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Preußen — Literatur zur Geschichte des »aufgehobenen« Staates im »Preußenjahr« und in dessen Umfeld

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Berichte Günter Wollstein

Preußen — Literatur zur Geschichte des »aufgehobenen« Staates im »Preußenjahr« und in dessen Umfeld

Die am 15. August 1981 im restaurierten Martin-Gropius-Bau des Berliner Kunstge- werbemuseums eröffnete Ausstellung »Preußen — Versuch einer Bilanz«1 sollte einem Plan des früheren Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Dietrich Stobbe, aus dem Jahre 1977 zufolge eine vergleichbar beachtliche Resonanz erwecken wie die seiner-

zeitige Staufer-Ausstellung in Stuttgart. Schon während der Vorbereitungsphase, vor allem aber im Laufe des Jahres 1981, zeichnete sich jedoch ab, daß das Projekt auf ein ganz ungewöhnlich großes Interesse stieß. Publizistische, wissenschaftliche und kul- turelle Veranstaltungen zum Thema Preußen häuften sich in einer Weise, daß ohne Übertreibung von einem »Preußenjahr« gesprochen werden kann.

In zahlreichen Tagungen und Diskussionen stellte sich heraus, daß der nach dem Zweiten Weltkrieg durch Kontrollratsbeschluß »aufgehobene« Staat, dessen Ge- schichte in den folgenden Jahrzehnten scheinbar nicht mehr relevant war, in der Erin- nerung fortgelebt hat, wobei fast jeder Betrachter ein anderes Bild von diesem »zer- brochenen Haus«2 bewahrt hatte. In Fortsetzung von Tendenzen, die schon seit dem

18. Jahrhundert zu beobachten sind, reichte die Bandbreite der Vorstellungen von blankem H a ß gegen einen, von Militarismus bestimmten, oft auch als aggressiv einge- stuften Obrigkeitsstaat bis hin zur ergebenen Verehrung, für die einst Fontane mit dem Hinweis auf preußische Tugenden wie Einfachheit, Festigkeit, Haushalten und Treue die Stichworte geliefert hatte.

Solcherlei »rein« historisches Interesse wurde dadurch erheblich gesteigert, daß mit dem zur Diskussion gestellten Thema Preußen die aufgestaute Frage nach grundle- genden Traditionen in Deutschland angesprochen war, und daß mit diesem Problem des historischen Selbstverständnisses die Problematik nationaler Ziele in Deutschland verbunden ist. Die historische Reminiszenz mußte zum Politikum werden. Hierbei er- gaben sich drei Schwerpunkte, von denen der erste das internationale Mächtegefüge betraf, während die beiden anderen innenpolitisch akzentuiert waren. Zunächst war die »deutsche Frage« angesprochen. Preußen stellte für Deutschland und das Mächte- system vor der staatlichen Vereinigung Deutschlands zu einer Großmacht den einzi- gen Staat mittlerer Größe dar, an dessen Rolle die mittleren Mächte Bundesrepublik Deutschland und D D R bei einer staatlichen Traditionsbildung anknüpfen könnten3. Sollte, so lauteten vielfältige Überlegungen des Jahres 1981, das Wagnis oder Experi- ment einer solchen Traditionspflege unternommen werden? Konzentrierte man sich auf innenpolitische Überlegungen, dann war vielfach eine Ausrichtung auf die obrig- keitsstaatliche Komponente des preußischen Staates kennzeichnend. Vor allem Wis- senschaftler und Publizisten, die in der heutigen Gesellschaft den Gleichheitsgrund- satz nicht hinreichend realisiert sehen, formulierten daher Warnungen vor Preußen.

Würdigte man dagegen die preußischen Tugenden, so rückte als Gegenpol das Bild von einer Gefahr bringenden und damit abzulehnenden modernen Anspruchsgesell- schaft ins Blickfeld.

Die Folge des überaus großen, historisch wie politisch bedingten Interesses war eine gleichfalls überraschende Fülle von Publikationen über Preußen und dessen Ge- schichte. Um all diesen Werken in etwa gerecht werden zu können, muß sich der Re- zensent im Folgenden auf deren Würdigung beschränken und seine vielfältigen Beob- achtungen zum Preußenjahr ganz, seine Vorstellungen von einer adäquaten histori- 91 M G M 1/83 sehen Behandlung Preußens weitgehend zurückstellen. In vier großen Gruppen — hi-

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storische Überblicke, Biographien, Sachthemen und Die D D R und Preußen — soll folglich das breite Spektrum der Veröffentlichungen ausgeleuchtet und sollen vor al- lem die Leistungen von Wissenschaft und Publizistik mit bleibendem Wert gewürdigt werden. Hierbei ergab sich zwangsläufig, daß eine ganze Reihe von Werken, die in den letzten Jahren unabhängig vom »Preußenboom« entstanden, mit zu charakterisie- ren waren, da sie nicht selten besondere Aussagekraft besitzen.

Gesamtdarstellungen und Überblicke

Die Reihe der Gesamtdarstellungen zur Geschichte Preußens begann mit der auf- sehenerregenden Arbeit von Sebastian Haffner4, bei deren Erscheinen 1978 vielfach vermutet wurde, daß hier bereits für absehbare Zeit die aussagekräftigste Publikation zum Hohenzollernstaat vorliegen könnte. Zumindest die größte Breitenwirkung kann in der Tat diesem Werk des renommierten Publizisten und Historikers zugesprochen werden. Der Bildteil beeindruckt nach der Preußenausstellung nicht Weniger als vor dieser und besitzt bleibenden Wert. Der Text setzt durch seine differenzierte Klarheit gleichfalls Maßstäbe, die kaum zu übertreffen sind: die konstanten Bedingtheiten wie die Bewegung der preußischen Geschichte werden eingefangen; die einzelnen Kapitel mit ihren vielzitierten Überschriften vom »langen Werden« bis zum »langen Sterben«

fördern Orientierung und Übersicht; die zentrale These von der »Tragödie der reinen Staatsvernunft«, die Preußen insbesondere in seiner »klassischen Periode« im 18.

Jahrhundert verkörpert habe, besticht. Problematisch erscheint die Konzeption nur insofern, als Haffner dadurch, daß für ihn Preußen mit der Reichsgründung 1870/71 unterging, die Frage nach dem Fortleben preußischer Traditionen in der Zeit des Wil- helminismus und darüber hinaus ausklammert5.

Die bei weitem wertvollste, 1134 einsetzende und 1947 endende Gesamtdarstellung der Geschichte Preußens legte der Berliner Historiker Gerd Heinrich γ or6. Er knüpft in mancherlei Hinsicht an das immer noch grundlegende Werk Otto Hintzes 7 an und betont vor allem die Rolle der Hohenzollern als Entscheidungsträger und die räumli- chen Voraussetzungen für die Entwicklung des Staates, ohne jedoch andere struktur- geschichtliche Fragen ganz auszuklammern. Bis ins 19. Jahrhundert hinein sieht er die Landesherren als Repräsentanten eines Staates, der mit besonderen außenpolitischen Aufgaben und Bedrohungen konfrontiert war. Zumindest die Herrscher vor Friedrich Wilhelm IV. hätten sich insgesamt als dieser Aufgabe erstaunlich gut gewachsen ge- zeigt und im Innern ein der außenpolitisch notwendigen Leistungsfähigkeit ad- äquates, im Vergleich zu anderen Staaten relativ funktionelles, tolerantes und für Neuerungen hinreichend offenes System geschaffen. Nachdem sich schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts Schwächen Preußens angesichts der Herausforderungen eines neuen, 1789 einsetzenden Zeitalters bemerkbar gemacht hätten, habe endgültig das »Hineinretten« des Hohenzollernstaates in das von Bismarck geprägte Deutsche Reich seine Regenerationsfähigkeit grundlegend vermindert. Der Autor läßt keinen Zweifel daran, wie sehr er diesen Sachverhalt bedauert, wenn er mit Blick auf aktuelle Gefährdungen und Mißstände in Teilen Mitteleuropas durch das Ende des preußi- schen Staates von einer Notwendigkeit spricht, Preußen im 20. Jahrhundert zu »erfin- den«. Der erhebliche Wert des Buches, aber auch dessen Grenzen, werden deutlich, wenn man prägnante und überlegte Einzelbetrachtungen wie die über Preußens »Mi- rakel« im Siebenjährigen Krieg liest8, eine durchgängige Problematisierung dieses Komplexes aber vermißt.

Einige Anmerkungen zu Heinrichs Sicht der Militärverfassung Preußens erscheinen mit Blick auf noch zu nennende Einzelstudien sinnvoll, obwohl der Militärpolitik keine zentrale Bedeutung beigemessen wird. Der Autor geht von »Rüstungstabellen«

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der europäischen Mächte aus, nach denen die militärischen Anstrengungen des H o - henzollernstaates durchaus denen anderer Staaten entsprachen. Er verweist zu Recht auf den Faktor, daß bei der Rekrutierung und bei den Vorschriften über den effekti- ven jährlichen Heeresdienst durchaus auch das Merkmal einer Schonung des bäuerli- chen Bevölkerungsteils zu beobachten war. Und schließlich werden sprechende Ver- gleiche zu Rüstungsanstrengungen der Staaten der Gegenwart gezogen. Heinrich kommt zu dem beachtenswerten, aber sicher nicht alle Aspekte erfassenden Fazit, daß die Theorie von einer sozialen Militarisierung Preußens eine »bis heute fortgeschrie- bene Legende« darstelle9.

Im allzu flotten Zugriff versuchte demgegenüber Volker Hentschel die Marktlücke ei- ner fehlenden, allseits befriedigenden Gesamtdarstellung der preußischen Geschichte zu füllen10. Es überzeugen eigentlich nur Passagen zur Wirtschaftsgeschichte des 19.

Jahrhunderts. Im übrigen scheiterte das Buch an seinem marktschreierischen Stil, der eher auf eine rasche Plakatierung als eine fundierte Deutung von Personen und Sach- verhalten in ihrem historischen Kontext abzielt. Vor allem die Urteile über die Preu- ßen formenden Persönlichkeiten erscheinen derart drastisch und bisweilen rüde, daß sie anderswo durchaus anzutreffende Differenzierungen erdrücken. Ein Vergleich mit anderen grundlegenden Werken des Autors zeigt, daß dieser »Schnellschuß«

sicher besser unterblieben wäre11.

