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Das ägyptische Mastaba-Grab.
Von Ottnther Boeder.
Für Champollion, den EntziflFerer der Hieroglyphen, be¬
deutete das ägyptische Alterum im wesentlichen die Zeit vom
Mittleren Reich ab; sein Nachfolger Em. de Rouge^) setzte in
klarer Gliederung des neu erschlossenen Materiales den Fuß in das
3. Jahrtausend v. Chr., über das hinauszuschreiten erst dem letzten 5
Jahrzehnt gelungen ist. Die französischen Publikationen und Unter¬
suchungen haben sich stets vorzugsweise mit den Denkmälern aus
den beiden jüngeren Jahrtausenden der ägyptischen Geschichte be¬
schäftigt ; lagen doch den Beamten der Verwaltung der ägyptischen
Altertümer, die vorwiegend Franzosen waren, zaffllose Tempel und 10
Gräber aus jenen Epochen vor Augen und harrten der Bearbeitung.
So ist es eine der wichtigsten Leistungen von Richard Lepsius*),
daß er mit der Preußischen Expedition 1842—1843 einen großen
Teil der Zeit darauf verwandte , die Gräber der Vornehmen des
Alten Reichs im Gebiete von Memphis freilegen und aufnehmen 15
zu lassen. Die vorzüglichen, wenn auch gelegentlich schematischen Linearzeichnungen der „Denkmäler", zu denen gelegentliche hand¬
schriftliche Notizen von Aug. Mariette») treten, blieben für ein
halbes Jahrhundert fast unsere einzige Quelle für das Alte Reich; erst
in den letzten Jahrzehnten hat sich der englische Egyptian Research io
Account unter Leitung von F. LI. Griffith auch den Mastabas
zugewandt. Durch die Hand englischer Zeichner, unter denen N. de
Garis Davies durch seine Sorgfalt hervorragt, sind uns eine Reihe
der Gräber erschlossen, die z. T. bei den Touristen bekannter sind
als bei den Gelehrten — wiederum in Linearzeichnungen der Dar- 25
Stellungen, auch mit ausgewählten farbigen Wiedergaben.
Die Darstellungen sind in den Gräbern in flachem, sorgfältig mit dem Meißel modelliertem Rejief gearbeitet; dazu tritt gelegent¬
lich Bemalung. Genau ausgeführte Umrißzeichnungen vermögen
nun zwar dem Archäologen ein genügendes Material zur sachlichen so
Beurteilung der Details zu geben; aber naturgemäß versagen sie,
wo es sich um stilistische Unterschiede oder um die Feststellung 1) Reeherches sur les monuments ... six premiires dynasties. Paris 1866 (= ilim. Acad. Inscr. 25, 2).
2) Denkmäler aus Ägypten. Tafeln fol. 1850 ff.; Text 4". 1897 ff.
3) Les Mastabas de I'ancien empire ed. 6. Maspero. Paris 1889.
50"
772 Roeder, Das ägyptücJie Mastaba-Grab.
des Kunstwertes von Reliefs handelt. Jean Capart^) hat deshalb
die ausschließliche Wiedergabe durch Photographien gewählt. Grade
weil dadurch die künstlerische Wirkung der Bilder ermöglicht wird,
ist seine Arbeit wertvoll; aber das grundsätzliche Verzichten auf
5 Zeichnungen zeigte gleichzeitig die Schwäche der Methode : auch
gute Photographien von flachen Reliefs in- großen Dimensionen
müssen für die Einzelheiten hier und da unzulänglich sein. So kam
Fr. W. von Bissing*) zu dem Entschluß, die Vorzüge beider
Methoden zu vereinigen : er gab die Reliefs im Ganzen oder in
10 Teilen durch Photographien, aus irgend einem Grunde interessante
Details durch ümrißzeichnungen wieder; durch seine, wenn auch
noch nicht vollendete Publikation veranlaßt , soll hier die Anlage
und Ausschmückung der Mastabas dargestellt werden.
