Mario Steiner
Maria Köpping, Andrea Leitner, Gabriele Pessl, Lorenz Lassnigg
Lehren und Lernen unter Pandemiebedingungen:
Was tun, damit aus der Gesundheits- nicht auch eine Bildungskrise wird?
Studie gefördert vom WWTF, Universität Innsbruck und BMBWF
1) Ausgangssituation, Fragestellung und Datengrundlage 2) Wie funktioniert und was bedeutet Distance-Learning?
a. Situation von SchülerInnen b. Situation von LehrerInnen
3) Konsequenzen des Distance-Learning für den Kompetenzerwerb und die soziale Ungleichheit 4) Mögliche Langfristwirkungen
a. Bildungslaufbahnen & Abbruch b. Arbeitsmarkt
5) Schlussfolgerungen und Handlungsansätze
Themenübersicht
❖ Ausgangssituation:
➢ Soziale Selektivität des Bildungsertrags steigt in dem Ausmaß mit dem dieser von privater Unterstützung abhängig ist (Bourdieu/Passeron 1971, Maaz et al. 2011)
➢ COVID-19: Abrupte Umstellung von Präsenz- auf Distanz-Unterricht
➢ Gegenteil zum Prä-COVID-Diskurs (02/20): Ausbau von Ganztagsschulen in Wien
❖ Fragestellung:
➢ Welche Auswirkungen auf die soziale Ungleichheit im Bildungssystem sind mit dem COVID-bedingten Distanz-Unterricht verbunden?
➢ Welche Gelingensbedingungen und Resilienzfaktoren helfen dabei, der zu erwartenden Verschärfung sozialer Ungleichheit entgegenzuwirken?
➢ Welche Folgen für die Bildungslaufbahnen sind mit den Schulschließungen verbunden?
❖ Datengrundlage:
➢ Onlineerhebung bei LehrerInnen
➢ Qualifiz. Rücklauf, 1. Welle: 4.019 Personen (z.B. 7% aller MS-LehrerInnen in Ö)
➢ Qualifiz. Rücklauf, 2. Welle: 3.708 PädagogInnen
1) Ausgangssituation, Fragestellung, Datengrundlage
2a) Distance-Learning: Situation der SchülerInnen I
=> Erreichbarkeit gestaltet sich selektiv, v.a. für Benachteiligte, besser in Wien, besser mit Zeit
Anmerkung: Benachteiligung basiert auf einer Einschätzung der LehrerInnen, was die Unterstützung/Förderung durch die Eltern, die materiellen Verhältnisse, die technische Ausstattung zu Hause sowie die privaten Wohnverhältnisse ihrer SchülerInnen betrifft.
17,4%
10,0%
22,1%
8,5%
31,3%
12,4%
35,6%
11,0%
0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40%
BENACHTEILIGTE SCHÜLERINNEN-WIEN ALLE SCHÜLERINNEN-WIEN BENACHTEILIGTE SCHÜLERINNEN-Ö ALLE SCHÜLERINNEN-Ö
Anteil kaum oder nicht erreichbarer SchülerInnen (Sek-I)
Quelle: IHS-LehrerInnenbefragung, n=3.197 (W1) / n=2.590 (W2)
1. Lockdown 2. Lockdown
2a) Distance Learning: Situation der SchülerInnen II
=> Hohes Ausmaß an Schwierigkeiten für SchülerInnen, zeitlich tendenziell sich verschärfend
Anmerkung: Dargestellt werden Anteile von LehrerInnen, die den einzelnen Aussagen hinsichtlich ihrer SchülerInnen sehr oder eher zustimmen.
1,9%
38,0%
49,1%
56,9%
63,5%
76,8%
79,2%
1,2%
38,0%
38,1%
41,6%
66,0%
71,4%
89,7%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
KEINE SCHWIERIGKEITEN FEHLENDE UNTERSTÜTZUNG UNRUHIGER ARBEITSPLATZ TECHNIK FEHLENDE MOTIVATION ABLENKUNG TAGESSTRUKTUR
Schwierigkeiten der SchülerInnen im Distanz-Unterricht
Quelle: IHS-LehrerInnenbefragung, n= 2.412 (W1), N= 1.847 (W2)
1. Lockdown 2. Lockdown
2b) Distance Learning: Situation der LehrerInnen I
=> Das COVID-19-Distance-Schooling wird von den LehrerInnen als stark belastend wahrgenommen und die Belastung steigt mit den Lockdowns zudem deutlich an!
