KARISCH - EINE BESTANDSAUFNAHME
von Michael Meier, Erlangen
1. Es ist sinnvoll, im Rahmen der Sektion Keilschriftforschung vom Karischen zu sprechen, solange wir das Karische zum Lykischen und Lydischen stellen, und es wie die beiden letzteren als Fortsetzer der in Keilschrift geschriebenen heth.-luw.
Sprachgmppe des 2. Jh. v. betrachten'. Karische Orts- und Personennamen in
griech. Überiiefemng scheinen die erwähnte Verwandtschaft zu bestätigen. Neben den bekannten Suffixen auf -wanda und -assis sei an die wohl komponierten Perso¬
nennamen vom Typus Maussollos, Sarussollos erinnert*. Vom kar. Material selbst'
* Zur Forschung bis 1972 vgl. O. Masson, Que savons-nous de l'ecriture et de la langue des Cariens?, BSL 68 (1973) 187-213.
1 Vgl. u.a. V. Georgiev, Der indoeur. Charakter der kar. Sprache, Archiv Orientälni 28 (1960) 607-619; V. V. Sevoroskin, u.a. Karisch, Lydisch, Lykisch, Klio 50 (1968) 53-69; id.. Zu den „spätheth." Sprachen, XVII. Dt. Orientalistentag, Würzburg 1968, ZDMG Suppl. I, Wiesbaden 1969, 250-271; G. Neumann, Zum Stand der Hethitologie, Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Sonderheft 24, Innsbruck 1967, 28f. Kritisch A. Kammenhuber, MSS 24 (1968) 63f mit Anm. 10.
2 Eine schöne Zahl kar. Namen in griech. Überlieferung liefert eine größere Inschrift aus Hali¬
kamass (Dittenberger, Sylloge' Nr. 46), s. O. Masson, BzN 10 (1959) 160f.
3 Im folgenden Transkription des Karischen nach O. Masson, Kadmos 15 (1976) 82f. mit Tafel III. Abkürzungen und Lesungen einzelner Inschriften aus Ägypten nach O. Masson, Carian inscriptions from North-Saqqara and Bouhen (London, im Druck) speziell Indizes des gesamten ägypt. Materials. An dieser Stelle möchte ich O. Masson für seine herzhche Großzügigkeit danken, die er mir immer wieder gewährt, und die es mir ermöglicht, das Folgende vorzulegen.
Ägypten: AS = Abou-Simbel, Bouh. (Nr. 50-55 M, s. oben), Si. = Silsilis, Th. = Theben, Ab. = Abydos. Numerierung nach J. Friedrich, Kleinasiatische Sprachdenkmäler, Berlin
1932, 90-107 (= F) oder nach V. V. SevoroSkin, Issledovanija po de?ivrovke karijskich nadpisej (russ.), Moskau 1965, 308-312 (= S). Ob. = Objets pharaoniques ä inscription carienne (ed. O. Masson und J. Yoyotte, Kairo 1956) mit Nr. A-M. Lion - O. Masson, Un üon de bronce de provenance egyptienne avec inscription carienne, Kadmos 15 (1976) 82f.
Leningrad 4 S = V. V. Sevoro?kin, Aegyptisch-kar. Inschrift am Sockel einer Isisstatuette, RHA 22 (1964) 51 6S.Saqq. (Nr. 1-49 M, s. oben).
Kleinasien: Numerierung nach L. Deroy, Les inscriptions cariennes de Carie, Ant. Class. 24 (1955) 305-335 (= D). Zur griech.-kar. Bilingue aus Athen (= Ath.) s. O. Masson, BSL 68 (1973) 198-205 und Kadmos 16 (1977) 94 mit Tafel. Zu den Münzen 18 D O. Masson, Kadmos 13 (1974) 124-132. Zu den Graffiti aus lasos, Smyrna, Ephesos, Didyma und Sardes s. die Literatur bei O. Masson, BSL 68 (1973) 206-213 mit den Nr. 32, 37, 44, 47, 53c. Zu Sardes jetzt R. Gusmani, Neue epichorische Schriftzeugnisse aus Sardis, (1959- 1971), Cambridge/Massachussetts 1975, 81-111. Zu Kaunos O. Masson, Un nouveau fragment d'inscription carienne de Kaunos, Anadolu 17 (1973 |1975]) 123-131. Zu den neugefundenen Bronzegefäßen s. G. Pugliese Caratelli, Un' epigrafe in Persia, Festschrift G.
Tucci, Neapel 1974, 163-165; R. Gusmani, Zwei neue Gefäißinschriften in karischer Spra¬
che, Kadmos 17 (1978); H. Juckerund M. Meier-Briigger, Eine Bronzephiale mit karischer In¬
schrift, MH 1978.