Der lockere Stil und das leichtfertige Urteilen verbinden die Darstellung Hentschels mit dem Preußenbuch des Publizisten Engelmann. Bei ihm hat das Werten aber Sy- stem, da er gezielt einen Feldzug führt gegen reale und vermeintliche Repräsentanten der Ausbeutung und Unterdrückung. Daß Preußen dabei nur ein Medium darstellt, das der Autor nur zum Teil beherrscht, ergibt sich schon aus dem völlig verfehlten Untertitel seines Buches, spiegelt sich aber auch in dem Nebeneinander von gelunge- nen Passagen, ausgeblendeten Fragestellungen und nicht erfaßten Zusammenhängen wider12.

Bereits 1978 erschien die englische Originalausgabe der mit dem Deutschen Orden einsetzenden und bis 1871 führenden Überblicksdarstellung des in England lehrenden Hannsjoachim W. Koch13. In nüchterner Form wird insgesamt eine auf die Hohenzol- lern ausgerichtete, gediegene Ereignisgeschichte geliefert, obwohl anzumerken ist, daß Einzelfehler wie die Behauptung, Schleswig-Holstein habe zum Deutschen Bund gehört, bei einem Historiker befremden. Die Grunderklärung für das Besondere am Preußenstaat, der eine künstliche Schöpfung der Dynastie und ihrer Diener gewesen sei und als betont nichtdemokratisches Gebilde nur so lange hätte Bestand haben kön- nen, wie seine Bürger den vor allem auf rigorosem Dienen beruhenden Staatsbegriff anerkannt hätten, verdient durchaus beachtet zu werden. Sie zeigt aber auch die Grenzen des Problembewußtseins des Autors, da das beschriebene Zeitalter durchweg und keineswegs nur in Preußen nichtdemokratisch war und der Bezugspunkt mo- derne Demokratie kaum verwendet werden kann.

Bis zu einem gewissen Grad zu rechtfertigen ist eine dritte Auflage von E.J. Feucht- wangen preußischer Geschichte, die 1688 einsetzt, flüssig geschrieben ist, einseitige Urteile meidet und verschiedene Ebenen des politischen und gesellschaftlichen Lebens miteinander verbindet14. Der britische Historiker legt Wert auf die Feststellung, daß Preußen trotz seiner problematischen Besonderheiten und Glanzzeiten letztlich einen Staat wie andere auch dargestellt habe. Er sieht wie Heinrich den Hohenzollernstaat den Herausforderungen des 19. Jahrhunderts nicht gewachsen, setzt wie Haffner sei- nen Untergang 1870 an, betont jedoch, daß nun das alte Preußen als politische Le- gende in Deutschland und bei anderen Mächten erst seine größte Wirksamkeit zu entfalten begonnen habe.

Ein Werk, das plakativen Vereinfachungen und Vorurteilen über Preußen durch eine

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essayistische Behandlung von Teilaspekten preußischer Geschichte entgegenwirken will, stellt die Studie des im Bibliotheksdienst stehenden Johannes Rogalla v. Bieber- stein dar15. Seine Schlüsselaussagen betreffen das zunächst sozial, ja selbst ethnisch vielfältig gegliederte Junkertum, dessen Stellung zur Zeit der Selbständigkeit Preu- ßens für den Staat einen konstitutiven Faktor abgab. Für die Kaiserzeit ergänzt Bie- berstein seine Ausführungen über aggressive Verhaltensmuster durch beachtenswerte Hinweise auf deren defensive Motivationen. Sicher zu Recht erfolgt auch die Behaup- tung, daß in der Zeit der Weimarer Republik Differenzierungen in den politischen Grundanschauungen der Junker vorherrschten und daß von einem durchgängig über- ragenden politischen Einfluß dieser Gruppe keine Rede mehr sein konnte.

Von der Anlage her mit dem Werk Biebersteins vergleichbar, aber doch erheblich vielschichtiger, ist die »Spurensicherung« von Werner Knopps. Nach einer Skizze von Preußens »kometenhaftem« Weg liefert der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz als originellen Beitrag eine Studie über das distanzierte, dann zumeist doch positive Bild von Preußen, das Bürger anderer deutscher Staaten im 19., aber auch 20. Jahrhundert besaßen. Feuchtwangers Thesen glättend spricht er schließlich von dem größten Negativposten des Hohenzollernstaates, der darin zu sehen sei, daß ihm die letzte und entscheidend wichtige Wandlung, die hin zur parlamentarischen Monarchie, nicht gelungen sei.

Einen Zugang besonderer Art zum Preußenkomplex bietet der Göttinger Historiker Rudolf v. Thadden, der sieben Leitfragen stellt und diese in Essays von bestechender Qualität beantwortet17. Die Beschäftigung mit dem Problem, für welche Zeitspanne Preußen bestand, führt die immer wieder diskutierten Termine nicht nur mit ihren hi- storischen Fundierungen vor, sie zeigt auch die unterschiedlichen Denkansätze derje- nigen, die sie wählten und umreißt die politischen Implikationen. Die Auseinanderset- zung mit Preußens Kirche verdient am stärksten herausgehoben zu werden. Auf knappem Raum wird in einprägsamer und nie ungerechtfertigt vergröbernder Form der Bogen von Besonderheiten bei der Ausprägung des landesherrlichen Kirchenregi- ments bis hin zum Versuch eines kirchlichen Neuansatzes durch die Bekennende Kir- che gespannt, dessen Notwendigkeit sich aus der grundlegenden Krise der »alten Amtskirche« ergab. Eingebettet in diesen Rahmen sind die Kennzeichnung von Preu- ßens außerordentlicher und dennoch nicht unbegrenzter Toleranz sowie Hinweise auf die wiederholten und zupackenden Reformbestrebungen auf kirchlichem Sektor, die in Analogie zum politischen Feld stets steckenblieben, gleichwohl aber nicht völlig scheiterten18.

Die übrigen Fragen »Wo war Preußen?«, »Wer war Preußen?«, »Was war Preußen?«,

»Wie deutsch war Preußen?« und »Was gilt Preußen heute?« und ihre Antworten be- stätigen den Eindruck, daß hier ein Hilfsmittel von bleibendem Nutzen für eine erste und dennoch fundierte Orientierung in einem nicht gerade leicht verständlichen Pro- blembereich vorgelegt wurde. Besonders zu beachten sind Thaddens Bemerkungen im Zusammenhang mit den Stein-Hardenbergschen Reformen, daß Preußen wiederholt in Zeiten materieller Not eine insgesamt erstaunlich erfolgreiche Modernisierungspo- litik betrieben habe. In diesem Zusammenhang sieht der Autor Möglichkeiten, in der Gegenwart an preußische Traditionen anzuknüpfen19.

Als stark von der Sorge um die innere Entwicklung der Bundesrepublik geprägt zei- gen sich die Arbeiten von Krockow und Greiffenhagen20. Der Publizist und Polito- loge Christian Graf v. Krockow zieht die preußische Geschichte heran, um sich in durchaus anregender und bedenkenswerter Form mit den Stichworten eines Mythos vom Staat, einer Herrschaft der Beamten, des Verhältnisses des Staates zu den Intel- lektuellen und ähnlichem zu befassen. Nicht bestimmte Klischees der preußischen Ge- schichte zur Verfestigung obrigkeitsstaatlicher Reststrukturen sollten heute eine Rolle

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spielen, vielmehr sollten Tendenzen des Reformzeitalters eine weitere Modernisie- rung einleiten.

Drastisch kämpft demgegenüber der Stuttgarter Politologe Martin Greiffenhagen um eine konsequente Verwirklichung des Gleichheitsprinzips, in seinen Worten: um ein partizipatives Gemeinwesen.

In der Reihe der Neudrucke konnten Arbeiten des 1980 verstorbenen Historikers Hans-Joachim Schoeps nicht fehlen, dessen Bemühen um eine positive Würdigung Preußens in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit etwas ganz Ungewöhnliches darstellte. So wurden seine beiden Darstellungen »Preußen. Geschichte eines Staates«

und »Preußen. Bilder und Zeugnisse« aus den Jahren 1966/67 zu einem Band ver- eint21. Ihm lag vor allem die Zeit von 1701 bis 1871 am Herzen, während er für den Zeitraum nach der Reichsgründung nicht müde wurde zu betonen, daß hier die preu- ßischen Tugenden pervertierten und Preußens Doppelgesichtigkeit in früher nicht voraussehbarem Umfang zutage trat. Im 18. Jahrhundert sieht Schoeps den Anlaß, in vollen Zügen — »trotz und gerade wegen seiner stark obrigkeitlich-militärisch-büro- kratischen Traditionen« — Preußens Überwindung des Absolutismus zu feiern, in der Reformzeit findet er ungeachtet gewisser Abstriche Marksteine auf dem Weg zur Modernität gesetzt, und mit Blick auf die Mitte des 19. Jahrhunderts bekundet er — gängigen Vorstellungen am stärksten entgegentretend — ein tiefes Verständnis für die Ideenwelt und Politik der Hochkonservativen. Beeindruckend, wenn auch keine Kon- kurrenz zu den Editionen von Haffner und Dollinger darstellend, sind die aussage- kräftigen Illustrationen.

Aufsatzsammlungen und Anthologien

Im Vergleich zu den bisher vorgestellten Monographien, die mit Ausnahme der Werke von Haffner und Heinrich Neuauflagen darstellten bzw. ein nur begrenztes Interesse erweckten, erscheinen insgesamt die nun vorzustellenden Sammelbände wis- senschaftlich ergiebiger, allerdings auch einseitiger dem gesellschaftlichen Bereich ge- widmet. Ganz auf die inneren Verhältnisse Preußens ausgerichtet ist der von den Bie- lefelder Historikern Hans-Jürgen Puhle und Hans-Ulrich Wehler herausgegebene Band22. Als sein Motto kann die These von Carl Hinrichs gelten, wonach das Empor- kommen des preußischen Staates mit einer Unsumme von Opfern an menschlichem Glück erkauft worden sei. In diesem Sinne gibt Puhle den Einzelbeiträgen in einer überspitzt-einseitigen Einleitung einen unhaltbaren Stellenwert. So zählt er zu den vornehmlich negativen preußischen Besonderheiten ein »Leben in permanenter Kriegsanalogie« (S. 18), er spricht von einer Programmierung des Staates zum Unter- gang (S. 15), und sein pauschalierender Hinweis auf eine »Halbherzigkeit« derjenigen Widerstandskämpfer im Dritten Reich, die altpreußischen Traditionen entstammten (S. 33), kann als Diffamierung ausgelegt werden.

