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10 Die Zeit, da die alttestamentlichen Theologen glauben konnten, im wesentlichen allein aus dem Alten Testament die Geschichte Israels und seiner Religion entwerfen zu können, ist jetzt endgültig vorüber

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(1)

Ägyptische Parallelen zum Alten Testament.

(Vortrag, gehalten auf dem Historiker-Kongreß zu Berlin, August 1908.) Von

Hermann Gunkel.

Während die alttestamentliche Forschung in den letzten Jahr¬

zehnten von Seiten der Assyriologen mit neuem Material geradezu

überschüttet worden ist, hat sich die Ägyptologie, einige Aus¬

nahmen abgerechnet, in einer davon stark abstechenden Weise auf

ihr eigenes Gebiet beschränkt und den Forschern des Alten Testa- 5

ments nur selten Material vorgelegt. Wir Theologen glauben die

Motive solcher Zurückhaltung zu kennen und wissen sie zu schätzen.

Trotzdem wird es bei dieser Haltung der Ägyptologen nicht auf

die Dauer bleiben können. Denn die alttestamentliche Forschung

bedarf ihrer Mitarbeit. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. 10

Die Zeit, da die alttestamentlichen Theologen glauben konnten,

im wesentlichen allein aus dem Alten Testament die Geschichte

Israels und seiner Religion entwerfen zu können, ist jetzt endgültig

vorüber. Wir haben gelernt, daß Israel nicht wie auf einer ein¬

samen Oase, sondern mitten unter den Völkern gelebt hat, so daß 15

die Geschichte , auch seines geistigen Lebens , nur dann verstanden

werden kann, wenn man sie in die allgemeine Geschichte des

Orients einstellt. Eine besonders enge Beziehung aber hat Israel

stets zu Ägypten gehabt; war doch Ägypten unter allen Gro߬

mächten der Politik und der Kultur Israel geographisch die nächst- 20

liegende, ist doch Kanaan zu verschiedenen Zeiten von Ägypten

politisch abhängig und zu allen Zeiten mit ihm durch den Handel

verbunden gewesen, und ist doch der Boden Kanaans — das haben

die Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte deutlich gezeigt — seit

einer für Israel prähistorischen Periode mit ägyptischem Wesen 25

erfüllt gewesen. „Nicht nur das ägyptische Handwerk" — sagt

Erman 1) — „und nicht nur die ägyptische Kunst werden nach

Palästina und Syrien gewandert sein , auch so manches aus der

ägyptischen Gedankenwelt und der ägyptischen Poesie wird die

gleiche Straße gezogen sein." So haben wir also guten Grund, 30

1) Kultur der Gegenwart I, 7, S. 38.

(2)