I. Grundriß und Aufbau»).
15 Bei der Betrachtung der Mastabas begeben wir uns in die
höchsten sozialen Schichten des ägyptischen Volkes; zu allen Zeiten
des in Betracht kommenden halben Jahrtausends konnten nur wenige
Hunderte von begüterten und hochgestellten Persönlichkeiten daran
denken, sich ein so kostbares Grab zu bauen. Die Entstehung der
20 Idee einer solchen Anlage wie der Verwendung des ganzen in ihm
vorkommenden Formenschatzes in der Architektur, den Reliefs, dem
Sarge, den Beigaben und den Totentexten — die Entstehung dieses
Gebrauches liegt in der Hofgesellschaft. Wissen wir doch jetzt,
daß alle die genannten Typen, die künstlerischen wie die literarischen, 25 in der Frühzeit (4. Jahrtausend v. Chr.) nur für den gottgleichen König
geschaffen waren und benutzt wurden. Der gemeine Mann wurde
in einer runden Grube dicht unter dem Erdboden verscharrt und
ihm sein Lieblingsgerät mitgegeben ; aber für den Herrscher errichtete man einen kolossalen Bau mit Vorratskammern und architektonischer
so Gliederung schon zu einer Zeit, als die Baukunst für private und
profane Zwecke noch so gut wie gar nicht entwickelt war. Von
diesem Glänze fiel auch etwas auf die Hofgesellschaft. In Ur¬
zeiten mag sie nach der barbarischen Sitte primitiver Völker voll¬
zählig dem Herrscher ins Grab gefolgt sein; wenigstens legt die
S5 auch in späterer Zeit beibehaltene Sitte , den Hofstaat um das
Königsgrab herum zu bestatten, die Kombination nahe, daß er einst
bei der Totenfeier geschlachtet wurde. Bei den ersten uns be¬
kannten höfischen Friedhöfen, den Königsgräbem der 1. Dynastie
1) Une rue de tombeaux & Saqqarah. 1907.
2) Die Mastaba des Gemnikai. Im Verein mit A. E. P. Weigall hrsg. von Frdr. Wilh. v. Bissing (Berlin, Duncker). I: 1905. II, 1: 1911.
3) V. Bissing hat die in unserem Abschnitt I und II behandelten Fragen für den 3. Band {II, 2) seines Gemnikai zurückgestellt. — Die wichtigsten Ar¬
beiten über Mastabas sind: Mariette in Revue archiol. N. S. 19 (1869)
7—21. 81—89: pl. 2—4; Lepsius, Denkmäler. Text I {1S97) 224—33;
Perrot-Chipiez, Hist. de l'art I. Mgypte (1881), deutsch von Pietsch¬
mann (1884) 166—89; Erman, Ägypten (1885) 419—21. B^n^dite, Les
origines du Mastaba in Biblioth. de vulgar, du Musie Guimet 30 (1908), 52 S.
Roeder, Dat ägyptitehe Mattedia-Grah. 773
(um 3800 V. C.) bei Abydos liegen Harem, Vornehme, Diener,
Zwerge und Hunde des Pharao um ihn herum, jeder mit eigenem
Grabstein. Däs Königsgrab, dessen Porm anfänglich schwankte,
war in der 2. und 8. Dynastie zur Mastaba entwickelt, und diese
Form ist es, die bei der Anlage der ersten Privatgräber großen 5
Stils unter der 3. Dynastie bestimmend gewirkt hat. So kam der
Mastaba-Typus vom König zu seinen Großen, und er ist, wie wir
am Schluß sehen werden, noch weiter gesunken.
Überblickt man einen Mastabafriedhof, wie er sich jedem itCri
bietet , der eine der königlichen Pyramiden des Alten Reiohei i»
(Dyn. 4—6) ersteigt, so glaubt man auf eine Stadtanlage zu sehen.
In geraden Reihen liegen die monumentalen Steinhaufen mit flachen
Dächern da, durchzogen von Straßen und Gassen, darunter mancher
Sackgasse, wie auch in den Städten der Lebenden. Der einzelne
Bau entspricht in der Form etwa unserem Grabhügel und ist, anch »5
genetisch bfetrachtet, mit einem solchen verwandt. Seine geböschten
Außenwände zeigen, daß er ursprünglich aus einem feinkörnigen
Material errichtet wurde ; aber weder aus Erde wie bei uns, noch
aus dem Sand der Wüste, in dem er liegt, sondem aus Nilschlamtti.
Aus diesem häufen sich die Oberägypter und Nubier, die «um Teil 2»
an den uralten Volkssitten festhalten, noch heute Grabhügel auf\
größere Grabgebäude bauen sie aus Ziegeln vOn demselben Schlamin, für dessen Härtung" die Sonne sorgt, während ein starker Regenguß
das Material vernichten kann. Ebenso taten die Alten; in lnft«
trockenen Ziegeln aufgemauerte Mastabas sind uns, insbesondere 26
aus den Anfängen des Alten Reichs, in großer Zahl erhalten und
sie stellen gerade die ältesten Typen unter ihnen dar. Als der Stein¬
bau weiter ausgebildet und auch bei Privatgräbern üblich geworden
war, verkleidete man den Kera der Mastaba, der aus minderwcirtigen
Blöcken, oft nur Schotter und Sand bestand, mit sor^ltig oe-30
hauenen ünd gefugten Quadern vom besten Kalkstein. Die Außen¬
wände bleiben geböscht — die Verwendung großer Blöcke ist also
das Sekundäre gegenüber der Neigung der Mauern.