Dessenungeachtet sind Studien des Sammelbandes wie Klaus J. Bades Forschung über Ausländerbeschäftigung im preußischen Osten, Hans Boldts Diskussion der Verfas- sung von 1850 oder Hans-Peter Ulimanns Ausführungen über industrielle Interessen- organisationen von hohem Niveau und frei von Einseitigkeiten. Manfred Messer- schmidts Abhandlung über Preußens Militär in seinem gesellschaftlichen Umfeld stellt einen souveränen Uberblick dar. Er kennzeichnet das sich schon im 17. Jahrhundert abzeichnende preußische Militärsystem als Teil einer »am Militär ausgerichteten, neuen berufsständischen Gesellschaftsordnung . . ., in welcher der Adel seine füh- rende Rolle, nun als absolutistischer Dienst- und Militäradel, fortsetzen konnte«

(S. 46). Dieses Militärsystem sieht Messerschmidt in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts beim Paktieren von Militärs und Nationalsozialisten in einer »sich redu- zierenden Herrschaftsteilhabe« (S. 88) enden.

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Einen vergleichbaren, auf die Innenpolitik hin orientierten Ansatz hat auch der Esse- ner Historiker Dirk Blasius für seine Edition gewählt23. In seiner profunden Einlei- tung gibt er einen Überblick über die Preußenforschung seit dem Ende des Ersten Weltkrieges, wobei insbesondere die der letzten zwei Jahrzehnte hervorgehoben wird. Die Abhandlungen setzen dann mit einer ersten Gruppe von Beiträgen zum Komplex Preußen und Deutschland ein, beginnend wiederum mit der noch von »vor- sichtigem Optimismus« geprägten Erwartung Friedrich Meineckes, daß auch nach 1918 die Bismarcksche Koppelung preußischer und deutscher Verfassungselemente die Basis für eine erstrebenswerte Zukunft abgeben werde. Nach Kapiteln über die Formation von Gesellschaft und Staat im Vormärz und die Sozialgeschichte im reak- tionären Preußen endet der Sammelband mit dem Abschnitt über das demokratische Preußen in der Weimarer Zeit. Er enthält mit der Untersuchung Hagen Schulzes, die sich mit Preußen als Stabilisierungsfaktor der deutschen Politik befaßt und die hoff- nungsvollen, nicht zuletzt am Faktor Zeit gescheiterten Ansätze für ein neuartiges de- mokratisches Ordnungsmodell durch Preußen für Deutschland aufzeigt, den heraus- ragenden Beitrag.

Der Aufsatz von Schulze läßt im Gegensatz zu den meisten anderen Beiträgen Preu- ßen nicht in einem düsteren Bild erscheinen.

Bewußt darauf ausgerichtet, Historiker mit ganz unterschiedlichen Positionen zu Wort kommen zu lassen, ist der Berichtband von einem Symposion im Jahre 1978 in Berlin24. In ihm sieht der Herausgeber Otto Büsch, der zwischen dem Preußenvereh- rer Walther Hubatsch und dem den Hohenzollernstaat scharf angreifenden Wehler eine Mittelposition einnimmt, die Notwendigkeit, tendenziell sämtliche Aspekte der preußischen Geschichte in eine Bestandsaufnahme einzubeziehen und hierbei das Hauptaugenmerk auf deren spezifisches Mischungsverhältnis zu richten. Unter die- sem »preußischen Mischungsverhältnis« versteht er jenes »seltsame, nicht zufällige oder willkürliche, sondern strukturelle und erklärbare Miteinander von Staatsfröm- migkeit und gesellschaftlichem Reformwillen, feinster Kulturemanation und offener oder heimlicher Verehrung militärischer Gewalt, ökonomischer und technologischer Fortschrittlichkeit und gesellschaftspolitischer Schwerfälligkeit bis zur Unbeweglich- keit, überwiegend sozialkonservativer Haltung >Revolution von oben< und revolutio- närem Attentismus, etc.« (S. 5). Mit einer solchen Betrachtungsweise zeigt der Berli- ner Historiker einen Weg, wie sich widersprechende Urteile miteinander verwoben werden können.

Die Einzelreferate sind in die Abschnitte »Das alte Preußen«, »Preußischer Gestalt- wandel im 19. Jahrhundert« und »Preußen zwischen Demokratie und Diktatur« un- terteilt, wobei das Gewicht der jeweiligen Beiträge stark differiert. Am wertvollsten erscheinen bereits die ersten Referate von Francis L. Carsten, der in Anknüpfung an von ihm früher entwickelte Forschungsergebnisse25 geradezu eine Rückbesinnung auf die Aussagen früherer profunder Preußenkenner wie Gustav Schmoller, Otte Hintze und Max Lehmann fordert, und Peter Baumgart, der in seinen Ausführungen über Epochen der preußischen Monarchie im 18. Jahrhundert die zuvor genannte These von einem »Janusgesicht« Preußens nachhaltig bestätigt. Vom zweiten Teil verdient hervorgehoben zu werden, daß Karl Erich Born in dem einzigen der Macht- und Mächtepolitik gewidmeten Kapitel diese sonst allzuoft ganz ausgesparte Grundpro- blematik zumindest ins Blickfeld rückt. Im dritten Bereich stellt Horst Möllers Refe- rat über »Das demokratische Preußen« eine willkommene Ergänzung zu den For- schungen Schulzes dar26.

Als Ergebnis des Berliner Symposions ist eine dreibändige Preußenanthologie der Hi- storischen Kommission zu Berlin anzusehen27. Die Herausgeber Otto Büsch und

Wolfgang Neugebauer erstellten eine Sammlung von sechzig Beiträgen zur Preußen-

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forschung zumeist aus den letzten zwei Jahrzehnten, zum Teil aber auch wesentlich früher verfaßt, die zu den wertvollsten hier vorzustellenden Publikationen zu zählen ist. D e r Zeitraum von 1648 bis 1947 ist erneut in einer mehrdimensionalen Betrach- tungsweise behandelt. Zudem ist es gelungen, ein viel ausgeglicheneres Niveau als in dem Symposionband zu erreichen. W e r sich von der Vielfältigkeit der Geschichte Preußens überzeugen lassen will, wer kompetente Antworten auf Einzelfragen sucht, und wer vor allem über gesellschaftspolitische Zusammenhänge forschen möchte, tut gut daran, zunächst zu diesen Bänden zu greifen.

Die Anthologie setzt wiederum mit einem Uberblick über »Preußen als historisches Problem« ein, wobei den Ausführungen von Büsch gleichgewichtige von H a n s Prutz (1900), Ulrich Scheuner (1965) und Michael Stürmer (1971) an die Seite treten. Ein zweiter Teil mit dem Titel »Bevölkerung und Sozialsystem« befaßt sich mit »demo- graphischen und soziologischen Problemen in einzelnen Phasen und Regionen« und spiegelt vor allem das seit Ende der fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts vordrin- gende Interesse der Forschung an sozialpolitischen Fragestellungen wider. H e r v o r z u - heben in dieser Gruppe von Abhandlungen, die bei der Junkerfrage einsetzt und bei der Industrialisierung des rheinisch-westfälischen Industriegebiets endet, ist ein Origi- nalbeitrag von Stefi Jersch-Wenzel über Minderheiten in Preußen.

Vom folgenden Abschnitt über »Staat, Verwaltung und Rechtssystem« verdient be- tont zu werden, daß in erheblichem M a ß e interdisziplinäre Forschungsansätze nutz- bringend angewendet werden und ältere Studien von O t t o H i n t z e und Fritz H ä r t u n g sich vortrefflich mit neueren von Peter Baumgart, Eberhard Schmidt und H a n s Ro- senberg ergänzen. Der nächste Teil greift das Problem des preußischen Militärsy- stems in seiner gesellschaftspolitischen Funktion auf. Studien über das H e e r als einen staatlichen Faktor, über dessen sich vor allem in der Tatsache eines seltenen Kriegs- einsatzes widerspiegelnden Erfolge und über Neuansätze in der Militärpolitik seit der zweiten H ä l f t e des 19. Jahrhunderts fehlen. D e r neueste Beitrag stammt aus dem Jahre 1965; Karl Demeter befaßt sich mit der H e r k u n f t des preußischen Offizier-

korps. Lesenswert erscheinen vor allem noch Gordon A. Craigs Thesen zur R e f o r m - zeit und ein Auszug aus Gerhard Ritters Staatskunst und Kriegshandwerk.

Der fünfte, der Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftsgeschichte gewidmete Teil enthält als neue Studie Wilhelm Treues Überblick »Preußische Wirtschafts- und Technikgeschichte des 19. Jahrhunderts«2 8. Dem Abschnitt »Religiöse und wissen- schaftliche Richtungen« folgt der siebte und letzte Teil über »Einzelfragen preußi- scher Geschichte«. Die Herausgeber sind sich selbst dessen bewußt, daß die in diesem Komplex »untergebrachte« Staaten- und Ereignisgeschichte trotz der Rückgriffe auf Texte von Meinecke, Fritz H ä r t u n g , Ludwig Dehio und Walter Bussmann einem Vergleich mit den übrigen Abschnitten nicht standhält. Möglicherweise besorgt aber die für die nächsten Jahre von der Historischen Kommission vorgesehene Gesamtdar- stellung der preußischen Geschichte eine adäquate Ergänzung der Anthologie durch eine moderne politische Geschichte.

