DIE SÜDWESTGRENZE DER PROVINZ YÜNNAN AM ENDE DES
18. JAHRHUNDERTS
Von Erhard Rosner, Göttingen
Im Jahre 1775 erschienen in der Provinz Yünnan Gesandte aus einem Ge¬
biet, welches in den Listen der tributpflichtigen Außenländer der Ch'ing-Zeit
nur selten erwähnt wird (l). Es handelt sich um die beiden im südwestlichen
Grenzabschnitt Yünnans, jenseits des Mekong gelegenen Territorien, deren
Name im Chinesischen mit Cheng-ch'ien und Ching-hai wiedergegeben wird (2).
Die lokalen Stammesfürsten dieser Gebiete, so heißt es in den Quellen, hätten
im '40. Jahre der Regierung Ch'ienlungs (1775) eine aus insgesamt vier Per¬
sonen bestehende Gesandtschaft nach China geschickt. Diese sollte eine Tribut¬
lieferung aus den in China so begehrten Luxusgütern Elfenbein und Rhinozeros¬
horn in die Hauptstadt bringen und die Loyalität ihrer Herren gegenüber dem
chinesischen Kaiserreich erklären (3).
Das Erscheinen dieser kleinen Tributgesandtschaft aus einem Grenzab¬
schnitt, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, besonders aber nach
dem Scheitern der 1767 unternommenen militärischen Expedition kaiserlicher
chinesischer Truppen nach Birma (4), zu den umstrittenen Teilen der Außen¬
grenzen des Reiches zählte, löste bei dem Gouverneur Yünnans einige Ver¬
wirrung aus. Wie sollte er die Fremden behandeln? Welchen Platz mußte er
ihnen im,Rahmen der Vorschriften des Tributsystems einräumen, eines In¬
struments, welches die Beziehungen zu ausländischen Gesandtschaften mit
Akribie regelte? Die Überlegungen, die sich für den Gouverneur und die Zen¬
tralregierung aus diesem Fall ergaben, sind durchaus der näheren Betrachtung
wert, denn sie werfen nicht nur weiteres Licht auf die chinesische Verwaltungs¬
praxis an der unübersichtlichen Südwestgrenze Yünnans; sie liefern darüber
hinaus auch einige Hinweise auf Veränderungen im außenpolitischen Konzept
des chinesischen Kaiserreiches am Vorabend seiner Konfrontation mit dem
Westen.
Der Ablauf der Ereignisse selbst läßt freilich die Betreuung der Gesandt¬
schaft eher als Routineangelegenheit der peripheren Provinzverwaltung er¬
scheinen, zu deren Aufgabenkreis es nun einmal gehörte, ausländische Ge¬
sandtschaften zu überprüfen und für ihre weitere Begleitung in die Hauptstadt
zu sorgen. Es entsprach daher durchaus gängigem Usus, wenn der Gouver¬
neur, dem die Delegation aus einem von Grenzkriegen ständig heimgesuchten
Gebiet suspekt erschien, erst einmal in der Hauptstadt nachfragte und sich nach
dem Status der FYemden erkundigte . Zu seiner Überraschung wurde er folgender¬
maßen belehrt (5): Die beiden Territorien, Cheng-ch'ien wie Ching-hai, hät¬
ten bereits den Status von T'u-ssu erreicht, also von Einheiten lokaler Ad¬
ministration unter chinesischer Oberhoheit, sie waren demnach der indirekten
Herrschaft Chinas unterworfen. Beide Gebiete, so heißt es weiter, hätten die
Berechtigung, alle sechs Jahre Tributgesandtschaften zu entsenden. Im diplo¬
matischen Status seien sie, und dies ist nun das Wichtigste, den T'u-ssu in
den "inneren Gebieten" gleichzustellen, ihre Emissäre seien mithin so zu be¬
handeln wie die Vertreter der halbautonomen Gebiete im Inneren der chinesi¬
schen Provinzen, also etwa in Kueichou oder Ssuch'uan. Es sei deshalb un¬
gehörig, wenn der Gouverneur in seinem Schreiben die Fremden als "aus¬
wärtige Barbaren" ( wai-i ) bezeichnete. Um aber der berechtigten Skepsis
der wachsamen Provinzialverwaltung, so wird hinzugefügt. Genüge zu tun,
sollte noch geklärt werden, ob die beiden Stammesfürsten nicht doch vielleicht
insgeheim Beziehungen zu den birmanischen Rebellen unterhielten und ob die
Unterwerfung unter die chinesische Oberhoheit nicht nur ein geschicktes Täu¬
schungsmanöver darstellte.
