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Archiv "Zum Risiko durch ionisierende Strahlen: Stellungnahme II" (19.12.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

AUSSPRACHE

Stellungnahme I

Sie schreiben, daß die Auswirkun- gen künstlich erzeugter radioakti- ver Stoffe mit natürlich vorkom- menden vergleichbar seien, da

„die Strahlenwirkung . lediglich abhängig von der absorbierten Strahlungsenergie und ihrer Ver- teilung im Organismus" sei. Ich möchte Sie fragen, ob Sie ein in der Natur in relevanten Mengen vorkommendes natürliches Radio- nuklid kennen, das sich so spezi- fisch in einzelnen Geweben anrei- chert wie zum Beispiel radioakti- ves Jod?

Welche Strahlenbelastung für die Schilddrüse würde sich Ihres Er- achtens ergeben, wenn die Curie- menge, die wir mit dem natür- lichen Isotop Kalium-40 aufneh- men, als Jod-129 aufgenommen würde? Können Sie ausschließen, daß durch andere intrazelluläre Verteilungen künstlicher Radio- nuklide sich unterschiedliche Aus- wirkungen auf die Trefferquote im Bereich sensibler Strukturen erge- ben könnten als durch die intrazel- luläre Verteilung der natürlichen Radionuklide?

Meines Erachtens muß man sich vorstellen können, daß durch ein einziges Strahlenereignis eine Körperzelle so geschädigt werden kann, daß sie ihre Vermehrungsfä- higkeit verliert. Würde diese Zelle zusätzlich noch andere Verände-

rungen erleiden, würden sich die- se nicht zum Beispiel als Krebs auswirken können. Bei einer hö- heren Strahlendosis würden der- artige Kombinationswirkungen in der Zelle sicher häufiger. Daher müßte der sich dann ergebende Schaden sich zum Teil selbst blok-

kieren, so daß die Annahme einer linearen Dosis-Wirkungs-Bezie- hung die Auswirkung einer niedri- gen Strahlung unterschätzen müßte. Leider geht die ICRP aber sogar „von einem um den Faktor 5 bis 10 niedrigeren Krebsrisiko bei Bestrahlung mit sehr niedriger Do- sisleistung (im Bereich mSv/a) aus"(1)*).

Wenn eine Population von 1 000 000 Menschen eine Strah- lendosis von je 10 mSv (= 1 rem) erhält, erwartet die ICRP 26 die fol- genden Anzahlen von Krebstodes- fällen der verschiedenen Organe:

25 Brust, 20 Blut, 20 Lunge, 5 Kno- chenoberfläche, 5 Schilddrüse und 50 Verdauungsorgane ein- schließlich Leber, Pankreas und alle anderen Gewebe (2). Bei dem zur Zeit gültigen Grenzwert von 30 mrem/a durch die Expositionen von Abluft oder Abwasser einer kerntechnischen Anlage für die Bevölkerung erscheint die ge- nannte Zahl von 1 000 000 man- rem ohne Konsequenz.

An einem praktischen Beispiel möchte ich unter Annahme der ICRP 26 von 1977 die Auswirkun- gen darstellen: Bei der Wiederauf- arbeitungsanlage in Wackersdorf wurde eine C-14-Emission von 360 Curie pro Jahr für den Normalbe- trieb — das heißt ohne Störfälle — beantragt (3). Würde diese C-14- Menge über die Zeit, für die die Anlage geplant ist (40 Jahre), emit- tiert, würde sich daraus bis zum Abklingen der Radioaktivität nach Daten von Herrn Prof. Bonka (4) nur dieses einen der vielen freige- setzten Nuklide eine Kollektivdo- sis von 7 531 200 manrem ergeben

*) Literaturäste vom Verfasser erhältlich

— das heißt 941 Tote nach Anga- ben der ICRP! Der ehemalige Vor- sitzende der Internationalen Kom- mission für Strahlenschutz nennt bis zu 7000 Krebsfälle pro 1 000 000 manrem (5). Bei Annah- me dieser Zahl würde man mit 52 718 Krebsfällen durch das im Normalbetrieb der WAA Wackers- dorf freigesetzte C-14 rechnen müssen. Nicht tödliche Erkran- kungen (ICRP), Genschäden und auch Auswirkungen auf die Natur sind dabei nicht berücksichtigt!

