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Demografischer Wandel verschärft Fachkräftemangel | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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FACHKRÄFTEMANGEL

Die Volkswirtschaft  5 / 2019 43

Demografischer Wandel verschärft Fachkräftemangel

Die Nachfrage nach Handwerkern, Ärzten und IT-Spezialisten dürfte in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Verantwortlich dafür ist die zunehmende Alterung der Bevölkerung. 

Conny Wunsch, Manuel Buchmann

I

n den kommenden Jahren werden die ge- burtenstarken Jahrgänge der Fünfziger- und Sechzigerjahre pensioniert. Dadurch ver- ändert sich der Arbeitsmarkt: Während im Jahr 2015 noch 62 Prozent der Schweizer Bevölke- rung zwischen 20 und 64 Jahre alt waren, dürf- te dieser Anteil bis zum Jahr 2035 auf 56 Pro- zent sinken.1 Unternehmen bekunden bereits heute Mühe, qualifizierte Fachkräfte zu rekru- tieren. Dieser Fachkräftemangel wird sich ver- stärken.

1 Bundesamt für Statistik (2018): Entwicklung der ständi- gen Wohnbevölkerung nach Altersgruppen.

Abstract  Im Rahmen eines Nationalfonds-Forschungsprojektes hat die Universität Basel zusammen mit dem Forschungsinstitut Infras eine schweizweite Unternehmens- befragung durchgeführt. Diese zeigt auf, auf welche Art sich der demografische Wandel auf Unternehmen verschiedener Branchen auswirken wird. Am deutlichsten werden das Baugewerbe und das Gesundheitswesen den demografischen Wandel spüren. Da- bei gibt es grosse Unterschiede zwischen den Branchen und den Kompetenz niveaus.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass mehr Handwerker, Ärzte und hoch qualifizierte IT-Spezialisten ausgebildet werden sollten, um den inländischen Fachkräftebedarf in Zukunft decken zu können.

Doch nicht alle Branchen sind vom demo- grafischen Wandel gleichermassen betrof- fen. Die offensichtlichste Quelle von poten- ziellen Unterschieden liegt in unterschiedli- chen Altersstrukturen. Eine Branche wie das Gesundheitswesen, wo mehr als 28 Prozent der Beschäftigten über 50 Jahre alt sind, ist vom demografischen Wandel stärker be- troffen als beispielsweise die IT- Branche, wo weniger als 22 Prozent der Beschäftigten in diese Altersgruppe fallen.

Dem Fachkräftemangel können Unterneh- men gegensteuern. Wenn sich beispielsweise

aufgrund vermehrter Pensionierungen ein Mangel an bestimmten Fachkräften abzeich- net, können sie etwa Arbeitskräfte, die über eine tiefere Qualifikation verfügen, intern ausbilden. Einen weiteren Ausweg bietet der technologische Fortschritt: Möglicherwei- se müssen einzelne Fachkräfte dank digitalen Lösungen oder dank automatisierten Prozes- sen gar nicht ersetzt werden. Ob und in wel- chem Umfang solche Massnahmen möglich sind, hängt von vielen Faktoren ab, die sich von Branche zu Branche unterscheiden. Ob- jektive Daten zur Verfügbarkeit solcher Mass- nahmen sind leider kaum verfügbar.

In einem vom Schweizerischen National- fonds (SNF) unterstützten Forschungspro- jekt untersuchen wir die Auswirkungen des demografischen Wandels auf den Arbeits- markt.2 Im Rahmen dieses Projekts befrag- ten wir letztes Jahr zusammen mit dem For- schungsinstitut Infras Unternehmen in der deutsch-, französisch- und italienischspra- chigen Schweiz. Dazu kontaktierten wir in den Monaten Mai und Juni 5000 Unterneh- men aus allen Branchen des sekundären und tertiären Sektors. Insgesamt erhielten wir 695 vollständige Rückmeldungen, was einem Rücklauf von 14 Prozent entspricht.

Sechs Komponenten

Das Ausmass der Betroffenheit vom demo- grafischen Wandel bildeten wir in einem In- dex ab, der folgende sechs Komponenten be- rücksichtigt:

– Digitalisierung: Wie einfach ist es mög- lich, wegfallende Arbeitskräfte durch Di- gitalisierung und Automatisierung zu er- setzen?

– Aktueller Mangel: Besteht bereits heute ein Mangel an Fachkräften? Wird für die nähe- re Zukunft ein Fachkräftemangel erwartet?

– Alter der Beschäftigten: Welcher Anteil der Beschäftigten ist über 50 Jahre alt, das

2 SNF-Projekt 169532: Consequences of the Demogra- phic Change for the Swiss Labour Market. Mehr Infos unter www.unibas.ch.

Abb. 1: Demografischer Wandel: Betroffenheit nach Branche und Kompetenz- niveau

Ein Indexwert von 100 bedeutet starke Betroffenheit. Das Kompetenzniveau 1 ist am höchsten (Akademiker) und das Kompetenzniveau 4 am tiefsten (Hilfskräfte).