Diese letztere Frage konnte schnell erledigt werden. Die Nachforschungen
in Yünnan selbst ergaben, daß die beiden Stammesfürsten bereits 1769, nach¬
dem sie im Verlaufe der Kriegsereignisse von Birma aus bedrängt worden
waren (6), in der neuen, erst 1729 errichteten Präfektur P'u-erh am anderen
Ufer des Mekong erschienen waren und ihre Loyalität erklärt hatten. Bereits
damals seien sie den "inneren" T'u-ssu gleichgestellt worden. So endet die
ganze Angelegenheit schließlich damit, daß sich der Gouverneur unter Hin¬
weis auf die äußerst unübersichtlichen Grenzverhältnisse für seinen ungenauen
Sprachgebrauch entschuldigt und die Fremden nach Yung-ch' ang im Norden
der Provinz geleiten läßt, von wo aus sie auf der für Tributgesandte üblichen
Route in die Hauptstadt ziehen sollten.
So unauffällig mithin die ganze Affäre verlief, der entscheidende Punkt,
nämlich die Einstufung der Grenzvölker und die Trennung zwischen "inneren"
und "äußeren" Barbarengebieten war gerade in diesem Vakuum der Macht¬
blöcke, in dem die lokalen Fürstentümer ein leichtes Spiel zwischen China
und Birma hatten, keine Frage belangloser konventioneller Terminologie.
Denn die Bezeichnungen "irmen" und "außen", diese fundamentalen Begriffe
der chinesischen Raumordnung und politischen Geographie (7), wurden nicht
planlos angewandt; auch in der unübersichtlichen Situation der Südwestgrenze
Yünnans besaßen sie einen bestimmten programmatischen Charakter. Gerade
die genaue Sprachregelung, die in der Zurechtweisung des Gouverneurs von
Yünnan zum Ausdruck kommt, zeigt, daß die Begriffe "innen" und "außen"
auch hier, im Westen des Mekong, bestimmte politische Vorstellimgen sig¬
nalisieren. Das Beharren auf einer Trennung, so unrealistisch es auch in
dieser Grenzzone scheint, kann doch als Indiz einer in Gang befindlichen Neu¬
orientierung des Grenzbewußtseins gelten.
Die Bestimmung von "innen" und "außen" muß im Rahmen der politischen
Veränderungen gesehen werden, die sich zwischen 1765 und 1780 in den Ge¬
bieten westlich des Mekong bemerkbar machten. Die Zuordnung der Rand¬
gebiete wurde nämlich in dieser Grenzzone des Südwestens zum Problem,
als hier zwei verschiedene Mechanismen der Expansion des chinesischen
Imperiums, die bisher einander ergänzt hatten, plötzlich nicht mehr in Ein¬
klang standen. Eines dieser Mittel chinesischer Ausbreitung war die Institu¬
tion der schon erwähnten T'u-ssu, der halbautonomen Gebiete unter chinesi¬
scher Oberhoheit. Ursprung und Zweck dieser Einrichtung sind zu bekannt,
als daß sie in diesem Kreis im einzelnen beschrieben zu werden brauchten (8).
Waren diese Verwaltungseinheiten ursprünglich als Werkzeug zur Kontrolle
von Regionen jenseits der geschlossenen chinesischen Siedlungsgebiete ge¬
dacht, so wurden sie in der Ming-Zeit, besonders aber im 18. Jahrhundert
unter den Gouverneuren O-er-t'ai (1680-1745) und A-kuei (1717-1797) (9)
zu einem Mittel der schrittweisen Vergößerung des von der chinesischen Ver¬
waltung unmittelbar kontrollierten Territoriums. Von nun an zielte die Politik
ehrgeiziger Provinzgouverneure darauf ab, die T'u-ssu abzuschaffen und mög¬
lichst weite Gebiete der regulären, direkten Verwaltung einzugliedern. An¬
gesichts einer solchen Wendung der Verwaltungspraxis in der Peripherie mußte
die Errichtung neuer T'u-ssu nur noch als erster Schritt zur Erweiterung des
chinesischen Territoriums verstanden werden. Zwar waren anfänglich die T'u-
ssu an den Außengrenzen noch nicht von dieser Entwicklung erfaßt, weil man
auf ihre Funktion eiIs Pufferzonen nicht verzichten wollte. Bald aber galten
sie als zu unzuverlässig; man bevorzugte eindeutig feste Außenposten in der
Hand direkter chinesischer Verwaltung (lO).
