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Vom Mangel im Überfluss

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Academic year: 2022

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Im ersten Teil des vor Medienvertretern abgehaltenen gemischten Doppelsemi- nars nahm Prof. Biesalski in seinem mit dem nur scheinbaren Paradoxon

«Mangel im Überfluss» überschriebe- nen Vortrag zur bewusst provokant formulierten Frage Stellung, ob denn Vitamine gefährlich sind. Um es vor- wegzunehmen: Gefährlich wird es nur, wenn es tatsächlich zu einem Mangel kommt. Letzteres ist jedoch – daher nur scheinbar ein Widerspruch – selbst in einer auch hinsichtlich ihrer Ernährung im Überfluss lebenden Gesellschaft nicht unmöglich; das hauptsächlich deshalb, weil sie zum Teil immer noch Fehlinformationen aufsitzt oder von falschen Voraussetzungen ausgeht. Denn noch immer erwehrt sich ausserhalb medizinischer Fachkreise die Fehlan- nahme, wir brauchten keine Vitamine und im Zweifelsfall richteten sie nur Schaden an, hartnäckig einer Richtig- stellung.

Langlebige Falschinformation Ein möglicherweise dafür mit verant- wortlicher Kardinalfehler seitens der Wissenschaft sei es, so Biesalski, näm- lich gewesen, dass man bei der Betrach- tung der Wirkung und der Sicherheit von Vitaminen zwei verschiedene As- pekte nicht fein säuberlich auseinan- dergehalten habe: Wenn Vitamine, ein- zeln oder in Kombination, bei einer Er-

krankung eingesetzt würden, weil ent- weder ein entsprechendes Defizit oder ein Mehrbedarf bestehe oder ein Effekt auf den Erkrankungsverlauf oder die Lebensqualität erhofft werde, gehe es um Therapie. Die Dosis liege dann meist weit über den üblichen Nahrungsemp- fehlungen, und somit könnten auch Nebenwirkungen auftreten. Nehme je- mand jedoch Nahrungsergänzungsmit- tel, die normalerweise zu 100 Prozent den Empfehlungen entsprächen, zu sich, tue er dies, weil ihm seine Ernährung nicht ausreichend erscheine oder weil er sich davon ein Plus an Gesundheit verspreche. Das sei allerdings kein the- rapeutischer Ansatz, und zu einem sol- chen Zweck würden Nahrungsergän- zungsmittel auch weder empfohlen noch eingesetzt.

Diese beiden verschiedenen Gesichts- punkte hätten die Metaanalysen, die die Gefahren und Nebenwirkungen von Vitaminen herausstellten, jedoch miteinander verquickt, indem sowohl Studien eingeschlossen worden seien, in denen Patienten mit Vitaminen als adjuvante Therapie behandelt worden seien, als auch solche, in denen Vit - amine als reine Nahrungsergänzung fungiert hätten. Das Fazit Biesalskis lautete daher: In normaler Dosierung eingenommen könnten Vitamine nichts weiter leisten, als frühe, mithin ver - borgene, und späte, sichtbare Zeichen

eines Mangels zu beheben. In solchen Dosierungen, wie sie auch über die Nahrung aufgenommen würden, seien Vitamine als sicher zu betrachten.

Selbst bei einer durch die Ernährung bereits gedeckten Vitaminversorgung könne die zusätzliche Zufuhr keinen Schaden anrichten. Ob sie indes nutze, sei eine Frage des Einzelfalls ...

Klar sei zumindest zweierlei: Zum einen könne als gesichert gelten, dass ein gesunder, sich ausgewogen ernäh- render Mensch im Allgemeinen keine Vitaminsupplemente über Nahrungs - ergänzungen zu sich zu nehmen brauche.

