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Gewaltgefühle. Überlegungen zum Zusammenhang von Männlichkeit, Gewalt und Emotionen

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Sylka Scholz

Gewaltgefühle. Überlegungen zum Zusammenhang von Männlichkeit, Gewalt und Emotionen

1

Die Verbindung von Männern, Männlich- keit und Gewalt ist im öffentlichen Dis- kurs evident. Permanent wird in den M e - dien darüber berichtet, dabei lassen sich verschiedene Dimensionen unterscheiden:

Z u m einen finden sich Gewalttaten, die

dem so genannten Privatbereich zugeord- net werden. Dies gilt vor allem für Darstel- lungen von Männergewalt gegen Frauen und Kinder sowie gewalttätige Auseinan- dersetzungen unter zumeist männlichen Jugendlichen etwa auf Schulhöfen. Davon Ich danke Maja Apelt und Hilge Landweer für die anregenden Diskussionen zu diesem Beitrag.

Feministische Studien (© Lucius & Lucius, Stuttgart) 1/08

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Diskussion 107

zu differenzieren sind staatlich legitimierte Gewalteinsätze von Bundeswehr und Po- lizei, die mit dem Argument des Schutzes der Bevölkerung gerechtfertigt werden.

Thematisiert werden in diesem Zusam- menhang vorrangig Machtmissbrauch und illegitimer Gewalteinsatz wie beispiels- weise bei der Ausbildung von Rekruten in Coesfeld oder der Missbrauch von Toten- gebeinen durch Soldaten in Afghanistan.

Insbesondere in der Boulevardpresse spielt Männergewalt eine zentrale Rolle (Mül- ler 2003), wobei unter der Hand ein ver- meintlich natürlicher Zusammenhang von Männlichkeit und Gewalt hergestellt wird.

Obwohl in den medialen Wahrneh- mungen gerade die alltäglichen gewalt- tätigen Auseinandersetzungen zwischen Männern eine wichtige Rolle spielen, ist festzustellen, dass dieser Aspekt in der durch die Frauenbewegung der 1970er Jahre ausgelösten und sich in den ver-

gangenen dreißig Jahren stark ausdiffe- renzierten Diskussion zum Zusammen- hang von Gewalt und Geschlecht bisher nur eine untergeordnete Rolle spielt, da in den geschlechtertheoretischen Ana- lysen lange Zeit die Gewalt gegen Mäd- chen und Frauen im Vordergrund stand (Hagemann-White 2005; vgl. auch Be- reswill / Meuser / Scholz 2007). Wird die Relation von Männlichkeit und Gewalt heute in den Blick genommen, so lassen sich zwei Forschungszugänge unterschei- den (Bereswill 2006): Z u m einen wird Gewalt als »normal« im Sinne eines selbst- verständlichen Bestandteils der sozialen Konstruktion von Männlichkeit thema- tisiert, sie gilt als wichtige Ressource des

»Döing Masculinity« (Meuser 2002; 2003).

Z u m anderen wird die Gewaltbetroffen- heit von Männern in verschiedenen Le- bensbereichen untersucht, analysiert wird der Umgang von Männern mit dem eige- nen, weiblich codierten Opferstatus (Lenz 2000; BMFSFJ 2005; Jungnitz et al. 2006).

In dem folgenden Aufsatz werden beide

Perspektiven miteinander verknüpft, denn nur so lassen sich die Ambivalenzen von Gewalterfahrungen in den Blick nehmen.

In einem ersten Schritt zeige ich, wel- che Bedeutung Gewalt für die Konstruk- tion von Männlichkeit hat und wie sie als Ressource für die Herstellung hierar- chischer Beziehungen unter differierenden Männlichkeiten eingesetzt wird. In die- sem Prozess sind Männer jedoch nicht nur

»verletzungsmächtig«, sondern zugleich

»verletzungsoffen«. Gewalthandlungen sind darüber hinaus mit komplexen Emotionen verbunden. Dieser Aspekt wird in den vorliegenden Untersuchungen angedeu- tet, jedoch nicht systematisch analysiert.

Ziel dieses Artikels ist es, im Rahmen des vorliegenden Themenheftes dem Zusam- menhang von Männlichkeit, Gewalt und Emotionen genauer nachzuspüren und zu ersten Hypothesen darüber zu gelangen.

In einem zweiten Schritt wird deshalb zunächst auf die soziale Konstruktion von Gefühlen eingegangen und der heuris- tische Rahmen für die folgende Analyse entfaltet. Im dritten Schritt analysiere ich Gewalterfahrungen von Männern, die sie im Rahmen ihres Wehrdienstes er- lebt haben und in lebensgeschichtlichen Interviews thematisieren. Damit richtet sich der Fokus zugleich auf den sozialen Zusammenhang von Männlichkeit und Militär, der für die moderne Verknüpfung von Männlichkeit und Gewalt konstitutiv ist, jedoch in den aktuellen soziologischen Debatten zum Thema Krieg und Terror eine erstaunlich geringe Bedeutung hat.2

Bei der Analyse des Materials richtet sich

2 Im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs gelten Kriege und organisierte Gewalt der männlichen Natur als eigen, da sie ver- meintlich ohne erkennbare Gründe ausge- löst werden. Indem die Ursachen gar nicht mehr untersucht werden, nehmen eine Anzahl von Autoren eine »Anthropologi- sierung des Mannes als Gewalttäter« (Apelt 2005a, 18) vor.

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mein Blick auf das Verhältnis von Verlet- zungsoffenheit undVerletzungsmächtigkeit.

Obwohl es das Ziel der Institution Militär ist, junge Männer als verletzungsmäch- tig zu sozialisieren, zeigt eine Pilotstudie zu personalen Gewaltwiderfahrnissen von Männern (BMFSFJ 2005; Jungnitz et al.

2006), dass das Militär auch der Ort ist, an dem junge Männer sehr viel stärker Ge- walt ausgesetzt sind als in anderen Lebens- bereichen. Angeregt durch die Emotions- forschung analysiere ich weitergehend, mit welchen Gefühlen Verletzungsmächtigkeit und Verletzungsoffenheit jeweils zusam- menhängen.

1. Gewalt als Ressource der sozialen Konstruktion von Männlichkeit

Männlichkeit verstehe ich als ein Phäno- men, welches sozial und kulturell in alltäg- lichen Handlungspraxen hergestellt wird;

genau darauf verweist der Begriff »Döing Masculinity«. Im Anschluss an Connell gehe ich davon aus, dass sich Männlichkeit durch eine doppelte Relation konstituiert:

in Bezug auf Weiblichkeit und auf andere Männlichkeiten (Connell 1999). Die Bezie- hung von Männlichkeit zu Weiblichkeit ist vorrangig durch Dominanz und Uberord- nung bestimmt, die zu anderen Männlich- keiten durch ein hierarchisch strukturiertes Uber- und Unterordnungsverhältnis. Mit dieser Strukturierung ist eine Ausdifferen- zierung in unterschiedliche Männlichkeits- konstruktionen verbunden, die wiederum kontextabhängig in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen.

