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Der globale Krieg: In China begann das Schlachten schon früher NZZ

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1937: Chinesische Soldaten ergeben sich den japanischen Truppen.

 Hulton Archive / Getty

«Vergisst man die Leiden der Vergangenheit, führt dies zu Unheil in der Zukunft», gab 1946 der chinesische Jurist Mei Ru’ao, Richter am

Internationalen Fernost-Militärtribunal in Tokio, das über japanische Kriegsverbrechen zu Gericht sass, zu bedenken. Bezogen auf den Zweiten Weltkrieg in Ostasien gilt dieser Satz bis heute.

Ähnlich wie in Europa erfolgte auch in Ostasien die Aufarbeitung der Kriegsereignisse nur sehr zögerlich. Sie blieb vor allem ein nationales chinesisches Projekt. Man erinnerte sich an den Welt-Krieg ohne den Faktor «Welt», blendete die europäischen Kriegsschauplätze weitgehend aus. Jede Nation – China, Japan, Korea – ordnete die Kriegserfahrungen

Der globale Krieg: In China begann das Schlachten schon früher

Kein anderes Land der Welt ausser der Sowjetunion hat im Zweiten Weltkrieg mehr gelitten als China. Die Erinnerungen daran belasten

die Beziehungen zu Japan bis heute. 

Sabine Dabringhaus 01.05.2020, 06.00 Uhr

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in ihr jeweiliges Nachkriegsnarrativ ein.

Bis heute ringen die einstigen Kriegsgegner China und Japan um die Deutungshoheit. China hält die Erinnerung an die zahllosen

Grausamkeiten der japanischen Kriegführung wach, während japanische Regierungen sich nie zu mehr als minimalen Schuldeingeständnissen herbeigelassen haben. Themen wie die Darstellung der Kriegsjahre in Schulbüchern, die Zwangsprostitution chinesischer und koreanischer

«Trostfrauen» oder die Besuche japanischer Politiker am Yasukuni- Schrein, in dem auch verurteilte Kriegsverbrecher verehrt werden, haben immer wieder die internationalen Beziehungen in Ostasien belastet.

Einigkeit herrscht in China wie in Japan darüber, dass der Zweite Weltkrieg für die jeweilige Nationalgeschichte eine ebenso wichtige Zäsur war wie für Europa. In China bedeutete er das Ende eines

Jahrhunderts imperialistischer Interventionen und führte geradewegs zur kommunistischen Machteroberung von 1949. In Japan endete die Epoche von Militarismus und imperialer Expansion.

Als in Europa am 1. September 1939 der Krieg begann, war er in Ostasien bereits im Gange; dort dauerte er von 1931 bis 1945. Ab dem 18. 

September 1931 besetzte die japanische Kolonialarmee innerhalb weniger Monate die riesige Mandschurei; Anfang 1932 bombardierte sie das Wirtschaftszentrum Schanghai. 1937 wurde eine neue Stufe der Eskalation erreicht, als am 7. Juli lokale chinesische Truppen bei

Peking eine japanische Provokation mit eigenem Feuer erwiderten. Aus diesem Scharmützel entwickelte sich der Japanisch-Chinesische Krieg, der in Japan als «China-Zwischenfall» verharmlost, in China als

«Antijapanischer Widerstandskrieg» in die Revolutionsgeschichte eingeordnet wird.

Während in Europa erst wenige einen grossen Krieg heraufziehen sahen, war der östliche Teil Chinas zum Schlachtfeld von Massenheeren

geworden. In breiter Front stiess die kaiserliche japanische Armee von der Mandschurei und Nordchina aus entlang der Küste nach Süden vor.

Eine von Tschiang Kai-schek angeordnete Zerstörung der Deiche am Gelben Fluss tötete Zigtausende von Zivilisten und führte zu einer katastrophalen Hungersnot, stoppte aber den Vormarsch der Japaner Kaiserlicher Imperialismus

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nicht. Im August 1938 nahmen sie die Metropolen Wuhan in

Zentralchina und Guangzhou im Süden ein. Die industrielle Basis in den Küstenregionen wurde vom Hinterland isoliert und der japanischen Kriegswirtschaft nutzbar gemacht. Im Zuge der Eroberung der damaligen chinesischen Hauptstadt Nanjing fielen dort in den sechs Wochen ab dem 12. Dezember 1937 über 200 000 Menschen einem unvorstellbar grausamen Massenmord japanischer Truppen an der Zivilbevölkerung und an Kriegsgefangenen zum Opfer. Diesem

«Nanjing-Massaker» sollte später eine wichtige Rolle in der chinesischen Erinnerungskultur zukommen.

