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Archiv "Harnblasenneubildung mit der Ileum-Neoblase" (14.02.1992)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

Richard Hautmann, Kurt Miller,

Robert de Petriconi und Ulrich Wenderoth

AKTUELLE MEDIZIN

Stoma, Auffangbeutel und der Katheterismus haben als Harn- ableitung eine geringe Akzeptanz. Die Verwendung des ex- ternen Schließmuskels als Kontinenzorgan und ein Nieder- druckreservoir aus 60 cm detubularisiertem und mehrfach gefaltetem Ileum gestatten die Bildung einer neuen Blase mit Erhaltung der Kontinenz, der natürlichen Miktion und der körperlichen Integrität ohne Kompromittierung der Radikali- tät. Die Patientenakzeptanz ist überwältigend.

Harnblasenneubildung mit der Ileum-Neoblase

adikale Onkochirurgie der Blase und Harnab- leitung sind zwangswei- se miteinander verbun- den. Obwohl die Frage nach der Harnableitung sekundär ist, wird sie für den Patienten und die ärztliche Indikationsstellung zur On2 kochirurgie häufig von primärer Be- deutung. Der Grund für diese Situa- tion ist in der Tatsache zu sehen, daß in der Vergangenheit immer das Odium der „verstümmelnden Opera- tion" die Harnableitung begleitet hat (Abbildung 1). Das Tragen des Harn- auffangbeutels, das Stoma, die Ab- hängigkeit vom Katheterismus, die Angst vor der Leckage, die Infekti- onsgefahr und die hohe Reoperati- onsrate, zum Beispiel an den Konti- nenzmechanismen der Pouches, ha- ben eine geringe Patientenakzep- tanz. Von einer idealen Harnablei- tung sind aber einwandfreie Konti- nenz, der Erhalt der natürlichen Miktion, ein sicherer, infektfreier oberer Harntrakt und ein ungestör- tes „body image" zu fordern (Ta- belle I).

Gegenwärtige und künftige Verfahren der Harnableitung

Derzeit sind Ileum- und Colon- conduit noch die Standardverfahren.

Die Tendenz ist jedoch rückläufig,

da an der Mehrzahl der urologischen Zentren die Conduits bis zur Hälfte durch sogenannte kontinente Harn- ableitungsverfahren (Blasenersatz, Pouches mit kontinentem Stoma) er- setzt wurden. Die Ureterosigmoideo- stomie schwankt seit 50 Jahren von Dekade zu Dekade zwischen Ableh- nung und Befürwortung. Derzeit ist sie „außer Mode". Sicher ist, daß sie bei benigner Grunderkrankung und jungem Patienten wegen der rund 20prozentigen Gefahr eines Karzi- noms an der Ureterimplantations- stelle nicht indiziert ist. Dennoch ist die Ureterosigmoideostomie immer für eine Renaissance gut. Derzeit werden Modifikationen, welche die bisherigen Nachteile vermeiden, er- probt (zum Beispiel funktionelle Rektumblase) (2).

Die modernen kontinenten Harnableitungsverfahren (Blasener- satz, Pouches mit kontinentem Sto- ma) sind trotz umfangreicher Erfah- rung gegenwärtig noch experimen- telle Chirurgie. Die Gründe hierfür sind die Erfahrung,

1. daß bei den Standardverfah- ren die Spätkomplikationen linear mit der Zeit zunehmen,

2. daß Komplikationen der Harnableitung, wie zum Beispiel das Anastomosen-Karzinom der Urete- rosigmoideostomie, erst nach einer Latenz von 10 bis 20 Jahren auftre- ten.

Dennoch sind Vorhersagen über den zukünftigen Einsatz von Blasen- ersatz und Pouch mit Kontinenzsto- ma möglich:

Der Pouch mit dem kontinenten Stoma und der Notwendigkeit des Katheterismus wird eine begrenzte Indikation haben (zum Beispiel Harnableitung bei der Frau, Para- plegiker). Als technisch sehr an- spruchsvolle Chirurgie mit langer Lernkurve wird er auf wenige Insti- tutionen begrenzt bleiben.

