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Wen es trifft metall

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Grundsicherung im Alter

Wenn die Rente zum Leben nicht mehr reicht

Monatsökonom

Koalition würgt Konjunktur ab

Berliner Sozialabbau

September 2006 Jahrgang 58 D 4713 Nr. 9

D a s M o n a t s m a g a z i n d e r I G M e t a l l

metall

Wen es trifft

red_09_01_Titel_apm.qxp 23.08.2006 10:11 Uhr Seite 1

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Vier Wochen lang regierte König Fußball. Nicht die Bundesregierung und die Parteien bestimmten die Nachrichten, sondern das Fußballgeschehen.

Allerdings: Das politische Leben ging weiter. Und die Große Koalition nutz- te das Fußballfieber, um schnell – ohne großen Aufschrei der

Öffentlichkeit – weitere »Reformen« zu präsentieren. Im Fußball wurde Neues gewagt – erfolgreich. Im Gegensatz dazu die Große Koalition. Sie hat nicht den Mut neue Wege zu gehen. Wie immer in den vergangenen Jahren bedeuten die Pläne der Bundesregierung: Arbeitgeber werden erheblich entlastet – die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Familien kräftig belastet.

Zum Beispiel die Gesundheitsreform: Die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung soll auf ein Fondsmodell umgestellt werden. Schon jetzt ist klar: Die Beiträge der Beschäftigten werden höher sein,

als die der Arbeitgeber. Bis zu einem Prozent des Bruttohaushaltseinkom- mens müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zukunft zusätz- lich zahlen. Die Arbeitgeber werden damit endgültig aus der Verantwortung für eine solidarische Finanzierung des Gesundheitswesens entlassen.

Zum Beispiel die Steuerpolitik: Die bestehende Schieflage zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird weiter verschärft, wenn die Pläne der Bundesregierung Gesetz werden. Während die Eckpunkte zur Unternehmenssteuerreform die Unternehmen jährlich um rund acht Milliarden Euro entlasten, wird den Beschäftigten wieder kräftig in die Ta- sche gegriffen: durch den Abbau der Pendlerpauschale und des Sparer- freibetrags oder durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Damit zeigen auch die beiden jüngsten Reformschritte: Die Große Koalition setzt die Umverteilungspolitik der Vorgängerregierungen fort. Den Kleinen wird ge- nommen, den Großen gegeben.

Was wir zu dieser Politik sagen, liegt auf der Hand: Schluss mit den Ge- schenken für Arbeitgeber und weiteren Belastungen für Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer. Es muss anders werden. Das geht besser. Wir sa- gen nicht nur Nein. Wir haben Alternativen: für eine aktive Beschäftigungs- politik, für mehr öffentliche Investitionen in Infrastruktur und soziale Dienstleistungen, für eine nachhaltige und sozial gerechte Bürgerversi- cherung.

Das kommt aber nicht von allein. Darum werden wir gemeinsam mit Bündnispartnern zu regionalen Demonstrationen gegen die Politik der Bundesregierung in Berlin, München, Stuttgart, Wiesbaden und Dortmund am 21. Oktober mobil machen. Jetzt gilt es, in der Gesellschaft und bei den Parteien für eine andere Politik zu werben – und Druck zu machen. Denn entschieden ist in Sachen Gesundheitsreform, Unternehmenssteuer und Rente mit 67 noch nichts.

Das geht besser – aber nicht von allein

Jürgen Peters, Erster Vorsitzender der IG Metall

»Schluss mit den Geschen- ken für Arbeitgeber und weiteren Belastungen für Arbeitnehmer. Es muss an- ders werden. Das geht bes- ser. Wir sagen nicht nur Nein. Wir haben Alternati- ven: für eine aktive

Beschäftigungspolitik, für mehr öffentliche Investitio- nen in Infrastruktur und soziale Dienstleistungen, für eine nachhaltige und sozial gerechte Bürgerver- sicherung.«

Foto:IGMetall/RenateSchildheuer

Editorial

red_09_02_03_apm.qxp 22.08.2006 18:48 Uhr Seite 2

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3

Editorial

Jürgen Peters über die

Schwarz-Rote Politik . . . .2

Magazin

Die Kampagne hinter der »Bild«-Kampagne. . . .4

Erfolgreicher Widerstand . . . .5

Von Amtswegen: 60 Stunden-Woche . . . .6

Interview mit SAP-Betriebsrat . . . .7

Titel:

Noch mehr Reformen Warum sich der Kampf gegen Gesundheitsfonds, Rente mit 67 und Unternehmenssteuer lohnt . . . . .8

Arbeitsmarkt

Ein-Euro-Jobs verdrängen reguläre Beschäftigung . . . .12

Serie über Menschenrechte

Kinder. . . .14

Betriebsreport

Wie Auto 5000 zur Erfolgsgeschichte wurde . . . .15

Mitglieder

Alle ziehen mit: Metaller werben Metaller . . . .16

Stahl-Tarifrunde

Ehrgeizige Ziele . . . .18

KMU

Mehr Wachstum durch Innovation . . . .19

Porträt

Zu Besuch bei Werner Kubitza . . . .23

Ratgeber

Grundsicherung: Wenn die Rente nicht reicht . . . .24

Welche Rechte haben Azubis . . . .26

Rätsel

Monats- und Drei-Monats-Rätsel . . . .28

Monatsökonom

Dierk Hirschel über Konjunktur und Koalition . . . .30

Regionales

Aus den Bezirken . . . .32

Lokales/Karikatur . . . .35

Impressum/Leserbriefe . . . .22

Inhalt

Titelillustration: Silvan Wegmann

metall9/2006

Mitglieder-Kampagne

Die Kampagne »Ziehen Sie mit!«

läuft auf Hochtouren, noch bis in den Herbst. Warum es sich lohnt und Spaß macht, neue Mitglie- der zu werben, verraten Metaller in dieser Ausgabe.

Seite 16

Welche Rechte haben Auszubildende?

Müssen Auszubildende das Auto vom Chef waschen?

Dürfen sie während der Arbeits- zeit ihr Piercing tragen?

metallweiß die Antworten.

Seite 26

Foto:go-digitalpro!/Boehme Foto:GRAFFITI/Roettgers

Mittelstandspolitik

Hinter dem Begriff »Entbürokratisierung« versteckt sich ein geplanter Angriff auf Mitbestimmung, Kündigungsschutz und Arbeitszeit. Das lässt sich die IG Metall nicht gefallen. Sie fordert Innovation und Weiterbildung.

Seite 19

Foto:WernerBachmeier

red_09_02_03_apm.qxp 22.08.2006 18:55 Uhr Seite 3

(4)

Xxxxxx xxxxx

Auf Speth wirkt die »Bild«-Serie wie eine Optimismus-Therapie.

»Es kommen immer die gleichen Begriffe wie Wachstum oder In- novation vor.« Ein wenig erin- nert das an die Kampagne »Du bist Deutschland«, die mit positi- ver Stimmung das Land auf Ver- änderung trimmen wollte. Die

»wichtigen Bild-Chefs«, Hein- rich von Pierer, Kai-Uwe Ricke und Utz Claassen unterstützen auch den Mitinitiator der Kam- pagne »Partner für Innovation«.

So ganz scheint die Botschaft von

»Du bist Deutschland« bei ihnen nicht angekommen zu sein. Dort heißt es: »Behandle dein Land wie einen guten Freund.Meckere nicht über ihn ...«7

Ausgerechnet im Gespräch mit dem Freizeit-Blatt »Hörzu« kam Staatsfinanzwächter Peer Steinbrückauf die glorreiche Idee, seinen Mitmenschen den Urlaub mies zu machen. Statt ihr Geld in den bayrischen Al- pen oder an der Costa Brava zu verprassen, sollten sie es lie- ber in den Private-Altersvorsor- ge-Strumpf stecken. Mit Prügel hatte der Mann ja gerechnet.

Aber dann kam es von allen

Seiten ziemlich knüppeldick und Steinbrück entschuldigte sich kleinlaut. Niemand suchte nach dem Grund für das merk- würdige Verhalten des Finanz- ministers. Dabei hätten seine Kritiker doch nur einmal unter

»Stress-Symptome« nach- schlagen müssen. Dazu zählen nämlich neben Konzentrations- schwäche und Gereiztheit auch Tagträumerei. Klare Sache: Der Mann ist einfach urlaubsreif.7

Xxxxxx xxxxx

Eine weitere »Bild«-Aktion sorgt für Zoff: Leser können ihre Schnappschüsse veröf- fentlichen. Gefragt sind Un- fall-Opfer oder Prominente.

