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Archiv "Wissensmanagement in der Medizin: Die praktische Umsetzung ist komplex" (25.01.2008)

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edizinisches Handeln ent- wickelt sich immer mehr zu einer wissensintensiven Dienstleis- tung in einer Informationsgesell- schaft (1). Die Menge an verfügba- rem Wissen nimmt stetig zu. Einer- seits werden wir mit Informationen überflutet, andererseits finden wir nicht, was wir suchen. Die Heraus- forderung ist nicht mehr nur, mög- lichst viel Wissen zu erwerben, son- dern dieses zeitgerecht zu filtern und anzuwenden. Gerade im Ge- sundheitswesen findet eine zeitge- mäße Bereitstellung des Faktors

„Wissen“ noch nicht umfassend statt, obwohl medizinische Dienst- leistungen stark von nicht materiellen Komponenten wie Wissen abhän- gen. Kürzlich wurden die Ergebnis- se einer Befragung von Ärzten im Deutschen Ärzteblatt vorgestellt (2), wonach für diese die Informati- onsbeschaffung einen hohen Stel- lenwert hat und zur Durchführung angemessener Behandlungsschritte ad hoc benötigt wird. Obwohl in vielen Bereichen Informations- und elektronische Dokumentationssys- teme Einzug gehalten haben, ist In- formationsbeschaffung meist noch sehr zeitaufwendig und komplex.

Auch eine groß angelegte Umfrage in deutschen Krankenhäusern und Arztpraxen zeigte, dass Ärzte die Beschaffung von Informationen als wesentlich betrachten (4). Bücher und Fachzeitschriften besitzen eine hohe Akzeptanz, Informationen aus dem Internet wurden wegen der teil- weise fehlenden Qualitätsmaßstäbe zum Zeitpunkt der Untersuchung (2003) geringer eingeschätzt.

Die praxisgerechte Zusammen- führung von Wissen, die zeitkritische Verfügbarkeit und die Anwendung bereiten oft Schwierigkeiten. Drei

Beispiele demonstrieren, wie sich Werkzeuge zur Bereitstellung von Wissen in der praktischen Medizin realisieren lassen (Kästen 1–3).

Leitlinien, klinische Pfade und Standardprozeduren sind wichtige Werkzeuge, um Wissen zu imple- mentieren. Implementierung meint in diesem Zusammenhang den Transfer von Handlungsempfehlun- gen in individuelles, patientenorien- tiertes Handeln.

> Medizinische Leitlinien oder Richtlinien nationaler oder interna- tionaler Fachgesellschaften dienen dazu, umfangreiches Wissen zu ei- ner Versorgungsaufgabe darzule- gen, zu bewerten und das aktuelle Vorgehen der Wahl zu definieren.

Untersuchungen zeigen allerdings, dass diese Leitlinien oft nur unzu- reichend implementiert werden können (5, 6). Wo dies jedoch ge- lingt, kann eine Verbesserung der Versorgung erreicht werden.

> Unter „klinischen Pfaden“

versteht man ein Steuerungsinstru- ment, das die optimale Abfolge ei- nes speziellen, gut definierten Be- handlungsangebots mit seinen dia- gnostischen und therapeutischen Leistungen in einer zeitlichen Ab- folge darstellt (8).

> Standardprozeduren (engl., standard operation procedure, SOP) sind Dokumente, die das Vorgehen innerhalb eines Prozesses beschrei- ben. Häufig wiederkehrende Arbeits- abläufe werden textlich beschrieben und den Ausführenden erklärend an die Hand gegeben. Beispielsweise zeigte sich, dass die Einführung einer SOP, aufbauend auf einer Leitlinie zur Therapie von Patienten mit sep- tischem Schock, den Verlauf der Er- krankung wesentlich verbessert (9).

Wissensmanagement umfasst weit mehr als die Umsetzung von Richt- und Leitlinien, Pfaden und SOPs.

