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Polizei und Kriminalpolitik

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Academic year: 2021

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-Vortragsreihe

-POLIZEI

UND

KRIMINALPOLITIK

(2)

BKA-Vortragsreihe Band 26

POLIZEI UND KRIMINALPOLITIK

ARBEITSTAGUNG

DES BUNDESKRIMINALAMTES WIESBADEN VOM 10. BIS 13. NOVEMBER 1980

HERAUSGEBER

BUNDESKRIMINALAMT WIESBADEN 1981

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Alle Rechte, auch die der auszugsweisen Wiedergabe, Übersetzung und Bearbeitung, des Nachdrucks, der Verfilmung usw.,

sind ausdrücklich vorbehalten.

(4)

Begrüßung Horst Herold

Eröffnungsansprache Gerhart Rudolf Baum

Inhalt

Der Einfluß der Polizeipraxis auf die Kriminalpolitik

5

7

Edwin Kube . . . .. 11

Stand der wissenschaftlichen Kriminalpolitik und ihre Bedeutung für die Polizeipraxis

Heinz Zipf. . . .. .. . . . .. . . .. . . .. . . .. 19

Entwicklung und Ziele der praktischen Kriminalpolitik

Wilhelm Schneider . . . .. 25

Polizei und Kriminalpolitik aus politischer Sicht

Hans-Joachim Jentsch ... 33

Was erwartet die Polizei von der Kriminalpolitik?

Günter Ermisch ... 39

Kriminalpolitik und Bekämpfung der Massenkriminalität

Eduard Vermander ... . . . .. 49

Kriminalpolitik und Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität

Klaus Volk ... 57

Kriminalpolitik und Bekämpfung der Drogenkriminalität

Arthur Kreuzer ... 65

Probleme der Kriminalisierung und Entkriminalisierung sozial schädlichen VerhaI tens

Gunther Arzt . . . .. 77

Kriminalpolitik im Ausland aus rechtsvergleichender Sicht

Jürgen Meyer . . . .. 85

Kriminalpolitik aus der Sicht eines Journalisten

J oachim Wagner ... 93

Neue Entwicklungen im Strafverfahrens- und Polizeirecht - aus der Sicht der Wissenschaft

Manfred Seebode ... 101

Neue Entwicklungen im Strafverfahrens- und Polizeirecht - aus der Sicht der Polizei

, .

(5)

Effektivität der Strafverfolgungsbehörden und Strafrecht

Wolfgang Geißel ... 125

Technische Entwicklung, sozialer Wandel und Reaktion der Rechtspolitik

Rudolf Wassermann ... 137

Tendenzen der Kriminalpolitik

- aus der Sicht der Polizei, der Justiz, der Politik, der Wissenschaft Podiumsgespräch mit

Hans-Werner Hamacher/Wolfgang Zeidlerl Axel Wernitz/Friedrich Geerds ... 147

Schlußwort

Edwin Kube . . . .. 159

Verabschiedung

(6)

Begrüßung

Horst Herold

Im Gefüge der Polizei nimmt das Bundeskriminalamt viele Funktionen einer Schnittstelle zur Kriminalpolitik wahr; über diese Schnittstelle dringen kriminalpoli-tische Impulse auch in das polizeiliche Gesamtsystem ein. Ich bitte mir daher zu gestatten, diese Begrüßung auf einen für dieses Amt zentralen Diskussionspunkt auszudehnen, der nach meiner Meinung für die Krimi-nalpolitik die gleiche Bedeutung hat. Er wird, wenn auch mit anderen Spiegelungen, in vielen Referaten zu finden sein.

Aus dem großen Feld des sozialen Lebens nimmt die polizeiliche Aufgabe der Verbrechens bekämpfung jene Lebenssachverhalte prüfend heraus, die von der Krimi-nalpolitik als sozialschädlich defini~rt und demgemäß von der Gesetzgebung mit einer Strafrechtsnorm beschrieben sind. Im Auftrag der Staatsanwaltschaft und als Vollzugsorgan der inneren Verwaltung han-delnd, unterliegt die Polizei einer Fülle konkreter Rechtsbestimmungen, die ihre Schritte bindend regeln - und niemand will dies ändern. Die Polizei gleicht dem Bilde einer rastlos tätigen Maschine. U nun-terbrochen - für 4 Millionen Straftaten jährlich - wer-den Informationen erhoben, nach Normen und Tätern gebündelt, rechtsförmig kanalisiert der Justiz abgelie-fert, wo sie über verschiedene Stadien weitergeleitet schließlich dem Endergebnis des richterlichen Urteils dienen. Nach dem Urteil von Fachleuten werden jähr-lich über 10 Millionen Straftaten verübt, von denen 4 Millionen der Polizei zur Kenntnis kommen, die dazu 1,5 Millionen Tatverdächtige ermittelt. Nicht einmal die Hälfte von diesen wird angeklagt, ein knappes Drit-tel verurteilt und nur wenige ziehen letztlich in die Gefängnisse ein. Mit einem solchen count down kön-nen angesichts der Postulate unserer Ordnung weder Polizei noch Kriminalpolitik zufrieden sein.

Die Verbesserung der Mechanismen zwischen Ver-dacht und Urteil, die Stadien gerechter und objektiver zu machen, gehört sicher zu den Hauptanliegen der Kri-minalpolitik. Vor allem anderen aber müssen die Interessen der Kriminalpolitik dynamisch sein, sie muß prüfen, was sein kann und sein wird. Denn die

Lebens-sachverhalte, die unter den Glocken von Strafrechtsnor-men stehen, sind nicht starr, bleiben nicht statisch, son-dern bewegen sich, zugleich auch inhaltlich sich ändernd, ständig fort. Dehnungsfugen brechen auf, Lük-ken in dem Strafrechtssystem werden sichtbar, das bis-her für lückenlos gehalten worden war; sie müssen unter Rückgriff auf allgemeine Prinzipien der Verhält-nismäßigkeit und Angemessenheit zunächst über-brückt und dann durch ruckartig nachgeholte Teilrefor-men bruchstückhaft geschlossen werden. Bis zum Ein-setzen der Reformen aber gleicht die Polizei dem Bilde der Maschine, die mit hoher Geschwindigkeit im Auf und Ab, gleichsam auf der Stelle tretend, nicht mehr die ursprünglich mißbilligten Lebenssachverhalte trifft, sondern andere, und damit selbst soziale Schäden setzt. Derzeit favorisiert die Kriminalpolitik den Daten-schutz, um die Polizei selbst - oder um im Bild zu blei-ben: die Maschine - verfeinerten und strikteren Regeln zu unterwerfen, um die Maschine auch von außen her verstehbar und transparent zu machen. Datenschutz wächst aus dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit heraus und verfeinert es; die Ziele des Datenschutzes sind der Polizei, die selbst die Verhältnismäßigkeit in langer Übung handhabt, sonach schon vom Ursprung her nicht fremd. So sehr die Entwicklungen letztlich gleichgerich-tet auch vom Interesse der Polizei selbst getragen wer-den, so deutlich ist hervorzuheben, daß dort Leistungs-mängel drohen, wo der institutionalisierte Datenschutz eine Relativierung des Legalitätsprinzips verlangt. Das Legalitätsprinzip gebietet die Verfolgung aller strafba-ren Handlungen, auch der Bagatellkriminalität. Das

Herold, Horst, Dr. jur.

1971-1981 Präsident des BKA. Staatsanwalt bei der Staatsanwalt-schaft Nürnberg-Fürth 1953-1956; anschließend Amtsgerichtsrat, ab 1957 Landgerichtsrat beim Landgericht Nürnberg-Fürth; ab 1964 Lei-ter der Kriminalpolizei Nürnberg, 1967-1971 Polizeipräsident in Nürnberg. Veröffentlichungen u. a. zu polizeilichen und kriminalpoli-zeilichen Fragen, insbes. unter den Aspekten Organisation, Kriminal-geographie und Datenverarbeitung.

(7)

Legalitätsprinzip wird faktisch eingeschränkt, wo der Datenschutz meint, die Daten von Bagatellen dürften nur örtlich oder regional verfügbar sein, was bedeuten würde, daß sie der übergebietlichen Aufklärung ent-zogen sind. Hier ist der Punkt erreicht, da die Kriminal-politik den Konflikt nicht leistungsmindernd in die Maschine leiten darf, sondern anstelle des Legali-tätsprinzips das Normensystem relativieren muß. Wenn die Kriminalpolitik in Übereinstimmung mit dem Datenschutz - und wie wir meinen: zu Recht - die Bagatellen der Bagatellkriminalität für weniger verfol-gungsbedürftig hält, darf dies nicht durch die Kürzung des Legalitätsprinzips, sondern nur durch Entkriminali-sierung, durch Herausnahme aus dem strafrechtlichen Normengefüge geschehen. Damit sei erneut hervorge-hoben, was offenbar vielfach mißverstanden war: daß die Polizei sich nicht gegen den Fortschritt stemmt· sie möchte ihn nur auf andere Weise. Die Polizei

erw~rtet

von der Kriminalpolitik, daß neue Normen an die Stelle überholter treten, daß sie den Anwendungsbereich der Polizei im Einklang mit der gesellschaftlichen Gesamt-entwicklung hält.

Man darf diese Worte nicht als Vorwurf verstehen sie könnten es auch gar nicht sein. Denn der Kriminal;oli-tik fehlen derzeit alle Mittel kriminalpolitischer Dia-gnose des gesellschaftlichen Normbruchs und seiner Verhinderung. Als einziges Diagnosemittel bietet sich nur die Kriminalstatistik an, die mit ihrenjuristisch grob gegliederten, die kriminologische Lebenswirklichkeit mißachtenden Tatbeständen das Verbrechen in schwer-fälligen Formen zählt und tabelliert und das Ergebnis nur mit unvertretbaren Zeitverzögerungen zur Ver-fügung stellen kann. Deshalb sind die Prozesse noch

ausstehender Kriminalisierung sozialschädlicher

Lebenssachverhalte und solche gibt es eine Reihe -wie auch der Entkriminalisierung - die Umformung bloßen Strafens in Wiedergutmachung, Eingliederung und Hilfe, in Therapie statt Strafe - nur höchst ungeordnet in Gang gekommen. Völlig unmöglich etwa anzunehmen, man könnte das gewaltige Problem des Rauschmittelmißbrauchs mit dem Mittel der Kriminal-statistik auch nur annähernd in den Griff bekommen. Hinter dem Problem des Terrorismus, sicher uns noch über Jahre beschäftigend, und hinter dem Massenmord-problem der Rauschgiftwoge zeichnen sich spürbar

neue Verbrechensdimensionen ab. Angesichts ver-schärfter Verteilungskämpfe in einer Welt sich erschöp-fender Ressourcen treten neue Dimensionen globaler Wirtschaftskriminalität hervor.