Die 500 Euro, die »Bild« den Lesern zahlt, sind verglichen mit den Profi-Honoraren, Schnäppchen-Preise. Solche Veröffentlichungen sind hei- kel, warnt Presseanwalt Mat- thias Prinz. Nicht nur »Bild«, sondern auch die Hobby-Foto- grafen können sich strafbar machen. Der Grund: Die Ver- letzung von Persönlichkeits- rechten. Denn Fotos aus dem Privatleben dürfen nur veröf- fentlicht werden, wenn es der Abgelichtete erlaubt. 7

»Bild«-Leser-Fotos:

Spiel mit dem Feuer

Die Botschaft ist immer die selbe:

Bürokratie, Arbeitsrecht und So- zialstaat sind schlecht. Unterneh- mensförderung, ein schlanker Staat und ein freier Markt sind gut. Seit ein paar Wochen präsen- tieren die Vorstandschefs und Aufsichtsräte deutscher Großun- ternehmen den »Bild«-Lesern täglich ihr einfaches Weltbild. Da fordert der Vorstandschef der Me- tro-Gruppe, Hans-Joachim Kör- ber, mehr Freiheit für die Wirt- schaft. Und während Arend Oet- ker, Chef der Oetker Holding AG (und Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft), einmal mehr den Kündigungs- schutz zum Sündenbock macht, erklärt der »wichtige Chef« des Energieriesen Eon, Wulf Ber- notat, die Sozialabgaben zum Ar- beitsplatzvernichter.

Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann und der Vorstands- vorsitzende des Finanzdienstleis- ters AWD Holding AG, Carsten Maschmeyer, singen das hohe Lied auf die private Altersvorsor- ge, was vor allen Dingen den eigenen Interessen dienen dürf- te, vermutet Buchautor Albrecht Müller. Schließlich verdienten gerade ihre Unternehmen an der Privatisierung der Rente.

So viel Unternehmereintracht auf einem Fleck findet auch Ru- dolf Speth von der Freien Univer- sität Berlin auffällig. Speth hat sich in mehreren Studien mit In- itiativen, wie der Neuen Sozialen Marktwirtschaft, beschäftigt.

»Das hat schon Kampagnencha- rakter, wenn Vorstandsvorsitzen- de im Tagesabstand in ein und dieselbe Richtung marschieren.«

»Bild«-Chef-Serie

Täglich ein einfaches Weltbild

Kampagne

in eigener Sache

Magazin

Pfl aume des Monats

»Bild« nennt sie »Deutsch- lands wichtigste Chefs«, lässt sie im Tagestakt auf den inneren Seiten des Blattes aufmar- schieren und erklären,

»wie unser Land Spitze bleibt«

Doch hinter der

»Wir-müssen-nur- die-Ärmel-hoch- krempeln-und-anpa-

cken-Rhetorik« steckt oft nichts anderes als Werbung für die Inter- essen ihrer eigenen Un- ternehmen.

Quelle:Bildvom7.August2006

So präsentierte die »Bild«

im August den Deutschen Bank-Chef Josef Ackermann

Peer Steinbrück

red_09_04_05_magazin_apm.qxp 22.08.2006 19:21 Uhr Seite 4

(5)

5

metall9/2006

3Die Friedrichshafener IG Metall bremste den führenden Wohnmo- bilhersteller »Hymer« aus.Hymer (rund 1200 Beschäftigte) hatte die Beschäftigten gedrängt, jährlich 135 Stunden zusätzlich und um- sonstzu arbeiten. Außerdem muss- ten sie sich bereit erklären, die Vo- lumen ihrer Arbeitszeitkonten ent- gegen den Bestimmungen des Ta- rifvertrags auf 200 Stunden zu ver- doppeln. Dabei fährt Hymer riesige Gewinne ein. Auf Antrag der IG Me- tall hat das Ulmer Arbeitsgericht jetzt die Wohnwagen-Firma ver- pflichtet, die tarifwidrigen Arbeits- zeitregelungen zurückzunehmen.

3Bei Daimler-Chrysler gibt es endlich eine neue Betriebsverein- barung über gleitende und flexible Arbeitszeit, für die so lange gekämpft wurde. Seit 1. Juli ist die Vereinbarung in Kraft. Bis zum 1. Oktober sollen die Zeitguthaben auf maximal 75 Stunden abgebaut sein.

Außenansicht

Witwenrente

Recht auf Existenz

Es gibt kaum ein Thema, das so emotionsgeladen diskutiert wird wie Familienpolitik. Kein Wunder, dass der Vorstoß des CDU-Rentenexperten Peter Weiß, die Witwenrenten zu be- schneiden,

heftige Dis- kussionen ausgelöst hat.

Warum eigent- lich? Frauen- verbände for- dern seit lan- gem die Ab- schaffung des Ehegatten- splittings, weil es die Einver- diener-Ehe för-

dert. Auch die Rente für die Ehe- frau ist ein Relikt der Familien- ideologie, nach der Frauen Hausfrauen oder Zuverdienerin- nen sein sollen. Durch die Be- günstigung dieser Lebensform werden alle anderen Lebensfor- men diskriminiert. Warum sollte man das nicht abschaffen?

In Schweden gibt es seit 1999 keine Witwenrente mehr.

Schweden geht vom Recht auf eigenständige Existenzsiche- rung der Frauen aus und be- trachtet sie nicht als Anhängsel eines Ehemanns. Schweden hat eine Frauenbeschäftigungsquo- te von über 70 Prozent;

Deutschland von 58 Prozent.

Schweden investiert in Kinder- betreuung; es hat eine Mindest- sicherung für alte Menschen. In Deutschland ist die Armut unter alten Frauen hoch.

Wenn wir dafür sorgen, dass jeder Mensch als eigenständi- ges Wesen betrachtet wird, das ein Recht auf Existenz aus eige- ner, sinnvoller Erwerbsarbeit hat, aus der er/sie entsprechen- de Rentenansprüche ableiten kann, dann brauchen wir zukünftig keine Witwenrente.7

Foto:ProFamiliae.V.

Gisela Notz, Vorsitzende des »pro familia«-Bun- desverbands

3Gleiches Recht für alle: Das Gleichbehandlungsgesetz tritt in Kraft. Wer sich wegen Alter, Ge- schlecht oder Hautfarbe diskrimi- niert fühlt, hat jetzt gute Chancen zu klagen. Den Arbeitgebern geht das Gesetzzu weit. Pech. Die IG Me- tall begrüßt das Gesetz. Jetzt gilt auch für deutsche Beschäftigte, was europaweit schon längst rechtskräftig ist.

3Dacromet-Schrauben mussten zum 1. Juli ausgetauscht werden.

Schrauben, die beim Automobil- hersteller Daimler-Chrysler in Un- tertürkheim benutzt wurden, ste- hen im Verdacht, Krebs auszulö- sen. Sie sind mit der Substanz

»Dacromet« beschichtet. Die Ge- schäftsleitung spielte die Sache herunter (metallberichtete im Juli 2005). Neue Schrauben sollten erst von der Entwicklungsabteilung frei- gegeben werden. Der Betriebsrat blieb hartnäckig. Nun wurden die Schrauben doch ausgetauscht.

3Beschäftigungspakt mit Thys- sen-Krupp Steelgeschlossen.»Wir haben einen Leuchtturm gesetzt«, sagt Willi Segerath, Gesamtbe- triebsratsvorsitzender der Thys- sen-Krupp Steel AG. Gemeint ist der Beschäftigungspakt, den die IG Metall Nordrhein-Westfalen und der Betriebsrat mit dem Stahlkon- zern geschlossen haben. Danach verkürzt sich die Arbeitszeit der 18000 Beschäftigten ab 1. Oktober um eine Stunde auf 34 Wochen- stunden. Das macht nicht nur be- triebsbedingte Kündigungen über- flüssig. Es werden sogar 500 Ar- beitsplätze geschaffen, 1000 Aus- gebildete in ein unbefristetes Be- schäftigungsverhältnis übernom- men und 500 Altersteilzeitverträge zusätzlich abgeschlossen. Der Pakt gilt bis 30. September 2013. Sieben Jahre Beschäftigungssicherheit – das gab’s noch nie. IG Metall-Be- zirksleiter Detlef Wetzel: »Das ist ein gewichtiges Signal gegen den neoliberalen Mainstream.«7

Foto:FM

Auch in der Urlaubszeit wehrten sich Metallerinnen und Metaller. Hier einige Beispiele dafür, wo sich der Widerstand gelohnt hat.

Gute Zeiten...

