A 2276 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 46|
19. November 2010PALLIATIVMEDIZIN
Alltag in der Hausarztpraxis
Wenn alle Behandlungen ausgeschöpft sind, stehen Ärzte häufig vor einem Dilemma: Stationäre Einweisung oder nicht? Ein KBV-Konzept zur allgemeinen ambulanten Palliativversorgung will Abhilfe schaffen.
D
ass ein Notarztwagen gerufen wird und sie in ein Kranken- haus transportiert werden, ist häufig das Letzte, was sich schwerstkran- ke, sterbende Menschen wünschen.„Doch in akut lebensbedrohlichen Situationen sind die Angehörigen schnell überfordert – und palliativ- medizinische Versorgung geht eben nicht gegen den Willen der Angehö-
rigen“, sagt Dr. med. Peter Engeser, Hausarzt und Palliativmediziner aus Pforzheim. Viele Menschen müssten sich erst mal mit dem Gedanken aus- einandersetzen, dass ein naher Ver- wandter zu Hause stirbt, und gleich- zeitig diese Situation auch praktisch managen können. „Patienten und Angehörige müssen gleichermaßen vom Hospizdienst überzeugt sein“, erklärt Engeser. Das erfordere aber entsprechende kooperative Rahmen- bedingungen.
Doch von diesen ist die Realität weit entfernt. Noch immer verbrin- gen viele Sterbende die letzten Stunden oder Tage ihres Lebens im Krankenhaus anstatt im vertrauten häuslichen Umfeld. Klagen und Be- dauern von Angehörigen darüber zu
hören, ist mittlerweile Alltag für Hausärztinnen und -ärzte. Um dies zu ändern, hat die Vertragswerkstatt der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung (KBV) jetzt ein neues Ver- tragskonzept erarbeitet: das Kon- zept zur allgemeinen ambulanten Palliativversorgung (AAPV).
„Viele Menschen benötigen eine AAPV. Doch bisher gibt es sie fast
gar nicht“, betonte Dr. med. Carl- Heinz Müller, Vorstand der KBV, auf der Kooperationstagung von KBV und Bundesärztekammer „Am- bulante Palliativversorgung – Visi- on und Wirklichkeit“ am 6. Novem- ber in Berlin. Der Vertragsentwurf zur AAPV schaffe einen fließen- den Übergang zwischen der kurati- ven und der palliativen Behand- lung und schließe die Lücke zur Vollversorgung durch die speziali- sierte ambulante Palliativversor- gung (SAPV), die nur etwa zehn Prozent aller unheilbar kranken Menschen benötigten.
Konkret sieht das Konzept zur AAPV vor, die in vielen Regionen bereits existierenden Versorgungs- strukturen zu fördern und die AAPV
mit einheitlichen Qualitätsstandards bundesweit zu etablieren. Zu den festen Aufgaben der teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte sollen regelmä- ßige Hausbesuche, Schmerztherapie und Symptomkontrolle sowie Bera- tungsgespräche mit den Patienten und den betreuenden Angehörigen zählen. Der Arzt des Vertrauens soll die Behandlung in Zusammenarbeit mit Vertragsärzten und -psychothe- rapeuten sowie mit der Pflege und den Hospizdiensten koordinieren und telefonisch erreichbar sein.
Teilnahmevoraussetzungen sind der Nachweis des Basiskurses Palliativ- medizin (40 Stunden) und bestehen- de Kontakte zu den Kooperations- partnern.
Das AAPV-Konzept ergänzt da- bei bewusst die Verträge zur SAPV.
„Trotz des gesetzlichen Anspruchs weist diese noch große Defizite auf“, kritisierte Müller. Gründer von SAPV-Teams hätten noch im- mer keine Vertragssicherheit; Ver- träge seien noch immer nicht mit allen Kassen möglich. Die KBV forderte die Politik auf, die Verträge zur SAPV in den Kollektivvertrag aufzunehmen und nicht mehr dem Wettbewerb zwischen Kassen und Anbietern zu überlassen.
Verständnis für dieses Anliegen zeigte bei der Kooperationstagung Wolfgang Zöller, Patientenbeauf- tragter der Bundesregierung. „Einen Wettbewerb im Bereich der spezia- lisierten ambulanten Palliativversor- gung darf es nicht geben“, erklärte er. „Wir müssen leider feststellen, dass wir unser Ziel nicht erreicht ha- ben.“ Gemeinsam müsse man nun Lösungsmöglichkeiten erarbeiten, besonders für den ländlichen Raum.
Die Bundesärztekammer begrüß- te den Vertragsentwurf der KBV.
„Die Initiative zur AAPV kann ei- nen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Versorgungsstrukturen an die Bedürfnisse der Betroffenen anzu- passen“, sagte Prof. Dr. med. Chris- toph Fuchs, Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer. Wichtig ist es Fuchs zufolge zudem, die Ärztinnen und Ärzte in der Aus-, Weiter- und Fortbildung auf den Umgang mit sterbenden Patienten noch besser vorzubereiten. ■
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann Noch häufig
Realität: Die Fahrt von schwerstkran- ken Patienten in eine Klinik, obwohl sie gern zu Hause versorgt werden würden
Foto: DRK Kreisververband Göppingen