Der massive Mastaba-Kern wird für zwei Zwecke ausgenutzt:
für den senkrechten Schacht zur Einsetzung der Leiche in den vorher ss
in die unterirdische Kammer gestellten Sarg, ferner für eine Kammer
an der Ostseite. Der Schacht ergab sich ohne weiteres als not¬
wendig, wenn man die Sargkammer unterirdisch anlegen und doch
den Oberbau vor der Bestattung vollenden wollte. Die senkrechte
Richtung des Schachtes steht im Gegensatz zu dem der Pyramiden,
bei denen er, wenigstens in älterer Zeit, außerhalb des Oberbaues
mündet und schräg abwärts verläuft. Die Kammer an der Ostseite
aber hat eine interessante Entstehungsgeschichte; diese ist deutlich
zu verfolgen an den Ziegel-Mastabas der 2.—3. Dynastie, die J. E.
Quibell^) im Winter 1910—1911 in Sakkära für den Service des «5
1) Die amtliche Publikation von Quibell (Excavations at Saqqara 1910—
774 Roeder, Das ägyptische Mastala-Orab.
Antiquites de l'Egypte freigelegt hat. Dort zeigen einige Mastabas
einen massiven, allseitig glatten Oberbau; an einer Stelle der Ost¬
seite ist eine schlichte Scheintür durch zurückspringend versetzte Ziegel angedeutet Diese schlichte Scheintür wird allmählich reicher 6 ausgeführt ; man läßt in ihrer Mitte einen senkrechten schmalen Spalt
als wirkliche Türöffnung frei und bringt hinter dieser, parallel zur ersten eine zweite Scheintür an. Wenn der vor der inneren Scheintür
liegende Baum zunächst auch nicht breiter als wenige Dezimeter
ist, so bildet er doch die Grundlage zu einer Kammer; ist der Raum
10 erst einmal vergrößert, so wird die äußere Scheintür bald zu einer
Türumrahmung umgestaltet und nun bildet die innere den vor¬
gestellten Eingang zur Unterwelt, vor dem man betet und opfert.
Der Schritt ist nicht mehr weit, nachdem der Bau in Hausteinen
ausgeführt wird, die Opferkammern mit Bildern zu schmücken —
15 so wird der Skulptur ein Feld der Tätigkeit erschlossen , das uns
die schönen Grabreliefs des Alten Reiches beschert hat.
Die weitere Verwendung des Mastaba-Typus und der größere
Reichtum ihrer Bauherren hat zu komplizierten Grabanlagen geführt.
Die vollständig ausgebildete Mastaba der 4.—6. Dynastie besitzt
so vor dem geschilderten massiven Oberbau aus Hausteinen auf der
Ostseite noch Zimmer in Ziegelbau, die mit einem Tonnengewölbe
überdacht sind ; sie liegen an einem durch eine Mauer umschlossenen Hof und muten nicht anders an als die Wohnhäuser, die sich heutige
muslimische Ägypter neben den Gräbern erbauen, um dort während
25 der mehrere Tage dauernden Totenfeste zu wohnen. Die im Mastaba-
Kem ausgesparten Kammern, deren Zahl sich bis auf mehrere Dutzend
steigert, gehören dem Totenkultus; ihr integrierender Bestandteil ist ein kleiner isolierter Raum, den nur ein schmales Spalt für den ein¬
ziehenden Weihrauch mit dem anstoßenden Zimmer verbindet: der Ser-
so däb, in dem die Statue des Toten, sein opferbedürftiges Abbild, steht ^).
Für die genetische Behandlung des Mastaba-Typus ist noch
ein Gesichtspunkt maßgebend: die Ableitung von dem Königsgrab
und die ständige Abhängigkeit von demselben in der weiteren Ent¬
wicklung der Einzelheiten. All die charakteristischen' Teile des
S5 Privatgrabes bietet die königliche Grabanlage in größerer und
reicherer Ausführung. Die Pyramide entspricht dem Mastaba-
Oberbau; tief unter beiden liegt im Felsen die Sargkammer mit
der Leiche. Der Totentempel, in ibm die Kulträume mit dem
Prunkscheintor und den Königsstatuen, sowie die offenen Hallen
40 und weiten Höfe — dieselben Bäume sind in der Mastaba vor¬
handen, teils im Kernbau ausgespart, teils vor ihm freistehend auf¬
gemauert. Auch jene schlichte Scheintüre, die an der östlichen
1911 = vol. Vi) wird voraussiclitlicli 1912 erscheinen; ich verdanke die Kennt¬
nis der Grahanlagen seiner Führung an Ort und Stelle.