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen
Karisch - eine Bestandsaufnahme 89
ist etwa der oft zitierte Personenname m-e-s-n-a-/m-s-n-a- (JOmal Ägypten) zu nen¬
nen. Er gehört wohl irgendwie zu luw. ma^am- „Gott"*. Ob er aber hn Kar. letzt¬
lich ein Lehnwort darstellt, ist eine andere Frage. Sehen wir von solchen ev. positi¬
ven Befunden ab, so ist die Interpretation der epichorischen Sprachdenkmäler alles andere als gesichert. Umstritten ist noch immer die Bestimmung mancher Lautwerte
des kar. Alphabetes. Etymologische Vermutungen zu einzelnen Wörtern oder Deu¬
tungen ganzer Inschriften können nur selten mit zwingender Argumentation ge¬
stützt werden*. Neben einem Überblick über das aktuelle kar. Inschriftenkorpus und über den Entziffemngsstand des kar. Alphabetes möchte ich das Interesse zukünfti¬
ger Forschung auf die (bis jetzt meist vernachlässigte) Beobachtung innerkar. Stmk¬
turen lenken.
2. Karische Inschriften kennen wir aus Ägypten und aus Kleinasien (mit einge¬
schlossen ein Zeugnis aus Athen)*. Chronologisch ergibt sich folgende Schichtung:
7.Jh.v. Graffiti aus lasos, Didyma, Smyrna, Ephesos, Sardes
ö.Jh.v. (a) AS, Bouh. (nubische Expedition unter Psammetichos II 591v.) (b) Si., Th., Ab.
(Datierung?) (c) Ob., Leningrad 4 §, Lion, Saqq. (Karomemphiten unter Amasis 550-500V.) (d) kar.-griech. BUingue Ath. (525-520v.) (e) Bronzegefäße aus Klein¬
asien (500v.?)
5./4.Jh.v. (a) Münzen (460-440v.) (b) Inschriften aus Karien und Kaunos (4.Jh.v.) Mehrere Inschriftenklassen sind vertreten, so private Urkunden wie Grabinschriften
und Graffiti, ebenso öffentliche Urkunden wie Münzen. Allen Inschriften gemein¬
sam ist wohl der hohe Anteil an Personennamen.
3. Bei der Bestimmung der Lautwerte der einzelnen kar. Buchstabenzeichen stehen im Groben drei Wege offen: Bilinguen (bis jetzt als eindeutig zu werten ist nur die lyk. Münze mit lyk. erbbim und kar. e-r; schwieriger zu beurteilen ist die
griech.-kar. Bilingue aus Athen; ohne erkennbare Entsprechungen sind die kar.-
ägypt. Texte), der.Vergleich mit den wohl verwandten kleinas. und griech. Buch¬
stabenalphabeten, ebenso innerkarische Beobachtungen (speziell Wechsel einzelner
Buchstaben innerhalb einer sonst gleichen Gmppe von Zeichen). Allgemein aner¬
kannt^ sind die Vokale a, e, o, u, e, 28 (~e), die Sonanten m, n, r, l, v, der Labial p, die Dentale r'', t, d, s, die Tektale (Gutturale) k,g,h. Umstritten sind u.a. 7 (z?), n {n und bl), 14 {i oder </?), 25 (X?), 29 und 30 (pl), 31 (Dental?), 38 (n oder el).
4. Die Beobachtung innerkarischer Stmkturen hat den Vorteil, daß sie von der
Richtigkeit einzelner Lautwerte unabhängig ist. Hinter dem Kar. steckt ein klar
beschreibbares System. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen.
4 A. Heubeck, Ineontri Linguistici 2 (1975) 77 (mit weiterer Literatur).
5 Vgl. die zahheichen Aufsätze von V. V. Sevorolkin, zuletzt MSS 36 (1977) 117-130. Zur ev. Lesung von 39-n-a-d-e Kaunos 16 D als xbade und zur Gleichsetzung mit dem aus lyk.
Quellen bekannten einheim. Namen Xbide von Kaunos M. Meier(-Brügger), MSS 34 (1976) 95-100; zur Interpretation von l-284-e-k-14 AS 78 § als Leleger O. Masson, Kadmos 16 (1977) 93 Anm. 45.
6 Zu Ägypten allgemein O. Masson, Les Cariens en Egypte, Bull. Societe Francaise Egyptolo¬
gie Nr. 56, 1959, 25-36; weiteres Anm. 3.
7 Tabellen bei O. Masson, Kadmos 15 (1976) 82f und V. V. Sevorolkin, MSS 36, 120.
90 Michael Meier
(a) Die Wörter m-a-v-27-28-s Karien 6 D, m-a-v-a-27-e-n Ob. Ka, m-a-v-8-27-e-n
Ob. Kb und m-a-v-m-27-e-n-25-h-e Saqq. 17 M bilden offensichtlich eine Wortfa¬
milie. Diese stellt eine der wenigen Übereinstunmungen des Wortschatzes zwischen
dem Kar. Ägyptens und dem mutterländischen Kar. dar. Die Abweichungen zwi¬
schen den einzelnen Wörtern treten am Wortende auf und haben Entsprechungen, so ■v-27-/-v-a-27- im oben genannten m-s-n-a-/m-e-s-n-a-;-v-27-/-v-m-27- in th-a-v-s-e- 25 Ob. H und th-a-v-m-s-e-25 Saqq. 28 M; zu -27-28^s und -27-e-n (mit 28~e')ver¬
gleichbar (Dekhnation?) m-g-u-l-a Ob. b und m-g-u-l-e-25 Ab. 4 F.