Wo erfolgreich gekämpft wurde

Dacromet-Schrauben stehen im Verdacht, Krebs auszulösen: Dank IG Metall werden sie künftig nicht mehr verwendet

Magazin

red_09_04_05_magazin_apm.qxp 22.08.2006 19:21 Uhr Seite 5

(6)

Köpfe

Rolf Becker,Schauspieler und aktiver Gewerkschafter, gas- tierte dieses Jahr häufig bei politischen Aktionen. So be- suchte Becker mehrfach die

Streikenden von CNH in Berlin und un- terstützte sie im Kampf um ihre Arbeits- plätze. Becker, ehrenamt- licher Funktio- när bei Verdi, kämpfte auch beim Streik im öffentlichen Dienst an vorder- ster Front. Im September liest er bei einer Veranstaltung der IG Metall in Braunschweig.

Seine Lieblingstexte: Brecht, Tucholski, Fried und das Kom- munistische Manifest.7

Kong Jun undLi Xintao,Textilar- beiter aus China, sitzen zwei und fünf Jahre im Gefängnis. Sie hatten Proteste gegen die Be- kleidungsfirma Huamei organi- siert. Die Konkurs-Firma hatte sechs Monate keine Löhne mehr an ihre Beschäftigten gezahlt.

Kong Jun und Li Xintao wurden wegen »Störung der gesell- schaftlichen Ordnung« verur- teilt. Die Internationale Textil-, Bekleidungs- und Lederarbeiter- Vereinigung (ITBLAV) fordert , sie sofort frei zu lassen.7

Arianna Huffington,Publizistin, organisiert in den USA Gegenöf- fentlichkeit von links. Mit ihrer Internetseite, www.huffington- post.com, macht sie Druckauf

die Bush-Admi- nistration. Pro- minente ver- pflichtet die ehemalige Ko- lumnistin zu Gastbeiträgen.

Ein Beispiel, das Schule machen könnte.7

Magazin

rend verwies darauf, dass sie seit 13 Jahren Vollzeit arbeite. Doch die Arge blieb hart. Die Mutter eines siebenjährigen Sohnes müsse einmal pro Monat im Amt erscheinen und nachwei- sen, dass sie sich um zusätzliche Einkünfte bemüht habe.Als Ma- rion Berend einwand, dass sie an manchen Tagen auch Über- stunden schiebe und deshalb kaum einen Nebenjob anneh- men könnte, erhielt sie als Ant-

wort: Ihr Chef könne nichts da- gegen haben, wenn sie am Wo- chenende Zeitungen austrage.

Der DGB-Rechtschutz in Zwickau hat inzwischen Wider- spruch eingelegt. Für Büroleiter Harald Gerber schießt die Arge übers Ziel hinaus. Marion Be- rend versteht die Behörde nicht.

Für ihr niedriges Einkommen kann sie schließlich nichts. »Ich arbeite den ganzen Tag und muss trotzdem betteln.« 7

Marion Berend soll trotz Vollzeitstelle einen Nebenjob annehmen An Arbeit mangelt es Marion Be-

rend (Name geändert) nicht. Acht Stunden schuftet sie täglich in der Produktion. Doch weil ihr Ein- kommen nicht reicht, um auch ih- ren arbeitslosen Lebensgefähr- ten zu ernähren, soll sie abends oder am Wochenende Zusatzjobs annehmen. Das meint jedenfalls die Arge im sächsischen Plauen.

Anfang Mai schickte das Amt der 33-Jährigen eine Eingliede- rungsvereinbarung. Marion Be-

Amt besteht auf Nebenjob

Foto:EllenLiebner

40 Stunden sind nicht genug

3Die IG Metall fordert ein um- fangreiches Unternehmens- konzept für Fujitsu Siemens.

Verhandelt wird erst, wenn Fu- jitsu Siemens ein nachhaltiges Unternehmenskonzept vorlegt.

Das ist das Ergebnis eines ersten Sondierungsgesprächs zwischen der Tarifkommission der IG Metall und Fujitsu Sie- Schlechte Zeiten...

mens. Das Unternehmen will we- gen Umsatzeinbruch ein Sparpro- gramm fahren. Auf Grundlage des Pforzheimer Abkommens fordert es für die knapp 3000 Tarifbe- schäftigten in Deutschland die Ar- beitszeit von 35 auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich zu verlän- gern, beziehungsweise tarifliche Leistungen wie Urlaubs- und Weih-

nachtsgeld zu kürzen. Die Beleg- schaft soll diese Beiträge im Ge- genwert von zehn Millionen Euro über drei Jahre hinweg leisten. Un- klar ist jedoch, wie die übrigen 90 Millionen Euro Einsparungen er- bracht werden sollen. Die IG Me- tall fordert deshalb vom Unterneh- men ein zukunftsfähiges Konzept, um die deutschen Standorte zu si-

Die Wirtschaft brummt. Doch nicht alle Menschen profitieren davon. Im Gegenteil: Politik und manche Arbeitgeber sind unverschämt wie noch nie.

Wo weiter hartnäckiger Widerstand geleistet wird

Foto:privatFoto:AbacaLevy

red_09_06_07_Magazin_apm.qxp 22.08.2006 19:29 Uhr Seite 6

(7)

Magazin

7

Interview mit SAP-Betriebsrat Schick

metall: Bis zur Betriebsratswahl hattet ihr heftigen Gegenwind.

Schick: Wir haben einige böse E- Mails aus dem Unternehmen be- kommen. Glücklicherweise hatte ich an meinem konkreten Ar- beitsplatz aber keine Probleme.

Ich habe immer offen gesagt, dass ich in der IG Metall bin und betriebliche Mitbestimmung für das einzig Wahre halte. Nach der Anspannung der letzten Monate war ich dann sehr froh, dass un- sere Liste »Pro Betriebsrat«8,9 Prozent der Stimmen bekam.

metall: Wie war die Unterstüt- zung durch die IG Metall?

Schick: Ohne die sachkundige Beratung der Gewerkschaft hätten wir das nicht geschafft.

Mit dem Knowhow der Kollegen von der Verwaltungsstelle konnten wir formale Fehler ver- meiden. Durch unseren Gang vors Arbeitsgericht haben wir SAP dazu gebracht, den Wider- stand gegen den Betriebsrat aufzugeben. Die Zeit war jetzt einfach reif dafür.

metall9/2006

metall sprach mit Eberhard Schick, 39, einem der drei Initiatoren, die die Betriebsratswahl beim Softwarekonzern SAP durchgesetzt haben. Er wurde mit den Mitstreitern Johannes Reich und Ralf Kronig in das 37 Mitglieder bestehende Gremium gewählt.

metall: Obwohl SAP-Mitgründer Dietmar Hopp zeitweise sogar ge- droht hatte, die SAP-Zentrale zu verlegen.

Schick: Das war die ganz heiße Phase. Da wurde so getan, als ob ein Betriebsrat SAP in den Ruin treiben würde. Gegen solche Zu- spitzungen haben wir einfach ver- sucht, weiter sachlich zu argumen- tieren. Unser erklärtes Ziel war, die Arbeitnehmervertretung im Auf- sichtsrat abzulösen, die immer den Konflikt mit dem Vorstand ge- scheut hat.

metall: Was hat sich durch die Wahl bei SAP verändert?

Schick: Die Einstellung zum Be- triebsrat ist jetzt deutlich ent- spannter als vor einem Vierteljahr.

Man spürt jetzt bei vielen die Be- reitschaft, die Arbeit des Betriebs- rats positiv mitzugestalten. Das ist der eigentliche Sieg.

metall: Welche Außenwirkung ha- ben die Vorgänge bei SAP?

Schick: Bei anderen Unternehmen in der IT-Branche wurde von den

Mitarbeitern sehr aufmerksam verfolgt, wie das bei uns gelaufen ist. Wir fänden es gut, wenn ande- re IT-Firmen auch den Mut auf- bringen und nachziehen.

metall: Was wollt ihr im Betriebs- rat als erstes angehen?

Schick: Grundsätzlich geht es dar- um, die Belange der 11 000 Mitar- beiter von SAP gut zu vertreten und die Kollegen über interne Zu- sammenhänge zu informieren.

Mein Kollege Ralf Kronig vertritt unsere Liste im geschäftsführen- den Ausschuss des Betriebsrats.

Ich selbst werde mich im Aus- schuss»Personelle Einzelmaß- nahmen«bei Einstellungen, Ver- setzungen, Eingruppierungen und Kündigungen für die SAP-Beschäf- tigten einsetzen.

metall: Wird einer von euch dreien freigestellt?

