Hans Kähler (1912-1983)
Von Peter W. Pink, Hamburg
Am 8. Mai 1983 starb nach langem, tapfer ertragenen Leiden Prof.
Hans Kähler, der langjährige Direktor des Seminars für Indonesische
und Südseesprachen der Universität Hamburg.
Hans Kähler wurde am 16. 2. 1912 im holsteinischen Uetersen
geboren. Nach dem Abitur absolvierte er zunächst eine kaufmännische
Lehre, bevor er im SS 1933 an der Hansischen Universität Hamburg bei
den Professoren Dempwolff, Panconcelli-Calzia, Thilenius und
Termer das Studium der Austronesischen Sprachwissenschaften, der
Phonetik und der Völkerkunde aufnahm, das er bereits am 31. Januar
1936 mit der Doktorprüfung abschloß; die Gutachter seiner Disserta¬
tion Untersuchungen über die Laut-, Wort- und Satzlehre des Nias waren
Otto Dempwolff und Carl Meinhof. Nach kurzer Tätigkeit als
„freiwilliger wissenschaftlicher Mitarbeiter" trat er April 1937 im Auf¬
trag der niederländischen Kolonialregierung eine Forschungsreise nach
Niederländisch-Indien, dem heutigen Indonesien, an, die der Untersu¬
chung zahlreicher nur wenig bekannter Sprachen Sumatras galt, insbe¬
sondere auf den seiner West- und Ostküste vorgelagerten Inselgruppen
und in den Niederungen im Osten der Insel. Diese Tätigkeit fand im Mai
1940 mit der Internierung, die bis zum Winter 1946 währte, ein unge-
plantes Ende. Doch konnte er diese Zeit teilweise zur Ausarbeitung des
gesammelten Materials und zum Studium weiterer Sprachen nutzen.
Seit Juli 1947 war Hans Kähler bis über seine Pensionierung hin¬
aus ununterbrochen am Hamburger Seminar tätig. Schon 1949 erfolgte
seine Habilitation mit einer Schrift Texte von der Insel Simalur. Im
Januar 1956 ernannte ihn die Umversität zum außerplanmäßigen Pro¬
fessor. Von da an leitete er die Geschicke des Seminars bis zu seinem
Ausscheiden im Jahre 1979, eine Aufgabe, die ihn viel seiner Arbeits¬
kraft gekostet hat. 1959 rief er die Reihe „Veröffentlichungen des Semi¬
nars für Indonesische und Südseesprachen der Universität Hamburg"
ins Leben, die einzige deutschsprachige Reihe auf diesem Gebiet. Er hat
selbst viele Bände zu ihr beigesteuert. Ihr 17. Band erschien 1982 als
Festschrift zu seinem 70. Geburtstag.
Hans Kähler (1912-1983) 11
Internationalen Ruf erwarb sich Hans Kähler vor allem als Lin¬
guist. Hier verstand er sich als Schüler seines Lehrers Otto Demp¬
wolff. Mit ihm teilte er die Ansicht, daß eine vergleichende Betrach¬
tung der austronesischen Sprachen nur von den westlichen Sprachen
des Gebiets wegen ihres archaischen Lautbestandes ausgehen könne.
In Dempwolffs RekonstiTiktion von Phonologie und Wortschatz des
Uraustronesischen, die rücht beanspruchte die einer gesprochenen Pro¬
tospraehe zu sein, sondern Formeln zur Bestimmung von Lautentspre¬
chungen liefern wollte, sah er zeitlebens — und die Wissenschaft bestä¬
tigt ihn heute darin — ein präziseres Instrument zur Eruierung von
Sprachverwandtschaft als in manchen späteren methodischen Ansät¬
zen, vor allem dem der Lexikostatistik. Obwohl Hans Kähler der Mei¬
nung war, daß es gut möglich sei, den durch seinen Lehrer erschlosse¬
nen Wortschatz nicht unerheblich zu erweitern, so insbesondere mit
Hilfe der Celebes-Sprachen, ging sein Interesse mehr auf die verglei¬
chende Untersuchung von Morphemstruktur und Syntax austronesi¬
scher Sprachen. Schon früh gelang ihm dabei die Lösung eines Pro¬
blems, welches er in der Dissertation noch ungeklärt lassen mußte; in
dem Aufsatz Untersuchungen über die Entstehung klassifilcatorischer Prä¬
fixe in austronesischen Sprachen kormte er eine Reihe von rätselhaften
Formantien auf Klassifikatoren zurückführen. Seine umfangreiche
Arbeit Untersuchungen zur Morphologie polynesischer Dialekte läßt sich
als erste und bisher einzige „vergleichende Grammatik und Syntax au¬
stronesischer Sprachen" (Reitzenstein, Te Reo 2, 1959) ansehen.
