Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien (Prof. Dr. Guy Bodenmann)
Lehrstuhl für Klinische Psychologie (Kinder/Jugendliche & Paare/Familien) Prof. Dr. Guy Bodenmann
Wenn Emotionen überkochen – Aggression und Gewalt bei Paaren
Prof. Dr. Guy Bodenmann
Inhalt
Kontinuum von Negativität, Aggression und Gewalt
Verschiedene Formen der Negativität und ihrer Äußerungen
Psychische und physische Gewalt
Häufigkeit von verbaler Aggression und physischer Gewalt in Paarbeziehungen
Prädiktoren von Gewalt
Der Gewalt-Prozess
Take Home Message
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Kontinuum von verbaler Negativität, Aggression bis hin zu verbaler/psychischer Gewalt
Nicht-Übereinstimmung
Defensivität Vorwürfe
verallgemeinernde, persönlichkeitsbezogene Kritik dominante Kommunikation
abwertende, provokative, respektlose Kommunikation Blossstellungen, Demütigungen, Erniedrigungen
Drohungen/Erpressungen konkrete Kritik
4
0 20 40 60 80 100
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
%-bedingte Wahrscheinlichkeit
Sequenz
unzufriedene Paare zufriedene Paare
Kennzeichen negativer Kommunikation
Hahlweg (1993)
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Verläufe der Kommunikation in 10-Minuten Konfliktgesprächen
Leuchtmann (2017)
Destruktive Konflikte
Verbal-aggressive Konfliktaustragung
Passiv-aggressive Konfliktaustragung
Partnerschaftliche Gewalt (psychische und physische) Fehlende Konfliktaustragung (Harmonie über alles)
Schwelende Konfliktaustragung
Formen destruktiver Paarkommunikation
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Verbal-aggressive Konfliktaustragung
Lautes, schnelles Sprechen (Anschreien)
Unterbrechungen, ins Wort fallen
Jede Person beharrt auf ihrer Sicht der Dinge
Du-Botschaften mit Verallgemeinerungen („Du immer“)
Abwertende Bemerkungen und Gesten
Provokatives Verhalten
Eskalierender Verlauf
Hohe negative Emotionalität (Wut, Hohn)
Keine konstruktive Auflösung des Konflikts
Kein Versöhnen
Verbal-aggressive Konfliktaustragung
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Passiv-aggressive Konfliktaustragung
Passiv-aggressives Verhalten
Negativität äussert sich indirekt, larviert, ohne dass das
Verhalten oder die Absichten dahinter direkt nachgewiesen werden können (schales Gefühl):
• Sabotagen (absichtliches Vergessen von etwas, das dem/der Partner*in wichtig ist, zu spät kommen, wenn man weiss, dass dies den/die Partner*in stört)
• Witze erzählen über den/die Partner*in
• Den/die Partner*in bewusst in eine unangenehme Situation manövrieren
• Dem/der Partner*in vordergründig etwas zuliebe tun, von dem man jedoch weiss, dass er/sie es nicht mag
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Schwelende Konfliktaustragung
Keine lauten Konflikte, Spannungen sind nur latent spürbar
Verbal werden kaum Vorwürfe gemacht, Unzufriedenheit wird para- und nonverbal kommuniziert
Es herrscht „dicke Luft“ im Paar
Man spricht wenig miteinander, kein
Verstärkungsverhalten (keine Alltagsposivitität)
Kein Interesse aneinander/ kein Nachfragen /keine gemeinsamen Aktivitäten
Fehlende Authentizität (Fassadenhaftigkeit)
Schwelende Konfliktaustragung
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Fehlende Konfliktaustragung
S. merkt sofort, wenn ihr Partner mit etwas unzufrieden ist. Er ignoriert sie dann einfach, als wäre sie Luft. Er blickt nicht auf, wenn sie den Raum betritt, beschränkt sich auf die
allernötigste Kommunikation, ist einsilbig und verschlossen.
Sie hasst diese Stimmung. Diese Kälte und Distanziertheit, die man nicht durchbrechen kann. Sie rennt wie gegen eine Wand an.
Ein lautes Wort hat sie in den sieben Jahren Beziehung noch nie von ihm gehört. Es wird nie gestritten. Alles spielt sich in einem „wattierten Raum“ ab.
Wenn er mit etwas nicht einverstanden ist, dann geht er ihr aus dem Weg und dies über mehrere Tage. Oft schläft er sogar auf dem Sofa im Wohnzimmer. Über das Problem geredet wird
nicht, sie werde immer so emotional, das vertrage er nicht.