Schick: Bei insgesamt 37 Manda- ten müssen mindestens 13 Be- triebsräte freigestellt werden. Wir werden die Freistellungen wohl auf alle verteilen, so dass sich

chern. »Bei einem Lohnkostenan- teil von zwei bis drei Prozent sind die Personalkosten ohnehin ein denkbar schlechter Ansatz zum Sparen«, sagte Verhandlungsfüh- rerin Sibylle Wankel von der Be- zirksleitung in Bayern. »Wir erwar- ten in erster Linie innovative Vor- schläge zur nachhaltigen Verbes- serung von Prozessen und Struk- turen.« Erst wenn diese Vorschlä- ge auf dem Tisch liegen, werde die Tarifkommission der IG Metall ent- scheiden, ob sie über tarifliche Ab- weichungen für Fujitsu Siemens verhandeln werde.

3Der Lippstädter Automobilzu- lieferer Hella – die letzte Firma, die noch Scheinwerfer in Deutschland produziert (3,1 Milli- arden Euro Umsatz) – ist auf Crashkurs. Das Familienunter- nehmen will in den nächsten fünf Jahren fast 1900 seiner gut 11 100 Arbeitsplätze hierzulande ver- nichten. Auch durch betriebsbe- dingte Kündigungen. Davon be- troffen sind drei Standorte: Lipp- stadt, Paderborn und Wembach im Schwarzwald. Dort soll außer- dem die 40-Stunden-Woche wie- der eingeführt werden. Für alle

sechs Standorte – auch für Bre- men, Hamm und Recklinghausen – ist die Kürzung des Urlaubs- und Weihnachtsgelds im Gespräch.

Außerdem will das Unternehmen fünf Urlaubstage streichen. Wer also seinen Job nicht verliert, soll für die Sanierung des Unterneh- mens kräftig zahlen. Die IG Metall hat erstmals eine bundesweite Ta- rifkommission für Hella gewählt.

Sie organisiert den Widerstand.

Und erarbeitet mit Hilfe des Saar- brücker Info-Instituts Alternativen zu den Kahlschlagplänen der Ge- schäftsführung.

3Die WTO-Verhandlungen sind erneut nicht vorangekommen – was nach Ansicht der IG Metall nicht schlecht sein muss. Denn die Absicht der Industrienatio- nen, den Weltmarkt weiter zu libe- ralisieren, ist damit in weitere Fer- ne gerückt. Die IG Metall fürchtet um Arbeitsplätze in den weniger entwickelten Ländern, wenn die reichen Nationen ihre Waren ohne Zollschranken dort noch preis- werter absetzen könnten. In ei- nem Brief an die Bundesregierung plädiert Jürgen Peters für faire Zoll- und Einfuhrbedingungen. 7

Foto:HelmutRoos

»Der Kampf hat sich gelohnt «

Eberhard Schick, 39, einer von drei Metallern, die die Betriebsratswahl bei SAP durchsetzten

jeder im Normalfall mit rund 30 Prozent seiner Stelle der Betriebs- ratsarbeit widmen kann.

metall: Und wie ist dein Resümee nach den Stürmen der vergange- nen Monate?

Schick: Der Kampf hat sich auf alle Fälle gelohnt und er ist noch nicht zu Ende, weil Mitbestimmung kei- ne einmalige Angelegenheit ist. 7

red_09_06_07_Magazin_apm.qxp 22.08.2006 19:29 Uhr Seite 7

(8)

Belastungen für Patienten steigen

Die Hauptlast im Gesundheitswesen tragen schon längst die Versicherten. Während die Kosten vor gut zehn Jahren noch annähernd je zur Hälfte auf Ar- beitgeber und Arbeitnehmer verteilt waren, hat sich das Verhältnis inzwischen deutlich verschoben.

Das geht aus einer Veröffentlichung des Statisti- schen Bundesamts hervor.

So finanzierten Arbeitgeber 1995 noch rund 40 Prozent der Gesundheitsausgaben. Der Anteil der privaten Haushalte lag bei 42 Prozent. Im Jahr 2004 zahlten die privaten Haushalte bereits 47 Pro- zent der Gesundheitskosten. Der Anteil der Arbeit- geber sank dagegen auf 36 Prozent.

Es trifft

Titel

Text:

Fritz Arndt, Sylvia Koppelberg, Fabienne Melzer Illustrationen:

Silvan Wegmann red_9_08_11_Titel_apm.qxp 22.08.2006 19:38 Uhr Seite 8

(9)

Von Reformen erschlagen

Rente, Gesundheit, Unternehmensteuer – die Bundesregierung reißt eine Re- formbaustelle nach der anderen auf. Auf Arbeitnehmer, Patienten und

Versicherte kommen vor allen Dingen mehr Belastungen zu.

9 Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von

einem großen Durchbruch, als sie nach durchverhandelter Nacht die Eckpunkte der Gesundheitsreform präsentierte. Jubel ern- tete sie dafür nicht. Gewerkschaften und Patientenvertreter nannten das Paket unso- zial. Und der Widerstand wächst.

Der Juso-Vorsitzende machte sich keine Illusionen. »Die Gesundheitsreform kommt«, sagt Björn Böhning. Nur das

»Wie« steht für ihn noch keineswegs so fest, wie es manche Politiker in der Öffent- lichkeit verkündet hatten. »Ich bin sehr zuversichtlich, dass es noch Änderungen geben wird. Der Widerstand in der Partei ist spürbar«, sagt Böhning.

Der regt sich auch in den Gewerkschaf- ten. Die IG Metall spricht von einem

»Rückschritt auf Kosten der Versicher- ten«. Die Last der Finanzierung verschiebe sich weiter auf die Arbeitnehmer. Denn der Gesundheitsfonds, Kernstück der Re- form, hat es aus Sicht der Gewerkschaft in sich. Aus dem Fonds sollen zukünftig alle Kassen einen Betrag pro Versicherten er- halten. Doch die Kassen haben völlig un- terschiedliche Versicherte: reiche und ar- me, gesunde und kranke Versicherte ver- teilen sich ganz unterschiedlich über die einzelnen Kassen. Es ist völlig unklar, wie diese Unterschiede ausgeglichen werden.

Experten befürchten, dass sich die Jagd nach gesunden und gut verdienenden Ver- sicherten zwischen den Kassen verschär- fen könnte. Den Verlierern dieses Wettbe- werbs bliebe dann nur, Leistungen zu streichen oder zusätzliche Beiträge von ihren Versicherten zu erheben. Zumindest Letzteres hat die Regierung schon einge- plant. Kommt eine Kasse mit ihrem Anteil

aus dem Fonds nicht aus, kann sie einen zusätzlichen Beitrag, die sogenannte

»kleine Kopfpauschale«, von ihren Mit- gliedern erheben. Für SPD-Mann Böhning ist die »kleine Kopfpauschale« der Knack- punkt der Reform. Sie wäre der Einstieg ins Prämiensystem, der sich nicht mehr umkehren ließe, fürchtet er. Deshalb müs- se die Pauschale auf jeden Fall verhindert werden.

Zwar will die Regierung den Griff in die Portmonaies der Versicherten be- schränken. Nur fünf Prozent der Kassen- ausgaben sollen mit der »kleinen Kopf- pauschale« bestritten werden. Und sie soll ein Prozent des Einkommens nicht über- schreiten. Doch diese Grenzen sind ja nicht für alle Zeiten in Stein gemeißelt, gibt Rolf Rosenbrock vom Wissenschafts- zentrum Berlin (WZB) zu bedenken.

Auch ließe der Fonds eigentlich alles of- fen. »Der Gesetzgeber kann die Steuermit- tel erhöhen oder einseitig Arbeitgeber oder Arbeitnehmer belasten.«

»Unsozial und anachronistisch«

Wenn die Eckpunkte auf ihrem Weg zum Gesetzentwurf nicht noch erheblich geän- dert werden, befürchtet Rosenbrock,

»könnte eine gesetzliche Krankenversi- cherung mit tendenziell wachsender Kopfpauschale und weiterhin ungelösten Finanzproblemen schneller kommen als uns allen lieb sein kann«.

Doch nicht nur das, was in den Eck- punkten drin steht, stößt auf Kritik, son- dern auch das, was nicht drin steht. So können sich besser verdienende und ge- sunde Menschen weiter aus der Solidarge- meinschaft verabschieden und privat ver- sichern. »Die private Krankenversiche-

Nach der Sommerpause erwartet die Schwarz-Rote Koalition zwei- erlei: erstens Arbeit, zweitens Ärger. Noch in diesem Jahr will die Regierung mehrere dicke Reformpakete fertig schnüren.