43,2%
64,1%
73,4%
79,3%
46,0%
54,4%
70,6%
69,6%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90%
EINDRUCK: BIN EINZELKÄMPFER/IN WOHLBEFINDEN GERINGER PÄDAGOG. EINGESCHRÄNKT & ABHÄNGIG STUNDENAUFWAND HÖHER
Lehr-Situation von PädagogInnen
Quelle: IHS-LehrerInnenbefragung, n= 2.490 (W1), n= 1.911 (W2)
1. Lockdown 2. Lockdown
2b) Distance Learning: Situation der LehrerInnen II
=> Durch Corona brechen die an sich nicht ausreichend ausgebauten Unterstützungsleistungen für den Unterricht nochmals deutlich ein und erholen sich in der Abfolge der Lockdowns nur leicht.
30,5%
23,2%
22,1%
17,3%
16,2%
25,3%
20,7%
21,0%
14,7%
13,4%
44,5%
36,8%
34,1%
34,9%
31,1%
0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40% 45% 50%
SCHULINTERNE LERNHILFE SCHULPSYCHOLOGIE SCHUL-SOZIALARBEIT JUGENDCOACHING EXTERNE LERNHILFE
Ausreichende Unterstützungsleistungen für Unterricht
Quelle: IHS-LehrerInnenbefragung, n= 2.725 (W1), n= 2.248 (W2)
vor Covid während 1. Lockdown während 2. Lockdown
3) Konsequenzen für Kompetenzen & Ungleichheit I
=> COVID-19-Distance-Learning: Problemlagen sind sozial stark ungleich verteilt, verbessern sich aber für Benachteiligte stärker.
Anmerkungen: Dargestellt werden Anteile von LehrerInnen, die den einzelnen Aussagen hinsichtlich der jeweiligen SchülerInnengruppe sehr oder eher zustimmen.
Benachteiligung basiert auf einer Einschätzung der LehrerInnen, was die Unterstützung/Förderung durch die Eltern, die materiellen Verhältnisse, die technische Ausstattung zu Hause sowie die privaten Wohnverhältnisse ihrer SchülerInnen betrifft.
32,0%
85,6%
19,3%
83,7%
21,7%
61,8%
12,8%
62,0%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90%
BENACHTEILIGTE S.
ALLE SCHÜLERINNEN BENACHTEILIGTE S.
ALLE SCHÜLERINNEN
2. LOCKDOWN1. LOCKDOWN
Soziale Ungleichheit in der Praxis des Distanz-Unterrichts
Quelle: IHS-LehrerInnenbefragung, n= 2.318 (W1), n= 1.793 (W2)
SchülerInnen gelingt es gut ihr Distance-Learning zu planen Arbeitsaufträge werden vollständig und fristgerecht erledigt
3) Konsequenzen für Kompetenzen & Ungleichheit II
=> COVID-19-Distance-Learning beeinträchtigt das Bildungsergebnis und der “Schaden” wächst mit der Zeit!
Anmerkungen: Dargestellt werden Anteile von LehrerInnen, die den einzelnen Aussagen hinsichtlich der jeweiligen SchülerInnengruppe sehr oder eher
zustimmen. Benachteiligung basiert auf einer Einschätzung der LehrerInnen, was die Unterstützung/Förderung durch die Eltern, die materiellen Verhältnisse, die technische Ausstattung zu Hause sowie die privaten Wohnverhältnisse ihrer SchülerInnen betrifft.
74,3%
60,1%
68,5%
50,2%
78,4%
56,2%
76,2%
37,6%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90%
BENACHTEILIGTE S.
ALLE SCHÜLERINNEN BENACHTEILIGTE S.
