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WAS MAN WEISS - WAS MAN WISSEN SOLLTE KIAUS-PETER ULBRICH ZUR FUNKTION VON THEMATISIERUNGEN IN ZETTUNGSKOMMENTAREN

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KIAUS-PETER ULBRICH

WAS MAN WEISS - WAS MAN WISSEN SOLLTE

Z U R FUNKTION VON THEMATISIERUNGEN IN ZETTUNGSKOMMENTAREN

1.

Was man weiß, was man wissen sollte: Der in den 60er Jahren allseits beliebte Showmaster Heinz Maegerlein stellte seine Fragerunde immer dann unter dieses Motto, wenn bestimmte Wissensbestände der Kandidaten getestet werden sollten, die sich auf das bezogen, was man Bildungswissen nennt, aber auch Kenntnisse über Tagesaktualitäten, wie sie auf der Nachrichtenagenda stehen.

Das Lesen und Verstehen von Zeitungskommentaren scheint nun ähnliche Wis- sensstrukturen vorauszusetzen, denn es gehört zur Eigenart dieser Textsorte, po- litisch-aktuelle Ereignisse auf begrenztem Raum in möglichst umfassender Weise zu beurteilen. So interessant die Frage nach den Daten, auf denen Argumentation und Meinung in Kommentaren gründen, auch ist: die Praxis zeigt, daß entspre- chende Untersuchungen zumeist den meinungsbetont-persuasiven Aspekt Jener Textsorte betonen und dabei deren informative Komponenten vernachlässigen.

Dies ist u.a. durch den Stellenwert von Kommentaren im bundesrepublikanischen Nachrichtenwesen zu erklären. Gemäß dem Objektivitätspostulat wird dort näm- lich versucht, die als rein informativ geltenden Nachrlchtenformen von denjenigen, die Meinungsäußerungen erlauben, nach Maßgabe spezieller Verfahren zu tren- nen. Im Femsehen handelt es sich bei Kommentaren um eine eigenständige Prä- sentationsform, die gesondert angekündigt wird. Bei den Printmedien stehen in der Regel besonders gekennzeichnete Rubriken mit eigenständigem Layout zur Verfü- gung. Inwieweit überhaupt Meinung und damit Subjektivität in den informie- renden Präsentationsformen vermieden werden kann oder sollte, ist Gegenstand einer noch immer nicht abgeschlossenen, kontroversen Diskussion1. Im Gegensatz zu dieser Fragestellung scheint es aber offensichtlich, daß Kommentare und ent- sprechende Präsentationsformen, die das Einbringen von Subjektivität erlauben, ihrerseits ohne ein gewisses Maß an Information nicht auskommen. In welcher Welse hier auch Immer Argumentation und Meinung i'orherrschen; mit der Ver- ständigung darüber, was gerade Gegenstand der Diskussion ist, sind notwendi- gerweise sprachliche Informationshandlungen verbunden2.

In Kommentaren ist nun ein typisch enger Zusammenhang zwischen Infor- mationshandlungen und binnentextlichen Thematisierungsstrategien festzustellen.

Da der Raum für Informationen knapp bleibt, verweisen die Kommentatoren zwar auf die zugrundeliegenden Tagesaktualitäten, behandeln diese aber offenbar in

Vgl. dazu die präzise Aufarbeitung der ObjektMtätsproblematik bei Huth 1977.

Der Zusammenhang ergibt sich definitionsgemäß, wenn man Kommunikation als

"gemeinsame Aktualisierung von Sinn, die mindestens einen der Teilnehmer Infor- miert" (Luhmann 1975: 42), auffaJSt.

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funktionaler Abhängigkeit von Kriterien der Thematlsierbarkeit nach Maßgabe textsortenspezlflscher Auswahlprozesse.

