669
Bibelkritisches von Dr. Zanz.
I.
Deateronoinium.
Iu Bezug auf seiuen Inhalt zerfällt das Deuteronomium in drei
Abschnitte: Der erste, zwei ermahnende Vorträge, reicht bis Ende
des eilften Kapitels; der zweite, die gesetzlichen Vorschriften ent¬
haltend, schliesst in dem Haupttbeile mit Kap. 26, nebst dem An¬
hang mit Kap. 28; die sechs Schlusskapitel , Moses letzte Reden
und Tod, bilden den dritten Ahscbuitt. Den Zusammenhang unter¬
brechende Einschaltungen in dem ersten Abschnitte sind Kap. 2,
JO bis 12 und 20 bis 23; Kap. 3, 9 bis 11 und 14; die .Androhung
Kap. 4, 25 bis 31; die Asylorte Kap. 4, 41 bis 43. Den Schluss
des ersten Vortrages bilden sechs Verse (4, 44 bis 49). In dem
mit Kap. 5 eröffnenden zweiten Vortrage wird bis auf eine Ein¬
schaltung (10, 6 bis 9) der Zusammenhang nicht weiter unter¬
brochen. In dem dritten Abschnitte gewahrt man sieben Theile:
1) Kap. 29 und 30, beginnt rrca Nlp''T, 2) Kap. 31, 1 bis 13
anfangend nt-a n'n, 3) iap. 31, 14 bis 30: nwa bs n iMN-'i,
4) der Gesang ii-TNn Kap. 32, 1 bis 43 nebst vier Schlussversen
(44 bis 47), 5) Kap. 32, 48 bis 52 beginnend nda bN n "laT^i,
6) der Segen Kap. 33, 7) Schluss: Kap. 34 nan byn.
Was den zweiten, den eigentlich gesetzlichen, Abschnitt be¬
trifft, welchem jenes Buch seinen Namen verdankt, so stösst mau
gleich zu Anfang, in der Verordnung über den Fleischgenuss, auf
eine dreifache Rezension: die erste (Kap. 12 Verse 5, 6, 7, 11 12)
verordnet, dass sowohl Opfer und Zehnten als fit'iwillige Gaben
an dem Orte des Heiligthums verzehrt werden sollen; diess wird
V. 17 und 18 wiederholt. Die zweite lehrt in V. 13 bis 16, dass
nur die Opfer an heiliger Stätte, sonst aber nach Belieben an jedem
Orte Fleisch verzehrt werden könne, der Reine mit dem Unreinen,
nur das Blut solle man nicht geniessen. Dasselbe schreibt die
dritte (V. 20 bis 27) vor, so dass der Inhalt vou V. 5 bis 27 in
drei Versen hätte können gesagt sein; schwerlich hat ein und der-
670 i^unz , Bibellcritisches,
selbe Verfasser zwanzig überflüssige Verse geschrieben. Sogar ist
in Kap. 15, 19 bis 23 dasselbe für erstgeborenes Vieh und •^ass
sammt dem Blutverbote dreimal wiederholt.
"Was die Abweichungen von sonstigen pentateuchischen Gesetzen anbelangt, so weiss das deuteronomische Erlassjahr ("Kap. 15) nur von Schulden-, nichts von Ernte-Verzichtzura Passahfeste (Kap. 16,2)
braucht nicht grade Schaf oder Ziege , wie Exodus und die Chronik
vorschreiben, genommen zu werden, ein Rind genügt. Auch der
Genuss des Nothbrotes, d. i. der an die Eile des Auszugs erinnern¬
den ungesäuerten Kuchen, erscheint Kap. 16, 3 natürlich und ein¬
fach, von Kap. 12 des Exodus verschieden. Die zum Theil gleich¬
lautenden älteren Stücke in Exodus Kap. 23, 12 fF. und Kap. 34, 11 flF.
haben auch im Deuteronomium ihren Widerhall. Man vergleiche :
Exod. 23, 17 und 34, 23 mit Deut. 16, 16.
9^ 11 7 1
»1 11 ^ ^ ?i 11 11 11 ' 1 ^ *
„ „ 32, 33 „ 12 „ „ ,, 2.
11 11 24 ,, 13 ,, „ ,, 5.
,1 16 „ ,1 11 3 und 4.
Von vier Thiereu deren Fleisch zu essen untersagt wird soll
man die todten Körper nicht berüliren (Kap. 14, 7. 8); von den
Berührungs-Vorschriften der Bücher Leviticus und Numeri liest
man nichts. Die Priester, «im Leviticus Söhne Aaron's genannt,
heissen stets Söhne Levi; '^t C'N bedeutet ein Fremder, nicht wie
sonst im Pentateuch ein Nichtpriester. Das Zeitwort Nistp hat in
beiden Stellen (Kap. 21, 23. 24, 4), an welchen es vorkommt, eine
uneigentliche Bedeutung; gleich selten ist dip gebraucht. Das
soust im Pentateuche übliche ~:rB|b yina ist hier nur für Krieges¬
lager geltend. Die kurzen Vorschriften über unvorsetzlichen Todt¬
schlag (Kap. 19) erscheinen älter als die gleichen in Numeri und
Josua, und das Königsgesetz (Kap. 17) muss älter als das Exil
seyn. Todesstrafe auf Sabbatarbeit kennt dieses Buch so wenig
als Ezechiel. Auch spricht dieser Abschnitt nicht von einem Ver¬
gehen Mose's , um dessenwillen cr nicht den Jordan überschreiten
werde: vielmehr sagt Moses viermal, dass an dem göttlichen Un¬
willen allein das Volk die Schuld trage. Erst Kap. 32, 51 spricht,
ähnlich Numeri 20,12. 24 und 27,14, von -'S ör'-Ji; und •'rrit* Dnffl'i;:
Bei etwas aufmerksamer Lesung fällt, namentlich im ersten
und dritlen .\bschnitte, in den .\usdrücken eine Verwandtschaft mit
dem Propheten Jeremia ') auf. Es gleichen sich:
Deuter. Jerem.
1, 28 n-nsa- nbns 33, 3 n-.xm mbu
3, 21 PN-in 42, 2 rnxn -y-z-^v
4, 10 cn'^n bz TN ns-i'b 32, 39 n-72Ti bs ■'m« riN-i-'b
ll Vgl. Bullion Genesis S. 1(!7. Ocsonius Gescliiehte etc. S. 32, de Wette Eiiilcitniit;- S. 206.
Zimz , BibelkriUsohes. 671 Deuter.
4, 20 bnan -11372 DDnis N3£n
D-i-isa?:
4, 26 orrr dd3 ■'m^y!i=8, 19.
30, 19.
4, 29 nNj£72i — n PN — nnirpai
."|aab bsa iramn -'S
4, 34 Vou ninsa bis Dtbia
5, 1 ian -ids — yjaia
DS-iaTNa 5, 23 D"n D^nbN
5, 26 CMb 3U11 lynb
8, 19 Qi-inN D-'MbN ^nnN nDbm
.onb rr'inniBm omasi
9, 1 s. 1, 28.
0,16 uud 23 Nbi — 'nb nrN^n
ibpa nny73-£
9, 19 TI^J-'
10, 11 ^yad: tün ynN- nN
.anb nnb nnaNb
10, 16 asaab nbiy
11, 28 D-'-lHN C-inbN ■'IHN nDbb
.Dnyn^ Nb idN
Jerem.
11, 4 D1-15SU y-lN72 DniN •'N-'Sin br^an 11573
42, 19 Drn naa ■'nT<yn
29, 13 "-a DnNS72i ■'nN onispai .naaab baa liiann
32, 21 Von ninNa bis bina
28, 7 ian ia:N tön — yiz^
'i''3TNa
10, 10 und 23, 36.
7, 23 aab a^''^ i^ynh
25, 6 a-'nbN ■'IHN labn bNi
.onb ninndnbi mayb B-i-inN
40, 3.
22, 25 uud 39 17 Bn-rca mji
32, 22 TOJN nNin i'iNn nN
.nnb nnb amaNb nyaiä:
9, 25 ab •'biy bNib-' n-'a 7, 9 "jbm u. s. w.
12, 2 ]:yi yy ba nnm
12, 10 aanN b-rD?:
12, 11 nd md "pdb
12, 31 nnin:a nNi nn-':a nN
.dNa iD'^d-'
13, 6 'n by n-io ^an
13, 14 s. 11, 28.
13, 17 abiy bn nn-ni
13, iH -i5:mi nmni -b -jnai
15,12 die Entlassung des hebr.äi- schen Knechtes im siebenten Jahre 16, 6 s. 12, 11.
18, 20 -idN PN mda 13-; -lanb
.laib rn-iia Nb
19, 10 aipa •'p: m icdi wsbi
.-;i:iN
26, 8. 9 :worin mn Cipnn;
26, 19 niNcnbi a'jsbi nbnnb
2, 20. 3, 6. U.
3, 18 CD'maN nN ^nbnrn
7, 12 ad md ^n:ad
7, 31 nNI an-i.-a pn r^idb
.dNa an-inra
28, 16 'n bN niai nio
r28,
129, 32 'n by iai nie
49, 2 bnb nn^m
42, 12 ami ai72m aab -pni
'3-1, aapN
9 — 14.
29, 23 ipa Nivja iai i-iai-'i
.a'p-'ii: Nb -aN
7, 6. 22, 3 ^a^an bN -p: an
.mn aipna
32, 21. 22 (wo nNTr yiNn).
13, 11 u. 33, 9 geht aab voran.
672 Zunz , ßibelhri tisches.
Deuter.
28, 21 'jmN imba iv
28, 25 mabjM bab nwrb n-'-'m
yiNü
28, 26 ^nba: nn-'m n. ^_
28, 36 'j-'naNi finN ny'T' «b i\bn
.n-'m« oinbü» öia mayi
28, 37 M5-'3iäbi biijnb
28, 49 -iTTNa — pniM ■'ia --'by
ywian sb list* -iia iia:!! tiNi-' .uiab
28, 52 naa rtn« nfflN miitani .ina
28, 53. 55. 57 piSMai nStMa
.^a^-N ^b p-'it^' iiäN
28, 53 -j^-niai 'j'^ia iiaa — nbsNi
28, 60 tmiDU nia^ iibn
28, 61 naa bai ■'bn ba
28, 64 cmyn baa 'n 'jit-'Em
Tä« u. 8. w. s. 28, 36.
29,18 nii'^liäa -'S ■'b ir^m tiVä -jb« ■'ab
29, 22 — niByi CIO racw»
.'n '^on ifflN
29, 23 yiNb iias 'n n-iy nn by
.nsTr
29, 24. 25 lab-'i etc. laty -iiä« by etc. iiay-'i
29, 26 ba n« n-iby «■-anb
.nrn neoa naman
29, 27 onn-;« byn 'n aiän-'i
bna ri^pai nnnai tjNa
30, 1 -ttiB -j-nbs 'n "^n^-in i-i-x
30, 3 aiäi u. s. w.
Jerem.
9, 15. 49, 37 cniN "Tiba ly 15, 4. 29, 18. 24, 9 (auch nyib)
beginneu ömnii ; 34, 17"<nn5i .öan«
7, 33. 16, 4. 19, 7 mrsi
16, 13 DnN Dnyi-' sb liat*
ü-'nbt* nN Diä dniayi öa'-naN-i .D-'IHN
9, 15 DniaNi nnn lyn-' Nb -iibn
24, 9 n2-i;iBb b'cnbi
5, 15 Nb -lia — pninn ^ia oa'-by .lai-i nn yniän Nbi liisb yir 48, 40 nNI-' iiBia
49, 22 nNi-ii nby-i iiasa
5, 17 naa nnN iiäN ■y'iltan
.njna
19, 9 ip-'S'- ifflN pijsnai iiitna .on-'a-'N Dnb
naa nN D'-nbaNm
.ornnDa i«a nNi cn-ira
22, 25 lia-» nnN iiaN 39, 17 cmisn
6, 7 nam -'bn
9, 15 D-'iaa ö-'ma-'Em
23, 17 -[bn bai dab n-'n-' mbia
lab mi-iiiaa
13, 10 dab nmiaa cabnn
11, 8 tab nii'iiaa la-'N lab-'i
50, 40 dio nN d-'nbN raonna
.niny nNi
20, 16 'n -En 1-äN ü-'iya
22, 8 T'yb naa 'n niay nn by
.nNtn nbnan
16, 11. 22, 9. 13, 10. 44, 3.
25, 13 N-'nn yiNn by -'nNam
.mn lEoa aman ba nN
12, 14 drniN byn OiBn: '::n
,21, 5.
■\32, 37 bna tjipai -nnnai -ENa
Vgl. 8, 3. 16, 15. 23,3.8. 24, 9.
27,10. 29,14.18. 32,37. 46,28.
29, 14 -na-ii H. s. w.
30, 3
Zunz, Bihelkritischen. 673 Deuter.
30, 5 '[inSN IWT' IlBt» yiNü .'niOT'T
30, 15 D'^mn ns DT'!T]"'5Db Tinj
.3>in nNT mm nNi aiuü pni
30, 19 s. 30, 15.
30, 20 s. 10, 11.
31, 13 s. 4, 10.
31, 20 nat maNb myaräi iibn
warn abn
31, 29 nan" ntena icranb
32, 21 orfbana ■'Sioya
32, 22 ipim ^cNa nmp tbn •'a
32, 35 DT-N Dil ai-ip ^3
32, 37. 38 laipi — wnbN -iN
.DalTSil
Jerem.
30, 3 inns ITBN yiNn b«
.nuBi-ii DnaNb
21, 8 Tin nN da^rcb in: "«ssn . man -jm nNi D"'''n!-
11, 5 DamiaNb ■'nsaiBJ ixätx
«an abn nai
25, 6. 7. 32, 30. 44, 8.
8, 19 ibana nibDca •'Siosan
.135
15, 14 Daiby iBNa nmp cn -la
.ipin
17, 4 iy "iBNa Drmp ibn "'S .Ipin Dbiy
46, 21 Na Dl-'N Dil ia
2, 28 DN laip-i — i-inbN n-iNi
.■^lyov
Die 66 deuteronomischen Stellen, welche in 86 Jeremianischen
widerhallen, erstrecken sich in der That über den ganzen Jeremia.
Werden eilf prosaische Kapitel (26. 27. 35 bis 41. 43. 45. 52)
und drei (Kap. 10. 14. 31), die nicht von Jeremia sind, von jeder
Vergleichung ausgeschlossen, so bleiben diesem Buche nur vier
(Kap. 1. 4. 18. 47), in denen Parallelen mit dem Deuteronomium
vermisst werden. Neben diesen Uebereinstimmungen zieht durch
den Grnnd der beiden Bücher eine verschiedene Strömung: Die
in Jeremia vorherrschende Seelenstimmung, prophetischer Schmerz
und Zorn ja Verzweiflung, passen nicht zu der Ruhe und dem Ver¬
trauen des Deuteronomiums. Ebenso verschieden ist in beiden der
bürgerliche Zustand: dort Ordnung hier Zerrüttung. In dem
Deuteronomium ist Israel ein freigewordener Knecht (6 Stellen),
ein heiliges Volk (7 Stellen) , das in Gottes Wegen wandeln soll
(7 Stellen); es soll, vor Vergessen gewarnt (9 Stellen), lernen
(17 St.) und beobachten (17 St.). das Böse ausrotten (9 St.), sich
vor Götzendienst hüten (18 St.), dem Bunde Treue bewahren
(27 St.), Waise und Fremde nicht verlassen (11 St.) und an Fest¬
tagen sich freuen (9 St.). Die Tempelstätte kommt 21, die Ver-
sicheruug an die Väter 28, die Gesetze 29, „deine Thore" 30,
„was ich dir befehle" 36, „was Gott dir giebt" 36, „deine" oder
„eure Väter" 45, und i5"inbN n nebst DD-'nbN ri 68 mal vor. Das
Herz heisst beständig aab und zwar 47 mal; nur zwei Stellen in
Kap. 28 und 29 haben ab: Das gerade Gegentheil findet in Jere¬
mia, Ezechiel, Exodus statt, nämlich:
674 Zunz, Büielkritisches.
aab ab
Jeremia 8 43mal
Ezechiel 5 35 -
Exodus 1 44 -
Das Verhältniss des Deuteronomiums zu dieseu drei Büchern
in Bezug anf aab ist demnach wie 205 zu 1. Ausserdem trifft
man CT- vom Besitze Palästina's 60, "ian üher 80, 'i'-übN 'n 232mal.
Solche Erscheinungen sind nichts zufälliges; in Bezug auf
Alter und geschichtliche Stellung muss zwischen diesem Buche und
jenen ein Unterschied auch in der Zeit, der sie angehören, statt¬
haben. Die im Deuteronomium öfter vorkommenden Ausdrücke und
stehenden Redensarten, deren Zahl mehr als achtzig beträgt, ver¬
leihen dem Buche, abgesehen von den späteren Zusätzen, einen ein¬
heitlichen Charakter. Auf Geschichte, wissenschaftlich betrachtet, kanu
indess weder der erste noch der letzte Abschnitt Anspruch machen :
Die Stelle 4, 33 verglichen mit 5, 21. 23 zeigt, dass der Redner seinen
Zuhörern dasjenige verkündet, was diese ihm gesagt haben. Die
Kapitel 27 (worin Moses dreimal auftritt) und 28 (Segen und
Fluch) erscheinen als die Arbeit späterer Redaetion ; die Drohungen 28, 64 und 4, 27. 28 sind offenbar von einander abhängig. Vollends ist der dritte Abschnitt der jüngere Theil : dort findet man -15m brr'N
(31, 14), rinn? piN (31, 25. 26), obschon Jeremia 3, 16 die Ab¬
schaffung dieses Ausdruckes verkündet. Eiuzelne Stellen weisen
auf den ersten Abschnitt unmittelbar hin, als: 29, 1 auf 7, 18;
29, 2 auf 7, 19; 29, 4 auf 8, 4; 29, 6 und 7 auf 2, 32. 3, 1.
12, 13; 30, 1 und 2 auf 4, 30; 30, 15 auf 11, 26: 30, 18 und
19 auf 4, 26; Kap. 31, 6 und 8 haben tjEV N'b wie Kap. 4, 31;
Kap. 31, 29 tivz^'r n^lnsa nanN nNipi 'ist ein Widerhall von
4, 30 nm-in ri-insa "jinsmi.
Der Verfasser der strafenden und tröstenden Ode ir-iTN" in
Kap. 32, die hier und da an Jeremianische Reden erinnert, gehört
nach Inhalt uud Ausdrucksweise der Exilepoche an: das dort zwei¬
mal vorkommende -'bx ist stehende Bezeichnung des höchsten Wesens
in Hiob, welches nur fünfmal DTtbt* schreibt, und kommt zuerst
in Habakuk uud dem jüngern Jesaia vor. Nur jener Epoche ge¬
hören die Schilderungen iu V. 21. 25. 29, die Hoffnung der Rache
für vergossenes Blut (V. 35. 41. 43), das siebenfache 111: (Gott)
— ähnlich dem ia ron in dem späten Psalm 18 —, die
Ausdrücke aiTri l^sy, C"-! ai7:n, der in Ps. 135, 14 wiederholte Vers 36 zn:n^ "iiay by- rzy n ■j-T' •'a.
Die ersten beiden Abschnitte, insonderheit der gesetzliche
In dc Wette's Einleitung S. 205 iverden deren etwa achtzehn an¬
gegeben.
Zimz , Dibellcritisches. 675
Theil, sind jedenfalls älter als die Regierungszeit Jojakims ; sie und
vermuthlich auch die Androhungen des 28. Kapitels bildeten den
Inhalt des im Jahre 622 gefundenen Bundesbuches (2 Kön. 23, 2),
da jenes Kapitel V. 69 alles vorangehende rrinan ■''^ai betitelt.
Entscheidende Beweise für das höhere Alter dieses Theiles des
Deuteronomiums sind sechzig in den vorangehenden drei pentateu¬
chischen Bücheru übliche Ausdrücke, meist von hervorragender
Wichtigkeit, die hier vergebens gesucht werden. Zur Zeit des Ver¬
fassers dieses grössern Theils hat es in dem jüdischen Staate nicht
gegeben: ein AUerbeiligstes ü'^dlp dip (Ezechiel Kap. 41 und iT.
1. Köuige 8, 6), einen Hohenpriester (n-'rän inan, bnan pan),
einen Versöhnungstag (O'^nca Dr), Hüttenwohnen und achten Fest¬
tag (n-'iry) an dem Herbstfeste, ein Posaunenfest (ns'iin or), die
Jobelperiode (bar) und eine mit "ösrn nmaa bezeichnete Aus¬
rottungsstrafe, in der Mischna unter der Benennung nia bekannt.
In der Genesis kennt diese Strafe nur das Kapitel über Beschneidung,
welches noch audere Merkmale der Jugend zeigt, während dieselbe
in Exodus, Leviticus und Numeri herrschend ist. Ezechiels vniam
•'12V "|in72 (14, 8) ist unter den Propheten vielleicht die älteste
Stelle. Unbekannt sind dem Deuteronomium die Wörter nina,
■jinN ';a Priester, nnm mmb, ynad, dip N-p?;, r\i2^^ m?:, n-iN^v;;
gleicherweise fehlen für ewige Zeiten geltende Satzungen : obny niia
nebst cminb oder oamimb, in der Genesis nur bei dem Be-
schneidungsgebot , siud nebst dbU' pn oder Dbi3' npn nur in den
folgenden drei pentateuchischen Büchern bei Einrichtungen zu
finden, die mit Priesterthum, Opferwesen uud Festfeier zusammen¬
hangen. Ebenso vermisst man das in denselben Büchern so häufige
m:; oder 'n niy. Auch fehlt niinn und das in Leviticus, Numeri
und Ezechiel (4, 4 bis ß. 14, 10'.'l8, 19. 20. 44, 12) häufige
iNia- o:iy; verschiedene Opfer-Specialitätcn, wie niarN, biba, piT,
nnm, ";o;, imn, nnm, nn)2iin, ') cas und nt<^n ^) sind eben
so unbekannt als die Ausdrücke ydc, naad, neiu und das neun¬
mal im Leviticus vorkommende y;:d (einmal im Ezechiel, einmal
im letzten Kapitel des Jesaia). Nirgend wird in unserm Buche
von dem Sühne schaffenden Priester (pan loa^), von jüdischen
Wohnsitzen '"aa-madm^, , von einem Engel, von Kleiderreinigung
des Unreinen gesprochen ; unbekannt ist der Aufstand Korah's ; als
Vorzug oder Belohnung kommen liSJib, nn-: n-il und a^52n nicht
vor, eben so wenig die Wörter nnx, dip72, pdn, jc-id:. Sogar
Dinli ii:n und n naa werden vermisst: letzteres haben Exodus,
Leviticus uud Numeri, der jüngere Jesaia vier- und Habakuk ein¬
mal; im Ezechiel wird es, mit D-inb« naa abwechselnd, fünfzehn
mal angetroffen.
1) Dai"* nMIln 'Deut. 12. 11. 16) h.it eine von der levitischen Terumma verschiedene Bedeutung.
2) 2 Küll. 11, 17 Ijediciil sich dieser Beiiennniigen schon für das J. 857.
676 Znnz, Bibelkritüches.
Die Bücher der Könige, die jünger als das Jahr 561 sind,
führen (II, 14, 6) Deuter. 24, 16 mit den Worten an: iDOa amas
nian mn und bedienen sich (II, 23, 25) des Verses Deut. 6, 5
mit dem Zusätze nnin nnn baa. Auch folgende Stellen erweisen
deren Kenntniss von diesem Buche:
Kön. Deuter.
I. 4, 13 Jair und Argob 3, 4. 14.
8, 23. 60 nur 'n ist Gott 4, 39.
— 40 omin ba etc. 12, 1.
— 58 nabb etc. 10, 12. 13 und 30, 16.'
9, 8. 9 nujy nn b» etc. 29, 23 bis 25.
9, 6 Bniayi etc. 11, 16.
II. 14, 26 DBNI etc. 32, 36.
21, 6 Götzendienst, Zauberei 18, 10. 11.
u. s. w.
24, 4: nbob- 'n na« «b-i 29, 19 nb nbD 'n naN-i «b
Kap. 16, 7 in 1. Kön. und Kap. 22, 17 in 2. Kön. erinnert das
nicsna o-isanb zugleich auch an Jeremia (s. oben S. 673).
Das älteste Stück in dem Deuteronomium ist wohl der Segen
Moses, mit welchem das Buch schliesst, vermnthlich älter als Jesaia,
und gehört demnach zu den Stücken und Fragmenten aus älteren
Schriften und Dichtungen, deren mehrere im Pentateucb sich he¬
tinden.
II.
Ezechiel.
Bei allen Culturvölkern liegt zwischen dem mythischen und
dem geschichtlichen Zeitalter eines, welches dem Heidenthume, der
Prophetie und dem Gesänge angehört und für seine Kreise das
Mittelalter bildet: Heldenlieder werden aus dunklen Sagen und
mythischen Vorstellungen gegründet und Sänger sammt Propheten,
denen es mehr um augenblickliche Wirkung als um geschichtliche
Wahrheit zu thun ist, sorgen im Verein mit Fürsten und Priestern
für Recht und Gesetz. Erst wenn Bildung und Kenntnisse all¬
gemeiner geworden, werden jene von den Schriftstelleru, von Denkern und Geschiehtschreibern abgelöst. So liefert denn, uach den Wundern
ans dem ersten und den Heldensagen aus dem zweiten Zeitalter,
erst das dritte historisches Wissen, — womit freilich nicht gemeint
ist^ dass es im zweiten keine Prosa und im dritten keine Dicht¬
kunst gegeben habe. In der Israelitischen Geschichte reicht
dieses zweite Zeitalter etwa von der Davidischen Zeit bis nicht
lange vor der Reformation unter Josia; erst dem dritten Zeitalter
gehört der Prophet Ezechiel an.