ALLE SCHÜLERINNEN
2. LOCKDOWN1. LOCKDOWN
Soziale Ungleichheit beim Ergebnis des Distanz-Unterrichts
Quelle: IHS-LehrerInnenbefragung, n= 2.328 (W1), n= 1.810 (W2)
Sorge, Kompetenzniveau durch Distanz-Unterricht verschlechtert SchülerInnen sind insgesamt stark belastet
4a) Auswirkungen Bildungslaufbahnen: Duales System
Ein CORONA-bedingter Einbruch bei den insgesamten Lehrlingszahlen kann nicht festgestellt werden.
Ganz anders verhält es sich bei den betrieblichen Lehrlingen im 1. Lehrjahr: Hier liegt die Zahl im Februar 2021 um 8,4%
unter dem Vergleichsmonat im Vorjahr.
Die ÜBA funktioniert als Auffangnetz. Neueintritte wachsen von Juni 2019 bis Juni 2021 um 39,1%.
Das ÜBA-Wachstum fängt den Rückgang in der betrieblichen Lehre jedoch nicht gänzlich auf
60 70 80 90 100 110 120
JÄN.19 FEB.19 MÄR.19 APR.19 MAI.19 JUN.19 JUL.19 AUG.19 SEP.19 OKT.19 NOV.19 DEZ.19 JÄN.20 FEB.20 MÄR.20 APR.20 MAI.20 JUN.20 JUL.20 AUG.20 SEP.20 OKT.20 NOV.20 DEZ.20 JÄN.21 FEB.21 MÄR.21 APR.21 MAI.21 JUN.21
Entwicklung der Lehrlingszahlen (insgesamt) (INDEX: Feb 2020 = 100)
Quelle: WKÖ, Berechnungen: IHS-Steiner
betriebliche Lehre ÜBA
70 80 90 100 110 120 130 140
JÄN.19 FEB.19 MÄR.19 APR.19 MAI.19 JUN.19 JUL.19 AUG.19 SEP.19 OKT.19 NOV.19 DEZ.19 JÄN.20 FEB.20 MÄR.20 APR.20 MAI.20 JUN.20 JUL.20 AUG.20 SEP.20 OKT.20 NOV.20 DEZ.20 JÄN.21 FEB.21 MÄR.21 APR.21 MAI.21 JUN.21
Entwicklung der Lehrlinge im 1. Lehrjahr (INDEX: Feb 2020 = 100)
Quelle: WKÖ, Berechnungen: IHS-Steiner
betr.
Lehrlinge 1. LJ ÜBA- Lehrlinge 1. LJ
Anmerkung:
Die Linie für die ÜBA-Entwicklung in bei den Lehrlingen im 1. Lehrjahr wird strichliert dargestellt, weil es sich bei der Entwicklung vom Februar 2020 bis zum Juni2021 „nur“ um eine lineare Fortschreibung handelt. Diese Vorgehensweise ist notwendig geworden, weil es in der
Lehrlingsstatistik im Fall der ÜBA zu Fehlzuordnungen zwischen erstem und drittem Lehrjahr gekommen ist und als erster„richtiggestellte“ Wert jener aus dem Juni 2021 gilt.
4a) Auswirkungen Bildungslaufbahnen: Schulen
Zuwachs bei der Gesamtzahl der SchülerInnen
Rückgänge bei den Eintrittsstufen
Stärkere Betroffenheit von Burschen
Problematischere
Entwicklung bei “niedrigerer”
Schulform (BMS)
Das Ergebnis problematischerer Entwicklungen bei
“niedrigeren” Schulformen wird durch
Übergangsschulformen für AHS, BHS, BMS auf den 8./9.
Schulstufen bestätigt.