Dieses explizite Wissen ist wichtiger WISSENSMANAGEMENT IN DER MEDIZIN

Die praktische Umsetzung ist komplex

Wissen hat für eine gute medizinische Versorgung einen hohen Stellenwert.

Die Einführung eines Konzepts zum Wissensmanagement erfordert operative und strategische Maßnahmen, interdisziplinäre Zusammenarbeit und eine offene Kommunikation.

Robert Bals, Martin Middeke, Klaus Jochen Klose

Prof. Dr. med. Dr. rer.

nat. Bals: Klinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Pneumo- logie, Universitätsklini- kum Gießen und Mar- burg

Dr. med. Middeke:

Comprehensive Cancer Center, Universitäts- klinikum Gießen und Marburg Prof. Dr. med. Klose:

Klinik für Strahlen- diagnostik, Universi- tätsklinikum Gießen und Marburg Quellen medizini- schen Wissens:

Wissen, das für die Patientenversorgung relevant ist, stammt aus verschiedenen Bereichen. Erst eine sinnvolle Zusam- menführung einzel- ner Wissenskompo- nenten macht eine optimale klinische Nutzung möglich.

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Bestandteil, das implizite Organisati- onswissen „in den Köpfen“ ist wahr- scheinlich ebenso umfangreich. Ziele eines Wissensmanagements sind die Kombination von Wissensquellen aus medizinisch-inhaltlichem und prozeduralem Organisationswissen und dessen Implementierung.

In der Wirtschaft haben „Wis- sensmanagement“ und „Wissensbi- lanzen“ einen festen Platz, ohne dass Konzepte hierzu bislang regelmäßig umgesetzt werden konnten. Im Ge- gensatz zum Wissensmanagement betrachtet die Wissensbilanz das Wissen einer Organisation aus stra- tegischer Sicht und konzentriert sich auf die Messung des intellektuellen Bestands. Zur praktischen Gestal- tung und Ausarbeitung einer Wis- sensbilanz für ein Krankenhaus müssen zunächst die Inhalte einer Wissensbilanz bestimmt werden.

Dann können die Prozesse definiert

werden, mit denen eine Wissensbi- lanz erstellt und dargestellt wird. Die Wissensbilanz dient zunächst der Außendarstellung des Unterneh- mens sowie darüber hinaus auch der Feststellung des erreichten Niveaus, um dieses im Weiteren kontinuier- lich verbessern zu können. Ein Cha- rakteristikum an Kliniken ist die Fo- kussierung auf einige spezielle Leis- tungen, die dann mit hoher Kompe- tenz ausgeführt werden. Oftmals ist dieses Wissen implizit vorhanden, das heißt als Wissen, das eine Person aufgrund von Erfahrungen und prakti- schen Fähigkeiten im Sinne von per- sönlichem Know-how besitzt. Die- ses Expertenwissen ist schwierig zu fassen, in kollektives Wissen umzu- setzen oder in Bilanzen darzustellen.

Ein weiterer Punkt, der praktische Bedeutung hat, ist die Erstellung und Darstellung von Wissen, das mit Prozessen im Krankenhausbetrieb

verknüpft ist. Ein Ziel von Wissens- bilanzierung und -management ist die Identifikation solcher Bereiche, in denen prozedurales Wissen kri- tisch für den Ablauf ist, und die Kol- lektivierung des dort vorhandenen Wissens. Eine Wissensbilanz vor al- lem im Bereich der Medizin kann nur in ein umfassendes Wissensma- nagement integriert sein.

Generelle Voraussetzungen Das Konzept Wissensmanagement hat viele Ursprünge. Allgemein las- sen sich nach dem Modell von Gil- bert Probst verschiedene Kompo- nenten eines Wissensmanagements abgrenzen (12). Dieses Modell ent- wirft einen Wissenskreislauf aus verschiedenen operativen und stra- tegischen Bausteinen.