Die Reformpakete enthalten Gesetze, die in der Bevölkerung kaum jemand will: Wie die Rente mit 67. Jeder weiß, dass kaum ein Betrieb einen Mitarbeiter über 60 beschäftigt. Oder die Gesundheitsreform mit ihren Zusatzbeiträgen, die Versiche- rungen wieder mal teurer macht – für die Versicherten, nicht für die Arbeitgeber. Oder die Steuer- reform, die den Unternehmen neue Milliardengeschenke be- schert, während die Bürgerinnen und Bürger durch höhere Mehr- wertsteuern zur Ader gelassen werden. Es sind die altbekann- ten Therapieversuche für die Wirtschaft und die Sozialsys- teme. Bisher haben sie noch keinen der »Patienten« fitter gemacht.

Aber noch ist es nicht zu spät, die Diagnosen und Rezepte zu überdenken und neue, bessere Reformen zu beschließen. Das wollen die Gewerkschaften klar machen: am 21. Oktober, bei den Aktionstagen in Berlin, Dort- mund, Wiesbaden, Stuttgart und München.

die Falschen

metall9/2006

Titel

Knackpunk t

»kleine Kopfpauschale«

red_9_08_11_Titel_apm.qxp 22.08.2006 19:38 Uhr Seite 9

(10)

rung ist unsozial«, kritisiert Rosenbrock.

Die private Krankenversicherung abzuschaf- fen, würde zwar nicht alle Finanzprobleme lösen, aber sie spürbar entschärfen, sagt der Experte. Denn das Gesundheitssystem kran- ke vor allen Dingen an fehlenden Einnah- men. Hohe Arbeitslosigkeit, sinkende Löhne und die Zunahme von Minijobs hätten die

Finanzbasis ausgehöhlt. Den Einnahme- schwund stoppen könne am besten eine Bürgerversicherung. Die fordert auch die IG Metall. Ihr Konzept sieht unter anderem vor, alle Erwerbstätigen – also auch Beamte, Selbstständige und Freiberufler – in die ge- setzliche Krankenversicherung einzubezie- hen, Beiträge auf große Kapitaleinkünfte zu erheben und die Einkommensgrenze, bis zu der Krankenversicherungsbeiträge erhoben werden, anzuheben.

»Wir dürfen mit der nächsten Gesundheitsreform rechnen«

Im Gegensatz zum Prämiensystem lässt sich der Effekt der Bürgerversicherung auch wis- senschaftlich belegen.Würde das System so- fort umgestellt, könnte der Beitragssatz um bis zu zwei Prozentpunkte sinken. Selbst ei- ne schrittweise Einführung bis 2050 würde den Beitragsanstieg deutlich abbremsen. Das haben Finanzwissenschaftler der Universität Augsburg ausgerechnet. Ganz einfach sei der Weg zur Bürgerversicherung nicht, sagt Bernhard Langer vom Lehrstuhl für Finanz- wissenschaften und soziale Sicherung der Universität Augsburg. »Aber sie hätte einen deutlichen Entlastungseffekt.« Bei einem Prämiensystem sei dagegen nicht klar, wie es die Krankenversicherung effizienter machen könne.

Welche Vorteile der Gesundheitsfonds bringen soll, kann Langer nicht erkennen.

Seine Nachteile allerdings schon: »Er schafft mehr Bürokratie und macht das System teu- rer.« Auch Rosenbrock ist sicher, dass die Herausforderungen im Gesundheits- system damit nicht bewältigt würden.Ange- sichts der Regierungspläne fällt ihm eine Prognose nicht schwer: »Wir dürfen mit der nächsten Reform rechnen.«7

Titel

da erhöhe eine längere Lebensarbeitszeit nur die Langzeitarbeitslosigkeit Älterer;

zweitens würden auch noch Beschäftigte

»auf Arbeitsplätzen mit begrenzter Tätig- keitsdauer« verdrängt.

Doch den Merkels und Münteferings scheinen die Arbeitgeberinteressen wich- tiger zu sein als Expertenmeinungen. »Als erstes muss wieder wirklich bis 65 gear- beitet werden. Danach müssen wir die Le- bensarbeitszeit bis 67 ausdehnen«, sagt Jürgen Thumann, Präsident des Bundes- verbands der Deutschen Industrie. Ge- plant ist jetzt, die Rente mit 67 schrittwei- se zwischen 2012 und 2029 einzuführen.

Betroffen wären alle Jahrgänge ab 1947 und jünger. Im Herbst soll ein Gesetzent- wurf dazu vorliegen.

Mit ihrem Reformplan entfernt sich die Politik immer weiter von den Bedürf-

Rente mit 67

»Richtig hinterhältig«

Während Arbeitslose bei den Arbeitsagen- turen schon mit Mitte 40 als schwer vermit- telbar gelten und kaum noch Betriebe Menschen über 60 Jahre beschäftigen, soll die gesetzliche Rente in Zukunft erst mit 67 beginnen. Viele argwöhnen, dass es dabei in Wirklichkeit nur um höhere Abschläge bei der Rente geht.

Als das Bundeskabinett Anfang Juli den

»5. Altenbericht« verabschiedete, muss Arbeitsminister Müntefering (SPD) von heftigen Schweißausbrüchen geplagt worden sein. Denn eine zentrale Aussage des Berichts, von namhaften »Sachver- ständigen« für das Familien- und Sozial- ministerium erstellt, hält die geplante Rente mit 67 schlicht für verfehlt. Erstens sei die Arbeitsmarktlage »bis mindestens 2015 angespannt«, analysiert der Bericht,

»Eine gesetzliche Krankenversicherung mit tendenziell wachsender Kopf- pauschale und weiterhin ungelösten Finanzproblemen könnte schneller kommen als uns allen lieb sein kann.«

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Titel

metall9/2006

Noch eine Reform: Kombilohn als Einstiegshilfe

Um das Volk davon zu überzeugen, dass die Rente mit 67 sinnvoll ist, muss erst mal Arbeit für Ältere her. Darum wirbt Minister Müntefering für den Kombi- lohn für Ältere. Doch alle Kombilohnmodelle erwiesen sich bisher als Flop.

Titel

nissen der Menschen. Kein Wunder, dass die Beschäftigten wütend sind. Joachim Schwa- de, VK-Vorsitzender beim Autozulieferer GKN in Offenbach am Main: »Rente erst ab 67? Unsere Leute sind aufgrund der Arbeits- verdichtungen schon mit 60 Jahren kaputt.

Und leichtere Arbeiten für Ältere gibt es nicht mehr.« Was also soll da eine längere Lebensarbeitszeit? Schwade hat das längst durchschaut: »Eine Rente ab 67 würde vor allem weniger Geld bedeuten. Richtig hin- terhältig ist das.«

Schon heute fallen die Renten immer wei- ter hinter die Erwerbseinkommen zurück. Der noch von Rot-Grün erfundene »Nachhaltig- keitsfaktor« hat Rentnerinnen und Rentner drei Nullrunden hintereinander beschert.

Nach Auffassung aller Fachleute wird das in den nächsten Jahren so weitergehen. Bis zum Jahre 2030,schätzt etwa Ingo Nürnberger,Re- ferent für Alterssicherung beim DGB, wird das Netto-Rentenniveau nur noch 50 Prozent be- tragen. Derzeit sind es noch 70 Prozent.

Wer hält eigentlich noch bis zur regulären Altersgrenze mit 65 durch? Der durch- schnittliche Rentenbeginn liegt heute bei 63 Jahren. Nur noch 40 Prozent der über 55-Jährigen sind erwerbstätig. Nein, die Arbeitsbedingungen in Deutschland sind nicht alternsgerecht, das belegt auch der

»Zweite Europäische Vergleich der Arbeits- bedingungen«.

»Die soziale Ungleichheit im Alter wird sich erhöhen«

Der Vergleich untersucht, welche körperli- chen Anforderungen an Ältere gestellt wer- den und wie angepasst die Arbeitsbedingun- gen sind. Ergebnis: Unter 15 Ländern liegt Deutschland auf dem vorletzten Platz. Nur für ältere Beschäftigte in Griechenland ist die Arbeit noch härter.

Sicher ist: Auch wenn der gesetzliche Renteneintritt verschoben werden sollte, werden viele möglichst früh in Rente gehen.