H o c h zu veranschlagen ist im Rahmen der Sammelbände zu Preußen die von Hein- rich Bodensieck herausgegebene Festschrift f ü r Oswald Hauser, obwohl sie zur H ä l f t e Preußen kaum berührenden T h e m e n gewidmet ist29. Die Kapitel über die »Französi- sche Revolution und Napoleon als Herausforderungen« und »Preußische Verwaltung und gesellschaftliche Kräfte« bestehen aber aus soliden Einzelstudien über Preußen, und der Teil »Preußisch-deutscher Sonderweg und seine Wirkungen« greift zentrale, sonst fast durchgängig vernachlässigte Fragen nach der Verbindung von preußischen Traditionen und jüngeren Weichenstellungen der Geschichte des deutschen National- staates auf.

Zunächst untersucht Klaus Schwabe, ob das Indemnitätsgesetz von 1866 die schon al-

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les entscheidende, für den deutschen Sonderweg bestimmende Niederlage des Libera- lismus dargestellt habe. Mit Bedacht spricht er in seiner Antwort »nur« von einem Rückschlag, der aber — neben anderem — eine Art Anerkennung der »Macht (als) eine geradezu moralische Größe« (Karl Faber) und eine Verlängerung des Weges zur Parlamentarisierung des Deutschen Reiches implizierte. Nach der Zusammenfassung der anhaltenden Diskussionen über die Parlamentarisierung des Kaiserreiches durch Rüdiger Schütz und den Hinweisen Hein? Gollwitzers auf die mehr als bescheidene Ausstrahlungskraft der inneren Strukturen des Kaiserreiches im Ersten Weltkrieg, als es galt, eine bei anderen Mächten werbende »Ideologie« zu entwickeln, greift An- dreas Hillgruber in einem grundlegenden Beitrag über die »Kräfte der Mitte«

1928—33 Schwäbes Überlegungen wieder auf. Er kennzeichnet nämlich nicht nur die unmittelbare Verantwortung der Demokraten für das Scheitern der parlamentari- schen Republik von Weimar, sondern wirft auch die Frage nach dem politischen Erbe der Parteien aus der Zeit des Kaiserreiches auf. Hierbei ist nicht zu übersehen, daß die frappierende Verkettung von Rückschlägen bei der staatlichen Modernisierung, die auf Entwicklungen im noch souveränen preußischen Staat fußten und an denen später auch preußische Kräfte im Deutschen Reich maßgeblichen Anteil hatten, eben nur zum Teil durch die Prägekraft früherer Vorentscheidungen bedingt waren. Das Versagen der angesprochenen politischen Mitte resultierte vielmehr nicht zuletzt aus immer neuen Entscheidungen von neuen Generationen von Politikern, die in neuen Entscheidungs- oder Notsituationen genauso frei handelten wie ihre Vorgänger. Erst dadurch kamen die Fehlentwicklungen des 20. Jahrhunderts zustande, die zuvor we- der vorauszusehen noch zu programmieren waren30.

Einen viel bescheideneren Anspruch verfolgt der Hamburger Publizist Borries mit sei- ner Textsammlung über Preußen in den Jahren 1871 bis 194631. Der Herausgeber ge- hört zu jenen Autoren, die durch Ansätze zur Glorifizierung Preußens als vermeint- lich vorbildlicher Ordnungsmacht irritiert sind. Er trägt zumeist kurze zeitgenössische Erklärungen von Verfechtern eines monarchisch-bürokratischen, militärischen und machthungrigen Obrigkeitsstaates sowie von deren Gegnern zusammen. Aussagen der Studie wie jene, wonach das preußische Abgeordnetenhaus und die in ihm domi- nierenden Parteien bis 1918 die Parlamentarisierung und Modernisierung Deutsch- lands blockierten, geben kaum weiterführende Anregungen.

Auch ältere Anthologien sind neu aufgelegt worden wie die Harald v. Koenigswalds32. Sie zeigt für die Zeit des 18. und frühen 19. Jahrhunderts in heute noch vertretbarer Form die Ausgestaltung Preußens durch seine Könige. Fraglich bleibt der Wert sol- cher Wiederabdrucke dennoch, da offenkundige Fehler wie der Hinweis auf eine Paulskirchentätigkeit Bismarcks nicht korrigiert wurden, und insbesondere die Be- handlung der jüngeren preußischen Geschichte nicht frei von Schönfärberei ist33.

Biographische Studien

War bei der her^usragenden Anthologie von Büsch und Neugebauer sowie bei den übrigen Sammelwerken eine Konzentration auf gesellschafts- und strukturgeschichtli- che Fragestellungen zu verzeichnen, so wird diese Einseitigkeit in gewissem Umfang durch zahlreiche Studien zu einzelnen Persönlichkeiten Preußens aufgefangen. Be- ginnt man bei den Hohenzollern und geht chronologisch vor, so ist zunächst die Bio- graphie des Großen Kurfürsten von dem Kölner Historiker Ludwig Hüttl vorzustel- len34. In dieser detailreichen und doch gut lesbaren, zudem auch auf eigenen Akten- studien beruhenden Arbeit wird in ansprechender Weise das vertraute Bild Friedrich Wilhelms von Brandenburg präsentiert. Besonders herausgehoben werden in Anleh- nung an die Forschung Oestreichs seine »Lehrjahre« in Holland, die für die Ausprä-

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gung einer preußischen Staatsphilosophie wie f ü r die Staatsstruktur, das Heerwesen und die Wirtschaft entscheidende Impulse gaben, sowie die Loyalität des Herrschers gegenüber Reich und Kaiser trotz oder wegen einer letztlich ganz auf die U n a b h ä n - gigkeit des eigenen Landes ausgerichteten Außenpolitik. Das Attribut »groß« sieht der Autor aus drei Gründen als berechtigt an. Neben dem Vergleich des Staates von 1640 mit dem des Jahres 1688 und der Ausbaufähigkeit des letzteren nach dem T o d e des Kurfürsten betont Hüttl vor allem das Wissen des Herrschers um die Grenzen der politischen Möglichkeiten seines Landes und einer militärisch orientierten Machtpoli- tik.

Eine bemerkenswerte Ergänzung liegt in der Studie des ehemaligen Botschafters Hans Georg Steltzer vor, der sich mit den überseeischen Unternehmungen Brandenburg- Preußens 1681 bis 1721 befaßt3 5. Hierbei wird das Konzept und jahrzehntelange Rin- gen Friedrich Wilhelms deutlich, für einen wirtschaftlichen Ausbau seines Staates und des Reiches eine Flotte aufzubauen. Vielfältige Aspekte wie der Konkurrenzkampf mit Holland und den übrigen »etablierten« Seemächten, die Beziehungen zu Afrika- nern, die Verwicklung in den Sklavenhandel und die Beschreibung des heute noch in Ghana als Denkmal gepflegten Forts Großfriedrichsburg sowie ein erfrischender Stil und eine eindrucksvolle Bebilderung machen die Lektüre zu einem Erlebrijis.

N e u e wissenschaftliche Erkenntnisse sind demgegenüber von den W e r k e n über Fried- rich den Großen mit Ausnahme der noch an anderer Stelle vorzustellenden Arbeit von Ingrid Mittenzwei3 6 nicht zu erwarten bzw. nicht angestrebt. Durchaus vertretbar er- scheinen Neuauflagen von Biographien des britischen Historikers George P. Gooch aus dem Jahre 1950 und seines französischen Kollegen Pierre Gaxotte von 1938; die W e r k e wurden mit einem Literaturverzeichnis versehen bzw. leicht überarbeitet3 7. Gooch suchte seinerzeit in einer Überblicksdarstellung und speziellen Schlaglichtern, die auf Einzelaspekte der Persönlichkeit des großen Hohenzollern geworfen wurden, eine Einordnung Friedrichs in eine Ahnengalerie für Hitler zu verhindern. Gestützt auf den Fundus langer Forschungstätigkeit gelang es ihm, ein plastisches Bild zu zeichnen und ein abgewogenes Urteil zu fällen, wobei die strenge Staatsräson als Leitmotiv des Handelns und die Prägekraft dieses unermüdlich dienenden M o n a r - chen für sein Land hervorgehoben werden. Eine Glorifizierung wird durch den stark demokratischen Grundwerten verpflichteten Autor vermieden.

Der gleich renommierte Gaxotte, vorzüglicher Kenner des Ancien Regime, widmet sich in seiner ebenfalls brillant geschriebenen und eindrucksvoll bebilderten Darstel- lung noch ausschließlicher der Persönlichkeit dieses außergewöhnlichen Menschen, der politische Kontext, etwa die Bedeutung des Siebenjährigen Krieges, interessiert kaum. Für Gaxotte ist vielmehr schildernswert, wie es Friedrich nach dem genannten militärischen Ringen darum ging, die furchtbaren W u n d e n in V o l k und Stkat zu hei- len.

Als ausschließlich literarischer Beitrag ist demgegenüber Friedrich Heers D e u t u n g der Auseinandersetzungen Friedrichs mit Maria Theresia zu sehen. H e e r zufolge konsti- tuierten das männliche Element des Hohenzollern und das weibliche der Habsburge- rin das deutsche Wesen. N a c h Friedrichs Kriegen sei hier das innere Gleichgewicht zerstört gewesen, hätten der »große Schlag«, das »große Spiel« und das »Vabanque im Blitzkrieg« zum Wesen des Staates gehört3 8.

In anderer Hinsicht Wunderliches hat der durch historische Fernsehsendungen be- kannt gewordene Publizist Venohr über den großen Preußenkönig zusammenge- stellt39. Zu Bildern Adolph v. Menzels sind begleitende Texte verfaßt, die eine zusam- menhängende Schilderung von Friedrich ergeben, welche einem Schulmeister in der Glanzzeit borussischer Historiographie alle Ehre gemacht hätte. W e r sich hiervon, dem Gebrauch anachronistischer Termini wie Supermächte und Vollbeschäftigung

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und der Einfügung von Sprechblasen nicht schrecken läßt, wird sich immerhin an den aussagekräftigen Illustrationen von Menzel erfreuen.

