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Archiv "Begutachtung psychotraumatisierter Flüchtlinge: Konflikt mit ärztlich-ethischen Belangen" (25.08.2003)

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ie verschärfte Asylgesetzgebung der vergangenen Jahren hat dazu geführt, dass vermehrt körperlich kranke und psychisch traumatisierte Flüchtlinge abgeschoben wurden. Etwa zeitgleich verbreiteten sich Kennt- nisse über traumabedingte psychische Krankheitsbilder in der Ärzteschaft und führten zu einer Sensibilisierung für dieses Thema. Ärzte weigerten sich zunehmend, „Reisefähigkeitsbescheini- gungen“ auszustellen oder suizidale Flüchtlinge bei der Abschiebung zu be- gleiten (9). Ärztetage beschäftigen sich seit 1996 mit dem Thema und fordern:

„Die Abschiebung darf nicht zum er- neuten Trauma werden“ (1996) oder

„Abschiebehilfe durch Ärzte in Form von Flugbegleitung, zwangsweiser Ver- abreichung von Psychopharmaka oder Ausstellung einer ,Reisefähigkeitsbe- scheinigung‘ unter Missachtung fach- ärztlich festgestellter Abschiebehinder- nisse wie zum Beispiel in Behandlung stehende Traumatisierungen sind mit in der ärztlichen Berufsordnung veran- kerten ethischen Grundsätzen nicht vereinbar“(1999). Im Jahr 2001 forderte der Deutsche Ärztetag die Bundesre- gierung auf, Flüchtlingen/Asylbewer- bern mit traumatisch bedingten Gesund- heitsstörungen ein unbefristetes Auf- enthalts- und Bleiberecht zu erteilen.

Beunruhigt von dieser Entwicklung, setzten die Innenminister zunächst ei- ne Arbeitsgruppe „Rückführung“ ein, die das Verhalten der Ärzteschaft kriti- sierte und forderte, die Voraussetzun- gen für einen zentralisier-

ten Einsatz von „bedarfs- gerecht qualifizierten“

Ärzten mit einem „bun- deseinheitlichen Standard für die Feststellung der Flugreisetauglichkeit“ zu schaffen. Im Dezember

2002 beschlossen die Innenminister, die Ärzteschaft für dieses Projekt zu er- wärmen und sie aufzufordern, ihre Ärz- tetagsbeschlüsse aufzuweichen. Aktu- eller Anlass war die politische Ent- scheidung, einen großen Teil der Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten wie Bosnien und Kosovo, die in den letzten Jahren – unter anderem krank- heitsbedingt – eine Aussetzung der Ab- schiebung (Duldung) erhielten, zügig abzuschieben.

Diese Personen seien schließlich zu- vor im Verlauf des Asylverfahrens auf Gesundheitsstörungen ausreichend un- tersucht worden. Ärzte sollen sich da- her vor der Abschiebung darauf be- schränken, die Flugreisetauglichkeit zu prüfen.

Vorwurf der

Gefälligkeitsgutachten

Die Brisanz dieser verkürzten ärztli- chen Untersuchung auf Reise- oder Flugreisetauglichkeit am Ende eines Asylverfahrens wird deutlich, wenn man den Ablauf des Asylverfahrens näher beleuchtet. Die Asylbewerber müssen ein bis drei Tage nach einer oft äußerst gefährlichen Flucht in einer Erstanhörung beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlin- ge detailliert und widerspruchsfrei ihre Asylgründe vortragen. Dies ist für die meisten von ihnen, vor allem aber für traumatisierte Flüchtlinge, eine nicht

zu leistende Anforderung (1, 3). Auf- grund ihrer traumabedingten Ge- dächtnis- und Konzentrationsstörun- gen, ihrer Sprachlosigkeit und Vermei- dung (wichtigstes Symptom der Post Traumatic Stress Disorder) sind ihre Berichte lückenhaft. Sie leben häufig in einer Welt, in der Jahreszahlen keine Bedeutung haben, und geben diese dann widersprüchlich und ungenau an.

