• Keine Ergebnisse gefunden

Das is t uns er B ier

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Das is t uns er B ier"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

er erste Rülpser – nein, nicht meiner – füllt das Sprechzimmer mit einem Aroma, welches ich eigentlich nicht verkosten wollte. Es ist Montag, der Tag, an dem mehr Schluckspechte und Schnaps- drosseln sich krankschreiben lassen wollen als unter der Woche. Heute sind es sieben Patienten, die mit ihrem Trinkverhalten nicht nur ihre Gesundheit, sondern auch ihren Beruf und ihre Familie aufs Spiel setzen. Und diese rotäugigen, gangunsicheren mani- fest Abhängigen sind nur die Spitze des Weinberges, äh, Eisbergs. Die unerkannten Trinker, die mit Mund- spray und Augentropfen die Zeichen ihres Überkon- sums verschleiern, die insgeheim picheln oder täg- lich nur ein bisschen zuviel, die gut funktionieren und nur selten ausrasten und nie einen FiaZ bege- hen, die sind die Mehrzahl. Und es werden immer mehr. 4,48 Mio. hl Bier werden jährlich in der Schweiz konsumiert, pro Kopf 57,2 Liter. Dass die Deutschen 112 und die Tschechen 160 Liter schlucken, tröstet mich nicht. Denn hierzulande werden auch 200 Reb- sorten auf einer Rebfläche von 14 841 Hektar Land angebaut und nur 1 bis 2 Prozent davon wird ex- portiert. Die Nachfrage übersteigt das Angebot. Nicht zu vergessen die Palette von Spirituosen – Rum und Wodka sind nicht mehr nur das Laster von Seebären und Kolchosebauern, sondern der Bölkstoff älterer Ladys und junger Damen. Es ist chic, zu saufen. Ju- gendliche organisieren Harassenläufe und Botellóns, Komasaufen gehört bei Schülern und Studenten zum guten Ton. Die meisten Erwachsenen schauen nur untätig zu. Lächeln nostalgisch, erzählen von eigenen Räuschen wie von Heldentaten. Na denn Prost! Laut ICD 10 ist der akute Rausch eine Alkoholintoxika- tion. Schädlicher Gebrauch und Alkoholabhängig- keit beschäftigen eine Reihe medizinischer Diszipli- nen. Psychiater haben eigene Publikationsorgane für diese Krankheit. Internisten können die Wirkungen auf jedes einzelne Organ aufzählen. Und die Not- fallstationen würden 70 Prozent weniger Patienten haben, wenn nicht getrunken würde. Es ist gelun- gen, den Tabakkonsum in den USA, Europa und der Schweiz zurückzudrängen. Wann gehen wir das Pro- blem Alkohol an? Wird es überhaupt als solches erkannt? Bei zweierlei Sorten Wein, rot und weiss, Bier und Sangria diskutiert unsere Ärztegesellschaft über Standespolitisches. Mineralwasser gab es auch, aber das Heiterkeitsniveau liess mich zweifeln, dass

es konsumiert wurde. Nach jeder Eröffnungszeremo- nie eines Kongresses findet ein Apéro statt. Auch die Hepatologen haben meist ein Cüpli in der Hand.

Schliesslich haben wir Ärzte es im Griff. Von uns säuft niemand. Ausser 9 Prozent. Während es in der Bevölkerung «nur» 5 Prozent sind ... Wie es Abhän- gige so tun, bagatellisieren wir. Verweisen auf die alte Kulturpflanze Wein, die uns die Römer brach- ten. Auf das germanische Erbe des nach Reinheits- gebot gebrauten Biers. In kleinen Mengen, so haben wir erforscht, ist Alkohol der Gesundheit sogar för- derlich. Die U-Kurve wird uns bei jedem Kongress gezeigt. Währenddessen prügeln sich Alkoholisierte in den Beizen und daheim in ihren Familien, rasen mit ihren Autos über unsere Strassen und töten andere Menschen. «Vielleicht sollte ich weniger trinken», sagt der gestylte Aussendienstmitarbeiter zögernd und schildert dann, warum er zu dieser Selbstmedikation greift. Die schüchterne Witwe be- stätigt Wilhelm Busch: Wer Sorgen hat, hat auch Likör. Sie hat beides. Der mittelalterliche Prokurist hingegen hat nur Spass. Siebenmal in der Woche, aus dem eigenen Keller. Er ist ein Kenner, er weiss, was er schlürft. Kommentiert Jahrgang, Lage, Ge- schmacksnote. Nur die Gefahr, die kennt er nicht.

Die «Fee verte» ist wieder ein modisches Getränk der Schickeria. Raffinierte Werbestrategien machen aus Vegetarierinnen weibliche Jägermeister, geben Biertrinkern das Gefühl, Opernaufführungen zu sponsorn. Rum unter Palmen oder Segelschiffen, Ei-ei-ei-Eierlikör und der attraktiv schwitzende Brauereiarbeiter zeigen eine Welt, in der Glamour und Wohlfühlen gleich Alkoholkonsum ist. Mein vierter Patient ist angespannt, schwitzt und zittert leicht – beginnender Entzug. Er wollte endlich mit Trinken aufhören. Ich weise ihn ins Spital ein und fühle mich wie der alte Dr. Bircher-Benner, der Alkohol als «Volksschädling» geisselte. Sehne Pro - hibition, Werbe- und Präventionskampagnen gegen Alkohol, Erziehungsmassnahmen, gesellschaftliches Umdenken, gesetzliche Regelungen herbei. Ich mu - tiere zunehmend zum intoleranten Abstinenz eiferer, je länger ich an diesem Praxistag die Folgen von Alkohol erlebe. Kurz vor Feierabend ruft ein Haus- arztkollege und guter Freund an. «Kommst du noch mit auf ein Bier?», fragt er.

arsenicum

Das is t uns er B ier

D

662

ARS MEDICI 17 2010

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Füllen Sie das Arbeitsblatt individuell oder als Team aus und finden Sie heraus was Ihre Superkräfte, aber auch Ihr Kryptonit im Team ausmachen... Tipp: Teamcoaching für eine

Klinik Herzoghöhe Bayreuth Reha- und AHB-Fachklinik für Orthopädie, Onkologie. und

Allerdings stellt der Deutsche Verein infrage, dass eine maximale Gesamtdauer der gemeinsamen Inanspruchnahme von Pflegezeit und Familienpflegezeit durch Erwerbstätige

Die FMH, die GDK und H+ lehnen die Ecopop-Initiative ab, weil sie den bereits beste- henden Fachkräftemangel verstärkt und dem jährlich notwendigen Bedarf an Gesund-

Allmählich werden sich auch dort die Menschen der Tatsache bewusst, dass eine bessere Hygiene, Medizin und Er- nährungsversorgung einen höheren Anteil der Kinder überleben lässt,

Während die Schule vor allem Qualifika- tionen verteilt, die das Niveau der An- schlusslösung beeinflussen, spielen die Eltern im Hintergrund eine vielfältige Rolle,

1 Der Schulträger bietet für Schülerinnen und Schüler bedarfsgerecht eine schulergänzende Betreuung an, soweit nicht die politische Gemeinde diese Aufgabe erfüllt. Er erstellt

Work Life Balance - wie gelingt ein gesunder Ausgleich zwischen Beruf, Privat und Familie?. Wir gehen mit unserem Referenten Michael Gschwind folgenden