Diese verstärkte Ausdehnung der direkt kontrollierten Gebiete auch in der
äußersten Peripherie, die nicht von der Konzeption, wohl aber von den Di¬
mensionen her ein Novum der Ch'ing-Dynastie war, konnte jedoch nur unter
einer wichtigen Voraussetzung erfolgreich sein: DaJ3 nämlich die Mandschu-
Dynastie jederzeit in der Lage war, das Vorfeld ihres gleichsam überdehnten
Kerngebiets durch militärische Expeditionen zu sichern und Machtzentren der
unmittelbaren Nachbarländer auszuschalten. Dies war die andere Seite der
Expansion des Reiches im 18. Jahrhundert, sie war eine wichtige Triebkraft
der militärischen Unternehmungen Ch'ienlungs. Gerade in der Durchführung
dieser Politik jedoch war China im Südwesten nicht mehr erfolgreich. An der
Südwestgrenze Yünnans blieb die Linie der militärischen Machtdemonstration
deutlich hinter der Einflußsphäre zurück, die sich China durch die Anerken¬
nung neuer T'u-ssu als der "inneren" Zone zugehöriger Gebiete schaffen konn¬
te. Entscheidend für diese Entwicklung dürfte nicht ausschließlich das Mißge¬
schick des Feldzuges von 1767 oder das Versagen einzelner Heerführer ge¬
wesen sein. Auch wurde die Idee militärischer Unternehmungen an der bir¬
manischen Grenze keineswegs rasch aufgegeben, denn es ist ja bekannt, daß
der Gouverneur A-kuei bereits im Jahre 1769 in Yünnan eine neue Expedition
gegen Birma vorbereitete, die dann allerdings nicht mehr begonnen wurde (11).
Entscheidend für die Stagnation der chinesischen Ausbreitung war in den sieb¬
ziger Jahren des 18. Jahrhunderts auch noch nicht der kurze Zeit später ein¬
setzende, bedrohliche Niedergang des Reiches und der wirtschaftliche Ruin
weiter Landesteile. Wichtig aber dürfte die bei der Zentralregierung verbrei¬
tete Einsicht gewesen sein, daß die Expansion des Reiches, die letztlich ein
weiteres Ausgreifen der chinesischen Territorialverwaltung auf immer neue
Gebiete bedeutete, nicht mehr wünschenswert sein konnte, da die Nachschub¬
linien zu lang waren. Die Expedition von 1788 nach Annam zeigte noch ein¬
mal, daiß sich diese Einsicht schon durchzusetzen begann, ehe infolge des
allgemeinen Niedergangs die weitere Ausbreitung ohnehin illusorisch wurde (l2).
Dieses Ende der territorialen Expansion Chinas, durch welche Faktoren es
auch immer zustande gekommen sein mag, mußte aber die Schlüsselbegriffe
"innen" und "außen", nei und wai (l3), in neuer Funktion erscheinen lassen.
Wie Ying-shih Yü in seinem Buch über die Expansion Chinas in der Han-Zeit
klar herausgestellt hat (14), bedeutete der Begriff nei-shu "ein Untertan der
inneren Gebiete werden" ursprünglich durchaus im wörtlichen Sinne,"sich dem
chinesischen Staatsverband anschließen"; nur selten bedeutete er, "sich in
ein Tributverhältnis gegenüber China zu begeben". Dieses darin enthaltene,
dynamische Verhältnis der Begriffe nei und wai zueinander mußte sich jedoch
in der Mandschuzeit, vor allem aber im ausgehenden 18. Jahrhundert ändern.