Aufgrund von Scham und kulturellen Besonderheiten bringen vor allem un- begleitete minderjährige Jugendliche sowie Frauen und Männer nach erleb- ter sexualisierter Gewalt ehr- und schamverletzende traumatische Erleb- nisse nicht vor (5). Übersetzungs- schwierigkeiten können zu wider- sprüchlichen Angaben führen. In all diesen Fällen werden die Asylanträge ohne ärztlich-psychologische Untersu- chung der Flüchtlinge frühzeitig abge- lehnt. Auch in den meist folgenden Wi- derspruchsverfahren, in denen die Flüchtlinge häufig erst zu einem sehr späten Zeitpunkt über ihre traumati- sierenden Erfahrungen sprechen, sind Untersuchungen oder Begutachtun- gen nicht vorgesehen. Die meisten Flüchtlinge scheitern daher vor Ge- richt und erhalten nur selten ein Blei- berecht aufgrund krankheitsbedingter Abschiebehindernisse (Abschiebungs- schutz nach § 53 Absatz 6 AuslG).

Wenn sie aufgrund ihrer Beschwerden ärztliche oder psychologische Hilfe su- chen, zeigt es sich, dass viele Kollegen mit der Diagnostik oder Behandlung ihrer Störungen überfor- dert sind und sie nicht er- kennen. Die psychosozia- len Zentren für Flüchtlin- ge und Folteropfer sind wegen zu geringer Kapa- zitäten überlastet und können nur in Einzelfäl- P O L I T I K

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A2198 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 34–3525. August 2003

Begutachtung psychotraumatisierter Flüchtlinge

Konflikt mit ärztlich-ethischen Belangen

Die Innenministerkonferenz beschloss Ende 2002, Ärzte vermehrt in die Abschiebung von Asyl- bewerbern einzubinden. Sie sollen dabei ihre Begutachtung auf die Frage der Reisetauglichkeit beschränken. Auf die Ärztekammern soll eingewirkt werden, ihre Skrupel aufzugeben.

10. Fortbildungsseminar der Bundesärztekammer

Vom 5. bis 13. September findet in Würzburg das 10. Fortbildungsseminar der Bundesärztekammer statt. Es beschäftigt sich unter anderem mit der Begutach- tung psychotraumatisierter Flüchtlinge. Informationen und Anmeldung beim De- zernat Fortbildung und Gesundheitsförderung der Bundesärztekammer, Telefon:

02 21/40 04-4 15, -4 16, E-Mail: cme@baek.de.

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len Behandlung oder Begutachtung anbieten.

Das geltende Asylverfahren ist nicht geeignet, traumatisierte Flüchtlinge früh- zeitig zu erkennen, ihnen den erforder- lichen Schutz zu bieten und sie einer an- gemessenen psychotherapeutischen Be- handlung in einem stabilen und siche- ren Umfeld zuzuführen. Es bewirkt viel- mehr eine hohe Rate von Ablehnungen bei kranken Asylbewerbern, die nun oh- ne eine sorgfältige Abklärung als „ge- sund“ gelten und von Abschiebung be- droht sind. Dies führt zu einer Aktivie- rung des traumatischen Prozesses, die Flüchtlinge werden vermehrt von Alb-

träumen gequält, ihre Symptomatik ver- stärkt sich, sie werden häufig suizidal.

Eine adäquate ärztliche Behandlung ist wegen fehlender Therapieplätze und der eingeschränkten Versorgung aufgrund des Asylbewerberleistungsgesetzes auch zu diesem Zeitpunkt nicht möglich.