Zur Reformzeit liegt als wichtigster Beitrag ebenfalls nur ein Reprint vor, Gerhard Ritters Stein-Biographie4 0. Sie wurde 1931, hundert Jahre nach dem T o d des Reichs- freiherrn, veröffentlicht und w a r seinerzeit durchaus auch eine politische Studie. Sie sollte in der Verfallsphase der Weimarer Republik in die Diskussion um eine N e u o r d - nung Deutschlands eingreifen, die unter anderem durch den Versuch von Konservati- ven, Rechts- und Linksliberalen geprägt war, Stein für die eigene Richtung als Ahn- herrn firmieren zu lassen. Ritter räumte nachhaltig mit Verherrlichungen Steins auf und zeigte dessen Verwurzelung gerade im vorkonstitutionellen Deutschland. Hier- bei zeichnete er im Kern bis heute unbestrittene Konturen des Reichsfreiherrn, so daß der N a c h d r u c k von Ritters 1958 überarbeitetem W e r k zu begrüßen ist.

Ritter nennt Stein eine von reichsritterlich-altfränkischen Leitvorstellungen geprägte Persönlichkeit, dessen reformpolitischer Ansatz vor allem durch die Verhältnisse in England bestimmt war, während Impulse der Französischen Revolution kaum Bedeu- tung hatten. Seine Hauptfähigkeiten lagep auf dem Gebiet der Verwaltung, die zum N u t z e n der Bürger in zukunftweisender Form neu gestaltet w u r d e oder werden sollte, während sich seine politische Größe und die Grenzen seiner politischen M ö g - lichkeiten erst in der Konfrontation des 1806 in höchste Bedrängnis geratenen preußi- schen Staates mit den elementaren Herausforderungen der Zeit zeigten. Seine Pio- nierleistung bestand letztlich darin, daß er um eine praktische und richtungweisende Krisenbewältigung bemüht w a r und daß diese Bemühungen trotz aller Rückschläge nicht unbedeutende Erfolge bescherten, vor allem aber ideellen Wertmaßstäben der Z u k u n f t den W e g bahnten. D e n Sachverhalt, daß Ritter mit solcherlei Aussagen wei- terhin als Verfasser des Standardwerks über Stein anzusehen ist, zeigt ein Vergleich mit jüngsten Ausführungen von Vertretern der »Modernisierungsforschung«. So lehnt Barbara Vogel sich in ihrem Gesamturteil über Stein durchaus an Ritter an: D e r Reichsfreiherr sei vor und während der Reformzeit ein »Konservativer« sowie ein Protagonist einer »defensiven Modernisierung« und einer »geläuterten ständischen Gesellschaft« gewesen, der »im Einklang mit den Wünschen und Vorstellungen des gutsbesitzenden Adels« gehandelt habe4 1.

An Studien über militärische Führer in der preußischen Reformzeit sind die N e u - drucke der Arbeiten von Roger Parkinson über Blücher und Wilhelm v. Schlamm über Clausewitz zu nennen. Die farbige Darstellung des britischen Militärschriftstellers Parkinson war schon bei ihrem ersten Erscheinen 1975 wissenschaftlich unbrauch- bar4 2. Seine Bedeutung bewahrt hat demgegenüber Schramms Buch von 1976, das es- sayistisch von Clausewitz' faszinierender Persönlichkeit, seiner idealistischen, später realistischen Humanität und seinem nur »zeitpolitischen« Patriotismus spricht sowie die Denkanstöße des Reformers von anhaltender Bedeutung hervorhebt, vor allem über die Konzentration auf das Mögliche und den Vorrang politischer Lösungen4 3. Die Schwächen der Studie, bedingt durch eine beachtliche, aber nicht umfassende Re- zeption früherer Forschungsleistungen und manifest in den Thesen zu einer Kriegs- philosophie des Reformers, sind gleichwohl unübersehbar. Ergänzend ist darauf hin- zuweisen, daß von der gleichzeitig erschienenen, nicht unumstrittenen Arbeit von Raymond Aron über Clausewitz eine deutsche Fassung erschien44, während die f u n - dierte Studie von Peter Paret weiter auf eine Übersetzung wartet4 5.

Eine Fehlanzeige im Blick auf neue Forschungsergebnisse ist auch bei den iMonogra- phien zu den letzten regierenden Hohenzollern zu geben. Preußische Traditionen hebt in seiner gut lesbaren Biographie Wilhelms I. der Publizist Franz Herre hervor, ohne jedoch das Problemfeld voll auszuleuchten, das durch die Einfügung von preu- 100 ßischer Staatsphilosophie und preußischen Strukturen in das Deutsche Reich ent-

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steht46. Die letztlich alles beherrschende persönliche »Leistung« des Monarchen, die Fixierung der Sonderrolle des Heeres im Staat, wird zwar gesehen, aber nicht heraus- gehoben.

Gegenüber dieser immerhin gediegenen Darstellung erinnert die Biographie der Ame- rikanerin Virginia Cowles von Wilhelm II. nur daran, daß zu diesem Herrscher eine ausgewogene Arbeit fehlt47. Die von der Autorin nicht verstandene Julikrise des Jah- res 1914 ist da besonders sprechend.

Von den Werken, die sich nicht mit Herrschern des Hohertzollernhauses befassen, sind die Studien über Bismarck und Braun herauszuheben. Eine außerordentliche Lei- stung stellt Lotbar Galls Bismarck-Biographie dar48. Nach jahrelanger intensiver For- schung erschien sie zugleich als ein stilistisch ausgefeiltes und Einzelheiten wie Zu- sammenhänge souverän reflektierendes Werk, in dem die Fragen nach der Persön- lichkeit des »weißen Revolutionärs«, den Grundlagen des Deutschen Reiches und sei- ner perspektivischen Entwicklungschancen in einer sich rasch weiterentwickelnden Welt als Einheit gesehen werden. Die Möglichkeiten eines großen Einzelnen als Handlungsträger der Geschichte werden als relativ eng begrenzt hingestellt, sie seien vor allem in den Jahren von Bismarcks größter Schaffenskraft bis Ende der siebziger Jahre von diesem dennoch resolut genutzt worden. In direkter Form werden Lob und Tadel, bei den herausragenden letzten Biographien aus der Zeit vor dem Untergang des Deutschen Reiches 1945 von Meyer und Eyck noch dominierend49, strikt vermie- den, wobei dessenungeachtet die engagierten Ausführungen dem Leser den Weg zu einem Urteil weisen.

In unserem Zusammenhang interessieren vor allem die spezifisch preußischen Ele- mente der Politik Bismarcks, den Gall wie folgt als »Stockpreußen« beschreibt: »Der Staat war für ihn der historisch gewachsene preußische Staat, die Aristokratie der grundbesitzende preußische Adel, das Heer das Königsheer des preußischen Absolu- tismus, die Bürokratie das aufgeklärte Beamtentum der Nachreformzeit, die Kirche die preußische Landeskirche unter dem Summepiskopat der Krone.« (S. 85) Beim Staatsaufbau habe der »Machtgedanke« eine herausragende Rolle gespielt sowie »die Betonung der historisch entstandenen Verteilung der Gewichte im preußischen Staat und in der preußischen Gesellschaft« (S. 93). Gall zitiert die Bismarckworte: »Preu- ßen sind wir und wollen wir bleiben . . . Wir wollen das preußische Königtum nicht verschwommen sehen in der faulen Gärung süddeutscher Gemütlichkeit« und die These, wonach Preußen »stets in der Lage sein (werde), Deutschland Gesetze zu ge- ben, nicht, sie von anderen zu empfangen« (S. 95).

Diese sicher zutreffende Charakteristik verbindet Gall mit seiner aus der Gesamtdar- stellung geprägten Schlußanalyse über das Lebenswerk des Reichsgründers. Sie scheint von übergroßer Skepsis bestimmt und hat bereits Diskussionen ausgelöst50.

»Im Kern« sieht Gall Bismarck im »alten Mächte-Europa« (S. 641), der Zeit nach dem Wiener Kongreß, verwurzelt. Ausgehend von dieser Grundlage habe er als

»Mann des Ubergangs, eines säkularen politischen und gesellschaftlichen Umbruchs«

gewirkt, wobei es ihm nicht gelungen sei, »wirklich tragfähige und vor allem allge- mein akzeptierte neue Ordnungen erkennen zu lassen«. Zudem sei das neu entstan- dene »Ganze . . . äußerst unstabil« gewesen. »Nichts, gar nichts ist von dem geblieben, was Bismarck den Kräften des Umbruchs, der revolutionären Veränderungen seiner Zeit. . . abgetrotzt hat: den kleindeutschen Nationalstaat, den Fortbestand der Macht der preußischen Krone in einem ganz neuen politisch-institutionellen Rahmen, die Si- cherung der Stellung der traditionellen Eliten und ihrer materiellen Basis, die Macht- position des neuen Reiches im Kreis der europäischen Mächte.« (S. 724 f.) Vor allem als Konsequenz der Tätigkeit des späten Bismarck resümiert Gall: »Für ihn ging es nur um das Einfrieren einer Konstellation . . . Das aber war letzten Endes unmöglich.

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Es bedrohte, indem es die vorandrängenden Kräfte und Entwicklungstendenzen bloß noch staute, auf D a u e r all das, was Bismarck an Elementen des Alten zu bewahren vermocht hatte.« (S. 726 f.)

Mit dieser D e u t u n g rückt Gall die Lage im Deutschen Reich in zu große N ä h e zu der im Deutschen Bund, als die gegen jedwede politische Reform und Modernisierung er- richteten D ä m m e die Revolution von 1848/49 geradezu provozierten. Das Deutsche Reich besaß durch den Kompromißcharakter seiner Verfassung sehr wohl Chancen für eine dauerhafte Existenz, seine Krisen waren mit denen anderer Staaten durchaus vergleichbar. Die Weichenstellungen für das Scheitern der G r o ß m a c h t Deutschland scheinen eher im Ersten Weltkrieg und in den in dessen Umfeld getroffenen Entschei- dungen und Versäumnissen zu liegen, obwohl auch spätere Korrekturmöglichkeiten nicht außer acht gelassen werden sollten. Ungeachtet dieser Kritik, hervorgerufen durch die über die Biographie hinausweisenden Thesen des Autors zum Verlauf der neueren deutschen Geschichte insgesamt, bleibt das W e r k Galls als fundamentale hi- storiographische Leistung zu würdigen5 1.