An dieser Stelle richtet sich ein Vorwurf gegen uns alle. Die Polizei könnte der Kriminalpolitik ein Diagnose-instrument sein. Sie brauchte nicht die von ihr erhobe-nen Daten aus dem sozialschädlichen Teil der Lebens-wirklichkeit eindimensional nur gegen den Täter zu kehren. Sie brauchte nicht die Maschine zu sein, die die Daten auf technisch relativ hohem Stand nur einseitig repressiv verwertet, nach strikten Regeln aufbewahrt und wieder vernichtet. Sie wäre auch in der Lage, diese Daten bei ihrem Durchlauf in einer von Tat und Täter losgelösten, also abstrakten Weise im Sinne der krimi-nalpolitischen Zielsetzung zu analysieren, zu diagnosti-zieren. Denn in den Datenstrukturen über Ursachen Motive, Disponiertheit, Milieu, Anfälligkeit, Einfluß von Alkohol, Drogen, Waffen, von Stadtstruktur und Kriminalität, von Kriminalität und Wohnen Sozial-schädlichkeit finden sich die Elemente

ration~ler

Ein-sichten in das Wesen des Verbrechens angelegt. So könnte ein System der Politik entstehen - nicht der Polizei, wenngleich diese dabei helfen muß und will -ein System, das Starre und Einseitigkeit durch -eine vor-wärtsgerichtete, also kriminalpolitische Betrachtung ersetzen kann, das Gefahren erkennt, bevor sie entste-hen, erst recht bevor sie bedrohlich werden.

Der Tatbestand ist tief bedrückend. Obwohl wir es könnten, wissen wir nicht, was wir wissen. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts existieren die technologischen Möglichkeiten, das Instrument zu installieren. Seine Infrastruktur liegt vor. Das Instrument zielt nicht auf den einzelnen Menschen. Seine persönlichen Daten werden bei der Gewinnung abstrakter Einsichten nicht benötigt; sie würden nach Ablauf der Aufbewahrungs-fristen überdies anonymisiert, d. h. gelöscht, um nur die übrigen für die Diagnose nicht des Menschen, sondern der Gesellschaft bereitzuhalten. Nicht der Mensch soll gläsern, sondern Ursachen, Entwicklungen und Ver-änderungen von Sozial schäden sollen durchschaubar 'sein.

Und mit dieser Hoffnung möchte ich Sie, meine Damen und Herren, herzlich begrüßen.

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Eröffnungsansprache

Gerhart Rudolf Baum

Ich freue mich, daß ich auch in diesem Jahr bei Ihnen sein kann. Dem Bundeskriminalamt gebührt Dank und Anerkennung für sein bereits traditionelles Bemühen, internationalen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen und das Gespräch zwischen Praktikern, Wissenschaft-lern, Publizisten und Politikern zu fördern. Schon die Arbeitstagung 1958 hat sich mit dem Thema »Kriminal-politik« befaßt.

Damals lag der Schwerpunkt in Forderungen nach Erneuerung des Strafrechts. Es galt, das in manchen Bereichen erstarrte Strafrecht an die gesellschaftliche Entwicklung anzupassen und Mängel zu beheben, die gerade auch die Polizei Tag für Tag erfahren mußte. Die damals angestrebte Strafrechtsreform ist verwirklicht. Den Anstieg der Kriminalität - dies gilt es unge-schminkt einzugestehen - haben wir damit nicht ver-hindert. Das war auch nicht das eigentliche Ziel. Kriminalpolitik ist mehr als nur die Rechtspolitik auf dem Gebiet der Strafrechtspflege. Die Folgen einer zu eng angelegten Kriminalpolitik, die polizeiliche Erfah-rungen nicht einbezieht, müßten unsere Bürger, vor allem aber die Polizeibeamten ausbaden. Heute stehen denn auch die Probleme der polizeilichen Verbrechens-bekämpfung im Vordergrund. Der Akzent des heutigen Tagungsthemas »Polizei und Kriminalpolitik« liegt daher zu Recht auf dem Wort »Polizei«. Dennoch bleibt gerade angesichts der heute drängendsten Probleme, wie z. B. der Rauschgiftkriminalität, auch die Anpas-sung des Strafrechts eine aktuelle Forderung.

Die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität hat für die Bundesregierung weiterhin einen außerordentlich hohen Stellenwert. Wenn auch vielleicht der deutliche Rückgang der Zahl der Rauschgifttoten für eine gewisse Stagnation der Entwicklung sprechen könnte und die Steigerungsraten der polizeilich erkannten Rauschgift-delikte ein Eindringen in das Dunkelfeld signalisieren, von entscheidenden Erfolgen sind wir noch weit ent-fernt - wie im übrigen auch die anderen betroffenen Länder. Dennoch sollte anerkannt werden, daß Bund und Länder ihre polizeilichen Anstrengungen erheblich

verstärkt haben. Wir sind auf dem richtigen Weg. Die Polizei allein kann aber das Rauschgiftproblem nicht lösen.

Zu diesem Weg gehört daher auch die Entschlossenheit, im Rahme'n der Neuordnung des Betäubungsmittel-rechts dem Therapiegedanken im strafrechtlichen Teil einen höheren Stellenwert zu verschaffen. Lange Frei-heitsstrafen haben keine abschreckende Wirkung auf den bereits Drogenabhängigen. Niemand weiß das bes-ser als der Polizeibeamte, der heute mehr denn je im Kampf gegen das skrupellose Geschäft mit der Sucht steht.

»Therapie statt Strafe« - diese Forderung betrifft nicht den eiskalten geschäftsmäßigen Rauschgifthändler, für den das Strafmaß bis zur Grenze des Sinnvollen nach oben hin auszuschöpfen ist. Sie sollte daher nicht miß-deutet werden als liberalistische Weichheit gegenüber der Herausforderung der Rauschgiftkriminalität. »The-rapie statt Strafe« zielt allein ab auf die Opfer dieser Kri-minalität, auf die über die Sucht in diese Kriminalität verstrickten Menschen.

Die Resozialisierung in diesem Bereich ist untrennbar verknüpft mit der Therapie. Die Einrichtung weiterer Therapieplätze ist deshalb ein wesentlicher Beitrag zur Eindämmung dieses gefährlichen Phänomens. Ich hoffe, daß das Betäubungsmittelgesetz im Interesse unserer bedrohten Jugend in der Legislaturperiode so schnell wie möglich verabschiedet werden kann. Es soll - damit Zeit gespart wird - von den Koalitionsfraktio-nen sofort erneut eingebracht werden. Kriminalpolitik muß sensibel sein gegenüber neuen Herausforderun-Baum, Gerhart Rudolf

Bundesminister des Innern (seit Juni 1978); 1961 Rechtsanwalt in Köln; 1962-1972 Mitglied der Geschäftsführung der Bundesvereini-gung der Deutschen Arbeitgeberverbände und stellvertr. Leiter der Abteilung für internationale Sozialpolitik in Köln; 1969-1973 Mitglied des Rates der Stadt Köln; ab 1972 Mitglied des Deutschen Bundesta-ges; 1972-1978 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesmini-ster des Innern.

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gen, die sich durch die Entwicklung der Kriminalität, vor allem neuer Formen der Kriminalität stellen. Aus-wahl und Ausmaß der von der Rechtsordnung geschütz-ten Rechtsgüter sind stark abhängig von der jeweiligen Gesellschaftssituation.

Der Gesetzgeber entscheidet hier allein. Dennoch ist es ständige Aufgabe der Kriminalpolitik, die Frage der Grenzziehung zwischen Toleranz und Sanktion immer wieder neu zu überdenken und in das Gespräch, in die Beratung der verantwortlichen Politiker auch die jewei-ligen Argumente und Erfahrungen der Polizei einzu-bringen.

Unter dem Stichwort »Entkriminalisierung« werden wir uns z. B. intensiv mit den Bagatelldelikten auseinander-setzen müssen, deren massenhafte Bearbeitung die Polizei zunehmend bürokratisiert. Die Krise des Legali-tätsprinzips - wie sie oft genannt wird - ist gekennzeich-net durch das Auseinanderklaffen von gesetzlicher Strafverfolgungspflicht und tatsächlicher S trafverfol-gungsmöglichkeit. Diese Schere darf nicht zu weit aus-einanderklaffen. Der Unrechtsgehalt dieser Taten und ihre Stigmatisierungsfolgen stehen oft in keinem ver-nünftigen Verhältnis. Die ständige Überforderung der staatlichen Strafverfolgungsorgane durch die massen-hafte Begehung birgt die Gefahr des Vertrauensverlu-stes in die Effizienz staatlicher Kriminalitätskontrolle in sich. Kräfte werden gebunden, die bei der Bekämpfung der Schwerkriminalität dringend benötigt werden. Andererseits sind gerade Bagatelldelikte das Tummel-feld der Einstiegsdelinquenz, insbesondere von Jugend-lichen, der wir von vornherein begegnen müssen; ein gewichtiges Gegenargument. Dieses schwer lösbare Spannungsfeld wird daher zu Recht wesentliches Thema dieser Tagung sein.

Andererseits ist manches, was früher als Bagatelldelikt galt, heute als schwerwiegende Rechtsgüterverletzung erkannt: Mit der Neuordnung des Umweltstrafrechts haben wir die Sozialschädlichkeit der

Umweltkriminali-tät mit schärferen Sanktionen zur Geltung gebracht.

