Bibliothek de Deutschen Morcenlcind'cch.
WUhelm Eüers (1906-1989)
Von Walther Hinz, Göttingen
Im Jahr 1929 begegneten wir uns in der Universität Leipzig im Per-
sisch-Kolleg von Hans Heinrich Schaeder. Aus dieser Begegnung
erwuchs eine sechzigjährige Freundschaft. Sie gründete auf unserer
gemeinsamen Neigung zur Kultur Irans.
Anfangs trat diese Neigung nur zaghaft zutage. Wilhelm Eilers,
am 27. September 1906 in Leipzig geboren — er war knapp zwei Monate
älter als ich —, studierte Jura, zuerst in Freiburg und München, danach
in seiner Geburtsstadt. Er hatte sich aber bereits auf orientalische Spra¬
chen und im besonderen auf die Keilschriftwissenschaft geworfen.
Seine großen Lehrer in Leipzig waren B. Landsberger, P. Koscha¬
ker, F. H. Weissbach und H. H. Schaeder. Die beiden letztgenann¬
ten Gelehrten führten ihn zu den Achämeniden.
Ich entsinne mich, wie Wilhelm Eilers bei unseren langen Gesprä¬
chen in der Wandelhalle der Leipziger Universität am Augustusplatz
mir begeistert auseinandersetzte, wie man aus keilschriftlichen Urkun¬
den des Zweistromlandes altiranische Eigennamen und Beamtentitel
herausschälen könne. Daraus erwuchs später seine Habilitations¬
schrift. Ich hingegen suchte ihn für die Kultur Irans unter den Safawi¬
den (1501-1722) zu erwärmen, die es mir angetan hatte. Im Jahr 1931
wurde Wilhelm Eilers mit einer Dissertation über Gesellschaftsfor¬
men im altbabylonischen Recht zum Dr. jur. promoviert. Er widmete
die Abhandlung unserem iranistischen Lehrer Hans Heinrich Schae¬
der. Die Gesetzesstele des Königs Chammurapi hatte mein Freund so
gründlich studiert, daß er sie im Jahr darauf (1932) in deutscher Uber¬
setzung veröffentlichen konnte; diese hat noch heute Bestand.
Da H. H. Schaeder 1930 an die Universität Berhn berufen worden
war, folgten wir ihm dorthin. Von jetzt ab wies unser wissenschaftlicher
Kompaß unbeirrbar in Richtung Iran. Wilhelm Eilebs wurde wissen¬
schaftlicher Assistent unsres Lehrers; ich habilitierte mich 1934 bei
ihm mit einer Arbeit zur Geschichte der frühen Safawiden. Mein Freund
veröffentlichte 1935 einen Aufsatz über das Volk der krkä in altper¬
sischen Achämeniden-Inschriften. Darin bewies er mit vorbildlicher
Klarheit, daß es sich bei diesem Volk um die Karer handelt.
1 ZDMG 141/1
2 Walther Hinz
Berlin stand in den dreißiger Jahren auf orientalistischem Gebiet in
hoher Blüte. Die Großen des Faches trafen sich zwanglos mit der jungen
Generation. Einladende war die Deutsche Morgenländische Gesell¬
schaft. Nach einem Fachvortrag von allgemeinem Interesse gab es Dis¬
kussion und Geselligkeit. Dabei fand sich eine Schar junger Iranbeflis¬
sener zusammen. Wir verfaßten eine Denkschrift zum Ausbau der Ira¬
nistik. Zu unseren Vorschlägen gehörte die Erstellung von einschlägi¬
gen Wörterbüchern. Wilhelm Eilers erklärte sich spontan bereit,
das schwierige Deutsch-Persische Wörterbuch auf sich zu nehmen. Im
Jahr 1935 bewilligte ihm das Wissenschaftsministerium ein bescheide¬
nes Forschungsstipendium. Dieses Unternehmen erforderte einen lan¬
gen Atem: 1967 erschien der erste Band, 1983 der zweite.
Im selben Jahr 1935 — es war die Zeit des Abessinienkrieges — nah¬
men Wilhelm Eilers und ich am Orientalistischen Weltkongreß in
Rom teil. Wir wfiren unzertrennlich. Damals schlössen wir Freund¬
schaft mit Vladimir Minorsky und S. H. Taqizäde. Die Zahl der
Kongreßteilnehmer betrug keine dreihundert . . .