Die soziale Ordnung unter Männlich- keiten wird über verschiedene Dimen- sionen hergestellt, körperliche Gewalt ist eine davon. Sie spielt besonders unter männlichen Jugendlichen eine wichtige Rolle. So wird homosoziale Gewalt ins- besondere von jungen Männern zwischen 16 Jahren bis Anfang 20 ausgeübt. Aus

einer sozialisationstheoretischen Perspek- tive kann diese Lebensphase als »>gewal- tintensive< Altersspanne« (Hagemann- White 2005, 6) angesehen werden, in der junge Männer »männliche Gewaltkompe-

tenz« erlernen. Carol Hagemann-White spricht in diesem Zusammenhang von einer »Entwicklungsaufgabe«, die Männer in der Kindheit und Jugend bewältigen müssen (ebd.).

Bei körperlicher Gewalt können ver- schiedene Formen differenziert werden (vgl. Meuser 2002): kollektive oder indi- viduell verübte Gewalt, in privaten oder öffentlichen Rahmen ausgeübte Gewalt, Gewalt als impulsiver Akt oder Gewalt in ritualisierter Form. Entscheidend ist auch, ob die Gewaltbeziehung einseitig oder re- ziprok ist, ob es eine klare Verteilung von Opfer- und Täterstatus gibt oder ob je- der Akteur potentiell Opfer und Täter ist.

Während Gewalt gegen Frauen und Mäd- chen meist der Unterwerfung, Abwertung und Erniedrigung dient, funktioniert Ge- walt unter Jungen und Männern auch als ein »Mittel der Anerkennung des Anderen«

(ebd., 56). Das gilt vor allem für reziprokes Gewalthandeln und dies stellt einen großen Teil homosozialer Männergewalt dar.

Zentrales Merkmal von männlichem Gewalthandeln ist nach Meuser die »kom- petitive Struktur«; die gewaltsamen Aus- einandersetzungen haben demnach den Charakter von Wettbewerben, von »Do- minanzspielen« (Meuser 2002, 57). Sie fungieren als »Strukturübungen« (Meuser 2006) für die »ernsten Spiele des Wettbe- werbs« (Bourdieu 1997), die in späteren Lebensphasen von Männern in den Berei- chen Ökonomie, Wissenschaft und Militär, aber auch generell in vielen Berufsfeldern ausgetragen werden. In diesem Wettbe- werb grenzt Mann sich von anderen Män- nern ab, der Wettbewerb ist aber zugleich Mittel der Anerkennung der anderen und der Herstellung von Gemeinsamkeit.

Typisch für homosoziale Gewalt ist,

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Diskussion 109

dass die Positionen zwischen Täter, Opfer und Zuschauern wechseln können und häufig ineinander verschwimmen. Dabei teilen die beteiligten Männer nicht nur Schläge aus, sondern werden auch verletzt und erleiden Schmerzen. Diesem Aspekt der Verletzungsoffenheit bei gleichzeitiger Verletzungsmächtigkeit ist Mechthild Be- reswill systematisch nachgegangen. Sie schließt an die Begrifflichkeit von Hein- rich Popitz an, die er im Kontext seiner Theorie über Macht und Gewalt ent- wickelte. Diese Begriffe wurden zunächst von Theresa Wobbe auf das Geschlechter- verhältnis übertragen: In modernen Ge- sellschaften, so lautet ihre zentrale These, wird dem männlichen Geschlecht Verlet- zungsmächtigkeit zugeschrieben und dem weiblichen Verletzungsoffenheit. Diese Zuschreibungen bestimmen wiederum die »leiblich-affektiven Konstruktionen«

beider Geschlechter (Wobbe 1994, 194).

Mechthild Bereswill kritisiert diese dicho- tome Zuschreibung und zeigt anhand von Untersuchungen über junge Männer mit Hafterfahrungen, dass Männer nicht nur verletzungsmächtig, sondern auch verlet- zungsoffen sind (Bereswill 2006; 2007).

Bereits bei ihrem Eintritt in die Insti- tution Gefängnis haben die jungen Män- ner mehrheitlich Gewalterfahrungen ge- macht, sowohl als Täter als auch als Opfer.

Die Opfererfahrungen stammen vor allem aus dem familiären Kontext, Täter- aber auch weitere Opfererfahrungen aus den Aktivitäten in der Gruppe männlicher Adoleszenter. Im Gefängnis erfahren Ge- waltkonflikte auf Grund der Totalität der Institution eine »existenzielle Zuspitzung«

(Bereswill 2006, 242). Diese Totalität wie- derum fuhrt zur Herausbildung einer Ge- fangenensubkultur, in der sich die jungen Männer in einem ständigen Prozess des Vergleichens befinden. In diesem Wettbe- werb werden die Positionen in der männ- lichen Rangordnung ausgehandelt, wobei der Gewaltbereitschaft eine zentrale Be-

deutung zukommt. Dabei geht es um die

»Demonstration von Unverletzlichkeit, verbunden mit der gleichzeitigen Bereit- schaft, den eigenen Körper zu riskieren«

(ebd., 145). Bei dieser Gewaltdemonstra- tion handelt es sich um einen »Bluff mit der eigenen Stärke«, um eine »kollektive Camouflage« (ebd., 146). Ziel der Tarnung ist die Abwehr von Angst vor den Gefähr- dungen im Gefängnis und vor Situationen der Beschämung. U m sich vor Verlet- zungen und Ubergriffen zu schützen, wird mit Rückgriff auf übertriebene Männ- lichkeitsklischees darüber hinaus kollektiv eine Hypermaskulinität inszeniert.

Bereswills Untersuchungen verweisen darauf, dass in diesem Prozess der Männ- lichkeitskonstruktion eine Reihe von Ge- fühlen beteiligt ist. Diesem Aspekt wird im Folgenden genauer nachgegangen. Bevor ich mich der Frage zuwende, mit wel- chen Emotionen Verletzungsoffenheit und Verletzungsmächtigkeit jeweils verbunden sein könnten, zeige ich, wie Gefühle ge- sellschaftlich hergestellt werden.

2. Die soziale Konstruktion von Emotionen.

Methodische Überlegungen

Ebenso wie Geschlecht sind auch Emo- tionen als soziale Konstruktionen zu ver- stehen, die in vielfältiger Weise mit der Darstellung und Wahrnehmung der Ge- schlechtszugehörigkeit verbunden sind (Landweer 2007). So werden Emotionen in verschiedenen Kulturen unterschied- lich akzentuiert, kultiviert oder verdeckt.

Jede Kultur hat eine eigene Gewichtung und Aufteilung von Emotionen in legi- time und illegitime und entwickelt spezi- elle »Gefuhlsregeln, die situationsbedingt das ABC von Emotionen - das heißt das

>was, wann, wo, wer, wie< — vorschreiben«

(Flam 2002,137). Dabei sind Gefühle im- mer körperlich fundiert, mit Hilge Land-

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weer lassen sie sich als ein »Widerfahrnis«

verstehen (Landweer 2007). Dies meint, dass man von Gefühlen in der Regel ohne bewusstes und kontrolliertes Zutun betroffen ist. »Gefühle geschehen einem gewissermaßen, sie stoßen einem zu und sind einfach da; sie stellen sich nicht unbe- dingt ein, wenn man es wünscht — und vor allem verschwinden sie nicht, wenn man sie loswerden will; man ist ihnen zunächst einmal ausgeliefert« (ebd., 66). Die Person ist also leiblich-affektiv von dem Gefühl betroffen, das Gefühl wird gespürt.