in den Literaturprodukten Israels nach ägyptischem Einfluß zu

forschen und etwa in der hehräischen Sprache nach ägyptischen

Fremdworten zu suchen. Aber auch da, wo von Beeinflussung

keine Rede sein kann, nehmen wir doch den Hinweis auf Parallelen,

5 d. h. auf ähnliche Erscheinungen aus anderem Gebiet, gern ent¬

gegen. Das Material, das der alttestamentlichen Forschung vor¬

liegt, ist ja viel zu beschränkt, als daß wir nicht dankbar

dafür sein müßten, wenn uns für eine israelitische Größe irgend

eine ähnliche aus einem anderen Volke dargeboten wird , deren

10 Vergleichung mit der israelitischen , auch wenn zwischen beiden

keine unmittelbare Beziehung vorliegt, stets von hohem Werte

ist. Oft mag es gelingen, eine im Alten Testament vorkommende,

aber dort isolierte Erscheinung aus dem Zusammenhange, den eine

verwandte in einem fremden Volke hat, zu verstehen. Oft mag

15 unser Blick für das eigentümlich Israelitische durch Vergleich mit

dem Fremden geschärft werden. So vergleichen wir z. B. das

israelitische Königtum mit dem ägyptischen und finden für israe¬

litisches Volkstum und israelitische Religion charakteristisch , daß

sich Israel niemals auf die in Ägypten übliche Vergötterung der

20 Könige eingelassen hat. Solcher V.ergleichungspunkte sind natürlich

bei zwei Völkern , auch wenn sie beliebig herausgegriffen sind und

in keiner geschichtlichen Beziehung stehen, unendlich viele. Um

so mehr haben wir beim Aufsuchen der Parallelen und bei den

Schlüssen daraus mit äußerster Vorsicht zu verfahren. Man wird

85 versuchen müssen, die Fehler zu vermeiden, die auf anderem Gebiet

und jetzt schon auch auf dem unsrigen so reichlich gemacht worden

sind. Zugleich haben wir uns nach einem Faden umzusehen , auf

den wir die Einzelerscheinungen aufreihen können. Fürchten Sie

aber nicht , daß ich Ihnen ein ägyptisch israelitisches „System"

so irgend welcher Art vorlege. Nicht von oben will ich anfangen,

sondern ganz bescheiden von unten. Ich will Ihnen nur Material

darbieten , nur Erscheinungen nennen , die sich in beiden Völkern

ähneln. Und nicht Behauptungen will ich vortragen , sondern

nur Fragen stellen. Ich werde kaum den Versuch machen,

35 Israelitisches von Ägyptischem abzuleiten, sondern nur diejenigen

literarischen Hauptgebiete bezeichnen, auf denen sich

Parallelerscheinungen finden, denen nachzugehen lohnt.

Dabei lasse ich, soweit es möglich ist, die Religion ganz aus dem

Spiele; sjnd doch ägyptische und israelitische Religion in ihrem

40 Wesen verschieden. „Es gibt keinen größeren Gegensatz" — sagt

Ed. Meyer 1) — „als zwischen dem pantheistischen , in zahllosen

Namen und Gestalten auftretenden Mysteriengott der ägyptischen

Kultur und dem streng persönlichen Gott der Semiten und speziell

Israels." „Wer hier Entlehnungen sucht, kennt weder die ägyptische 45 noch die israelitische Religion." Nur beiläufig sei erwähnt, daß

1) Israeliten 449.

(3)

man seit alters die hebräische Beschneidung von der ägyptischen

abgeleitet hat 1), und — was den Ägyptologen vielleicht nicht be¬

kannt ist — daß im sogenannten 8. Makkabäerbuche ein Fest der

alexandrinischen Juden vom 7.—14. Epiphi erwähnt wird, das auf

ein ägyptisches zurückgehen dürfte 2). Im folgenden werde ich B

nicht sowohl über Religion handeln , sondern mich auf einige

Literaturgattungen und Hauptstoffmassen beschränken. Trotzdem

hoffe ich, daß meine Ausführungen beiden Teilen, den alttestament¬

lichen Theologen wie den Ägyptologen, vielleicht nicht ganz unnütz

sein werden, indem ich den Ägyptologen zeige, auf welchem Gebiet 10

die alttestamentliche Forschung ihrer Mitarbeit bedarf, und den

alttestamentlichen Gelehrten, an welcher Stelle ägyptische Parallel¬

erscheinungen vorliegen.

Ich beginne mit dem Gebiete der Erzählungen, den Mythen,

Sagen und Märchen; ist doch gegenwärtig allgemein an- is

erkannt, daß in den Literaturen der Völker kaum etwas anderes

so international zu sein pflegt als die Erzählungen , an denen sie

sich ergötzen. Und wenn unsere alttestamentliche Sagen- und

Motivforschung gegenwärtig auch erst in den Anfängen liegt, so

hat sich doch so viel schon mit voller Sicherheit herausgestellt, 20

daß auch die israelitischen Erzählungen in reichstem Maße an dem

großen internationalen Stoffe teilnehmen. Nun haben die Ägypter

gern und gut erzählt. So dürfen wir gerade bei ihnen Parallelen

zu alttestamentlichen Erzählungen erwarten. Aber bisher ist uns,

soweit mir bekannt, recht wenig einschlagendes Material vorgelegt 2»

worden. Eine Ausnahme bildet das bekannte Märchen . von der

verläumderischen Ehebrecherin, das Gegenstück zu einer der Joseph -

geschichten. Hier pflegt man gewöhnlich ohne Bedenken Abhängig¬

keit der israelitischen von der ägyptischen Erzählung anzunehmen.