1) Nachträglich verweise ich auf das plastische durch L. Borchardt für die Deutsche Orient-Gesellschaft hergestellte Hastaba-Hodell (Maßstab 1 : 75), das eine anschauliche Vorstellung aller einzelnen Räume vermittelt.
Roeder, Dai ägyptische Mastaba-Grab. 776
Außenwand der ältesten Privatgräber angebracht wurde und den
Ausgangspunkt zur Bildung der inneren Orabkammem abgab, ent-
stanunt dem Königsgrabe ; an dem Grabbau des Menes bei Negade ')
schmücken reichgegliederte Scheintüren in omamentaler Aufeinander¬
folge die Fassade. 5
Der Mastaba-Typus hat in Ägypten das Alte Beich nicht über¬
dauert ; in der Folgezeit hat man aus dem Fejsen gehauere Kammern
bevorzugt und dem etwaigen freistehenden Oberbau andere Formen
gegeben. Mit anderem ägyptischem Gut ist die Mastaba naclj Nubien
gewandert und dort während der eigenartigen Kultur der ,C-group* 10
(Beisner) beibehalten worden, freilich in entstellter und nach Neger¬
geschmack umgebildeter Form. Auch in den Nubien liegen die
Gräber in Gmppen zusammen, aber die einzelne Anlage ist nur
wenige Meter im Durchmesser groß; der Oberbau ist mnd, wird
aus unregelmäßigen Blöcken und Steinen aufgeführt, und bietet bei 16
seiner geringen Höhe keine Möglichkeit zur Anlage einer Kammer.
Bei der schlechten Ansführang ist auch an eineu ornamentalen
Schmuck vrie die Scheintür und wegen der niedrigen Kultur der
Nubier an Reliefs oder gar Verwendung von Schrift nicht zu
denken — aber in einem Punkte werden ägyptische Sitten noch «o
ein Jahrtausend nach dem Ende des Alten Reiches von den Barbaren
konserviert: an der Ostseite des Oberbaues stellt man Gefäße mit
Opfergaben nieder. Dort bezeichnet eine niedrige Mauer auch den
kleinen Raum, der dem ägyptischen Vorbau entspricht*).
II. Die Inneren Räume. as
Unserem einen Mastaba-Friedhof als Ganzes überschauenden
Blick bot sich etwas wie eine Stadtanlage dar ; so ist denn auch der
einzelne Bau dem Wohnhaus ähnlich. Unter den oben (S. 773 u. f. S.)
erwähnten Quibell'schen Mastabas sind wirklich einige, in denen
die Anordnung der Zimmer an die eines Hauses für Lebende er- 30
innert. Wie überall im Süden tritt mao von der Eingangstür auf
einen freien Vorplatz, der als offener Hof zu denken ist; rand um
ihn herum liegen einzelne Zimmer, im weltlichen Hause für den
Empfang von Gästen und den Außenverkehr bestimmt , hier zu
Beisetzungen benutzt. Im ■Hintergrand führt eine Tür zu den ss
weiteren Räumen : sie sind das Wohnhaus der engeren Familie und daß
sie ebenso dem Ka (Geiste) des Toten dienen sollen, zeigt der offenbar
auch den Abgeschiedenen unentbehrliche Abort am äußersten Ende.
Wenn hier und auch in anderen Fällen die Verwandtscbaft
zwischen Grab und Wohnhaus offenbar ist, so darf man die Ver- 40
gleichung nicht pressen bei den umfangreichen und komplizierten
1) Borchardt in Zeitaehr. Äg. Spr. 36 (1898), 87.
2) The Archaeological Survey of Nuhia: Bulletin No. 1—6 (Cairo 1908—10) und: Annual Report for 1907—08 by George A. Reisner and G. Elliot Sinith (Cairo 1910). Junlcer in Anz. Wien. Altad., phil.-hist., 1911, XIII.