Im Folgenden soll nun untersucht werden, wie Kommentare als unter mas- senmedialen Bedingungen entstandene Produkte die Rezipienten mit Bezug auf diese Thematisierungsvorgänge informieren und in welcher Weise die Auswahl der in Kommentaren enthaltenen Information durch vermutete Wissensbestände be- einflußtwird.

Als Untersuchungskorpus steht eine Sammlung von Kommentaren zur Ver- fügung, die sich allesamt auf den Feiertag "17. Juni" beziehen. Diese Kommentare entstammen der Frankfurter Allgemeinen Zettung, der Frankfurter Rundschau, der Regionalzeitung Gießener Allgemeine und der Lokalzeitung Weilburger Tageblatt Der Sammlungszeitraum erstreckt sich über die gesamte Nachkriegszeit bis ein- schließlich 1990.

2. Der Kommentar als Text: Information und Thematisierung

Wenn man die Grundfunktionen des Texttyps Kommentar in die des Referierens, des Reflektierens und die des Folgems einteilt3, so lassen sich die Informations- handlungen der Funktion des Referierens zuordnen. Diese ist nämlich, umgesetzt in das Schema "Kommentar", in denjenigen Textelementen repräsentiert, die text- organisatorisch gerade die Handlungsform des Thematisierens erfüllen. Da wir es hier mit Kommentaren zu tun haben, die im allgemeinen auf Nachrichtenaktuali- täten reagieren, soll das, was als Thematisieren bezeichnet wird, auch auf Nach- richteninhalte im weitesten Sinne beschränkt bleiben.

Demgemäß sind themenbezogene Informationen In Kommentartexten auf zwei zu unterscheidenden Ebenen zu beschreiben:

Es sind dies zunächst diejenigen Informationen, die sich erwartbar um die öf- fentlichen Themen ranken, also um diejenigen Themen, die Luhmann als in der Öffentlichkeit akzeptierte und sich deshalb durch ständige Kommunikation wei- terentwickelnde Sinnkomplexe bezeichnet4. Hier sind es vor allem die Nachrichten, die bestimmte Themenkomplexe durch wiederholte Aktualisierung an jeweils den neuesten, dazugehörigen Ereignissen öffentlich institutionalisieren und damit auch in Kommentaren diskutierbar machen. Kommentatoren haben durch die Vorbereitung In den Nachrichten die Chance, aus diesem Vorrat an Themen, denen sie allgemein-öffentliche Akzeptanz unterstellen können, als Horizont stän- dig präsenter Möglichkeiten wählen zu können. Allerdings schränkt die Nachrich- tenlage die Kommentierbarkeit zur Diskussion stehender Themen eben durch Ihre vorbereitende Auswahl in nicht unerheblichem Maße ein.

Die zweite Ebene ist die der tatsächlichen Thematisierung zumindest eines die- ser Themen im Kommentartext selbst.

Das beginnt mit der Festlegung auf ein Rahmenthema, eine Art Bezugsthema, dem der Kommentar inhaltlich-konkret zuzuordnen ist. Ein derartiges Rahmen-

3 Vgl. dazu Ramge 1991.

4 Vgl. Luhmann 1971.

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thema, das Textreferenzfokus und SchreibanlajJ zugleich anspricht, ist z.B. mit der Formulierung des Ordnungsbegriffes für die hier zugrundeliegende Textsammlung gegeben, die sich, wie beschrieben, auf den 17. Juni bezieht.

Bei der Auswahl solcher Themen spielen in der Regel Kriterien der Aktualität und der Relevanz die entscheidende Rolle. Eis schließen sich aber weitere Aus- wahlprozesse an, die nun eher Möglichkeiten der weniger institutionalisierten und mithin subjektiveren Einflußnahme eröffnen.

Kommentatoren können und müssen nämlich die Referenzfunktion auf ein not- wendiges Maß reduzieren, um den eigentlichen, kommentarspezifischen Hand- lungsformen des Problematisierens und des Evalulerens Raum geben zu können.