Doch ist die Sache nicht völlig ausgemacht; denn derselbe Er- so

Zählungsstoff findet sich auch sonst sehr häufig, z. B. bei den

Griechen , Indern , im deutschen Mittelalter. Man wird daher gut

tun, ehe nicht der ganze Stoff vorliegt und so der eventuelle enge

Zusammenhang zwischen der ägyptischen und israelitischen Rezension

erwiesen ist, mit dem Urteil zurückzuhalten. — Am wenigsten S5

wird man wohl Ägyptisches in der biblischen Urgeschichte

finden können 8), deren Angesicht vielmehr nach Osten gewandt ist,

obwohl es, wie es ja nicht auffallen kann, in der Kosmogonie und

Kosmologie an einzelnen Übereinstimmungen nicht fehlt. Ed. Meyer *)

leitet die Gestalt des Jagdhelden Nim rod aus Ägypten ab, ist 40

doch der Name in dem an wilden Tieren reichen Libyen sehr ge¬

wöhnlich ; aber diese Annahme bürdet der israelitischen Tradition,

1) Wilcken, Gunkel, P. Wendland, Archiv für Papyrusforschung II, 1902, S. 4 ff.

2) Vgl. auch das 3 Makk. 7. 17 erwähnte Fest von Ptolemais.

3) Ed. Meyer, Israeliten 210.

4) Israeliten 448.

(4)

die Nimrod zum Herrscher babylonischer und zum Gründer assy¬

rischer Städte macht, einen so großen Irrtum auf, daß die Hypo¬

these zunächst recht fraglich erscheint. — < Dagegen finden sich

Berührungen an Stellen, wo sie die Ägyptologen von sich aus

5 vielleicht nicht gesucht hätten. Israelitische Propheten lieben

es , ihre Weissagungen durch Aufnahme mythischer Stoffe zu

schmücken. Mythisches aber pflegt in Israel , da der Geist seiner

Religion der Mythologie abgeneigt ist, ganz gewöhnlich fremden Ur¬

sprungs zu sein. Dabei läuft denn auch Ägyptisches mit unter.

10 So stellt Ezechiel — es ist der Prophet, der gerade das Mythische

besonders liebt — den Untergang des Königs von Ägypten unter

dem Bilde eines großen schuppigen Nil-Drachen dar, des Herrn

und Schöpfers des Stromes, der das Wasser aufwühlt, aber von

Gott gefangen , aus dem Wasser herausgeholt und in die Wüste

15 geworfen wird, daß das Land sich von seinem Aase füllt und von

seinem Blute getränkt wird 1). Es liegt sehr nahe, anzunehmen,

daß wir hier den Nachklang eines ägyptischen Mythus vor uns

haben , den die Prophetie Israels geistreich auf den König eben

dieses Landes allegorisch verstanden hat. Diese Anwendung des

20 Mythus muß auch sonst gebräuchlich gewesen sein. „Rahab", ein

auch sonst vorkommender Name des Urdrachen 2), ist eine Bezeich¬

nung speziell Ägyptens, Jes. 30,7, Psalm 87,4. Es würde eine

wertvolle Bestätigung unserer Ergebnisse sein , wenn sich der

vorauszusetzende Mythus in Ägypten finden ließe 8). — Etwas anders

25 liegt der Fall Ap. Joh. 12. Daselbst haben wir einen eigentüm¬

lichen, grotesk-mythologischen Stoff in einer merkwürdigen Um-

deutung. Es ist die wohlbekannte Geschichte von der Götter -

mutter , der Himmelskönigin , die , von einem gewaltigen Wesen

verfolgt, ihr Kind, den künftigen Götterkönig, gebiert. Derselbe

so mythische Stoff wird in Ägypten von Isis, Typhon und Horus

erzählt 4). Ägyptischen Ursprungs wird die Geschichte in der

biblischen Ausprägung nicht sein, da unter allen einstweilen be¬

kannten Rezensionen die biblische und die ägyptische sich nicht

besonders nahestehen. Dennoch bleibt die Beziehung beider Uber-

35 lieferungen bedeutungsvoll. Und es erhebt sich die Frage, ob nicht

auch sonstige Stücke der jüdischen Apokalyptik durch Vergleich

mit Ägyptischem beleuchtet werden könnten. Bei solchem Ver¬

gleich aber wird der Ägyptologe den allgemeinen Satz zu berück¬

sichtigen haben, daß sich in der israelitisch -jüdisch - christlichen

1) Ez. 29. 32, vgl. Schöpfung und Chaos, S. 7 Iff.