776 Boeder, Das ägyptische Mastaba-Grab.
Mastabas aos der Blütezeit des Alten Beiches, bei denen die Qe-
samtanordnn&g wie die Verteilung der einzelnen Räume oft recht
unregelmäßig ist. Diese sind das Produkt der Umbildung der ver¬
erbten Scheimas und der Ausnützung des jeweils gegebenen Platzes;
& die Idee der Vorzeit kann in ihnen nicht rein ausgesprochen er¬
halten sein. Prüft man die Bilder der verschiedenen Zimnier unter
diesem Gesichtspunkte, so ergibt sich in der Tat selten eine Be¬
ziehung der betreffenden Grabkammer zu einem Zimmer des Wohn¬
hauses.. In der Mastaba des Mereruka enthält der Vier-Pfeiler-Saal
10 Bilder aus dem Schlafzimmer mit dem großen Ruhebett; viele
Gräber geben Szenen, die sich nur im Harem oder im Geflügelhof
oder in den Bureaus des Toten abspielen können — aber ein Blick
auf die Grundrisse der Mastabas zeigt, daß durchaus nicht beab¬
sichtigt sein kann , alle jene Räume als Abbilder der betreffenden
16 Teile des Privathauses erscheinen zu lassen. Zwar finden sich in
den meisten Gräbern Bilder aus den Sümpfen, den Feldern und
Viehhürden; andererseits das Arbeiten der Handwerker und der
Schiffsbau, der Marktverkauf von Waren und Landesprodukten —
aber die alten Architekten haben es nicht einmal für nötig befunden,
»0 .diese Darstellungen insgesamt in die vorderen Räume zusammen^
zulegen, so daß sie ein Abbild der Außenwelt geben und man erst mit
den hinteren Kammern zu seinem Privatleben und Totenkultus gelange.
Sondem hunt durcheinander gewürfelt sehen wir oft die Szenen ; neben JagdbUdem arbeiten die Schuster und Tischler, neben der feierlichen
25 Beisetzung des Grabherm werden Rinder und Antilopen gemästet.
In der von v. Bissing veröffentlichten Mastaba des Gemnikai
steht es mit der Anordnung der Ausschmückung noch nicht so arg;
offenbar liegt ein altes, wenig entstelltes Schema zugrunde. Die
Vorhalle zeigt an den Pfeilem die stehende Figur des Toten (eben¬
so so in der Mastaba des Ti) und an der Rückwand Bilder aus dem
freien Lande und der Gasse: links die Jagd vom Boot aus und
Leute beim Fischfang, rechts Metallarbeiter beim Schmelzen. Aucb
in der ersten Kammer (I) herrscht noch das Landleben vor: Vögel
werden im Schlagnetz gefangen; Rinder, Hyänen und Gefiügel wird
35 gemästet; Pische werden gefangen und ausgenommen ; Gemnikai
läßt sich in der Sänfte austragen, während ein Zwerg seine Hunde
und einen Affen an der Leine führt. Die zweite Kammer (II) ist
erfüllt mit Männern, unter denen wir uns Toten priester , Freunde,
Angehörige, Beamte und Diener des Toten zu denken haben; sie
■40bringen ,alle schönen Dinge, Gaben und Speisen' aus den Dörfern
der Totenstiftung: Brot, Wasser, Fleisch, Gemüse und Früchte, ja
ganze Tiere und Pflanzenbündel — kurz alles, dessen auch der Ka
bei seiner geistigen Fortexistenz bedarf. Wir sind also zu Dar¬
stellungen gekommen, die kaum noch weltlich zu nennen und nur
45 in einem Grabe denkbar sind. Zu derselben Gruppe gehört ein
Teil der BUder in Kammer III: das Schlachten der Opferrinder
und die unvermeidlichen Gabenträger ; dagegen fübrt das Vermessen
Roeder, Dae ägyplüche Mastaba-Ghrah. 777
des Getreides und das Füllen der Kornspeicher wieder in die Außen¬
welt. Zwischen beiden Gruppen steht bei v. Bissing das sogenannte
„Herbeibringen der AltÄre" ; er deutet es einerseits als „Erntefest*
andererseits jedoch: „natürlich muß hier eine Beziehung zum Toten¬
kult vorliegen' In Kammer IV, dem großen Hauptsaal, sind wir 5
völlig bei der Vollziehrmg des Totenrituales: Totenpriester nehmen
die vorgeschriebenen Waschungen vor, Vorlesepriester rezitieren die
Sprüche von den „zahlreichen Verklärungen', mit Wasser nnd Weih¬
rauch wird bei den Zeremonien nicht gespart. Die ganze ' West¬
wand wird von der Scheintür eingenommen, durch die der Ab- 10
geschiedene in das Jenseits gehen und wieder aus ihm zurückkehren
kann»). Die letzte kleine Kammer V enthält nichts als Reihen von
großen Ölgeftßen oder Männern , die solche tragen ; man wird an
die Opferlisten erinnert, die alle die heiligen und kostbaren Salböle,
Spezereien und Parfüms in endloser Folge aufzählen — sollte dieser is
abgelegene Raum etwa- ursprünglich einmal dazu gedient haben,
die Leiche einzubalsamieren, d. h. mit den konservierenden Sub¬
stanzen zu imprägnieren? Die in dieser alten Zeit technisch ge¬
wiß noch sehr einfache Prozedur braucht sich nicht ausschließlich
in der Werkstätte der Balsamierer abgespielt zu haben : • was wir «0
von Mumifizierung, Choacbyten und Nekropolenleben wissen, gehört
wesentlich jüngeren Epochön an.