Nach Berlin zurückgekehrt, im Wintersemester 1936/37, gründete
ich eine Iran-Arbeitsgemeinschaft im Rahmen der Universität und
stellte ihr die Aufgabe, das auf Iran bezügliche Erste Buch der Amoeni¬
tates exoticae des Forschungsreisenden Engelbert Kaempfer, 1712
in Lemgo erschienen, aus dem Lateinischen ins Deutsche zu überset¬
zen. Wilhelm Eilers übemahm das halbe Kapitel I sowie das Kapitel
IX. Femer wirkten mit: Bertold Spuler (er übersetzte das halbe
Buch), Hans Robert Roemer, Hellmut Braun, Hans Hartmann
und andere. Ich besorgte die Verdeutschung der persischen Fachaus-
drücke und redigierte das Ganze. Das KAEMPFER-Buch erschien 1940
in Leipzig unter dem Titel: Am Hofe des persischen Großlcönigs (1684-
85). Im Vorwort heißt es: „Die hier vorgelegte Veröffentlichung stellt
eine Gemeinschaftsarbeit junger Orientalisten dar." Man mag heute
darüber lächeln; uns war es emst damit gewesen.
Der August des Jahres 1936 machte im Leben von Wilhelm Eilers
Epoche. Am 10. August heiratete er Erika Böhling in Visselhövede in
der Lüneburger Heide. Es wurde eine überaus glückliche Ehe. Erika
Eilers hat am Lebenswerk ihres Gatten einen Anteil, der gar nicht
hoch genug eingeschätzt werden kann. Im selben Monat August 1936
habilitierte sich Wilhelm Eilers an der Philosophischen Fakultät der
Universität Berlin. Damals plante das Archäologische Institut des
Deutschen Reiches (so hieß damals das DAI in Berlin), in Baghdad eine
Zweigstelle zu eröffnen; fiir diese Aufgabe war Wilhelm Eilers vor¬
gesehen. Allein, es kam anders. Zur Hochzeitsfeier in Visselhövede
Wilhelm Eilers (1906-1989) 3
sandte der Präsident des Instituts, Geheimrat Theodor Wiegand, fol¬
gendes Telegramm: „Herzlichste Glückwünsche zur Vermählung -
Devisen fiir Baghdad nicht bewilligt."
Einen Monat später, im September 1936, kehrte ich von meiner
ersten Iran-Forschungsreise zurück. Ich hatte keine Devisenprobleme
gehabt, weil mit Iran ein Verrechnungsabkommen bestand. Ich schlug
meinem Freund vor, in Isfahan eine Station zu gründen. Geheimrat
Wiegand war damit einverstanden, und so brach das Ehepaar Eilers
am 1. April 1937 auf dem Landweg nach Teheran auf.
Die Verhandlungen mit den iranischen Behörden brauchten Zeit. Am
13. September 1937 kam in Teheran der erste Sohn des Ehepaares zur
Welt und erhielt den völkerverbindenden Namen Wilhelm Chosrou. Die
Universität Teheran lud meinen Freund ein, im Auditorium maximum
einen Vortrag in persischer Sprache über die kulturellen Beziehungen
zwischen Deutschland und Iran zu halten. Dieser Vortrag förderte die
Verhandlungen spürbar, und zum 1. April 1938 übersiedelte die Fami¬
lie ElLERS nach Isfahan. Noch in Berlin hatte ich meinen Freund ge¬
beten, mittelalterliche persische Bau- und Steuerinschriften in den
Moscheen des Landes aufzunehmen und in einem Corpus zu veröffent¬
lichen. Er vnlligte ein.
Im Februar des Jahres 1939 besuchten meine Frau und ich das Ehe¬
paar Eilers in Isfahan. Mein Freund hatte in der Stadt ein geräumiges
Haus angemietet mit allem, was in Iran dazugehört. Das Institut besaß
bereits eine stattliche Fachbücherei und bot auch Gästen Raum. Der
Hausherr zeigte uns mit kaum verhohlenem Stolz seine Inschriften-
Sammlungen. Da solche Urkunden erhaben aus dem Stein der
Moscheewände gemeißelt zu sein pflegen, hatte Wilhelm Eilers eine
eigene 'Aufnahme'-Technik erfunden. Er überklebte die betreffende
Inschrift mit Papier. Dann klatschte er einen mit Graphit gefüllten Lei¬
nenbeutel auf die Inschrift, die sich originalgetreu auf dem Papier
abzeichnete. Ein ganzer Stapel riesiger Papierrollen lag bereits in sei¬
nem Studierzimmer — ideale Vorlagen für Abzeichnung und Veröffent¬
lichung der Inschriften. Leider ging ein Teil dieses einzigartigen Quel¬
lenstoffes durch den Krieg verloren.
Anfang Mai 1939 kam ich emeut zu meinen Freimden nach Isfahan.