Diese Sichtweise bedeutet nicht, E m o - tionen außerhalb kultureller Prozesse an- zusiedeln, denn sie erhalten ihre (unter- schiedliche) Bedeutung im menschlichen Lebenszusammenhang. Gleichwohl geht Landweer davon aus, dass alle Menschen, Männer und Frauen, potentiell über die gesamte Bandbreite der Emotionen ver- fügen. Sie unterscheidet vier Ebenen der kulturellen Modifikation: Die einzelnen Gefühle sind in sich strukturiert und u n - terscheiden sich erstens in Bezug auf die möglichen Gegenstände, auf die sie bezo- gen sind. Zweitens lassen sich kulturspezi- fische Umgangsweisen mit dem jeweiligen Gegenstand rekonstruieren. Drittens gibt es spezifische Verhaltensnormen für den angemessenen Umgang mit dem Gefühl und damit verbunden sind viertens Regeln für den angemessenen Gefühlsausdruck.

Zentral für den Zusammenhang von Geschlecht und Emotionen ist zunächst die mit Geschlecht konnotierte Geschichte des Emotionsbegriffs (ebd., 75). In modernen Gesellschaften konstituierte sich auf der diskursiven Ebene eine Zuschreibung von Weiblichkeit und Emotionen sowie Männ- lichkeit und Rationalität.3 Ausgehend von

3 Diese Codierung führte auch dazu, dass männliche Gefühle in der Forschung lange Zeit ausgeblendet wurden oder aber ne- gativ thematisiert wurden: »als Disziplinie- rung, Unterdrückung oder verhängnisvolle Entfesselung« (Borutta /Verheyen 2007).

diesem historischen Zusammenhang lassen sich für bestimmte, wenn auch nicht für alle Gefühle geschlechtsspezifische Gegen- stände ausmachen, die sich wiederum histo- risch verändern. Auch die normativen U m - gangsweisen mit den Gefühlsgegenständen können nach Geschlecht differieren. Da- von zu unterscheiden sind nach Geschlecht variierende Verhaltensnormen für den an- gemessenen Umgang mit dem Gefühl und dessen Ausdruck. Zu beachten ist jedoch, dass auch innerhalb der beiden Geschlech- ter Gefühlsgegenstände, Verhaltensnormen und Gefühlsausdruck in unterschiedlichen Situationen, aber auch nach Alter, sozialer und ethnischer Zugehörigkeit differieren können. Auch in Bezug auf Gefühle gilt ebenso wie in Bezug auf Geschlecht, dass sich verschiedene Differenzachsen über- schneiden. U n d ebenso wie Geschlecht sind Gefühle in soziale Machtprozesse ein- gebunden (Landweer 2007).

Für jedes Gefühl lässt sich die Struktur der Situation, die Gegenstände und Sach- verhalte, auf die es bezogen ist, rekonstru- ieren (Demmerling / Landweer 2007). So ist beispielsweise akute Angst immer auf einen bedrohlichen Sachverhalt in naher Zukunft bezogen, auf einen Gegenstand, der einem abträglich ist oder unmittelbar schadet. Kennt man diese Situationsbedin- gungen, so lässt sich ermitteln, in welchen Situationen welche Gefühle wahrschein- lich sind. Ich nutze im Folgenden die Strukturanalysen von Demmerling und Landweer, um sie als einen heuristischen Rahmen für die Interpretation bestimmter Interviewsequenzen zu nutzen. Entspre- chend meines rekonstruktiven qualitativen Vorgehens kommt dieser Analyse von Si- tuationsstrukturen und (wahrscheinlichen)

Im September 2007 fand meines Wissens die erste Tagung zum Thema Männlichkeit und Emotionen statt: »Die Präsenz der Ge- fühle. Männlichkeit und Emotionen in der Moderne«, die von Historikerinnen und Historikern organisiert wurde (vgl. ebd.).

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Diskussion III

Emotionen die Funktion eines sensibili- sierenden Konzeptes (Kluge/Kelle 1999) zu, mit dessen Hilfe ich erste Hypothesen über den Zusammenhang von Geschlecht und Gefühlen entwickeln möchte. Anders als in der quantitativen Forschung, die vorab aus den theoretischen Konzepten Hypothesen formuliert und diese am em- pirischen Material überprüft, werden in der qualitativen Forschung theoretische Begriffe und Konzepte genutzt, um die

»relevanten Daten« überhaupt zu »sehen«

(ebd., 25) und in Auseinandersetzung mit dem empirischen Feld zu konkretisieren.

So bin ich bei der Interpretation zwischen meinem Material und der »Philosophie der Gefühle« (Demmerling/Landweer 2007) hin- und hergegangen. Welche Gefühle in Gewalthandlungen auf welche Weise bedeutsam sind, hat sich erst im Laufe der Analyse herausgestellt und wurde nicht vorab an das Material herantragen.

Die Untersuchung von Gefühlen allein mit den Mitteln der Soziologie erscheint mir aufgrund der bisherigen Forschungs- lage wenig Erfolg versprechend; zumindest zu heuristischen Zwecken dürfte dagegen eine interdisziplinäre Herangehensweise

— hier: von Soziologie und Philosophie — neue Perspektiven ermöglichen. So wäre es zwar prinzipiell möglich, Männer mit den üblichen, auch qualitativen soziologischen Methoden nach ihren Gefühlen zu befra- gen. Ich vermute aber auf Grund meiner eigenen Erfahrung als Interviewerin, dass es Männern sehr schwer fallen würde, über Emotionen wie Aggressionsgefühle, Angst und Scham öffentlich zu sprechen.

Dies liegt nicht zuletzt an der kulturellen Codierung von Gefühlen, so gilt etwa Angst zu haben als unmännlich. In dieser Hinsicht stellt sich generell die Frage, wie die Beteiligung von Gefühlen am Handeln empirisch untersucht werden kann (vgl.

dazu auch Brutta /Verheyen 2007).

3. Die Bedeutung von Emotionen in der militärischen Gewaltsozialisation

Das im Folgenden benutzte empirische Material über Gewaltphänomene im Kon- text des Wehrdienstes stammt aus Inter- views meiner biographischen Studie über ostdeutsche Männer (Scholz 2004; 2005).

Für diesen Beitrag habe ich entsprechende Erzählungen unter der hier entfalteten Perspektive erneut interpretiert. Bevor ich meine Interpretationen vorstelle, gehe ich in einem ersten Schritt auf Mechanismen der militärischen Sozialisation ein, stelle in einem zweiten Schritt die Untersuchung genauer vor und wende mich in einem dritten Schritt dem empirischen Material zu.

