A 1012 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 20|
18. Mai 2012V
iele Patienten setzen große Er- wartungen in die Medizintech- nologie. Einer repräsentativen Um- frage* des Meinungsforschungsinsti- tuts Forsa zufolge schreiben drei Viertel der Deutschen der Medizin- technik eine entscheidende Rolle da- bei zu, ihnen ein längeres Leben zu ermöglichen. Mehr als 90 Prozent schätzten die Entwicklungen bei Vor- sorge, Diagnose und Behandlung als positiv ein, berichtete Joachim M.Schmitt, Geschäftsführer und Vor- standsmitglied des Bundesverbandes Medizintechnologie, bei einer Podi- umsdiskussion zum Thema „Blick- punkt Patientenperspektive: Wie ist die Erwartungshaltung an innovative Medizinprodukte?“ in Berlin. „Der Patient erwartet, dass Medizinpro- dukte sicher, leistungsfähig und wirk- sam sind und dass sie ihm nutzen“, erklärte Schmitt. Der Rechtsrahmen für Medizinprodukte werde dem ge- recht. Die Regelungsdichte sei der bei Arzneimitteln vergleichbar.
Telemonitoring wird akzeptiert
Ein Beispiel für eine Innovation, die sich bewährt hat und die bei der Überwindung von Ressourceneng- pässen künftig eine große Rolle spie- len wird, ist nach Meinung von Dr.med. Volker Leonhardt das Telemo- nitoring von Patienten mit implan-
tierten Herzschrittmachern und Defibrillatoren. Der niedergelassene Kardiologe betreut circa 1 000 seiner 8 000 Patienten inzwischen zusätzlich telemedizinisch.
Dadurch müssen die Patien- ten nur noch einmal jährlich in seine Praxis kommen, alles Übrige wird über die Online-Betreuung und regel- mäßige Anrufe gesteuert.
Die Sicherheit der Patienten insgesamt sei gewachsen, be - tonte Leonhardt. Die Be - treuung sei „hochwertig und kos- teneffektiv“, die Telemedizin werde
„absolut akzeptiert“.
Weitaus skeptischer ist dagegen die Sicht der Patientenvertreter, nicht zuletzt nach Ereignissen wie dem Skandal um schadhafte Brust- implantate oder Berichten über feh- leranfällige Hüftprothesen. Patien- ten erwarten einen transparenten Zusatznutzen von Innovationen.
Medizinprodukte sollten einer Qua- litätssicherung mit einer „Voll do - kumentation“ unterliegen, forderte Marion Rink, Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbst - hilfe und Vizepräsidentin der Deut- schen Rheuma-Liga Bundesver- band. In der Endoprothetik bei- spielsweise sollten sämtliche Re - visionen dokumentiert werden, als Bestandteil eines umfassenden Ver- sorgungsprogramms mit Vorsorge, Behandlung und Nachsorge. Rink hält ein verpflichtendes Endo - prothesenregister für unerlässlich, um die Revisionsrate zu senken. In Schweden habe dies zu einer 25-prozentigen Revisionssenkung innerhalb von drei Jahren geführt.
Ganz oben auf der Wunschliste ste- hen außerdem unabhängige Infor- mationen zu Medizinprodukten – die Herstellerinformationen allein reichten nicht aus, bemän gelte sie.
Patienten als „Medizintechnik- Endverbraucher“ lassen sich nicht alle über einen Kamm scheren, be- tonte Ilona Schlegel, Geschäftsfüh- rerin der Arbeitsgemeinschaft Spi- na Bifida und Hydrocephalus e.V.
Geht es um das eigene Überleben, ist der Patient auch bereit, ein höhe- res Risiko zu akzeptieren. Aber:
„Die Menschen sind unterschied- lich risikofreudig“, sagte Schlegel, das sei eine persönliche Abwägung.
Wenn es nicht um die Frage des Überlebens, sondern um die Le- bensqualität geht, wollen die Pa- tienten in Entscheidungen einbezo- gen werden. Hier sei ehrliche Auf- klärung wichtig, denn jeder Eingriff sei mit Nebenwirkungen verbun- den. „Weil Lebensqualität ein indi- vidueller Begriff ist, geht es letzt- lich für den Patienten immer um die Frage: Was ist das Ziel?“
Frage nach der Evidenz
Dr. Martin Kluxen vom Verband der Ersatzkassen verwies darauf, dass aus Sicht der Kostenträger In- novationen notwendig sind und ge- fördert werden müssen, dabei aber die Spreu vom Weizen getrennt werden muss. „Bei vielen Metho- den fällt es dem Gemeinsamen Bundesausschuss schwer zu beur- teilen, wie es mit der Evidenz aus- sieht“, erläuterte Kluxen. Er konze- dierte zudem, dass sich die Struktu- ren für unabhängige Patienteninfor- mationen erst im Aufbau befänden.
Der multimorbide ältere Patient werde künftig zum beherrschenden Thema, resümierte Dr. Rolf Koschor- rek, Mitglied des Deutschen Bundes- tages (CDU). „Das ist eine extrem große Herausforderung für die Medi- zintechnologie. Es fehlt aber an sek- torübergreifenden vernetzten Kon- zepten.“ Auch sei die Versorgungsfor- schung noch zu verbessern.
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Heike E. Krüger-Brand
*Quelle: http://tiny.cc/
b1z0w (befragt wur- den im August 2010 im Auftrag von Philips 1 000 Bundesbürger)
Unabhängige In- formationen und
ehrliche Aufklä- rung sind aus Sicht
der Patienten für die persönliche Ent-
scheidung unbe- dingt erforderlich.
Foto: BVMed
MEDIZINPRODUKTE
Die Perspektive der Patienten
Für medizintechnische Innovationen fordern Patientenvertreter ein verpflichtendes Endoprothesenregister und unabhängige Patienteninformationen.