Hierin kam er zu Schlüssen über die Verwandtschaft von polynesischen
und indonesischen Sprachen, an denen er, obwohl sie in scharfem
Gegensatz zu den herrschenden Ansichten standen, immer unbeirrt
festgehalten hat, wohl zu Recht, wie neuere Forschungen zeigen.
Ein fundierter Sprachvergleich war für Hans Kähler jedoch unmög¬
lich ohne genaue Kenntnis zahlreicher Einzelsprachen aus verschiede¬
nen Gebieten des gesamten Sprachraums. Daraus ergibt sich zwangs¬
läufig ein zweiter Schwerpunkt seiner linguistischen Tätigkeit: Auf¬
nahme und wissenschaftliche Bearbeitung von nicht oder nur unzurei¬
chend bekannten Sprachen. So verdanken wir ihm die Kenntnis einer
Reihe von Sprachen, die zum Teil heute ausgestorben sind. Sie sind auf
seiner ersten Reise aufgenommen, oft Sprachen von kleinen Randgrup¬
pen. Sie werfen linguistisch überaus komplizierte Probleme auf. So ist
zum Beispiel die Frage nach ihrer Stellung innerhalb der austronesi¬
schen Sprachfamilie nur sehr schwer zu beantworten, da sie, obwohl
stark von den sumatranischen beeinflußt, mehr Gemeinsamkeiten mit
den nördlichen Sprachen auf Borneo oder Celebes aufweisen und mögli-
12 Peter W. Pink
cherweise ein beträchthches voraustronesisches Substrat enthalten. Im
Falle des Enggano, dessen Kenntnis allein auf Hans Kählbrs Arbei¬
ten beruht, tauchten sogar Zweifel an der Zugehörigkeit zur austronesi¬
schen Sprachfamilie auf. Eine Lösung dieser Probleme wäre für eine
Klärung der frühen Besiedlungsgeschichte dieses Raums ungemein
wichtig. Daß sie jedoch allein mit Hilfe der Linguistik möglich ist, hat
Hans Kähler ausgeschlossen. So hat er sich auch nicht mit dem
Zusammentragen linguistisch relevanter Daten begnügt, sondern Spra¬
chen in Verbindung mit ihrer Kultur gesehen und erforscht und folge¬
richtig auch ethnographisches Material und insbesondere Texte der
oralen Erzähltradition gesammelt. Vieles hat er so vor dem Vergessen
gerettet. Programmatisch für diese Zusammenschau ist ein Titel wie
Studien über die Kultur, die Sprache und die arabisch-afrikaanse Literatur
der Kap-Malaien. Dieses Werk, in dem er sich wiederum einer Rand¬
gruppe zuwendet, weist auf ein weiteres Interessen- und Forschungsge¬
biet Hans KAhlers, den Islam bei den malaiischen Völkern, von dem
mehrere Arbeiten Zeugnis ablegen. Die Sprache der Kap-Malaien ist
wie der Dialekt der Bewohner Jakartas, das Omong Jakarta, von dem er
ein umfangreiches Wörterverzeichnis erstellt hat, das Idiom einer
Bevölkerungsgmppe sehr heterogener Herkunft. Von der offiziellen
Sprache der jungen Republik Indonesien schuf er in der Grammatik der
Bahasa Indonesia die erste umfangreiche wissenschaftliche Beschrei¬
bung; sie erschien in seinem Todesjahr in dritter Auflage.
