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4. Deutsch-Französisches Gewerkschaftsforum - Erklärung:

Der deutsche Gewerkschaftsbund (DBG) und die französischen Gewerkschaftsverbände (CFDT, CFTC, CGT, FO und UNSA) setzen sich als Teil der europäischen Gewerkschaftsfamilie für gemeinsame europäische Lösungen ein.

Aufgrund der besonderen Rolle, die Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy derzeit in der Europäischen Union spielen, sehen wir uns jedoch in der besonderen Verantwortung, eigene Beiträge zur Analyse der Situation unserer beiden Länder sowie zur Analyse der europapolitischen Vorschläge unserer höchsten politischen Verantwortlichen vorzulegen. Unsere Initiative passt sich ein in die Aktionen des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) und versteht sich als Beitrag zur im EGB-internen Debatte.

In diesem Sinne verabschiedete das deutsch-französische Gewerkschaftsforum auf seiner Tagung in Berlin am 1. und 2. Dezember 2011 eine gemeinsame Erklärung für einen

Kurswechsel in Europa:

Ausgehend von einer Analyse der jeweiligen Situation in Deutschland und Frankreich kommen wir zu folgenden Ergebnissen:

- Löhne und Gehälter haben sich in den beiden Ländern im Laufe der vergangenen zehn Jahre sehr unterschiedlich entwickelt:

• In Deutschland führten die politischen Entscheidungen, vor allem aber die Arbeitsmarktreformen zur Entwicklung eines sich immer stärker ausdehnenden Niedriglohnsektors, eine Entwicklung, die durch die ständig sinkende tarifvertragliche Abdeckung und das Fehlen eines gesetzlichen Mindestlohnes noch begünstigt wurde. Dies führte zur Stagnation der allgemeinen Lohnentwicklung.

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• In Frankreich stiegen die Reallöhne insgesamt stärker als in Deutschland. Doch auch hier fiel der Anstieg zu gering aus und wies zudem starke Disparitäten auf. So führte der Anstieg des SMIC (Mindestlohnes) zwar automatisch zur Erhöhung der niedrigsten Löhne. Gleichzeitig aber bewirkte er auch eine Absenkung der untersten Lohnstufen bei den Branchentarifen und passte die

Beamtengehälter in etwa an die Höhe des Mindestlohns (SMIC) an. Im gleichen Zeitraum setzten die oberen Einkommenskategorien zu einem Höhenflug an, während die mittleren Einkommen stagnierten.

- Die Finanzierung des Systems der sozialen Sicherheit und des öffentlichen

Dienstes unterscheidet sich in beiden Ländern beträchtlich voneinander. So fallen in Deutschland beim Bezug mittlerer und unterer Einkommen niedrigere Sozialbeiträge an. Doch ist die Steuerlast höher als in Frankreich.

- Im vergangenen Jahrzehnt beruhte das deutsche Wachstum fast ausschließlich auf steigenden

Exportüberschüssen. Dieses „Wachstumsmodell“ lässt sich jedoch nicht einfach auf die gesamte Union übertragen. Würde eine solche Strategie dennoch verfolgt, so heizte dies nur die Konkurrenz zwischen den Mitgliedsstaaten an und führte am Ende zu einer Verschärfung des allgemeinen Lohn- und Sozialdumpings. Um gleichgewichtige Wirtschaftsbeziehungen in der Union herzustellen, wäre es hingegen erforderlich, die

Binnennachfrage in Deutschland anzukurbeln und die Exportkapazitäten von Ländern mit einer defizitären Handelsbilanz - wie zum Beispiel Frankreich - zu stärken.

Diese Bestandaufnahme zeigt, dass der von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy empfohlene Weg in eine Sackgasse führt. Eine Verallgemeinerung der Sparpolitik, die die gleiche Rezeptur in allen europäischen Ländern – zumindest aber in allen Ländern der Eurozone – anwendet, würde unweigerlich die bestehenden Ungleichheiten verstärken, die Wirtschaftskonjunktur und die sozialen Bedingungen verschlechtern. Sie führte mitten hinein in die Rezession, ließe die Arbeitslosigkeit steigen und förderte Prekarität und Armut. Die Leidtragenden wären vor allem die Jugendlichen. Sollte Europa tatsächlich nicht fähig sein, seiner Jugend Zukunftsperspektiven zu bieten, dann droht in vielen Ländern eine „verlorene Generation“ heranzuwachsen.

Wir sind zutiefst überzeugt, dass Europa umsteuern muss, um die Krise zu bewältigen. Dazu sind folgende Initiativen dringend erforderlich:

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1. Die EU demokratisch und transparent weiterentwickeln

Wir lehnen nachdrücklich ab, dass die Änderung der Verträge allein der Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP) dienen soll. Sofern eine Vertragsänderung tatsächlich notwendig ist, dann muss sie gleichzeitig die notwendige politische Integration der Wirtschafts-, Fiskal-, Finanz- sowie Sozialpolitik zum Ziele haben. Vor allem die Sozialpolitik muss definitiv in den Verträgen verankert werden. Eine „soziale Fortschritts- klausel“, der mindestens der gleiche Wert und Rang zukommen muss wie dem SWP und die schon seit langem vom EGB und allen europäischen Gewerkschaften gefordert wird, muss Europa zur Gewährleistung der sozialen

Grundrechte verpflichten. Die Tarifautonomie muss vor Eingriffen seitens europäischer oder nationaler politischer Institutionen geschützt werden. Der Stabilitäts- und Wachstums-Pakt sollte sich auf Wirtschaftswachstum ausrichten statt allein das Ziel zu verfolgen, die Defizite der öffentlichen Haushalte in den Griff zu bekommen.