BUCHMANN UND WUNSCH (2019) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

60 Index (0–100)

40

20

0

Baugewerbe Gesundheits-

wesen Handel, Verkehr

und Lagerei

Industrie IT Sonstige

Dienstleistungen   Total         Kompetenzniveau 1        Kompetenzniveau 2        Kompetenzniveau 3        Kompetenzniveau 4

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FACHKRÄFTEMANGEL

44 Die Volkswirtschaft  5 / 2019

heisst, wird in der näheren und mittleren Zukunft pensioniert?

– Nachwuchs: Wird innerhalb der Schweiz genug Nachwuchs ausgebildet, um die Ba- byboomer zu ersetzen? In welche Richtung geht der Trend?

– Abhängigkeit vom Ausland: Welcher An- teil der Arbeitskräfte wird bereits heute aus dem Ausland rekrutiert? Gibt es noch Potenzial, entstehende Lücken durch Aus- länder zu schliessen?

– Substituierbarkeit: Wie gross ist der Auf- wand, Arbeiter aus einem tieferen Kompe- tenzniveau intern weiterzubilden, um feh- lende spezialisierte Fachkräfte zu ersetzen?

Können entstehende Lücken unterneh- mensintern geschlossen werden?

Sechs Branchen

Die befragten Unternehmen wurden nach Branchenzugehörigkeit wie folgt zusammen- gefasst: Baugewerbe, Gesundheitswesen, IT, Industrie, «Handel, Verkehr und Lagerei» so- wie die Sammelkategorie Sonstige Dienst- leistungen.3 Zusätzlich wurde nach dem Kompetenzniveau der Arbeitskräfte differen-

3 Noga: F, Q, J, C/E, G/H sowie I/K-P/R-S.

ziert. Das Kompetenzniveau 1 umfasst vor al- lem akademische Fachkräfte (Naturwissen- schaftler, Betriebswirtschafter etc.). Niveau 2 enthält spezialisierte Fachkräfte mit eher praktischen Tätigkeiten wie etwa ingenieur- technische Fachkräfte. Auf dem Niveau 3 fol- gen einfachere praktische Berufe, die aber in der Regel eine mehrjährige Ausbildung erfor- dern (beispielsweise Bau- und Ausbaufach- kräfte, Bürokräfte oder Pflegeberufe). Zum Kompetenzniveau 4 schliesslich zählen Hilfs- arbeitskräfte, die meist nur über eine kurze oder gar keine spezialisierte Ausbildung ver- fügen.

Für jede Branche und jedes Kompetenz- niveau wurde ein Indexwert zwischen 0 und 100 berechnet, wobei 100 die höchste Be- troffenheit darstellt (siehe Abbildung 1). Die- se Werte wurden anschliessend zu einem Subindex für jedes Kompetenzniveau und jede Branche aggregiert. In einer letzten Aggregationsstufe wurden die Subindizes dann, gewichtet mit dem Anteil der Ange- stellten des entsprechenden Kompetenz- niveaus, zu einem Gesamtindex pro Branche aggregiert. Mit einem Wert von 49 schnei- det das Baugewerbe insgesamt am schlech- testen ab, darauf folgt das Gesundheitswe- sen mit 47 Punkten.

Betrachtet man die Subindizes etwas ge- nauer, stellt sich heraus, dass sich die betrof- fenen Kompetenzniveaus stark unterschei- den. Während im Baugewerbe vor allem das Kompetenzniveau 3 (Mittelqualifizierte) vom demografischen Wandel betroffen ist, sind im Gesundheitswesen die Indexwerte beim Kompetenzniveau 1 (Ärzte und Chirurgen) am höchsten. Dahinter folgen die Niveaus 2 (Me- dizintechniker, Fachangestellte Gesundheit) und 3 (Pflegeberufe).

Verantwortlich für diese hohen Wer- te im Gesundheitswesen sind strikte Re- gulierungen. Interne Weiterbildungen sind meist verunmöglicht, und trotz Digitalisie- rung sind menschliche Arbeitskräfte unver- zichtbar. Unternehmen im Gesundheitswe- sen können deshalb nicht flexibel auf de- mografische Trends reagieren. Pensionierte Fachkräfte werden durch neu ausgebilde- ten Nachwuchs oder ausländische Fachkräf- te ersetzt werden müssen. Hinzu kommt, dass die demografischen Trends die Nach- frage nach Gesundheitsdienstleistungen er- höhen, was wiederum die Nachfrage nach Fachkräften antreibt. Die Ausbildung von

KEYSTONE

Das Baugewerbe leidet am stärksten unter dem demografischen Wandel. Arbeiter im Bözberg-Tunnel.

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ausreichend hoch qualifiziertem Nachwuchs im Gesundheitswesen sollte daher hohe Priorität haben.