Dimensionen militärischer Sozialisation Ich gehe davon aus, dass die Mechanismen der militärischen Sozialisation in moder- nen Wehrpflichtarmeen weitgehend ähn- lich sind, somit geht die Reichweite der Analyse über den zeithistorischen Kontext hinaus.4 Die allgemeine Problematik mi- litärischer Soziahsation besteht darin, dass sie in einem Spannungsverhältnis zu Nor- men und Werten der zivilen Gesellschaft steht (vgl. Apelt 2004, auch Bröckling 1997), denn ihr Ziel ist es, auf die Hand- lungsfähigkeit im Krieg vorzubereiten. Es gilt die Bereitschaft und Fähigkeit zu sozi- alisieren, andere zu verletzen, zu töten und Eigentum zu beschädigen sowie die Be-

4 An dieser Stelle ist zunächst zu konstatie- ren, dass bisher kaum Untersuchungen zur militärischen Sozialisation in der Bundes- wehr vorliegen, dies gilt insbesondere für eine geschlechtertheoretische Perspektive auf den Gegenstand. Sowohl in der Sozio- logie als auch in der Frauenforschung gab es auf Grund der nationalsozialistischen Vergangenheit starke Vorbehalte, sich mit der Bundeswehr zu beschäftigen. Zudem hat sich die Bundeswehr selbst einer Erfor- schung von außen weitgehend verschlossen (Seifert 1999; Apelt 2004).

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reitwilligkeit, möglicherweise selbst ver- letzt und getötet zu werden, und dies auf Befehl und arbeitsteilig. Aus diesem Span- nungsverhältnis resultiert eine Trennung von militärischer Innen- und Außenmoral, die wiederum den universalen Werten in modernen, zivilen Gesellschaften wider- spricht. Es entsteht das Problem, dass die Gewalt, die im Militär eingeübt wird, auch in die Gesellschaft zurück getragen wer- den könnte. Genaue Studien zu diesem Zusammenhang fehlen jedoch bisher.

Maja Apelt und Cordula Dittmer dif- ferenzieren drei ineinander greifende Sozialisationsmechanismen: erstens die Anerziehung von Eigenschaften wie Mut, Entschlossenheit, physische Fitness, Kampfgeist, Angriffslust und Kamerad- schaft. Diese gelten für einen siegreichen Kampf als unerlässlich und sind männlich codiert.5 Der zweite Mechanismus, den Apelt zugleich als »heimlichen Lehrplan«

(Apelt / Dittmer 2007, 4; vgl. auch Bartjes 1996) der militärischen Ausbildung be- zeichnet, ist die Verunsicherung der bishe- rigen männlichen Identität und die Verset- zung in einen kulturell weiblich codierten Objektstatus. Der Rekrut wird am Beginn der Ausbildung seiner individuellen Klei- dung, seines Namens, der Frisur und sei- ner bisher sozialisierten Verhaltensweisen

»beraubt« (Apelt / Dittmer 2007, 72); er wird als Soldat zum austauschbaren Teil- chen einer Truppe. Verstärkt wird diese Verweiblichung des Soldaten dadurch,

5 Dies gilt auch für den Fall, w e n n das M i - litär für Frauen geöffnet ist. So belegen etwa Untersuchungen zur israelischen Armee, die von ihrer Gründung an eine Wehrpflicht für Frauen hat, eine arbeitstei- lige Struktur innerhalb des Militärs, in der der Kampfbereich männlich konnotiert ist (Klein 2002). Auch die vollständige Öff- nung der Bundeswehr für Frauen im Jahr 2001 hat bisher die männliche Codierung des Kampfes und des Kämpfers nicht ver- ändert (vgl. Apelt 2002; A h a m m e r / S c h o l z 2005).

dass er im Innendienst in der Kaserne Tä- tigkeiten übernehmen muss, die in den meisten anderen Kontexten Frauen zuge- schrieben werden, wie Betten bauen, den Spind aufräumen, die Soldatenstube put- zen. Im Laufe ihrer Ausbildung gewinnen die Rekruten nun (wieder) an Männlich- keit, indem sie die ihnen gestellten mili- tärischen Aufgaben bewältigen. Die Ent- wicklungsaufgabe lautet »für den jungen Mann sich vom Weiblichen — in sich und anderen - [zu] distanzieren und abgrenzen, sich dem Männlichen zu nähern« (Bartjes 1996,112).

Als dritten Mechanismus bezeichnen Apelt und Dittmer den Ausschluss priva- ter, familialer und sexueller Beziehungen aus dem Militär und den Aufbau quasi-fa- milialer Beziehungen militärischer Kame- radschaft (Apelt / Dittmer 2007; vgl. auch Apelt 2005b). Der Vorgesetzte fungiert als Vater- und Mutterersatz, er schützt und umsorgt die Soldaten wie eigene Kinder und greift auch bei Problemen außerhalb des Militärs ein. Die männliche Kamerad- schaft wird so zu einem Familienersatz, der auf dem Ausschluss und damit verbunden auf einer impliziten Abwertung von Weib- lichkeit beruht. Frauen werden »nicht nur entbehrlich, sondern zu einem Störfaktor«

(Apelt/Dittmer 2007, 73).

Unterschiede zwischen verschiedenen Armeen zeigen sich in Bezug auf die In- halte der politischen Sozialisation, den Grad der Kasernierung und den Anteil mi- litärischen Drills an der Gesamtausbildung (vgl. im Folgenden Ripp 2000; Scholz 2004). In dieser Hinsicht handelte es sich bei der NVA um eine Armee mit einem hohen Kasernierungsgrad, die Rekruten hatten nur wenige Urlaubstage während ihres achtzehnmonatigen Wehrdienstes, der Anteil militärischen Drills war verhältnis- mäßig hoch und die politische Sozialisa- tion richtete sich auf den »kapitalistischen Klassenfeind«. Ziel der militärischen Sozia- lisation war die Herstellung einer »sozia-

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Diskussion 113

listischen Soldatenpersönlichkeit«, die als männliche Persönlichkeit gedacht wurde.

In diesem Soldatenideal vereinten sich die Tugenden des preußischen Militärs mit spezifischen sozialistischen Tugenden. D a r - über hinaus — u n d dies gilt ebenso für die Bundeswehr bis 1989 — zielte die Herstel- lung einer Kriegstauglichkeit keineswegs auf deren reale Erprobung, sondern war unter den Bedingungen einer atomaren Aufrüstung ein profundes Mittel der A b - schreckung, u m einen Krieg zu verhin- dern.

Das Untersuchungsmaterial

Im Folgenden beziehe ich mich auf nar- rative Interviews, die im R a h m e n m e i - ner Dissertation erhoben w u r d e n . Befragt w u r d e n 27 M ä n n e r n , die zwischen Mitte der 1950er u n d Mitte der 1960er Jahre in der D D R geboren wurden u n d ihren Wehrdienst in den 1970er bzw. 1980er Jahren in der Nationalen Volksarmee

(NVA) absolvierten (Scholz 2004). Die Analyse der Interviews richtete sich auf die Frage, wie Geschlecht u n d Identität6 in lebensgeschichtlichen Erzählungen herge- stellt werden. Ich gehe von der A n n a h m e aus, dass der Interviewte in einem biogra- phischen Interview keineswegs nur seine Lebensgeschichte rekonstruiert, »sondern zugleich auch seine soziale Geschlechts- zugehörigkeit. Lebensgeschichtliches E r - zählen ist mithin ein bestimmtes >Kons- truktionsmedium< für beide Kategorien, Biographie u n d Geschlecht« (Dausien

1996, 5). Das kulturelle System der Z w e i - geschlechtlichkeit bedingt, dass sich Indi- viduen als männlich oder weiblich identi- fizieren müssen, Variationen dieses binären Musters sind zwar möglich, etwa inner-

6 Hinsichtlich des Identitätskonzeptes orien- tiere ich mich an aktuellen Debatten in der Narrationspsychologie, der Sozialpsycholo- gie und der soziologischen Biographiefor- schung (ausfuhrlicher dazu Scholz 2004, 17ff.).

halb von Subkulturen, sie sind aber nicht die Regel. R e g i n e Gildemeister spricht in dieser Hinsicht von einem »Zwang zur kategorialen u n d individuellen Identifika- tion« (Gildemeister 2001,73).