Während der gesamten Geschichte der Ausdehnung Chinas über den Süden waren ursprünglich "äußere" in "innere" Gebiete verwandelt worden, hatten sich "rohe" Barbaren in "gekochte" verwandelt (l5) und waren schließlich
in neu errichteten Kreisen und Präfekturen aufgegangen. Nun aber war diese
bisher stets spürbare, latente Spannung von "innen" und "außen" mit einem
Male zusammengebrochen. Geblieben ist in der politischen Realität ein in
seinen Dimensionen bis dahin ungekanntes Reichsgebiet. Das Begriffssystem,
welches als Orientierungshilfe die schrittweise Expansion begleitet hatte, leb¬
te nun vorwiegend im Zeremoniell der Tributgesandtschaften fort. Angesichts
der Stellung Chinas in der ostasiatischen Staatenwelt in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts konnten Begriffe wie nei-shu oder nei-fu nur noch zere¬
monielle Bedeutung haben.
Gegen diesen Hintergrund betrachtet, gewinnt die eingangs erwähnte Un¬
sicherheit in der Zuordnung zweier kleiner Grenzstämme neue Konturen. Den
Begriffen nei und wai haftet hier, in den beiden Dokumenten von 1775, eine
merkwürdige Doppelbödigkeit an. Während nämlich die Zuordnung in das Sy¬
stem der Staaten noch nach den Regeln der überkommenen Diplomatie vorge¬
nommen wird, die aus einer langen Phase fortdauernder Expansion tradiert
waren, bahnt sich gleichzeitig schon die Wendung zu einer endgültigen, ge¬
nauen Abgrenzung Chinas vom Ausland an, die auch sonst in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts an manchen Abschnitten der chinesischen Grenze fest¬
zustellen ist. Es mutet sicherlich paradox an, wenn diese Erstarrung der
Grenzen ausgerechnet auch in einem Teilstück zu beobachten ist, welches wie
kein anderes die "offene" Grenze und die Unbestimmtheit der Grenzregelungen
durch die chinesische Regierung verkörpert. In der Ubergangszone westlich
des Mekong gab es sicherlich am wenigsten die Tradition linearer Grenzen,
sondern nur vage faßbare Einflußsphären, deren Tiefe von der jeweiligen Macht
Chinas abhing. Dies galt ja auch noch, als die Briten nach 1885 in Birma Fuß
faßten und zu neuen Nachbarn Chinas wurden (16). Die Unbestimmtheit des
Grenzverlaufes zwischen der chinesischen Provinz Yünnan und den birmanischen
Shanstaaten wurde zum Zankapfel der internationalen Politik und ist eines der
ungelösten Grenzprobleme, welches die Volksrepublik China seit ihrer Grün¬
dung beschäftigt hat (l7). Und doch ist dies kein Widerspruch: Der Wandel der
Expansionstendenzen Chinas mußte sich folgerichtig in einem Grenzabschnitt
zeigen, in dem sich das imperiale Ausgreifen Chinas bis zu seinem Erlahmen
frei entfalten konnte und wo die Fixierung der Herrschaftsverhältnisse am spä¬
testen eingetreten ist.
Es wäre sicherlich verfrüht, aus diesen hier zudem nur andeutungsweise an
Hand eines Einzelfalles entwickelten Tendenzen Schlüsse zu ziehen. Auf eine
Perspektive sei aber vielleicht abschließend dennoch hingewiesen. Wie Fair¬
bank überzeugend nachweisen konnte, reichten über das chinesische Tribut¬
system ältere politische Vorstellimgen bis tief ins 19. Jahrhundert hinein (l9).
Dem wäre hinzuzufügen, daß auch dieses Tributsystem selbst seit der Ming-
Zeit einem vermutlich weit größeren Wandel unterworfen war, als man früher
angenommen hat. Vor allem die Kluft zwischen der Idee einer chinesischen Völker¬
familie und der politischen Wirklichkeit des Reiches gilt es zu erfassen, eine
Spannung, auf die schon Yang Lien-sheng hingewiesen hat (l9). Es bleibt zu
hoffen, daß eine über längere Perioden angelegte Diplomatiegeschichte Chinas,
für die es erfreulicherweise viele Ansätze gibt, diese für das Verständnis der
Gegenwart so wichtige Seite der chinesischen Tradition klären wird. •
Anmerkungen
1. Als Quelle für die im folgenden dargestellten Ereignisse dienten zwei
Throneingaben des Generalgouverneurs für Yünnan und Keichou, T'u-ssu
(über ihn vgl. Ch'ing-shih kao 338/la), abgedruckt in der Sammlung
Shih-liao hsün-k'an (SLHK), Photomech. Neuausgabe Taipei 1964, S. 327.