1. Am Anfang steht die Definiti- on von Wissenszielen mit der Fest- legung, in welchen Bereichen des Betriebs Strukturen des Wissensma- nagements aufgebaut werden sol- len. Im Rahmen der Operationali- sierung strategischer Ziele wird das Wissensmanagement umgesetzt.

2. Identifikation von Wissen: Zur Identifikation von Expertenwissen werden Experten innerhalb der Orga- nisation lokalisiert. Prozesswissen besteht in Bereichen, in denen Erfah- rung mit einer wesentlichen Verbes- serung der Abläufe verbunden ist.

3. Durch den Erwerb externen und die Weiterentwicklung internen Wis- sens können Prozesse im Kranken- haus neu geschaffen oder verbessert werden. Zu nahezu allen Bereichen der Medizin gibt es aktuelle Leit- linien, die einen Handlungskorridor TABELLE

Informationstechnologie im medizinischen Wissensmanagement Patientenbezogenes Patientenunabhängiges Wissen

Wissen

Groupwaresysteme (= Software zur Zusammenarbeit in einer Gruppe über zeitliche und/oder räumliche Distanz hinweg)

Inhaltsorientierte Systeme (Intranet, Portale, Dokumenten- managementsysteme)

Systeme der künstlichen Intelligenz (Expertensysteme, Text-, Data-Mining-Systeme)

Führungsinformationssysteme (= Software zur Aggregation von Informationen über den Betrieb und zur geeigneten Darstellung; Data-Warehouse, Data-Mining)

Suchdienste (intern, extern), verbunden mit medizinischen Datenbanken

Klinikinformations- systeme (KIS) Klinikarbeitsplatz- systeme (KAS) Elektronische Patientenakte (EPA) Ein wichtiges

integratives Ziel ist es,patienten- bezogene Inhalte mit patientenun- abhängigem Wissen zu vernetzen. So können beispiels- weise bei der Codierung eines ICD-Codes aktuelle Leitlinien oder lokale Pfade als Push- Service zur Ver- fügung gestellt werden.

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ΠWISSENSMANAGEMENT AUF DER INTERNISTISCHEN INTENSIVSTATION

In der Intensivmedizin werden schwer erkrankte Patienten versorgt, was die schnelle Umsetzung medizinischen Wissens in praktische Tätigkeiten erfor- dert. Die Handlungen sind oft gut definiert und abgrenzbar. Somit eignet sich der Bereich „Intensivstation“ gut, um ein Wissensmanagementsystem einzu- richten. Dazu werden die folgenden Maßnahmen durchgeführt:

>Sammeln von wichtigen Prozeduren und Krankheitsbildern, die sich als standard operation procedure (SOP) abbilden lassen. Individuelle Themen werden anhand praktischen Wissens und aktueller Leitlinien aufgearbeitet und als Schriftstück erstellt. Dieses wird nach Diskussion und Überarbeitung intern im Intranetbereich der Klinik publiziert. Bislang gibt es auf der Intensivstation des Universitätsklinikums Gießen und Marburg 15 konkrete Themenbereiche, die so umgesetzt wurden.

>Identifikation der wesentlichen Leitlinien für das Fachgebiet (hier: Innere Medizin, Pneumologie, Intensivmedizin) und Publikation im Intranet. Programmierung des Klinikinformationssystems, sodass innerhalb der elektronischen Patientenakte jedes Patienten auf die relevanten Leitlinien verwiesen wird und diese sofort zugänglich sind.

>Evaluation aller Maßnahmen in regelmäßigen Abständen (drei bis vier Monate), um sicherzustellen, dass die Inhalte aktuell sind und das System den Ansprüchen der Mitarbeiter entspricht.

>Besprechung von (Nahezu-)Fehlern und Risikosituationen (CIRS – Critical Incident Reporting System) und Einarbeitung von Sicherungs- systemen in die Praxisanleitungen.

