeiten besitzen. Sie sind Subjekte, die, wie andere Menschen auch, po- tenziell dazu fähig sind, zu denken, zu reflektieren, zu fühlen, zu kommunizieren und Vorsät- ze in Tätigkeiten umzusetzen“ (Mutzeck, 1989, S. 178; ähnlich: Rimmasch, 2010, S. 40).

Aus bildungswissenschaftlicher Perspektive ist diese Ausgangslage überraschend. Es er- scheint zunächst wenig plausibel, dass ein komplexes Bildungs- oder Beratungsangebot trotz vielleicht einfach zu befolgender methodischer Anweisungen inhaltlich und auf der Pro- zessebene nahezu voraussetzungslos und dennoch effektiv funktionieren soll (Kaesler, 2016, S. 29; Tietze, 2010, S. 18). Möglicherweise hängt diese Leerstelle allerdings mit der von den Autorinnen und Autoren angesprochenen Zielgruppe Kollegialer Beratung zusam- men. Fiege und Dollase (1998) führen aus, dass Kollegiale Beratung insbesondere in der Lehrerfortbildung und der Sozialarbeit eine große Bedeutung hat, weil die Methode „verbale

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25 Fähigkeiten sowie die Fähigkeit zur Selbststeuerung und Selbststrukturierung voraussetzt, die bei Lehrern und Sozialarbeitern in besonderer Weise benötigt und vermutet werden kön- nen“ (S. 380). Spangler stellt fest, dass die Teilnehmenden an Kollegialer Beratung dort die Fähigkeiten benötigen, die sie auch im beruflichen Alltag und im privaten Bereich einbringen.

Dazu zählen Wissen, Kompetenzen und in „sozialen Berufen gehören dazu auch Kenntnis- se, z.B. in Pädagogik, Psychologie und oft auch Beratungskompetenz“ (Spangler, 2012, S.

90). Ein Praxisbericht zum Einsatz Kollegialer Beratung für Führungskräfte weist in eine ähn- liche Richtung. Die befragten Experten gaben an, dass bei ihrer Zielgruppe herkömmliche Personalentwicklungsmaßnahmen kaum noch einen konkreten Nutzen bewirkten. Die Füh- rungskräfte seien bereits umfangreich geschult und hätten nun einen zu individuellen Ent- wicklungsbedarf, um noch von Seminaren o.ä. profitieren zu können (Pichler, 2013, S. 19ff).

Es könnte also vermutet werden, dass Personen, die Interaktionsarbeit leisten, bereits weit- gehend über die erforderlichen Kompetenzen verfügen und es deshalb nur noch einer Ein- führung in die Methodik der Kollegialen Beratung bedarf. Wie in Kapitel 2 ausgeführt wurde, wird für die Ausübung anspruchsvoller personenbezogener Dienstleistungen (sekundäre Dienstleistungen) mit einem hohen Anteil an Interaktionsarbeit mindestens eine Ausbildung und häufig ein Hochschulstudium vorausgesetzt. Da die für Interaktionsarbeit notwendigen Kompetenzen jedoch nicht direkt geschult oder trainiert werden können, erhalten Beschäftig- te Weiterbildungen zu „Schlüsselqualifikationen wie ‚soziale Kompetenz‘, ‚Dialogfähigkeit‘, und ‚kommunikative Kompetenzen‘ oder spezielle Trainings etwa zur Führung von Verkaufs- gesprächen“ (Böhle, 2011, S. 460) und erwerben darüber hinaus Erfahrung in der Echtarbeit (Böhle, 2005, S. 9). Wäre die angestellte Vermutung korrekt, würde Kollegiale Beratung mit anderen Berufsgruppen, die keine Interaktionsarbeit leisten, nicht oder nur nach umfangrei- cheren Maßnahmen zur Einführung funktionieren. Hierzu ist mit den derzeit verfügbaren Da- ten keine Aussage möglich.