Die übrigen Bismarck behandelnden Bücher lassen sich schnell vorstellen. Wiederab- drucke liegen zunächst vor in Emil Ludwigs Bismarck-Biographie5 2 und Fritz Sterns Untersuchung über das Verhältnis Bismarcks zu dem Bankier Bleichröder5 3. Die erst- genannte Studie soll helfen, das vormals vielgelesene Oeuvre des Schriftstellers Lud- wig, der nach der Verbannung während des »Dritten Reiches« nur noch relativ wenig Beachtung fand, wieder bekannter zu machen. Die große Erzählkunst des Autors besticht auch heute noch bei der Lektüre der 1926 entstandenen Biographie. Die Herausstellung von Bismarck als Heros, an dessen Wiege die D ä m o n e n Stolz, M u t und H a ß gestanden hätten, läßt es dennoch fraglich erscheinen, ob es zweckmäßig war, mit dem ausgewählten W e r k an den Autor zu erinnern.

Sterns Forschungsleistung mit ihrem bedeutsamen methodischen Ansatz, der die bio- graphische Darstellung mit Einblicken in die sonst zumeist nur Spezialisten bekannte Sozial- und Kulturgeschichte des Kaiserreiches verbindet, verdiente demgegenüber durchaus einen N e u d r u c k als Paperback. Er sollte dazu beitragen, das Spannungsfeld im kaiserlichen Deutschland zwischen politisch privilegierten, wirtschaftlich aber in die Defensive gedrängten alten Eliten und Kräften auszuleuchten, die das industrielle Deutschland repräsentierten und sich in einem schwierigen Prozeß der Integration in Staat und Gesellschaft befanden. Zudem wird ein wesentlicher Beitrag zur Geschichte des Antisemitismus geleistet.

Die Anekdotensammlung von Richard Carstensen über Bismarck5 4 und die Biographie Ekkhard Verchaus stellen sodann erweiterte Neuauflagen dar5 5. Carstensen besorgte eine vor allem durch Karikaturen aus dem Kladderadatsch ergänzte Ausgabe seiner Sammlung von 1968, und seine Versuche, »die menschliche Seite des Genies« deutlich zu machen, führten zu einer hohen Auflagenzahl des Buches. Die unkritische Ver- herrlichung Bismarcks als Verfechter der salus publica stimmt dennoch bedenklich.

Die Bismarck-Biographie des Mainzer Historikers Verchau stellt hingegen eine so- lide, zugleich nicht allzu anspruchsvolle Studie dar. Die Probleme der Bismarckzeit werden mit allzu leichter H a n d abgetan oder gar nicht gesehen. So findet sich mit Blick auf den Kulturkampf und das Sozialistengesetz der lapidare Satz, wpnach hier

»die Grenzen, die selbst einem staatsmännischen Genie durch die überindividuellen Kräfte seines Zeitalters gesetzt sind« (S. 136), aufgezeigt worden seien.

Große Anerkennung zollt schließlich George F. Kennan in seiner glänzend geschriebe- nen, im Original 1979 erschienenen Studie dem Bismarckschen Bündnissystem als dem Versuch, die internationale Position des Deutschen Reiches langfristig abzusi- chern und damit Europa den Frieden zu bewahren Der frühere amerikanische Di- plomat und emeritierte Historiker deutet den späten Bismarck — und neben ihm den

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russischen Außenminister Nikolai Karlowitsch Giers — als Schüler Metternichs und Exponenten einer antirevolutionären Gleichgewichtspolitik. Die engere historische Untersuchung des Autors konzentriert sich jedoch auf die Entwicklung der franzö- sisch-russischen Beziehungen der Jahre 1884 bis 1887; im Aufbau des Bündnisses 1892—94 zwischen Frankreich und dem Zarenreich sieht er dabei eine, wenn nicht die Weichenstellung zum Ersten Weltkrieg, den er wiederum als »die Urkatastrophe« un- seres Jahrhunderts deutet. Diese Interpretation des Weltkrieges besticht, wenn auch die These von einer einzigen, allein ausschlaggebenden Weichenstellung zu Beginn der neunziger Jahre einer Modifikation bedarf57.

Die Reihe der Biographien beschließt die knapp elfhundertseitige, zumeist auf völlig neu erschlossenen Quellen beruhende und dennoch stets anregend und flüssig ge- schriebene Habilitationsschrift von Hagen Schulze über Otto Braun, den Ministerprä- sidenten Preußens der Jahre 1920 bis 193358. Man kann ohne Übertreibung von einer Wiederentdeckung Brauns als Repräsentanten eines demokratischen Preußen spre- chen. An der Persönlichkeit Brauns faszinieren dessen Aufstieg aus ärmlichen Ver- hältnissen, sein bescheidener und von persönlichem Leid geprägter Lebensstil, die Herausbildung einer pragmatischen und durch eine Vertrautheit im Umgang mit poli- tischer Macht sich auszeichnende Position in der SPD, die erfolgreichen und den- noch nicht ausreichenden Bemühungen um den Ausbau Preußens zu einer demokrati- schen »Ordnungszelle« Deutschlands, das Anknüpfen in einer Koalition von im Kai- serreich oppositionellen und teils geächteten Parteien an preußische Traditionen bei scharfer Frontstellung gegen das junkerliche Preußen und schließlich die sich seit 1930 abzeichnende, gleichwohl keineswegs unabwendbare Niederlage Bralins in sei- nen Bemühungen um die preußische wie die deutsche Republik59. Die Möglichkeiten und Grenzen in Brauns Bestrebungen zeigt Schulze in vielen, für die Kenntnis der Weimarer Republik grundlegenden Einzelfragen wie den Problemen einer Umstel- lung der vom konstitutionellen Kaiserreich geprägten Beamtenschaft oder Polizei ent- sprechend den Erfordernissen einer Republik60.

Am sprechendsten sind jedoch Brauns Überlegungen über eine Reichsreform in einer Phase, in der die Parlamente nicht willens oder fähig waren, sich gegenüber antiparla- mentarischen Gruppen zu behaupten. Reichsnotverordnungen sollten über diese Zeit hinweghelfen, und der Eintritt Brauns als Vizekanzler in ein Kabinett Brüning sollte langfristig die Rettung der Republik bringen. Braun scheiterte an Gegenkräften wie der Hindenburg-Gruppe mit ihrer übergroßen Machtfülle, der von Schleicher gelenk- ten Reichswehrführung und den ganz andere Ziele verfolgenden Reichsregierungen, zudem auch an einer mangelhaften Unterstützung durch seine eigene Partei, so daß von einem persönlichen Versagen kaum die Rede sein kann61.

Nicht uninteressant erscheinen neben den Monographien biographisch^ Sammel- werke und unter ihnen besonders die von dem Flensburger Historiker Wolfgang

Stribmy zusammengestellten Viten der Hohenzollern, da durch sie die oft in den Hintergrund gedrängte leitende und lenkende Funktion der Herrscher in prägnanter Weise sichtbar wird62. Einfühlungsvermögen und Sympathie für das Geschlecht kenn- zeichnen die Darstellung, auch wenn die Schattenseiten von Persönlichkeiten wie Wilhelm II. nicht ausgespart werden. Manchmal ist die Nähe des Autors zum Hohen- zollernhaus jedoch zu stark, so bei der Kennzeichnung des Soldatenkönigs. Bei allem verständlichen Gegensteuern gegen allzu harte Thesen von einer sozialen Militarisie- rung Preußens geht es nicht an, die Verstärkung des Heeres durch Friedrich Wil- helm I. als »eine Art Bauernbefreiung auf Umwegen« zu definieren.

Bescheiden ist demgegenüber der Ansatz des Journalisten Heinz Ohff, der den Nach- weis führen will, daß ein liberaler Autor in Preußen nicht nur Schattenseiten sehen 103 muß63. Lesenswert sind vor allem die Beiträge über Adolph v. Menzel, der »nur in

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Preußen groß werden konnte«, und über den durch den Staat »zerstörten« E . T . A . H o f f m a n n . Uberraschend erscheint die Aufnahme von Rosa Luxemburg und Waither Rathenau.

Dem Anspruch auf eine repräsentative Sammlung nicht genügend, aber doch wichti- ger als die Auswahl Ohffs, erscheinen diejenigen von Diwald64 bzw. Haffner und

Venohr65. Diwald will mit zehn von ihm zusammengestellten Porträts z k g e n , daß Preußen nicht ausschließlich als reaktionärer und militaristischer Staat zu kennzeich- nen ist. Politiker wie Friedrich der Große und Gustav Stresemann werden vorgestellt.

Wiederum fand Rathenau Berücksichtigung. Als Schlüsselaussage dieses Politikers werden interessanterweise 1912 an Reichskanzler Bethmann Hollweg gerichtete W o r t e genannt, wonach »die deutsche Politik. . . der Nation Ziele setzen (müsse):

deutsch-französische Aussöhnung, mitteleuropäische Zollunion, Parlamentsreform, preußische Wahlrechtsreform«.

H a f f n e r reflektiert vor allem über Politiker. Er beschreibt Wilhelm II. als ein zur poli- tischen Führung untaugliches »Wunderkind«, das an den ihm von der Verfassung und der Zeit des Hochimperialismus auferlegten immensen Aufgaben scheiterte. Venohrs Beiträge über Militärs wie Gneisenau, den er als Exponenten »des staatsbürgerlichen Patriotismus« sieht, und Tresckow, der als Repräsentant des Geistes von T a u r o g g e n gewürdigt wird, verdienen Anerkennung, auch wenn sie keine neuen Einblicke in die Geschichte eröffnen. Andere Ausführungen wie die über Ludendorff, der als heraus- ragender militärischer Kopf, zugleich aber auch als angeblich tragische Figur, die im Stile Hitlers va banque gespielt habe, geschildert wird, erscheinen demgegenüber als nicht akzeptabel. Dieser Sachverhalt wird durch Venohrs Einleitungsworte verständ- lich, in denen eine krude Mischung der Ideen des Autors zutage tritt. Sie erinnern an Leitvorstellungen der wilhelminischen Führungsschicht und ihrer deutschnationalen Nachfolger. So finden sich Tiraden gegen England, eine Kennzeichnung Bismarcks als Protagonisten der Bourgeoisie wider Willen und Attacken gegen eine angeblich demokratisch-kosmopolitische Bourgeoisie mit ihren marxistischen Kollaboranten6 6.