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für die Versorgungsarbeit darstellen.

Das Wissen aus Leitlinien muss über verschiedene Kanäle zur Verfügung gestellt werden und dabei zum Teil als

„lokaler Pfad“ an die örtlichen Gege- benheiten angepasst werden.

4. Speicherung, Bewahrung und Verteilung sind wichtig, weil durch Personalfluktuation immer wieder Wissen verloren geht. Dies kann un- ter Umständen sogar die Kompe- tenz einer klinischen Abteilung ge- fährden. Die Speicherung von Wis- sen ist komplex und muss auf ver- schiedenen Ebenen erfolgen (Bin- dung von Mitarbeitern an das Unter- nehmen, Dokumentation und Vor- haltung von praktischem Prozess- wissen an kritischen Stellen, geziel- ter Aufbau von Expertenzentren, Durchführung von Seminaren und Fortbildungen gezielt unter dem

Aspekt des Wissensmanagements).

5. Die Bereitschaft von Mitarbei- tern, das Wissen des Unternehmens anzuwenden, hängt von einigen kriti- schen Komponenten ab: einfacher und schneller Zugriff auf Wissensin- halte; Unterstützung des Wissens- managements durch die Leitung des Unternehmens; wissensbasiertes Be- triebsklima; Qualität des Wissens.

Für den einfachen und schnellen Zu- griff leisten die in der Tabelle zitierten IT-basierten Dienste bereits eine wertvolle Unterstützung bei der klini- schen Arbeit.

Praktische Umsetzung

Die praktische Umsetzung eines Wis- sensmanagements in der Medizin ist mit hohem Aufwand verbunden. An erster Stelle steht die Entscheidung der Leitungsebene der Einrichtung,

dass ein Wissensmanagementsystem eingeführt werden soll. Gleichzeitig müssen die notwendigen Strukturen geschaffen und Ressourcen vorgehal- ten werden. So ist der Einsatz von Projektgruppen wichtig, die berufs- gruppen- und hierarchieübergreifend zusammengesetzt sind. Letztendlich ist auch hierbei entscheidend, dass auf Kommunikation großer Wert ge- legt wird und allen Beteiligten ver- mittelt werden kann, was der persön- liche Nutzen dieser Maßnahme ist. In diesen Teams werden Wissensziele und Verfahren festgelegt, wie Wissen identifiziert, erworben, entwickelt, bewahrt und genutzt werden kann.

Gleichzeitig sind Strukturen essen- ziell, die den Zugang zum benötigten Wissen sichern und auch aufzeigen, dass dies der persönlichen Arbeit nützt. Folgende Punkte sind beson- ders wichtig:

> Neben dem Hauptziel, der Ver- besserung der Patientenversorgung, müssen auch andere Aspekte berück- sichtigt werden, wie Zufriedenheit der Mitarbeiter, ökonomische Aspek- te, Qualitätsmanagement, Risikoma- nagement. Für Mitarbeiter stellt ein solches System eine Möglichkeit dar, die eigenen Fähigkeiten in ein Team einzubringen und gleichzeitig eine optimale Plattform für die eigene Weiter- und Fortbildung zu finden.

> Die Identifikation von prakti- schem Wissen bedarf der Kommuni- kation über bestehende interdiszi- plinäre Grenzen hinweg. Ein erhebli- cher Nutzen der Einführung eines Wissensmanagementsystems ist die Notwendigkeit, in einem interdiszi- plinären Team zu erkennen, dass das

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 WISSENSMANAGEMENT IN DER RADIOLOGIE

In der diagnostischen Radiologie gibt es seit Jah- ren Richtlinien der Bundesärztekammer für die Durchführung von Untersuchungen. Hierin wer- den die technischen Parameter, insbesondere für Untersuchungen unter Verwendung von Röntgen- strahlung, ebenso wie die technischen Anforde- rungen an die eingesetzten Geräte definiert.

