OPEN ACCESS
Freier Zugang zu Forschungswissen
Die Forderung nach freiem Zugang zu den Ergebnissen öffentlich geförderter Forschung durch die entgeltfreie Online-Bereitstellung wissenschaftlicher Publikationen
findet nicht überall Zustimmung. Aufzuhalten ist der Publikationswandel jedoch nicht.
D
ie Open-Access-Initiative hierzulande hat es nicht leicht: Zehn Jahre gibt es sie inzwi- schen, und noch immer werden Sinn und Nutzen dieser Entwick- lung kontrovers diskutiert, die brei- te Akzeptanz lässt weiter auf sich warten. Ein Höhepunkt der häufig emotional geführten Debatte war zuletzt der „Heidelberger Appell für Publikationsfreiheit und die Wah- rung der Urheberrechte“ (22. März 2009), deren Unterzeichner das„verfassungsmäßig verbürgte Grund - recht von Urhebern auf freie und selbstbestimmte Publikation“ inter- national durch Plattformen wie Google und Youtube sowie national durch die „Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen“ als nachhaltig bedroht anprangerten.
Den Wissenschaftsorganisationen werden darin „weitreichende Ein- griffe in die Presse- und Publikati- onsfreiheit“ mit grundgesetzwidri-
gen Folgen sowie „Nötigung zur Publikation in einer bestimmten Form“ vorgeworfen (1).
Zwar hatte die Allianz, der unter anderem die Deutsche Forschungs- gemeinschaft (DFG), der Wissen- schaftsrat sowie die Leibniz-Ge- sellschaft und die Max-Planck-Ge- sellschaft (MPG) angehören, die Vorwürfe gegen ihre Open-Access- Bestrebungen umgehend zurückge- wiesen. Der Vorwurf einer „Enteig- nung der Urheber“ entbehre jeder Grundlage, denn die Wissenschaft- ler blieben nach wie vor alleinige Urheber ihrer Werke. Auch seien sie frei in der Wahl ihrer primären Publikationsformen, heißt es in ei- ner gemeinsamen Erklärung (2).
Kritiker sehen in dem Heidelber- ger Appell zudem zwei voneinander unabhängige Themen unzulässig miteinander vermengt: den freien Zugang zu mit öffentlichen Mitteln geförderten Forschungsergebnissen einerseits und das umstrittene Digi- talisieren von Büchern durch Goo- gle mit den damit verbundenen un- geklärten Urheberrechtsfragen an- dererseits. Dennoch hat die Dis- kussion zur Verunsicherung vie-
ler Forscher beigetragen.
Mit Veranstaltungen wie der internationalen Open-
Access-Woche im Okto- ber in München versu- chen die Initiatoren und Befürworter daher, für den Open-Access-Ge- danken zu werben und über das Thema zu infor- mieren und aufzuklären (3). Open Access (OA)
steht dabei für das Ziel, wissen- schaftliche Texte und Daten im In- ternet kostenfrei bereitzustellen, um die Ergebnisse öffentlich geförder- ter Forschung besser und schneller zugänglich zu machen.
Chance für Schwellenländer und Entwicklungsländer
„Es ist offensichtlich, dass die zu- nehmende Forderung nach Open Access in engem Zusammenhang steht mit den Umbrüchen wissen- schaftlichen Arbeitens unter Netz- bedingungen und den neuen Mög- lichkeiten wissenschaftlicher Kom- munikation“, erklärte Prof. Dr.
Wolfgang Schön, Vizepräsident der MPG, bei einer Podiumsdiskussion zum Auftakt der OA-Woche in München.* Open Access sei ein zentrales Anliegen, das von den deutschen Wissenschaftsorganisa- tionen vorangetrieben werde. Das Ziel sei der Aufbau einer weltweit zugänglichen Plattform für wissen- schaftliches Wissen.