Darstellungen zu Einzelaspekten der preußischen Geschichte

Die Untersuchungen zu bestimmten Zeitspannen preußischer Geschichte oder zu be- stimmten Sachgebieten setzen ein mit Heinrich v. Gerlachs 1978 erstmals erschienener Studie6 7. D e r aus Ostpreußen stammende Lehrer will den Pruzzen ein Denkmal set- zen und hat mit großem Fleiß Quellenaussagen zusammengetragen und vor allem kommentiert. Die so entstandenen, betont farbig und »literarisch« gestalteten Aussa- gen erscheinen als kurzweilige Lektüre akzeptabel, die historische Absicherung seiner Aussagen aber ebenso schwach wie die einseitige V e r d a m m u n g des Deutschen Ritter- ordens unangemessen.

Zu einer viel späteren Epoche legt Barbara Vogel ein Sammelwerk vor, das g a n z von Fragestellungen der Modernisierungsforschung geprägt ist68. Bei der Behandlung der Reformjahre werden die politische Geschichte und sogar die Militärgeschichte ausge- klammert. Als Resümee der in sich stark variierenden sozial- und kulturgeschichtli- chen Forschungen kann festgehalten werden, daß die Frage nach Erfolg oder Mißer- folg der Reformen nicht eindeutig zu beantworten ist. Unstrittig ist demgegenüber, daß fundamentale Umschichtungsprozesse bei der Umwandlung einer ständischen in eine bürgerliche Gesellschaft vorlagen, deren M o t o r nicht zuletzt die politisch nicht zu steuernde rapide Bevölkerungsvermehrung war.

Erhebliches Interesse verdienen die Neuauflagen der wertvollen Grundlagenforschun- gen zu Sachproblemen von Carsten und Büsch. Der Londoner Historiker Francis L.

104 Carsten legt seine auf Forschungen in den vierziger Jahren beruhende Dissertation

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über die spezifische sozialgeschichtliche Entwicklung im frühen Preußen mit ihren starken Ausstrahlungen bis ins 19. und 20. Jahrhundert erneut vor und betont, daß sie

letztlich ein Standardwerk geblieben sei6?. i

Ein ähnliches Fazit zieht Otto Büsch in seinem Vorwort zur vermehrten und verbes- serten Neuauflage seiner Untersuchung über das Verhältnis von militärischem und so- zialem System im alten Preußen70. Obwohl seit Erscheinen des Werkes 1962 eine ganze Reihe modifizierender Einwände in Einzelaspekten vorgetragen wurde, bleibt die Grundaussage.des Autors beachtenswert, wonach im 18. Jahrhundert, ausgehend von der Militärpolitik, ein Prözeß exzessiver sozialer Militarisierung der altpreußi- schen Monarchie mit erheblichen Folgen für die Staatsangehörigen einsetzte. Die

»systematische Verflechtung« der Faktoren des Militärsystems »in einem voll auf die Bedürfnisse des Heeres ausgerichteten sozialen System als Träger einer politischen Ordnung, in der jedem Teil der ständischen Gesellschaft eine militärisch-zivile Dop- pelfunktion zugewiesen war und in dem die Machtfaktoren, die das Militärsystem er- hielten — Autokratie, Aristokratie und Bürokratie — sich Zu gegenseitiger Garantie und das Königtum zum Schutz des Bauerntums zwangen, bleibt ein insoweit unver- wechselbares, spezifisch preußisches Phänomen.« (S. VII)

Büsch sieht jedoch, daß entsprechend seinem konzeptionellen Ansatz in den von ihm zusammengestellten Sammelbänden über Preußen und auch im Dialog mit anderen Autoren, die das Phänomen einer Militarisierung Preußens relativiert sehen wollen, die alten Aussagen einer gewissen Ergänzung bedürfen. So betont er, daß in Preußen nicht zuletzt eine Mischung von obrigkeitsstaatlichen Maximen und sozialkonservati- vem Verantwortungsbewußtsein vorgelegen habe.

Zu den nicht zahlreichen neuen Forschungen gehört Jürgen Mirows Untersuchung des Geschichtsbildes von Preußen in Geschichtswissenschaft, Publizistik und Ge- schichtsunterricht von der Zeit des Kaiserreiches bis zur Gegenwart71. Die Arbeit ist sehr gründlich und in ihrem Resultat auch überzeugend, die Breite des Themas führt aber dazu, daß in manchen Bereichen neben interessanten Einzelbeobachtungen und weniger überraschenden Leitaussagen Frageij unbeantwortet bleiben. Die wesentlich- ste Beobachtung liegt darin, daß sozialökonomische Determinanten des (ieschichts- bildes eine untergeordnete Rolle spielen, daß vielmehr in einem komplexen Bedin- gungsgeflecht politische Ereignisse und Erfahrungen des jeweiligen Zeitraumes be- sonderes Gewicht haben.

Als rechtshistorischen Beitrag legten Detlef Merten und Carl Hermann Ule eine Auf- satzsammlung des 1977 verstorbenen Strafrechtlers und Rechtshistorikers Eberhard Schmidt vor72. Das wichtige Kompendium läßt sich durch Schmidts Beitrag zur »Ju- stizpolitik Friedrichs des Großen« charakterisieren, in dem Hinweise auf Mißstände im Bereich der Herrschaft der Patrimonial-Gutsherren, des Söldnerheeres und der Bürgerschaft ebensowenig fehlen wie die Aussage, daß in Preußen-Deutschland we- sentliche Elemente der Rechtsstaatlichkeit wie die Weisungsfreiheit und persönliche Unabhängigkeit der Richter erst im Zeitalter des Konstitutionalismus verwirklicht wurden. Der Autor scheut sich aber nicht, ausgehend von einer Aufzählung der er- staunlichen Folge von Schritten in Richtung Rechtsstaatlichkeit zur Zeit der Regie- rung Friedrichs des Großen und sich absichernd durch einen die enorme Leistung des Hohenzollernstaates unterstreichenden Vergleich zwischen Preußen und anderen Staaten, von einer »Kulturtat« Friedrichs zu sprechen, »die ihn seines Beinamens >der Große< würdiger erscheinen ließ als seine Siege und Niederlagen auf den schlesischen Schlachtfeldern«73.

Erstaunlich moderne Fragen und Antworten zur preußisch-deutschen Geschichte er- teilt der von Eberhard Kessel mustergültig herausgegebene neunte Band der Werke 105 Friedrich Meineckes74. Vor allem die Abschnitte über Reform und Restauration, den

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deutschen Nationalstaat und die Zeitgeschichte zeugen von einem beständigen Rin- gen um eine bleibende Erklärung der Problematik des »Hinüberwachsens und Neben- einanderfortbestehens von Territorial- und Nationalstaat in Deutschland« (Kessel).

Das Jahr 1819 erhält infolge des hier zu beobachtenden Schlages gegen die preußi- schen Reformer Epochencharakter, da das Scheitern des Reformidealismus nicht ein- mal durch die Reichsgründung kompensiert werden konnte. Im Gegenteil, gerade im Deutschen Reich sah der Forscher durch das Fehlen einer hinreichenden ideellen Ba- sis für die staatliche Wirklichkeit und — damit eng verbunden — durch die innere Zer- klüftung des Staates Anlaß zur Sorge. Diese Haltung steigerte sich im Ersten Welt- krieg, als Meinecke verstärkt auch publizistisch sein Bemühen um eine neue Sinnge- bung fortsetzte, wobei er sich bisweilen in »starken Worten« vom Zeitgeist animieren ließ, dann aber zu Appellen fand, die geprägt waren von seinem historisch geschulten Denken und die — vergeblich — zur Orientierung der staatlichen Ziele und Ideen an realen Notwendigkeiten aufforderten. Die Verquickung von historischem und politi- schem Engagement reizt zu Vergleichen mit der gegenwärtigen Preußenforschung.

Eine Pionierleistung liegt in den Beiträgen des von Peter Baumgart herausgegebenen Sammelbandes zur Bildungspolitik Preußens vor75. Im Mittelpunkt steht die bei wei- tem umfangreichste Studie des Marburger Historikers Bernhard vom Brocke, der für die Jahre 1882 bis 1907 das bislang teils verteufelte, teils verherrlichte »System Alt- hoff« untersucht. Die ungewöhnlichen »technokratischen« Leistungen dieser Konzep- tion und Administration, vor allem beim »Ausbau des Hochschulwesens, des Medizi- nal-, Bibliotheks- und höheren Schulwesens, der Gründung von Forschungsinstitutio- nen, des Professoren- und Oberlehreraustausches«, stellten die Rahmenbedingungen für einen wissenschaftlichen Aufschwung dar, der keinen Vergleich mit anderen Staa- ten zu scheuen hat, sich in einer großen Zahl von Nobelpreisen widerspiegelte und den industriellen Ausbau des kaiserlichen Deutschland mit ermöglichte. Große Re- formprojekte wie die Brechung des Gymnasialmonopols im Kontext des Hochschul- zugangs 1900 und die Zulassung von Frauen zum Studium 1908 gehörten zu den Verdiensten des Systems.

An Schattenseiten hebt vom Brocke vor allem die Ausrichtung dieser Bildungspolitik von oben auf eine einzige verantwortliche Person und die restlose Überforderung der Bürokratie hervor, wodurch als Einzelproblem eine Gesinnungsschnüffelei wie bei der Handhabung der Lex Arons von 1898 zustande kam, was vor allem aber zur Folge hatte, daß der Staat im Streben um Effizienz und reibungsloses Wirken perma- nent Mittel wie die des Uberlistens und Oktroyierens benutzte. Hiermit seien, zumal nach dem Ausscheiden des jeglichen Nepotismus verabscheuenden Althoff selbst, schwere moralische Schäden entstanden. Wie die Ausführungen vom Brockes stützen auch die übrigen Beiträge den Eindruck, daß der noch nicht abschließend erforschte Bildungssektor bei einer Erklärung Preußens und seiner Geschichte viel stärker als bislang herangezogen werden muß76.

