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Ukraine, Kaukasus und Zentralasien

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7/2003 I N T E R N A T I O N A L E P O L I T I K 5 3

S T A N D P U N K T E

von Alexander Rahr

I

n den neunziger Jahren vollzog sich zwischen den Vereinigten Staa- ten, Russland, Iran, der Türkei, China und den Anrainerstaaten das

„Große Spiel“ um die Kontrolle über das kaspische Öl und Gas.

Heute zählt auch Afghanistan zu dieser geopolitischen Region, und das

„Great Game“ hat mit dem Krieg gegen den internationalen Terroris- mus eine zusätzliche sicherheitspolitische Dimension erhalten. Afgha- nistan und Pakistan werden wahrscheinlich auf Jahre hinaus Brutstät- ten des internationalen Terrorismus bleiben; im Nordkaukasus tobt seit fast zehn Jahren der Tschetschenien-Krieg, der sich jederzeit auf Geor- gien ausweiten könnte.

Neben den Gefahren des islamischen Terrorismus und der illegalen Herstellung von Massenvernichtungswaffen birgt die kaspische Region ein gewaltiges energiepolitisches Potenzial. Hier lagern die künftigen Öl- und Gasreserven für Europa, die angesichts der zunehmenden Kri- sen im Nahen und Mittleren Osten schon heute als Alternativen für die Energieversorgung Europas betrachtet werden müssen. Aus diesem Grund ist ein Land wie die Ukraine als Transitland für Energieträger nach Europa so interessant und muss unbedingt in künftige Strategien eingebunden werden.

Die Vereinigten Staaten bemühen sich um die Stabilisierung der Süd- flanke der ehemaligen Sowjetunion. Washington betreibt eine Eindäm- mungspolitik gegenüber Russland und Iran – denjenigen Ländern, die zuvor den kaspischen Raum kontrolliert hatten. Die USA halfen den neuen Staaten, ihre Kommunikations-, Handels- und vor allem Pipeli- nerouten von Russland zu diversifizieren. Die Regierung von Bill Clin- ton stand Pate bei der Errichtung der so genannten GUUAM-Organisa- tion, die heute als Alternative zu der von Russland gelenkten Gemein- schaft Unabhängiger Staaten (GUS) besteht. Benannt nach den An- fangsbuchstaben der Mitgliedsländer Georgien, Ukraine, Usbekistan, Aserbaidschan und Moldau soll die GUUAM künftig den neuen Ost- West-Transportkorridor sicherstellen und die frühere Nord-Süd-Achse Moskau-Teheran neutralisieren.

Ukraine, Kaukasus und Zentralasien

Wie die Europäer das „Great Game“ verschlafen

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Die Regierung Clinton hatte durch ihre Aktivitäten praktisch schon einen Brückenkopf im kaspischen Raum erobert. Nach den Terror- angriffen vom 11. September 2001 fand die neue Regierung unter George W. Bush in dieser Region offene Türen vor für die Stationierung ihrer Truppen für den Krieg gegen Afghanistan. Heute besteht nirgends mehr ein Zweifel daran, dass der Südkaukasus (mit Ausnahme Arme- niens) und Zentralasien (mit Ausnahme Kasachstans) eine Einfluss- sphäre der Amerikaner darstellen. Die Amerikaner, nicht die Europäer, werden Einfluss auf den bald anstehenden Elitewechsel an der Spitze der kaukasischen und zentralasiatischen Länder haben.

Die Europäer versuchten anfangs, den Amerikanern bei diesem

„Great Game“ zu folgen. In der Pariser EU-Charta von 1990 wurde der kaspische Raum als Gebiet „gesamteuropäischer Interessen“ bezeich- net, doch schreckte die EU vor jeglichen „geopolitischen“ Ambitionen im Kaukasus und Zentralasien zurück. Zwar wurde der Aufbau des Ost- West-Transportkorridors, der die kaukasischen und zentralasiatischen Länder aus der geostrategischen Isolation und der Kontrolle Russlands hätte führen sollen, von der EU mittels groß angelegter Projekte geför- dert. Doch diese Förderungsprojekte öffneten nicht, wie anfangs er- hofft, die Tür zu verstärkten westlichen Firmeninvestitionen in die

„moderne Seidenstraße“. Anders als die USA vermied die EU im kaspi- schen Raum auch jegliche Konflikte mit Russland und Iran. Als sich nach dem Amtsantritt des russischen Präsidenten, Wladimir Putin, die russische Wirtschaft in rasantem Tempo zu erholen begann, verringer- ten die Europäer sogar ihr Engagement im kaspischen Raum und gaben Russland die Möglichkeit, seine Funktion als Hauptbrücke zwischen der EU und Asien zurück zu erobern.

Anders als im Falle des unmittelbar an die EU grenzenden Balkans empfinden die Europäer, was den kaspischen Raum angeht, noch kei- nen Handlungsdruck. Kaum jemand in Westeuropa kann sich heute den Kaukasus oder Zentralasien als Mitglieder der EU oder NATO vor- stellen. Die europäische Politik folgt im postsowjetischen Raum dem Primat der Menschenrechte und fordert von den kaukasischen und zentralasiatischen Ländern den schnellen Aufbau einer Zivilgesellschaft und die Errichtung eines Rechtsraums. Die USA gehen bei der Verfol- gung eigener strategischer Interessen in der Region weniger streng mit den autoritären und korrupten Regimen um, denn sie wünschen sie sich als Verbündete. Die Herrschaftseliten in den betreffenden Ländern belächeln den europäischen Ansatz, den Islam „zivilisieren“ zu wollen.

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Bundeskanzler Gerhard Schröder forderte am 8. November 2001 vor dem Deutschen Bundestag ein größeres europäisches Engagement in Zentralasien. Daraufhin entstand ein neues Zentralasien-Konzept der Bundesregierung, welches sich jedoch wieder ausschließlich auf den wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Aufbau in der kaspischen Region konzentrierte. Doch die entscheidenden Schritte müssen von Brüssel aus erfolgen. Tatsächlich rief das Europäische Parlament im Fe- bruar 2002 die Europäische Kommission und den Rat dazu auf, eine Strategie für den kaspischen Raum zu entwerfen und anschließend um- zusetzen. Der Krieg in Afghanistan war eben zu Ende gegangen, der Irak-Krieg stand kurz vor dem Ausbruch. Die EU befürchtete, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus auf das „Great Game“

im kaspischen Raum ausgeweitet werden könnte, und suchte nach eige- nen Vermittlungsmöglichkeiten und vor allem nach konkreten Maß- nahmen zur präventiven Friedenssicherung und Konfliktlösung im Kaukasus und in Zentralasien.

Iran – ein wichtiger Akteur im „Great Game“ – rückt nun immer stärker ins Visier der amerikanischen Antiterrorkampagne. Ein neuer Streit zwischen Amerikanern, Europäern und Russen über das Vor- gehen gegen Iran ist nicht ausgeschlossen. Die EU, die immer wieder Anstrengungen unternommen hatte, in der kaspischen Region eine ei- gene Strategie zu entwickeln, kann heute das „Great Game“ nicht beein- flussen. Für den Kampf um die Kontrolle über das kaspische Öl und Gas fehlen den Europäern die politischen Argumente und die notwendigen Machtinstrumente. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, durch in- nere Strukturdefizite und Uneinigkeit gelähmt, sind nach den ame- rikanisch-europäischen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg in den Augen der Vereinigten Staaten diskreditiert.

Alexander Rahr ist Leiter der Körber-Arbeitsstelle Russland/GUS des Forschungsinstituts der DGAP, Berlin.

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