Die Neoblase erreicht funktio- nell das geforderte Ideal des Blasen- ersatzes. Hohe Patientenakzeptanz und kurze Lernkurve für Operateure mit Erfahrung mit der radikalen Pro- statektomie (analoges Kontinenzor- gan) kommen begünstigend hinzu.

Prinzip der

Reservoirbildung

Intakte Darmsegmente entwik- keln bereits bei Füllung mit wenigen ml Flüssigkeit Drucke, die — vor al- lem nachts — über dem Harnröhren- verschlußdruck liegen. Detubulari- sierte ( = antimesenterial geschlitz- te) Darmsegmente haben dagegen eine wesentlich höhere Kapazität und einen deutlich niedrigeren

1111.1.111■1■1111■V . .

Aus der Urologischen Universitätsklinik und Poliklinik Ulm (Direktor: Professor Dr. med.

Richard Hautmann)

Dt. Ärztebl. 89, Heft 7, 14. Februar 1992 (45) A1-463

(2)

Intestinal Segments Geometric Capacity

r = 1.2cm V =271 ml

0

E r=4.8 cm

V=1085 ml

r=2.4 cm V= 542 ml

Abbildung 2: Geometrische Kapazität von 60 cm Ileum ohne und mit antimesenterialer Schlitzung und unterschiedlicher Faltung

Druck (6). Die Anordnung in W- Form vergrößert den Radius und das Volumen des Reservoirs im Ver- gleich zu intakt belassenem Darm vierfach (Abbildung 2). Die Zerstö- rung von zirkulärer Muskulatur und gerichteter Peristaltik resultiert im niedrigen Druck des Reservoirs (5, 8).

Operative Technik

Nach einer Standard-Lymph- adenektomie des Beckens und radika- ler Zystovesikuloprostatektomie wird ein etwa 60 cm langes Ileumsegment 15 cm proximal der Ileozökalklappe ausgeschaltet. Mit Ausnahme eines 7 cm langen Segmentes an derjenigen Stelle des Ileums, welche am leichte- sten zum Harnröhrenstumpf hinab- reicht, wird das Segment strikt anti- mesenterial geschlitzt, in W-Form an- geordnet und durch fortlaufende Nähte zu einer Ileumplatte vereinigt (Abbildungen 3a und b). Mittels des U- förmigen Lappens erfolgt der An- schluß an die Harnröhre; die Ureteren werden antirefluxiv implantiert (Ab- bildungen 3c und d) (3, 4, 7, 9). Erfah- rung mit der Abdominalchirurgie und dem schonenden Zugang zur mem- branösen Harnröhre vorausgesetzt, beträgt die OP-Dauer mit fünf bis sie-

Abbildung 1: Ureterokutaneostomie als Harnableitung der Vergangenheit - „ver- stümmelnde Chirurgie'

ben Stunden nur eine Stunde länger, als wenn für die Harnableitung ein Conduit angelegt würde.

Ergebnisse

215 männliche Patienten, die ein muskelinvasives Blasenkarzinom

hatten, haben ein durchschnittliches follow up > 24 Monate. Sie wurden zwischen 1986 und 1991 operiert. Das durchschnittliche Alter betrug 60,3 Jahre (23 bis 82 Jahre). Der durch- schnittliche intraoperative Blutver- lust betrug 1900 ml. Die mittlere Krankenhausaufenthaltsdauer war 33 Tage. Die perioperative Letalität be- trug 2,5 Prozent.

Fünf Patienten mußten wegen Frühkomplikationen reoperiert wer- den (Anastomosenstenose des Dünn- darms: 3, intraabdomineller Ab- szeß: 1 und Wunddehiszenz: 1). Mit Ausnahme von fünf Schleimtampona- den der Neoblase fanden sich keine neoblasenspezifischen Komplikatio- nen. Die zu erwartende allgemeine Frühkomplikationsrate bewegt sich im Rahmen vergleichbar großer chir- urgischer Eingriffe (unter anderem Lymphocele: 6, Lungenembolie: 4, Apoplex: 1).

Elf Patienten mußten wegen Spätkomplikationen operiert werden (Dünndarmstenose nach präoperati- ver Strahlentherapie: 3, Stenose der ureteroilealen Anastomosen: 2, Tu- morrezidiv der Harnröhre: 1, Fi- stel: 3, Umwandlung in einen Pouch:

2). Ein Patient erlitt eine schwere Aci- dose, rund 50 Prozent wiesen eine pas- sagere milde metabolische Acidose auf, die meist passager mit einer gerin- gen alkalisierenden Therapie behan- delt wurde.