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Keine offensichtlichen Konflikte (schon gar kein Streit)
Tendenz, Konflikte zu vermeiden, um des Friedens/der Harmonie willen
Schnelles Einlenken und Nachgeben
Anger-in
sich aus dem Weg gehen, kalte Schulter zeigen
Keine lauten Töne oder groben Ausdrücke (Wahrung der Contenance)
Gegen außen intakte Fassade
Fehlende Konfliktaustragung
Psychische/verbale Gewalt
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Selbstwert von Partner*in demolieren (Beleidigungen, Abwertungen, Beschimpfungen, Diffamierungen,
Demütigungen)
Partner*in Angst machen (nach Streit nicht nach Hause kommen, mit brausendem Motor nach Streit wegfahren)
Drohungen (Selbstmord, Partner*in, Kindern oder Haustieren Leid anzutun)
Partner*in terrorisieren (penetrante Anrufe, Nachgehen, Bespitzeln, Stalking)
Psychische/verbale Gewalt
Partner*in Freiheit berauben (isolieren, einschließen, Kontakte verbieten)
Massiver Liebesentzug (über längere Zeit links liegen lassen und ignorieren, emotionale Kälte und Ablehnung, Vernachlässigung)
Bewusste emotionale Verletzungen (Fremdgehen, Dinge zerstören, welche Partner*in wichtig sind)
Erzeugung von schweren Schuldgefühlen
Psychische/verbale Gewalt
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Physische Gewalt
Geschlechtsunterschiede bei physischer Gewalt
Archer (2000);
Bodenmann (2016)
Männliche Gewalt
Aktenkundige Gewalt (Polizeiakten, Krankenhausdossiers),
da häufige Verletzungen durch rohe Gewalteinwirkung (Schlagen, Stossen, Einsatz von Gegenständen (Gürtel, Waffen)
Weibliche Gewalt
Kaum oder geringfügige Verletzung, häufig sind Schubsen, Stossen, Beissen, Kratzen, Spucken, Gegenstände nach Partner werfen
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Häufigkeit von Gewalt in Partnerschaften
Verbale Gewalt ist in Paarbeziehungen sehr häufig.
Rund 75% der Männer und 80% der Frauen sind verbal hoch aggressiv (Stets, 1990)
Von psychischer Gewalt berichten 57% der Paare in einer belgischen Survey-Studie (Hellemans et al., 2015)
20% der Frauen und 14% der Männer sind von schwerer physischer Gewalt betroffen (Walters et al., 2013)
Am stärksten sind lesbische Frauen Gewalt ausgesetzt: Life- Time-Prävalenz: 43.8%–61.1% (Lesben), 26.0–37.3%
(Schwule) und 29.0–35.0% (Heterosexuelle) (Edwards et al., 2015;
Walters et al., 2013; Do, Knopp & Scott, 2021).
Prädiktoren für Aggression/Gewalt bei Paaren
Persönlichkeitsdispositionen (z.B. Aggressivität, geringe Frustrationstoleranz, niedriger Selbstwert; Narzissmus;
paranoide Züge)
Ungünstige Sozialisationsbedingungen (z.B. inadäquate Modelle; Medienkonsum)
Einstellungen/Normen zu Gewalt
Kompetenzdefizite (Copingkompetenzen, inadäquate Sozialkompetenz, Impulskontrolle)
Partnerschaftsqualität (hohes Konfliktniveau, Machtkämpfe, Dominanz und Rivalitäten)
Situative Faktoren (z.B. Alkohol- und Drogenkonsum;
Stress)
Hammett, Ross, Karney &Bradbury (2020); Song-Choi & Woodin (2021)
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Gemeinsames
dyadisches Coping
als Moderator
0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 3.0 3.5
18 37
Stress
Verbal Aggression
low DC common high DC common
Stress, Kompetenzen und verbale Aggression
Bodenmann et al. (2010)
In den meisten Fällen gegenseitiges Aufschaukeln (verbal-aggressiver Schlagabtausch, der immer gewaltaffiner wird leichte Gewalt in Ecke
gedrängter Mann entweder Rückzug oder Gewalt) (Dutton,
2012; Hines & Douglas, 2009; Nowinski & Bowen, 2011; Straus, 1999; 2011)
Bei langem Runterschlucken (anger-in) auf einmal Gewaltdurchbruch
Schwere, aktenkundige Gewalt ist in der Regel
männliche Gewalt (Smith, Zhang, Basile, Merrick, Wang, & Kresnow, (2018)
41% der Frauen und 14% der Männer tragen
körperliche Verletzungen davon, 16% enden tödlich
(Breiding, Chen, & Black, 2014; Center for Disease Control and Prevention, 2019)
Aggression/Gewalt meist ein dyadischer Prozess
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Negativität, Aggression und Gewalt stellen ein Kontinuum dar
Verbale Negativität, Aggression und Gewalt sind sehr häufig in Paarbeziehungen
Auch leichtere physische Gewalt kommt oft vor
Schwerere Formen der körperlichen Gewalt werden immer von 20% der Frauen und 14% der Männer berichtet
In den meisten Fällen schaukeln sich die Paare
gegeneitig in die Negativität hoch und Gewalt ist die Kulmination des destruktiven Prozesses
Take Home Message
Take Home Message
Aber nicht nur verbale Aggression oder Gewalt sind destruktiv, sondern ebenso die Vermeidung von
Konflikten, schwelendes, fehlendes oder passiv- aggressives Austragen
Störendes sollte angesprochen und miteinander zu lösen versucht werden
Je gravierender das Problem, desto wichtiger die Aussprache
Konfliktthemen lösen sich meist nicht von selbst, sie müssen aktiv vom Paar angesprochen und bewältigt werden
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Zemp, M. & Bodenmann, G. (2015).
Partnerschaftsqualität und kindliche Entwicklung.
Berlin: Springer.
Lektüre
Bodenmann, G. (2016). Klinische Paar- und Familien- psychologie. (2. Auflage). Bern: Hogrefe.