Hinsichtlich der Konstruktion von Männlichkeit lassen sich in den lebensge- schichtlichen Narrationen analytisch drei Ebenen differenzieren, die eng mitein- ander verknüpft sind: Auf der inhaltlichen Ebene fand eine bestimmte thematische Fokussierung statt. So wurde die Berufsbio- graphie in den lebensgeschichtlichen E r - zählungen überbetont, während der private Bereich so gut wie gar nicht thematisiert wurde. Mittels dieser »Hypostasierung«

von Beruf u n d der »Dethematisierung«

von Privatheit u n d Familie wurde M ä n n - lichkeit narrativ konstruiert, denn immer n o c h ist eine männliche Biographie eine Berufsbiographie, ist männliche Identität vorrangig mit d e m Beruf verknüpft. D e r Familienbereich gilt hingegen trotz aller Transformationen i m Geschlechterverhält- nis als weibliches Feld. Das zweite zentrale T h e m a war der Wehrdienst. Die A r m e e - zeit w u r d e in die Konstruktion einer b e - ruflichen Identität »eingebaut« u n d mit ihr verknüpft. Auf der formalen bzw. grammati- kalischen Ebene wurde Männlichkeit mittels spezifischer Erzählformen hergestellt, etwa w e n n die Erzählperspektive u n d Selbst- präsentation eines individualisierten u n d unabhängigen Ichs e i n g e n o m m e n und da- mit den kulturellen und sozialen N o r m e n einer (bürgerlichen) männlichen Subjekti- vität gefolgt wurde. Davon zu differenzie- ren ist die interaktive Ebene, hier zeigte sich eine spezifische Bezugnahme auf das G e - schlecht der Interviewenden. So folgten die Interviews mit männlichen Interview- ern einer anderen Interaktionslogik als die mit weiblichen, in den Sachaussagen u n d in der Erzählperspektive differierten sie hingegen nicht. Interaktiv wurde j e - doch von den Interviewpartnern mit den männlichen Interviewern eine männliche

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Gemeinschaft hergestellt und zugleich Differenz und Hierarchie produziert. Es lassen sich somit verschiedene inhaltliche, formale und interaktive »Praktiken« (Con- nell 1999, 102) der sozialen Konstruktion einer männlichen Identität und Biogra- phie bestimmen. Diese Praktiken wurden von den Interviewpartnern in ihren Er- zählung eigenlogisch und eigensinnig für die Konstruktion von Biographie und Ge- schlecht eingesetzt.

Interpretationen

In allen Interviews wurde die Armeezeit von den Interviewten innerhalb der le- bensgeschichdichen Narration angespro- chen. Ich interpretiere die Darstellung des Wehrdienstes, wie bereits oben angespro- chen, als Konstruktionsmodus von Männ- lichkeit. Über eine solche Thematisierung stellte sich der Interviewte als ein Mann dar, der einen typischen Bestandteil einer DDR-spezifischen männlichen Soziali- sation erfolgreich bewältigt hat. Ich gehe des Weiteren davon aus, dass während des Wehrdienstes die Geschlechtszugehörig- keit der Interviewpartner eine wichtige Bedeutung hatte. Mit Helga Kelle un- terscheide ich zwischen »primären« und

»sekundären« Geschlechtsdarstellungen (Kelle 2001, 50). Primäre Geschlechts- verkörperungen mittels Körperhaltung, Gestik, Stimme, Intonation, Kleidung etc.

laufen in Interaktion immer mit, sie wer- den nicht unterbrochen und in der Regel nicht thematisiert. Sie erfolgen routinisiert und sind meist nicht bewusst. In sekun- dären Darstellungen wird ausdrücklich auf Geschlecht Bezug genommen. Ich ver- stehe das Militär als einen sozialen Raum, indem die Geschlechtszugehörigkeit in diesem zweiten Sinn aktualisiert wird: Die jungen Männer wurden auf Grund ihrer

Geschlechtszugehörigkeit zum Wehrdienst einbezogen und homosozial vergemein- schaftet, die unterschiedlichen sozialen Herkünfte traten in den Hintergrund. Das

Ziel der militärischen Ausbildung war es, die Rekruten nicht nur militärisch, son- dern auch männlich zu sozialisieren.

Ausgehend von diesen Prämissen inter- pretiere ich die folgenden Erzählungen als Teil einer männlich-militärischen Soziali- sation. Auch wenn es sich im Folgenden um retrospektive Erzählungen handelt, de- nen im Nachhinein ein bestimmter sozi- aler Sinn verliehen wurde und die in einer spezifischen Weise in die biographischen Konstruktionen eingebaut wurden, kön- nen aus meiner Perspektive aus diesem Material Rückschlüsse auf die Frage nach dem Verhältnis von Verletzungsoffenheit und Verletzungsmächtigkeit sowie ihre Verbindung mit bestimmten Gefühlen gezogen werden. Im Rahmen der Dis- sertation habe ich zunächst Einzelfallana- lysen durchgeführt und anschließend die Fälle verglichen. Im Folgenden arbeite ich fallübergreifend, die Logik des Einzelfalls wird für den hier analysierten Zusammen- hang in den Hintergrund gestellt.

In Bezug auf militärische Gewalthand- lungen lassen sich strukturell zwei Di- mensionen unterscheiden: erstens Gewalt, die von den Vorgesetzten gegenüber den Rekruten eingesetzt wird, und zweitens Gewaltphänomene unter den R e k r u - ten. Dabei handelte es sich nicht nur um körperliche, sondern auch u m psychische Gewalt, wie etwa verbale Attacken der Beschimpfung und Erniedrigungen. In- nerhalb der ersten Dimension wurden von den befragten Männern die alltäglichen und willkürlichen Schikanen durch die Vorgesetzten sowie verbale Gewaltphäno- mene thematisiert. Ein Interviewpartner erzählte beispielsweise:

»Ich war damals neunzehn und mit Bartwuchs war das auch nicht weit her, ich [habe] mich ja die ganze Zeit auch nicht rasieren müssen und da waren da eben Offiziere auch bei oder zumindest der eine, der meinte dann, ich sollte doch,

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Diskussion 115

weil dann da eben drei Haare irgendwo sinnlos in der Gegend mm sprießen.

Das habe ich nicht gemacht. Und der hat dann da eben gemeint: >Doch< und ich sagte: >Nein<. und der hat mich dann eben die eine Nacht da alle zwei Stun- den antreten lassen. Geweckt (pfeift) vor.

Der war denn da >Offizier von DiensU, wie das so schön hieß. Und der hat [mich] dann da eben antreten lassen und dann geguckt, wie das denn aussieht.