Kontinenz: 78 Prozent der Pa- tienten sind Tag und Nacht konti- nent. 7 Prozent der Patienten klag- ten über einen geringen gelegent- lichen nächtlichen Urinverlust (< 2/Woche) (Tabelle 2). Eine ge- ringe, nicht therapiebedürftige Streßinkontinenz (gelegentliche Urinflecken in der Unterwäsche);

feuchte Einlage) hatten 9,5 Prozent der Patienten. Eine schwere thera- piebedürftige Inkontinenz trat bei 5,5 Prozent der Patienten auf (arti- fizieller Sphinkter). Das durch- schnittliche Miktionsvolumen be- trug 364 ml, die Miktionsfrequenz tags sechsmal, nachts null- bis ein- mal. Restharn und urodynamische Daten sind in Tabelle 3 zusammen- gefaßt.

A1-464 (46) Dt. Ärztebl. 89, Heft 7, 14. Februar 1992

(3)

Abbildung 3b, oben: Anordnung des detu- bularisierten Segmentes in W-Form, Bil- dung der Ileumplatte

Abbildung 3a: Auswahl eines 60 cm langen Ileumsegmentes; antimesenteriale Detubu- larisierung; U-förmiger Lappen für die Ana- stomose mit der Harnröhre

/;.:7bIlfliiiaidi1/14/.71./1111/I i 1

Abbildung 3c + d: Anastomose der Ileumplatte an den Hamröhrenstumpf von sagittal und lateral gesehen. Antirefluxive Harnleiterimplantation

Diskussion

Seit über 100 Jahren wird mit zahllosen Techniken versucht, die menschliche Blase zu ersetzen. Die Benutzung des externen Sphinkters als Kontinenzorgan beim Mann ist vorgegeben. Die Verwendung von Darm zur Reservoirbildung war we- gen seines Hochdruckverhaltens und der daraus resultierenden, vor allem

nächtlichen Inkontinenz das ungelö- ste Problem. Ein wesentliches Krite- rium bei der Bewertung der Qualität des orthotopen Blasenersatzes ist daher die Kontinenz. In den letzten Jahren wurden weltweit nahezu ein Dutzend Modifikation von Reser- voiren, die an die Harnröhre ange- schlossen werden, publiziert. Da alle aus Darm geformt werden, lag der Schluß der funktionellen Gleichwer-

tigkeit nahe. Dies ist aus heutiger Sicht absolut unzutreffend! Wäh- rend die meisten Reservoirtypen tagsüber ein gutes Kontinenzverhal- ten garantieren, tritt bei fast allen Reservoirtechniken methodisch be- dingte nächtliche Inkontinenz auf, wenn der Patient nicht mehrfach mit Hilfe eines Weckers aufsteht oder willens ist, ein Kondomurinal oder andere Hilfen zu benutzen.

Dt. Ärztebl. 89, Heft 7, 14. Februar 1992 (49) A,-467

(4)

niedrig hoch Tabelle 1: Harnableitung — Patienten-Akzeptanz

■Auffangbeutel

■Stoma

■Katheterismus

■Reoperationsrate

■Infektion

■ungestörtes „body image"

■natürliche Miktion

■Kontinenz

■sicherer oberer Harntrakt

715 ml (330-2000) maximale Kapazität

24 ml/sec. ( 5-50 ) maximaler Flow

16 ml/sec. ( 2-40 ) mittlerer Flow

Restharn 18 ml ( 0-80 )

Tabelle 3: Urodynamik bei Ileum-Neoblase — n = 109

Druck halbe Kapazität 10 cm H2O ( 0-27 ) Druck maximale Kapazität 26 cm H2O ( 8-47 ) Druck externer Sphinkter 55 cm H2O ( 20-120 )

Tabelle 4: Ileum-Neoblase — Kontinenz versus Patientenalter

< 70 Jahre (n = 63)