Denn jede Stunde, die sie länger arbeiten müssen, geht auf die Gesundheit. »Die ge- plante Heraufsetzung des Rentenalters wird die soziale Ungleichheit im Alter erhöhen«, warnt daher das Gelsenkirchener »Institut Arbeit und Technik« (IAT). Da Arbeitsplätze

für Ältere fehlten, müssten die Betroffenen den »Ausweg vorzeitige Altersrente« mit bis zu 18 Prozent Abschlägen bezahlen. Andere würden zu »schwervermittelbaren Lang- zeitarbeitslosen« gemacht oder müssten

»unterwertige Beschäftigung mit auf- stockendem Arbeitslosengeld kombinie- ren«. Wer nicht einmal solche Jobs fände,

»wird durch Ein-Euro-Jobs zumindest vorü- bergehend aus der Statistik genommen«.

Noch kann dieses Drama verhindert wer- den. Die IG Metall hat Alternativen formu- liert. Sie will:

3flexible Ausstiegsmöglichkeiten bis 65 Jahre.Verlängerung der Altersteilzeit. Leich- terer, abschlagsfreier Ausstieg nach 40 Versi- cherungsjahren und verbesserte Erwerbs- minderungsrenten.

3Selbstständige, Freiberufler, Politiker und künftige Beamte müssten schrittweise in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden.

3Alle Erwerbsarbeiten müssen voll renten- versichert werden.7

11 Ab 2008 sollen Unternehmen in Deutschland fünf bis zehn Milliar-

den Euro weniger Steuern zahlen. Von diesem Milliardengeschenk verspricht sich die Schwarz-Rote Koalition mehr Investitionen.

Aber für diese Hoffnung gibt es kaum Belege.

Schon 2001 beglückte die damalige Rot-Grüne Koalition die Wirt- schaft mit Steuersenkungen. In den Jahren danach investierten Be- triebe in Deutschland jedoch nicht mehr, sondern jedes Jahr weni- ger. Der Anteil des »Bruttoinlandsprodukts«, also des in Deutsch- land erwirtschafteten Reichtums, der in neue Maschinen und Indu- strieanlagen floss, schrumpfte von 21,5 Prozent (im Jahr 2000) auf 18,3 (2002) und weiter bis auf 17,1 Prozent (2005). Ein anderes Argu- ment, mit dem Politiker niedrigere Unternehmenssteuern begrün- den, ist, die hohen Steuersätze in Deutschland schreckten Investo- ren ab. Verglichen mit anderen Ländern sind die Sätze für Kapitalge- sellschaften in Deutschland auf dem Papier auch hoch. Aber nicht im wirklichen Leben. Dank Schlupflöcher und legaler Tricks lassen sich

Gewinne kleinrechnen. Was Firmen fleißig nutzen. So zahlen sie tatsächlich nicht 39, sondern nur 17,4 Prozent. Das ist weniger als der Durchschnittssatz in der EU, der – osteuropäische Länder eingeschlos- sen – bei 17,7 Prozent liegt, wie die EU-Kommission errechnet hat.

Es gibt verschiedene Methoden, Gewinne vor dem Finanzamt wegzu- zaubern. Zum Beispiel eine Holding in einer ausländischen Steueroase gründen, ihr Eigenkapital übertragen, um anschließend von ihr Geld zurückzuleihen. So wird aus Eigenkapital Fremdkapital. Vorteil: Die Zinsen verkleinern den Gewinn und sind überdies in Deutschland steu- erlich abzugsfähig. Solche Möglichkeiten, Steuern zu umgehen, will die Regierung zwar eindämmen. Allerdings gibt es dazu bisher nur va- ge Aussagen: »Vorschläge werden geprüft ...«

Ein gutes Steuersystem muss aus Sicht der IG Metall die Lasten ge- recht verteilen und dafür sorgen, dass der Staat seine Aufgaben erfül- len kann. Angesichts der vielen Dinge, die im Argen liegen, etwa in der Bildung, brauche der Staat nicht weniger, sondern mehr Einnahmen. 7

Für Firmen Spendierhosen statt enggeschnallter Gürtel

Unternehmenssteuern

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enn Pit Krause über den Hof des früheren Krupp-Kaltwalzwerks in Hohenlimburg wieselt, fühlt er sich wie ein kleiner Patriarch.

»Drüben, die frühere Betriebskran- kenkasse, gehört uns auch, und das ehemalige Casino daneben.«

Während Krause den Eingang der ehrwürdigen Halle passiert, tau- chen im Halbdunkel Menschen an langen Werkbänken auf. Rund 120 Ein-Euro-Jobber, Männer und Frauen, nehmen ausgediente Fern- seher auseinander und sortieren

die Rohstoffe. »Schade, dass sie nur 30 Wo- chenstunden arbeiten dürfen«, sagt Krause missmutig, »je Stunde schaffen die etwa zwei Geräte.« Schüchterne Monteure rund-

Ein-Euro-Jobs, zentraler Baustein von Hartz IV und das am häufigsten genutzte Eingliederungs- instrument, verdrängen Hilfs- und Facharbeiter.

Und vermeiden zusätz- liche Beschäftigung.

Parallel entstehen Einfalls- tore für Niedrigstlöhne.

Arbeitsmarkt

Die Billig - Konkurrenz

Ein-Euro-Jobs

Elektroschrott-Recycling durch Ein-Euro-Jobber in Hagen: Einfallstor für Niedriglöhne

Die Tariflöhne

3Die Bundesregierung versucht permanent, Druck auf Tariflöhne auszuüben. Erst die Ein-Euro-Jobs; jetzt der »Kombilohn« – Mini-Lohnbereiche, die der Staat bezuschusst.

Parallel hat Arbeitsminister Müntefering (SPD) weitere Kürzungen bei Erwerbslosen an- gekündigt. Sie sollen gezwungen werden, jeden Job für jeden Lohn anzunehmen und werden damit regulär Beschäftigte verdrängen. Die IG Metall will diese Spirale nach un- ten verhindern und fordert : Der Kündigungsschutz muss erhalten bleiben, die Regelsät- ze müssen »armutsfest« gemacht und die Zumutbarkeitsregelungen vor Lohndumping geschützt werden. Mit einem gesetzlichen Mindestlohn auf dem Niveau des untersten Tarifentgelts, mindestens aber 7,50 Euro je Stunde, lassen sich Hungerlöhne vermeiden.

Im Visier

um ziehen die Köpfe ein. Krause ist der Chef des Hagener »Werkhof«, eine Tochter der Stadt. Er beschäftigt 70 Menschen fest – plus 580 Ein-Euro-Jobber. Der aufstrebende Ver-

ein hat das stillgelegte Walzwerk gekauft.

Ein-Euro-Jobber sollen an dem Standort mal einen »Energiepark« betreiben.

Das Recycling alter Elektrogeräte läuft dort heute schon. Den Schrott liefert die Lü- nener Firma Remondi. Sie betreibt für die Hersteller das Recycling und holt die Roh- stoffe nach der Demontage wieder ab. »Je Röhre zahlt Remondi 1,50 Euro«, verrät Krause, »dafür entsteht in der freien Wirt- schaft kein Markt.« Reguläre Jobs, meint er damit, werden nicht verdrängt.

Mit dieser Meinung steht Krause allein.

»Die Verwertung von Elektroschrott, wie sie der Werkhof macht, ist eine Aufgabe, die in der Regel ein Privatunternehmen machen sollte«,hat der Hauptgeschäftsführer der Süd- westfälischen Industrie- und Handelskam- mer (SIHK),Hans-Peter Rapp-Frick,kritisiert.

W

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Das Hagener Recycling ist kein Ein- zelfall, wie ein metallvorliegender Untersuchungsbericht des Bundes- rechnungshofs belegt. Demnach vermittelten die »Argen«, in denen Arbeitsagenturen und Kommunen zusammenarbeiten, im vergange- nen Jahr bundesweit knapp 630000 Ein-Euro-Jobber. Und

»bei fast bei einem Viertel der ge- prüften Maßnahmen lagen die För- derungsvoraussetzungen nicht vor«, bemängeln die Autoren. Mal waren die Jobs nicht im öffentli- chen Interesse, mal nicht »wettbe- werbsneutral«. Bei weiteren 50 Prozent der geprüften Fälle hatten die »Argen« nicht einmal Ahnung von den Job-Inhalten,»so dass auch hier Zweifel an der Förderungs- fähigkeit bestanden«.

Nach Angaben des Bundesrech- nungshofs mussten Ein-Euro-Job- ber etwa termingebundene Hilfsar- beiter-Stellen auf dem Bau anneh- men oder notwendige Pflege- und Reinigungsarbeiten erledigen. So, warnt die Bundesbehörde, würden

»reguläre Arbeitsplätze verdrängt«.