Das kann man gar nicht in Worte fassen und für Leute, die nie da gewesen sind, [ist das] nicht nachzuvollziehen, was da denn eigentlich abgegangen ist.«

In dieser Situation liegt die Verletzungs- macht auf Seiten des vorgesetzten Offi- ziers, er hat auf Grund seines institutio- nellen Status eine Machtposition, die ihm erlaubt, den Rekruten zu demütigen. Er weist ihn auf die fehlende Rasur und da- mit auch auf ein noch abwesendes Zei- chen von Männlichkeit hin. Die Szene zeigt die oben beschriebenen Mechanis- men der Objektivierung. Permanent muss der Rekrut sich damit auseinandersetzen, ob er die Regeln der äußeren Erschei- nung, hier in Bezug auf den Haar- und Bartwuchs, richtig befolgt.7 Der Rekrut fühlt sich wahrscheinlich schon deshalb beschämt, weil sein spärlicher Bartwuchs überhaupt Thema wird, er sich dann aber auch noch von diesen winzigen Zeichen der Männlichkeit trennen soll. Die Be- schämungssituation entsteht dadurch, dass der Rekrut dem Vorgesetzten anscheinend nicht selbstverständlich das Recht zuge- steht, in die intime Verrichtung der R a - sur einzugreifen, der Vorgesetzte aber auf der Hierarchie von Befehl und Gehorsam auch auf diesem empfindlichen Terrain be- steht. Der Rekrut widersetzt sich seinem Befehl, eine Widerstandshandlung, die vielleicht schon auf unterdrückten Z o r n

7 Vgl. dazu auch die Zitate von Soldaten in Apelt / Dittmer (2007).

hinweist, weil er sich ungerecht behandelt fühlt. Erst auf die Befehlsverweigerung hin greift der Vorgesetzte zu einer stärkeren Machtdemonstration, er lässt den Rekru- ten die ganze Nacht immer wieder vor der Soldatenstube antreten, Meldung er- statten, kontrolliert den nächtlichen Bart- wuchs und macht den Rekruten damit vor seinen Kameraden lächerlich. Gefühle, die in dieser Situation wahrscheinlich eine Bedeutung hatten, sind auf der Seite des Vorgesetzten die Aggressionsaffekte Arger und Wut (vgl. Demmerling/Landweer 2007, 287-310). Das Ziel des Offiziers ist es wahrscheinlich nicht nur, die Norm durchzusetzen, sich zu rasieren, sondern seinen Status als Vorgesetzter zu festigen (der Rekrut hat den Befehl verweigert), indem er den Rekruten demütigt und be- schämt. Auf der Seite des Rekruten kön- nen sowohl Gefühle der Scham als auch der Empörung im Spiel gewesen sein, in der Retrospektive steht Empörung im Vordergrund. Darauf weist der letzte Satz hin »Das kann man gar nicht in Worte fas- sen und für Leute, die nie da gewesen sind, [ist das] nicht nachzuvollziehen, was da denn eigentlich abgegangen ist«, denn hier drückt der Rekrut völliges Unverständnis über die Regeln und Normen in der Welt des Militärs aus, die zur Welt »draußen« in eklatantem Gegensatz stehen — denn, so könnte man ergänzen, in der zivilen Welt wäre das Verhalten des Offiziers empörend, aber bei der Armee ist diese Art von Schi- kane anscheinend ein legitimes Mittel der Durchsetzung von Befehlsgewalt.

Eine Machtdemonstration des mili- tärischen Vorgesetzten wurde auch im nächsten Fall geschildert. Nach seiner Ankunft in der Kaserne, so der Interview- partner, habe er sich lässig auf den Rasen gesetzt und eine Zigarette geraucht:

»[Auf einmal] stand so ein, weiß ich nicht, Major oder Hauptmann, ist ja auch egal, irgend so ein Typ vor mir und

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schreit mich an, tierisch an [...] Und ich habe den dann noch den so angeguckt, habe dann noch geraucht so. Der wurde immer lauter, immer roter und dann habe ich irgendwann [die] Zigarette, ich glaube so auf meinen Schuhen so aus- gedrückt, habe die hingeschmissen, bin aufgestanden und habe gesagt: > Sagen Sie mal, wer sind Sie überhaupt hier?

Was machen Sie denn hierfür einen Af- fen? Schreien hier alle zusammen, sind

Sie bescheuert? <«

Auch in dieser Situation reagiert der Vorgesetzte auf den Normverstoß mit Aggressionsaffekten, die, glaubt man der Erzählung, stärker sind als im ersten Fall.

Der Vorgesetzte beschämt den Rekruten, indem er ihn vor allen anderen anschreit und maßregelt. In diesem Fall weist der Rekrut die Beschämung durch einen Zornaffekt zurück, ablesbar an den eige- nen verbalen Angriffen, wenn nicht Belei- digungen (einen Affen machen, bescheu- ert sein). Empörung und Zorn stellen sich ein, wenn eine Person der Meinung ist, dass der andere gegen eine N o r m verstößt (Demmerling / Landweer 2007, 287-310).

Der Ubergriff wird von dem Rekruten als ungerechtfertig zurückgewiesen, weil er gegen die (zivile) N o r m eines mensch- lichen Umgangs miteinander verstößt.

Der Vorgesetzte dagegen ist vermutlich im weiteren Verlauf der Szene über die U n - verschämtheit, seine Stellung und seinen Dienstgrad nicht zu beachten und selbst angegriffen zu werden, empört.

Scham und Zorn sind polare Gefühle, die in einem engen Verhältnis zueinander stehen: Während Zorn aktiviert, leiblich mit einer Weitung und mit Durchset- zungs- und Dominanzansprüchen verbun- den ist, wird Scham leiblich als »Beugungs- und Unterwerfungsneigung« gespürt (ebd., 221). Mit Zorn kann der Ausbruch von eigener Scham abgewendet werden. An- dererseits kann man den Zorn eines an-

deren, der sich gegen einen richtet, blo- ckieren, indem man sich schämt. Dieser Zusammenhang wird im Gefiige sozialer Konvention genutzt, wie das Ritual der Entschuldigung zeigt (ebd.) — eine Hand- lungsmöglichkeit, die der Rekrut im letz- ten Zitat gerade nicht wählt und vielmehr ganz im Gegenteil mit Gegenangriff rea- giert und so die Empörung des Vorgesetz- ten vermutlich noch schürt.

Auch wenn der Rekrut die Beschä- mung in der unmittelbaren Situation ab- wenden konnte, zog sein Angriff auf die militärische Hierarchie eine Versetzung nach sich, die Oberhand behielt der mi- litärische Vorgesetzte. Innerhalb dieser strukturellen Konstellation liegt die Ver- letzungsmacht auf der Seite der Vorge- setzten; sie ist mit Aggressionsgefühlen verknüpft, die als »männlich« interpretiert werden können. Denn diese Affekte ge- hen mit Aktivität, Gewalt und Destruktion einher, die in unserer Kultur männlich codiert sind. Die Rekruten haben keine Verletzungsmacht, sie sind innerhalb der militärischen Hierarchie qua Status verlet- zungsoffen, es kann ihnen aber in der u n - mittelbaren Situation gelingen, das Gefühl der Beschämung in Empörung bzw. Zorn umzuwandeln und so der weiblich co- dierten Unterwerfung zu entgehen, auch wenn der Preis dafür (Schikaniertwerden, Versetzung) hoch sein mag.