2) Schöpfung und Chaos, S. 30 ff., woselbst das Weitere.

3) Herr Dr. Ranke-Berlin teilt mir mit, daß der postulierte ägyptische Mythus kein anderer ist als der bekannte vom Kampf des Lichtgottes Horus mit Seth-Typhon, der gelegentlich als Krokodil — und das ist doch der

„schuppige Nil-Drache" — dargestellt wird.

4) Auf diese Parallele weist hin Bousset, Offenbarung Johannis, C. Aufl., S. 354 f.

(5)

Weissagung sehr vielfach mythische Reste finden, die aus der Urzeit

in die Endzeit übertragen worden sind, und daß man die eschato-

logischen Weissagungen, soweit sie Mythisches enthalten, um ihren

Ursinn zu fassen, wieder in die Urzeit zurückzutragen hat.

In aller Kürze kann ich über das Gebiet der Lyrik sprechen. 5

Bekannt ist, daß die äußere Form der ägyptischen Poesie der he¬

bräischen und der babylonischen verwandt ist; auch im Ägyptischen

beherrscht den poetischen Stil der Parallelismus der Glieder, und

auch das Ägyptische liebt die Wortspiele und die Alliterationen 1).

Seit einiger Zeit vergleicht man die Liebeslieder der Ägypter 10

mit denen des biblischen Hohen Liedes und findet, „daß der Ton

des Hohen Liedes im ganzen der gleiche ist wie der der Liebes¬

lieder des Neuen Reiches" 2). Seitdem hat man begonnen, die

ägyptische Liebespoesie zur Erklärung der biblischen zu verwenden.

Es sei noch bemerkt, daß sich in der apokryphen, in Ägypten ir>

geschriebenen und an Ägyptisches anspielenden (15, isf.) „Weisheit

Salomonis" 2,1-9 als Rede der Gottlosen ein Trinklied findet,

das ganz , wie es die ägyptische Poesie liebt 3), den Genuß des

Lebens durch den Gedanken an den Tod würzt.

Viel wichtiger als diese profane Lyrik ist für das Alte Testa- 20

ment die religiöse , und auch hier finden wir mannigfache Par¬

allelen. So sehr der alte ägyptische Götterhymnus in seiner

ganzen religiösen Haltung von dem in den Psalmen erhaltenen

Jahwehymnus verschieden ist, so stimmen sie doch in dem all¬

gemeinen Aufriß überein: bei beiden Völkern beginnt der Hymnus 25

mit einer Doxologie; z. B. im Ägyptischen etwa: Gelobt seist du,

Osiris, Sohn der Nut; das Lied selbst besteht dann aus lauter zu¬

sammengestellten Partizipien, in denen die Macht und Herrlichkeit

des Gottes gepriesen wird. Das ist derselbe Partizipialstil, der in

den hebräischen Hymnen so oft wiederkehrt und der übrigens auch so

im Babylonischen und bei den orphischen Hymnen der Griechen

gewöhnlich ist 4). Noch merkwürdiger ist vielleicht die Überein¬

stimmung des hebräischen Dankliedes mit dem Inhalt der

ägyptischen Votivtafel des Nefer-abu 5) : beide Male erzählt der

ehemals Kranke und jetzt durch die Gottheit Gerettete von seiner 35

Not , seinem Gebet und seiner Errettung und schließt mit einem

Bekenntnis von der Macht seiner Gottheit 6). — Besonders nahe

aber steht der Dichtung der Psalmen die mit persönlichem Leben

erfüllte religiöse Lyrik, die in Ägypten die Tell-Amarna-Epoche

hervorgebracht hat. Da preisen auch die ägyptischen Lieder den 40

1) Erman, Kultur der Gegenwart I, 7, S. 29.

2) Erman, ebenda S. 38; vgl. ferner W. M. Müller, Die Liebespoesie der alten Ägypter, Leipzig 1899.

3) Ein Beispiel bei Erman, Kultur der Gegenwart I, 7, S. 30.