Die Röntgenverordnung (RöV) aus dem Jahr 2002 schreibt darüber hinaus die Formulierung von Arbeitsanweisungen vor, in denen zusätzlich zu rein technischen Parametern weitere, prozedurale Aspekte schriftlich niedergelegt werden müssen (wie Einstelltechnik, Untersuchungsprotokolle). Die- se sind am Arbeitsplatz vorzuhalten, um im Anwen- dungsfall die Umsetzung qualitativ hochwertiger Leistungen sicherzustellen. Hierfür bietet sich der

Einsatz des Internets/Intranets an (17). Ferner schreibt die RöV die Formulierung sogenannter Überweisungskriterien vor, in denen den anfordern- den Kollegen die Angemessenheit der eingesetzten Untersuchungsverfahren dargelegt und durch den ausführenden Radiologen in der „rechtfertigenden Indikation“ abgesichert werden muss.

Um den anfordernden Kollegen bereits am Ort der Entscheidungsfindung das vorhandene Exper- tenwissen zu präsentieren, bietet sich die Darstel- lung im Rahmen eines Intranetportals an. Exem- plarisch ist dies am Beispiel der Anforderung von diagnostischen Maßnahmen für Tumorpatienten dargestellt. Hier werden Informationen zu den ein- zelnen Untersuchungsschritten angeboten, hinter- legt durch Hyperlinks zu den Quelldokumenten.

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Ž WISSENSMANAGEMENT IM COMPREHENSIVE CANCER CENTER (CCC)

Das CCC ist ein interdisziplinäres Universitäts-Tumorzentrum, das Forschung, Lehre und Krankenversorgung umfasst. Es stellt – zentral auf einem Intranetserver gepflegt – aktuelle Informationen zur Onkologie bereit. Hierzu zählen unter anderem Studienprotokolle der aktuell am Klinikum betreuten onkologischen Studien, die aktuellen Leitlinien, hausinterne Leitlinien, die Qualitätsmanagementhand- bücher des CCC und weitere Hintergrundinformationen zu Chemo- therapeutika, die aktuelle TNM-Klassifikation und ausgewählte Literatur zur Onkologie. Zur Datenhaltung, Bearbeitung und einheit- lichen Präsentation wurde auf das vorhandene Content-Management- System des Klinikums (Typo3, Open Source) zurückgegriffen. Dieses System ist mittels eines gewöhnlichen Webbrowsers von allen EDV-

Arbeitsplätzen im Klinikum erreichbar. Die Inhalte lassen sich über verschiedene Zugangswege erschließen. Geordnet nach Entitäten (zum Beispiel „Rektumkarzinom“), Dokumententypen („Studien“,

„Leitlinien“) oder organisationsspezifisch („aktuelle Literatur zum Tumorkolloquium“, „Organgruppe“) erreicht man immer die gleichen Wissensinhalte.

Der schnellste und zielführendste Weg aber führt über eine speziell entwickelte Schnittstelle direkt aus der elektronischen Patientenakte heraus. In der Stationsübersicht im Klinikinformationssystem erhält der behandelnde Stationsarzt eine auf die Patienten zugeschnittene, diagno- senbasierte Liste mit Studienprotokollen und Leitlinien, die im Intranet hinterlegt sind.

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Wissen aus allen Berufsgruppen für die Patientenversorgung wichtig ist.

> Medizinisches Wissen erneuert sich ständig, daher muss auch ein Wissensmanagementsystem auf Ver- änderung, Verbesserung und Wandel ausgelegt sein.

> Wissen aus verschiedenen Quellen muss so aufbereitet werden, dass es verwendet werden kann.

Wichtig ist vor allem die Implemen- tierung von Leitlinien und Ergebnis- sen klinischer Studien (13).

> Es gibt viele Instrumente und Kommunikationsmethoden, die ein- gesetzt werden können: Wissensaudit, Benchmarking, lessons learned, best practice sharing, story telling, know- ledge-café, communities of practice.