Daraus ergibt sich, daß das 30-mrem-Konzept unseres Strah- lenschutzrechtes nicht den Scha- den durch die Nutzung der Kern- energie begrenzt. Es sorgt ledig- lich dafür, daß der Verursacher ei- nes Schadens aus statistischen Gründen nicht dingfest gemacht werden kann.

Wünschen würde ich mir deshalb, daß die Vereinigung Deutscher Strahlenschutzärzte e. V. für die friedliche Nutzung der Kernener- gie wenigstens eine Begrenzung der Kollektivdosis fordern würde.

Leider wird eine Begrenzung der Kollektivdosis, die ja für die Größe des Schadens einer Emission ver- antwortlich ist, von der Deutschen Strahlenschutzkommission abge- lehnt, weil die zur Berechnung der Schadenserwartung benötigten Risikokoeffizienten in dem zu be- trachtenden Dosisbereich nicht ausreichend bekannt seien (6).

Wegen nicht ausreichend bekann- ter Risikokoeffizienten überhaupt keine Auswirkungen für niedrige Dosen — wie es die SSK für die mit weniger als 3 !_tSvla exponierte Be- völkerungsgruppe als sinnvoll er- achtet (6) — zu berücksichtigen, halte ich für wissenschaftlich nicht haltbar. Die sich daraus er- gebenden Konsequenzen müßten meines Erachtens jeden verant- wortlich denkenden Arzt betroffen machen, wie hoffentlich die Rech- nung zur WAA Wackersdorf deut- lich macht.

Dr. med. Ernst von Kriegstein Lyraweg 1

3118 Bad Bevensen

Zum Risiko

durch ionisierende Strahlen

Stellungnahmen zu dem Beitrag von Professor

Dr. med. Wilhelm Börner in Heft 17/1986, Seiten 1208 bis 1210

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 51/52 vom 19. Dezember 1986 (47) 3619

(2)

DEUTSCHES 'ARZTEBLATT

Ionisierende Strahlen

Stellungnahme II

Das Deutsche Ärzteblatt wurde durch die Wirklichkeit von Tscher- nobyl eingeholt! Statt der ewigen Verharmlosung und Ausstellung von Persilscheinen über die „Un- bedenklichkeit" von Atomkraft- werken ist es höchste Zeit, daß wir umfassend über die tatsächlichen Gefahren und Risiken der Kern- energienutzung sowie Katastro- phenschutz- bzw. Evakuierungs- pläne informiert werden! — Oder sollen wir beim nächsten derarti- gen Ereignis der verunsicherten Bevölkerung wieder nicht mehr zu sagen haben, als was man täglich in den Nachrichten hört: „Alles vollkommen unbedenklich". Wer soll einem das noch glauben?

Dr. Michael Parys E.-Pfeifer-Straße 12 7000 Stuttgart 1

Stellungnahme III

Radioaktive Emissionen der Kern- industrie: „... zeigen Wahr- scheinlichkeitsanalysen, daß über Störfälle hinausgehende Unfälle mit möglichen gefährlichen Strah- lenexpositionen der Bevölkerung äußerst unwahrscheinlich sind".

Ein aktuelles Zitat angesichts der sowjetischen Nuklearkatastrophe in einem Kernkraftwerk! Störfall oder darüber hinausgehender Un- fall — wie ist das Ereignis in der UdSSR zu werten? Zwei (UdSSR- Information) oder 1000 (CIA-Anga- ben) Tote — ein von der „Zivilisa- tion" zum Zwecke ihrer Erhaltung zu tragendes Risiko? Sozialisti- sche Schludertechnik? — die Har- risburg-erfahrenen West-Demo- kraten sollten Ihre Systemkritik zu- rückhalten. Murphys Gesetz (was fehlschlagen kann, schlägt auch irgendwann einmal fehl) hält sich nicht an Ideologien.

Die Energiepolitik der USA seit 1977 sollte insoweit als fortschritt- liches Beispiel zur Nachahmung weltweit empfohlen werden, als sie folgendes beinhaltet:

1) Der Bau neuer Kernkraftwerke ist in den USA seit 1977 weitge- hend zum Stillstand gekommen.