Kronprinz Mohammad Rezä Pahlawi hatte sich in Teheran mit der
ägyptischen Prinzessin Fauziyya vermählt. Als Vertreter Deutschlands
bei den Feierlichkeiten war Werner Graf von der Schulenburg,
seit 1934 Botschafter in Moskau, nach Teheran entsandt worden. In den
Jahren 1923 bis 1930 war dieser vorzügliche Kenner Irans dort Gesand¬
ter gewesen. Nun vninschte er, die ihm wohlvertrauten, weltberühmten
1
4 Waltheb Hinz
Moscheen Isfahäns genauer zu besichtigen; zu seiner Zeit hatten Nicht-
mosleme sie nicht betreten dürfen. Wilhelm Eilers und ich wurden
gebeten, den Botschafter und seinen Legationsrat Hans-Heinrich
Herwarth von Bittenfeld bei dieser Besichtigung zu fiihren. Es
war ein herrhcher Maientag, und wir hatten denkwürdige Gespräche.
Vier Monate später war Krieg und ich in Polen, zu Fuß.
Wilhelm Eilers wurde erst im September 1941 vom Krieg einge¬
holt. Am 6. September 1939 war Wolfhart Parviz als zweites Söhnchen
des Ehepaares in Isfahan geboren worden. Während der folgenden zwei
Jahre konnte mein Freund im Land nicht mehr reisen; sonst hätte man
ihn als Spion verdächtigt. So nutzte er seinen Isfahaner Aufenthalt
dazu, emeut Mundarten aufzunehmen, in denen medisches Sprachgut
fortlebt. Seine umfangreichen Aufzeichnungen von damals wurden glück¬
lich gerettet; auf sie komme ich noch zurück. Auch war es ihm gelun¬
gen, von Isfahan aus seine Habilitationsschrift über iranische Beamten¬
namen in der keilschriftlichen Überliefemng zum Dmck zu befördern;
sie erschien 1940 in Leipzig.
Am 27. September 1941 geriet Wilhelm Eilers in britische Gefan¬
genschaft und wurde mit zahlreichen Landsleuten nach Australien ver¬
bracht. Seine Frau und die beiden Kinder durften über Iraq, Syrien,
Türkei und Balkan heimreisen.
Von 1947 bis 1952 vrirkte Wilhelm Eilers an der Universität Syd¬
ney. Nach der Heimkehr nach Deutschland wurde er 1952 in Marburg
Privatdozent und Referent für den Orient an der dortigen Westdeut¬
schen Bibliothek. Im Jahr 1958 berief ihn die Universität Würzburg als
Ordentlichen Professor für orientalische Philologie und als Vorstand
des Orientalischen Seminars. Damit hatte nach einem bewegten, oft¬
mals stürmischen halben Jahrhundert sein Lebensschiffchen endlich
sicheren Hafen erreicht.
Es folgten fiir Wilhelm Eilers drei Jahrzehnte emsigen Schaffens.
Die reiche Emte, die er einbrachte, erhellt aus den Bibliographien in
den beiden ihm gewidmeten Festschriften, in der ersten vom Jahr 1967,
zum sechzigsten Geburtstag, und in der zweiten von 1987 (Archäolo¬
gische Mitteilungen aus Iran. Bd. 20), zum achtzigsten. Er verfaßte über
130 Monographien und Aufsätze; darin sind seine zahlreiehen Buchbe¬
sprechungen nicht einbegriffen.
Die Veröffentlichungen von Wilhelm Eilers sind von erdenklich
großer Vielfalt. Das Vorwort der Festschrift von 1987 zählt seine For¬
schungsgebiete so auf: Semitistik, Iranistik und Keilschriftforschung
mit Ausrichtung auf Rechtsgeschichte und Keilschriftrecht, Archäolo¬
gie, Epigraphik, modeme Dialekte und Folklore, Volkspoesie, Wort-
Wilhelm Ehers (1906-1989) 5
und Namenkunde, insbesondere Ortsnamenforschung, Vergleichende
Semasiologie, Synnoematik, semitische Wurzelanalyse und Allgemeine
Grammatik.