Schon eine flüchtige Lesung dieses Propheten findet seinen
Inhalt in zwei Theile getheilt, einen strafenden und einen tröstenden
Theil. Der erstere, achtzehn Kapitel (4 bis 9, 12, 13, 15 bis 17,
Zunz, BibeUcritischeg. 677
19, 21 bis 24) umfassend, ist — 9 Verse aus Kap. 2 und 3 hin¬
zugezählt — 413 Verse stark und enthält die Straf-Androhung
wegen des Sittenverderbnisses. Der 29 Kapitel (10, 11, 14, 18,
20, 25 bis 48) starke zweite Theil ertheilt Lehren, tröstet Israel,
drohet den Feinden und beschreibt Tempelbau und Gesetz, alles in
860 Versen, so dass die Tröstung das doppelte der Strafreden be¬
trägt; die Einleitung des Ganzen giebt die Vision der ersten drei
Kapitel.
Den ersten Theil durchzieht der Schmerz über die Leiden,
die Schuld der käuflichen Propheten, Gottes Gerechtigkeit gegen die
Tugendhaften , hie und da ist die Strafrede von lindernden Worten
gemildert. Kap. 24, 26 wird der Flüchtling angekündigt, welcher
in Kap. 33, 21 die Nachricht von der Eroberung Jerusalems über¬
bringt. Zwischen beiden Zeitmomenten wird die Vergeltung an den
schadenfrohen Feinden geschildert. Der Ankunft des Flüchtlings
voraus wird (33, 1 bis 20) die göttliche Liebe und Gerechtigkeit,
nach derselben (V. 24 bis 33) auf Kap. 2, 5 hinweisend, die Er¬
füllung der Strafen und des Propheten Rechtfertigung ausgesprochen.
Kap. 36 bildet das Gegenstück zu Kap. 6: in beiden Anreden an
die Berge in Israel, dort Strafe, hier Tröstung. Der Spott, welcher
in Kap. 23 als die gebührende Strafe Jerusalems erscheint, wird
in diesem Kapitel den Feinden als Verbrechen vorgehalten. Alles
Folgende, die Niederlage der Scythen und die Wiederherstellung
des Tempels und der Besitzergreifung Palästina's ist Hoffnung er¬
weckender Vortrag: Jerusalem, früher die Blutstadt, heisst fortan
„Gott ist dort".
Aber alle diese poetischen Kapitel malen nur den Sittenstand
vergangener Zeiten ; wenn der Vortrag schlicht ist hat der Prophet
es mit den Lebenden zu thun. Daher seine Rede nicht den
schmerzlichen Eindruck macht, wie die Entrüstung von Hosea, Amos,
Jesaia, wie die Klage Jeremia's. Bewusst seiner Dichtung (Kap. 17, 2.
18, 2. 21, 5. 24, 3) weiss der Prophet hinter Kap. 33 oder in der
neuen Gesetzgebung nichts von seinem Schmerzgefühl über die Ver¬
sunkenheit; er nennt sogar die Reden gegen Tyrus und Aegypten
Klagen; die Beschreibungen von Tyrus Handel und der Niederlage
der Scythen entbehren jedes Interesses für die Zwecke der Prophetie.
Die Darstellung der Schuld vergangener Zeit sammt der Aufforde-
ruug in der trostreichen Gegenwart besser zu seiu als die den
Verfall verschuldenden Vorfahren machen den Eiudruck einer
schriftstellerischen Composition, die auch im Ganzen nicht sehr er¬
wärmt; nur der einfache herzliche Trost rührt auch die späten
Nachkommen.
Auf das spätere Zeitalter des Buches Ezechiel ist bereits vor
mehr als vierzig Jahren aufmerksam geraacht worden *); es wurde
erinnert, dass dasselbe fast im Widerspruche mit Jeremia Kap. 34,
1) Zuna gottesdienstliche Vorträge (1832) S. 157—162.
678 Zunz , Bilelkritisches.
im zwölften Kapitel (V. 12 und 13) die Blendung des Königs Zedekia
verkündet. Das 17. Kap. (V. 22 bis 24) scheint selbst Serubabel zu
bezeichnen, und das 34. Kapitel ist jünger als Jeremia 23, 1 bis 8
(der neue Hirt für die wieder gesammelte Heerde), was selber nach
der Zeit Jeremia's geschrieben ist. Die in dem Buche angegebenen
Jahre uud Epochen gehören mithin der Dichtung an: Der Dichter
hat viel später gelebt, üm das Jahr 570 konnte es keinem Pro¬
pheten in den Sinn kommen, eine geographische Vertheilung der
Stämme auf Palästina's Boden, ein Gesetzbuch für ein selbständiges
jüdisches Gemeinwesen, einen ausführlichen Bauplan für den neuen
Tempel zu entwerfen. Zwischeu Nebukadnezar und Esra, also
innerhalb 150 Jahren, weiss Niemand weder vou Ezechiel noch von
seinem Tempel; sein Name ist selbst dem Chronisten unbekannt.
Dahingegen spricht unser Ezechiel vom Garten Eden und von drei
poetischen Personen, Noa, Daniel, Hiob, welche erst iu dem per¬
sischen Zeitalter den Juden bekannt gewordeu und die der Prophet
als Muster aufstellt, obwohl keiner von ihnen ein Jude gewesen:
den Daniel hat erst eine viel spätere Zeit dazu gemacht. Persien
kommt vor Darius Zeitalter in den hebräischen Schriften nicht vor,
selbst nicht im zwölften Kapitel Jesaia, welches zur Zeit der Ein¬
nahme von Babylon geschrieben ist; allein Ezechiel kennt nicht
nur Persien sondern auch deu am persischen Hof beliebten Wein
aus Chalybou (27, 18). Die Schilderung Kap. 22, 25 u. s. w.
erinnert an Zephania 3, 3. 4 und eiu Theil von Kap. 7, 19 ist,
wörtlich in Zephania 1, 18. Kap. 8, 17 erwähnt den Barsom der
Perser *); ja der Untergang von Tyrus, ähnlich mit Zacharia, könnte
verleiten, den Autor in Alexanders Zeit zu versetzen. Die er¬
öffnende Vision verräth einen Verfasser, der Assyrische und Baby¬
lonische Prachtbauten gesehen; die Tempelquelle hat Ezechiel nur
mit Zacharia uud Joel, auii nas' (35, 7) und die Vereinigung von
Joseph und Juda (Kap. 37) nur mit Zacharia gemeiu. sn heisst
bei ihm]|das Hütteufest, wie stehend in der Mischna.
Während nJ'ir 41, any-ii-i 25, sieben andere Formationen
des y-\-< „offenbar werden" 15, bxit^ nn-iN 16, u^zm 39, nayin 42, -i73i<b lbä* ri ian 48, dn: ^) 84, n •'nx ij^n na ^) I17mal vorkommt ist mNaü ri, welches die erste Hälfte Jesaia 56, Jeremia 80, Haggai,
Zacharia" und Maleachi zusammen 92 mal haben, unbekannt, was
bereits J.alkut Cantic. § 987 bemerkt, gerade wie iu dem Pentateucb
und im Hiob, wahrscheinlich gemäss einer auch deu Parsismus ab¬
weisenden strengen Eiuheil sichre.
Nirgend begegnet man an« „lieben" im edlern Sinne, nur
einmal (39,25) TiJin-n; gänzlich vermisst werdeu -rTON non T^an
1) Vatke .lie Ueligion des alten Testam. Hd. 1 (1835) S. :S,S.S.
2) 174 mal in .Jcreniia , jedocli niclit in 13 Knpifoln. nämlicli Kajip. 10.
11. 14. 20. 24. 26. .Jü. 37. Ü. 40. 41. 43. 47.
31 Jeremin liat 1:')() mal ri "'^aN na.
Zanz , Bibelkritisches. 679
Ti-' nyiai oi;a aniä^?: miJ7: nny -bbp -brin nbsn. Üer Engel
D-'ian diab und das steheude BIN "p siud nur noch in Daniel.
rt>V2 Vorbild, wie der Prophet (12, 6. 11. 24, 24. 27) sich neunt,
erinnert an Zacharias (3, 8) und Ps. 71, 7, gleichwie das Aufhören
der Visionen (12, 21) an deu 74. Psalm uud die Klagelieder (2, 9).