> Der Einsatz von IT-basierten Werkzeugen (Tabelle) zum Wis- sensmanagement trägt entscheidend zum Erfolg bei (14, 15). Die Mitar- beiter müssen in der Anwendung neuer Technologien geschult werden (16). Ein umfassendes elektronisches System zum klinischen Wissensma- nagement wurde vor Kurzem im Rahmen eines Pilotprojekts imple- mentiert (Knowledge communities im Krankenhaus, Internet: www.pro jekt-know-it.de).

Wissensmanagement fokussiert auf die operative und strategische Entwicklung und Kommunikation des intellektuellen Kapitals von Un- ternehmen. In Krankenhäusern, ge- rade auch im Hochschulbereich, ist dieser Ansatz oft noch nicht weit entwickelt. Die Umsetzung eines Konzepts zum Wissensmanagement stellt einen hohen Anspruch an die Führung eines Krankenhauses. Vor allem die Umsetzung in die Praxis bedarf einer hohen Kompetenz in der Mitarbeiterführung. Interdiszi- plinäre Zusammenarbeit und offe- ne, vertrauensvolle Kommunikation sind kritische Erfolgsfaktoren.

❚Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2008; 105(4): A 151–4

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Robert Bals Universitätsklinikum Gießen und Marburg Klinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Pneumologie

Philipps-Universität Marburg Baldingerstraße 1, 35043 Marburg E-Mail: bals@staff.uni-marburg.de

E

s ist erstaunlich: Trotz Milliar- denaufwand, trotz Auswei- tung der Ausgaben für Forschung passiert in der Therapie von wichti- gen Erkrankungen nicht mehr viel.

So geht beispielsweise die Schere zwischen dem Aufwand für For- schung und Entwicklung (FuE) und der Zahl der Zulassungen für inno- vative Arzneimittel immer weiter auseinander. Gerade die US-ameri- kanische Zulassungsbehörde FDA gerät durch diesen als Mangel emp- fundenen Zustand unter Druck; doch die erleichterte Zulassung „unreifer“

Präparate ist sicher keine Lösung, wie Beispiele gescheiterter Produkte zeigen (Lipobay®, Vioxx®).

Was ist das Problem? Aus einer Fülle neuer Therapieansätze gelan- gen nur noch selten Wirkstoffkandi- daten bis zur klinischen Prüfung, überstehen diese und werden schließ- lich zugelassen. Es scheint, als ob die Siebe immer feiner geworden

wären und immer mehr darin hän- gen bliebe. Die durchschnittliche Entwicklungsdauer eines Arznei- mittels von gut zehn Jahren und Kosten von bis zu einer Milliarde US-Dollar belegen dies.

Dabei ist es evident, dass Wirk- stoffkandidaten, die im Tierversuch künstlich erzeugte Erkrankungen günstig beeinflussten, dies am Men- schen unter Realitätsbedingungen oft nicht tun. Außerdem treten häufig Nebenwirkungen auf, die im Tierver- such nicht vorhersehbar erschienen.

Insgesamt „sterben“ mehr als 90 Pro- zent aller Substanzen nach den ersten Untersuchungen am Menschen an mangelnder Wirksamkeit und/oder Sicherheit. Schlimmer ist es aller- dings, wenn sich dies – wie im Fall von Lipobay und Vioxx – erst nach der Marktzulassung herausstellt.

Folge dieser Ineffizienz ist eine

„Götterdämmerung“ in der pharma- zeutischen Industrie, denn das Aus- laufen profitabler Patente wird an- gesichts vielfach leerer oder wenig gefüllter Pipelines nicht mehr wie früher durch wertvolle neue Patente aufgefangen. Täglich werden Stel- lenstreichungen bekannt – allein Pfizer entlässt 10 000 Mitarbeiter.

Und dies ist wohl erst der Anfang.