(b) Die Inschriften u-30-s-n-u 'd-30-o-v-25 n-v-s-e-25 Ob. B und 32-29-s-n-u-25 '
32-m-27 ' d-30-o-v-25-h-38 th-a-v-m-s-e-25 Saqq. 28 M gehören dem Aufbau nach
eng zusammen. Vergleichen wir die beiden ersten Wörter, so wechseln u mit 32 und 29 mit 30. Ersteres wiederholt sich in Saqq. 28 M mit 32-m-27, wenn wir das eben¬
falls Zweitstellung aufweisende u-m-27 (5mal Saqq.) hinzuziehen. Der Einschub von
32-m-27 in Saqq. 28 M bedingt die Anfügung von -25 im ersten Wort. Die Wörter
n-v-s-e-25 und th-a-v-m-s-e-25 zeigen auch sonst Endstellung (ersteres in Saqq. 18 M, letzteres mit der Variante th-a-v-s-e-25 in Ob. H).
NEOLITHISCHER UND CHALKOLITHISCHER HANDEL
IM VORDEREN ORIENT
von James Mellaart, London
Die Anfänge von Handel und Warenaustausch im Vorderen Orient reichen wahr¬
scheinlich weit in das Obere Paläolithikum zurück, aber erst in den epipaläolithi-
schen Kulturen nach 20000 v.Chr. werden Handelsgüter leichter erkermbar. So ge¬
langte z.B. zentralanatolischer Obsidian in die Höhlensiedlungen an der türkischen
Südküste in der Gegend von Antalya, und Obsidian vom Van-See querte den Taums,
um in der Sänidär-Höhle im äußersten Norden des Iraq zu erscheinen, wobei beide
Male Entfernungen von mehreren hundert Kilometern zu überwinden waren. Zu
Schmuck verarbeitete Mittelmeermuscheln begegnen in binnetüändischen Fundplät¬
zen der Kebaren-Kultur Palästinas, und ähnliche Muscheln der Gattung Dentalium
wurden m der Zarzi-Periode bis in das Hochland von Luristan nach Pa Sangar ge¬
handelt. Bis zum Ende des Pleistozäns vervielfachten sich die Handelsbeziehungen.
In Palästina benutzten um 10 000-8 300 v.Chr. die Natufier tausende von Dentalia,
und zwar sowohl Arten, die un Mittelmeer, als auch solche, die nur hn Roten Meer
vorkommen, und im Negev handelte man Straußeneier. Die Natufier waren halb¬
seßhaft und sammelten wüd wachsende Getreidearten, doch als dann die Bevölke-
mngszahlen infolge einer weniger unrentablen Ökonomie zunahm, wobei die Jagd
durch Viehhaltung und Sammeln von Getreide und Hiüsenfrüchten ergänzt wurde,
da folgte ein ungestörter Übergang zu einer frühen Landwirtschaft, z.B. inMuraibit
am Euphrat ostwärts Aleppo, wo Weizen und Gerste, einst gesammelt, jetzt mit
Erfolg angebaut wurden. Eine Bevölkemngsexplosion folgte, und neue landwirt¬
schaftliche Niederlassungen verbreiteten sich überall. Andere Gemeinwesen zogen
daraus Nutzen, so daß eine zunehmende Nachfrage nach exotischen Materialien
entstand, von denen die best bekannten anatolischer Obsidian, verschiedene
Schmucksteine und an besonders günstigen Plätzen wie etwa Sänidär auch schon
einheimisches Kupfer waren. Vom Anfang des Neolithikums an, in der 2. Hälfte des
9. Jahrtausends, führen Plätze wie Jericho, Nahal Oren in Palästina oder Muraibit
im nördlichen Syrien in wenn auch nur kleinen Mengen anatolischen Obsidian ein,
wie es scheint, hauptsächlich zentralanatolischen aus der Umgebung von fifüüc.
Mit Ausnahme des Dolches von Muraibit erscheint der Obsidian im Ostmittelmeer¬
raum ünmer in Form von Klingen, was an einen bestünmten, vielleicht rituellen
Zweck denken läßt, denn Obsidian ergibt hervorragende Rasierklingen! Was gegen
den Obsidian ausgetauscht wurde, wissen wir nicht recht, aber ün 8. Jh. wurde in
Jericho voll domestizierter Emmer und Gerste angebaut, und Saatgut war sicherlich
sehr begehrt bei denen, die es noch nicht besaßen. Man kann natürlich auch an an¬
dere Produkte denken wie getrocknetes oder gepökeltes Fleisch, Felle, Feuerstein
und selbstverständlich Sklaven, das allerwertvoUste Handelsgut. Man soUte auch
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen