Der Trend zur Vernetzung im Krankenhaus ist unauf- haltsam. Telemedizinische Systeme, die die Übertragung beispielsweise von radiologi- schen Daten und Bildern in- nerhalb der Klinik oder über ISDN oder Satellit auch zwi- schen Krankenhäusern er- möglichen, wurden in großer Zahl bereits auf der letzten Medica vorgestellt.
Kombinationen
Internationale Aufmerk- samkeit fand dabei ein neues
System des Marktführers in der medizinischen Technik:
das Infinity-Network von Sie- mens. Es bietet die Möglich- keit, Patienteninformationen zu kombinieren und sie dort zur Verfügung zu haben, wo sie gerade benötigt werden, ob am Krankenbett, im Arzt- zimmer oder an anderen Stel- len im Krankenhaus. „Wir wollen die zahllosen Inseln der Information, die es in der Klinik gibt, miteinander ver- binden“, erläutert Carolyn Holbrook vom Systembe- reich Medizintechnik das Konzept.
Eingesetzt werden kann das System in der Inten- sivpflege. Basierend auf dem Kommunikationsstan- dard Medical Information Bus (MIB) ermöglicht es die Integration verschiedenster Überwachungsdaten. Mit sei- ner Hilfe können 32 Betten gleichzeitig überwacht wer- den, eine reine Beobachtung ist sogar an 128 Betten mög- lich.
Durch die Verwendung anerkannter Standards in Verbindung mit modernsten Technologien erhoffen sich die Siemens-Manager Vortei- le im umkämpften Intensiv-
pflegemarkt. „Das System ist ausbaufähig, leicht erlernbar und bietet eine Plattform, von der aus weitere Infor- mationen integriert werden können“, meint etwa Georg Pfeiffer, Leiter des Ge- schäftsbereichs Medizintech- nik. Und kündigte gleich ein neues Software-Produkt an, das in Kürze auf den Markt kommen soll. Mit dessen Hil- fe soll der Kliniker von jedem Windows-PC aus über das krankenhauseigene Daten- netz oder über Modem eine Verbindung zu dem Patien- tenüberwachungssystem auf- bauen können. Kay Müllges
A-936 (64) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 14, 4. April 1997
V A R I A TECHNIK FÜR DEN ARZT
Digitale
Kommunikation
Infinity-Network
Information am Krankenbett
Verwaltung und Kranken- haus in Sonneberg können di- gital kommunizieren. Rund 1 500 Diktate fallen in dem thüringischen Kreiskranken- haus monatlich an. Kassetten braucht man nicht mehr von A nach B zu bringen. Die Diktate stehen den Schreib- kräften automatisch direkt nach Diktatende am Arbeits- platz zur Verfügung. Das Dik- tieren ist von jedem Telefon
des Krankenhauses aus mög- lich, so daß der Arzt dringen- de Diktate direkt an die entsprechende Schreibkraft durchgeben kann. Betrug in Sonneberg, so der Geräte- und Software-Vertreiber, die Durchlaufzeit der Befunde
bisher 8 bis 14 Tage, verlassen sie heute schon nach unge- fähr zwei Tagen die Klinik.
Gute
Tonqualität
Die Möglichkeiten des Di- gital Express-Systems werden von den Schreibkräften voll genutzt. Hinzu kommt, daß
die Digitaltechnik eine weit- aus bessere Tonqualität zur Verfügung stellt. Die variable Wiedergabegeschwindigkeit erlaubt es, schwer verständli- che Wörter besser zu erken- nen. IMC, 55130 Mainz.
Dr. med. Heinz Orbach Kreiskrankenhaus Sonneberg mit digitalem Diktiersystem Werkfoto
Computerhirne mit künst- lichen neuronalen Netzen (KNN) sollen in naher Zu- kunft bei der Auswertung von Elektroenzephalogram- men (EEG) helfen.
Am Institut für Rechner- architektur und Software- technik (FIRST) der GMD in Berlin hat sich die Ar- beitsgruppe um Dr. Klaus Robert Müller EEG-Daten aus einem Schlaflabor vorge- nommen. Rund zehn Pro- zent der Bevölkerung leiden unter Schlaf-Wach-Störun- gen. Nur ein Bruchteil dieser Störungen wird bisher dia- gnostiziert. Das Problem: die schlafmedizinische Diagno- stik produziert bei der konti- nuierlichen Überwachung von Patienten unendliche Datenfolgen. Anhand des Wellenverlaufs der EEG- Kurven und anderen phy- siologischen Daten wer- den bisher die verschiede- nen Schlafphasen charakte- risiert. Die Auswertung der EEG ist jedoch zeitaufwen- dig und erfordert große Erfahrung. Eine elektroni- sche Vorselektion der Daten könnte die Diagnose und Be- handlung von Schlafstörun- gen erleichtern.