Aufgmnd seiner praktischen Erfahrung als Sprachforscher, seiner
Kenntnis zahlreicher Sprachen des austronesischen Raums — während
seiner Lehrtätigkeit unterrichtete er beispielsweise neben der Bahasa
Indonesia und Sumatra-Sprachen Sundanesisch, Neu- und Altjava¬
nisch, Ngaju-Dayak (Borneo), Tagalog (Philippinen), Kambera (Ostin¬
donesien), Samoa und Mota (Pazifik) — ferner aufgmnd seiner Vertraut¬
heit mit dem Arabischen und der islamischen Kultur der malaiischen
Welt besaß Hans Kähler die denkbar besten Voraussetzungen, am
Seminar für Indonesische und Südseesprachen der Umversität Ham¬
burg als einziger Professor das Fach „Austronesische Sprachen und
Kulturen" zu vertreten. Seinem Einsatz ist es neben seiner und seines
Lehrers wissenschaftlicher Leistung mit zu verdanken, daß die Unab¬
hängigkeit des Seminars gewahrt und damit die institutionelle Basis
der Hamburger Schule erhalten blieb, die er nach außen hin auf zahlrei¬
chen in- und ausländischen Kongressen temperamentvoll repräsen¬
tierte. Sein Unterricht war sachlich; Polemik gegen seine wissenschaft¬
lichen Kontrahenten suchte er fernzuhalten, doch erkannten wir Stu¬
denten hinter aller Nüchternheit bald die Symptome innerer Erregung,
Hans Kähler (1912-1983) 13
wenn er auf Probleme zu sprechen kam, die seine leidenschaftliche
Anteilnahme beanspruchten und bei denen er Partei war. Er war ein
strenger Lehrer, anfangs oft schroff, doch hilfsbereit und aufgeschos¬
sen dem gegenüber, der durch Fleiß und Können sein Vertrauen gewon¬
nen hatte. Vielen Schülem und Mitarbeitern blieb er auch über die Zeit
von Studium und Zusammenarbeit hinaus herzlich verbunden, ebenso
wie vielen seiner Informanten. Obwohl er von persönlichen Dingen nur
selten sprach, so zeichnete er doch bisweilen von manchen von ihnen im
Gespräch ein lebendiges, von Sympathie getragenes Porträt. Mit wel¬
cher Hochachtung sie von ihm sprachen, habe ich selbst auf Sumatra
erlebt, noch bevor ich sein Student wurde.
Hans Kähler war ein fleißiger und disziplinierter Arbeiter. Viel von
dem, was er im Feld gesammelt hat, hat er während der Zeit seiner
Lehrtätigkeit trotzdem nicht bearbeiten können. Dafür hatte er im Ver¬
trauen auf seine robuste Natur die Zeit nach seiner Pensioniemng ein¬
geplant. Krankheit und Tod haben diese Pläne vereitelt.
F61ix Maria Pareja, S. J. (1890-1983)
Von Josef van Ess, Tübingen
Er hatte das Schreinerhandwerk gelernt; sein Vater meinte, mit
einem Studium allein lasse sich nicht viel Staat machen. Zeit seines
Lebens hatte er einen Zug ins Praktische; als Student erfand er ein
Fahrrad mit sechs Sitzen, und im Alter gründete er die Europäische
Union der Arabisten und Islamisten. Dabei brauchte er sich um seinen
Lebensunterhalt nicht zu sorgen; er hatte sich entschlossen, in den
Jesuitenorden einzutreten. Dort legte man, wie seit eh und je, Wert auf
eine solide Ausbildung; so erwarb er den Dr. phil. an der Gregoriana in
Rom, den Dr. theol. an einem Jesuitenkolleg in England (St. Beonus),
den Magister in Orientalischen Sprachen an der Umversität Cambridge
und den Doktor im selben Fach an der Universität Madrid, bei AsfN-
Palacios, mit einer Arbeit über spanisch-arabische Traktate zum
Schachspiel. Sein Orden schickte ihn nach Indien; dort war er drei
Jahre, von 1935 bis 1938, als Professor für Arabisch und Persisch am
St. Xavier's College in Bombay. Damit blieb ihm die kritische Phase
des Bürgerkrieges erspart; er stammte aus Barcelona und wäre dort als
Geistlicher nicht unbedingt seines Lebens sicher gewesen. Auch die
Franco-Zeit erlebte er großenteils aus der Distanz; zwischen 1938 und
1956 lehrte er Islamistik an der Gregoriana in Rom. Im Alter von 65
Jahren kehrte er nach Madrid zurück, keineswegs bereit, sich zur Ruhe
zu setzen (oder setzen zu lassen). Für einige Zeit unterrichtete er an der
Universidad Complutense in Madrid. Dann trat er in die Dienste des
Instituto Hispano-ärabe de Cultura, wo er mit Umsicht und Strenge eine
islamistische Fachbibliothek aufbaute, die heute besser ausgestattet ist
als alle anderen Forschungsstätten, die man sonst in Madrid auf diesem
Gebiet an Universitäten usw. findet.
Parejas wissenschaftliches Werk ist, von seiner Islamologia abgese¬
hen, in Deutschland unbekannt geblieben. Man sollte sich nichts vor¬
machen: die Ergebnisse der spanischen Arabistik und Islamistik wer¬
den in Deutschland sozusagen nicht rezipiert. Aber als Sekretär der
UEAI (Union Europeenne d'Arabisants et Islamisants) war er jedem
bekannt. Sie war ganz seine Schöpfung, konzipiert im Geiste eines Man-