Zwar gelang es dem «Freien China» der Nationalregierung Tschiang Kai- scheks, die sich jenseits der Reichweite japanischer Waffen ins

Landesinnere zurückgezogen hatte, die Sympathie der

Weltöffentlichkeit für sich zu gewinnen, doch blieb konkrete Hilfe aus.

Bis zum Kriegseintritt der USA nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 stand China gegen Japan allein. Vor allem in Nordchina waren hinter den japanischen Linien kommunistische

Guerillaverbände aktiv. Aber auch ihnen gelang es nicht, die Japaner nennenswert zurückzudrängen. Sie banden freilich viele japanische Kräfte und trugen dazu bei, dass sich die japanische Kontrolle auf die Grossstädte und die strategisch wichtigen Eisenbahnlinien beschränkte.

Der Guerilla-Kampf wurde zur Schule einer ganzen Führungsgeneration der Kommunistischen Partei, als deren wichtigster Vertreter später der Partisanenkommandant Deng Xiaoping (1904–1997) hervortreten sollte.

Hungrige Chinesen belagern einen Laden in Schanghai der billigen Reis verkauft.

Hulton Archive / Getty

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Nach Pearl Harbor verband sich der chinesisch-japanische mit dem neuen japanisch-amerikanischen Krieg, zu dessen Hauptschauplatz der Pazifische Ozean wurde. Der «Grosse Krieg in Asien» ging in einen globalen Konflikt zwischen zwei Blöcken über. Die Frontlinie des Zweiten Weltkrieges verlief nun mitten durch China. Präsident Franklin D. 

Roosevelt veranlasste die symbolische Aufnahme Chinas in den Kreis der alliierten Führungsmächte, was nach Kriegsende zu Chinas Status als permanentes Mitglied des Uno-Sicherheitsrates führte.

Der Zweite Weltkrieg endete in China freilich nicht dank militärischen Siegen über die japanische Armee, sondern als Folge des japanischen Zusammenbruchs nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945. Ungefähren Schätzungen gemäss hat der Krieg in China 4 Millionen militärische und 18 Millionen zivile Opfer gekostet.

Bis zu 40 Prozent der Bevölkerung waren zu Flüchtlingen geworden.

Auch der wirtschaftliche Schaden war gewaltig. Kein anderes Land der Welt ausser der Sowjetunion hat im Zweiten Weltkrieg mehr gelitten als China. China war daher alles andere als ein Nebenschauplatz im Zweiten Weltkrieg.

Für die chinesischen Kommunisten erwies sich der Antijapanische Krieg als Vorbereitungsphase für ihren unausweichlichen Kampf gegen das Regime von Tschiang Kai-schek, der im Grunde schon 1927 begonnen hatte. Sie nutzten das Machtvakuum ab September 1945, um sich im Bürgerkrieg (1946–49) endgültig als politische Kraft in Festlandchina durchzusetzen.

Das Kriegsende 1945 war für China eine nicht minder einschneidende Zäsur als für Europa. Das halbe Jahrhundert japanischer Aggression war vorüber, Grossbritannien zu schwach, um mehr als Hongkong

zurückzugewinnen. Die dominierende Siegermacht USA konzentrierte sich auf die Neuordnung Japans und vermied ein Engagement in China.

In China wurden die Ereignisse vom Spätsommer 1945 wie überall in Asien als Befreiung empfunden. Jedoch nichts von dem, was

«Befreiung» heissen konnte, war bereits endgültig erreicht worden. Im Grunde ging der Krieg unmittelbar in eine anderweitig konfliktreiche Nachkriegszeit über. In diesen Zusammenhang gehört die Gründung der Volksrepublik China im Oktober 1949.

Pearl Harbor als Wendepunkt

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Staatschef Mao Zedong verkündet die Gründung der Volksrepublik China in Peking am 1. Oktober 1949.

AP

Der kommunistische Staatsaufbau und die Wiedervereinigung des lange Zeit zerrissenen Landes unter Mao Zedong erhielten zunächst Priorität.

