den klinischen Erfahrungen tätig sind – sowie die an den Hochschulen vor- handenen Polikliniken für Umwelt- medizin, da vorwiegend ihnen das ge- samte Repertoire einer klinisch-um- weltmedizinischen, leider sehr ko- stenintensiven Fein- und Differential- diagnostik zur Verfügung steht. Da- neben kommen für die flächen- deckende Versorgung der Bevölke- rung die Praxen niedergelassener Fachärzte – in unterschiedlichen kli- nischen Disziplinen – mit der Zusatz- bezeichnung „Umweltmedizin“ in Betracht.
Die im Rahmen von umweltme- dizinischen Fragestellungen anzustre- benden präventiven Maßnahmen zie- len auf die Belastungen (chemische, physikalische, biologische, physische und psychische) ab und sollen Gefah- ren aufdecken und relevante Quellen dieser Gefahren identifizieren, um ei- ne Elimination oder wenigstens Re- duzierung der Einwirkung zu ermög- lichen. Zur Erfassung dieser Bela- stungen und einer fundierten klini- schen Bewertung der Befunde ist eine optimale Zusammenarbeit zwischen Hygiene und patientenbezogener Umweltmedizin erforderlich. Denn nur dadurch wird gewährleistet, daß die speziellen Kenntnisse und Erfah- rungen patientenbezogen eingesetzt werden und die Ziele einer Primär- prävention (Hygiene) mit denen einer Sekundär- oder Tertiärprävention (klinische Umweltmedizin) sinnvoll verbunden werden und eine kompe- tente Beratung des „Umweltpatien- ten“ erfolgen kann.
Aus diesem Grund erscheinen aus klinischer Sicht Einrichtungen der Hygiene für eine individuelle kli- nisch-umweltmedizinische ärztliche Versorgung allein nicht geeignet. Dies begründet sich durch die Tatsache, daß in derartigen Institutionen häufig weniger Ärzte, sondern zunehmend Naturwissenschaftler beschäftigt sind und daneben auch das klinisch-dia- gnostische Instrumentarium fehlt.
Umgekehrt erfordert die Bestands- aufnahme der auf den menschlichen Organismus einwirkenden Umwelt- faktoren (zum Beispiel in Wasser, Luft, Boden, Lebensmitteln, Haus- haltsmitteln) Spezialwissen aus dem Bereich Hygiene, so daß diese Aufga- ben – etwa unter Einsatz sogenannter
Ökomobile – fachkundig auch nur vom Hygieniker und nicht vom kli- nisch-umweltmedizinisch weiterge- bildeten Arzt übernommen werden können. Insofern muß die Einrich- tung eines „Umweltmedizinischen Beratungsservice“ im Rahmen eines Präventionsvertrages zwischen ein- zelnen Kassenärztlichen Vereinigun- gen und Krankenversicherungen pro- blematisch erscheinen, da nach diesen
Vereinbarungen sowohl Fachärzte für Hygiene und Umweltmedizin als auch Fachärzte mit der Zusatzbezeichnung Umweltmedizin gleichermaßen für Haushaltsbegehungen, eingehende körperliche Untersuchungen, Mes- sungen und umweltmedizinische Be- funderstellungen und Beratungen herangezogen werden sollen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang aller- dings auch die Frage, ob „Umwelt- messungen“ zur Ursachenermittlung von vermuteten Umweltkrankheiten überhaupt zu Lasten der Krankenver- sicherungen durchgeführt werden können.
Grundsätzlich ist eine individuelle Beratung auch in Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens mög- lich. Eine individualmedizinisch aus- gerichtete klinisch-umweltmedizini- sche Tätigkeit ist hier allerdings weni- ger durchführbar, da in der Regel das entsprechende Instrumentarium für die spezielle Diagnostik und Therapie fehlt. Darüber hinaus sind die Institu- tionen des öffentlichen Gesundheits- wesens definitionsgemäß nicht indivi-
dualmedizinisch ausgerichtet, sondern für Fragen zuständig, die den Gesund- heitsschutz der Gesamtbevölkerung betreffen. Eine allgemeine Beratung in diesen Institutionen ist dabei jedoch durchaus sinnvoll, um dem zunehmen- den Informationsbedarf der Bevölke- rung zu umweltmedizinischen Fra- gestellungen zu genügen. Die qualifi- zierte, sachliche umweltmedizinische Beratung ist vor allem deswegen not- wendig, weil zu- nehmend mehr Pa- tienten nicht nur durch populärwis- senschaftliche, un- qualifizierte Äuße- rungen in den Me- dien verunsichert werden. Auch ein- zelne Ärzte und selbsternannte Ex- perten (2) tragen mit falschen Be- fundinterpretatio- nen und zum Teil noch nicht einmal behördlich zuge- lassenen therapeu- tischen Maßnah- men (zum Beispiel i. v. Injektionen des Chelatbildners Dimaval) zu weiterer Verängstigung und Fixierung auf eine generell krankmachende Wirkung be- stimmter Substanzen bei (10).
Ob die zahlreichen zwischenzeit- lich entstandenen privaten Umweltkli- niken, Umweltinstitute, Umweltlabo- ratorien, Umweltagenturen, Umwelt- beratungsbüros und „mobilen Um- weltambulanzen“ zu einer Potenzie- rung dieser Ängste und zu einer multi- plikativen Wirkung im Sinne einer Zu- nahme von angenommenen Umwelt- krankheiten in der Bevölkerung führen oder ob hier wirklich qualifi- zierte, von finanziellen Überlegungen unabhängige und damit objektive Hil- fe gewährleistet wird, mag hier dahin- gestellt bleiben. So stellen einzelne niedergelassene Umweltmediziner die von ihnen vorgenommenen aufwendi- gen Immun- und Antikörperuntersu- chungen – zum Beispiel bei vermute- tem „chronic-fatigue-syndrome“ – den Patienten in Höhe von mehreren tau- send DM in Rechnung, da diese Ko- sten häufig von den Krankenkassen nicht übernommen werden. Dies ist A-2460 (42) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 39, 27. September 1996
T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE
Definition und Weiterbildungsinhalte des Bereiches
„Umweltmedizin“ nach der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns vom 1. Oktober 1993
Definition
Die Umweltmedizin umfaßt die medizinische Betreu- ung von Einzelpersonen mit gesundheitlichen Be- schwerden oder auffälligen Befunden, die von ihnen selbst oder ärztlicherseits mit Umweltfaktoren in Ver- bindung gebracht werden.
Weiterbildungsinhalt
Vermittlung, Erwerb und Nachweis besonderer Kennt- nisse und Erfahrungen in
! Prävention, Diagnose und Behandlung von Erkrankungen, die mit Umweltnoxen in Verbindung gebracht werden,
!der Erstellung umweltmedizinischer Gutachten.