Dabei kostet dieses Programm zur Stellenvernichtung viel Geld. Dem Bericht zufolge geben sich die

»Argen« recht spendabel und übernehmen sogar Sachkosten für

»originäre Aufgaben der Maßnah- meträger«. Im Schnitt kassierten die Träger – neben 180 Euro »Auf- wandsentschädigung« monatlich je Erwerbslosem – eine »Kosten- pauschale« von über 255 Euro monatlich. Mancher Geschäftsführer, spottet die Essener Professorin für Sozial- und Ar- beitsrecht Helga Spindler, habe diese Auf- stockung längst »für den regulären Personal- kostenetat entdeckt«.

Wieder andere Unternehmen nutzen Ein- Euro-Jobber, um »regulär Beschäftigte von Mehrarbeit zu entlasten«, wie etwa der Vor- sitzende der Mitarbeitervertretungen im Be- reich der Deutschen Bischofskonferenz, Günter Däggelmann, beobachtet hat. Auch so werden neue Stellen überflüssig. Mit

»Fördern« oder »Brückenbauen«, offizieller Zweck der Ein-Euro-Jobs, hat das alles nichts mehr zu tun.Was Wunder, dass die Eingliede- rungsquoten bescheiden bleiben. »Caritas«

etwa, bundesweit einer der größten Träger, er- mittelte gerade mal eine Quote von 4,6 Pro- zent.

Arbeitsmarkt

Und was geht das die »Festen« an? »Betroffen von den Wirkungen der Ein-Euro-Jobs sind ge- rade auch die Arbeitsbedingungen, in jenen Branchen, die nichts mit diesen Jobs zu tun ha- ben« warnt die frühere Grünen-Bundestagsab- geordnete Gaby Gottwald. Die ehemalige Ge- schäftsführerin des Qualifizierungsträgers

»Abakus« (Hamburg) weiß, wovon sie spricht: Infolge der Ein-Euro-Konkurrenz musste »Abakus« aufgeben, die Qualifizie- rung Langzeitarbeitsloser wurde eingestellt.

Während die Bundesregierung dem Trei- ben tatenlos zuschaut, organisieren Betroffe- ne Gegenwehr. So hat der Marburger »Ar- beitskreis Erwerbslose im DGB« die Evangeli- sche Kirche dabei ertappt, wie sie die er- werbslose Erzieherin Birgit Theis (Name geändert) als Billig-Jobberin ausnutzen woll-

te.Theis hatte zuvor monatelang in Marburger Kindergärten der Kirche gearbeitet und in ihrem Zeugnis nur beste Noten. Als sie sich nach Beendigung des befristeten Beschäfti- gungsverhältnisses für eine feste Stelle be- warb, lehnte die Kirche ab. Dafür gab es ein Angebot des Kreisjobcenters für einen Ein- Euro-Job als Erzieherin im evangelischen Kin- dergarten. Erst auf Intervention des DGB-Ar- beitskreises zog das Jobcenter die Offerte zurück. In Bremen haben Erwerbslose etli- che »Einsatzstellen« von Ein-Euro-Jobbern mit grellen Plakaten beklebt. »Ein-Euro-Jobs sind nicht ›zusätzlich‹«, stand darauf, »son- dern ersetzen reguläre Beschäftigung.«

Und: »Ein-Euro-Jobs sollen uns an Nied- riglohn gewöhnen.«7

Fritz Arndt

Fotos:FrankRogner

metall:Verdrängen Ein-Euro-Jobs reguläre?

Angelika Beier:Ja, ich kenne Beispiele bei der Gebäudereinigung oder bei der Sanie- rung alter Industrieanlagen im Osten, natürlich auch bei der Altenpflege oder in Schulen. In Frankfurt sollte ein Computer- Fachmann eine EDV-Anlage einer Schule warten. Alles Arbeiten, die normalerweise feste Beschäftigte übernehmen.

metall:Nach dem Gesetz ist das doch gar nicht erlaubt ...

Beier:... nein, aber viele Betroffene wehren sich nicht, weil sie 150 Euro brauchen. Das Ar- beitslosengeld II reicht eben zum Leben kaum aus, und die Beiräte kontrollieren kaum.

metall:Sind Ein-Euro-Jobs wirklich, wie ge- plant, Brücken in den ersten Arbeitsmarkt ? Beier:Höchstens in einzelnen Fällen, wenn bei einem großen Träger zufällig mal eine Stelle frei wird. Die suchen sich dann den Ein- Euro-Jobber aus, der ihnen am besten gefällt.

Aber dafür wären keine Ein-Euro-Jobs nötig, die machen für mich keinen Sinn.

metall:Viele Erwerbslose wollen Ein-Euro-Jobs ...

Beier:... aus der Not heraus und weil ihnen die Decke auf den Kopf fällt. Natürlich wür- den sie für die Arbeit lieber richtig bezahlt.

metall sprach mit Angelika Beier, beim DGB Hessen für Arbeits- marktpolitik zuständig.

»Im Prinzip sind diese Jobs schädlich«

Interview

metall:Also weg mit den Ein-Euro Jobs?

Beier:Zumindest, solang sie obligatorisch sind. Sie sollen laut Gesetz ja auch nur nachrangig eingesetzt werden. Aber im Prinzip sind diese Jobs schädlich, weil sie reguläre Arbeit ersetzen.

metall:Was wäre die Alternative?

Beier: Sozialversicherungspflichtige, öf- fentlich geförderte Maßnahmen, die das Gesetz ja auch vorsieht. Das heißt dort »Ar- beitsgelegenheiten der Entgeltvariante«.

metall:Für Eingliederungen waren schon 2005 über sechs Milliarden Euro vorgesehen ...

Beier:... aber nur die Hälfte davon wurde ausgegeben. Offenbar ist es Argen und Kommunen wichtiger, über Ein-Euro-Jobs den Niedriglohnbereich auszubauen und den Druck auf die Löhne zu erhöhen.7

Foto:DGB

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Serie

Vor dreieinhalb Jahren startete bei Volkswagen das Projekt Auto 5000 – mit Chancen und Risiken.

Die Mannschaft hat seit- dem alle Hürden mit Bravour gemeistert. Nach einer erfolgreichen ersten Tarifrunde bei Auto 5000 laufen jetzt die Vorberei- tungen zur Produktion eines kleinen Gelände- wagens. Aus einem be- fristeten Projekt ist Normalbetrieb geworden.

D i e M e n s c h e n r e c h t e

In Deutschland lebt jedes zehnte Kind in »relativer Armut«. Damit stieg ihre Zahl seit Anfang der 90er Jahre um knapp drei Prozentpunk- te an. Nur in sechs der insgesamt 24 OECD-Staaten nahm die Kinder- armut laut einer Studie des UN-Kin- derhilfswerks Unicef noch stärker zu als in Deutschland.

Arm sein heißt in Deutschland für Kinder oft ausgegrenzt sein.

Sie bleiben zu Hause, während ihre Mitschüler auf Klassenfahrt fahren.Musikschulen oder Sport- vereine besuchen nur wenige von ihnen. Oft wohnen sie in Vierteln, in denen viele Kinder ähnlich leben. Sie bleiben unter sich, werden weder zu Hause noch in ihrem Umfeld gefördert.

Und ihre Zahl wächst.

Mehr arme Kinder

Laut Unicef lebten 2005 rund 1,5 Millionen deutsche Kinder in

»relativer Armut«. Das heißt ihre Eltern haben weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkom- mens im Monat. In diesem Jahr sind es nachAngaben des Kinder- schutzbunds bereits knapp zwei Millionen. Dabei zeigt der inter- nationale Vergleich: Die Zahl ar- mer Kinder hängt direkt mit der Höhe staatlicher Sozialleistungen zusammen. In Ländern wie den USA und Italien, die weniger als

In Deutschland ist jedes zehnte Kind arm. Die Zukunft dieser Kinder sieht düster aus. Denn Bildung hängt in Deutschland von der sozialen Her- kunft ab.

Ein Tag für Kinderrechte und Träume

Vor 60 Jahren gründeten die Vereinten Nationen Unicef, um Kindern in Not zu helfen.Heute arbeiten für Unicef rund 7000 Mitarbeiter in 160 Ländern der Erde. Seit 1954 richtet Unicef ge- meinsam mit anderen Organisationen jährlich einen Weltkin- dertag aus. An diesem Tag sollen sich Kinder auf der ganzen Welt für ihre Rechte und Träume stark machen. Das Datum hat jedes Land selbst festgelegt. In Deutschland ist es der 20.Sep- tember. In vielen Städten organisieren Kinder- und Jugendor- ganisationen an diesem Tag Feste. www.unicef.de

3Die Serie »Menschenrechte« will dazu beitragen, dass die Menschenrechte nicht in Vergessenheit geraten.7

Artikel 25 (2)

»(...) Kind(er) haben Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung.«

fünf Prozent ihres Bruttosozial- produkts für Sozialleistungen ausgeben, leben mehr als 15 Pro- zent der Kinder in relativer Ar- mut. Skandinavische Länder wie Dänemark geben deutlich mehr aus. Mit Erfolg: Bei den Nachbarn im Norden gelten nur drei Pro- zent der Kinder als arm.