Diese Auswahlprozesse innerhalb des gegebenen Themenrahmens betreffen haupt- sächlich Art und Umfang der Informationen einmal zum eigentlichen Fokussie- rungsakt, sodann zu den Aspektualisierungen und schließlich zu Anknüpfbarkei- ten und Entfaltungsmöglichkeiten. Damit leisten die Informationen zusätzliche Orientierungshilfen in Hinsicht auf die Festlegung des Kommentargegenstandes, auf Funktionen der thematischen Einbettung und auf die Verbindungen mit zu- sätzlichen Themen auf der Teiltextebene5.

Im Gegensatz zu Nachrichten sind Kommentare also solche Textformen, die Themenauswahl und Auswahl der dazugehörigen Information als bewuJJte und zu- sammenhängende Akte gestatten. Freiräume für eine subjektive Dosierung von Information sind vor allem auf der Ebene der funktionalen Ersetzbarkeit von Themen und ihren Aspektualisierungen im eigentlichen Text zu erwarten. Dies ge- schieht in Abhängigkeit von Strategien der Themenmodalisierung sowie der Be- wertungs- und Argumentationsrichtung. Neben diesen Faktoren, die die im Text selbst zum Ausdruck kommende Meinung betreffen, wird die in Kommentaren anteilig vorhandene Information aber offensichtlich vom Jeweils gewählten Aus- schnitt aus dem Themen-/Inhaltshorizont festgelegt, denn dieser repräsentiert ein Stadium im öffentlich-historischen Kommunikationsprozeß um Jenes Thema.

Kommentare gehören, wenn man diese Beschreibung zugrundelegt, zu den we- nigen Textformen, in denen Thema und Meinung gekoppelt sind, und setzen damit dem für öffentliche Informationsvorgänge ansonsten so wichtigen Aspekt der Tren- nung von Thema und Meinung ein funktionales Äquivalent entgegen. Sie tun dies ohne den Zwang zur Selbstdarstellung, der etwa Politiker auszeichnet, wenn diese ihre Meinung zu Themen kundtun, aber eben auch ohne den Zwang zur Wieder- gabe möglichst der wichtigsten konträren Meinungen zu einem gewählten Thema, wie es etwa in den Nachrichten gefordert wird.

3. Der Rezeptionsaspekt: Thematisierung und Vorwissen

Rezipienten von Nachrichtenmedien, in unserem Fall also die Leser von Ver- öffentlichungen der Tagespresse, sind in den Augen der Redakteure zwar ein di- sperses Publikum, heterogen also in bezug auf individuell einschätzbare Persön- lichkeitsstrukturen, doch mufJ gerade massenmediale Information auf einen Vgl. zum Aspekt der Anknüpfbarkett von weiteren Themen Brinker 1985, bes. 59 ff., sowie zuletzt Lötscher 1987.

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Grundbestand sinnhaft strukturierter Erwartungen zurückgreifen können, um so Relevanz und Wert der vermittelten Inhalte abzuschätzen. Der Informationswert von Nachrichten besteht dabei in der erwartbaren Überraschung durch das Be- richten neuer Ereignisse und deren Einbettung in den thematisch vorstrukturier- ten Kenntnisstand, der als ein gemeinsamer vorausgesetzt wird.

In Kommentaren dagegen hat der informative Teil eine grundsätzlich andere Funktion: Er dient dazu, Kenntnisse und Wissensstrukturen bei den Rezlpienten wachzurufen, die u.a. bereits durch die klassischen Medien und ihre Berichter- stattung angeeignet worden sind. Der Informationswert besteht dabei In der Wie- dererinnerung früherer Thematisierungen von Ereignissen und in Ihrem Ver- weischarakter bezüglich der Einsetzbarkelt dieser neu aktualisierten Themenkom- plexe im Textzusammenhang, d.h. in Ihrer Relevanz bezüglich textstrategischer Plazierungsmöglichkeiten.

Kommentatoren setzen also einen gemeinsamen Wissensstand über Nach- richteninhalte - vor allem diejenigen aktueller Nachrichten - voraus. Zusätzlich zu dieser Art von Informiertheit wird Jedoch In Abhängigkeit von der Historizität des zugrundeliegenden Rahmenthemas mehr oder minder auf gemeinsame kommunl- kationsgeschichtliche Erfahrungsbestände verwiesen.

Im Unterschied zu Kommentaren, die Ereignisse der Tagespolitik zum Gegen- stand haben, wird der Leser eines Kommentars zum 17. Juni kaum auf fachspezi- fisches Wissen, d.h. Wissen über fachimmanente Handlungslogik und Verfahrens- weisen zurückgreifen müssen. Vielmehr wird der Brückenschlag zwischen Basis- daten und Zukunftsentwürfen einer Argumentation hier erwartbar stärker auf der Grundlage eines historisch gewachsenen Melnungsspektrums zu diesem Themen- komplex vollzogen. Und zu diesem Meinungsspekirum rechnen sich verständli- cherweise die Kommentatoren selbst hinzu. Dies entspricht einer Eigentümlichkeit des Schemas Kommentar, die darin besteht, nicht revolutionär eigene Meinung hervorzustellen, sondern evolutionär einen Beitrag zu fortschreitender, sich unter Konsensbedingungen entwickelnder Problemlösung zu leisten. Damit wird über eine Verbindung von Thema und Meinung mit der historischen Entwicklung des- sen, was sich bisher an Meinungsäußerungen und entsprechenden Thematisie- rungen zu dem Im Kommentar angesprochenen Gegenstand konstituiert hat ge- rade im Bereich des Eingehens auf Einzelaspekte wie auch der Themenverknüp- fungen eingeschränkt Mit anderen Worten:

Bei geschichtsträchtlgen Themen scheint sich in besonderem Maße ein zweites, inhaltlich-assoziatives Schema herauszuschälen, welches Themen-Meinungs- geflechte unterhalb eines bestimmten Textrahmenthemas durch kommunikations- geschichtliche Erfahrung im angesprochenen Bereich erwartbar macht.

4. Der 17. Juni als Rahmenthema

Bei diachroner Untersuchung der Kommentarsammlung unter inhaltsanalytischen Gesichtspunkten lassen sich insbesondere fünf Themenkreise nennen, die im Verlaufe der Jahre zu festen Bestandteilen von Kommentaren zum 17. Juni gewor- den sind und damit hochgradig erwartbar waren:

- Der 17. Juni als historisches Ereignis (= Geschehnisse des 17. Juni 1953)

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- Politische und gesellschaftliche Entwicklung der DDR

- Politische und gesellschaftliche Entwicklung der Bunderepublik Deutschland - Der 17. Juni als alljährlich wiederkehrender Feiertag

- Politisch-aktuelle Diskussion der Wiedervereinigung

DaJS sich ein solch limitiertes und standardisiertes Themenspektrum ermitteln läßt. 1st nicht zuletzt auf das spezifische Zusammenspiel von Themen- und Ereig- niskomplexen zurückzuführen, die das Thema von den meisten anderen möglichen Rahmenthemen unterscheidet Beim 17. Juni nämlich handelt es sich um ein Er- eignis, welches gleichwohl nicht die Merkmale eines typischen Ereignisses auf- weist Es fehlt der Überraschungswert: es fehlt an erwartbaren aktuellen Möglich- keiten der Bezugnahme auf politlsch-verfahrensgesteuerte Handlungen, die als Aufhänger funktionleren könnten; wenn schließlich politische Handlungen thema- tisiert werden, sind diese, der handlungslogische Rahmen sowie etwaige Kommu- nikationen In bezug auf den gesamten Komplex Im politischen System allenfalls diffus verankert. D.h. die sich bei anderen Rahmenthemen fast wie von selbst an- schließenden, konventionalisierten Aktualisierungen von weiteren Themen werden hier entweder überhaupt nicht oder nur rudimentär realisiert.

Kommentare zu diesem Tag werden nötig, well er als stetig wiederkehrender Feiertag herausragende historische, problembeladene Bedeutung hat Insofern sind Kommentare In diesem Fall stärker als bei den anderen Themen zeitge- schichtliche Dokumentationen, deren Augenmerke auf die zu besprechenden und zu behandelnden Problembereiche und -ausschnitte sich entwicklungsgemäß wandeln. Dementsprechend zeigt sich hier ein Phänomen in ganz besonderem Maße, welches aber dennoch - wenn auch in weniger bestimmender Welse - bei anderen Rahmenthemen ebenfalls zum Tragen kommt.

Die funktionale Umsetzung der genannten Themenbereiche auf die schema-spe- ziiischen Handlungs- und Orientierungsschritte Fokussleren und Themenmo- dallslerung folgt den Aspekten der Institutionalisierung der angesprochenen ge- sellschaftlichen Subsysteme und Ihrer Handlungsbereiche.

Beim 17. Juni handelt es sich dabei um den Instltutionallsierungsprozeß zum Feiertag und die Aufarbeitung der entsprechenden Verfahrensproblematik, d.h. Im einzelnen zunächst um den reinen Verwaltungsakt später dann um Folge- probleme: schließlich werden bestimmte Inhalte, wie etwa die Diskussion um die Wiedervereinigung eng mit der Thematisierung des Feiertages gekoppelt.

5. Die Themenkreise von Kommentaren zum 17. Juni

Die folgenden kurzen Besprechungen von vier der fünf Themenkreise haben den Zweck zu zeigen, inwieweit sich Vorwissensstrukturen den historisch-dokumenta- rischen Weiterentwicklungen Im Fokussierungsbereich der Kommentare zum 17.

Juni angleichen müssen.

5.1. Der 17. Juni als historisches Ereignis

Bei der Analyse der Kommentare unter diesem Aspekt fällt besonders deutlich auf, daß gerade zu den Zeiten, in denen die Erinnerung an das Ereignis des Volksauf-

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standes noch frisch ist die Beschreibung des Hergangs oft einen erheblichen Raum in Anspruch nimmt Besteht bei den frühen Kommentaren etwa 1/6 des Textes aus Beschreibungen des Ereignisses, so reduziert sich diese Form von Be- richterstattung mit der Zeit sukzessive bis zur bloßen Erwähnung einiger zugrun- deliegender Fakten bei den letzten Artikeln. Dies erklärt sich zum einen natürlich aus der Verbitterung und emotionalen Beteiligung der frühen Kommentare, zeigt aber auch. daJ5 Informationshandlungen offensichtlich nicht die Textintention

"Informieren", sondern die zuvor schon beschriebene "Erinnerung" leisten, denn ansonsten wäre Ja erwartbar gewesen, daß gerade Kommentare der 70er und 80er Jahre den jüngeren Lesern die Geschehnisse erläutern würden. Wenn dies nicht der Fall ist müssen auf der anderen Seite diese Leser über das entsprechende Vorwissen verfügen.

Im übrigen verlagern sich die den 17. Juni betreffenden Informationen von der Orientierungsphase in andere Textfunktionen, wo sie als Untermauerung für mo- ralisierende Thematisierung und Argumentation dienen6.