Unbeschadet dessen wird Kollegiale Beratung erfolgreich in der Praxis eingesetzt und lässt sich durch den Verzicht auf eine professionelle Begleitung und die daraus folgende Umkehr- barkeit der Beratungsbeziehungen innerhalb der Gruppe gegen eine Reihe anderer Formate abgrenzen. Bei Coaching, Supervision, aber auch Kooperativer Beratung und Balintarbeit bleibt die Rollenfestlegung auf Leitung oder Teilnehmende und die daraus folgende Asym- metrie der Beratungsbeziehung „auch bei mehreren aufeinander folgenden Beratungssituati- onen bestehen, Kontakte in anderen Rollen außerhalb der Beratung werden weitgehend ausgeschlossen“ (Tietze, 2010, S. 35; auch: DBG, 2016; Mutzeck, 2008; Tietze, 2010, S.

32ff). Modelle begleiteter Intervision nehmen eine Position zwischen Kollegialer Beratung und Supervision ein (Brinkmann, 2013; Hendriksen, 2011, S. 30ff). Durch den Einsatz einer professionellen Begleitung wird in die Selbststeuerung der Intervisionsgruppe eingegriffen, die dann „weniger niederschwellig, weniger freiwillig und teurer, aber auch verbindlicher als

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26 die normale unbegleitete Intervision“ (Hendriksen, 2011, S. 30) ist. Die Hauptaufgabe des Intervisors oder der Intervisorin liegt darin, den Lernprozess der Teilnehmenden zu unter- stützen, und sich durch Förderung von Eigenverantwortlichkeit und Selbstorganisation ent- behrlich zu machen (Hendriksen, 2011, S. 31-32). Es kann diskutiert werden, ob begleitete Intervision deshalb der Einführung Kollegialer Beratung gleich gesetzt werden sollte. Für den Moment wurde wegen der Rollenasymmetrie während der Begleitung allerdings eine Ab- grenzung vorgenommen.

Es kann zusammengefasst werden, dass Kollegiale Beratung auf der Umkehrbarkeit der Beratungsbeziehungen basiert und nach der Einführung in die Methode ohne professionelle Leitung auskommt. Welche Kompetenzen für diese gegenseitige Beratung erforderlich sind, wird in vielen Veröffentlichungen nicht expliziert. Möglicherweise bringen die Teilnehmenden aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeiten bereits die erforderlichen Kompetenzen mit. Abzu- grenzen ist Kollegiale Beratung von Angeboten wie Supervision und Coaching, bei denen die Anwesenheit einer speziell ausgebildeten Leitung oder Begleitung fest verankert ist.

Nachdem das Charakteristikum der wechselseitigen Beratung erläutert wurde, soll nun im nächsten Abschnitt die Rolle der Gruppe in der Kollegialen Beratung thematisiert werden.

3.4. Gemeinsam lernen. Die Bedeutung der Gruppe in der Kollegialen Beratung Wie bereits mehrfach betont wurde, findet Kollegiale Beratung nach der vorherrschenden Auffassung in einer Gruppe statt (Kaesler, 2016, S. 17). Diese besteht aus mindestens drei und höchstens zehn Personen, wobei Gruppengrößen zwischen vier und sieben als beson- ders geeignet gelten (Schmidt, Veith, & Weidner, 2013, S. 15, Spangler, 2012, S. 97; Tietze, 2015; S. 12). Der Arbeit in der Gruppe werden dabei eine Reihe von Vorteilen zugeschrie- ben, die sich unter anderem auf die soziale Einbettung der Teilnehmenden, die Perspekti- venvielfalt und die Lernpotenziale beziehen (Gudjons, 1977, S. 374; Pichler, 2013; Rim- masch, 2010, S. 20; Schmid, Veith, & Weidner, 2013; Spangler, 2012, S. 34; Tietze, 2010, S.

82ff; Tietze, 2015, S. 24-25).

Personen, die Interaktionsarbeit leisten, stehen oder sitzen ihrer Kundschaft meist alleine und nicht im Team gegenüber. Wie bereits dargestellt wurde, ist ihre Konzentration darauf gerichtet, eine Dienstleistung zu erbringen und dazu im Rahmen der Gefühlsarbeit auf die Gefühle ihrer jeweiligen Gegenüber einzuwirken, sie je nach Situation zu beruhigen, zu moti- vieren oder Vertrauen aufzubauen. Anders ausgedrückt ist die Zuwendung in Interaktionsbe- ziehungen also sehr ungleich verteilt. Die Interaktionsarbeitenden wenden sich den Bedürf- nissen der Kundschaft zu; eigene Bedürfnisse sind aus der Interaktionsbeziehung ausge- klammert (Kapitel 2.2). Außerdem wirken insbesondere Schulstrukturen nach wie vor isolie- rend auf Lehrkräfte (Fiege & Dollase, 1998, S. 381). Bei der Kollegialen Beratung haben die