> 70 Jahre (n = 10) kontinent Tag/Nacht

kontinent tagsüber inkontinent Grad I inkontinent Grad III

50 60

4p

89 97 0 3

Tabelle 2: Kontinenz mit der Ileum-Neoblase n = 124 kontinent Tag/Nacht 78%

Stress I-II 9,5%

Stress III 5,5%

Enuresis 7%

Beim orthotopen Blasenersatz ist Ileum dem Kolon überlegen. Nur die Verwendung von 60 cm termina- lem Ileum ausschließlich für die Re- servoirkonstruktion, dessen komplet- te Detubularisierung und die vierfa- che Faltung garantieren in 80 Pro- zent der Patienten eine rasche (bin- nen weniger Wochen) und komplette (keine Nykturie) Kontinenz (3, 9).

Die Verwendung eines kürzeren Darmsegmentes ist zwar technisch problemlos möglich, aus metaboli- scher Sicht möglicherweise sogar günstig, sie führt aber in jedem Falle zu einem deutlich schlechteren Er- gebnis im Hinblick auf die (nächtli- che) Kontinenz. Als günstiger Um- stand kommt hinzu, daß die Ileum- Neoblase den meisten Trägern ein wahrnehmbares Signal über den Fül- lungszustand mitteilt, das sehr dem- jenigen der Originalblase ähnelt. Die Mehrzahl der Patienten beginnt dann die Miktion mit der Bauch- presse.

Eine wesentliche Erfahrung ist der Vergleich der Kontinenzergeb- nisse in den unterschiedlichen Al- tersgruppen (Tabelle 4): Während in der Gruppe der über 70jährigen nur 50 Prozent ein gutes Ergebnis errei- chen, sind 89 Prozent der unter 70jährigen mit der Ileum-Neoblase perfekt kontinent (9).

Die Ileum-Neoblase kompromit- tiert die Radikalität der vorangehen- den Zystektomie nicht, solange die onkochirurgischen Prinzipien (nega- tive Biopsie der prostatischen Harn- röhre, tumorfreie Resektionsränder) beachtet werden. Nur einer von 215 Patienten entwickelte ein Tumorre- zidiv in der Harnröhre. Die Ileum-Neoblase ist bei uns inzwi- schen zur Harnableitung der Wahl beim männlichen Patienten nach ra- dikaler Zystektomie geworden.

Literatur

1. Camey, M.; Le Duc, A.: L'entero-cystoplastie avec cystoprostatectomie totale pour cancer de la vessie. Indications, technique opera- toire, surveillance et resultats sur quatre- vingt-sept cas, Ann. Urol. 13 (1979) 114 2. Hautmann, R. E.: Harnableitung 1989, Edi-

torial. Urologe A 28 (1989) 177-182 3. Hautmann, R. E.: Egghart, G.: Frohneberg,

D.: Miller, K.: The ileal neobladder, J. Urol.

139 (1988) 39

4. Hautmann, R. E.: Egghart, G.; Frohneberg, D.; Miller, K.: Die Ileum-Neoblase, Urologe A 26 (1987) 67

5. Hinman, F.. Jr.: Selection of intestinal seg- ments for bladder substitution: physical and physiological characteristics, J. Urol. 139 (1988) 519

6. Kock, N. G.: Ileostomy without external appliances: a survey of 25 patients provided with intra-abdominal intestinal reservoir.

Ann. Surg. 173 (1971) 545

7. Le Duc, A.: Camey, M.: Teillac, P.: An origi-

nal antireflux ureteroileal implantation tech- nique: long-term follow up, J. Urol. 137 (1987) 1156

8. Sidi, A. A.: Reinberg, Y.: Gonzalez, R.: Influ- ence of intestinal segment and configuration an the outcome of augmentation entero- cystoplasty, J. Urol. 136 (1986) 1201 9. Wenderoth, U. K.: Bachor, R.: Egghart, G.:

Frohneberg, D.: Miller, K.: Hautmann, R. E.:

The ileal neobladder: experience and results of more than 100 consencutive cases, J. Urol.

143 (1990) 492-497

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Richard Hautmann Direktor der Urologischen

Universitätsklinik und Poliklinik Prittwitzstraße 43 • W-7900 Ulm A1-468 (50) Dt. Ärztebl. 89, Heft 7, 14. Februar 1992

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