Er kennt als Oberhaupt nicht einen König sondern den N^d: und
scheidet sorgfältig die Priesterschaft, Zadok's Nachkommen, vou
den Leviten; nur den Priestern wird der Genuss von todten uud
zerrissenen Thieren untersagt. Den Neujahrstag nennt er (40, 1)
deu zehnten des Monats; demnach war damals der zehnte Tischri,
das spätere Sühnfest an welchem das Jobeljahr verkündet wurde
(Levit. 25, 9. 10), der Jahresanfang, und der erste Tag desselbeu
Monats nur ein Neumond (dinrt av), an welchem später Posaunen¬
schall (nynn) das neue Jahr einführte. Von den im Deuterono¬
mium vermissten Ausdrücken sind in unserm Propheten auch
folgende 23 nicht vorhanden, näralich: iniaTN, piN, Bamiinb,
~n .r!,-,naT,nbn, amm -jirn, anini, bav, viaa oaa, bnan pa,
nid?bn pa, nina, anioa, -[Nb?; (Engel), mab?:, dop nni:?:,
niao, nnyn, niay, dip Nip7fi, linad, naad. Das letztere haben
im Pentateuch nur Leviticus und Numeri; p'nad nur Exodus uud
Leviticus; dip Nip73 uur Exodus, Leviticus, Numeri. Dieselben
drei Bücher allein kennen das Sühnfest: Exodus iu 29, 3(i und 30,
10; Leviticus in 16, 29 bis 34; Numeri in 29, 11. Demnach
hat Ezechiel weder Exodus noch Numeri in ihrer heutigen Ge¬
stalt gekannt; ohnehin erscheint das über den Sabbat gesagte in
Ezech. 20, 12 uud 20 älter als Exod. 31, 13. Leviticus aber ist
jünger als Ezechiel.
Dahingegen kennt unser Prophet Tempelsänger, die es schwer¬
lich in älterer Zeit gegeben , und hat die dem Deuteronomium
fehlenden .\usdrücke niTN, adN, inn n;d, y~, nNan, mpn
abiy, nDia, nnr:, ^o:, a^dip dip, ni:i (20,41. 43, 27), ypä,
imn. Allein von Moses ist nirgend die llede, weder in dem Ab¬
schnitte über die Gesetze uud den Tempeldienst noch in dem ge¬
schichtlichen Ueberblicke des zwanzigsten Kapitels. Eben so wenig
wird Elia's gedacht, trotz der Aehnlichkeit beider Heroen, auf
welche bereits Pesikta rabbati c. 4 (auch Jalkut Keg. § 209; auf¬
merksam macht, iudem sie <lreissig Diuge autzählt, die im Thuu
uud Schicksal beider gleich sind, denen noch drei hinzuzufügen
siud: Beide gehen trockenen Fusses durchs Wasser, setzen selber
ihre Nachfolger eiu und mit beiden reden Gott und Engel. Dem¬
nach war als jene .Mytiienbildung statt hatte unsere heutige Er¬
zählung von Moses theilweise unbekannt.
Das erste Passahfest wurde, wie II Kün. 23, 21 bis 23 und
II Chron. 35, 18. 19 bezeugen, im Jahre 6->2 unter Josia gefeiert.
Das Deuteronomium gedenkt dessen mit etwa zehn Worten, noch
kürzer Leviticus und Numeri, mit zwei Worten unser Prophet:
Exodus aber iu voll Verseu. Die Feier unter Hiskia, die der
Zvnr: , BiJteUmtinches.
Chronist erzählt, ist sicher erdichtet. Bemerkeuswerth ist, dass
des Lammes uicht gedacht wird; wahrscheinlich bedeutete nOD das
Lamm selber als „springendes" Thier uud scheint die Institution gegen die Aegyptische Veneration vor dem iu Monat Nisan regierenden
Sternbilde gerichtet zu seiu. Auch von Aaron und einer heiligen
Lade ist nicht die Rede.
Beachtung verdienen die Kapitel IG uud 23. Ersteres schildert
die Sünden Jerusalems, das von einera Emoritischen Vater und von
einer Chittischen Mutter abstammt, Sünden welche die vou Saraa¬
ria und Sodom noch übertreffen. Gott aber werde iu seiner Gnade
alle drei wieder aufnehmen um mit Israel eineu ewigen Buud zu
errichten. Letzteres hingegen verurtbeilt beide Schwestern , Jeru¬
salem und Samaria, die Gottes vergessen, sich mit Assur, Babylon
und .^.egypten verbunden , zum Tode ; unmittelbar anschliesst als
höchste Strafe die Verbrennung des Tempels. Offenbar sind die
Kapitel 23 und 24 der Schluss der gegeu die ehemalige Be¬
völkerung gerichteten Strafreden, während im 16. Kapitel den
zeitgenössischen Nachkommen die Vergebung gewährt wird. Viel¬
leicht hat der Verfasser aus einer einzigen Prophetie später selbst zwei gebildet, eine Annahme wozu folgeude Parallelen zu berechtigen scheinen :
Kap. 16.
V. 11 ny -[-iys-;
11 "jni by cniMK rtiDni 11 "[TöN-ia niNDn nnayi
15 by -jinirTn pn iDCirm
18 DiT-rcb Tn: miDpi isndi
22 mi PN -p"i3T nb ynnr\i my:
Kap. 23.
21, 40 ny pnyi
42 -nni bN Dnmir i:pii
pi-CNn by niNEP piayi
8. n-iby dpi:tp loz-ä^i
41. rr^by nnia ip-iupi
19. mi PN IDTb niplITP PN
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25 26 [ 29J 37.
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38.
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24. -^TOE-aT UDa72 Drii2E5 ippii .DniaE-i;)23
45. pien: aEC72 nnpiN iüec'i
.DT PiaEÖ aElB72T
25, -jpiN rijyi "^a ipN:p ipp;- .n72n3
39. inpbTjiiaa-JP1N lüiTSEm 26. nnpbi -n:a pn iiaiiaDn
-p-iNEP i?a
39. myi D-,iy
V. 22)
40. bnp -^iby •
:ini:m (vgl.
]aNa IPIN ms-i
29.
46.
47.
i'-" I ■ .'[nlNEP 1D3
nnyi
bnp
cni^y n:
pN -(n-ii I, i
Zun?,, Bibelkritinche*. 681
Kap. 16.
.Dmaina iipnai .Dmaina pm« Niai
iDiü)i öNa imnai 10. na IIB» D'aiDffii 27. yya "^nar inaiBm 48. nnr inadm
Kap. 23.
V. 41. iBNa Iina iciisi aiüEiB ia iiBS»i n3iTa ^inaiBm
43. iniat Nb etc. s. V. 22.
52. nN DST-jnaba iNiB nN Da'
"^naba iNiai i«ia ■35. "^nar iNto n« dst
54. "jnaba iNän i^ab |
Ezechiels Verwandtschaft rait späteren selbst nachbiblischen
Erzeugnissen der hebräischen Literatnr sowohl als seine Sprach-
Eigenthümlichkeiten vervollständigen .die Beweisführung für sein
jüngeres Zeitalter. Auf die früheren ausführlichen Belege in raeinen
gottesdienstlichen Vorträgen (S. 159 u. ff.) verweisend mache ich
hier noch auf folgende aufmerksam : iinN imN laibiüm (23, 35)
vgl. Jes. 38, 17, I Kou. 14, 9. Nehemia 9, 26; TCNia ian nn
(9, 10. 16, 43 und sonst) vgl. I Kon. 8, 32; Danai iby Dninyn
(35, 13) vgl. Maleachi 2, 17. 3, 18; maiNa mir acht raal, vgl.
Ps. 106, 27. DiraoT mns (Kap. 23) vgl. Jerera. Kap. 51: D.ip
(13, 6) haben Ps. 119 und Esther, mna (19, 8) nur die
Exilschriften; pj'a Nd: (18, 19. 20) erinnert an baoa NiB!
(Nehem. 4, 11); bom Nia ann haben Thren. 2, 14, n7:n nba die¬
selben 4, 11. Nebukadnezar heisst (26, 7) Doba "^ba, was nur
in Esra und Daniel eine Parallele hat; das nachbiblische Gebet
Alenu hat für Gott Diab72n laba -^ba.
Noch verdient angemerkt zu werden, dass Jnda zehn Mal,
Israel 174 mal vorkommt, während in Jeremia beide Benennungen
sich in Gleichgewicht halten: Juda ist 130, Israel III mal ge¬
nannt. Das öfter der Partikel lab vorangehende yj^ oder -(I'lai pi,
welches auch bei älteren Propheten üblich ist, trifft man in dem
unserigen gegen achtzig mal, nicht den vierteu Theil dieser Zahl
haben die übrigen biblischen Bücher: Amos, worin pb öfter ist,
bat p- nur einmal (5, 11). inn; (9, 10) hat auch der Chronist;
5r;b -ji-ab (21, 20) erinnert an ii^ynb -nbab in II Kön. 23, 10.
Narh dem bisher Erörterten kanu es nicht befremden, dass
das Hucli Ezechiel später als andere prophetische Bücher in Um¬
lauf gekommen war; hat mau ja in dem Soferischen Zeitalter das¬
selbe gänzlich beseitigen wollen. Hieraus erklärt sich auch die
alte Ueberlieferung, Ezechiel sei von den Männern der grossen
Syn.agüge redigirt. Jedenfalls fallen nach deu obigen Untersuchungen iu ihr Nichts die Kettungen zurück, welche Gläubige (Hengstenherg,
Hävernik, Köster u. A. m.) für die geschichtliche Autbenticität des
A. 600 V. Chr. weissagenden Priesters unternoramen haben.
lld. XXVll. 44
682 Zunz , Bibelkritischei.
III.
