Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 49|
7. Dezember 2012 A 2457N
ach dem Urteil des Landge- richts Köln vom Mai dieses Jahres, bei dem die Beschneidung ei- nes Vierjährigen als Körperverlet- zung geahndet wurde, waren Ärzte und Religionsgemeinschaften ver - unsichert. Viele befürchteten, sich durch einen solchen Eingriff in Zu- kunft strafbar zu machen, Juden und Muslime sahen ihre Religionsfrei - heit bedroht. Die Bundesregierung kündigte an, möglichst schnell für Rechtssicherheit zu sorgen.Der nun vorliegende Gesetzent- wurf wurde am 22. November im Bundestag in erster Lesung disku- tiert. Er sieht vor, dass Eltern einer Beschneidung zustimmen können, auch wenn diese „nicht medizinisch indiziert“ ist. Einzige Bedingung:
Sie muss nach den „Regeln der ärzt- lichen Kunst“ vorgenommen wer- den, und eine Gefährdung des Kin- deswohls muss ausgeschlossen sein.
Innerhalb der ersten sechs Monate nach der Geburt soll es auch nicht- ärztlichen Angehörigen von Reli - gionsgemeinschaften erlaubt sein, Beschneidungen vorzunehmen. Vor - aussetzung ist jedoch, dass sie über
eine entsprechende Ausbildung ver- fügen. „Die Bundesregierung bringt mit diesem Gesetzentwurf auch zum Ausdruck, dass jüdisches und mus - limisches Leben in Deutschland ausdrücklich erwünscht ist“, betonte Bundesjustizministerin Sabine Leut- heusser-Schnarrenberger (FDP).
Die stellvertretende SPD-Frakti- onsvorsitzende Christiane Lam- brecht und der rechtspolitische Sprecher der SPD, Burkhard Lisch- ke, fordern in einem Gruppenände-
rungsantrag eine genauere Rege- lung der Rechte und Pflichten der beschneidenden Person. So sollen die Ausbildungsinhalte für nicht- ärztliche Beschneider bundesweit einheitlich geregelt und die Aufklä- rungspflicht beachtet werden. Auch seien allgemeine Standards bei der Schmerzbehandlung und Nachsorge einzuhalten.
Ein zweiter Änderungsantrag des rechtspolitischen Sprechers von Bünd - nis 90/Die Grünen, Jerzy Montag, sieht vor, den Eingriff ohne ärztliche Fachkraft nur bis zu 14 Tage nach der Geburt zu erlauben. Ein Veto- recht des Kindes soll darüber hinaus
den Willen auch rechtlich noch nicht urteilsfähiger Kinder schützen.
66 Abgeordneten aller Fraktionen gehen die Ansätze nicht weit genug.
Ein von ihnen vorgelegter Alterna- tiventwurf zieht den Spielraum für religiöse Beschneidungen wesent- lich enger. So soll ein solcher Ein- griff erst nach dem 14. Lebensjahr des Kindes möglich sein, um deren volle Einsichts- und Urteilsfähigkeit zu gewährleisten. Die Beschnei- dung soll darüber hinaus zwingend ein Facharzt für Kinderchirurgie oder Urologie vornehmen.
Beide Entwürfe wurden von Ärzten und Juristen sowie Vertre- tern der Religionsgemeinschaften in einer Anhörung des Rechtsaus- schusses diskutiert. Die Mehrheit sprach sich dabei für den Regie- rungsentwurf aus. Harsche Kritik gab es jedoch vom Präsidenten des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Dr. med. Wolfram Hartmann. Er sieht eine klare Gren- ze des Erziehungsrechts dort, „wo die körperliche Unversehrtheit ei- nes unmündigen und nicht einwilli- gungsfähigen Kindes angetastet wird“, und unterstützt die Regelung des Alternativentwurfs. Diese Posi- tion haben zuvor bereits Kinder- schutzverbände vertreten.
Die eingeladenen Juristen beurteil- ten den Fall anders. „Die Befugnis, eine Einwilligung in die Beeinträchti- gung der körperlichen Unversehrtheit von Minderjährigen zu erteilen, steht grundsätzlich den sorgeberechtigten Eltern zu“, sagte Prof. Dr. Hennig Radtke, Richter am Bundesgerichts- hof in Karlsruhe. Eine Einschrän- kung von staatlicher Seite dürfe nur dann erfolgen, wenn eine klare Kin- deswohlgefährdung vorliege. Ange- sichts der geringen Komplikationsri- siken nach einer Beschneidung sei dies jedoch nicht der Fall.
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Christian Albaum
BESCHNEIDUNGSDEBATTE
Nicht nur eine Frage des Kindeswohls
Der Bundestag diskutiert über ein Gesetz zur Beschneidung von minderjährigen Jungen aus religiösen Gründen. Zwei Entwürfe liegen vor, eine klare Einigung ist noch nicht in Sicht.
Das Beschneidungsmesser wird vom Mohel (jüdisch Beschneider) zum Abtrennen der Vorhaut verwendet. Ne- ben den chirurgischen Instrumenten liegt ein hebräisches Gebetbuch.
Foto: dpa