4) Ausgewählte Psalmen, 2. Aufl., S. 187.

5) Erman, Ägyptische Religion S. 80.

6) Ausgewählte Psalmen, 2. Aufl., S. 275.

(6)

Gott in lebhaftester Empfindung als Schöpfer und Erhalter der

Welt; sie schildern ihm zu Ehren das Tun und Treiben auf der

Erde, das von ihm abhängig ist: wie in der Nacht die Menschen

schlafen und jeder Löwe aus seiner Höhle kommt; wie aber dann,

5 wenn die Sonne aufgeht, die Menschen erwachen und an die Arbeit

gehn. „Wie viel ist, was du gemacht hast! . . Du schufst die

Erde nach deinem Wunsche, du allein, mit Menschen, Herden und

Tieren, alles, was auf Erden ist, was auf den Füßen geht und was

schwebt und mit den Flügeln fliegt" 1). Zu derselben Zeit hat der

10 ägyptische Beter „ein Verhältnis von persönlicher Liebe und Ver¬

trauen zu dem Gott: Amon Re, ich liebe dich und habe dich in mein

Herz geschlossen" 4). Da hören wir das Gebet: „Du wirst mich er¬

retten aus dem Munde der Menschen am Tage, wo er Lüge redet" ;

oder: „leihe dein Ohr einem, der allein steht im Gericht, der arm

15 ist und sein Gegner ist mächtig", und sogar — ganz unägyptisch

—: „Strafe mich nicht wegen meiner vielen Sünden" 8), und schlie߬

lich: Thoth, „du süßer Brunnen für den Dürstenden in der Wüste;

er ist verschlossen für den, der da redet, er ist offen für den, der

da schweigt" 4). Das sind , wie jeder Kenner der hebräischen

so Psalmen weiß, Hauptmotive des israelitischen Naturhymnus (Ps. 104),

des „Klageliedes" und des „ Vertrauenspsalmes" 6). Solche Parallelen,

deren die Ägyptologie uns hoffentlich recht viele vorlegen wird,

sind für uns von größter Bedeutung; sie lehren uns z. B. , wie

unrichtig die Erklärung ist, das Ich der biblischen Psalmen sei

25 die Gemeinde ; ist doch auch hier im Ägyptischen das Ich kein

anderer als der Beter seihst; sie werfen aucb ein eigentümliches

Licht auf das Alter der Psalmengattung, die man bisher vielfach

für ein charakteristisches Erzeugnis des babylonischen Exils der

Juden gehalten hat. So treten also zu den babylonischen so¬

so genannten „Bußpsalmen" und Hymnen anch die ägyptischen reli¬

giösen Gedichte ; eine künftige Forschung wird sich mit der Frage

beschäftigen müssen, wie die hebräische Dichtung zu beiden steht;

daß sie ganz unabhängig von der ägyptischen erwachsen ist, dürfte

gerade für die Hymnen nicht wahrscheinlich sein.

35 Wir kommen zu der Weisheitsdichtung. Es gibt auch

im Ägyptischen „Reden , in denen uns ein berühmter Weiser vor¬

geführt wird, wie er seinem Sohne gute Ratschläge für das Lehen

erteilt" 6): das ist bekanntlich die Einkleidung auch der hebräischen

Proverbien. Besonders in der „Unterweisung des Ani" finden wir

40 Sprüche, die den biblischen in Inhalt und Form frappant ähnlich

sind ; z. B. die Ermahnungen , den Frevler nicht zum Freunde zu

erwählen , dem Bettler zu geben , die Mutter zu ehren und ihrer

vielen Mühsal zu gedenken, vor dem Weine sich zu hüten, mit

1) Erman, Ägyptische Religion, S. C7 f. 2) Ebenda 8. 85.

3) Ebenda S. 85. 4) Ebenda S. 86.

5) Ausgewählte Psalmen* 8. 244 f.

6) Erman, Kultur der Gegenwart I, 7, 8. 32.

(7)

dem fremden Weibe, die dem Jüngling Netze stellt — namentlich

diese Warnung ist bemerkenswert — sich nicht einzulassen usw. 1).