Hinter vorgehaltener Hand rechnet man mit einer möglichen Konzen- tration von FuE-Stellen in der phar- mazeutischen (Groß-)Industrie um 30 bis 50 Prozent in den nächsten fünf bis acht Jahren.

Verlässliche Vorhersage Als ein Hauptproblem wurde die zu geringe Anwendbarkeit präklini- scher Studien (zum Beispiel im Reagenzglas oder an Tieren) auf die klinische Situation identifiziert.

„Translation“ nennt der moderne Jargon die Forderung nach einer besseren „Übersetzbarkeit“ früher TRANSLATIONSFORSCHUNG

Wege aus der Krise

Warum erhalten Patienten neue Therapien heute seltener als früher, obwohl viel mehr Geld für die Forschung ausgegeben wird?

Mangelnde

„Übersetz- barkeit“:Um im Tierversuch das Potenzial einer Substanz für die Kran- kenbehand- lung besser beschreiben zu können, müssen neue Biomarker gefunden werden.

Foto:Caro

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit0408

@

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Entwicklungsdaten in späte klini- sche Daten. Dahinter steckt die Überlegung, dass geeignetere „Bio- marker“, also Messwerte für bio- logische Funktionen wie Blutdruck oder Entzündungszeichen im Blut, gefunden werden müssen, die im Tier- oder frühen klinischen Ver- such am Menschen das Potenzial einer Substanz besser beschreiben als bisherige Verfahren. Es geht also darum, das Versagen einer Substanz oder eines Medizinprodukts auf- grund mangelnder Wirksamkeit oder hoher Giftigkeit verlässlicher vorhersagen zu können.

Es gibt (noch) keine Wissenschaft

Die FDA hat vor drei Jahren die Critical-Path-Initiative gestartet, die durch Zusammenarbeit von Wissen- schaft und Industrie die Translation fördern soll. Die National Institutes of Health haben unter ihrem neuen Leiter, Elias Zerhouni, etwa zehn Milliarden US-Dollar investiert, un- ter anderem um zwölf Zentren für klinische Translationswissenschaft zu fördern. Unabhängig davon hat- ten einige amerikanische Univer- sitäten bereits Translationszentren gegründet, unter anderem die Duke University und die University of Pennsylvania.

Auch in Europa sind verstärkt Translationsaktivitäten zu verzeich- nen. Fast alle nationalen Forschungs- förderer erwähnen Translation in ihren Programmen als wichtig, und im neuen, siebten Rahmenprogramm der Europäischen Union hat fast je- des zweite Projekt das Wort Transla- tion in seinem Titel. Es ist wohl nicht übertrieben, von einem Hype oder zumindest einer Modeerscheinung zu sprechen, denn wir schauen hier- bei meist auf eine Phraseologie ohne wirklichen Inhalt, die lediglich das Ziel – dem Patienten zu helfen – stär- ker betont, ohne den Weg dorthin klar zu beschreiben.

Denn es gibt (noch?) keine Wis- senschaft der Translation, die in me- thodisch-systematischer Weise den Translationsprozess unterstützt. Das wichtigste Anliegen in diesem Zu- sammenhang ist daher die Schaf- fung einer Translationswissen- schaft, die die Methoden definiert

und entwickelt, die zum Beispiel zur Beurteilung der prädiktiven Potenz von gemessenen biologischen Ver- änderungen (sogenannten Biomar- kern) nötig sind, und so standar- disierte Verfahren zur Translation bereithält. Während die Prozesse der Arzneimittelentwicklung jeweils für die präklinische und klinische Phase klar definiert sind, ist dies für den kritischen Übergang zwischen beiden Phasen bislang nicht gesche- hen. Die Testbedingungen in Tier- versuchen müssten so angepasst werden, dass die gleichen Maßzah- len auch am Menschen gemessen werden können und so eine größere Vorhersagekraft erhalten. Wenn die Wirksamkeit eines Medikaments nur durch die postmortale feinge- webliche Analyse des Gehirns zu ermitteln ist, wird es schwierig, sei- ne Wirksamkeit am Menschen zu bestimmen. Wenn schon am Tier die Wirksamkeit mit auch am Men- schen anwendbaren Methoden – zum Beispiel mit bildgebenden Ver- fahren – festgestellt werden kann, ist die klinische Übertragung wesentlich einfacher. Gerade die frühe Vernetzung

präklinischer und klinischer Verfah- ren in standardisier- ter, also wiederhol- barer Weise kann die Routinebildung in der Translation fördern.