Dringend gesucht: Handwerker

Die starke Betroffenheit des Baugewerbes äussert sich insbesondere in einer Knapp- heit an Arbeitskräften mit Kompetenzniveau 3, welche einen grossen Teil (57%) der in die- ser Branche Beschäftigten ausmachen (siehe Abbildung 2). Dabei handelt es sich um die im Baugewerbe typischen Lehrberufe wie Bau- und Ausbaufachkräfte, Elektriker oder ähnli- che Berufe. Die befragten Firmen aus dieser Branche beschweren sich bereits heute über eine akute Knappheit an Fachkräften mit sol- chen Ausbildungen und bemängeln insbe- sondere die Nachwuchssituation. Viele jun- ge Arbeitskräfte entscheiden sich heute für eine höhere Ausbildung, beispielsweise an einer Fachhochschule, oder eine Ausbildung in einer anderen Branche, sodass die klassi- schen Lehrberufe des Baugewerbes an At- traktivität verloren haben. Gleichzeitig ver- fügen viele ausländische Arbeitskräfte nicht über schweizerisch anerkannte Ausbildun- gen und werden daher als Hilfsarbeitskräfte eingesetzt. Diese Trends, verbunden mit der kommenden Pensionierung der Babyboomer, die heute noch in diesen Berufen tätig sind, werden in der nahen Zukunft zu einer deutli- chen Knappheit an klassischen Handwerkern im Baugewerbe führen.

Demgegenüber weisen die Branchengrup- pen Industrie, «Handel, Verkehr und Lagerei»

tiefere Indexwerte auf. Im Vergleich zum Ge- sundheitswesen schneidet die Industrie bei den Hochqualifizierten etwas besser, bei den

Mittelqualifizierten (Niveau 3) etwas schlech- ter ab. Der Bereich «Handel, Verkehr und La- gerei» erreicht bei den Hoch- und Mittelqua- lifizierten leicht bessere Werte als die Indus- trie, bei den Hilfsarbeitskräften aber leicht schlechtere. Leicht weniger bedroht vom de- mografischen Wandel ist die IT-Branche mit einem Indexwert von 42 Punkten. Insbeson- dere bei den Kompetenzniveaus 3 und 4 er- zielt die Branche sehr gute Werte. Dies liegt vor allem am relativ tiefen Durchschnitts- alter sowie an der Flexibilität, durch Digitali- sierung und interne Weiterbildungen intern Lösungen für die kommenden Trends finden zu können. Während zwischen den Kompe- tenzniveaus 1 und 2 jedoch relativ einfach in- tern substituiert werden kann, fällt dies zwi- schen den Kompetenzniveaus 2 und 3 deut- lich schwerer. Insgesamt fehlt es somit auch in der IT-Branche an hoch qualifizierten und gut ausgebildeten Fachkräften.

Mehr Ärzte ausbilden

Als relativ heterogene Sammelkategorie sind die sonstigen Dienstleistungen schwer zu beurteilen. Die aktuelle Situation (aktu- eller Mangel und Nachwuchssituation) wird als gut bewertet, und die Branchengruppe ist leicht weniger vom Ausland abhängig als andere Branchen. Höhere Indexwerte zeigen sich bei der Substituierbarkeit und den Mög- lichkeiten durch Digitalisierung, insbesonde- re bei den Kompetenzniveaus 3 und 4. Ins- gesamt scheint diese Gruppe etwas weniger stark vom demografischen Wandel betroffen als andere.

Das Fazit aus der Unternehmensbefra- gung lautet: Der demografische Wandel stellt

36

13

34 61 61

17

Kompetenz- niveau 1

Ø 37 40

22

32 64 54

12

Kompetenz- niveau 2

Ø 37 63

32

83 76 80

22

Kompetenz- niveau 3

Ø 59 42

10

4 76 29

Kompetenz- niveau 4

Ø 32

Abb. 2: Betroffenheit im Baugewerbe: Nach Komponenten und Kompetenzniveaus (Indexwerte)

  Substituierbarkeit (Ø Baugewerbe 72)       Digitalisierung (Ø 72)       Aktueller Mangel (Ø 57)       Alter der Beschäftigten (Ø 25)       Nachwuchs (Ø 53)      Abhängigkeit vom Ausland (Ø 21) ) /BUCHMANN UND WUNSCH (2019 DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Ein Indexwert von 100 bedeutet starke Betroffenheit. Das Kompetenzniveau 1 ist am höchsten (Akademiker) und das Kompetenzniveau 4 am tiefsten (Hilfskräfte). Über alle Kompetenzniveaus hinweg beträgt die durchschnittliche Betroffenheit 49 Punkte.

den Schweizer Arbeitsmarkt vor grosse Her- ausforderungen. Insbesondere im Gesund- heitswesen, in der IT-Branche und in den klassischen Handwerksberufen des Bauge- werbes dürfte sich der Fachkräftemangel er- heblich verstärken. Dieser Effekt kann zudem durch Automatisierung und Digitalisierung nur in beschränktem Ausmass abgeschwächt werden. Zukünftig muss die Schweiz ver- stärkt eigene Fachkräfte in diesen Bereichen ausbilden. Die Politik muss hierfür die not- wendigen Rahmenbedingungen schaffen, zum Beispiel durch eine Erhöhung der Stu- dienplätze für Medizin.

Conny Wunsch

Professorin für Arbeitsmarktökonomie, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Universität Basel

Manuel Buchmann

Doktorand, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Universität Basel

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