Leviticus.
Wie es sich heute iu dem zu einem Ganzen redigirten Penta¬
teuch liest, ist Alles zwischen Exodus Kapitel 40 und Numeri
Kapitel 10 innerhalb fünfzig Tagen gesprochen und geschehen: kein
Wunder also, dass der Leviticus in der Berichterstattung einen
Stillstand bildet. Nichts wii-d da erwähnt von Heeren und Kriegen,
von Königen und Propheten; von l>eviten hört man nichts, nur
vou ihren Städteu in Palästiua ist die ßede; der Gesetztafeln wird
gar nicht, der Bundeslade uur einmal (16, 2) beiläufig gedacht:
der vornehmste Staatsbeamte ist der Nasi. Desto öfter begegnet
man den Ausdrücken „ewiger Buud", „ewiges Gesetz", wo die
Einzelheiten der Festfeier und des Opferwesens vorgetragen werden,
oder von Pflichten uud Einkünften der Priester die Rede ist: für
letztere ist nax anb und i^ribN onb nur diesem Buche eigen.
Aber um so ausführlicher werdeu Aussatz und andere körperliche
Unreinigkeiten, Ehe- und Speisegesetze sammt Verordnungen über
die Opfergattungen uns vorgeführt; die Vorschriften über reines
und unreines werden verschärft uud auf viele Uebertretungen ist
Steinigung oder Ausrottung i.nla) verhängt. Der erste Tag des
siebenten Monats — später das Neujahrfest —, welchen Esra
Kap. 3 nicht kenut, und Nehemia Kap. 8 als Freudeutag feiert,
ist nur „wegen des Posauneuschalls" (nsnn Iiia;) zum Ruhetage
erhoben. Wer am zehnten desselben Monats, dem Sühntage, nicht
ruhet und nicht fastet wird ausgerottet. Im Erlassjahr ruht die
Ernte-Arbeit, und beim Eintritte des Jobeljahres geht der Boden¬
besitz an den Eigenthümer zurück. Erst im Leviticus wird das
Hüttenwohnen am llerbstfeste eine Pflicht, damit die Nachkommeu
erfahren, dass das Israelitische Volk nach dem .Vuszuge aus Aegypteu
in Hütten gewohnt. Aber ein ganzes Jahrtausend hat man nichts
davou gewusst, da diese Verordnung in der Zeit zwischen Josua
uud Nehemia nicht beobachtet worden, wie Nehemia 8, 17 zu
lesen ist.
Aehulich dem Deuteronomium enthält Kap. 26 Verheissungen
für die Befolgung, Androhungen für die Uebertretung der Gesetze.
Das „Befolgen" mpna "bn findet man 13 mal iu Ezechiel (5, 6. 7.
11, 12. 20. 18, 9. 17. 20, 13. 16. 18. 19. 21. 33, 1.5. 36, 27),
ferner in Jeremia (44, 10. 23), 1 Kön. (3, 3. 6, 12. 8, 61), 2 Kön.
(17, 8. 9) uud dreimal iu Leviticus (18, 3. 20, 23. 26, 3). Die
Verheissungen selbst sind fast nur ein Auszug aus Ezechiel, wie
folgende Uebersichtstafel zeigt.
Leviticus Kap. 26 Ezechiel.
V. 3 am« an-cyi
[Vgl. Levit. 2 .5, 18. 19.]
K. 11, 20=37, 24 DPIN TiJ'l
20, 19 DP-!t< lä:;- 20, 21 cmN r-i:'b 36, 27 cn'-i-ri iirär
Zms: , Bibelkritisches. 683 Levit. c. 26.
4 inr:i u. s. w. 34, 26. 27 mya Ddan -- mnji
EzechieL
nbiDi pn y-iNm
39, 19 nyaiab abn anbaxi
28, 26. 34, 25. 27. 28. 39, 26.
Vgl. 34, 25und37, 26mnai u.s.w.
34, 28. 39, 26.
34, 25.
vgl. 14, 17: y-ista nayn am
36, 9. 10. 11. 37, 26. 16, 62.
37, 26 bis 28.
36, 28. 37, 27.
34, 27 Dby ma» ns iiada
r-iD nt« mdn yy pai
5 yadb aannb DnbaNi
Dair-iNa nuab DnadiT
6 v-1kH3 aibd mn:i
nnn?: i^nt
madm u. s. w.
aim u. s. w.
9 m^aBT u. s. w.
11 mn:i u. s. w.
12 m"m u. s. w.
13 Daby nau -ladtn
Die Strafen-Androliung wofern die Gesetze übertreten werden
(V. 14 bis 46) ist in der Aufzälilung der stufenweise steigenden
Leiden eigentlich nur 16 Verse stark und theilweise ein Auszug
aus dem Deuteronomium, wie die Parallelen von Levit. V. 16, 17,
19, 29, 32 mit Deuter. V. 22 und 65, 25, 23, 53, 37 eiuzeln
darthun. In letzterm haben die Drohungen einen aus Erlebtem ge¬
schöpften Inhalt und Zusammeubang: die Feinde sowobl als die
Leiden werden lebhaft und zusammenhängend geschildert. Der
Leviticus hingegen spricht nur im Allgemeinen, dass Israel unter
den Völkern untergehen werde, ferner vou dem Aufenthalte in
deren Ländern, von Tempelzerstörung uud Verwüstung des Landes,
aber nicht von Kriegesplagen, von einem Könige, von Götzendienst
und Aegypten; ja die Drohungen endigen, nachdem sie die gesühnte
Verletzung der Erlassjahre verkündet, mit Tröstungen, dem Bunde
der Vorfahren und der Rückkehr. So ist denn das Levitische
Strafkapitel nur ein Auszug aus Büchern, der grossentheils auf
Ezechiel zurückweist.
Levit. c. 26.
V. 15 lONan mpna; 43 lasäna
mbab — lacda n« — losn
.miay
■5, 6 1DNM laBiaaa
20, 13 IDN» laBda nxi
— 24 mipm visy «b lacdn
Ezechiel.
17 a IIB rnnri
.ION»
15, 7. 14, 8.
5, 17 nmi — ca-by rnnbiui
22 nm nx oaa innbiufn
Dan« nba-ji mian •fs•2•£^ nyi
14, 15 nnbaai nyi nm
5, 12. 6, 11. 12. 7, 15. 12, 16.
25 u. 26 : Schwert, Pest, Hunger
und wilde Thiere: 14, 12, vgl.
5, 17.
44 *
684 Zum , Bihelkritisches.
39 üjiyn ip73-'
Levit. c. 26. Ezechiel.
14, 16 onb nun -ü» ^aan
5, 16 önb Man oab Tiaia
14, 13 nb - - -
26 bpüjna Dsnnb 4, 16 bpana Dnb
29 nnbDNi u. s. w. 5, 10 D^aa ibsN^ mas
30 in-iJaism u. s. w. 6, 4 bis 6.
31u. 33 Verwüstung der Städte 12, 20 anym u. s. w.
32 u. 33 Verwüstung des Landes 6, 14. 12, 20. 15, 8. 33, 28.29.
33 ßiiaa niTN Vgl. 5, 2. lO. 12. 12, 14: niT
nn bab, auch Jerem. 49,32.36.
— a-in Dann« inpnm 5,2.12. 12,14 annns pns aim
|4, 17 daiya ipnai
124, 23 namaiya onpnai
40 ia ibyn i«jn abyna fo, 27 byn ^a obyna
139, 26 ia ibyn icn abyn
45 niian laiyb oft im Ezechiel, auch in II Jesaia.
Als das Buch Leviticus verfasst wurde, waren die ehemaligen
Bewohner Palästina's längst nicht mehr dort; man vergleiche
18, 25. 28 (nsp). 30: daiasb d. h. vor euch. Eben so wird die
Scheidung von den Völkern (20, 24. 26) erst in I Kön. 8, 53 und
Nehemia 10, 29 wieder augetroffen, so wie auch ndn nt* apii
(24, 11) und die damit zusammenhangende Todesstrafe eine späte
Zeit bekunden. Dass im Deuteronomium Gott nur einmal, aber in
den drei vorausgehenden pentateuchischen Bücheru hundertmal mit
Moses spricht entzieht diesen vollends jeden geschichtlichen Grund.
Der Leviticus allein führt bei der Feier des Sühntages den Bock
für Asasel vor : Im Zusammenhang mit dem Glauben an Satan und
Schedim muss die Furcht vor einem bösen Geiste, etwa dem
Ahriman der Perser, bereits solche Gewalt erlangt haben, dass
man zur Beschwichtigung des Wahns zu diesem Mittel hat greifen
müssen. Trotz der heilern Ansicht späterer jüdischer Gesetzlehrer
die Asasel für den Namen eiuer Bergspitze erklärten, ist er im
Buche Henoch uud der Elieser-Baraita Kap. 46 zu Samael und
Satan geworden.