Mit Rückgriff auf Hochschilds Begriff der Gefühlsarbeit (vgl. Flam 2002,130) lässt sich die These formulieren, dass die Verlet- zungsoffenheit in den beiden Beispielen durch Gefühlsarbeit, welche die Scham in Empörung bzw. Zorn verwandelt, verbor- gen wird und damit ein männlicher Sub- jektstatus aufrecht erhalten werden kann,

auch wenn dieser höchst ambivalent und prinzipiell bedroht ist. Die beiden Szenen lassen sich auch als Sozialisation zu Verlet- zungsmächtigkeit interpretieren. Die Vor- gesetzten demonstrieren den Rekruten gezielt deren Verletzungsoffenheit, diese

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Diskussion 117

versuchen ihre Verletzungsoffenheit durch die beschriebene Gefiihlsarbeit zu verde- cken bzw. umzudefinieren. Sie werden in dieser Situation nicht verletzungsmäch- tig, jedoch wird ein Prozess in Gang ge- setzt, der sich als ein Herausarbeiten aus der weiblich codierten verletzungsoffenen Position interpretieren lässt, dessen Ziel es ist, eine verletzungsmächtige männlich co- dierte Position zu erreichen.

Während das Verhältnis von Verlet- zungsmacht und Verletzungsoffenheit in- nerhalb der militärischen Rangordnung relativ einfach strukturiert ist, gestaltet es sich unter den Rekruten sehr komplex.

Ahnlich wie im Gefängnis (Bereswill 2006; 2007) entwickelte sich in der NVA unter den Bedingungen einer »totalen Ins- titution« eine Subkultur unter den R e k r u - ten, die in sich hierarchisch strukturiert war (vgl. auch Gehler/Keil 1992). Der Rang eines Rekruten wurde durch zwei Dimensionen bestimmt: zum einen durch seine Zugehörigkeit zum Diensthalbjahr, zum anderen durch seine Position inner- halb Diensthalbjahres. Der Grundwehr- dienst dauerte insgesamt achtzehn Monate und war in drei Diensthalbjahre aufge- teilt. Neuankömmlinge wurden am un- tersten Ende der Hierarchie positioniert, ihnen übergeordnet waren die Rekruten des zweiten Diensthalbjahres, und an der Spitze befanden sich Rekruten des dritten Diensthalbjahres. Diese standen somit kurz vor ihrer Verabschiedung aus der Armee und wurden als »EK's« (Entlassungskandi- daten) bezeichnet.

Gefestigt wurde diese Rangordnung durch spezielle Rituale, zu denen etwa der »Maßbandanschnitt« gehörte: Im drit- ten Diensthalbjahres hatte jeder Rekrut ein »Maßband«, ein umfunktioniertes Zentimeterband, wie es gewöhnlich zum Schneidern verwendet wird, an dem für jeden vollendeten Tag ein (Zentimeter-) Abschnitt abgeschnitten wurde. Der An- schnitt dieses Maßbandes wurde rituali-

siert, meist musste das erste Diensthalbjahr antreten und den Anschnitt vornehmen, der anschließend mit Alkohol gefeiert wurde.8 Die Rekruten des ersten Dienst- halbjahres mussten auf »Befehl« der hö- heren Jahrgänge Tätigkeiten übernehmen, die im zivilen Leben zum Bereich der abge- werteten Hausarbeit gehören, die kulturell dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben werden: So wurden sie beispielsweise von den älteren Diensthalbjahren zum »Stube machen«, »Saubermachen« und »einkau- fen gehen« angehalten. Z u m anderen be- stimmte sich der Status des einzelnen R e - kruten durch seine Position innerhalb des Diensthalbjahres. Hier galt es, nicht Opfer von Machtspielen der Alteren zu werden, sondern sich stattdessen an der Erniedri- gung der ausgewählten Rekruten zu be- teiligen. Einer meiner Interviewpartner erzählte über diese Machtspiele:

»Da tmrden so Spielerkens gemacht wie, sag ich mal, Schildkröte. Da bekam dann derjenige an beide [...] Ellenbogen bezie- hungsweise Knie ein [Stahl-]Helm ange- bunden, also dass er sich überhaupt nicht mehr bewegen konnte. Er konnte nur liegen. Dann wurde er auf den schönen glatten Fußboden gelegt, angeschoben und

dann ist er durch die Gegend gesaust. Du kannst dir vorstellen, du hast wirklich so auf dem Fußboden [gelegen], konntest überhaupt nichts machen, nicht lenken oder so, kann auch sein, dass du mal mit dem Kopf gegen die Wand gefahren bist, wurde alles in Kauf genommen«.

8 Vgl. dazu die Fotos in Gehler/Keil (1992).

Sie zeigen, wie Rekruten des ersten Dienst- halbjahres in Unterwäsche mit einer Kerze auf dem Stahlhelm vor den EK's knien und das Maßband anschneiden und anschließend gezwungen werden, eine große Menge hochprozentigen Alkohol zu trinken. Die einzelnen Machtrituale kamen, das zeigen sowohl Gehler und Keil als auch meine ei- genen Interviews, in den einzelnen Kaser- nen unterschiedlich stark zum Einsatz.

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Die Verletzungsmacht liegt in dieser Situ- ation bei den anderen Rekruten und geht mit undurchschauten Frustrationen einher, die hier aggressiv abreagiert werden, mit Ressentiment und wahrscheinlich auch mit Aggressionsaffekten, vor allem mit Ver- achtung desjenigen, der auf diese Weise lä- cherlich gemacht wird. Bei diesen Affekten iuhrt die Kollektivität zu einer Intensivie- rung des Gefühls und zu einer Steigerung der Gewaltbereitschaft, die zugleich mit dem Aussetzen individueller Hemmungen verbunden ist (Demmerling/Landweer 2007, 297). Ziel der Gewaltaktion ist es, bei dem Opfer Gefühle der Angst (vor Lächerlichkeit, vor Verletzung, um das Le- ben) und der Scham auszulösen.9

Wenn man davon ausgeht, dass Scham- gefühle entstehen, wenn die Person gegen eine N o r m verstößt (ebd.), so ist zu fragen, gegen welche N o r m hier verstoßen wird, was genau die Scham auslöst. Die alberne Haltung als »Schildkröte«, die auf dem Bo- den hegt und sich nicht eigenständig be- wegen kann, sondern nur geschubst wird, bedeutet extreme Passivität und Ausgelie- fertsein; die Schildkröte wird unfreiwillig zum verletzbaren Spielball, zum Objekt für andere. Es handelt sich u m eine Posi- tion, die nicht mit einem Bild aktiver freier Männlichkeit vereinbar ist; es könnte sich also um einen Verstoß gegen die »Männ- lichkeitsnorm« handeln.10 Mit Maja Apelt und Cordula Dittmer kann Männlichkeit als eine regulative N o r m für das Handeln von Männern verstanden werden, die in

9 Vgl. zur gesellschaftlichen B e d e u t u n g von Scham auch den Beitrag von Burkart (2006), der den Geschlechteraspekt j e d o c h nur andeutet u n d nicht systematisch analy- siert.