Und eine ungesunde Ernährung sowie ein ebensolcher Lebensstil liessen sich auch durch Vitamine nicht kompensie- ren. Zum anderen seien jedoch welt- weit und auch in Europa insgesamt knapp 3 Milliarden Menschen, vor allem auch Schwangere und stillende Mütter, von einer Unterversorgung mit für den Organismus unentbehrlichen Vitami- nen (insbesondere Vitamin A und D, je nach Region auch andere), dem soge- nannten verborgenen Hunger, betrof- fen – zumindest hierzulande ohne Not.

Trotz allen Überflusses: Fehlinforma- tionen wie die oben beschriebenen Missverständnisse haben in den Köp- fen der Bevölkerung leider eine lange Halbwertszeit.

Die Kehrseite der Medaillen Wie nicht aus Unwissenheit, sondern sogar «sehenden Auges» eine Mangel- ernährung im grossen Stil billigend in Kauf genommen wird, darüber er- zählte im Anschluss Ariella Kaeslin, ehemalige Europameisterin und Vize- weltmeisterin im Pferdsprung sowie dreimalige Sportlerin des Jahres. Sicht- lich beeindruckt vom Vortrag und vom wissenschaftlichen Renommee ihres Vorredners gab sich die sympathische Exkunstturnerin auf für sie sicherlich

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ARS MEDICI 242015

Vom Mangel im Überfluss

Wie es auch hier und heute zur Unterversorgung mit Nährstoffen kommen kann

Für einen MediApéro zur Frage, warum Ernährungs- und Vitamindefizite bei durchaus vorhandenem Überangebot dennoch ein Thema sein können, hatte die Firma Bayer als Referenten Prof. Dr. Hans Konrad Biesalski, Direktor Institut Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft und Director Food Security Center, Universität Hohenheim, sowie die ehemalige Schweizer Profikunstturnerin Ariella Kaeslin nach Zürich eingeladen.

Ralf Behrens

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ungewohntem Terrain vorweg beschei- den, was den Stellenwert ihrer eigenen Ausführungen anbelangte. Dabei gab sie jedoch höchst interessante Einblicke in die Hinter- und Abgründe einer sich, angetrieben vom Streben nach sportli- chem Erfolg und Ruhm, immer rasan- ter drehenden, schillernden Scheinwelt.

Kaeslin berichtete vom täglichen, unter den Argusaugen von Trainern und Kampfrichtern, ja sogar des Kantinen- personals ausgetragenen Kampf gegen die Waage, den sie und ihre Kollegin- nen nur unter Inkaufnahme eines an- haltend eklatanten kalorischen Defizits offen zu gestalten vermochten. Schwie-

rigste Übung der grösstenteils noch jugendlichen Sportlerinnen war der Spagat, trotz Wachstums und Muskel- aufbaus das Gewicht möglichst tief zu halten und dem Körper dennoch die für Spitzenleistungen nötige Energie zur Verfügung zu stellen. Die Entwicklung eines ungewohnten, ja abnormen Ess- verhaltens, gekennzeichnet durch ein im vom Terminplan der Wettkämpfe vorgegebenen Rhythmus abwechseln- des Darben und Schlemmen, war vor- programmiert und liess sich im Falle Kaeslins nach Beendigung ihrer Kar- riere nur mithilfe ernährungsberateri- scher Unterstützung sowie abermaliger

Aufbietung sämtlicher Ressourcen in punkto Selbstdisziplin in ein gesundes Gleichgewicht bringen.

So tugendhaft es sein mag, persönliche Bedürfnisse einem sportlichen Ziel un- terzuordnen – wie die Gesundheit He- ranwachsender unter höchstoffizieller sportverbandlicher Billigung systema- tisch aufs Spiel gesetzt wird, ist die alles andere als glänzende Kehrseite nicht nur olympischer Medaillen. Ralf Behrens

Quelle: Bayer (Schweiz) AG, MediApéro «Der Mangel im Überfluss – sind Vitamine gefährlich?», Hotel Four Points by Sheraton, Sihlcity Zürich, 7. Oktober 2015.

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