Der dem Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz und ihrem Leiter Roland Kiemig zu ver- dankende Ausstellungskatalog »Juden in Preußen« ersetzt fast eine Gesamtdarstel- lung über die Geschichte der Juden in Deutschland77. Aus dem beeindruckenden und differenzierenden Überblick ergeben sich beachtliche Rückschlüsse auf die gesamte politische Kultur des Deutschen Reiches. Die Aussagekraft des Bandes kann an der Charakterisierung des Ersten Weltkrieges als zentraler Epoche verdeutlicht werden.

Es ist nicht zu übersehen, daß zum »nationalen Aufbruch« 1914 die Grunderwartung gehörte, die ersehnte innere Einheit der Nation werde jetzt, und zwar nicht nur für die vermeintlich kurze Kriegszeit, realisiert, und daß das Bestreben des jüdischen Be- völkerungsteils nicht mehr und nicht weniger als einen Teil dieser Hoffnung dar- 106 stellte. Bereits Ende 1916 zeigte jedoch die durch das preußische Kriegsministerium

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veranlaßte Judenzählung, die ungeachtet des Einsatzes von etwa 100 000 Juden im Krieg mit schließlich 12 000 Opfern eine spezifisch jüdische Drückebergerei beweisen sollte, wie eng schon hier die Möglichkeiten von einem Durchbruch in der Integra- tionsfrage und einer abermaligen Ausweitung des Antisemitismus beieinanderlagen.

Ein ebenso zu begrüßendes historisches Hilfsmittel stellt das von Ernst G. Lowenthal vorgelegte biographische Verzeichnis dar78.

Der emeritierte Berliner Historiker Richard Dietrich hat mit den politischen Testa- menten der Hohenzollernherrscher vom Großen Kurfürsten bis Friedrich Wil- helm III. eine wichtige Quellengruppe leicht zugänglich gemacht79. Die Ausführun- gen Friedrichs des Großen können die hohe Aussagekraft der Dokumente belegen.

Die Auffassung, daß der Monarch die alleinprägende Kraft des Staates und der Trä- ger der höchsten Staatsgewalt sei, wird unmittelbar faßbar. Bezeichnend ist der die Rechtspflege aufgreifende Auftakt, sind die folgende Schwerpunktsetzung in der Fi- nanz- und Wirtschaftspolitik und die nur knappe Behandlung der Innenpolitik, die Entwicklungsmöglichkeiten des Staates jenseits der absolutistischen Herrschaftsform aufzeigen. Breit werden das Militärwesen und die außenpolitische Lage erörtert, wo- bei Sorgen um eine Wiederholung der Konstellation des Siebenjährigen Krieges und Reflexionen über eine noch zü erreichende verteidigungsfähigere Gestalt des König- reiches Hand in Hand gehen. Die Entwicklung Friedrichs hin zu einem bewußten Träger auch internationaler Verantwortung ist unübersehbar.

Zum weiteren Umfeld der Editionen zur preußischen Geschichte gehört eine ganze Reihe von Werken, von denen hier noch der Nachdruck von Heinrich v. Treitschkes Deutscher Geschichte genannt werden kann80. Ein Reprint dieses politisch seinerzeit so bedeutsamen und durch seine Zustandsbeschreibungen auch heute noch nicht ver- alteten Werkes erscheint gerechtfertigt. Allerdings wurde kein Vorwort beigefügt, das sich kritisch mit Treitschkes »weltpolitischen« Aufträgen an die Nation und anderen problematischen Fragen beschäftigt.

Trotz ihrer Titel nur bedingt zum Thema Preußen zu rechnen sind politische Studien, die in ihrem Kern auf die Politik und Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland abzielen. Als »rechte« Kritiker — und damit in gewisser Weise ein Pendant zu den Thesen Krockows und Greiffenhagens erstellend — treten Berthold Maack und Wolf-

ram v. Wolmar auf81. Maack sucht einer »Preußen-Gemeinde« neue Schlagkraft zu geben, die gegen die angebliche innere Schlaffheit und äußere Abhängigkeit des ge- genwärtigen Staates kämpft. Wolmar geht gleichfalls von einem vernichtenden »Be- fund« unserer geistig-sittlichen Position aus, seine kritischen Worte gegenüber dem

»Dritten Reich« lassen aber immerhin keinen Zweifel aufkommen, daß der von ihm erstrebte Neuanfang sich nicht am »nationalen Aufbruch« des Jahres 1933 orientiert.

Von bleibendem Wert ist eine Reihe kunsthistorischer Werke, unter ihnen besonders der großformatige überblicksartige Bildband von Hans Dollinger82. Der Autor legt Impressionen Kruppscher Kanonen, eine Karikatur, derzufolge Deutschland 1870 unter die Pickelhaube kam, und Bilder von einer Art Maskenball Wilhelms II. in ver- schiedenen Uniformen vor und ist auch sonst weit davon entfernt, Preußen zu ver- herrlichen. Dennoch liefert er den Nachweis, daß der Hohenzollernstaat nicht zuletzt auch eine Kulturnation von Rang war. Die treffsichere Auswahl aus vielfältigen Vor- lagen ist zu bewundern.

Helmut Börsch-Supan legt ein beeindruckendes Lesebuch und Nachschlagewerk zur Kunst Preußens vor, das zugleich einen hervorragenden Führer durch die Kunst- schätze der Berliner Schlösserverwaltung darstellt83. Die ausschließlich in Branden- burg-Preußen entstandenen Werke spannen den Bogen von bescheidenen Anfängen über die kulturelle Blütezeit während der Regierungsjahre Friedrich Wilhelms III., als Karl Friedrich Schinkel und Christian Rauch mit ihren Schulen prägend wirkten, bis

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hin zur deutliche Ermüdungserscheinungen zeigenden höfischen Kunst unter den späteren Hohenzollern.

Mit einer ebenso großen wie großformatigen Publikation wurde der 200. Wiederkehr des Geburtstages Schinkels gedacht, der — in der D D R entstanden — eine weite Ver- breitung zu wünschen ist84. Gewürdigt wird — vor allem mit alten Fotos der König- lich-Preußischen Meßbildanstalt und ihrer Nachfolger sowie mit Schinkels eigenen Zeichnungen und Entwürfen — der »bedeutendste Vertreter des deutschen Klassizis- mus«, der »mit seinen Bauten wie kein anderer dem Antlitz des damaligen Berlin un- verwechselbare Züge und hauptstädtischen Charakter gegeben« hat. D u r c h den Rückgriff auf D o k u m e n t e nichterhaltener Kunstwerke und die Einbeziehung nicht- realisierter Entwürfe ist auch ein historisch aussagekräftiges W e r k entstanden, dem das Engagement und p r o f u n d e Wissen der Herausgeberin Waltraud Volk zugute kommt.

V o n dem genialen Schaffen Adolph Menzels legt der Wiederabdruck der anläßlich der hundertsten Wiederkehr des Tages der Thronbesteigung verfaßten Biographie Friedrichs des Großen von Franz Kugler ein glänzendes Zeugnis ab8 5. Die enge An- lehnung des damals noch jungen Künstlers an historische Vorlagen, seine Komposi- tion der das Lebenswerk Friedrichs begleitenden Bilder, welche die Auswahl Venohrs bei weitem in den Schatten stellt86, und sein perfekter, Einzelheiten und eine Gesamt- aussage gleich klar herausstellender Stil können nicht genug bewundert werden. Die auch historiographisch nicht uninteressante Darstellung des Kunsthistorikers Kugler, der im Heldentum wie im Alterswerk Friedrichs die Voraussetzung zur geistigen und politischen Wiederaufrichtung Deutschlands sieht, das im Dreißigjährigen Krieg an den Rand des Ruins gedrängt worden war, ist als Rahmen für das W e r k Menzels un- verzichtbar.

Die Persönlichkeit Menzels findet zudem in der Biographie Ilse Klebergers eine ein- fühlsame und ansprechende Würdigung8 7. In Text und Bild kommt auch hier die Be- schäftigung Menzels mit Friedrich dem Großen voll zum Tragen, vor allem wird aber die Vielfalt seiner Interessen und Möglichkeiten sichtbar. Neben D o k u m e n t e staatli- chen Glanzes sind Beobachtungen vom Elend einzelner gestellt, Studien über Bürger stehen neben Zeugnissen von der Arbeitswelt.

Die historische Substanz und Ausstrahlungskraft Potsdams sind eingefangen in einem Bildband des renommierten Fotografen Max Bauerw. Bauers Beobachtungen aus den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts, zusammengestellt von dem Berliner Kunsthi- storiker Martin Gosebruch, zeugen von dem Anblick dieser Stadt, der im 18. Jahr- hundert geprägt wurde und in dem eine einzigartige Landschaft sowie die Funktion als »Schwelle zu Sanssouci« stets präsent blieb. Sie bieten aber auch Einblicke in das romantische, das grüne Potsdam des 19. Jahrhunderts.

Aufmerksamkeit verdient auch das von Klaus J. Lemtner zusammengestellte »Bilder- buch« zum Dreikaiserjahr 1 8 8 8 " . Es stützt sich auf Abbildungen in zeitgenössischen Illustrierten, die nach gezeichneten oder fotografierten Vorlagen in Holzstichtechnik erstellt wurden. Die Teilnahme beim T o d des ersten Kaisers, aber auch am Schicksal Kaiser Friedrichs sowie das engagierte Auftreten Kaiser Wilhelms II. bei seiner Amts- übernahme sind die herausragenden Eindrücke von dieser dichten und vielseitigen Dokumentation.

Ein weiterer Bildband, den deutschen Kaisern insgesamt gewidmet, gewährt man- cherlei historische und kunsthistorische Einblicke in eine elf Jahrhunderte umspan- nende Vergangenheit9 0. Die Texte von Gerhard Jaeckel und Georg J. Kugler bewirken jedoch, daß dieses W e r k nicht ganz das Niveau der hier vorgestellten übrigen kunst- historischen Bände erreicht.

108 Eine kleine kinematographische Vorstellung von Preußenfilmen seit 1929 durch Udo

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