5.2. Politische und gesellschaftliche Entwicklung der DDR

Es liegt auf der Hand, daß zu diesem Aspekt verhältnismäßig häufige Information geliefert wird, kann doch vorausgesetzt werden, daJ5 bei Lesern über die reinen Nachrichtenfakten hinaus recht wenig Wissen um dieses Thema vorherrscht. So übernimmt der Kommentator hier die Rolle des kompetenten Berichterstatters vor allem der Lebensverhältnisse und Stimmungslagen. Dabei muJ3 er im Gegensatz zu Nachrichtensprechern bzw. -moderatoren nicht unbedingt den Objektivitätsforde- rungen genügen. Und tatsächlich lassen die vielfältigen Zustands- und Stim- mungsberichte in den meisten Fällen keine Rückschlüsse auf irgendeine Art von Recherche zu. Da aber dem Kommentator von der Rezipientenseite her entspre- chende Fachkompetenz unterstellt und er auf diese Weise als objektiver Vermittler derartiger Information eingeschätzt wird, kommt den oft routinehaften Schilderun- gen bestimmter Stimmungslagen, wie der sich abzeichnenden Lethargie. Opportu- nismus und vor allem Konkurrenzhaltungen zu westlichem Lebensstil eine beson- dere Rolle zu. Dies umso mehr, als die zunächst ausführlichen Schilderungen später zu stichwortartigen Stereotypen gerinnen.

Informationen über das politische System DDR dagegen gehören in den Bereich der Nachrichteninhalte, die stets diffus verortet werden und einen entsprechend informierten Zeitungsleser voraussetzen.

5.3. Politische und gesellschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland

Informationen dieser Art werden funktional mit Bezug auf zwei der übrigen The- menbereiche eingesetzt: Zum einen mit Bezug auf die geschichtliche Entwicklung

Eine Gefahr der Manipulation, die von moralisierenden Themen-Meinungskomplexen ausgeht, sieht Luhmann bei der Institutionalisierung solcher Themen. (Vgl. dazu Luh- mann 1971: 14)

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In der DDR, wobei im Vergleichsmodus vor allem Sättigung und Saturiertheit the- matisiert werden. Der Leser, Ja selbst im System Bundesrepublik verhaftet, wird dabei auf seine eigene Alltagserfahrungen verwiesen, die als wechselseitig akzep- tierbare Basis für Evaluüonen herangezogen werden können.

In wesentlich stärkerem Maße und mit der Dauer ausschließlich beziehen sich diese Informationen dann jedoch auf die Thematisierung des Feiertages und seiner Institutionalisierung.

5.4. Der 17. Juni als Feiertag

Die Thematisierung des Feiertages weist keine systematischen Verlagerungs- tendenzen auf, d.h. er wird in unregelmäßigen Abständen immer wieder einmal zum Kommentarthema erhoben, oft aber auch nur in der Problematisierungsphase angesprochen. Auffallend häufig Jedoch wird der Feiertag als Institution zumeist problemlos vorausgesetzt und wiederum in unregelmäßigen Abständen lediglich fallweise problematisiert. Im letzteren Fall führt die Problematisierung zur Diskus- sion um Sinn und Adäquatheit einer Institution Feiertag, wobei Wlssensbestände aufgerufen werden, die neben den handlungslogischen Aspekten der verfahrens- technischen Ein- und Absetzung von Institutionen auch die moralisch-ethischen Aspekte beinhalten müssen.

Dabei zeigt sich eine enge Verbindung mit der Diskussion um die Wiederver- einigung, die zunächst als Argument für die Beibehaltung des Feiertages, später ebenso unhlnterfragt wie der Feiertag selbst als dessen Zwecksetzung eingesetzt wird. Ein Verfahren über Zweckprogramme zu rechtfertigen, birgt Jedoch das Ri- siko einer allzu engen Verknüpfung auch jedes einzelnen Verfahrensschrittes mit der Zweckfrage, so daJ5 sich diejenigen Kommentare, welche den Feiertag als In- stitution akzeptieren, von der Diskussion allgemeiner machtpolitischer Fragen hin zur Art und Weise des Begehens des Tages entwickeln. Auch hier werden nun die bereits beschriebenden Alltagserfahrungen angesprochen, denn die Realität des alltäglichen Tagesablaufs entspricht offensichtlich nicht der geforderten Zweckset- zung. Und das ist das Charakteristische an Kommentaren aus den 80er Jahren:

Sie nehmen die Diskussion um die Art und Weise auf. wie der Feiertag begangen wird, und entfalten auf der Grundlage dieser Aspektualisierung die weitere Argu- mentation. Die Positionen und Schlußfolgerungen im argumentatlven Teil themati- sieren dann wieder folgerichtig Ziel- und Zwecksetzungen.