Die europäische Gewerkschaftsbewegung fordert darüber hinaus, dass alle auf EU-Ebene zu treffenden Entscheidungen unter Anwendung der allein demokratisch legitimierten Gemeinschaftsmethode beschlossen werden müssen.

Wir fordern die europäischen Staats- und Regierungschefs zu einer demokratischen Debatte auf, an der die Parlamente, stellvertretend für die Bürger und Bürgerinnen, sowie die Sozialpartner zu beteiligen sind. Vor allem ist Wachsamkeit gefordert gegenüber Entwicklungen, die Extremismus, Nationalismus und populistische Strömungen Auftrieb geben.

2. Wirtschaft ankurbeln und Tarifautonomie fördern

Die Verteilung des Reichtums muss korrigiert werden. Die exzessive Verzinsung des Kapitals und die seit geraumer Zeit zu beobachtende immer stärkere Hinwendung der Realwirtschaft hin zum Finanzkapitalismus haben dazu beigetragen, die Spekulationsblasen aufzupumpen und das Funktionieren der Realwirtschaft zu beeinträchtigen.

Neben der von den Gewerkschaften seit langem geforderten, dringend benötigten Regulierung der Finanzmärkte muss der gesellschaftliche Reichtum umverteilt werden zugunsten von Investitionen und Beschäftigung sowie zur Anhebung der Arbeitseinkommen.

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Eine solche Neuausrichtung muss die unterschiedlichen Situationen des jeweiligen Landes und der spezifischen Wirtschaftssektoren berücksichtigen. Dies kann nur geschehen, wenn Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände einbezogen und autonome Tarifverhandlungen garantiert werden. Die in zahlreichen europäischen Ländern feststellbare Tendenz der Tarifflucht muss umgekehrt werden. Die sozialen Grundrechte, insbesondere das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren und kollektiv zu verhandeln, müssen garantiert werden. Doch häufig genug dient die Krise als Vorwand, genau diese Grundrechte in Frage zu stellen.

Den wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen eines jeden Landes entsprechend - und unter Beachtung der jeweiligen Verhandlungsstrukturen - muss die Stärkung der Binnennachfrage zum Wirtschaftswachstum beitragen.

Der Bekämpfung von Ungleichheiten und zunehmender existentieller Unsicherheit („Prekarisierung“) kommt dabei eine ebenso wichtige Rolle zu wie der Garantie Existenz sichernder Löhne für alle Beschäftigten. Doch für einen langfristigen wirtschaftlichen Aufschwung braucht Europa ein Zukunftsprogramm mit Investitionen zur nachhaltigen Entwicklung, sowie einen Marshall-Plan für die besonders von Krisen geplagten Länder. Ein solches Zukunfts- programm muss die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen miteinander verknüpfen, etwa auf den Gebieten Forschung und Entwicklung, Innovation, Bildung oder leistungsfähige öffentliche Dienste.

Vordringlich sind dabei Investitionen in die energetische Gebäudesanierung, die Förderung erneuerbarer Energien sowie energiesparender Maschinen und Anlagen und europaweite Infrastrukturprojekte zur Unterstützung einer nachhaltigen Entwicklung. Immaterielle Investitionen in die Aus- und Weiterbildung, in Forschung und Innovation können ebenfalls zum Wachstum beitragen.

3. Steuerdumping ausschließen

Zur Eindämmung des europäischen Steuerwettbewerbs bedarf es einer gemeinsamen Steuerpolitik innerhalb der Eurozone. Eine gemeinsame Steuerpolitik muss zu einer Angleichung der Bemessungsgrundlagen für die Fest- setzung der Körperschaftssteuer führen und Mindeststeuersätze europaweit festlegen. Zukünftig darf es keinem Land mehr gestattet sein, Steuerdumping als Instrument der Wettbewerbspolitik zu Lasten anderer Länder einzusetzen. Nach dem Prinzip „Starke Schultern müssen stärker zum Allgemeinwohl beitragen“ sollten die Steuersysteme die gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen fördern, anstatt bestehende Ungleichheiten zu vergrößern.

Darüber hinaus würde die Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer eine positive Entwicklung fördern, Spekulationen eindämmen und zusätzliche Einnahmequellen erschließen.

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4. Die Handlungsfähigkeit der Europäischen Zentralbank stärken und Eurobonds einführen

Die zur Ausgestaltung der Wirtschaftsregierung (eventuell) erforderlichen Vertragsänderungen müssen die Handlungsfähigkeit der EZB verbessern, so dass die Zentralbank zukünftig als Kreditgeber der letzten Instanz fungieren kann. Um Spekulationen gegen Anleihen einzelner Euroländer zu unterbinden und die Euro-Länder zur gegenseitigen Solidarität zu verpflichten, fordern wir zudem die Auflage gemeinsamer europäischer Anleihen (Eurobonds).

Wir unterstreichen zum wiederholten Male die herausragende Wichtigkeit einer strikten Regulierung des Finanz- sektors. Nur so lassen sich schädliche Spekulationen unterbinden und die Banken wieder zur Wahrnehmung ihrer eigentlichen Aufgaben – die Finanzierung der Realwirtschaft - verpflichten. Der Handlungsspielraum der Rating- Agenturen muss erheblich eingeschränkt werden, insbesondere durch das Verbot, solche Länder einem Rating zu unterziehen, die auf internationale Hilfe angewiesen sind.

Berlin, 09.01.2012

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