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Gelebte Literatur, lebendige Literaturwissenschaft : zum Gedenken an Hans Mayer

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Gelebte Literatur, lebendige Literatmwissenschaft.

Zum Gedenken an Hans Mayer

"Wir sehen uns also am 14. Juni in Bonn. Ein Hotelzimmer habe ich mir von hier aus bereits reservieren lassen." Das schrieb Hans Mayer am 29. Mai 1969 aus Hannover an Horst Rüdiger in Bonn, der zur Gründungsversammlung der DGA VL aufgerufen hatte. Mayers Brief gehört zu den ältesten Aktenbeständen der Gesellschaft. Das Gründungsmitglied lehrte zu dieser Zeit am Seminar fur Deutsche Literatur und Sprache der technischen Universität Hannover; dies war eine - nicht die letzte - Station seines an Erfahrungen, Abwechslungen und Lei- stungen reichen Lebens als LiteraturwissenschaftIer und Autor.

Mayer wurde am 19. März 1907 in Köln als Sohn aus wohlhabendem jüdi- schem Elternhaus geboren. Er studierte Staats- und Rechtswissenschaften, Philo- sophie und Geschichte in Berlin, Köln und Bonn, promovierte 1930 mit einer staatsrechtlichen Dissertation, wurde jedoch als Jude schon 1933 aus dem Staats- dienst entlassen. Zwölf Jahre der Emigration folgten: zuerst in Frankreich, dann in der Schweiz, wo der Jurist zum Literaturwissenschaftier aus Berufung und Lei- denschaft wurde, eine Monographie über Georg Büchner verfaßte und für kul- turpolitische Zeitschriften arbeitete. Bereits 1945 nach Deutschland zurückge- kehrt, übernahm er die Chef redaktion von Radio Frankfurt, verließ aber schon 1948 das westliche Deutschland, in dem er sich seiner marxistischen Überzeu- gung wegen nicht willkommen fuhlte, um in Leipzig eine Professur fur Literatur- wissenschaft zu übernehmen. Er empfand sich neuerlich als Emigrant. Als "Kom- munist ohne Parteibuch", wie er sich einmal nannte, wurde er jedoch auch in Ostdeutschland bald angefeindet und mußte Repressalien befürchten. Einen Kurzbesuch im Westen nutzte er 1963, um von der DDR in die BRD überzusie- deln, wo er wenig später seine Hannoveraner Professur antrat. Nach der Emeri- tierung siedelte er nach Tübingen über. Mayer, der den neuerlichen Landes- wechsel von 1963 als seine dritte Flucht angesehen hatte, spielte noch 1993 mit dem Gedanken, das ihm durch seine zunehmende Fremdenfeindlichkeit seiner- seits wieder fremd werdende Deutschland neuerlich zu verlassen - dafür aller- dings sei er letztlich doch zu alt, meinte er.

Mayer wirkte mehr als sechs Jahrzehnte als unermüdlicher Vermittler, Ausle- ger und Anreger der Literatur. Er veröffentlichte Buch um Buch, zuletzt seine

"Erinnerungen an Willy Brandt". Für das eigene Leben und Wirken hat er selbst die Schlüsselworte geprägt. "Ein Deutscher auf Widerruf" ist der Titel seiner 1982 in zwei Bänden veröffentlichten Lebenserinnerungen. Und "Gelebte Litera- tur" nannte er seine Frankfurter Poetik-Vorlesungen von 1986/87.

Hans Mayer, der Robert Musil, Thomas Mann, Bertolt Brecht, Kurt Tuchol- sky, George Lukacs, Max Horkheimer, Georges Bataille, Ernst Bloch sowie viele andere Größen der Literatur und Philosophie des 20. Jahrhundert kannte und bei dem Autoren wie UweJohnson, Volker Braun und Christa Wolf Germanistik

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hörten, ist gleichermaßen ein Stück Literaturgeschichte, ein Stück literaturwis- senschaftlicher Fachgeschichte und ein Stück europäischer Zeitgeschichte. Er ist auch ein Stück Geschichte der DGA VL. Noch vor zwei Jahren erkundigte er sich beim Sekretär der Gesellschaft besorgt, ob er seine Mitgliedbeiträge auch immer korrekt überwiesen habe; diese Sorge, immerhin, erwies sich als unnötig. Lebhaft, anteilnehmend und präsent begegnete er bis in seine letzte Lebenszeit all denen, die mit ihm zusammentrafen, und dies trotz seiner zuletzt fast völligen Sehunfä- higkeit, die er jedoch bei öffentlichen Auftreten durch sein immenses Gedächt- nis und seine rhetorische Brillanz zu kompensieren wußte. Am 19. Mai 2001 ist Hans Mayer in Tübingen gestorben.

Monika Schmitz-Emans

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