Vor ihrer endgültigen Abschiebung werden sie noch ein letztes Mal ärztlich untersucht. Auch wenn krankheitsbe- stätigende Atteste vorhanden sind, soll sich diese Untersuchung auf Weisung der Innenminister und Ausländer- behörden auf „Flugreisetauglichkeit“

beschränken. Es ist nicht vorgesehen, dass die beauftragten Ärzte unter Hin- zuziehung aller bisherigen Asyl- und Krankenunterlagen den gesamten Ge- sundheitszustand und die Behandlungs-

bedürftigkeit überprüfen. Sie sollen lediglich bestätigen, ob der kranke Flüchtling den Flug bis zum Zielflugha- fen übersteht und ob er dabei gegebe- nenfalls ärztliche Begleitung und Sedie- rung benötigt. Welche gesundheitlichen Folgen die zwangsweise Abschiebung und die Konfrontation mit dem Ort der erlebten Traumatisierung für einen traumatisierten Menschen hat, ist nicht die Frage, ebenso wenig die Überle- bensfähigkeit im Zielland. Betroffen sind hierbei die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Eine solche Instrumentalisierung bringt Ärz- te in Konflikte mit ihrem beruflichen

und ärztlich-ethischen Auftrag, Scha- den von ihren Patienten abzuwenden.

Die aktuelle Diskussion dreht sich vor allem um drei Fragen.

>Politiker, Richter und Behörden- vertreter behaupten, Traumatisierun- gen würden zu häufig vorgetragen und von Ärzten und Psychologen in Gefäl- ligkeitsgutachten bestätigt.

>Sie behaupten ferner, traumatisier- te Menschen könnten in ihre Her- kunftsländer abgeschoben und dort ähnlich wie andere Erkrankte behan-

delt werden, sobald in einigen Teilen dieses Landes eine gewisse Ruhe wie- der hergestellt sei.

>Sie gehen schließlich davon aus, dass psychische Traumatisierungen sich von Ärzten/Psychologen nicht eindeu- tig feststellen lassen.

Internationale wissenschaftliche Un- tersuchungen gehen davon aus, dass 20 bis 70 Prozent der Flüchtlinge, die vor kriegerischen Auseinandersetzungen ge- flohen sind, unter psychisch reaktiven Traumastörungen leiden (4, 8). In Deutschland leben mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge, es wäre also mit min- destens 200 000 traumatisierten Flücht- lingen zu rechnen. Eine entsprechende Zahl ist von Behörden und Gerichten nicht annähernd anerkannt worden.

Zur zweiten Annahme haben die wichtigsten wissenschaftlichen psychia- trisch-psychotherapeutischen Fachge- sellschaften Deutschlands in einer ge- meinsamen Stellungnahme festgestellt, dass Traumatisierte von Abschiebungen existenziell bedroht werden und in ihren Herkunftsländern nicht behan- delt werden können.*

Außerdem lassen sich Traumastörun- gen durchaus wissenschaftlich nachwei- sen, wenn die Untersucher entspre- chend qualifiziert sind (1, 2, 6). Ohne spezielle Kenntnisse kann es schwierig sein, psychisch reaktive Traumastörun- gen zu erkennen oder auszuschließen.

Zur Verbesserung des Kenntnisstandes von trauma- und kulturspezifischen Krankheitsbildern bei Flüchtlingen und Folterüberlebenden werden in letzter Zeit zunehmend Fortbildungsveran- staltungen von der Bundesärztekam- mer und verschiedenen Landesärzte- kammern angeboten. Ihnen liegen

„Standards zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen (in aufenthalts- rechtlichen Verfahren)“ zugrunde. Im Rahmen des 10. Fortbildungsseminars der Bundesärztekammer in Würzburg ist vorgesehen, unter anderem kultur- spezifische Besonderheiten und die Ar- beit mit Dolmetschern zu vermitteln.

Die Ärzteschaft hofft, auf der Basis der hier skizzierten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einem sachlichen Dialog mit der Politik zu gelangen, in dem die fachliche und ethische Unab- hängigkeit der Ärzteschaft geachtet wird. Dr. med. Hans Wolfgang Gierlichs P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 34–3525. August 2003 AA2199

*Die Stellungnahme der wissenschaftlichen Fachgesell- schaften ist im Internet unter www.aerzteblatt.de/

plus3403 abrufbar.

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das im Internet unter www.aerzteblatt.de/

lit3403 abrufbar ist.

Abschiebung von Asylsuchenden auf dem Frankfurter Flughafen: Der Deutsche Ärztetag lehn- te 1999 Abschiebehilfe durch Ärzte in Form von Reisefähigkeitsbescheinigungen ab. Foto: KNA

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