Zur Erwähnung der Gesandten in den Tributlisten und zum Tributssystem
allgemein vgl. J.K. Fairbank und S.Y. Teng, "On the Ch'ing Tributary
System", in: dies., Ch'ing Administration. Three Studies ( = Harvard
Yenching Institute Series XIX), Cambridge/Mass. 1961, S. 107-218,
insbes. S. 195 und 215.
2. Zur Lage der beiden Gebiete s. vor allem Ch'ing-ch'ao wen-hsien t'ung
k'ao, Ausg. Comm Press, S. 7383, ferner Tien-mien hua-chiai t'u-shuo
(Ausg. Huang-ch'ao fan-shu yü-ti ts'ung-shu S. 53b) - 54a) sowie H.
Wiens, Han Chinese Expansion in South China (2. Aufl. ) Yale 1967,
S. 346.
3. SLHK S. 327.
4. Vgl. hierzu bes. auch: Yano Jinichi, Biruma no Shina ni taisuru chökS
kankei ni tsuite, in: Toyo Gakuho 17 (1928), S. 1-39, ferner auch: F.N.
Trager, Burma. From Kingdom to Republic. A Historical and Political
Analysis, London 1966, S. 410 Anm. 8.
5. Erlaß vom Datum Ch'ienlung 40/X/l3, zitiert in SLHK 327.
6. SLHK ebd. S. 327, Eingabe Ch'ienlung 40/X. (Schalt-)Monat/5.
7. Zur Trennung der "Innen- und Außenstaaten" in der Theorie des Konfuzia¬
nismus vgl. O. Franke, Geschichte des chinesischen Reiches Bd. 11, Ber¬
lin und Leipzig 1937, S. 98 f. und die dort angegebene Literatur.
8. Zur Institution der T'u-ssu und deren Bedeutung für die Erschließung
Südwestchinas in der Ming-Zeit vgl. Huang K'ai-hua, Ming-tai t'u-ssu
chih-tu she-shih yü hsi-nan k'ai-fa, in: ders., Ming shih lun-chi, Hong¬
kong 1972, S. 211-414.
9. Zum Vorgehen von O-er-t'ai in Yünnan vgl. A.W. Hummel, Eminent
Chinese of the Ch'ing Period, Washington 1943/44, S. 601.
10. Über Tendenzen, die in der Ch'ing-Zeit zu einer Ablösung der Zonen des
indirekten Einflusses und eine Fixierung der Außengrenzen Chinas führten,
vgl. auch A. Lamb, "The Sino-Indian and Sino-Russian Borders: Some
Comparisons and Contrasts, in: J. Ch'en und N. Tarling (Hrsg. ), Studies
in the Social History of China and South-East Asia. Essays in Memory of
Victor Purcell (26 January 1896- 2 January 1965), Cambridge 1970, S.
135-152, ebd. S. 146.
11. Zu den Ereignissen vgl. A.W. Hummel (wie oben Anm. 9), S. 7.
12. Vgl. hierzu Truong Buu Lam, "Intervention versus Tribute in Sino-Viet-
namese Relations, 1788-1790", in: J.K. Fairbank (Hrsg.), The Chinese
World Order, Cambridge/Mass. 1968, S. 165-179, insbes. S. 173.
13. Zu der auf vielen Gebieten der chinesischen Geistesgeschichte so bedeut¬
samen Unterscheidung der Begriffe wai und nei vgl. J. Needham, "Medicine
and Chinese Culture", in: ders., Clerks and Craftsmen in China and the
West, Cambridge 1970, S. 263-293, ebd. S. 271 ff.
14. Yü Ying-shih, Trade and Expansion in Han China. A Study in the Structure
of Sino-Barbarian Economic Relations, Berkeley 1967, S. 70 ff.
15. Zu dieser in der Sinisierungspolitik gegenüber den Stämmen der Miao ge-
läufigen Trennung vgl. C. Lombard-Salmon, Un Exemple d' Acculturation
Chinoise: La Province du Gui Zhou au XVlll© siecle, Paris 1972, insb.
S. 117 und S. 292 f.
16. Vgl. hierzu u.a. A.R. Field, "Das Problem der Grenze zwischen Birma
und China", in: Zschr. f. Geopolitik 30 (1959), S. 7-29.