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27 Interaktionsarbeitenden nun eine Gruppe, die sich regelmäßig auch ihnen zuwendet, Auf- merksamkeit schenkt und Interesse zeigt (Spangler, 2012, S. 34; ähnlich: Nowoczin, 2012, S. 79). Dies gilt auch und insbesondere für Führungskräfte, die ab einer bestimmten Hierar- chieebene keine Rückmeldungen mehr erhalten oder keine gleichgestellten Kolleginnen und Kollegen zum informellen Austausch mehr haben. In der Kollegialen Beratung können sie fundiertes Feedback erhalten und ihre Führungsarbeit in einer Weise reflektieren, die ihnen innerhalb des Unternehmens meist nicht offen steht (Pichler, 2013, S. 19). Kollegiale Bera- tung unterstützt entsprechend auch beim Aufbau und Ausbau von beruflichen Netzwerken (Nowoczin, 2012, S. 79; Pichler, 2013; Schmid, Veith, & Weidner, 2013, S. 11).

Eine Gruppe kann Ratsuchenden darüber hinaus eine größere Vielfalt an alternativen Sicht- weisen und Lösungsoptionen anbieten, als es eine einzelne beratende Person vermag. Da der vorgestellte Fall von den Teilnehmenden vor dem Hintergrund der je eigenen Vorerfah- rungen reflektiert wird, kann bei mehreren Teilnehmenden eine ganz andere Dynamik in der Fallbearbeitung entstehen als bei einer Dyade oder sehr kleinen Gruppen. Dies reduziert auch die Gefahr blinder Flecken, in denen relevante Aspekte eines Falls übersehen werden (Tietze, 2010, S. 82). Deshalb wird eine Gruppengröße von drei Personen in den meisten Publikationen zwar als theoretisch möglich, aber weniger effektiv eingeschätzt (Rimmasch, 2010, S. 18; Schmid, Veith, & Weidner, 2013, S. 15; Tietze, 2015, S. 12). Gruppen mittlerer Größe sind auch dann noch arbeitsfähig, wenn ein Mitglied zum Termin verhindert sein sollte (Tietze, 2015, S. 217). Ist eine Gruppe sehr groß, also bei mehr als sieben Teilnehmenden, wird die Gefahr gesehen, zu viele Perspektiven zu haben, die aufgrund der knappen Zeit nur unzureichend reflektiert werden können. Hier wird dann eine situative oder dauerhafte Tei- lung der Gruppe empfohlen (Schmid, Veith, & Weidner, 2013, S. 15-16; Tietze, 2015, S.

219). Abweichend davon empfiehlt Schlee eine Gruppengröße von höchstens vier Personen und rät bereits zu einer Teilung der Gruppe, sobald dauerhaft mehr als 5 Personen teilneh- men (Schlee, 2012, S. 68).

Darüber hinaus wird auch die Gruppe selbst als Möglichkeit gesehen, sich mit vielfältigen Unterschieden hinsichtlich Vorgehensweisen, Arbeitsstilen, Gefühlen und Erfahrungen aus- einander setzen zu können, ohne diese bewerten zu müssen. Die Teilnehmenden erfahren darüber hinaus durch die verteilten Rollen funktionale Autorität und können Leitungs-, Bera- tungs- und Moderationskompetenzen entwickeln (Nowoczin, 2012, S. 79; Rimmasch, 2010, S. 17; Tietze, 2010, S. 82).

Diese Chancen der Gruppe können sich allerdings nur entwickeln, wenn von den Teilneh- menden bestimmte Werte, Haltungen und Menschenbildannahmen geteilt werden. Eine be- sonders wesentliche Grundlage ist dabei die Vertraulichkeit. Alle Mitglieder der Beratungs- gruppe müssen sich auf die Verschwiegenheit aller Beteiligten verlassen können, um offen und angstfrei über berufliche Schwierigkeiten sprechen und Fälle oder eigene Erfahrungen

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