Es wurde kein neuer Reaktor ge- baut.

2) Hundert geplante Kernanlagen wurden gestrichen.

Gemäß dem Primat der Ökonomie in der Marktwirtschaft kann wohl der Schluß gezogen werden: Kern- energie ist nicht nur gefährlich, sie

„lohnt sich" nicht einmal!

Ich fordere den unwiderruflichen Ausstieg aus der Kernenergie!!

Ulrich W. Niebuhr Arzt

Tiefer Weg 21 4554 Ankum

Stellungnahme IV

Gerade wenn der Beitrag den An- spruch erhebt, sachbezogene Ar- gumente aufzuzeigen, möchte ich auf Schwachpunkte hinweisen:

C) Das Risiko, im Laufe eines Le- bens an Krebs zu erkranken (200 000 von 1 000 000 Men- schen), darf nicht aufgerechnet werden mit dem zusätzlichen Risi- ko, nach einer Strahlendosis von 1 mSv (1 mrem) nach einer be- kannten Latenzzeit an Krebs zu er- kranken. Die sinnigere Bezugsgrö- ße ist wohl die jährliche Krebsrate (etwa 2660 von 1 000 000). Damit verändert sich das Risiko nach der Latenzzeit um ein vielfaches, wo- bei die statistische Schwierigkeit nicht als Beweis der gesundheit- lichen Unbedenklichkeit verstan- den werden darf.

0 Es darf nicht übersehen wer- den, daß ein Teil der „spontanen"

Krebs- und Leukämieerkrankun- gen auf die natürliche Strahlenbe- lastung zurückzuführen ist. Darauf weisen zum Beispiel auch geneti- sche Untersuchungen an Patien- ten mit DNS-Repairdefekten hin (Progerie Hutschison-Gilford, Ata- xia teleangiectasia). Die statisti- sche Nichtsignifikanz einer zu-

sätzlichen geringen Strahlenbela- stung könnte somit, übersteigert, verglichen werden mit dem Krebs- risiko eines Rauchers von 20 Ziga- retten/d in bezug auf das Risiko ei- nes Rauchers von 19 Zigaretten/d.

Dr. med. Herbert Kappauf Internist

Düsseldorfer Straße 53 8500 Nürnberg 90

Schlußwort

Der Beitrag „Zum Risiko durch ionisierende Strahlen" hat wenige Tage nach Erscheinen im Deut- schen Ärzteblatt durch den Reak- torunfall in Tschernobyl unerwar- tete Aktualität erhalten. Die Aus- führungen über Strahlenrisiken bezogen sich auf den ordnungs- gemäßen Betrieb kerntechnischer Anlagen. Auch die Vereinigung Deutscher Strahlenschutzärzte e. V. wurde durch den Reaktorun- fall in der UdSSR überrascht. Sie hat sich jedoch seit Jahren um die Fortbildung der Ärzte auf dem Ge- biete des Strahlenschutzes (u. a.

durch Herausgabe der Buchreihe

„Strahlenschutz in Forschung und Praxis") bemüht. Die bisherigen Erfahrungen mit dem Reaktorun- fall in Tschernobyl geben nach Auffassung der Vereinigung Deut- scher Strahlenschutzärzte e. V.

Anlaß, die Anstrengungen auf dem Gebiete des Strahlenschutzes zu intensivieren und vor allem die In- formation von Bevölkerung und Ärzteschaft über Strahlenrisiken zu verbessern.

Im folgenden soll auf die Fragen eingegangen werden, die Herr Dr.

von Kriegstein in seiner Leser- zuschrift stellt.

0

Die Tatsache, daß radioaktives Jod sich stark in der Schilddrüse anreichert, wird bei der Berech- nung von Organdosen und Strah- lenrisiken berücksichtigt. Bei- spielsweise kann die hypotheti- sche Frage von Dr. v. K. nach der Dosis durch J-129 ohne weiteres beantwortet werden. Die resultie- rende Schilddrüsendosis wäre et- 3620 (48) Heft 51/52 vom 19. Dezember 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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