Umweltdelikte sind keine Bagatelldelikte, schon gar keine Kavaliersdelikte. Hier geht es um Gefährdungen lebenswichtiger Rechtsgüter, um die Gesundheit unse-rer Bürger, um die Lebenschancen künftiger Generatio-nen. Erfolg hängt damit auch davon ab, die als beson-ders bedrohlich empfundenen Deliktsbereiche in den Griff zu bekommen, also z. B. vor allem die politisch motivierte Gewalt und die Rauschgiftkriminalität, in Zukunft aber eben auch die Umweltkriminalität. Ja, Umweltdelikte sollten von allen Bürgern als das emp-funden werden, was sie tatsächlich sind, nämlich Bedro-hungen ihrer Freiheit und Sicherheit.

Auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit arbeiten heißt die Freiheit verteidigen, und zwar zu verteidigen mit den Mitteln des Rechtsstaats. Im Rechtsstaat heißt »Effektivität« vor allem wirksame Wahrung der Grund-rechte unserer Bürger. Eine wirksame Kriminalpolitik respektiert auch die Sensibilisierung der Bürger gegen-über dem Machtanspruch des Staates und seiner Fähig-keit, ihn mit immer effektiveren und subtileren Verwal-tungsmitteln zu vereinnahmen.

Die Furcht, auch die zum Teil irrationale Angst vor den Möglichkeiten der Datenverarbeitung gehört in diesen Zusammenhang. Stärkere Transparenz kann hier viel helfen. Es bleibt aber ständige Aufgabe, darüber zu wachen, daß auch hier die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit nicht verlorengeht.

In der täglichen Praxis ist dies oft schwierig. Die Verant-wortung des einzelnen Polizeibeamten übertrifft oft die Last, die auf anderen weit höher bezahlten Beamten ruht. Aber daß die Polizei mit diesem hohen Auftrag in der konkreten Lebenswirklichkeit zurechtkommt, darauf beruht die Legitimation polizeilichen Handeins, das Vertrauen der Bürger in ihre Polizei.

Die Rechtsstaatsorientierung der Kriminalpolitik ver-langt auch nach genauer Trennung des polizeilichen und des politischen Bereichs. Der Anspruch, die Polizei sei die politischste aller Verwaltungen, darf nicht dahin verstanden werden, als stelle sie den Primat der Politik in Frage. Die Polizei muß sich der politischen Auswir-kungen ihrer Arbeit stets bewußt sein. Sie muß aber insofern »unpolitisch« sein, als sie im politischen Mei-nungsstreit nicht Partei ergreifen und danach ihre poli-zeilichen Handlungsmechanismen ausrichten darf. Sie muß in diesem Sinne also unparteiisch sein.

Der Bürger in Polizeiuniform, der aus Überzeugung Kernkraftgegner ist, muß gleichwohl seinen Auftrag, ein Kernkraftwerk zu schützen, erfüllen. Auf der ande-ren Seite darf politische Gesamtverantwortung nicht dazu führen, daß die Politik bis ins einzelne in die poli-zeilichen Maßnahmen hineinregiert. Wer glaubt, sein politisches Wissen könne polizeiliches Fachwissen ersetzen, hat noch einen schmerzhaften Lernprozeß vor sich.

Es ist deshalb eine Grundforderung eines effektiven Polizeieinsatzes, daß Politiker sich gerade nicht in die Rolle von Polizeibeamten begeben, daß sie gerade nicht unmittelbar in polizeiliche Entscheidungslagen eingrei-fen. Den polizeilichen Bereich und den Bereich politi-scher Entscheidungen nicht zu verwischen war eine zentrale Forderung des Höcherl-Berichts. Ihr haben die Innenminister in Bund und Ländern auch Rechnung getragen. Dort stand die Zusammenarbeit bei der Terro-rismusbekämpfung im Vordergrund und die kritische Überprüfung des Zusammenspiels zwischen Politik und Polizei in den Zeiten der akuten Entscheidungsla-gen in diesem Bereich. In diesem Jahr hat sich diese Diskussion verschoben auf die Diskussion über den polizeilichen Einsatz gegenüber Demonstranten, die zumindest formelle Rechtsvorschriften verletzen. Nicht nur die Entscheidung über einen Polizeieinsatz, son-dern auch der Verzicht auf diesen Einsatz kann eine schwere Verantwortung bedeuten, die von dem poli-tisch Verantwortlichen zu tragen ist.

Der Aufschub des Einsatzes gegen die Gorleben-Beset-zer der sogenannten RepublikWendland z. B. war keine leichte Entscheidung. Den verantwortlichen Politikern war es voll bewußt, wie es auf die Polizeibeamten vor Ort nach wochenlanger EInsatzbereitschaft wirken mußte, den Besetzern nicht, sofort mit staatlichem Zwang entgegenzutreten. Die schwerwiegenden

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Gefah-ren für die Motivation der Polizeibeamten, aber auch für das Unrechtbewußtsein der Besetzer, waren immer wieder zentrale Argumente in den damaligen Beratun-gen. Dennoch war gerade dieser Fall ein Beispiel für ein mustergültiges Zusammenspiel zwischen Politik und Polizei: Die verantwortlichen Polizeiführer waren ein-bezogen in die politische Entscheidungsfindung - nicht

Entscheidungsverantwortung -, wann der polizeiliche Einsatz »opportun« war. Und »opportun« hieß eben nicht, wann und wie der polizeiliche Einsatz der poli-tischen Führung »genehm« war, sondern wann und wie er gewährleistete, daß nicht zum Schutz von Rechtsgü-tern neue Rechtsgüter verletzt wurden, die schwerer wiegen konnten als die, die es zu schützen galt. Das Opportunitätsprinzip war hier gewiß auch ein

politi-sches Prinzip. Es war nämlich die Frage, wie der Staat mit Bürgern umgeht, die sich für Anliegen engagieren, für die staatliche Parlamente und Behörden kein Ent-scheidungsmonopol haben. Es handelte sich hier in der Mehrheit um solche Bürger, die sich glaubwürdig und tatkräftig gegen gewalttätige Auseinandersetzungen wandten und die daran mitwirkten, die kleine Minder-heit gewalttätiger Demonstranten zu isolieren. Das Opportunitätsprinzip war aber zugleich rein

polizei-liche Opportunität. Nämlich, jeden Einsatz zum Schutz von Rechtsgütern auch und vor allem auf mögliche A us-wirkungen in bezug auf die Gefährdung anderer Rechts-güter, vor allem von Menschenleben, zu prüfen. Die Ausrichtung an den Grundrechten der Bürger -auch der zweifelsfrei rechtsbrechenden Bürger - ist Grundlage jeden polizeilichen Auftrages. Sie ist zu-gleich auch Grundlage des Vertrauens der Bürger in ihre Polizei. Deshalb müssen die Politiker die Gefahr sehen, durch einen polizeilichen Einsatz zur Unzeit Schaden für Polizei und Bürger zu bewirken.

Unzulänglichkeiten im Bereich politischer Klärung und politischer Verantwortung dürfen aber nicht auf dem Rücken der Polizei ausgetragen werden. Jeder, ob Poli-tiker oder Polizeiführer, muß für seinen Teil der Verant-wortung selbst stehen. Es geht hier nicht um Einzelhei-ten der Zweckmäßigkeit eines konkreEinzelhei-ten Einsatzes. Es geht vielmehr um die Konsequenzen der von der Politik gewollten und von ihr betriebenen Stärkung des Demo-kratieprinzips in Gestalt einer stärkeren Bürgerbeteili-gung.

Die Polizei sieht sich damit vor das Problem gestellt, daß die von ihr zu schützende staatliche Ordnung ein-schließlich der Rechtsordnung selbst nicht statisch, son-dern dynamisch ist, und zwar stärker als jemals in unse-rer Geschichte. Das Grundgesetz schreibt nur die Grundrechte und die tragenden Organisationsprinzi-pien unserer staatlichen Ordnung, vor allem die Verfah-rensgrundsätze fest, nach denen sich unsere Demokra-tie vollziehen soll. Die Grundrechte sind wiederum nach unserer Verfassung nicht nur formale Garantien gegenüber dem Staat, sondern materielle Verpflichtun-gen im Sinne eines Auftrags, sie für die größtmögliche Zahl der Bürger in größtmöglichem Umfang zu verwirk-lichen.

Wie das geschehen soll, läßt unsere Verfassung weitge-hend offen. Sie läßt viel Spielraum und Bewegung zu. Eine staatliche Ordnung zu vertreten, die in Bewegung ist, dafür gibt es noch keine eingefahrenen Modelle. Hierauf hat Gerhard Mauz jüngst zutreffend hingewie-sen. Der Schutzauftrag der Polizei kann angesichts der dynamischen Grundlagen nur dynamisch verstanden werden: als Verpflichtung zur Weiterentwicklung, zum ständigen Lernen, zur ständigen Rückkoppelung mit der gesellschaftlichen Entwicklung.

»Polizei und Justiz müssen sich an ihre ökonomische, soziale und politische Umwelt, an den Wechsel im kri-minellen Geschehen anpassen, d. h., sie müssen Tech-niken des Lernens entwickeln, um effektiv im Sinne ihrer AufgabensteIlung zu bleiben.« Dieser Satz ist ein Zitat, das von niemand anderem stammt als dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes. Von ihm ist mehr Bewegung ausgegangen als von jedem anderen Polizeibeamten vor ihm. Und ich stimme ihm zu, wenn er fordert, »Repression durch Prävention« und »Behar-rung durch Dynamik« zu ersetzen. Wir haben Herrn Dr. Herold nicht nur eine einzigartige Aufbauleistung im Bereich der Kriminaltechnik zu verdanken. Die Fort-entwicklung polizeilicher Arbeit lebt von radikalen Denkanstößen. Wer sie ohne nähere Prüfung verwirft oder gar dämonisiert, leistet keinen Beitrag. Auch hier gilt es, die notwendige Geduld und Toleranz aufzubrin-gen, um durch sachliche Prüfung und präzise Diskus-sion voranzukommen; zu klären, was anzunehmen, zu verwerfen oder zu modifizieren ist. Polizeiarbeit ist heute ohne Technik nicht mehr denkbar. Ständig muß die Polizei sich neue naturwissenschaftliche und tech-nologische Entwicklungen nutzbar machen. Nur so kann sie ihre Schutz- und Sicherungsaufgaben, die Tatortarbeit, Personen- und Sachfahndung und vieles andere mehr hinreichend erfüllen.