In der Unterweisung des Duauf schildert der Weise, „wie elend

alle Berufsarten es haben, wenn man sie vergleicht mit dem

höchsten Berufe, dem des gelehrten Schreibers* : 5

„Nie sah ich einen Bildhauer bei einer Gesandtschaft,

noch einen Goldschmied, wie er ausgesandt wurde* *).

Ganz dasselbe in Jes. Sirach 38, «4 ff.

„Alle diese sind mit ihren Händen geschickt,

und jeder von ihnen ist in seinem Handwerk weise. io

Aber zur Beratung des Volkes werden sie nicht befragt,

und in der Versammlung haben sie keinen Vorrang" ").

So wird man kaum bestreiten können, daß hebräische Spruch¬

dichtung unter dem Einfluß der ägyptischen steht; und dies um

so weniger; als in der israelitischen Weisheitsdichtung das spezifisch- 15 Israelitische stark zurücktritt.

Die Beden des Buches Hiob haben in ihrem Aufriß keine

Parallele in der hebräischen Literatur. Um so willkommener ist

uns, zu hören, daß in Ägypten die Form des Dialogs für philo¬

sophisch religiöse Probleme beliebt ist; und daß gerade Fragen, 20

wie sie im Hiob behandelt werden, ob in dieser Welt das Gute

oder das Böse siege, im Ägyptischen diese Form haben 4). Speziell

auf Ägypten weisen im Buche Hiob hin die Beschreibungen der

beiden ägyptischen Wundertiere, des Leviathan und des Behemoth.

Zum. Schluß über die hebräisch-ägyptische Eschatologie. 25

Die Eschatologie der Propheten und Psalmisten ist in der vor¬

liegenden Gestalt eine durchaus israelitische Erscheinung und mit

charakteristisch-israelitischen Gedanken erfüllt; sie ist — darüber

kann kein Zweifel sein — als Ganzes die Schöpfung der großen

schriftstellerischen Propheten, eines Arnos, Jesaias und Jeremias, so

Trotzdem konnte allein schon aus dem alttestamentlichen Material

mit großer Sicherheit geschlossen werden, daß der Prophetie dieser

großen Männer eine andere, volkstümlichere vorangegangen ist 5),

die im Schema, in der allgemeinen Anordnung der erwarteten Be¬

gebenheiten mit dieser übereinstimmt : beide Arten der Eschatologie ss

reden zunächst von einer furchtbaren Periode der Zerrüttung aller

Verhältnisse , dann aber von einer seligen Zeit der Neuordnung

unter einem künftigen, göttlichen Könige. Und auch dies ließ

sich bereits behaupten, daß die Eschatologie Israels auf dem Grunde

1) Zum religionsgeschichtlichen Verständnis des Neuen Testaments, 8. 2C f.

2) Erman, Kultur der Gegenwart I, 7, S. 32.

3) Jes. Sirach 38, SI. S3 nach Smend.

4) Wiedemann, Unterhaltungsliteratur der alten Ägypter, S. 10 ff.; Erman, Abhandlungen der Berliner Akademie 1896; Gunkel, Zum religionsgeschicht¬

lichen Verständnis des Neuen Testaments, S. 27.

5) Kultur der Gegenwart I, 7, S. 79.

Zeitschrift der D. M. O. Bd. LXIII. 35

(8)

einer übernommenen fremden Eschatologie erwachsen ist: der Grund

für diese Behauptung sind die mancherlei mythologischen Bilder,

von denen die Schriften der Propheten ganz durchzogen sind und

die auf israelitischem Boden nicht entstanden,, sein können l ). So

5 richteten sich unsere Blicke in das Ausland ; wir fragten , aus

welchem Volk diese Gedanken Israel wohl zugekommen sein

könnten. Auf diese Frage war zunächst keine Antwort zu geben;

da wir in Babylonien zwar gewisse Berührungen damit, aber keine

eigentliche Eschatologie gewahren, und da die parsische Eschatologie

10 zwar viel ähnliches bietet , das Einwirken parsischer Religion aber

auf das Judentum erst lange nach der eigentlichen Ausbildung der

hebräischen Eschatologie erfolgt sein kann. Um so wichtiger ist es

für unsere Forschung, daß in Ägypten seit alters bis in griechische Zeit hinein eine umfangreiche prophetische Literatur bestanden hat 2),