Die zunehmende Internationali- sierung und Vernetzung der For- schung sind wesentliche Antriebs- kräfte für Open Access. „Es ist zu einer Notwendigkeit für den wis- senschaftlichen Fortschritt gewor- den, über Ländergrenzen hinweg gemeinsam Wissen und Informati- on zu nutzen“, betonte Prof. Dr.
Rainer Jonas vom Helmholtz-Zen- trum für Infektionsforschung. Er verwies darauf, dass OA insbeson- dere Schwellenländern und sich entwickelnden Ländern die Mög- lichkeit biete, auf Forschungsergeb- nisse zuzugreifen und sich an der internationalen Diskussion der Dis-
ziplinen zu beteiligen. Durch die verbesserte Sichtbarkeit von
OA-Publikationen steige zudem die Chance, dass
*„Open Access – eine Option für alle Wissen-
schaftsbereiche?“, veranstaltet von der Arbeitsgemeinschaft Open Access der Wissen-
schaftsorganisationen
to: Fo iStockphoto
A 2238 Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 106|
Heft 45|
6. November 2009T H E M E N D E R Z E I T
Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 106|
Heft 45|
6. November 2009 A 2239 wissenschaftliche Ergebnisse ausden betreffenden Ländern auch in Industriestaaten wahrgenommen würden. Barrieren wie stetig stei- gende Subskriptionsgebühren, die den Zugriff auf aktuelle Forschung für solche Länder erschwerten und zum Teil unmöglich machten, wer- den durch Open Access vermieden, erklärte Jonas. „Open Access för- dert außerdem die Möglichkeit des Technologietransfers.“ Im Rahmen der Hilfen für Schwellenländer sei die Förderung von Innovation und Technologie ein grundlegender Faktor.
Eine Behinderung der Teilhabe an der wissenschaftlichen Diskussi- on in den betreffenden Ländern wir- ke sich hingegen nachteilig auch auf die Industrienationen aus. Wer- de den Schwellenländern der Zu- gang zur internationalen Fachdis- kussion verwehrt, könne dies dazu führen, dass Erkenntnisse etwa zu neuen Krankheitsbildern oder zu nachhaltigen Umweltschäden in den Industriestaaten nicht wahrge- nommen werden und so die effekti- ve Bekämpfung solcher Problem- felder behindert werde.
Auch Geisteswissenschaften profitieren
Während in den Natur- und Lebens- wissenschaften Open Access in den letzten Jahren an Bedeutung gewon- nen hat, gibt es vor allem in den Geisteswissenschaften noch viele Vorbehalte. Für die Leiterin des Deutschen Historischen Archivs in Paris, Prof. Dr. Gudrun Gersmann, können hingegen auch diese Diszip- linen von Open Access profitieren.
Das Institut beispielsweise gibt in kleiner Auflage die Fachzeitschrift
„Francia“ heraus und veröffentlicht gemeinsam mit Verlagen Buch - reihen, zwei sprachige Editionen, Sammelbände und Habilitationen.
Seit rund zwei Jahren arbeitet es au- ßerdem am Aufbau eines Open-Ac- cess-Angebots. Im Rahmen dieses Projekts wurden sämtliche Jahrgän- ge der „Francia“ digitalisiert und sind seit Ende 2008 komplett im In- ternet verfügbar – „für uns ein Expe- riment“, so Gersmann. Die Erfah- rungen waren jedoch positiv: Man habe mehr Rezipienten erreicht, und
die Abonnentenzahl der gedruckten Fachzeitschrift habe sich erhöht, be- richtete Gersmann. Gerade bei jun- gen Forschern oder länderübergrei- fenden Forschergruppen bestehe das Bedürfnis nach OA-Modellen, weil sie ihre Ergebnisse schnell weltweit sichtbar sehen und an der internatio- nalen Wissenschafts-Community teil- haben wollten.