Auch gerade die technische Entwicklung im Bereich der Informationstechnologie muß in den Dienst der Verbrechensbekämpfung gestellt werden. Auf so wir-kungsvolle Instrumente der Sicherheitspolitik kann im Interesse der Sicherheit der Bürger nicht verzichtet wer-den. Die Technik der Polizei sollte immer einen Schritt weiter sein als die des Verbrechers.

Aufgabe der Kriminalpolitik ist andererseits nicht nur die Entwicklung von Grundsätzen für die optimale Ver-wendung der Kriminaltechnik, sondern auch für die Einsatzgrenzen dieser Technik. Ein schnelleres Auto braucht stärkere Bremsen. Es kennzeichnet die hohe rechtsstaatliehe Sensibilität der Sicherheitsbehörden, daß diese Diskussion auch innerhalb der Sicherheitsbe-hörden geführt wird, daß die SicherheitsbeSicherheitsbe-hörden selbst die Schutzinstrumente für den Bürger mitentwik-keIn.

Die Vorschriften für die Sammlung und Verarbeitung personenbezogener Daten im Sicherheitsbereich sind dafür Musterbeispiele. Auch die Konzeption, die Herr Dr. Herold uns an dieser Stelle vor einem Jahr zum Thema Sachbeweis vorgetragen hat, ist maßgeblich von der Überlegung bestimmt, der Grundforderung nach Schutz personenbezogener Daten auch durch eine Ver-lagerung auf die Sachdaten Rechnung zu tragen.

(11)

Die Technisierung hat auch Wirkung für die polizeiliche

Binnenstruktur. Die Technisierung darf z. B. nicht zu Lasten der individuellen Kreativität gehen. Niemals wird der Polizeibeamte sich allein auf seine technischen Hilfsmittel verlassen können. Immer hat er es mit Men-schen zu tun. Er soll MenMen-schen schützen vor anderen Menschen, die Rechtsgüter verletzen. Zu dieser Auf-gabe werden immer Qualitäten notwendig bleiben, wie sie »Sherlock Holmes« so zeitlos verkörperte.

Der Schwerpunkt moderner Kriminalpolitik muß in der

Prävention liegen. Die Verhütung von Verbrechen ist die vornehmste, die wichtigste Aufgabe der Polizei. Wir müssen daher Konzepte entwickeln, die bereits im

Vor-feld der Kriminalität ansetzen. Dazu gehört es vor allem, Ursachen zu erkennen und, wenn möglich, zu beseiti-gen.

Natürlich ist dies eine Aufgabe, die nicht mehr mit poli-zeilichen Mitteln bewältigt werden kann. Es gilt nach wie vor der Satz, daß »gute Sozialpolitik die beste Krimi-nalpolitik ist«. Prävention ist nicht allein Aufgabe des Staates. Der Staat hat zwar das Strafverfolgungsmono-pol, nicht jedoch das Präventionsmonopol.

Es ist Aufgabe auch der gesellschaftlichen Gruppen, daran mitzuwirken, gesellschaftliche Fehlentwicklun-gen so früh wie möglich zu korrigieren. Die EiFehlentwicklun-genver- Eigenver-antwortlichkeit des Bürgers für sich und sein Hab und Gut muß immer wieder betont werden. Das ist kein Plä-doyer für die Durchbrechung des staatlichen Gewalt-monopols. Zwar ist jede private Selbsthilfemaßnahme auch auf erwerbswirtschaftlicher Grundlage zu begrü-ßen, aber andererseits kann es nicht angehen, daß sich neben rechtsstaatlich legitimierter Zwangsgewalt der Behörden eine Grauzone privater Sicherungsunterneh-men entwickelt, die ihren Mitarbeitern etwa durch ein-heitliche Dienstkleidung quasi polizeilichen Anstrich geben. Außer- und nebenstaatliche polizeiähnliche Einrichtungen können die Freiheitssphäre der Bürger mindestens ebenso beeinträchtigen wie überdimensio-nierte staatliche Sicherheitsapparate. Hier werden Lösungen gefunden werden müssen, bevor das rechts-staatlich verankerte Zwangsmonopol des Staates zer-rinnt und Zwangsgewalt von privaten unkontrollierba-ren Kräften usurpiert wird.

Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Terroris-musphänomen haben Polizei und Justiz Signale anjene gegeben, die in den Terrorismus verstrickt sind, ohne zum harten Kern zu gehören.

Die Selbstgestellungen haben nicht die Gefahren ver-mindert, die von den noch aktiven Terroristen aus-gehen. Aber auch aus polizeilicher Sicht muß es darum gehen, denjenigen den Rückweg in die Gesellschaft zu erleichtern, die ihren Beitrag dazu leisten, daß ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren durchgeführt wer-den kann. Denn dieses Verfahren ist der entscheiwer-dende Anfang der Wiedereingliederung.

Der freiwillige Beitrag eines Tatverdächtigen zu diesem Verfahren ist selbst schon ein wichtiger Schritt zur Wie-derherstellung des Rechtsfriedens. Unsere Justiz hat gezeigt, wie innerhalb des Legalitätsprinzips dieser

per-sönliche Beitrag eines Tatverdächtigen berücksichtigt werden kann. Polizei und Justiz haben damit einen wichtigen Beitrag zur Beeinflussung des Vorfeldes gelei-stet. Dies ist gerade nicht das Bild des unerbittlichen Staates, der gnadenlos verfolgt. Dies ist nicht der Staat, der den Grundsatz mißachtet, daß das Endziel aller Strafverfolgung die Resozialisierung ist oder, wenn es sich um unberechtigte Tatvorwürfe handelt, die rechts-staatliche Klärung solcher Vorwürfe.

Ich habe keine Illusionen. Ich weiß, daß diese Signale auch ein starkes negatives Echo hatten und haben, und zwar insbesondere in der Szene, in der wir junge Men-schen ansprechen wollen, um sie vom Abgleiten in die Gewalt zurückzuhalten. Immerhin zeigt auch dieses negative Echo, daß unsere Signale beachtet werden, daß man sich mit ihnen auseinandersetzt.

Wir werden deshalb fortfahren mit unseren Anstren-gungen, um diejenigen zu kämpfen, die auch Zielgrup-pen derjenigen sind, die wir mit aller Entschlossenheit verfolgen. Es geht vor allem um junge Menschen, die sich aus moralischem Rigorismus von diesem Staat abwenden, statt den Weg der Reform zu gehen. Wir wer-den auch weiterhin versuchen, wer-den Graben der Sprach-losigkeit zu überwinden, der zum Weg in die Gewalt geführt hat.

Wir begegnen dem Terrorismus von links und rechts mit derselben Schärfe. Da gibt es für mich keinen Unter-schied. Wenn ich an aktuelle Ereignisse denke, ist mir unverständlich, wie Menschen 30 Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft durch die-ses irrational-borniert-primitive, gespenstische Gedan-kengut wieder zu Gewaltakten hingerissen werden kön-nen bis hin zu Anschlägen auf Flüchtlinge, die glaub-ten, bei uns Schutz vor Verfolgung gefunden zu haben. Lassen Sie mich abschließend feststellen: Erfolgreiche Kriminalpolitik ist nur auf der Basis der Kooperation denkbar. Der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet der Kriminalpolitik werde ich meine ganz besondere Aufmerksamkeit widmen. Sie war manchmal atmosphärisch getrübt. Gerade aber die erfolgreiche und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwi-schen den Sicherheitsbehörden anläßlich der Ermitt-lungen gegen den Terror von rechts mitten im Wahl-kampf zeigt, daß die Grundlagen dieser unverzichtba-ren Zusammenarbeit intakt sind. Der Begriff »Bundes-treue« ist für mich keine Einbahnstraße, auf der sich nur die Länder auf den Bund zubewegen; die Gegenrich-tung wird auch befahren. Nirgends sonst hat das Wort vom »kooperativen Föderalismus« eine solche Bedeu-tung wie gerade im Sicherheitsbereich. Die Weiterent-wicklung der modernen Kriminalpolitik verlangt die offene und die intensive Diskussion aller Lösungsmög-lichkeiten. Ich wünsche mir, daß Diskussionen dieser Arbeitstagung ein Stück Klärung, ein Stück Fortschritt bringen und wünsche ihr einen guten Verlauf.

(12)

Der Einfluß der Polizeipraxis

auf die Kriminalpolitik

Edwin Kube

Zusammenfassung: Kriminalpolitik kann von der Polizei

vor allem auf vier Ebenen beeinflußt werden:

durch rational geplante oder faktisch entwickelte delikts- und täterbezogene Strategien,

durch Formen der Zusammenarbeit mit Dritten bei der Verbrechensbekämpfung,

durch Einflußnahme auf die Rechtspolitik,

durch die »Konstruktion« und Vermittlung der Krimi-nalitätswirklichkeit.

Im Rahmen der B aga tell- undMassenkriminalitätfehlt es bisher an wirksamen Entlastungsmöglichkeiten für die Polizei. Es bfsteht insoweit die Gefahr derfaktischen Ent-kriminalisierung durch weitgehende »Kriminalitätsver-waltung«.

Bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität zeigt sich u. a. das Problem effektiver Vorfeldarbeit. Hierzu mangelt es derzeit teilweise an der eindeutigen rechtlichen Absicherung an sich notwendiger polizeilicher Maßnah-men. Festzustellen ist insgesamt jedoch eine größere Prä-ventionsorientierung der Polizei bei der Verbrechensbe-kämpfung, die von der Vorfeldarbeit im engeren Sinne bis zu Beratungs- und Vorbeugungsmaßnahmen gegenüber dem potentiellen Opfer reicht.

Bei der Zusammenarbeit der Polizei mit sonstigen Stellen ist gerade für schwere Kriminalitätsformen eine intensi-vere Kooperation mit anderen Staaten festzustellen (z. B. ansatzweise vorhandener Informationsaustausch nicht personenbezogener Daten aus polizeilichen Informations-systemen). Bei der Zusammenarbeit mit Dritten ist auch die Bedeutung der sozialen Dienste (gerade im Bereich der Jugenddelinquenz) und des Bürgers als Opfer, Hinweisge-ber oder Partner bei der Prävention zu erkennen. Neue Technologien und wissenschaftliche Erkenntnisse verändern kriminalpolitische Strategien der Polizei. Ver-wiesen sei auf die Weiterentwicklung kriminaltechnischer Verfahren mit ihren Auswirkungen auf den Sachbeweis oder auf neue Formen der Fahndung, die durch die EDV möglich geworden sind. Aus dem Bereich der BTM-Krimi-nalität werden exemplarisch neuere

Bekämpfungsmetho-den skizziert. Auch die in Abstimmung mit politischen Instanzen entwickelten Konzepte der Reaktion auf poli-tisch motivierten Protest einzelner besonders kripoli-tischer Gruppen der Bevölkerung (Strategie des Verhandelns und Aufklärens statt Räumens) führt zu Veränderungen her-kömmlicher Kriminalpolitik.

Anschließend wird auf den Einfluß der Polizei bei rechtspolitischen Maßnahmen eingegangen. Im Rahmen dieser Beratungsfunktion dürfte die Einwirkung der Poli-zei auf die Rechtspolitik - wie etwa der Entwicklungsgang bei der Vereinheitlichung des Polizeirechts zeigt - oft überschätzt werden.

Polizeiliche Kriminalpolitik ist im Beziehungszusammen-hang mit dem Verhalten sonstiger Einrichtungen zu sehen. Dies gilt nicht zuletzt auchfür die Vermittlung der von der Polizeifestgestellten »Kriminalitätswirklichkeit«. Hierbei kommt den Medien eine besondere Bedeutung und Ver-antwortung zu.

A. Ausgangslage

Die Polizei bewegt sich bei der Verbrechensbekämp-fung auf schwankendem Boden. Dies gilt bereits für die eigene Definition und Bewertung der einzelnen Felder des Aufgabenspektrums 1) und endet bei den Erwartun-gen von Politik und öffentlicher Meinung in die Art und Weise der Aufgabenerledigung.

Für die Polizei stellt sich hierbei eine Vielzahl von Fra-gen; einige seien herausgegriffen: Darf im Mittelpunkt

1) In diesem Zusammenhang etwa Stümper, Die Wandlung der Poli-zei in Begriff und Aufgaben, Kriminalistik 1980, S. 242 ff. Ders., Wende im Lagebild Innere Sicherheit, Die Polizei 1980, S. 297 ff.

Kube, Edwin, Dr. jur.

Ud. Regierungsdirektor; Leiter der kriminalistisch-kriminologischen Forschungsgruppe im BKA; zuvor Professor für Verwaltungslehre an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Kehl; Lehrbeauftrag-ter an der Universität Gießen; Veröffentlichungen insbes. zu Organisa-tions- und Kommunikationsproblemen sowie zu kriminalistisch-kri-minologischen Fragen; Tagungsleiter.

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des polizeilichen Arbeitsalltags bei der Verbrechensbe-kämpfung die Aufklärung der ganz überwiegend von Opfern angezeigten2) Straftaten der kleinen und mittle-ren Kriminalität stehen? Inwieweit sollte (und darf im Hinblick auf das Legalitätsprinzip3)) besonders sozial-schädliches Verhalten - z. B. Wirtschafts- und Umwelt-delikte - mehr als bisher und unter Vernachlässigung anderer Kriminalitätsbereiche durch personalintensive Strategien aufgedeckt und aufgeklärt werden? Inwie-weit hätte faktisches Entkriminalisieren einer größeren Zahl von Straftatengruppen durch überwiegende »Kri-minalitätsverwaltung« Rückkoppelungseffekte auf das Anzeige- und sonstige Kooperationsverhalten der Bevölkerung4)? Welcher Stellenwert muß der

progno-stizierten Sicherheitslage - z. B. zur Entwicklung der international organisierten Kriminalität - bei dem Aus-bau personalaufwendiger Strategien (etwa bei der Vor-feldarbeit) zukommen? Sollte die Polizei bei der Auf-gabenbewältigung mehr als bisher die Reduzierung übersteigerter Verbrechensfurcht einzelner Bevölke-rungsgruppen anstreben5)? Könnte sie - etwa durch

erhöhte Präsenz in der Öffentlichkeit - überhaupt erfolgreich darauf Einfluß nehmen?

Die Polizei handelt nicht im »luftleeren Raum«. An sie werden - zum Teil sich widersprechende - Erwartun-gen, etwa von gesellschaftlichen Gruppen oder von Medien, herangetragen. Politische Entscheidungsin-stanzen legen durch Haushaltspläne Grenzen fest oder setzen Ziele. Unabhängig davon ist der Polizei durch das Rechtsnormensystem ein Verhaltenskorsett ange-legt, innerhalb dessen sie sich zu bewegen hat. Es stellt sich daher zu Beginn unserer Tagung zu Recht gleich die Frage: Welchen Einfluß übt bei dieser Aus-gangslage die Polizeipraxis auf die Kriminalpolitik aus, wobei unter Kriminalpolitik hier die Prinzipien und Methoden des staatlichen Handeins gegenüber dem Phänomen des sozial abweichenden Verhaltens ver-standen werden, m. a. W. also die Strategien zum krimi-nalrechtlich verankerten Gesellschaftsschutz6).

Kriminalpolitik ist demnach mehr als bloße Strafrechts-reformpolitik. Andererseits sollte sie - was ebenfalls nicht unbestritten ist - nicht auf vielfältige

sozialpoli-2) Vgl. Steffen, Analyse polizeilicher Ermittlungstätigkeit aus der Sicht des späteren Strafverfahrens, Wiesbaden 1976, S. 125 ff.

3) Vgl. insoweit etwa die Bedeutung. die das BVerfG dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beimißt; dazu Beschluß des BVerfG mit Anm. von Kreuzer, in: Suchtgefahren 2/1978, insbes. S. 84 ff. In diesem Zusammenhang auch Weigend, Anklagepflicht und Ermessen, Baden-Baden 1979, S. 40 ff.

Forderungen des Datenschutzes, Daten von Bagatelldelikten dürf-ten nur örtlich begrenzt verfügbar sein, führen ebenfalls faktisch zu einer Einschränkung des Legalitätsprinzips.

4) Dazu Kürzinger, Private Strafanzeige und polizeiliche Reaktion, Berlin 1978, insbes. S. 188, sowie Kaiser, Gesellschaft, Jugend und Recht, Weinheim, Basel 1977, S. 125 f.

5) Zum Bedrohtheitsgefühl Schwind/ Ahlborn/Weiß, Empirische Kriminalgeographie. Bestandsaufnahme und Weiterführung am Beispiel Bochum, Wiesbaden 1978, S. 309 ff., sowie Du Bow/Mc Cabe/Kaplan, Reactions to Crime. A Critical Review ofLiterature, Washington 1979, S. 1 ff.

6) Dazu und zum folgenden vgl. statt aller Schwind, Kriminalpolitik (Teil 1), Kriminalistik 1980, S. 213 ff. m. w. H.; sowie Zipf, Krimi-nalpolitik, Heidelberg, Karlsruhe, 2. Aufl. 1980, S. 167 f.

tische Aktivitäten ausgedehnt werden, auch wenn sich die Ausgestaltung dieses Politikfeldes auf das norm-gerechte Verhalten einzelner Bevölkerungsgruppen mittelbar auswirken kann. Denn eine andere Sicht würde zu einer Verkehrung politischer Zielsetzungen führen. Ein Beispiel: Wenn etwa eine in finanzieller Hinsicht großzügigere Novellierung des Wohngeld-gesetzes mittelfristig die Belegungsdichte von Wohnun-gen herabsetzen würde, so könnte dies - nach krimino-logischer Erkenntnis 7) - zwar Einfluß auf das spätere Sozialverhalten der unter den neuen Umweltbedingun-gen aufwachsenden Kinder und JuUmweltbedingun-gendlichen haben. Dennoch sind bei solchen Konkretisierungen des ver-fassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzips m. E. explizite kriminalpolitische Zielsetzungen oft fehl am Platze oder zumindest von untergeordneter Bedeutung. An-dererseits ist es stets Aufgabe der strafrechtlichen Kontrollinstanzen und der Kriminologie, mit ihren Erkenntnissen in die Sozial- und Gesellschaftspolitik hineinzuwirken (primäre Prävention).

B. Polizeipraxis und Kriminalpolitik

Der Einfluß der Polizeipraxis auf eine so verstandene Kriminalpolitik muß aufverschiedenen Ebenen geprüft und im Beziehungszusammenhang mit dem kriminal-politischen Verhalten sonstiger Instanzen gesehen wer-den. Dabei bieten sich folgende vier Bereiche an: 1. Wie gestaltet die Polizei die

Verbrechensbekämp-fung durch rational geplante oder faktisch entwik-kelte delikts- und täterbezogene Strategien? 2. Wie gestaltet die Polizei über die Zusammenarbeit

mit Dritten die Verbrechensbekämpfung?

3. Welchen Einfluß nimmt die Polizei auf die

Rechtspolitik (im Sinne der Weiterentwicklung des Entscheidungsrahmens für ihr Verhalten)?

4. Welcher Einfluß kommt der Polizei bei der »Kon-struktion« des Bildes, das wir uns von Kriminalität machen, zu. M. a. W.: Inwieweit »definiert« und ver-mittelt die Polizei die Kriminalitätswirklichkeit (also das Objekt der Kriminalpolitik)?

1. Delikts- und täterbezogene Strategien

a) Strafverfolgung und Prävention

Auch wenn öfter beklagt wird, der Polizei mangele es an rational entwickelten strategischen Konzepten, so sind vielfältige zumindest faktische Strategien der Verbrechensbekämpfung feststellbar8).

Schon durch die organisatorische Aufgabengliede-rung der Polizeibehörde werden Weichen gestellt: Die Ausweisung einer eigenen Organisationseinheit zur Bekämpfung von Umweltdelikten, die Einset-zung von Jugendbeamten oder die Einrichtung von Kontaktbereichsstellen beeinflussen die Art der Ver-brechenskontrolle. Zunehmende Differenzierung bei der Aufgabengliederung führt allerdings auch

7) Vgl. Friedrichs und Strotzka, in: Bundeskriminalamt, Städtebau und Kriminalität, Wiesbaden 1979, S. 27 ff. und S. 35 ff.

8) Dazu etwa Kreuzer/Maassen, in: Kube/ Aprill, Planung der Ver-brechensbekämpfung, Heidelberg 1980, S. 43 ff.

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zur Frage der Schwerpunktbildung bei der Auf-gabenerledigung und der personellen Kräftezutei-lung. Durch das Legalitätsprinzip ist die Polizei zunächst einmal verpflichtet, im Rahmen der Straf-verfolgung alle Bereiche der Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Dennoch entwickeln sich Schwerpunkte der Strafverfolgung9). Dies führt allerdings dazu, daß in Teilbereichen der Bagatellkriminalität faktische

Entkriminalisierungstendenzen bestehen10).

Mas-senkriminalität mit Bagatellcharakter kann oft fast nur noch verwaltet werden. Die Aufklärungsraten -beispielsweise beim Fahrraddiebstahl mit derzeit ca. 320000 Fällen im Jahr liegt sie bei 8,7% - machen dies deutlich. Die Polizei steht insoweit bei der vor-handenen Personalausstattung auf verlorenem Posten.

In Absprachen mit der Staatsanwaltschaft werden zwar Verfahren entwickelt, die von vereinfachter Anzeigeerstattung bis zu periodisch erstatteten Sam-melanzeigen (etwa bei den häufigen Mißachtungen von Hausverboten) reichen. Auch die EDV ermög-licht hier Rationalisierungsmaßnahmen: So werden in manchen Großstädten nach Dateneingabe jeweils automatisch die Formulare »Strafanzeige« erstellt, die Tatverdächtigen registriert sowie die notwendi-gen Abfranotwendi-gen im System vornotwendi-genommen. Bis heute ist es aber weder der wissenschaftlichen noch der praktischen Kriminalpolitik gelungen, durch über-zeugende rechtliche Reaktionsformen auf Bagatell-delikte oder - von Ausnahmen abgesehen - durch wirksame Präventionsprogramme die polizeiliche Situation bei der Strafverfolgung zu verbessern 11).

Keine der diskutierten rechtlichen Alternativen (beim Ladendiebstahl des noch nicht registrierten Tatverdächtigen etwa die Verweisung des Geschä-digten auf den Zivilrechtsweg und die nur auf Antrag erfolgende Eintragung in ein Bundesregister) hat bisher eine breite Zustimmung gefunden. Aus der Sicht der Polizei stößt aber vor allem - und dies gilt nicht nur für die Massen und Bagatellkriminalität -das Fehlen komplex angelegter Präventionskon-zepte, die vielseitig abgestimmt sind und schon die Rechtspolitik mit einbeziehen, auf U nverständ-nis 12).

Wie erfolgreich andererseits einzelne Präventions-maßnahmen sein können, zeigt - bei aller Vorsicht,

9) Die Schwerpunktbildung stellt sich insbesondere deliktstypen-und fallbezogen (z. B. Aufklärungswahrscheinlichkeit) dar. Der Labeling-Ansatz betont dagegen das schichtspezifische Problem der (sekundären) Kriminalisierung durch Selektion.

Zum "Durchermitteln" vgl. neuerdings Rieß, Die Zukunft des Legalitätsprinzips, Neue Zeitschrift für Strafrecht 1/1981, S. 9 f.

10) Vgl. auch Steffen/Steinhilper, Die polizeiliche Ermittlungstätig-keit, Kriminalistik 1976, S. 97 ff.

11) Zu den Schwerpunkten der Kriminalpolitik siehe J escheck, Die Krise der Kriminalpolitik, ZStW 1979, S. 315 ff. und Roxin, Zur Entwicklung der Kriminalpolitik seit den Alternativ-Entwürfen, Juristische Arbeitsblätter 1980, S. 545 ff.

In der Polizeipraxis sind als Präventionskonzepte insbesondere Kripo-Beratungstätigkeit und Kripo-Vorbeugungsprogramm so-wie gezielte kurzfristige Aufklärungsaktionen zu nennen.

12) Vgl. Polizei-Führungsakademie, Bericht zum Seminar »Beiträge zur Entwicklung eines Präventions konzeptes«, Münster 1980.

statistische Daten monokausal zu interpretieren -ein Blick auf die Entwicklung der Raubüb~rfälle auf Banken und Geldinstitute im Zusammenhang mit den jüngst verwirklichten Maßnahmen des Banken-schutzes (wie etwa die weitgehende Installierung optischer Raumüberwachungsanlagen oder die Reduzierung des Bargeldbestandes). Von 1977 bis 1979 nahm diese Kriminalität um 24,7% ab, nach-dem sie sich von 1973 bis 1977 verdoppelt hatte (+ 107,5%). Allerdings besteht bei punktuellenPräven-tionsmaßnahmen stets die Gefahr bloßer Deliktsver-lagerung. Immerhin ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, daß gleichzeitig mit der Abnahme der Raubüberfälle auf Geldinstitute und Poststellen eine nicht unerhebliche Zunahme von Raubüberfäl-len auf nicht geschützte Geschäfte festzustelRaubüberfäl-len ist. b) Gefahrenabwehr/Vorfeldarbeit

Im Mittelpunkt des Interesses rein polizeilicher Prä-vention steht die Gefahrenvorsorge und Gefahren-abwehr i. S. d. Vorfeldarbeit. Zur Zeit fehlt es schon wegen der Überlastung der Polizei durch die reaktive

(nämlich im wesentlichen durch Anzeigen

gesteuerte) Verbrechensbekämpfung weitgehend an delikts- und täterbezogenen Konzepten der Gefah-renabwehr, vor allem aber an entsprechender Perso-nalkapazität13). Die Notwendigkeit der Vorfeld-arbeit ist allerdings unbestritten.

Im übrigen wird auch in anderen Ländern - wie bei-spielsweise den USA - von der Polizei die N otwen-digkeit verstärkter sog. proaktiver Verbrechensbe-kämpfung gesehen. Dort stellte sich bei einer Unter-suchung großer Polizeibehörden heraus, daß nicht nur die Vorfeldarbeit zu kurz kommt; selbst im Rah-men der Strafverfolgung betrug für Delikte mit unbekanntem Täter der für Maßnahmen der Tatauf-klärung bis zur »Täterfestnahme« (arrest) geleistete Anteil an der Gesamtarbeitszeit aller Ermittlungs-beamten (investigators) im Durchschnitt nur ca. 7%14).

Wie prägend eingeschliffene polizeiliche Verhal-tensmuster sind, zeigt sich deutlich etwa bei der Ver-folgung der BTM-Kriminalität, bei der bekanntlich der Arbeitsanfall - wegen des Ausfalls des Opfers als Anzeigeerstatter - weitgehend durch die Polizei selbst gesteuert wird. Bei aller Bedeutung, die Nach-frageseite nach Drogen gering zu halten, wird seit langem bei Bekämpfungskonzepten gerade der Angebotsseite, also dem Rauschgiftschmuggler und -händler und dem oberen Verteilernetz, besondere Beachtung geschenkt. Dennoch ergab sich im Rah-men einer gerade abgeschlossenen, vom BKA ini-tiierten und finanzierten empirischen Studie von

13) Wolf, in: Kubel Aprill a. a. 0., S. 19 ff. Zu den inzwischen recht

unterschiedlich verwandten Begriffen Gefahrenabwehr, Gefahren-vorsorge, Gefahrenvorbeugung, Vorfeldbefugnisse etc. vgl. Riegel, Musterentwurf und Alternativentwurf für ein einheitliches Poli-zeigesetz. DVBl. 1980, insbes. S. 710 m. w. H. Vgl. auch ders., Die Tätigkeit der Nachrichtendienste und ihre Zusammenarbeit mit der Polizei, NJW 1979, S. 953.

14) Etwa Law Enforcement Assistance Administration, The Criminal Investigation Process. A Dialogue on Research Findings, Part IV, Washington 1977, S. 1 und S. 30 ff.

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Prof. Kreuzer zur polizeilichen Drogenkontrolle, daß über 90% aller Strafverfahren in den Untersuchungs-gebieten sich gegen den Konsumenten richteten.

Vorfeldarbeit ist vor allem in den Kriminalitätsfel-dern notwendig, in denen in verschiedenen Staaten operierende Tätergruppen unter Ausnutzung prak-tisch offener Staatsgrenzen, bei Einsatz modernster Technik und mittels konspirativer Verhaltensweisen Straftaten mit hoher Sozialschädlichkeit begehen. Dabei handelt es sich insbesondere um den interna-tional organisierten Rauschgift- und Waffenhandel, um den systematischen Diebstahl und die Verschie-bung hochwertiger Waren, um die Herstellung und Verbreitung von Falschgeld, um bestimmte Formen der Wirtschaftskriminalität und um den internatio-nalen Terrorismus. Der Erfolg polizeilicher Arbeit beruht hier in der Aufdeckung und Zerschlagung der Operationsbasis und des logistischen Umfeldes der Hintermänner dieser Gruppierungen. Verdeckter Einsatz von Polizeibeamten oder V-Leuten, der Auf-bau von Legenden und deren Absicherung durch speziell angefertigte Ausweispapiere und sonstige Urkunden, das Mithören und Aufzeichnen von Gesprächen nicht nur im Rahmen der Telefonüber-wachung sind Beispiele an sich notwendiger polizei-licher Arbeitsmethoden in diesem Bereich. Verdeckte Ermittlungen im Rahmen der Strafverfol-gung sind hier vorrangig notwendig 15). Sie reichen aber nicht aus, um diese Schwerstkriminalität am Lebensnerv zu treffen. Vorfeldarbeit bereits im Vor-feld konkreter Verdachtssituationen, die die Einlei-tung von Ermittlungsverfahren erforderlich machen würden, ist ebenso geboten und wird - wenn auch unzureichend - praktiziert. Dabei ist (neben der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber verdeckt eingesetzten Beamten) wesentlicher Problem-bereich der Praxis die rechtliche Unsicherheit bei einzelnen Fragestellungen, die von dem Ankauf inkriminierter Waren von mehr oder weniger ver-kaufsbereiten Personen 16) bis zur Aussagepflicht von bekannt gewordenen V-Leuten 17) im späteren Strafprozeß reichen. Problembeladen ist vor allem die Grenzziehung bei den Rechtsbegriffen »Ein-griff« und »konkrete Gefahr«.