6. Zusammenfassung

Bei Kommentaren zum 17. Juni sind hinsichtlich ihrer thematischen Entwicklung über den Zeitraum von 1954 bis 1990 folgende Tendenzen zu beobachten:

Je weiter fortgeschritten ein Kommentar als Teil eines Thematisierungsprozesses zu seinem Rahmenthema ist, desto mehr ist er zu verstehen als reflektierend-wie- derholender Aufbereiter einer Kommunikations- und damit Diskussionsgeschichte zu diesem Thema. Besteht das Rahmenthema, wie es beim 17. Juni der Fall ist, selbst in einem historisch relevanten Ereignis bzw. in entsprechenden Folgehand- lungen, die turnusmäßig Anlaß zum Schreiben eines Kommentars bieten, so erge-

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ben sich umso stärkere Beziehungen der binnentextlichen Thematisierung zum In- stitutionalisierungsprozeß der Folgehandlungen. In gleichem Maße müssen sich die Vorwissensstrukturen bei den Lesern entwickeln. Muß der Rezipient zunächst nur über den Anlaß und die Umstände der Institutionalisierung Bescheid wissen, entkoppeln sich gewissermaßen die Zwecksetzungen - hier des Feiertages - vom Anlaß und orientieren sich im Verlaufe der Zeit zunehmend an Verfahrensfragen und Zukunftsentwürfen. Schließlich werden Kenntnisse über Routineprogramme, sowohl was verfahrenstechnische als auch was alltagsoiienüerte Abarbeitungen angeht, nötig.

Dieser notwendige, historisch-kumulative Wissensaufbau entspricht dem In- formationsstand, den der ideale Leser durch die Thematisierungsprozesse der bis- herigen Kommentarlektüre erworben haben kann.

Das eigentümliche Verhältnis von zweck- und routineprogrammatischem Wis- sen, das Kommentare auf diese Weise beim Leser aktualisieren, führt jedoch zu einer ebenso eigentümlichen Verzahnung von Ziel- und Zwecksetzungen mit dem Bestandsproblem der betroffenen Institutionen selbst. D.h. bezogen auf das Thema 17. Juni ergibt sich hier eine kommentarspeziflsche, freilich folgenreiche und zu kritisierende Tendenz zu restriktiven Sichtweisen von Handlungen und Schlußfol- gerungen, die oft zu Formulierungen führen wie der folgenden Aussage: "Wer den Feiertag abschafft schafft damit auch die Wiedervereinigung ab!"

LITERATUR

Brinker K. 1985. Linguistische Textanalyse. Berlin

Huth L. 1977, Ereignis, Objektivität und Präsentation in Fernseh-Nach- richten, in: H. Friedrichs (Hg.). Politische Medienkunde. Band 3, Tutzing. pp. 103-123

Lotscher A. 1987. Text und Thema. Studien zur thematischen Konstituenz von Texten, Tübingen

Luhmann N. 1971, öffentliche Meinung, in: N. Luhmann (Hg.). Politische Pla- nung, Opladen, pp.9-34

Luhmann N. 1975, Sinn als Grundbegriff der Soziologie, in: J. Habermas/N.

Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, Frankfurt/Main, pp.25-100

RamgeH. 1991, Dialogisches in politischen Zeitungskommentaren, in: S.

Statl/E. Weigand/F. Hundsnurscher (Hg.), Dialoganalyse Dl. Re- ferate der 3. Arbeitstagung Bologna 1990. Teil 2, Tübingen.

pp.217-229

Referenzen

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