-0,4%
0,7%
2,3%
-1,8%
0,8%
2,2%
-3,3%
1,0%
2,2%
-4% -3% -2% -1% 0% 1% 2% 3%
BMS AHS-OBERSTUFE BHS
Veränderung der SchülerInnenzahlen (gesamt) von 2019/20 auf 2020/21
Quelle: BMBWF-SORG / Berechnungen: IHS-Steiner
männlich gesamt weiblich
-3,9%
-4,6%
-2,3%
-7,1%
-4,2%
-2,4%
-10,5%
-3,5%
-2,6%
-12% -10% -8% -6% -4% -2% 0%
BMS AHS-OBERSTUFE BHS
Veränderung der SchülerInnenzahlen (Eintrittsstufen) von 2019/20 auf 2020/21
Quelle: BMBWF-SORG / Berechnungen: IHS-Steiner
männlich gesamt weiblich
4a) Auswirkungen Bildungslaufbahnen: Gesamtüberblick
Ein durchgängiges Muster (Schule/Lehre): Neueintritte sinken, während die Gesamtzahl der SchülerInnen/
TeilnehmerInnen tlw. steigt (zumindest aber deutlich weniger sinkt).
Das deutet auf unterschiedliche CORONA-Wirkungen je nach Stadium in der Laufbahn hin:
o Massive Ein-/Übertrittsprobleme für die Jüngeren (an der Schnittstelle Sek I / Sek II),
o während ansonsten“übliche” Abbrüche (wegen geringerer Selektivität?) in den höheren Klassen/Jahren in der Sekundarstufe II nicht (in dem Ausmaß) stattfinden.
Evidenz für 3.811 “unversorgte”15-jährige Jugendliche (Minus bei Neueintritte bei zeitgleichem Kohortenwachstum) – was 4,5% der Kohorte entspricht.
ÜBA fängt einen Teil auf, bei vielen besteht aber die Gefahr für einen frühen Bildungsabbruch (FABA).
gesamt Neueintritte
Lehrlinge-betrieblich (Juni 2019 bis Juni 2021) + 590 - 1.831 ÜBA-Lehrlinge (Juni 2019 bis Juni 2021) - 327 + 1.263
Zwischensumme (duale Ausbildung) + 263 - 568
AHS-Oberstufe (Schuljahr 2019/20 auf 2020/21) + 737 - 1.036
BMS - 478 - 711
BHS + 2.559 - 729
Gesamtsumme + 2.123 - 3.044
Quellen: WKÖ & BMBWF
Anmerkung:
Die Jahresergebnisse für das Schulwesen werden im Vergleich der Schuljahre 2019/20 zu 2020/21 dargestellt.
Im Fall des dualen Systems (betrieblich wie überbetrieblich wird jedoch die Entwicklung von Juni 2019 bis Juni 2021 dargestellt. Diese ungleiche
Vorgehensweise ist notwendig geworden, weil es in der
Lehrlingsstatistik im Fall der ÜBA zu Fehlzuordnungen zwischen erstem und drittem Lehrjahr gekommen ist und als erster„richtiggestellte“
Wert jener aus dem Juni 2021 gilt. Um saisonale Unterschiede hintanzuhalten muss demnach als Vergleich der Juni 2019
herangezogen werden.
4b) Mögliche Langfristwirkung: Arbeitsmarkt I
Die Beschäftigungschancen Jugendlicher mit höchstens Pflichtschulabschluss werden durch Corona besonders stark beeinträchtigt!
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Q2-20
Arbeitslosenquoten (LFS) nach Bildungsniveau und Alter in Österreich
(Quelle: Statistik Austria/EUROSTAT, Berechnungen: IHS-Steiner)
25-64J/ISCED0-2 25-64J/ISCED3-4 25-64J/ISCED5-8 20-24J/ISCED0-2 20-24J/ISCED3-4
4b) Mögliche Langfristwirkung: Arbeitsmarkt II
Ein Sek-II-Abschluss ist für Beschäftigungschancen kaum sonst wo so wichtig wie in Österreich!
0%
50%
100%
150%
200%
250%
300%
350%
400%
Relatives Arbeitslosigkeitsrisiko von Jugendlichen mit max. PS-Abschluss (20- 24j) relativ zu Jugendlichen mit Sek-II-Abschluss Q2-2020
Quelle: EURSOTAT, Berechnungen: IHS-Steiner