W SI
SGB/USS, Denknetz, UNIA
Fachtagung „Gute Arbeit zu fairen Löhnen“
Zürich, 17. April 2008
Die Entwicklung in Europa – Geht der Trend in Richtung gesetzliche Mindestlöhne ? gesetzliche Mindestlöhne ?
Thorsten Schulten
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI)
W SI
Inhalt
1.
Mindestlöhne in Europa – ein Überblick
Gesetzliche Mindestlöhne
Tarifvertragliche Mindestlohnsysteme
2. Perspektiven einer europäischen
Mindestlohnpolitik
Gesetzliche Mindestlöhne pro Stunde in Euro
9,08 8,65 8,44 8,19 8,15 7,39
3,80 3,59 3,55 3,12 Luxemburg
Irland Frankreich Niederlande Belgien Grossbritannien Griechenland Spanien Malta
Slowenien 3,12
2,55 1,87
1,81 1,61 1,57 1,46 1,34 1,34 0,80 0,65
0,00 1,00 2,00 3,00 4,00 5,00 6,00 7,00 8,00 9,00 10,00
Slowenien Portugal Tschechien Polen Estland Ungarn Slowakei Litauen Lettland Rumänien Bulgarien
Quelle: WSI Mindestlohndatenbank Stand: Januar 2008
W SI Festlegung und Anpassung des
gesetzlichen Mindestlohns
Konsultationsmodell:
Institutionalisierten Konsultationen von Arbeitgebern und Gewerkschaften
(UK, FR, ES, PT u.v.a.) Verhandlungsmodell:
Verhandlungsmodell:
Nationale Verhandlungen zwischen
Arbeitgebern und Gewerkschaften (IR, BE, GR, mehrere MOE-Länder)
Indexierungsmodell:
„Automatische“ Anpassung an die Preis- oder Lohnentwicklung (FR, BeNeLux, PL)
W SI EU-Staaten mit ausschließlich
tarifvertraglichen Mindestlöhnen
Länder Funktionales Äquivalent Tarif-
bindung Dänemark,
Finnland, Schweden
Gent-System, Hoher
gewerkschaftlicher Organisationsgrad
82%-92%
Italien Verfassung (Art. 36) „ Recht auf eine angemessene Entlohnung“, die von
~ 70%
Dr. Thorsten Schulten
angemessene Entlohnung“, die von den Arbeitsgerichten in der Regel als der gültige Tariflohn interpretiert wird.
Österreich Pflichtmitgliedschaft der Arbeitgeber in der Wirtschaftskammer (WKÖ)
Nationale Übereinkunft zwischen ÖGB und WKÖ über einen Mindestlohn von 1000 Euro pro Mona
> 95%
Zypern Gesetzliche Mindestlöhne für bestimmte Berufsgruppen
68%
Deutschland Kein funktionales Äquivalent 65%
W SI Das österreichische
Mindestlohnmodell
Grundsatzvereinbarung der Dachverbände ÖGB und Wirtschaftskammer (Juni 2007):
Kein gesetzlicher Mindestlohn!
In allen Branchenkollektiven soll bist
In allen Branchenkollektiven soll bist
spätestens 1.1.2009 ein Mindestlohn von 1.000 Euro pro Monat eingeführt werden
Tarifbindung von mehr als 95%
gestützt durch die Pflichtmitgliedschaft der Unternehmen in der
Wirtschaftskammer
W SI Perspektiven einer
Europäischen Mindestlohnpolitik
Denknetz, WSI und IRES (2005):
„Thesen für eine
Europäische Mindestlohnpolitik“
Dr. Thorsten Schulten
Mindestlohnpolitik im europäischen Diskurs:
Almunia, Juncker, Delors u.a.