Für die Geisteswissenschaften biete Open Access zudem die Chan- ce, nicht nur das kulturelle Wissen darzustellen, sondern auch metho- dische Innovationen zu fördern, meinte Prof. Dr. Gerhard Lauer, Universität Göttingen. So könnten durch OA auch innerhalb der geis- teswissenschaftlichen Fächer Zeit- schriften ein stärkeres Gewicht er- halten und dabei qualitätsfördernde Prozesse wie Rezensionen oder Peer Review etabliert werden. Bei elektronischen Publikationen sei es möglich, zusätzlich Daten zu hin- terlegen, etwa bei komplexen Edi- tionen von Handschriften oder schwer zugänglichen Quellen. Für Lauer zeichnet sich daher ein Trend hin zu mehr Datenorientierung in den Geisteswissenschaften ab.
„Open Access und die Verlags- wirtschaft schließen einander nicht aus“, stellte Dr. Anke Beck vom Verlag Walter de Gruyter klar. Aber:
„Open Access ist nicht kostenlos zu haben.“ Der mittelständische Ver- lag, dessen Hauptgeschäftsfelder im geisteswissenschaftlichen Be- reich liegen, hat inzwischen ver- schiedene Kooperationsmodelle für OA entwickelt, darunter institutio- nelle Mitgliedschaften, Publikati- onsfonds, Community-Fee-Modelle und hybride Modelle (Veröffentli- chung von gedruckten Werken und parallel dazu frei verfügbare Auszü- ge im Netz).
„Wir gehen davon aus, dass wir nicht mehr Erlöse machen, sondern dass sich die Erlösströme verschie- ben werden“, erläuterte Beck. So macht de Gruyter Zeitschriftenarti- kel, Monografien und Buchkapitel über die eigene E-Book-Plattform Reference Global (www.reference- global.com) frei zugänglich. Circa 2,3 Millionen Seiten sind inzwi- schen auf dieser Plattform verfüg- bar. Für die OA-Publikation wis-
senschaftlicher Arbeiten in Koope- ration mit einem Verlag sprechen der Expertin Beck zufolge hoch- wertige Verlagsdienstleistungen, die weiterhin Geld kosten und eine Ein- nahmequelle der Verlage darstellen.
Hierzu zählen Services wie bei- spielsweise die Arbeit in multi - lingualem Kontext, erprobte Ver- triebskanäle im In- und Ausland, die Veredelung von Produkten (et- wa durch Indices, Abstracts, Kon- textualisierung von Artikeln) und die Archivierung.
Fehlender Impact-Faktor verhindert Akzeptanz
Ein wesentlicher Grund für die feh- lende Akzeptanz von Open-Access- Angeboten bei Wissenschaftlern ist häufig das Fehlen des Impact-Fak- tors. In dem von der DFG geförder- ten Projekt Open-Access-Statistik soll daher eine technische Infra- struktur aufgebaut werden, über die Daten für alternative Verfahren zur Bestimmung des Impact-Faktors ei- ner Publikation erhoben werden können. Ziel ist es, von verschiede- nen Servern Nutzungsdaten wissen- schaftlicher Dokumente zu sam- meln, um so künftig zu einer diffe- renzierteren Bewertung als bei al- leinigem Rekurs auf den Impact- Faktor zu gelangen.
Auch Hochschulleitungen sind häufig noch zögerlich bei der Um- setzung von OA-Richtlinien. An- lässlich der Aktionswoche hat die Arbeitsgruppe Open Access in der Allianz der deutschen Wissen- schaftsorganisationen daher eine neue Informationsbroschüre vorge- stellt, die Positionen und Prozesse zu diesem Thema in der europä - ischen Wissenschaftslandschaft zu-
sammenfasst (4). ■
Heike E. Krüger-Brand
LINKS
1. www.textkritik.de/urheberrecht/index.htm (Heidelberger Appell)
2. www.wissenschaftsrat.de/texte/allianz_er klaerung_25–03–09.pdf (Gemeinsame Er- klärung der Wissenschaftsorganisationen) 3. www.open-access.net (Plattform der deut-
schen Initiative)
4. www.allianz-initiative.de/fileadmin/open access.pdf (Informationsbroschüre „Open Access – Positionen, Prozesse, Perspekti- ven“)