is und daß diese Prophezeiungen im Schema und in manchen Einzel¬

heiten mit den israelitischen übereinstimmen : auch hier hören wir

von einer furchtbaren Zeit des Elends, da alle Ordnung verkehrt

wird, die fremden Völker einfallen, die Heiligtümer zerstört und

das Land verwüstet wird, bis endlich ein gerechter, göttergeliebter

20 König aus dem Samen des Re die Feinde verjagt , die Ordnung

wiederherstellt und sich alle Völker unterwirft. Hier also haben

wir eine Parallele, wie wir sie gewünscht hatten. Trotzdem werden

wir schwerlich annehmen dürfen , speziell durch die ägyptischen

Weissagungen seien die hebräischen angeregt worden. In Ägypten

25 fehlen vor allem die meisten der eigentümlichen kosmisch-mytho¬

logischen Bilder 3), die in den Schriften der Propheten so häufig sind,

und auf Grund deren wir gerade den fremden Ursprung der Escha¬

tologie angenommen haben: Weltbrand und Weltflut, ein neues

Chaos und eine neue Schöpfung, Kämpfe der Gottheit wider Mächte

so der Tiefe und des Himmels, ein Friedensreich auch unter den Tieren

und vieles andere. Die Frage nach dem Ursprung der hebräischen

Eschatologie ist also auch durch den Rekurs auf das Ägyptische

noch nicht einfach gelöst. Auch andere Völker müssen damals

eschatologische Gedanken besessen haben. Die ägyptische Eschato-

35 logie kommt also hier für uns nicht in Betracht als Ursprung der

ganzen Erscheinung, sondern nur als ein Beispiel unter anderen.

Trotzdem ist die Parallele für die Erforschung der alttestament¬

lichen Prophetie von der höchsten Bedeutung.

Anhangsweise möchte ich schließlich erwähnen , daß gewisse

40 Vorstellungen der Ägypter vom Leben nach dem Tode mit

solchen der spätjüdischen und besonders der urchristlichen Speku-

1) Zum religionsgeschichtlichen Verständuis des Neuen Testaments, S. 21 ff., Greßinann, Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie 1905.

2) Ed. Meyer, Israeliten, S. 451 ff., H. Lietzmann, Der Weltheiland, S. 23 ff., 52 ff.

3) Beispiele: Kultur der Gegenwart 1, 7, S. 68, Zum religionsgeschicht¬

lichen Verständnis S. 22.

(9)

lation große Ähnlichkeit besitzen 1). Die verklärten Seligen, so

heißt es in beiden Religionen, werden zu den Himmlischen auf¬

genommen; ihre Leiber leuchten wie die Sterne des Himmels.

Diese Verleihung eines neuen, unsterblichen Lebens wird auch bei

•den Ägyptern ganz wie im Neuen Testament als eine neue Geburt 5

betrachtet. Der Verstorbene aber erhält nach ägyptischer Lehre

das himmlische Wesen, wenn er durch bestimmte Zeremonien und

Beschwörungen zum Osiris geworden ist; ist doch Osiris selbst ge¬

storben und durch den Tod zu neuem Leben hindurchgedrungen.

So wird denn der Tote kraft des Zaubers ein zweiter Osiris : er 10

wird erstehen, wie einst Osiris erstanden ist. Auch hierfür haben

wir im Neuen Testament überraschende Parallelen : auch der Christ

erfährt in der Taufe Christi Tod und Auferstehung: er stirbt mit

Christo und wird mit ihm erweckt 2). Und einige der ägyptischen

Mysterienworte könnten noch jetzt an christlichen Gräbern ge- 15

sprochen werden, wenn man nur die Götternamen ändert: »So

wahr Osiris lebt , wird auch er leben ; so wahr Osiris nicht ge¬

storben ist, wird auch er nicht sterben ; so wahr Osiris nicht ver¬

nichtet ist, wird auch er nicht vernichtet". Freilich nur im Schema

stimmt Ägyptisches und Jüdisch-Christliches hier überein; im 20

einzelnen und nicht nur im einzelnen weicht beides aufs stärkste

voneinander ab; liegen doch die sittlichen Ideen, die sich im

Christentum mit dem Gedanken der „Wiedergeburt" aufs engste

verbinden, dem Ägyptischen ganz ferne ; und ferner findet sich die

Idee von der Vereinigung des Mysten mit dem gestorbenen und 25

erstandenen Gott auch in andern mystischen Kulten des späten

Altertums 8). Trotzdem ist die Frage zu erwägen, ob nicht gerade

auf diesem Gebiete Ägypten den Änstoß zu der ganzen Entwick¬

lung gegeben hat.