Allerdings müs- sen auch neue Ver- fahren zum Beispiel in der Statistik ent- wickelt werden, die dem explorativen Charakter vieler frü- her Untersuchun- gen mit zahlreichen

Messparametern gerecht werden, und viele Biomarker müssen erst entwickelt werden, damit sie Trans- lationsansprüchen genügen („Vali- dierung“). Auch diese Prozesse müssen wissenschaftlich standardi- siert und generalisiert werden, was die Notwendigkeit unterstreicht, ei- ne neue Wissenschaft zu schaffen.

Die Verknüpfung präklinischer und klinischer Forschung in lokalen Zentren wie in den USA ist sicher ein

erster Schritt, setzt aber Strukturen der klinischen Forschung voraus, die in Deutschland trotz erster Erfolge durch zentrale Fördermaßnahmen des Bundesforschungsministeriums bislang nur ansatzweise bestehen.

Außerdem ist gerade dieser Über- gang zwischen Präklinik und Klinik eine wichtige Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Ent- sprechende „Public Private Partner- ships“ sind allerdings nicht immer einfach zu etablieren. Entscheidend wird sein, dass die oft grundlagen- orientierten akademischen Forscher Möglichkeiten erhalten, ihre Erfin- dungen so weit zu entwickeln, dass sie für die inzwischen risikoscheue Industrie – hier spielen jahrzehnte- lange schlechte Erfahrungen mit Hochschulerfindungen eine Rolle – attraktiv werden. Dazu müssten der

„Technologietransfer“ und die „Pa- tentverwertungsstellen“ der Hoch- schulen und Länder ausgebaut wer- den, die dann die kritische Translati- on nach standardisierten Verfahren organisieren könnten. So könnten sie für die Hochschulen auslizenzierbare Produkte schaffen. Für die großen Bioregionen wird deshalb die Bildung von Translationsin- stituten vorgeschla- gen, die die Früh- entwicklung in aus- lizenzierbare Produk- te bewerkstelligen.

Die weltweite, von den USA ausgehende Betonung der Trans- lation in der Medi- zin hat eine echte Perspektive für den therapeutischen Fort- schritt geschaffen.

Wird diese Chance nicht systematisch genutzt, dürfte die Götterdämmerung nicht auf die pharmazeutische Indus- trie beschränkt bleiben; die medizini- sche Forschung geriete unter Recht- fertigungszwang und würde mög- licherweise von anderen, elementaren Menschheitsproblemen wie der Um- weltzerstörung und der Klimakatas- trophe verdrängt. Im Sinne der Patien- ten muss man deshalb appellieren:

Noch ist die Chance nicht vertan. I Prof. Dr. med. Martin Wehling Förderer der Translationswis-

senschaft:Elias Zerhouni, Leiter der National Institutes of Health

Foto:NIH

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LITERATURVERZEICHNIS HEFT 4/2008, ZU:

WISSENSMANAGEMENT IN DER MEDIZIN

Die praktische Umsetzung ist komplex

Wissen hat für eine gute medizinische Versorgung einen hohen Stellenwert.

Die Einführung eines Konzepts zum Wissensmanagement erfordert operative und strategische Maßnahmen, interdisziplinäre Zusammenarbeit und eine offene Kommunikation.

Robert Bals, Martin Middeke, Klaus Jochen Klose

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