Europäische Parteien (Sozialisten, Linke),
Europäischer Rat, Europäisches Parlament
Kontroverse Debatte im EGB
W SI
„Das Europäische Parlament …
ist davon überzeugt, dass auf einzelstaatlicher
Ebene, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern, ein angemessener existenzsichernder Mindestlohn eingeführt werden sollte (…);
räumt jedoch ein, dass der Mindestlohn in vielen Mitgliedstaaten sehr niedrig angesetzt ist oder unter Mitgliedstaaten sehr niedrig angesetzt ist oder unter dem Existenzminimum liegt;
weist im Übrigen das Argument zurück, wonach die Einführung eines Mindestlohns die Arbeitgeber
davon abhält, Stellen zu schaffen;
hält es für wesentlich, dass Arbeitnehmer einen Existenz sichernden Lohn erhalten.“
Entschließung vom 15 .11.2007 zu einer Bestandsaufnahme der sozialen Wirklichkeit
W SI Perspektiven einer
Europäischen Mindestlohnpolitik
Hintergrund der Debatte:
Allgemeine Legitimationskrise der europäischen Integration (insbesondere bei abhängig
Beschäftigten)
Dr. Thorsten Schulten
Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen, Zunahme von Niedriglöhnen und Working Poor
EU-Erweiterung und zunehmende Arbeitsmigration
Bestehende Mindestlohnsysteme reichen vielfach nicht aus, um existenzsichernde
Löhne zu garantieren
Gesetzliche Mindestlöhne in % des…
Median Durchschnitt Durchschnitt (Industrie und Dienstleistungen)
FR 62% 50%
BE 52% 40% 46%
HU 49% 36% 40%
IR 48% 39% 51%
SK 45% 34% 35%
UK 45% 37% 37%
NL 44% 39% 46%*
NL 44% 39% 46%*
PT 44% 34% 41%
LU 43% 43% 50%
PL 42% 35% 36%
CZ 40% 34% 40%
ES 37% 34% 41%
BG, MT, SI 50%-47%
LT, LV, EE, RO
36%-33%
Quelle: OECD OECD EUROSTAT
W SI Perspektiven einer
Europäischen Mindestlohnpolitik
Aktuelle Urteile des EuGH:
Viking, Laval und Rüffert
Priorität der Europäische Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit vor Arbeitnehmerschutz Beschneidung des Streikrechts, Verhinderung
Dr. Thorsten Schulten
Beschneidung des Streikrechts, Verhinderung sozialer Auflagen wie z.B. Tariftreueregelungen
Nach restriktiver Auslegung der EU- Entsenderichtlinie sind erlaubt:
Gesetzliche Mindestlöhne
Allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge
W SI Das Recht auf eine „faire“ oder
„angemessene“ Entlohnung
UNO Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948)
IAO Übereinkommen zu Mindestlöhnen Nr. 26 und 131 (1928/1970)
Europäische Sozialcharta des Europarates (1961)
EU-Charta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer (1989)
Nationale Verfassungen
(z.B. Belgien, Italien, Spanien usw.)
W SI Normative Grundlagen für die
Festlegung von Mindestlöhnen
EU-Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer (1989)
„Für jede Beschäftigung ist ein gerechtes Entgelt
Dr. Thorsten Schulten
„Für jede Beschäftigung ist ein gerechtes Entgelt zu zahlen. Zu diesem Zweck empfiehlt es sich,
dass entsprechend den Gegebenheiten eines jeden Landes den Arbeitnehmern ein gerechtes Arbeitsentgelt garantiert wird, das heißt ein Arbeitsentgelt, das ausreicht, um ihnen eine angemessenen Lebensstandard zu erlauben“
(Titel 5, Abs. 1)
W SI Drei Ansätze für eine
Europäische Mindestlohnpolitik
1. Ein einziger einheitlicher europäischer Mindestlohn für alle EU-Staaten
2. Gemeinsame Mindestlöhne für bestimmte Ländergruppen mit vergleichbarem
ökonomischen Entwicklungstand
3. Eine europäische Norm für relative Mindestlöhne in Bezug auf das jeweils nationale Lohngefüge, z.B. in Hinblick auf
Kaufkraftstandards
BIP pro Erwerbstätigen
Durchschnitts- oder Medianlöhne (z.B. 50%)
W SI Umsetzung einer
Europäischen Mindestlohnpolitik
Politik:
Einigung auf eine bestimmte europäische Mindestlohnorm
Umsetzung im Rahmen der
Offenen Methode der Koordinierung
Dr. Thorsten Schulten
Offenen Methode der Koordinierung
Gewerkschaften:
Einigung auf tarifvertragliche Mindestlohnnormen
Europäische Koordinierung der Tarifpolitik Autonomie der nationalen
Mindestlohnsysteme bleibt gewährt !!!