Bildungssystem spaltet Deutschland tut zu wenig bei den Sozialleistungen für Kinder, sagt Helga Kuhn, Sprecherin von Unicef Deutschland. In den poli- tischen Debatten stehen Kinder nicht im Mittelpunkt. Sie kom- men oft nur am Rande vor, etwa wenn es um den Fortbestand der Gesellschaft oder die Berufstätig- keit der Eltern geht. Gerade bei

der Kinderbetreuung dürfe es aber nicht um reine Aufbewah- rung gehen. »Wir brauchen Betreuungs- und Bildungsein- richtungen, die arme Kinder fördern«, sagt sie. Doch statt die Armutskarrieren zu durch- brechen, verstärkt das Bil- dungssystem sie.Wer in Armut lebt, hat deutlich geringere Chancen auf einen guten Ab- schluss, eine Ausbildung und einen erfolgreichen Berufsstart als Kinder aus höheren sozia- len Schichten. Das sei eine ge- fährliche Entwicklung, sagt Helga Kuhn. »Wer arm auf- wächst, bleibt oft auch als Er- wachsener arm. Das darf die Politik nicht länger zulassen.«7

Fabienne Melzer

Illustration:PD/Artville

red_09_14_15_apm.qxp 22.08.2006 19:49 Uhr Seite 14

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Produktion des Touran in Wolfsburg: Bei Auto 5000 wird bei hoher Qualität effektiv und innovativ gearbeitet.

erste Touran vom Band und wurde ein Ver- kaufsschlager. Heute sind sie eine starke Mannschaft, die stolz auf ihr Produkt ist. Die Rendite von Auto 5000 steht im Konzern- vergleich glänzend da. In diesem Jahr mei- sterte die Belegschaft weitere Bewährungs- proben. Im März waren die ersten Betriebs- ratswahlen. »Die Wahlbeteiligung war sehr, sehr hoch«, sagt Betriebsrat Heim. Ebenso die Zustimmung für die Liste der IG Metall: Sie lag bei 87 Prozent.

Konfliktreiche Tarifrunde

Nach den Betriebsratswahlen folgte die tarif- politische Feuertaufe mit der ersten Tarifrun- de. Denn die Laufzeit des Projekts näherte sich dem Ende. Nun ging es um die Konditionen eines Dauerbetriebs. Die Beschäftigten hatten berechtigte Einkommensforderungen. Dass sie gute Arbeit leisteten, konnte man an den Unternehmenszahlen ablesen. Umso empör- ter reagierten sie, als die Geschäftsführung per Tarifvertrag den Urlaubsanspruch bei Krankheit kürzen und eine Nullrunde fahren wollte. Das machte viele Mitarbeiter sauer.

»Da wurde vielen richtig bewusst, dass das ein kapitalistisch geführtes Unternehmen ist und kein Arbeiterparadies«, sagt Andreas Heim. Die Beschäftigten gingen mit Schma- ckes die Vorbereitungen an: In der Freizeit wurden T-Shirts, Plakate und Buttons gestal- tet.Dann liefen drei Warnstreiks mit hervorra- gender Beteiligung. »Das war der Praxistest für die Kampffähigkeit der IG Metall-Mitglie- der bei Auto 5000«, sagt Verhandlungsführer Hartmut Meine, der Bezirksleiter von Nieder- sachsen. Soviel Einsatz beeindruckte die Ar- beitgeberseite, die stückchenweise ihre For- derungen reduzierte. So waren bald die Idee einer Nullrunde und die Urlaubskürzung vom Tisch. Nach fünf schwierigen Verhand- lungsrunden hatte die Belegschaft (Organisa- tionsgrad 93 Prozent) eine dreiprozentige Entgelterhöhung und einen Rentenbaustein erkämpft. Weitere Samstagsspätschichten konnten verhindert werden.

Jetzt laufen die Vorarbeiten, dass ab 2007 auch ein kleiner Geländewagen hier gefer- tigt werden kann. Hartmut Meine: »Aus ei- nem befristeten Projekt ist Normalbetrieb geworden.«7

Martina Helmerich

15

Betriebsreport

Foto:picture-allaince/dpa/Jensen

metall9/2006

olkswagenwerk Wolfsburg, Halle 8.

Mitarbeiter in gelben T-Shirts und grauen Arbeitshosen montieren den Minivan Touran. Die Arbeitsabläufe bei Auto 5000 sind kurz. Ein bis zwei Minuten – da muss jeder Handgriff sitzen. Auto 5000 ist nicht nur die jüngste Fabrik im Volkswagen- verbund. Nirgendwo sonst wird so intensiv daran gearbeitet, Produktionsabläufe zu opti- mieren. Dazu gibt es die sogenannten Lernfa- briken: In verglasten Räumen werden die Be- schäftigten am PC geschult. Ziel: Kompeten- zen entwickeln, um Probleme zu lösen. Inno- vation, Teamarbeit und ständige Qualifizie- rung werden hier ganz groß geschrieben. »Es geht um die stetige Verbesserung des Arbeits-

prozesses«, erklärt der Vorsitzende des Auto 5000-Ausschusses im VW-Betriebsrat,Andre- as Heim. Die Mannschaft von Auto 5000 wur- de vor über drei Jahren per Internetausschrei- bung ausgewählt. Rund 45000 Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet bewarben sich um einen der begehrten Jobs. Nach einem sehr differenzierten Auswahlverfahren erhiel- ten zumeist Facharbeiter aus dem Metallfach den Zuschlag.

Sie kamen aus ganz Deutschland nach Wolfsburg. Jeder wurde zu Beginn in einer mehrmonatigen Schulungsphase auf die An- forderungen der Autoproduktion vorbereitet.

2003 standen die Kolleginnen und Kollegen erstmals zusammen am Band. Dann lief der

Mit Schmackes

an die Sache ran

Auto 5000 GmbH

V

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Ulli Hasert, Betriebsrat bei Krupp Thyssen Presta Steer Tec, Esslingen Ulli Hasert hat eine Schwäche für große Pro- jekte. Privat heißt das: umbauen. Aus dem vor zehn Jahren gekauften Haus soll ein Traumhaus werden – ein Vorhaben, für das man Zeit mitbringen muss. Dabei ist Zeit Mangelware für den 42-jährigen Betriebs- ratsvorsitzenden, der sich auch als Metaller Großes vorgenommen hat: Angestellte für seine Gewerkschaft werben. Seine Bilanz kann sich sehen lassen: In den letzten Mona- ten kletterte der Organisationsgrad in sei- nem Betrieb von müden zwölf auf stolze 75 Prozent. Gut 9o Beschäftigte arbeiten bei dem Esslinger Ableger des Weltkonzerns, fast alle sind Ingenieure und hoch qualifizierte Techniker, die an innovativen Lenkungs- systemen für Automobile tüfteln – nicht ge- rade die klassischen Gewerkschaftsmitglie- der. Einem »Verein« treten sie nur bei, wenn sie genau wissen, was es ihnen bringt. Eben

IG Metall

Einen sicheren Job, mehr Geld in der Tasche und gute Arbeitsbedingungen – was will man mehr im Arbeitsleben? Die IG Metall setzt sich dafür ein, dass es für ihre Mitglieder so bleibt – oder so wird. Für ihr Engagement braucht sie Stärke. Und das sind viele Menschen, die sich gemeinsam mit ihrer Gewerk- schaft für mehr Sicherheit und Gerechtigkeit ein- setzen. Deshalb ist das Motto der aktuellen Werbe- kampagne: »Ziehen Sie mit!« Mitglieder werben ist eine Aufgabe für alle, die in der IG Metall zu Hause sind – für diejenigen, die schon Mitglied sind, ge- nauso wie für Betriebsräte und Vertrauensleute.

Warum nicht heute noch mit der Kollegin oder dem Kollegen reden, der sich bisher noch nicht für die Gewerkschaft entscheiden konnte? Gute Argumente gibt’s genug. Die Redaktion stellt zwei engagierte Metaller vor, denen die Werbung neuer Mitglieder eine Herzensangelegenheit ist.

Gabriele Prein

»Ziehen

Sie mit!«

Foto:GRAFFITI/Roettgers

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