Mao mobilisierte ständig das Volk im Kampf gegen wechselnde

«Staatsfeinde» und liess keine öffentliche Diskussion über die Kriegserfahrungen zu. Auch gegenüber den japanischen

Kriegsverbrechen übte sich Peking in Zurückhaltung: So wurden zum Beispiel noch 1956 in den Städten Shenyang und Taiyuan 1108 japanische Militärangehörige und Zivilisten vor Militärtribunale gestellt, aber nur 45 verurteilt, davon keiner zum Tode. Die meisten von ihnen durften nach einigen Jahren in ihre Heimat zurückkehren. 1972 nahmen China und Japan diplomatische Beziehungen auf.

In der chinesischen Propaganda wurde zwischen «einer kleinen Handvoll japanischer Militaristen» und dem japanischen Volk

unterschieden, das selbst Opfer des japanischen Militarismus gewesen sei. In den 1970er Jahren wusste Chinas Jugend kaum etwas von den japanischen Kriegsverbrechen. Wie leicht sich Kriegserinnerungen politisch instrumentalisieren liessen, zeigte sich dann aber während der wachsenden Spannungen zwischen China und Japan in den 1980er Jahren. Neue Geschichtsmuseen und Gedenkstätten, Filme und Bücher mahnten zur Erinnerung an die chinesischen Kriegsleiden. Im Zuge patriotischer Erziehungskampagnen wurden Chinas Schulen in den Kultivierung der Opferrolle

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1990er Jahren instruiert, an die historischen Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg zu erinnern.

Die Digitalisierung der Medien schuf neue Möglichkeiten. Persönliche Erinnerungen chinesischer Kriegsveteranen wurden als wertvolle Quellen entdeckt und breit zugänglich gemacht. Eine frühe chinesische Website nannte sich «China 9-18», um an das Datum des japanischen Überfalls auf die Mandschurei 1931 zu erinnern; sie schürte einen wahren Online-Krieg gegen Japan. Die Staatsführung nutzte das Leitmotiv der chinesischen Opferrolle als Kernelement ihres offiziellen Nationalismus. 2014 – fast 70 Jahre nach Kriegsende – wurden nationale Gedenktage eingeführt: der 3. September als Erinnerung an den «Sieg über die japanische Aggression» 1945 und der 13. Dezember als

Erinnerung an das Nanjing-Massaker von 1937.

2015 liess Xi Jinping den 3. September mit einer grossen Militärparade feiern, wie sie bisher nur am Nationalfeiertag stattgefunden hatte. Sie war Höhepunkt einer gegen Japan gerichteten Propagandakampagne, mit der Xi dem «Geschichtsrevisionismus» der japanischen Regierung begegnen wollte. Gegen spontane antijapanische Proteste in der Bevölkerung schritt die Regierung jedoch ein. Sie vertrugen sich nicht mit der fortdauernden offiziellen Linie, dem japanischen Volk keine

«Kollektivschuld» vorzuwerfen. Eine künftige Annäherung an Japan sollte nicht an der Kriegserinnerung scheitern.

Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Länder rund um den Globus waren betroffen von der Katastrophe, die mindestens 55 Millionen Tote forderte. In unserer Artikelserie fokussieren wir auf weniger bekannte Schauplätze.

Wir schauen auf Staaten und Regionen, die in der westlichen

Erinnerungskultur oft vernachlässigt werden, aber mannigfach in den Weltkrieg verwickelt waren – mit Folgen bis heute. Lesen Sie nächste

Sabine Dabringhaus ist Professorin für ostasiatische Geschichte an der Universität Freiburg im Breisgau.

Der globale Krieg

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Woche einen Beitrag über die «Senegalschützen».   Mehr zum Thema

Sowohl die Nazis als auch die Alliierten warben im Zweiten Weltkrieg um die Unterstützung der Araber. Die dadurch befeuerten Unabhängigkeitsbestrebungen liessen sich nach 1945 nicht mehr stoppen.

Am 1. Oktober 1949 rief Mao Zedong die Volksrepublik China aus. Es begann eine Geschichte von radikalen Experimenten und Hungersnöten, von

marktwirtschaftlichen Reformen und Massakern. Heute fordert eine hoch technologisierte Diktatur die

westlichen Demokratien heraus.

Der globale Krieg: Stunde null im Nahen Osten

David Motadel 23.04.2020

Ein gigantisches, waghalsiges Experiment:

70 Jahre Volksrepublik China

Klaus Mühlhahn 29.09.2019

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