15) Not tut eine - deliktsspezifisch enumerativ aufgeführte - gesetz-liche Regelung spezieller Eingriffs- und Zwangsbefugnisse. § 163 StPO gilt nach überwiegender Meinung als bloße Aufgabenum-schreibung und nicht als Eingriffsnorm (vgl. etwa BGH NJW 1962, S. 1021). Auf jeden Fall scheidet § 163 StPO als Zwangsnorm für Eingriffe aus, die die Eingriffstiefe geregelter Zwangsbefugnisse (vgl. etwa 81 b, 102, 105, 127 StPO) erreichen. Ein Rückbezug auf strafrechtliche Notwehr- und Notstandsbefugnisse i. S. d. §§ 32 ff. StGB für Beamte von Strafverfolgungsorganen - etwa bei der Ver-wendung falscher Identifizierungspapiere oder bei »Keusch-heitsproben« ist höchst unbefriedigend.

16) Vgl. zur Frage der Verwirkung des staatlichen Strafanspruchs in Fällen der Anstiftung durch den polizeilichen »agent provocateur« BGH NJW 1980, S. 1761. Daneben besteht noch die Problematik der Strafbarkeit des die Tatbestandsverwirklichung in Kauf neh-menden »agent provocateur«.

17) Vgl. zu den Möglichkeiten der Verpflichtung von V-Leuten nach dem Verpflichtungsgesetz v. 2. 3.1974 und den vom BGH offenge-lassenen Konsequenzen des bloßen Verwaltungsakts flir die Frage der Aussagepflicht als Zeugen (flir den Fall versagter oder beschränkter Aussagegenehmigung) BGH NJW 1980, S. 846.

Bei der Staatsschutzkriminalität zeigten sich in der Vergangenheit Unsicherheiten bei der Aufgabenab-grenzung im »Vorfeld«-bereich zum Verfassungs-schutz. Nur schwierig zu regeln ist offenbar die Frage der Information der Polizei durch die Nachrichten-dienste, und zwar selbst dann, wenn Erkenntnisse zu mit Haftbefehl gesuchten Straftätern vorliegen 18). Gefahrenabwehr mit ganz anderer Zielsetzung und gänzlich differierenden Arbeitsmethoden wird in sonstigen Delikts- und Täterbereichen praktiziert. Um die breite Palette dieses polizeilichen Aufgaben-feldes anzudeuten, sei hier auf den auch z. Z. noch sehr umstrittenen Jugendpolizisten verwiesen. Am bekanntesten ist dazu das bereits seit 10 Jahren bestehende sog. Münchener Modell geworden 19). c) Prävention durch »Nichtintervention«

Eine in der Polizei relativ neue Strategie der Präven-tion ist die der eingeschränkten »Nichtinterven-tion«. Unter dem Aspekt der weitgehend sozial akzeptierten Legitimität politischen Protestes außer-halb der Instanzen repräsentativer Demokratie und unter dem Aspekt des weithin wirksam vermittelten Negativbesatzes staatlicher Gewaltausübung erge-ben sich neue Formen polizeilicher Reaktion auf polizei- und strafrechtswidriges Demonstrationsver-halten. In Abstimmung mit politischen Instanzen werden Rechtsverstöße - etwa Hausbesetzungen oder die Errichtung von Anti-Atomdörfern - vor-übergehend geduldet oder gar Vereinbarungen mit selbsterkorenen »Republiken« getroffen. Die Aus-wirkungen dieses Konzeptes lassen sich noch nicht beurteilen. Es besteht einerseits die Gefahr, daß die Strategie »Verhandeln und Aufklären statt Räumen« - wie die Freiburger Aktion zeigte - die Gewalt eskalieren läßt. Im Laufe der Zeit abgebautes Unrechtsbewußtsein der Demonstranten kann zur Verfestigung der Konfliktlage führen.

Andererseits ist mit dem Journalisten und Krimino-logen Wagner festzustellen20), daß das neue

Polizei-18) Vgl. insoweit auch die Diskussion in den Medien: Etwa »Der Spiegel« 42/1980, S. 51 ff. (»Da waren die Vögel schon aus-geflogen«). Aus rechtlicher Sicht: Riegel, Die Tätigkeit der Nachrichtendienste a. a. 0., S. 952 ff. - Es konkurriert das Prin-zip »informationeller Gewaltenteilung« mit dem Grundsatz der Einheit der Staatsgewalt. Eine Grenzziehung erfolgt jeden-falls über § 138 StGB (v gl. insoweit auch § 7 Abs. 3 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 13. 8. 1968).

Zur Abgrenzung des vorher erwähnten »Vorfeldbereichs« vgl. auch Hellenbroich, Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz auf dem Gebiet des präventiven Staatsschutzes, Kriminalistik 1975, S. 394 ff. - Probleme kön-nen sich in dem Bereich ergeben, in dem die Polizei für die Gefahrenabwehr zuständig ist, der Verfassungsschutz jedoch weiterhin im Rahmen seiner spezifischen Aufgabenwahrneh-mung (vgl. etwa § 3 BVerfSchG) tätig wird.

19) Vgl. etwa Philipp, Das Modell der polizeilichen Jugendarbeit beim PP München, Vortrag bei der Tagung »Polizei und Sozialarbeit« der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen - Regionalgruppe Hessen - am 11./12. Oktober 1980 in Wiesbaden (im Druck).

20) Dazu Wagner, Verhandeln statt räumen? Die Polizei und der zivile Ungehorsam, in: Gewerkschaft der Polizei, Daten, Fak-ten, Meinungen, Hilden 1980, S. 205 ff.

Zum sehr »schillernden« Demokratiebegriff (etwa Demokratie als Regierungs- und Lebensform) statt aller Hennis, Demokra-tisierung. Zur Problematik eines Begriffs, Köln, Opladen 1970.

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verhalten zwar einen rechtsstaatlichen Balanceakt darstellt. Es zeigt jedoch - was gerade bei den beste-henden Kommunikationsschwierigkeiten zwischen staatlichen Autoritäten und einzelnen Gruppen besonders kritischer junger Menschen wichtig ist -zugleich ein mehr an »Demokratie« im Sinne des Tolerierens unkonventionell geltend gemachter Meinungen. Polizei versteht sich hier als integrieren-der Faktor, integrieren-der bei politisch motivierten Rechtsbrü-chen zwar nicht politische Lösungen anbieten kann und darf, aber in Konflikte regulierend und dämp-fend eingreift. Die Frage ist, wie andere Kontroll-instanzen, die öffentliche Meinung und (potentielle) Störer dieses Verhalten bewerten werden.

d) Selektive Strafverfolgung

Das Nichteingreifen und Verhandeln der Polizei bei ordnungswidrigen Zuständen und dabei begangenen Strafrechtsverletzungen bedeutet Selektion, hier: Privilegierung mit politischer Argumentation ver-knüpften Verhaltens. Daß dies als Besserstellung bestimmter Gruppen gesehen wird, beweist die Reaktion erboster Bürger, die etwa als Verkehrssün-der zur Kasse gebeten wurden.

Für die Polizei stellt sich jedoch das Selektionspro-blem - nachdem es über den sog. labeling-approach Ende der 60er Jahre breit diskutiert wurde - als generelles Teilproblem bei der Strafverfolgung. Nicht zuletzt durch z. T. überzogene Angriffe irri-tiert und von einzelnen ebenso heftigen Gegen-attacken einmal abgesehen, hat sich die Polizei nur zögernd, insbesondere im Rahmen der Aus- und Fortbildung, mit der Selektionsfrage intensiver aus-einandergesetzt.

Fest steht, daß die Selektionsmechanismen vielfältig sind und schon bei der Festlegung und Ausgestal-tung der Straftatbestände durch den Gesetzgeber beginnen können. Selbst für das Ermittlungsverhal-ten der Strafverfolgungsorgane zeigen sich vielerlei vorwiegend tatbezogene Selektionsfilter. Dabei dürften insbesondere die Schwere der Straftat, die Sichtbarkeit des Delikts, die eingeschätzte Erfolgs-wahrscheinlichkeit der Fallaufklärung und die weit-gehende Auslastung der Polizei durch die im Bereich der Massenkriminalität über 90%ige Steue-rung des Arbeitsanfalles durch den Anzeigeerstatter von Bedeutung sein21 ).

e) Polizei, Technik und Wissenschaft

Polizeiliche Verbrechens bekämpfung wird nur dann effektiv, aber auch transparent und nachprüfbar sein, wenn sie die durch den rasanten technischen und wissenschaftlichen Fortschritt gebotenen Möglich-keiten für ihre Zwecke voll ausschöpft. Im Vergleich zu anderen Instanzen mit kriminalpolitischen Auf-gaben gestaltet hier die Polizei in erster Linie die Weiterentwicklung der Methoden der Verbrechens-21) In diesem Zusammenhang Steffen a. a. 0., insbes. S. 260 ff., sowie Jäger, in: Lüderssen/Sack, Seminar: Abweichendes Verhalten IV. Kriminalpolitik und Strafrecht, Frankfurt 1980, S. 17 ff. m. w. H.

bekämpfung, also betreibt praktische Kriminalpoli-tik. Das Spektrum polizeilicher Aktivitäten mit dem Ziele Innovation und Optimierung der Arbeits-methoden ist breit gefächert. Es reicht von vielfälti-gen EDV-Anwendunvielfälti-gen bei der Bewältigung poli-zeilicher Massendaten bis zur verobjektivierten Spurenauswertung durch Verfahren der Muster-erkennung, von der Weiterentwicklung etwa von Ortungs- und Detektierungsverfahren im Rahmen der Operativtechnik bis zur Verbesserung der Krimi-naltaktik durch empirische Sozialforschung. Verdeutlicht werden soll diese angedeutete

Weiter-entwicklung polizeilicher Arbeitsweisen und

Methoden anhand zweier Beispiele aus dem Bereich der Drogenkriminalität:

- »Erkennungsdienst Rauschgift«

Das BKA baut gemeinsam mit den Landeskriminalämtern einen »Erkennungsdienst Rauschgift« auf. Es geht darum, nach standardisierten Analyseverfahren ermittelte ver-gleichbare Daten von Rauschgiftproben zu sammeln und sie im Hinblick auf Anhaltspunkte für die Herkunft sicher-gestellter Rauschgifte und die Struktur des illegalen Han-dels auszuwerten, um auf diese Weise gezielte Ermittlungs-hilfen zu erhalten. In der ersten Phase erstreckt sich dieser Dienst auf Heroin.