Aus dem Bisherigen folgt, dass Leviticus, jünger als Deutero¬
nomium, jünger als Ezechiel, zur Zeit des zweiten Tempels ge¬
schrieben ist, als eine befestigte Priesterschaft einem eingeführten
Opfersystem vorstand, die Verfasser mithin etwa ein Jahrtausend
später als Moses gelebt habeu.
IV.
Esther.
Um über dieses biblische Buch ein sicheres Urtheil zu bilden,
wird es sich empfehlen, Sprache, Darstellung und luhalt näher zu
betrachten. Was die Sprache betrifl't, so haben schon ältere Kritiker 4 6*
2iunz, Bibelkritisches. 685
aus derselben Beweise für ein spätes Zeitalter geschöpft. In der
That bezeugen diess über fünfzig Ausdrücke. Neben fremdländischen
(una, n, nino) und persischen (rlJN, pia, m zwanzig mal),
die zum Theil in jüngeren biblischen Schriften angetroffen werden,
findet man zwei ("iTi:, md ) in Hiob, fünf (yia, nta, iTJa, ana.
Dip) die zuerst Ezechiel hat, drei (niia, nispa, "jat) in Esra,
Nehemia, Kohelet, abd in Nehemia, Kohelet und dem 119. Psalm,
"in in der Chronik, fünf (ibcjt, pai , yr , iiaa inii , Ida) nur in
Kohelet, cipri in Daniel, nyai in Chronik und Daniel, yitia nidy
in Nehemia und Daniel. Dem spätern Hebraismus angehören: d:n,
nbsn, "^iian, lasa, pT3, niiiNi; aramäisch sind rjiDi Nb (9, 28)
und Didii (4, 11. 5, 2. 8, 4); an den Sprachgebrauch der Mischna
erinnern: msa nN laiy (3, 3), nayi (9, 27) und nayi (9, 28),
aiu Dil nisy (9, 19: vgl. Mischna Taanit 3, 9: aiD Dii idyi),
INI nai 1) (9, 26). Das siebenmal vorhandene aia "^ban by hat
auch Nehemia und aramäisch Esra 6, 17 wofür Daniel 4, 24
"^iby iDdi schreibt; icNi pd Dilt (4, 3) hat auch Daniel (9, 3)
uud idc: by dpab (7, 7) erinnert an das dortige nbcn dpab.
Eine späte Zeitepoche bezeichnen Ausdrücke wie msai iTiea (3, 8),
das dreimal vorkommende mnndai yia (vgl. Ps. 95, 6) und lyiii
Dinyn (l, 13), dessen Analogon Dmyb n:i3 lyiv in I Chron. 12,32
ist. Nur in Esther finden sich folgende zehn Wörter: paN, mran,
yita, nn:n, imnn, ma, ndic, aiaid, dd Marmor, rnnd.
In Bezug auf die Darstellung, so fällt die knechtische Ge¬
sinnung auf: das ganze Buch enthält nur 166 Verse, aber König,
Königin, Königreich kommen zusammen über zweihundert
mal vor, während Gott nicht ein einziges Mal genannt wird, was
schon Abenesra entschuldigen wollte. Gleich auffallend ist das
Vermissen des Namens Israel, und dass bei Kämpfen, denen
75tausend Opfer gefallen sind, ausser Mordechai keiu sonstiger Jude auftritt; ja das ganze Trauerspiel wickelt sich zwischen einer Frau
und drei Männern ab. Man hört vou keiner Hülfe verlangenden
oder Hülfe gewährenden Gemeinde; vou keiner Seite wird ein
Dank abgestattet; weder eine Prophetenstimme noch ein Dank¬
psalm erklingt. Die dezimirten Volker der Provinzen so wenig
als die Einwohner der Hauptstadt denken an Gegenwehr oder
Rache: die Juden leben unbehelligt so weit der Zepter des Königs
Abasverus reicht; erst mit der Griechen-Herrschaft in Syrien
nehmen gehässige Verfolgungen ihren Aufang. Schwerlich haben
zu Mordechai's Zeit viele jüdische Familien in Susa gelebt; man
traut seiuen Augen kaum wenn man liest, dass die persische Be¬
völkerung zwei Tage hintereinander von einem Häuflein einge¬
wanderter Fremdeu sich hat todtscblagen lassen. Viele aus Angst
zum Judenthume übergegangen und die Stadt ein Freudenfest be¬
gangen habe.
1) Zunz in Moiprnl. Zeitschrift B. 25 8. 133.
686 Zunz, Bibelkritisches.
Sehen wir uns nach Mordechai um, so wird berichtet, dass
er zu deu Exilirten aus der Zeit des Königs Jechonja (597 v. Chr.)
gehörte. Demnach würde Achaschverosch, der frühestens Xerxes
sein kaun, im Jahre 473 denselben zum Vizekönig gemacht haben,
als dieser Mann mindestens 125 Jahre alt war; folglich war seine
Base Esther, als sie den Köuig entzückte, etwa hundert Jahre alt;
ein Alter von 75 Jahren räumen schon Talmud und Targum ein.
Ebeu so unbegreiflich und aller Sitte widerstrebend erscheiut
Mordechai's Hartnäckigkeit, mit welcher er Haman seiue Verachtung bezeigte, ein Eigensinn der dem Volke so grosse Gefahr bereitete;
haben ja Abraham und seine Enkel sich vor geringeren Personen
fremder Nationalität gebückt. War das Unverstand von dem einen,
so ist es kein geringerer Unverstand von dem andern, weil eiu
einzelner Hofbeamter ihn beleidigt, eine ganze weitverbreitete
Nation vertilgen zu wolleu. Den Beinamen Agagi hat Haman dem
alteu Nationalfeinde aus Köuig Saul's Zeit zu danken, gleichwie
der Erzähler den Beujaminiten Kisch — so hiess Saul's Vater —
dem Mordechai zum Vorfahren giebt.
Solche oder ähnliche Erwägungen haben schou iu früherer
Zeit Zweifel an der Wahrheit der hier erzählten Begebenheiten
hervorgerufen, uud fast ebeu so auffallend als diese selber ist der
Umstand, dass Niemand von ihnen weiss; weder die Chronik spricht
von der Hamau-Geschichte noch Esra und Nehemia, selbst Sirach,
Daniel uud Philo beobachten Schweigen. Das erste Makkabäer-
Buch erwähnt den 13. des Monats Adar als ein damaliges Fest,
spricht aber nicht von Purim.- man würde auch aus dem 13. Adar
keineu ueuen Festtag gemacht habeu, wäre damals am 14. Purim
gefeiert worden. Erst das zweite Buch der Makkabäer, welches
etwa ein Jahrhundert jünger als die von ihm erzählten Begeben¬
heiten ist, fügt jenem Monatstage hinzu „vor den Purimtagen";
die Uebersetzung der LXX gibt apokryphische Zuthaten; Josephus
und die Fastentabelle sind die ersten, welche von der Hamau-
Geschichte und Purim wissen , die der geuauute Geschichtschreiber iu die Kegierungszeit des Artaxerxes I verlegt.
Alle Schwierigkeiten werden geebnet, weun man den persischen
Ursprung des Purimfestes anerkennt, und die Esther-Geschichte
als eine Erdichtung betrachtet. Die Perser feierten im siebeuten
Monat eiu Freudenfest an welchem viel gezecht, Geschenke umher¬
geschickt und den Armen Geld gespendet wurde. Bei dem laugen
Aufenthalte der Juden in jenen Länderu hatte jene Sitte sich auch
bei ihnen eiugewohut, etwa wie neuestens in Deutschland das Be¬
schenken au Weihnachten. Die Behörden, welche diese Feier nicht
abschaffen kouuten, wohl auch nicht mochten, sorgten nun dafür,
dem Freudeutage eiueu jüdischen Ursprung und so das Bürgerrecht
zu geben.
Wir haben iu der Erzählung des Buches Esther vermuthlich
bereits eine spätere Rezension , und wohl eine Uebertragung aus
Zunx , Bibellcrüiaches. 687
einer persisclien Urschrift. Lange blieben wahrscheinlich Buch und
Fest auf das eigentliche Persien beschränkt, bis sie allmählig uach
Judäa, Alexandrien und Europa hin sich verbreiteten, — anfänglich
gewiss nicht ohne Widerstand vou Seiten eines conservativen Syne-
driums, worauf einige talmudisehe Nachrichten (jerus. Megilia 1, 5.