Nur kurze Andeutungen habe ich in diesen Ausführungen so

geben können , und viel mehr Fragen habe ich vorgetragen als

Antworten. Aber auch Fragen haben ja in der Wissenschaft manch¬

mal einen gewissen Wert. Mein Zweck ist erreicht, wenn einer

oder der andere der Ägyptologen oder Theologen sich bestimmen

ließe, sich fortan um das fremde Gebiet etwas mehr zu bekümmern 4). S5

1) Christliche Welt, 1905, Sp. 555 ff.

2) Zum religionsgeschichtlichen Verständnis des Neuen Testaments S. 83 f.

3) A. Dieterich, Mithrasliturgie S. 137.

4) Als eine erste Erfüllung dieses Wunsches begrüße ich Ranke's inzwischen erschienene „Ägyptische Texte" in Greßmann's „Altorientalischen Texten und Bildern zum Alten Testamente", 1909, I, S. 180 ff.

35*

(10)

IN och einmal Dipavamsa und Mahävamsa.

Von Wilh. Gelger.

In der Wiener Zeitschr. für die Kunde des Morgenlandes hat

R. Otto Pranke (XXI, S. 203 ff., 317 ff.) einen längeren Aufsatz

„Dipavamsa und Mahävamsa" veröffentlicht. Er nimmt darin Stel¬

lung gegen die Anschauungen , die ich in meinem gleichnamigen

5 Buche (Leipzig, 1905) über die Entstehung der beiden ceylonesischen

Epen vertreten habe. Meine Anschauungen fußen auf einer zuerst

von Oldenberg in der Einleitung zu seiner Ausgabe des Dipa¬

vamsa (London, 1879) aufgestellten Hypothese über den Ursprung

dieses Werkes. Ich habe diese Hypothese mit den Hilfsmitteln,

io die uns jetzt zur Verfügung stehen, nachgeprüft und, wie ich glaube,

eingehender begründet und weiter ausgeführt. Von ihr ausgehend

habe ich dann das literarische Verhältnis zwischen Dipavamsa und

Mahävamsa, ebenso das zwischen diesen Werken und anderen Pali-

schriften verwandten Inhalts untersucht. Schließlich habe ich das

15 Fortwirken der so geschaffenen historischen Überlieferung in der

singhalesischen Literatur verfolgt. Franke's Aufsatz beschäftigt

sich nur mit jener Grundhypothese. Ich kann mich also meiner¬

seits darauf beschränken, die Frage zu prüfen , ob durch die Aus¬

führungen Franke's jene Hypothese erschüttert worden ist. Ich bin

20 Belehrungen nicht unzugänglich und scheue mich durchaus nicht,

eine wissenschaftliche Ansicht, wenn ich sie als irrig erkannt habe,

zu widerrufen. Aber ich kann doch die vorhin gestellte Frage

nicht anders als mit einem runden Nein beantworten.

Der Gedanke, den Oldenberg und ich vertreten, ist dieser:

25 Der Dipavamsa und ebenso der Mahävamsa beruhen auf einem in

altsintrhalesischer Prosa verfaßten ,' mit Paliversen untermischten

Grundwerke, das einen Teil der Atthakathä bildete, d. h. der sing¬

halesischen Kommentarwerke, auf denen die Schriften Buddhaghosas

fußen. Dieses historische Stück der Atthakathä mag ein selb-

30 ständiges Chronikwerk innerhalb der großen Atthakathä-Literatur

gewesen sein (Ggr.) oder die geschichtliche Einleitung zu einem

ihrer Werke nach Art der Einleitung zu Buddhaghosa's Samanta-

pasädikä. Der Dipavamsa stellt den ersten unbeholfenen Versuch

3 »

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