Ein anderes Grab, in dem die Ordnung der Bilder eine ver¬
nünftige ist und den einzelnen Zimmem einen selbständigen
Charakter gibt, ist die Mastaba des Anch-ma-Hör, das sogen. „Ärzte- «5
orab' von Sakkära*). Dort enthalten:
Ö '
Vorhalle, Pfeiler und Wände: der Tote stehend oder
sitzend.
Saal I: Feld- und Landwirtschaft. Abrechnung.
Tür zu II: Tauschhandel auf dem Markt. so
Saal II: Bildhauer, Metall-, Stein-und Schmuckarbeiter. Vogel¬
fang mit Schlagnetz. Gabenbringende.
Tür zu III: Leute mit Wild. Schlachten der Rinder.
Saal III und Tür zu IV: Gabenbringende.
Saal IV: Gabenbringende. Schlachten der Rinder.
Tür von III zu V: Leute mit (Leinwand-) Kästen, öl-
krügen und Zeugstreifen.
Saal V: Leute mit (Leinwand-) Kästen und ölkrügen.
Tür von I zu VI: Beschneidung, Fußoperation.
Saal VI: Tänzerinnen. Totenklage der Angehörigen. Toten- *o
priester.
1) Gemnikai 2, 29.
2) Gemnikai 2, 5 mit einem Verweis auf Mannhardt, Wald- und Feld¬
kulte, Kap. IV.
3) Eine plastische Figur des Toten, der aus einer Türöffnung heraustritt:
Cap art. Rue de tombeaux (1907), pl. 107; vgl. auch pl. 94.
4) Jean Capart, Rue de tombeaux ä Saqqarah (1907), pl. 18—73.
778 Roeder, Das ägyptische Mastaba-Grab.
Diese Übersicht läßt keinen Zweifel, daß der alte Baumeister und
seine Bildhauer uns mit den Daretellungen der Vorhalle und
Saal I — II unter freien Himmel, auf das Feld und in die Straßen
versetzen wiU. Saal III — -IV zeigt das Darbringen des Totenopfers,
b V bringt die zur rituellen Behandlung der Mumie notwendigen
Binden und Ingredienzien. Der isoliert liegende Saal VI versetzt
uns in den Augenblick des Todes des Grabherm; die gewagten
Tänze seines Harems scheinen freilich keine religiöse Bedeutung zu
enthalten — leider ist der Raum so zerstört, daß die Frage nicht
10 zu lösen ist, ob er etwa das Innere des Privathauses darstellen sollte.
Wenn wir oben gesehen hatten , daß aus einer reich aus¬
geschmückten Mastaba bei dem Vergleich mit dem Wohnhaus nicht
raehr viel zu lernen ist, so sind wir jetzt schon zu einem frucht¬
bareren Gesichtspunkt übergegangen; nämlich: der Rekonstruktion
15 des Totenrituals aus den Darstellungen. Man wird auch hier gut
tun, nicht zu viel Wert auf die Räume zu legen, in denen die
Bilder erscheinen; handelt es sich doch überall um typische Dar¬
stellungen, die seit Jahrhunderten in Gebrauch sind, immer wieder
anders verwendet, erweitert und neu zusammengestellt werden.
«0 Aber inhaltreich sind sie trotzdem noch. Sie haben uns z. B. die
Darstellung einer Bestattung erhalten^), ohne die wir nicht wissen
würden, wie der Sarg auf das Dach der Mastaba an die Mündung
des Schachtes gebracht wurde — nämlich vermittelst einer Ziegel¬
rampe, die dann später auch bei den Ausgrabungen gefunden
K worden ist*).
III. Die Reliefs.
Die Bilder in den Mastabas stellen also teils weltliche, teils
religiöse Szenen dar. Was die Darstellungen aus dem Totenkultus
angehen, so herrscht kein Zweifel darüber, daß sie so oder ähnlich
»0 sich einst abgespielt haben , sei es im Grabe , sei es außerhalb,
jedenfalls zum Seelenheile des Grabherm. Über die Bedeutung
und den Zweck der Bilder aus dem täglichen Leben hat man ver¬
schieden geurteilt. Wenn man dem Toten schon im Alten und
Mittleren Reich Statuetten mitgibt von arbeitenden Köchen, Dienern
85 und Dienerinnen beim Bierbrauen , Komreiben und in anderen auf
das leibliehe Wohl gerichteten Tätigkeiten, sogar vollständige Modelle
von Küchen, Speichern und Gehöften, dazu bemannte SchiflFe, Musik -
banden, sägende und bohrende Tischler — dann meint das im
Grunde nichts anderes als die entsprechenden Bilder an der Wand.
