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Heinrich Thorbecke.
Wenn der Unterzeichnete an dieser Stelle das Wort ergreift,
um dem allzu friih verstorbenen Freunde einen kurzen Nachruf zu
widmen, so darf er sich mit Stolz darauf berufen, dass wohl kein
anderer Fachgenosse während beinahe 25 Jahren so eng mit dem
der Wissenschaft nun Entrissenen verbunden war, wie er. Es ist
ein tragisches Geschick, dass Thorbecke, unmittelbar vor dem An¬
tritt der ordentlichen Professur in Heidelberg, die zu bekleiden ihm
eine besondere Freude gewesen sein würde, aus dem Leben scheiden
musste. Um so mehr drängt es uns, hier öffentlich auszusprechen, was die Wissenschaft, vor allem aber auch, was unsere Gesellschaft
und was seine Freunde an ihm verloren haben.
Andreas Heinrich Thorbecke war am 14. März 1837 zu
Meiningen geboren. Im Jahre 1844 siedelten seine Eltern nach
Mannheim über. Da der Vater im Jahre 1846 starb, übergab die
Mutter im Frühjahr 1847 den Knaben der Erziehungsanstalt Salz-
mann's in Schnepfenthal; der Verstorbene hat derselben stets eine
dankbare Erinnerung bewahrt. Schon iu Schnepfenthal, besonders
aber später, von 1851 bis 1854 in Mannheim, wurden die Lehrer
auf die hervorragende philologische Begabung des Knaben auf¬
merksam. Von 1854 bis 1858 studirte Thorbecke in Erlangen,
Göttingen , Berlin , Jena und Heidelberg , somit bei den meisten
Koryphäen jener Zeit, classische Philologie und bestand im November
1858 das philologische Staatsexamen; 1859 erwarb er sich die
Doctorwürde. Nachdem er kurze Zeit eine Hauslehrerstelle ver¬
sehen hatte, begab er sich im Jahre 1859 nach München, wo er
nun endlich unter Joseph Müller's kundiger Leitung das Studium
der orientalischen Sprachen begann , jedoch zunächst noch so , dass
er dieser seiner innersten Neigung nicht alle Zeit widmen konute.
Im Jahre 1864 siedelte er nach Leipzig über; durch sein Wissen
überragte er alle anderen damaligen Schüler Fleischer's und wurde
denselben fortan ein treuer und uneigennütziger Beratber. Schon
damals prägte sich der Charakterzug in ihm aus, dass es ihm bloss
um die Sache, den Fortschritt der Wissenschaft, zu thun war, nicht
4 9
708 Heinrich Thorbecke.
Tim seinen eigenen wissenschaftlichen Buhm. Seine Abschriften
arabischer Codices überliess er neidlos andem; was das Durchsehen und Durchcorrigiren fremder Arbeiten betrifFt, so war Jedermann, der mit solchen Anliegen an ihn ' herantrat , sicher, bei ihm keine
Fehlbitte zu thun. Insofem wäre er der praedestinirte Nachfolger Fleischer's gewesen, dessen Wirken in dieser Hinsicht er uns selbst
vor Kurzem (ZDMG. 42, 698) so beredt geschildert hat. Die Theil¬
nahme an fremden Unternehmungen ist auch theilweise der Gmnd
dafür, dass in der langen Reihe von Jahren, die er als Privatdocent
{von 1868 an) und als ausserordentlicher Professor (von 1873 an)
in Heidelberg zubrachte, verhältnissmässig wenige Arbeiten von ihm
erschienen sind. Auch nahm er sich, i. J. 1885 nach HaUe bemfen,
woselbst er 1887 endUch Ordinarius wurde, der Angelegenheiten
unserer Gesellschaft, in deren engeren Vorstand er eintrat, wie auch des Fleischer'schen Nachlasses mit grossem Eifer an.
Seine hterarischen Arbeiten bewegen sich auf dem Felde der
altarabischen Poesie (Antarah, Leipzig 1867; Die Mufaddalijät.
Erstes Heft, Leipzig 1885), auf welchem Gebiet er unumschränkte
Autorität, colossale Belesenheit und die reichsten Sammlvmgen be¬
sass. Keiner wäre so wie er berufen gewesen, in der schwierigen
Frage nach der Aechtheit dieser Literaturgattung entscheidende
Urtheile zu fällen und das dringende Bedürfniss nach einem Special¬
wörterbuch derselben zu befriedigen. Aber noch ein zweiter Charakter¬
zug hinderte ihn daran: er war sich selbst nie genug; er wollte
bloss VoUkommenes liefem und dehnte daher seine Lectüre immer
weiter aus. Ein zweites von ihm im Anschluss an die Fleischer'sche
Schule angebautes Gebiet war die Erforschung der Geschichte der
arabischen Sprache. Er wusste in geradezu staunenswertber Weise
Bescheid über arabische Vulgärdialekte; was jemand im Occident
darüber sammeln konnte, hat er mit regstem Fleisse in seine um¬
fangreichen lexicalischen und grammaticaUschen Sammlungen ein¬
getragen. Was er an einschlägigen Anmerkungen seinen Ausgaben
der Dun-at al-gawwäs (Leipzig 1871) und des §abbäg (Strassburg
1886) beigefügt hat, sind bloss Fi'agmente aus diesem reichen
Material. Seine grosse Belesenheit zeigte er gelegentlich auch in
Recensionen ; dabei pflegte er stets eine FüUe von Textverbessemngeu
zu liefern. Auch an der Herausgabe des Tabari war er betheiligt
(1881, Secunda Series I, p. 1—295).
