Periduralanästhesie bei multipler Sklerose
Die Autoren beschreiben in ihrem Ar- tikel das Konzept der durch die Pati- entin kontrollierten epiduralen Anal- gesie (PCEA). Vorteil dieses Verfah- rens sei, dass durch Basalinfusion und bedarfsorientierter Anforderung ei- ner Kombination aus einem Lokal- anästhetikum und einem Opioid ein gleichmäßiger, analgetisch wirksamer Plasmaspiegel erreicht werden könne.
Bei der epiduralen Gabe von Lokal- anästhetika und Opiaten üben diese beiden Substanzen durch intraneurale Diffusion im Bereich der Spinalwur- zeln und durch Bindung an zentrale Opiatrezeptoren ihre analgetischen Effekte aus. Gerade dadurch können relevante systemische Plasmaspiegel, die unerwünschte Nebenwirkungen für Mutter und Kind darstellen kön- nen (beispielsweise Atemdepression), weitgehend vermieden werden. Anal- getische Plasmaspiegel werden bei diesem Verfahren also keinesfalls er- reicht.
Als Kontraindikation für eine Spinalanästhesie zur Sectio caesarea wird unter anderem eine bestehende multiple Sklerose aufgeführt. Die mul- tiple Sklerose ist eine häufige neurolo- gische Erkrankung und betrifft vor al- lem junge Frauen im gebärfähigen Al-
ter. Tatsächlich ist die Datenlage zur Einsatzfähigkeit einer Spinalanästhesie bei diesen Patientinnen nicht aussage- kräftig. Allerdings liegt eine Europäi- sche Multicenterstudie (1) vor, die zei- gen konnte, dass die Anwendung einer Periduralanästhesie zur Analgesie bei Spontangeburt und zur Sectio caesarea keinen Einfluss auf den postpartalen Verlauf der multiplen Sklerose hat.
Dieses Regionalverfahren kann daher diesen Patientinnen angeboten werden.
Literatur
1. Confavreux C, Hutchinson M, Hours MM, Cortinovis- Tourniaire P, Moreau T, and the pregnancy in multiple sclerosis group: Rate of pregnancy-related relapse in multiple sclerosis. N Engl J Med 1998; 339: 285–291.
Dr. med. Bernhard Heindl Guardinistraße 100 81375 München
E-Mail: heindl@ana.med.uni-muenchen.de
Schlusswort
Wir bedanken uns bei dem Autor für das fachliche Interesse an unserem Übersichtsartikel und nehmen die Ge- legenheit zur Diskussion gern wahr.
Über welchen Mechanismus epidu- ral applizierte, gut lipidlösliche Opioi- de wie Fentanyl oder Sufentanil spi- nale beziehungsweise supraspinale Opioidrezeptoren erreichen, ist letzt- lich nicht entschieden und wird kon- trovers diskutiert (1, 2). Da ein epidu- ral appliziertes Opioid vor der Bin- dung an Opioidrezeptoren im Bereich des Hinterhorns durch eine Reihe von Barrieren wie die Dura mater, die Arachnoidea, den Liquor cerebro- spinalis, die Oberfläche des Rücken- marks, die weiße und die graue Sub- stanz diffundieren muss, um letztlich einen analgetischen Effekt auf spinaler Ebene im Hinterhornbereich zu ver- mitteln, wird angenommen, dass zu- mindest ein Teil des Opioids über den epiduralen Venenplexus resorbiert und systemisch umverteilt wird. Für Sufentanil konnte von Miguel und Barlow (3) gezeigt werden, dass die nach epiduraler Applikation erreich- ten analgetischen Plasmaspiegel mit denen nach intravenöser Injektion ver- gleichbar waren. Ähnliche Ergebnisse liegen für Fentanyl (4) vor, sodass die
systemische Resorption rückenmark- nah applizierter Opioide einen wahr- scheinlichen Mechanismus für die su- praspinale Analgesie darstellt.
Die Durchführung einer Spinal- anästhesie zur Sectio caesarea bei einer Schwangeren mit multipler Sklerose stellt eine relative, primär medicolegale Kontraindikation dar. Es liegen in der Literatur Kasuistiken vor, die schildern, dass nach Durchführung einer Spinal- anästhesie bei Patienten mit multipler Sklerose erneute Krankheitsschübe auftraten (5). Als mögliche Erklärung wird eine durch den Demyelinisie- rungsprozess bedingte erhöhte Emp- findlichkeit auf Lokalanästhetika ange- geben (6). Wir sind der Meinung, dass nach ausführlicher Aufklärung der Pa- tientin und aktuellem neurologischen Befund im Einzelfall, vor allem bei in- apparentem klinischen Erscheinungs- bild der multiplen Sklerose, durchaus eine Spinalanästhesie zur Sectio cae- sarea durchgeführt werden kann. Wir stimmen mit Herrn Heindl überein, dass die Periduralanalgesie zur schmerz- armen vaginalen Geburt und zur Sectio caesarea eine probate Alternative und ein sicheres Anästhesieverfahren dar- stellt; diese Diskussion ist allerdings nicht Gegenstand des Artikels.
Literatur
1. Ellis DJ, Millar WL, Reisner LS: A randomized double- blind comparison of epidural versus intravenous fen- tanyl infusion for analgesia after cesarean section.
Anesthesiology 1990; 72: 981–986.
2. Grant RP, Dolman JF, Harper JA, White SA, Parsons DG, Evans KG, Merrick CP: Patient-controlled lumbar epi- dural fentanyl compared with patient-controlled intra- venous fentanyl for post-thoracotomy pain. Can J Ana- esth 1992; 39; 214–219.
3. Miguel R, Barlow I, Morrell M, Scharf J, Sanusi D, Fu E:
A prospective, randomized, double-blind comparison of epidural and intravenous sufentanil infusions.
Anesthesiology 1994; 81: 346–352.
4. Thomas H, Asskali F, Vettermann J: Zusatz von Fen- tanyl zur Bupivacain-Periduralanalgesie bei Sectio ca- esarea. Anaesthesist 1996; 45: 635–642.
5. Bamford C, Sibley W, Laguna J: Anesthesia and multi- ple sclerosis. Can J Neurol Sci 1978; 5: 41–44.
6. Warren TM, Datta S, Ostheimer GW: Lumbar epidural anesthesia in a patient with multiple sclerosis. Anesth Analg 1982; 61: 1022–1023.
Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Dorothee H. Bremerich Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie
Klinikum der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Theodor-Stern-Kai 7
60590 Frankfurt M E D I Z I N
A
A2970 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 45½½½½9. November 2001
zu dem Beitrag
Geburtshilfliche Anästhesie
Von den Anfängen zu den heutigen modernen Verfahren: „Ladies, this is no humbug“
von
Dr. med. Dorothee H. Bremerich Prof. Dr. med.
Manfred Kaufmann
Prof. Dr. med. Rafael Dudziak in Heft 13/2001