Problemlösung durch Computer
Künstliche Intelligenz ist immer dann gefragt, wenn es gilt, komplexe Probleme zu lösen. Während herkömmli- che Rechenverfahren von Computern stur geradeaus rechnen, erwartet man von künstlich intelligenten Syste- men Flexibilität bei der Pro-
blemlösung. Die KNN bilden ein elektronisches Gerüst, auf dem sich Beziehungen zwischen Daten knüpfen las- sen. „Die von uns entwickelte Methode verwendet dazu ein Ensemble von künstlichen neuronalen Netzen, die in ei- ner Lernphase um die Daten eines Zeitintervalls kämpfen:
das Netz, das in einem be- grenzten Bereich der Zeitrei- he die Daten am besten vor- hersagt, darf auf diesen Da- ten weiterlernen“, erklärt Jens Kohlmorgen, Diplom- Informatiker am FIRST:
„Nach und nach spezialisie- ren sich die Netze auf die verschiedenen Dynamiken.“
Völlig selbständig und ohne medizinisches Expertenwis- sen findet das System der Berliner Informatiker die Übergänge unterschiedlicher Wellenverläufe. Den Wechsel vom Wachen zum Schlafen zeigt die Elektronik mit annähernd gleicher Sicher- heit wie der Mediziner an.
„Um einen Mittagsschlaf von 20 Minuten Dauer aus- zuwerten, benötigt unser Programm etwa 20 Sekun- den“, bemerkt Kohlmorgen.
Während bisher in der kli- nischen Praxis mit einer gro- ben zeitlichen Auflösung von mehr als einer Minute gear- beitet wird, erreichen die KNN Werte von unter einer Sekunde. Die Informatiker wollen nun in Zusammenar- beit mit Ärzten der Freien Unversität Berlin und der Universität Frankfurt die Einschlafphase wesentlich genauer charakterisieren. Sie hoffen damit mögliche An- omalien, die mit Einschlaf- störungen zusammenhängen, zu entdecken. Kybernetiker
der Fachhochschule Schmal- kalden trainieren ihre KNN darauf, alle Schlafphasen ei- ner Nacht zu analysieren.
Statt konkurrierender Net- ze arbeitet hier eine Netz- population, der zusätzliche Rechenoperationen überge- ordnet sind. Projektleiter Professor Rudolf Baumgart- Schmitt erklärt dazu: „Vorbil- der für diese Algorithmen sind evolutionäre und geneti- sche Mechanismen, die den Lernprozeß der Netze nach einer bestimmten Rangord- nung optimieren.“
Diagnose zur Epilepsie
Bisher decken sich die Computerergebnisse bis zu 85 Prozent mit den Analysen der Schlafmediziner. Um dem Patienten die Nacht im Schlaflabor zu erleichtern, soll das System für die Dia- gnose der Schlafqualität mit einer einzigen EEG-Ablei- tung auskommen. „Damit ist es uns bisher gelungen, die vier Schlafphasen, den Traumschlaf und das Wachen zu unterscheiden“, freut sich Baumgart-Schmitt. Auch in anderen Einsatzbereichen der EEG versucht man, die Mustererkennung mit Hilfe von KNN zu automatisieren, so auch an der Bonner Uni- versitätsklinik für Epileptolo- gie. Das Team um Professor Christian Erich Elger will die künstliche Intelligenz für die prächirurgische Epilepsiedia- gnose nutzen. Um die epilep- togene Zone abgrenzen zu können, liefert das EEG wichtige diagnostische Hin-
weise. Auch hier müssen die EEG für einen langen Zeit- raum ununterbrochen regi- striert werden. Deren Durch- sicht führt zu einem erhebli- chen personellen Aufwand.
Die Bonner Epileptologen haben erste Trainingserfolge mit den KNN vorzuweisen.
Sie finden epileptogene Spikes im EEG und klassifi- zieren sie automatisch. Das System stellt fest, ob es einen oder mehrere Spikegenerato- ren gibt, und ordnet sie ver- schiedenen Hirnarealen zu.
Doch bis es die Sicherheit ei- nes geübten EEG-Auswer- ters erreicht, müssen die Trai- ningsmethoden noch verfei- nert werden. Dr. Lisa Kempe
A-937 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 14, 4. April 1997 (65)