,() Das heißt selbstverständlich nicht, dass sich Frauen in der entsprechenden Haltung nicht auch gedemütigt fühlen würden - n u r dürfte es eben kein Zufall sein, dass zur D e m ü t i g u n g in diesem homosozialen Feld eine solch extrem weiblich konnotierte Haltung gewählt wird.

Symbolen, Ideologien, sozialen Gepflo- genheiten, Körperbildern und Diskursen manifestiert ist (Apelt / Dittmer 2007, 68).

Dazu gehört die zentrale Vorstellung, dass Männer Handelnde und Täter sind, Ge- walt ausüben und keinesfalls Opfer und Objekt von Gewalt werden dürfen (Lenz 2000; Bereswill 2007). Auch das Verspüren von Angst entspricht nicht der »Männlich- keitsnorm«, ist es doch mit einem »Enge- gefühl« und »oft mit dem Eindruck ver- bunden, keine Handlungsmöglichkeiten mehr zu besitzen« (Demmerling/Land- weer 2007,65; auch Landweer 2007).

Die Art und Weise der retrospektiven Erzählung, die distanzierte Form, die An- kündigung, dass er diese Ereignisse am liebsten »eigentlich vollkommen verdrän- gen« will, legt nahe, dass der Interviewte in der damaligen Situation Angst hatte, sich gedemütigt und verachtet fühlte und sich geschämt hat. In der Interviewsitua- tion wird die damalige Scham ähnlich wie bei dem ersten Interviewpartner bearbei- tet, indem er sich über die Zustände in der NVA empört: dort wurde die »Men- schenwürde mit Füßen getreten«. Auch hier wird die Gefährdung der männlichen Identitätskonstruktion durch Gefühlsar- beit, die zugleich eine narrative Arbeit ist, bewältigt.

Der Emotion Scham kommt im R a h - men der sozialen Konstruktion von Männ- lichkeit die Funktion zu, deren hegemo- niale Form durchzusetzen. Die Situation unter den Rekruten ist durch eine gene- relle Verletzungsmächtigkeit und Verlet- zungsoffenheit jeder Person gekennzeich- net. In den »männlichen Spielen« geht es zunächst um die Erringung von Anerken- nung bzw. Achtung, und zwar dadurch, sich als verletzungsmächtig darzustellen und keinesfalls in die Situation zu kom- men, selbst verletzt zu werden. Durchge- setzt wird die männliche N o r m der Ver- letzungsmächtigkeit, indem derjenige, der sich als verletzungsoffen erweist, beschämt

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Diskussion 119

wird. Diese Beschämung wiegt umso schwerer, als sie mit einer Verletzung von Ehre, im Sinn von geachtet und anerkannt sein, einhergeht.11 Die Gefühle Scham bzw. Angst vor der Beschämung und vor Gewalt dienen sozial der Durchsetzung von Männlichkeitsnormen, auch wenn diese möglicherweise von den Einzelnen in anderen Kontexten abgelehnt werden, denn in der Gruppe der Rekruten steht der Verlust von Anerkennung auf dem Spiel. Dies gilt umso mehr, als die »Scham- zeugen« (die Personen also, die durch ihre Anwesenheit Zeuge der Beschämung werden, ebd., 229f.) die gleichaltrigen R e - kruten sind, deren Anerkennung errungen werden soll. Aus dieser Funktionsweise er- klärt sich auch, warum die militärischen Vorgesetzten in der Regel bei den mit der EK-Subkultur verbundenen Machtritu- alen und Machtspielen nicht eingegriffen haben, funktionierten sie doch nach dem

»heimlichen Lehrplan« des Militärs.

Welche lebenslange Bedeutung die mi- litärische Sozialisation hat, lässt sich aus den lebensgeschichtlichen Erzählungen nicht schlussfolgern. Es ist generell eine offene Forschungsfrage, inwieweit die mi- litärisch-männliche Gewaltsozialisation in die zivile Gesellschaft übertragen wird, ebenso wie die Abwertung von Weiblich- keit. Die Erzählungen zeigen jedoch, dass der Wehrdienst ein wichtiger Bestandteil der Identitätskonstruktionen ist. Den An- forderungen des Militärdienstes trotz aller Schwierigkeiten und Härten gewachsen zu sein, diese Zeit »durchgestanden« zu haben, galt — und gilt wohl immer noch — als impliziter Nachweis von Männlichkeit.

Aus der Gegenwartsperspektive waren für die Befragten vor allem die Erlebnisse männlicher Gemeinschaft und die Stiftung

11 Im Kontext des Gefängnisses ist eine Männlichkeitskonstruktion hegemonial, die dezidiert auf männliche Ehre setzt (Beres- will 2007).

von lebenslangen Bindungen unter Män- nern bedeutsam. Die Wehrdiensterfah- rungen konstituieren eine biographische Ressource für die Konstruktion von Männlichkeit, die in unterschiedlichen Kontexten aktualisiert werden kann.

4. Resümee

Die beschriebenen Erfahrungen junger Rekruten zeigen, dass Gewaltsituationen höchst komplexe Situationen sind, die mit unterschiedlichen Gefühlen einher- gehen. Die vorgelegte Analyse zeigt, dass bei männlichen Gewaltphänomenen nicht nur Aggressionsaffekte eine Rolle spielen, sondern eine Reihe weiterer Emotionen im Spiel sind wie Verachtung auf der Seite der Verletzungsmacht und Angst, Furcht und Scham auf der Seite der Verletzungs- offenheit. Gerade die kulturell nicht als männlich geltenden Emotionen Angst, Furcht und Scham sind auf eine spezi- fische Weise an der sozialen Konstruktion von Männlichkeit beteiligt. Ahnlich wie bei dem Zusammenspiel von männlich codierter Verletzungsmacht und weiblich codierter Verletzungsoffenheit gilt es, auch bei den Emotionen das Wechselverhältnis zwischen eher als männlich und eher als weiblich angesehenen Gefühlen für die Konstruktion von Männlichkeit zu analy- sieren.

Ingesamt zeigt sich, dass die soziale Konstruktion von Männlichkeit in hohem Maße emotional fundiert ist. Geht man mit Hilge Landweer davon aus, dass »sich Gefühle nicht ohne weiteres von selbst ändern oder durch gezielte Einwirkung verändern lassen« (Landweer 2007, 65), so findet sich hier eine mögliche Ursache für die Zählebigkeit bestimmter Männlich- keitsvorstellungen und weitergehend für die Reproduktion männlicher Herrschaft.

Deshalb plädiere ich dafür, Analysen zum Zusammenhang von Männlichkeit und

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Gewalt mit der Emotionsforschung zu verknüpfen und zu untersuchen, inwieweit Emotionen das Handeln der Individuen bestimmen. Mit einer solchen Perspektive könnte auch der immer wieder behauptete Zusammenhang von Männlichkeit und Aggressivität differenziert werden, denn es macht einen Unterschied, ob nur Arger und Wut im Spiel sind, oder Hass. Auch die Verachtung und das Ressentiment im Ge- schlechterverhältnis, durchaus von beiden Polen aus, verdiente mehr Aufmerksamkeit seitens der Geschlechterforschung.

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