Es stimmt uns wehmüthig, denken zu müssen, dass Thorbecke
mit seinen grossen Gaben und seinem reichen Wissen das Beste
erst noch hätte leisten können und geleistet hätte, wenn er länger
gelebt hätte. Ebenso sehr aber wie seine Unterstützung in wissen¬
schaftlicher Hinsicht, werden wir, die wir ihm näher standen, seine
Persönlichkeit vermissen. Ich kann dem nicht besser Ausdruck
geben, als wenn ich auf Thorbecke das Wort des arabischen Dichters
auwende, welches Rückert Hamasa No. 391 so meisterlich wieder¬
gegeben hat:
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Heinrich Thorbecke. 709
„Wie manch traute Freunde, deren keinem die Heimlichkeit
Des andem ich sehen liess, und ich selbst bin ihr aller Band.
Ein Thalwinkel meines Herzens liegt jedem eingeräumt.
Ein Ort des Vertrauens, zu dem den Zugang kein andrer fand.
Sie wohnen getrennt im Land, indess ihre Heimlichkeit Vertraut ist dem sichem Fels, den sprengt keine Menschenhand".
Neben seiner Uneigennützigkeit war ja eben seine absolute
Zuverlässigkeit ein hervorstechender Charakterzug. Auch im gesell¬
schaftlichen Leben spielte er in unserem Freundes- wie in grösseren
akademischen Kreisen eine grosse EoUe ; er gab, wo er auch immer
war, den Ton an. Uebrigens war er auch deswegen ein vortreff¬
licher Gesellschafter, weil er eine ausgedehnte allgemeine Bildung
und namentlich auch viel Interesse für Kunst besass. Seinem
beissenden Spotte verfiel freihch alles Halbe, Hohle, Gemachte rmd
Uebertriebene ; in dieser Beziehung konnte er derbe Wahrheiten
sagen.
Seine Gesundheit schien ausserordentlich fest zn sein; da warf
ihn, während er in den Neujahrsferien in Mannheim war, ein Typhus
aufs Krankenlager; nach wenigen Tagen machte, am 3. Januar 1890,
ein Herzschlag seinem Leben unerwartet ein Ende. Mögen diese
wenigen Zeilen genügen, um das Andenken an ihn als hervorragenden Gelehrten sowie als treuen und aufrichtigen Freund auch in weiteren Kreisen lebendig zu erhalten.
Tübingen, Januar 1890.
A. Socin.
710
Namenregister
Bacher 206. 613
Bang 525 674
Barth 177
Bartholomae 664
Böhtlingk . 53. 596. 598. 604. 607
Bühler 128. 273
'Bühler 348
»Cardahi 675
Geiger 579
*Glsmondi 675
Glaser 662
Gottheil . 121
Grierson 468
Grünbaum 1
Guidi 388
•de Harlez 705
Himly 415. 555
Hommel 653
Hom 30. 609
Houtsma 69
HUbschmann 308
Jacob 353
Jacobi 464
Jensen 192
Achaemeniden-Inschriften , Bei¬
träge zur Erklärung der . . 525 Achaemeniden, Zur Religion des 674 Aethiopisehen , Hamitische Be¬
standtheile im 317
•Alberuni's India 329
Alttürkisches Gedicht, Ein . . 69 (Arabischen, Dehnung von aus¬
lautendem a, i, u im . . .616)
Arisches 664
Kampbausen 335
•Kautzsch 335
•Kessler 535
Konow . _ 297
Kuhn 618
•Lavoix 682
Leumann 348
Meyer 550
Nestle 704
Nöldeke 535. 675
•Nöldeke 550
Praetorius 317. 616
Rehatsek 673
Roth 590
•Sachau 329
Schils 705
Socin 707
•Socin 335
Sprenger 329
•Sprenger, G 704
V. Stackelberg 671
Stickel 682
Völlers 99. 313
Zubaty 619
Asoka-Inschriften . . . 128. 273 Assyrischen , Zu den Nominal-
suSixen m (-a, -i, -u) und n
(-a, -i, -u) im 192
Balücische Texte mit Ueber¬
setznng 579
Bihärl Language, Selected Spe¬
cimens of 468
Elija Levita's wissenschaftlicho
Leistungen 206
Sachregister.
1) • bezeichnet die Verfasser und Titel der besproebenen Werke.