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Archiv "Suizidgefährdete fallen durch das Gesundheitsnetz" (20.08.1999)

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ärzten in Deutschland nur in einem Prozent der Fälle gesehen, zitierte Prof. Dr. med. Josef B. Aldenhoff (Kiel) Daten aus der von der WHO initiierten „Allgemeinarztstudie“.

Aldenhoff nimmt an, daß in der Hausarztpraxis psychische Störun- gen vielfach gar nicht erkannt wer- den. Diagnostische und therapeuti- sche Kompetenz der Allgemeinärzte würde aber dringend gebraucht, er- gänzte Prof. Dr. med. Mathias Berger (Freiburg), um als „Filter“ zum einen den Teil von Patienten mit leichten Depressionen oder Angststörungen, der nicht einer spezifischen ner- venärztlichen und psychotherapeuti- schen Behandlung bedarf, selbst ad- äquat zu betreuen und zum anderen innerhalb eines Netzwerks die schwe- rergradig Erkrankten zum Facharzt zu überweisen.

Doch nicht nur Hausärzte sind nicht auf dem neuesten Wissensstand, sondern auch ein Teil der Fachärzte, hieß es auf dem Workshop. Anhand der Verordungszahlen lasse sich deut- lich erkennen, daß an alten Verord- nungsgewohnheiten festgehalten wird und moderne, zwar nicht besser wirk- same, aber besser verträgliche Thera- peutika sich nur schleppend im kli- nischen Alltag durchsetzen, machte Prof. Dr. med. Jürgen Fritze (Pul- heim) auf das Manko aufmerksam.

Verzögerter Fortschritt

Dabei sei inzwischen durch zahlreiche Studien eindeutig wissen- schaftlich belegt, daß beispielsweise die selektiven Serotonin-Wiederauf- nahmehemmer oder die sogenannten atypischen Neuroleptika die langfri- stige Prognose der Patienten deutlich verbesserten. Darüber hinaus könn- ten Folgekosten eingespart werden, so daß es sich auch volkswirtschaftlich rechne.

Eine wesentliche Aufgabe in der Grundversorgung besteht auch darin, betroffenen Patienten und ihren An- gehörigen, aber auch den (noch) psychisch Gesunden ein realistisches Bild zu den Behandlungsmöglichkei- ten zu vermitteln. In einer von Prof.

Dr. med. Otto Benkert (Mainz) initi- ierten repräsentativen Befragung re- duzierte sich die Einschätzung psychi-

scher Erkrankungen auf die beiden Extremgruppen „Wahnsinn“ und „Be- findlichkeitsstörung“. Dementspre- chend wurden auch Psychopharmaka – meist mit Beruhigungsmitteln gleich- gesetzt – vorrangig akzeptiert bei Wahnsymptomen und als Schutz der Allgemeinheit. Für seelische Erkran- kungen werden sie als „süchtigma- chend“ und „wesensverändernd“ weit- gehend abgelehnt. Für sinnvoller wer- den Psychotherapie, Entspannungs- übungen, Naturheilverfahren oder al- ternative Methoden angesehen.

Die Präferenz des Normalbür- gers für die Psychotherapie entspricht einer tiefsitzenden dualistischen Vor- stellung. Seele und Leib werden noch immer als etwas Getrenntes angese- hen. Das habe sich auch in der Berufs- politik widergespiegelt – biologische Psychiater und analytische Psychiater hätten sich lange Zeit nicht besonders gemocht, konstatierte Berger. Dies sei heute vorbei und dokumentiere sich auch darin, daß es seit 1992 nur Ärzte für Psychiatrie und Psychotherapie gebe.

Daß die beiden klassischen Be- handlungsmethoden Psychopharma- ka und Psychotherapie eng miteinan- der verzahnt sind, ist wissenschaftlich schon lange belegt. Besonders bei schweren Störungen reiche es keines-

falls aus, nur die neurobiologische Im- balance zu korrigieren oder nur die zwischenmenschlichen/sozialen Kor- relate, sondern man müsse multimo- dal vorgehen, betonte Berger. Wenn ein Patient Medikamente nicht akzep- tiert, sollte man ihn auch darauf hin- weisen, welche Chance er vergibt: Die Medikamentenwirkung tritt bereits nach vier bis sechs Wochen ein, der Effekt einer Psychotherapie dagegen erst nach etwa vier Monaten.

Spezialisierung anstreben

Für unerläßlich hält Berger eine Spezialisierung der Psychotherapeu- ten. Damit meinte er nicht hinsichtlich der Methode (Psychotherapie-Schu- len hält er für relativ unsinnig), son- dern in Hinblick auf die psychische Störung. Ein Arzt für Psychotherapie sollte seiner Meinung nach die Kom- petenz erwerben, eines oder verschie- dene der Hauptstörungsbilder wie Angst, Depression, Schizophrenie, Eßstörung, posttraumatisches Streß- syndrom, Abhängigkeitserkrankun- gen spezifisch behandeln zu können, und dabei die notwendigen Bausteine der anerkannten Verfahren – Verhal- tenstherapie und Tiefenpsychologie – nutzen. Gabriele Blaeser-Kiel A-2071

P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 33, 20. August 1999 (23) MEDIZINREPORT

Suizidgefährdete fallen durch das Gesundheitsnetz

Ein noch immer unterschätztes Problem in der Gesundheitsversorgung ist die Suizidalität. Es sterben wahrscheinlich mehr Menschen durch eigene Hand als bei einem Verkehrsunfall. Nach WHO-Schätzungen liegt die Zahl der jährlichen Suizide weltweit bei einer Million. Dazu kommen noch etwa zehn bis 20 Millionen Suizidversuche. Das Risiko ist über alle Altersstufen verteilt. Eine Umfrage bei rund 10 000 Jugendlichen in der Schweiz ergab, daß bei etwa einem Viertel Sui- zidgedanken und bei 15 Prozent konkrete Pläne bestanden. Drei Prozent hatten bereits einen konkreten Versuch gemacht. Das Risiko steigt mit dem Alter. Aus- löser sind neben Lebenskrisen und Alkoholmißbrauch vor allem – nicht oder un- zureichend behandelte – psychische Erkrankungen.

Man muß nach Ansicht von Prof. Dr. med. Josef B. Aldenhoff (Kiel) davon ausgehen, daß die diagnostischen und therapeutischen Fortschritte in der Psychia- trie suizidgefährdete Personen nur zum Teil erreichen. Darüber täuscht auch der seit etwa 20 Jahren in den alten und neuen Bundesländern gleichermaßen zu be- obachtende Abwärtstrend der Suizidzahlen in Deutschland nicht hinweg. Als ein interessantes Phänomen bezeichnete es Prof. Dr. med. Heinz Häfner (Mann- heim), daß heute in Deutschland steigende Arbeitslosigkeit im Gegensatz zur Zeit zwischen den beiden Weltkriegen nicht mehr mit einer Zunahme des Suizidrisikos assoziiert ist wie beispielsweise in Ländern, in denen der Verlust des Arbeitsplat- zes existentielle Not für die Familien bedeutet. Ein funktionierendes Sozialsystem stellt demnach einen ganz wesentlichen Präventionsfaktor dar. bl-ki

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