Tr. Megiila f. 7 a) hinzudeuten scheinen. Die Abfassung des Buches
gehört wohl in die nachmakkabäische Periode, als die Kunde von
den Verfolgungen in Palästina auch in die östlichen Länder ge¬
drungen war. Ob der Name Esther nach Xerxes Frau Amestris
gebildet ist, weiss ich nicht : alle anderen Namen scheinen mir er¬
dichtet. Dem Verfasser des apokryphischen Buches Tobit, welcher
den Propheten Jona nennt, war Haman nur dunkel bekannt; das
zweite Esther-Targum uud der Tractat Soferim geben Stammtafeln
Haman's bis Esau; der Tractat Baba Batra (91a) weiss, dass
Hamans Mutter wie Abrahams Mutter geheissen, nämlich iNbn?:«.
Merkwürdig unter diesen und ähnlichen Fabeln erscheint der Aus¬
spruch des palästinischen Talmud (Jebamot 2, 5), dass Hamans
Vater gar nicht Hamdata geheisseu, womit Soferim 13, 6 stimmt,
der ihn Bisa nennt. Welch ein fruchtbares Feld für Erdichtungen
hier frei lag zeigt die spätere hagadische Literatur.
Uebrigens hat die Haman-Geschichte, wie schon Midrasch
Esther zeigt, in finsteren Zeiteu deu Judeu Dienste geleistet, sio
aufrecht erhalten im Missgeschick uud vor Verzweiflung bewahrt,
so oft auch Judenfeinde an ihrem Untergange gearbeitet haben.
Gegenwärtig denkt man am Purimtage weniger an den einen per¬
sischen Haman und mehr an die geschichtlich bezeugten Rettungen
von deu vielen mittelalterlichen Hainau , deren Hass noch in eiuer
neueu Darstellung (in Bunsens ßibelwerk B. ö S. 838) sich wieder¬
spiegelt.
V.
Ergebnisse.
Aus den bisherigen Untersuchungen folgen Resultate, die nicht
bloss den gelehrten Geschichtsforscher zur Theilnahme auffordern
dürften, uud welche ich in deu hier folgenden Sätzen zusammen¬
fasse :
1. Das Deuteronomium ist aus drei Abschnitten zusammengesetzt;
der erste enthält zwei Vorträge, der dritte sieben Theile.
2. Das zwölfte Kapitel dieses Buches enthält von dem Gesetze
über Fleischgenuss eine dreifache Rezension.
3. Deuteronomium und Ezechiel sprechen nicht von Todesstrafe
auf Sabbatarbeit.
4. Deuteronomium weiss nichts von festlichem Hüttenwohnen,
von Posaunen- und Sühnfest, von Hohenpriestern und ver¬
schiedenen Opfergattungen.
5. Es war dasselbe dem Verfasser des Buches der Köuige
bekanut.
688 Zunx , Bibelkritisches.
6. Dem Verfasser des dritten Deuteronomischen Abschnittes war
der erste belcannt.
7. Der angebliche Vortrag Mose's im 32. Kapitel ist im Exil
verfasst.
8. Sechzig in Exodus, Leviticus, Numeri übliche Ausdrücke sind
im Deuteronomium nicht vorhanden.
9. Der Segen Moses ist vielleicht das älteste Stück in diesem
Buche.
10. Der erste und der dritte Abschnitt sind mit Jeremia verwandt.
11. Die Verfasser der ersten beideu Abschnitte lebten früher
als die Zeit des Königs Jojakim.
12. Ezechiel besteht, nach der eröffnenden Vision, aus zwei
Theilen.
13. Kapitel 36 im zweiten Theile ist das Gegenstück zu Kapitel 6
des ersten Theiles.
14. Der Name Ezechiel ist erdichtet; den Verfasser dieses Pro¬
phetenbuches kennen wir nicht.
15. Dasselbe belehrt die Zeitgenossen über läugst Vergangenes.
16. Die in diesem Buche angegebenen Zeitdaten gehören der
Dichtung an.
17. Zur Zeit dieses Propheten war am zehnten Tischri Jahres¬
anfang.
18. Ezechiel spricht weder von einer Lade in dem Tempel noch
von dem Sühnfeste.
19. Er hat 117 mal rfins, kein einziges mal mNSS n.
20. Seine Schilderungen sind denen der nachexilischen Schrift¬
steller oft ähnlich.
21. Sprache und Ausdrucksweise sowohl als Bekauutschaft mit
jüngeren Personen und Werken, namentlich die Tempel¬
beschreibung sammt den Verordnungen, verweisen den Ver¬
fasser des Buches in die Zeit 440—400 J. v. Chr.
22. Leviticus ist das erste Bnch, welches von einem Posaunenfeste, von Einstellung der Ernte-Arbeit im Erlassjahre, dem Hütten¬
wohnen am Erntefeste , von Jobelperioden, Opferklasseu, ver¬
schiedeneu Einnahmen uud Vorrechten des Priesterstandes weiss.
23. Mau liest dort uichts über Gesetztafeln, Könige, Propheten,
Kriegführung, dahingegen vou zahlreichen Uebertretungen, die
mit Ausrottung uud Steinigung bestraft werdeu.
24. Die Drohungen im Falle des Ungehorsams sind grossentheils
ein Auszug aus Deuteronomium uud Ezechiel.
25. Der etwas Satan-ähnliche .Vsasel stammt aus dem Parsismus.
26. Leviticus ist etwa eiu Jahrtausend jünger als die Zeit Moses.
27. Sichere Spuren von dem Vorhandensein des Pentateuchs be¬
ginnen drei Jahrhunderte nach König Josia.
28. Im Buche Esther gibt es persische, späthehräische uud
Mischua-Ausdrücke.
29. Es erwälint weder Gott noch Israel,
Zunz , Bibelkritisches. 689
30. Weder das Buch noch sein Inhalt war den Alten bekannt.
31. Den Anlass zu der erdichteten Geschichte gab ein unter den
persischen Judeu aus der Umgebung eingebürgerter Freuden¬
tag.
32. Neujahrs-, Sühn- und Hamansfest, dem ältern Judenthum un¬
bekannt, verdanken fremdem Einflüsse und späterer Zeit ihr
Dasein; indessen Geschichte und Entwickelungsgang des
menschlichen Geistes haben ihnen eiue den Ursprung über¬
ragende Bedeutung gegeben.
33. So lange Dichter und Priester für Wirkungen arbeiten, dürfen
Historiker und Philosophen nicht ermüden, die Ursachen zu
erforschen.
690
Ueber die Wurzelbildung
in den Finnisch-Ugrischen Sprachen.
Von Dr. 0. Donner.
In der Classificirung der Sprachen nach den hauptsächlichsten Merkmalen ihres Baues ist es schou längst als Thatsache angenommen,
dass die Altaischen den s. g. agglutinirenden zugezählt werden
müssen. So sagt Steinthal iu seiuem scharfsinnigen „Charakteristik der hauptsächlichsten Typen des Sprachbaues" (S. 181) diese Sprachen
betreffend : „die Sufti.xe sehliessen sieh an die nicht weiter auf¬
zulösenden Stämme an, die uns als Wurzeln gelten müssen". Ein
anderer auf diesem Gebiete eben so bekannter als genialer Forscher,
Max Müller, äussert sich in folgender Weise über den Bau des
ganzen vou ihm turanisch genannten Sprachstammes, dessen nörd¬
lichen Zweig die Altaischen Sprachen ausmachen: „in noch höherem
Grade (als im Seraitischen) liegen die Bestandtheile in der tura¬
nischen Si)iachenfamilie gleichsam auf der Oberfläche. Es ist einer
der charakteristischen Züge jener Familie, dass die Wurzel, wie
gross auch die Zahl der Präfixe und Suffixe sein mag, immer
scharf ausgeprägt hervortreten muss und uuter ihrer Berührung
mit derivativen Elementen nie leiden darf" (s. Vorlesungen über
die Wisseuschaft der Sprache, Leipzig 1863 S. 229). An einer
anderen Stelle (S. 250): „der einzige t'harakterzug aller turanischer
Sprachen, welcher nie verwischt wird, ist der, dass die Wurzel
nie unkenntlich werden darf". In Uebereinstiraraung hiermit findet
er eine Umwandlung wie z. B. franz. äge aus edage, lat. ata-
ticura in den turanischen Sprachen uumöglich, wie auch Steintbal
offenbar eine Erscheinung, die der Gunirung im Sauskrit entspräche, für eben so unmöglich hält.
Diese Aeusserungen, die wohl so ziemlich die jetzige in der
Wissenschaft herrschende Ansicht repräsentiren dürfen, beruhen
doch auf der bisherigen unzulänglichen Kenntniss dieser Sprachen
und siud auch, wenigstens was die finnisch-ngrischcn Sprachen be¬
trifft, mit dem v.iiklichen Thatbestand in vollständigem Widerspruch.
Nicht nur dass Wortslämme beim Coi-.tact mit Suffixen grösseren