40 Und wenn man den Pharaonen im Neuen Reich gebratene Gänse
und Kalbskeulen, mumifiziert und in Leinwand gewickelt, ins Grab
stellt, so liegt auch hier dieselbe Absicht zutage : den Ka des Toten
anch nach dem Ende der körperlichen Existenz zu speisen und zu
unterhalten. Vielleicht hat man, wie G. Maspero will, gelegentlich 1) SchSfer in Zeitsclirift Äg. Spr. 41 (1904), 65—67.
2) L, Borchardt, Grahdenkmal des Königs Ne-user-re' (1907), 27.
Boeder, Dae ägyptische Mastaba-Grab. 779
die Vorstellung gehabt, daß der Tote und die Modelle zu wirk¬
lichem Dasein, und die dargestellten Personen durch Zaubersprüche
zur Tätigkeit in seinem Interesse erwecke; aber in der Praxis
haben sich die Bildhauer manchen Verstoß gegen diesen theore¬
tischen Gesichtspunkt erlaubt. Wenn z. B. unter den Wüstenbildern s
ein Löwe dargestellt ist, der ein Bind überfÄUt, so daß dem er¬
schreckten Vieh der Pladen entweicht; oder wenn eine Gazelle ihr
Junges säugt, und ein durstiger Jäger den Wasserkrug an den
Kopf hebt; oder wenn die Schiffer im Boot sich nach echt ägyp¬
tischer Weise zu prügeln anfangen, so sind das zwar sehr be- lo
lustigende Ausschmückungen der althergebrachten Typen, aber es
ist nicht einzusehen, was sie mit dem Seelenbeil eines verklärten
Toten zu tun haben. Und erscheint in der Ecke einer Grabwand
der »belohnte" Bildhauer-Meister, in einem Kahn sitzend und an
seinem Honorar in Gestalt von Früchten und gefüllten Krügen sich is
labend, so ist an dem rein bildmäßigen Charakter der Szene nicht
zu zweifeln.
Die Sammlung der typischen Darstellungen in den Mastabas
ist eine verlockende und lohnende Aufgabe , die nach zwei Seiten
hin wertvoll ist: einmal läßt sich das antike Leben aus ihnen in «o
einer Weise rekonstruieren und wiederbeleben, wie es für Ägypten
wie überhaupt für die Länder der alten Kulturen nnr selten ge¬
schehen kann. Femer wird durch die Vergleichung der Parallelen,
die erst die oft unsorgMtig gearbeiteten Bilder und die schwierigen
Inschriften verständlich macht, die Abhängigkeit der einzelnen Aus- «5
führungen voneinander klar; hierin Gruppen und Schulen zu
sondern, wäre eine Entschädigung für unsere Unbekanntschaft mit
den alten Bildhauer-Meistem selbst und ihren Namen.
V. Bissing hat in seinem .Gemnikai*^) die weltlichen und
die religiösen Darstellungen dieses Grabes behandelt; er gibt zu ao
jeder von ihnen einen sprachlichen und archäologischen Kommentar
und verzeichnet, wo die betreflFenden Bilder noch in anderen Gräbern
des Alten und Mittleren Reiches vorkommen. Die letzteren An¬
gaben, mit der bei v. Bissing bekannten Literaturkenntnis zu¬
sammengestellt , sind desbalb besonders wertvoll , weil diese Dinge ss
in Deutschland 1885 von Ad. Erman in seinem „Ägypten und
ägyptisches Leben' zum ersten und letzten Mal gründlich und zu¬
sammenfassend behandelt wurden; damals waren die stattlichen
neueren Reihen der englischen , französischen und deutschen Denk¬
mäler-Publikationen noch nicht erschienen. Um eine Vorstellung 40
von den Details, um die es sich handelt, zu geben, zähle ich die
von V. Bissing behandelten Darstellungen auf; da das Grab des
Gemnikai nur einen kleinen Teil der bekannten Typen enthält, so
ist diese Liste natürlich sehr unvollständig, wenn man eine Über¬
sicht über den ganzen Bilderschatz der Mastabas fordert.. 48
1) Bd. I, 22—33, Nr. I—XV und Bd. II, 23—86, Nr. 1—3.
780 Moeder, Das ägyptisclie MastabchCfrab.
I. Weltliche SargtellongreB.
A. Der Tote und sein Haus.
Pfeiler: G. allein stehend.
Passim: G. irgend etwas besichtigend (stehend).