Es erscheint unmöglich, diese unglaubliche Fülle auf einen Nenner zu
bringen — ist es aber nicht. Denn Wilhelm Eilers war von Anlage und
Neigung vor allem Sprachforscher. Das Geheimnis des Phänomens
Sprache hat ihn verzaubert und zeitlebens nicht losgelassen. Am deut¬
lichsten kündet davon seine Monographie von 1973 über die verglei¬
chend-semasiologische Methode in der Orientalistik. Hierbei ging es
ihm um die systematische Untersuchung des Bedeutungsgehaltes
von Sätzen und Wörtem, nicht um deren Wurzelerforschung. Ihm stand
fest, „daß der Sprache als solcher überall, wo Menschen sprechen,
gemeinsame Gmndzüge innewohnen, die die Einheitlichkeit des Men¬
schengeistes unwiderleghch dartun." Das Ziel, welches Wilhelm
Eilers vorschwebte, „ist ein hohes, allgemeines, ein philosophisches
Ziel." Wenn er von diesem Ziel sprach, leuchteten seine Augen. Viel¬
leicht gehe ich zu weit, wenn ich sage: Erforschung von Sprache war für
ihn ein Numinosum — aber dies war mein Eindmek. So verwundert
nicht, daß sein magnum opus die drei Bände Westiranische Mundarten
sind, zu denen er den Stoff in den Jahren 1940 und 1941 gesammelt
hatte.
Anläßlich des vierzigjährigen Bestehens der Universität Teheran im
Jahr 1974 wurden wir beide zum Dr. phil. ehrenhalber promoviert. Am
16. März überreichte uns Ministerpräsident Hoveidä in der Aula der
Universität die Urkunden persönlich. Niemand konnte damals ahnen,
daß er das Los so vieler persischer Großwesire würde teilen müssen.
Am Tag nach der Ehrenpromotion, am 17. März 1974, flogen wir
gemeinsam nach Isfahan und tauschten alte Erinnemngen aus. Meinen
Freund beseelte der Entschluß, sein einst gesammeltes Dialektmaterial
endlich zu veröffentlichen. Zusammen mit seiner Orient-erprobten Gat¬
tin besuchte er Hünsär, wohin er 1940/41 nicht hatte reisen können,
und überprüfte sein Material an Ort und Stelle, desgleichen in dem
nördlich von Isfahan gelegenen Gäz. Zwei Jahre danach, 1976, reiste er
emeut zweimal nach Iran, diesmal um den Dialekt von Sivänd (zwi¬
schen Pasargadae und Persepolis) zu überprüfen und seinen siebzigsten
Geburtstag im Kreise seiner Familie und seiner zahlreichen iranischen
Freunde zu feiem.
In Sivänd traf er denselben Gewährsmann an, dessen Dialekt er im
Oktober 1939 in Persepohs aufgenommen hatte. „Ein Telegramm von
Erich F. Schmidt hatte mich von Isfahan zu den Ausgrabungen [des
Oriental Institute der Umversität von Chicago] in Persepolis gemfen,
6 Walther Hinz
dessen spektakulärstes Ergebnis die Freilegung der frühassanidischen Inschrift an der Ka'be-i-Zarduät in Naq§-i Rustam war." Dadurch wurde
Wilhelm Eilers der erste Wissenschaftler, der die mittelpersische,
parthische und griechische Inschrift Säpürs I. am Turm von NaqS-i
Rustam las und transkribierte.
Für die Mundart von Sivänd war damals sein Gewährsmann ein auf¬
geweckter junger Helfer namens 'Ah Muräd, den er noch im selben Jahr
1939 als Hausgast zu sich nach Isfahan holte, vom 16. November bis
28. Dezember. Im Herbst 1976 machte Wilhelm Eilers seine letzten
Dialektaufnahmen in Sivänd mit diesem selben Gewährsmann von vor
37 Jahren.
Die drei Bände Westiranische Mundarten erschienen in den Jahren
1976 (Band I: Chunsar), 1979 (Band II: Gäz) und 1988 (Band IH:
Sivänd), die beiden ersten Bände unter Mitarbeit von Ulrich
Schapka. Mit diesen VeröfTentliehungen krönte Wilhelm Eilers
sein Lebenswerk. Ihr Wert geht weit über den rein sprachlichen Ertrag
hinaus. Tatsächlich liegt die Bedeutung der drei Bände vor allem in
ihrem außerordentlichen Quellenwert für die Landes- und Volkskunde
Irans. Ihr Inhalt ist auch für den des Persischen Unkundigen ebenso
belehrend wie genußreich. Er bewahrt ein Kulturerbe Irans, das unauf¬
haltsam dahinschwindet.
Wilhelm Eilers hat dieses Kulturerbe der Mit- und Nachwelt
bewahrt und erschlossen. Folgerichtig endet der Nachruf auf meinen
großen treuen Freund mit Worten des Dankes. Die Fachgenossen dan¬
ken flir all das, wodurch Wilhelm Eilers unser Wissen von der Kul¬
tur Irans bereichert hat. Die ihn kannten, danken ihm überdies für seine
Menschlichkeit und Güte. Am 3. Juli 1989 durfte er, unverhofft plötz¬
lich, in die geistige Welt heimkehren. Sit ei terra levis!