17. Uber die neueste Zeit der Auseinandersetzungen zwischen China undBirma
um die Grenzziehung orientiert jetzt H.G. Tanneberger, Das Verhältnis
der Volksrepublik China zum Völkerrecht- unter besonderer Berücksich¬
tigung der historischen Erfahrungen des Landes mit den "ungleichen Ver¬
trägen" seit dem Frieden von Nanking (1842) und der eigenen Vertrags¬
praxis gegenüber sechs asiatischen Staaten (Afghanistan, Birma, Ceylon,
Indonesien, Nepal, Pakistan), Diss. Bochum 1974, S. 150 ff.
18. Vgl. insbes. J.K. Fairbank und S.Y. Teng (wie oben Anm. l), S. 107;
vgl. femer M. Mancall, "The Ch'ing Tribute System: An Interpretative
Essay", in: J.K. Fairbank (Hrsg. ) (wie oben Anm. 12), S. 63-89, ebd.
S. 65.
19. Yang Lien-sheng, "Historical Notes on the Chinese World Order", in:
J.K. Fairbank (Hrsg.) (wie oben Anm. 12), S. 20-33, insbes. S. 22.
EINIGE METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN ZUR
RELIGIONSGESCHICHTE CHINAS
Von Helwig Schmidt-Glintzer, Bonn
Im Rahmen einiger methodischer Überlegungen zur Religionsgeschichte
Chinas möchte ich im wesentlichen auf drei Punkte eingehen:
1. möchte ich einige Thesen zu dem Satz beisteuern: "Es ist irreführend,
von einem säkularen Charakter der traditionellen chinesischen Gesellschaft
zu sprechen. "
2. geht es mir darum, die Zusammengehörigkeit von religiösen und nicht¬
religiösen Traditionen wahrscheinlich zu machen.
3. muß ich aber auf eine methodische Schwierigkeit hinweisen, vor der wir
stehen, wenn wir Religionsgeschichte Chinas als einen Teil der Geschichte
Chinas betrachten wollen.
Zur Rede von der "Diesseitsbezogenheit"
Solche Aussagen wie "China ist de facto religionslos, nicht nur in den oberen
Klassen, sondern in der ganzen Bevölkerung" (l) wird kaum einer mehr gel¬
ten lassen. Doch läßt sich auch heute noch bei dem Thema "Religion in China"
allenthalben eine fundamentale Unsicherheit feststellen, so daß immer wieder
solche Aussagen auftauchen wie: die Chinesen hätten eigentlich keine Reli¬
gion (2), in China lasse sich nur eine "diffused religion" feststellen, etc. (3).
Ferner ist noch die "minimalistische Lösung" zu nennen, wiesle zu Beginn
unseres Jahrhunderts deGroot formuliert hat: "In Wirklichkeit sind die er¬
wähnten drei Religionen Äste eines gemeinsamen Stammes, der seit uralten
Zeiten bestanden hatj dieser Stamm ist die Religion des Universums, des
Weltalls, Universismus ist die eine Religion Chinas" (4). Dieser
minimalistische Begriff sucht eine Grundstruktur zu kennzeichnen und mag
von daher seine Berechtigung haben. Allerdings ist er zu cülgemein und thema¬
tisiert die historische Dimension nicht. Mirist übrigens keine Studie zu einem
religiösen Phänomen in China bekannt, die auf diesem Begriff aufbaut (5).
Es liegt auf der Hand, daß die Unsicherheit im Gebrauch des Begriffes "Re¬
ligion Chinas" wesentlich auf der Tasache beruht, daß unser eigener Begriff
davon, was unter Religion zu verstehen sei, selbst keine festen Konturen
hat (6). Nur daher ist auch der Vorschlag zu verstehen, Religion und deren
Geschichte nicht mehr zum Gegenstand einer besondern Disziplin zu machen,
sondern bisherige Religionsgeschichte aufgehen zu lassen in anderen Diszipli¬
nen. Für den Fall Chinas hat Marcel Granet einen solchen Vorschlag gemacht,
indem er forderte, man dürfe "der Religion [in der Darstellung der chinesi¬
schen Kultur] kein besonderes Kapitel widmen" (7). Granet ging von der Be¬
obachtung aus, daß "in China die Religion ebensowenig wie die Rechtspflege
zu einer differenzierten Funktion des Gesellschaftslebens geworden" sei (8).