5 I.^) Vogeljagd mit dem Wurf holz im Sumpf.
XV. G. wird in Sänfte ausgetragen, xn. Schreiber.
B. Feldwirtschaft.
VI. VII. Vogelfang mit dem Schlagnetz.
10 VIII. Abliefem der gefangenen Vögel.
IX. Der Vogelhof.
X. Der Weiher mit Geflügel und Fischen.
XI. Mästen von Geflügel und Hyänen.
XIII. Fischfang; Ausweiden der Fische.
11 XIV. Das Abliefern der Fische.
Dazu ein zoologischer (Bd. I, 34—42) und ein botanischer (Bd. II, 41—2) Exkurs : Identifizierung der dargestellten Tiere und Pflanzen.
,C. Handwerker.
II. Schmelzen von Metall.
20 (Hier ist das Gemnikai-Grab anderen gegenüber besonders arm
an Bildern.)
II. Religiöse Darstellungen.
A. Die Diener im Totenkultus.
IV. Ziehen der Statue 2).
25 1.8) Ziehen der Altäre („Emtefest" ?).
3. Schlachten der Opferrinder,
ni. Männer mit Opfergaben und Kästen.
XVI. Männer mit ÖlgefUßen und Stöcken.
B. Die Priester,
so 2, 1—3. Verklärung durch den Vorlesepriester (Cherheb).
2, 4. »Bringen des Beines" (jn.t rd)*).
2, 5—7. Wasser spenden.
2, 8. Weihrauch räuchern.
2, 9. Darbringen der Opfergaben.
1) Die Tömisclien Zablen verweisen auf die Nummern bei v. Bissing, Bd. I, 29—33.
2) Interessant ist, daß das Bild im Vorraum zu Kammer I steht, neben welcber der Serdäb mit der Statue liegt; in einigen anderen bekannten Gräbern hat man auf diese Beziehung keine RUcksicbt genommen.
3) Die arabischen Zahlen verweisen auf die Nummern bei v. Bissing, Bd. I, 33—36.
4) V. Bissing kann die Bedeutung der Zeremonie im Totenkultus nicht ermitteln (Bd. I, S. 25, Nr. 159 und S. 34, Nr. 4); er wäre vielleicht weiter¬
gekommen, wenn er ihr Vorkommen am Ende des Tempelrituals berücksichtigt hätte.
781
Bemerkungen zu Takla Hawäryät.
Von F. Prsetorins.
Durch, die Anzeige von Conti Rossini's Vitae Sanctorum in¬
digenarum in dieser Zeitschr. Bd. 65, S. 571 ff. bin ich dazu geführt v^orden, auch den zweiten Teil des Heftes, den Gadla Takla 5*wäryät
etwas genauer durchzulesen. Kann das Leben des Abakerazün im
wesentlichen als geschichtliche Darstellnng gelten, so trifft für Takla 6
Ilawäryät Conti Rossini's Charakteristik zu: Re quidem vera, eius
Acta vanis narrationibus redundant; nonnulla tamen notatu digna
referunt etc. Das Leben des Abakerazün würde auf abessinischem
Boden also ungeftlhr dem entsprechen, was auf abendländisch¬
lateinischem Boden von Zoepf, Das Heiligen-Leben im 10. Jahr- lo
hundert, S. 34 als .Heiligen-Biographie" von der .Heiligen-Vita'
und .Heiligen-Legende" abgehoben worden ist. Das Leben des
Takla Hawäryät dagegetf würde wohl als Heiligen-Legende anzu¬
sprechen sein. Es würdi zu den .romans historiques" gehören, die
Delehaye's vierte Klasse bilden (H. Delehaye, les legendes hagio- is
graphiques*, S. 129). Zum größten Teil ist der Gadla Takla
^awäryät billige Fabrikware, nach der Schablone gearbeitet, Ab-
lagerungsort für vorhandene, abgebrauchte, vielfach internationale
Motive. Davon sollen im Folgenden einige hervorgehoben werden.
Die an sich wenig erfreuliche Lektüre dieses äthiopischen Textes 20
wurde einigermaßen erträglich gemacht dnrch eine kleine Ausbeute
für das äthiopische Lexikon, weiter durch einige literargeschichtliche
Umblicke. Durch diese letzteren . wurde mir die (für viele nicht
neue) Erkenntnis erschlossen, daß solche unglaublichen Asketen-
und Wundergeschichten, wie sie im TH. vorliegen, nicht erst Er- 25
findung geschmackloser äthiopischer Schriftsteller sind, sondern daß
sie Ausläufer sind uralter Literaturgattungen, deren Wurzeln aus
dem Heidentum in das Christentum hineingewachsen sind und hier
an vielen Stellen neu ausgeschlagen haben. Ungezählte Tausende
im Morgen- wie im Abendlande haben sich an solchen Geschichten 30
erbaut, die uns heute mehr als albern erscheinen.
Nicht erst bei den Äthiopen sind die verschiedenartigen Wunder¬
geschichten, mit denen oft auch die äthiopischen Heiligenleben voU-
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