- Entwicklung technischer Geräte zur Aufspürung von Drogen

Beim BKA wird nach Vorgabe durch das Schwerpunktpro-gramm der Bundesregierung zur Bekämpfung des Drogen-und Rauschmittelmißbrauchs ein Forschungsprojekt zur Entwicklung von technischen Systemen zum Aufspüren von Rauschgiften insbesondere in Paket-, Brief- und Frachtsendungen durchgeführt. Untersuchungen von Teil-aspekten des Projekts werden an wissenschaftliche Insti-tute vergeben. Die Bedeutung eines solchen Detektie-rungssystems läßt sich kurz wie folgt skizzieren: Die Gesamtzahl der Heroinabhängigen in der Bundesrepublik Deutschland wird häufig auf mindestens 60000 beziffert. Bei einem geschätzten Durchschnittsverbrauch von 200 mg pro Konsument und Tag errechnet sich hieraus ein Jah-reskonsum von über 4 Tonnen Heroin. Die oft zufällig erfolgten Sicherstellungen von ca. 200 kg jährlich stellen hierbei - bei Vernachlässigung des jeweiligen Reinheits-grades des Stoffes - einen Anteil von lediglich rund 5 % dar. Dabei bleibt zudem die Teilmenge von Heroin unberück-sichtigt, die sich nur zu Transitzwecken in der Bundes-republik befindet und in den 200 kg mitenthalten ist. Wenn ein technisches Verfahren der Praxis an die Hand gegeben werden könnte, mit dem der sichergestellte Anteil auf nur 10% erhöht würde, bedeutete dies, daß sich das Transport-und somit indirekt das Händlerrisiko schlagartig verdop-pelt.

Vereinzelt führen neue taktische und technische Methoden der Verbrechensbekämpfung zu Diskus-sionen über die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens. Besonders das Datenschutzrecht, aber auch schon die Frage nach der Rechtsgrundlage für das Handeln der Polizei sind Aufhänger der Kritik. Ein typisches Beispiel dafür ist die negative Raster-fahndung, bei der Datenbestände miteinander ver-glichen werden, die nach ihrer Zweckbestimmung nicht für polizeiliche Kontrollmaßnahmen erhoben worden sind22).

22) Dazu Ermisch, in: Bundeskriminalamt, Möglichkeiten und Grenzen der Fahndung, Wiesbaden 1980, insbes. S. 70 ff. sowie

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2. Polizeiliche Zusammenarbeit mit Dritten Erfolge in der Verbrechensbekämpfung setzen Koope-ration der verschiedensten an Strafverfolgung und Prä-vention Beteiligten voraus. Die Polizei beeinflußt durch die konkreten Kooperationsstrategien die Methoden der Verbrechenskontrolle und damit die Kriminalpoli-tik.

Unter Ausklammerung des Polizei-Justiz-Bereichs23), dem vor einigen Jahren eine eigene BKA-Tagung gewidmet war, sollen drei weitere, wesentlich erschei-nende Kooperationsfelder angesprochen werden: a) Internationale Zusammenarbeit

Gerade die besonders sozialschädliche Kriminalität der über Grenzen hinweg agierenden Straftätergrup-pierungen macht gegenseitige zwischenstaatliche und internationale Unterstützung der nationalen Polizeiarbeit nötig. Neben dem (z. T. in der Öffent-lichkeit überschätzten) Aufgabenbereich von IKPO-Interpol, den Aktivitäten aufEG-Ebene im Rahmen von TREVI, der Unterstützung von Entwicklungs-staaten durch technische Ausrüstung und Ausbil-dung hat sich bekanntlich die zwischenstaatliche Hilfe bei Datenabgleichen und Fahndungsaktionen besonders bewährt. Darauf kann hier nicht näher eingegangen werden.

Zu betonen sind vor allem die ersten Ansätze einer Internationalisierung von Dateien der Polizei, soweit sie keine personenbezogenen Daten enthalten. So sind derzeit die Interpolstellen u. a. von Paris, Wien, London, Rom und Stockholm im Telex- bzw. Termi-nalbetrieb an die Sachfahndungsbestände des Inpol-Systems der deutschen Polizei angeschlossen. Hier zeichnet sich für die Kriminalpolitik ein Weg ab, der ohne Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Bür-ger den Tätervorsprung in den gefährlichsten Krimi-nalitätsbereichen entscheidend verkürzt. Nicht unerwähnt bleiben soll jedoch, daß im Rahmen der Strafverfolgung bei der zwischenstaatlichen Rechts-hilfe heute noch vielfältige, z. T. im Formalen lie-gende Probleme einer effektiven Aufgabenerledi-gung entgegenstehen24).

b) Opfer und Zeugen

Für den Erfolg polizeilicher Arbeit steht unter dem Kooperationsaspektjedoch nach wie vor der Bürger - sei es als Opfer, sonstiger Zeuge, Informant oder Partner in der Prävention - im Mittelpunkt des poli-zeilichen Interesses. Zuweilen wird offenbar auch von der Polizei die Bedeutung des Bürgers unter-schätzt. So hat etwa eine in den USA durchgeführte

23) Vgl. Bundeskriminalamt, Polizei und Justiz, Wiesbaden 1976. Neuerdings etwa Gössel, Überlegungen über die Stellung der Staatsanwaltschaft im rechtsstaatlichen Strafverfahren und über ihr Verhältnis zur Polizei, GA 1980, S. 325 ff., und Decker, Zum Verhältnis Staatsanwaltschaft - Polizei, Kriminalistik 1980, S. 423 ff.

24) In diesem Zusammenhang Herold, in: Bundeskriminalamt, Mög-lichkeiten und Grenzen der Fahndung a. a. 0., insbes. S. 144 ff.

empirische Studie ergeben, daß bei aller'grundsätz-lichen Wichtigkeit technisch ausgeklügelter Einsatz-leitrechner die Schwachstelle im Gesamtsystem polizeilicher Reaktion - wider Erwarten - das ver-zögerliche Verhalten des Opfers bzw. des die Straftat wahrnehmenden Zeugen bei der Alarmierung der Polizei darstellte 25).

Wenn es der Polizei nicht gelingt, dem Bürger den Eindruck der sachgerechten Aufgabenerledigung zu vermitteln, besteht die Gefahr eines Teufelkreises zwischen

Einschätzung der Polizei als wenig effizient, hohem Dunkelfeld wegen nachlassender An-zeige- und sonstiger Kooperationsbereitschaft der Opfer,

niedrigen Aufklärungsraten,

Verminderung des Risikos für den Täter, gefaßt zu werden.

Im Gegensatz zu manchen Entwicklungen im Aus-land zeigen unsere Kriminalstatistiken und Analy-sen des Anzeigeverhaltens der Opfer, daß insoweit Probleme nicht erkennbar sind.

c) Sonstige Kontrollinstanzen (Beispiel Sozialarbeit) Insbesondere um den Jugendlichen als kriminell Gefährdeten bemühen sich die Polizei im Rahmen der Gefahrenabwehr, die Sozialarbeit im Rahmen der Jugendhilfe und Jugendpflege. Schon die Sicht-weise der Aufgabenstellung durch beide Instanzen ist unterschiedlich: Die Polizei sieht in dem jugend-lichen Straftäter - verkürzt gesagt - jemanden, der Probleme macht, Sozialarbeit jemanden, der Pro-bleme hat. Konflikte zwischen Polizei und Sozialar-beit sind daher sozusagen schon vorprogrammiert. Vereinfacht ausgedrückt wird polizeiliche Arbeit insoweit öfter unter dem Aspekt zusätzlicher Krimi-nalisierung Jugendlicher und institutionalisierten Spitzeltums in Jugendeinrichtungen diskreditiert. Der Jugendbeamte der Münchener Polizei arbeitet - um ein positives Beispiel zu nennen - dagegen weitgehend problemlos mit dem street worker des Jugendamtes der Stadt zusammen - und zwar unter Klarstellung der unter-schiedlichen Rollen gegenüber den Jugendlichen. Sozial-pädagogische Einzelhilfen und Freizeithilfen für Gruppen ist Aufgabe der Sozialarbeit, in der ersten aktuellen Phase Aufgabe des street workers. Der Jugendbeamte der Polizei hat Gefahrdungen zu erkennen und abzubauen, Jugend-liche (z. B. bei straßenverkehrsrechtJugend-lichen oder waffen-rechtlichen Fragen) zu beraten und im Rahmen des Jugendschutzes Minderjährige vor Gefahren, die von Erwachsenen ausgehen, zu schützen.

München steht bei der registrierten Jugendkriminalität unter den deutschen Großstädten an vorletzter Stelle. Auch motiviert durch derartige Erfolgsaussagen (die aller-dings näher untersucht werden müßten) gestaltet die Poli-zei, trotz der in den letzten Jahren z. T. fehlgeschlagenen Einführung solcher kriminalpolitischer Strategien und trotz des sozusagen systemimmanenten Konflikts mit den Instanzen der Sozialarbeit, ihre Arbeit auf dem Gebiet der Jugenddelinquenz zunehmend präventionsorientiert.

25) In diesem Zusammenhang Kube, Reaktionszeit des Bürgers und polizeilicher Erfolg, Deutsche Polizei 8/1978, S. 19 m. w. H.

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