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Das Gemälde "Die Vierzehn Nothelfer" und "Christus als Schmerzensmann" in der Marienkirche zu Torgau

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38

Das Gem älde „Die Vierzehn Nothelfer" und „Christus als Schmerzensmann" in der Marienkirche zu Torgau

Iris R i t s c h e l

Bisherige Forschungen zur Funktion der Gemäldetafel*

Die doppelseitig bemalte Tafel mit den Darstellungen der „Vier­

zehn N o t h e l f e r " (Abb. 1) und „Christus als S c h m e r z e n s m a n n , u m g e b e n von zwei E n g e l n " (Abb. 2) im Besitz der Marienkir­

che zu Torgau ist w e d e r signiert, noch weist sie eine inschriftli­

che Datierung auf. Dies bedeutet, die Ermittlung der Urheber­

schaft sollte, solange kein direkter Beleg durch urkundliche Quellen wie datierte und namentlich unterzeichnete R e c h n u n ­ gen oder Verträge g e f u n d e n werden kann, bei der Rekonstruk­

tion historischer und funktionaler Z u s a m m e n h ä n g e ansetzen.

Zu letzteren wurden bisher vorwiegend Vermutungen angestellt.

So sprach Werner Schade 1971 die M e i n u n g aus, es könnte sich u m eine „selbständige Altartafel" handeln1. Sibylle Harksen zog 1972 die Möglichkeit in Betracht, die Tafel als „ein selb­

ständiges, nicht zu einem Altar gehöriges G e m ä l d e " anzu­

sehen , obschon sie andererseits seit 1962 die Ansicht vertrat, diese sei die dem Nothelfer­ und Annenaltar z u z u r e c h n e n d e Predella . Mittelteil und Flügel des entsprechenden Retabels seien in d e m 1509 datierten sogenannten „Torgauer Fürsten­

altar" im Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt a. M. (Abb. 3) zu finden , dessen Maler nach der Inschrift Lucas Cranach war (Abb. 4). Dieser G e d a n k e w u r d e erstmals 1906 von Franz Rief­

fei publiziert5 und danach i m m e r wieder a u f g e g r i f f e n6. Abgese­

hen davon, daß bislang die H e r k u n f t der genannten Retabelteile im Städelschen Kunstinstitut aus Torgau nicht nachweisbar ist, stehen ihre Proportionen a u ß e r d e m in einem solchen Mißver­

hältnis zur Gemäldetafel mit der Nothelferdarstellung, daß eine Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t außer Frage steht . 7 °

o

Eine Sonderstellung nimmt die Ansicht Max J. Friedländers 9

ein, die später von Hans­Joachim Gronau aulgegriffen wurde.

/ „Nothelfertafel" (Vorderseite), Marienkirche Torgau

(2)

Das G e mä l d e „Die Vierzehn N o t h e l f e r " und „Christus als S c h m e r z e n s m a n n " in der Marienkirche zu Torgau 39

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I I I W.

2 „Nothelfertafel" (Rückseite), Zustand vor der Restaurierung von 1969- 1971, Marienkirche Torgau

wie sie f ü r unser Forschungsvorhaben angestrebt wurde, konnte von ihnen w e g e n der D e n k m a l f ü l l e und weil die Publikation den Charakter eines Inventars trägt, nicht v o r g e n o m m e n wer­

den. Ihre Einsichten waren uns wertvolle Hinweise auf dem Weg durch das Dickicht ungesicherter und widersprüchlicher Aussagen.

Archivalische Quellen und Provenienz

D a s Tafelgemälde war in j ü n g e r e r Zeit, seit 1973, in einem Stahlrohraufsteller1 im südlichen N e b e n c h o r der Marienkirche zu Torgau ausgestellt, bis es 1990 in das Depot des L a n d e s a m ­ tes f ü r D e n k m a l p f l e g e Sachsen ü b e r n o m m e n worden ist1 4. Im S o m m e r 1994 erfolgte die R ü c k f ü h r u n g nach Torgau, u m es den Besuchern der Marienkirche wieder zugängig zu m a c h e n . Z u r 1969 b e g o n n e n e n und 1971 beendeten Restaurierung (s. u.) w u r d e die G e m ä l d e t a f e l aus der Sakristei der Kirche e n t n o m ­ men. An diesem A u f b e w a h r u n g s o r t ist ihr Verbleib durch ge­

15

druckte Quellen bis in das Jahr 1832 zurückzuverfolgen . Beide meinen, das T a f e l g e m ä l d e könne die Predella des mit L C Wann sie dorthin kam, war nicht zu ermitteln,

und der Jahreszahl 1506 bezeichneten Dresdener Katharinen­

altars (Abb. 5) sein1 0.

Z u einem weiterreichenden und verläßlicheren Ansatz, Funk­

tion und originale Aufstellung der Tafel rekonstruierbar zu ma­

chen, kam es 1976 durch die Forschungsarbeit von Peter

11

Findeisen und Heinrich Magirius . Sie werteten archivalische Quellen aus und berücksichtigten den Großteil an literarischen E r w ä h n u n g e n1 2. Eine intensive und u m f a s s e n d e r e Bearbeitung,

Bedeutsam ist j e d o c h die Überlieferung, w a n n der unmittelbar vor d e m C h o r befindliche Altar, der ursprünglich in enger Be­

ziehung zum Grabmal der Herzogin Sophie von Mecklenburg (+ 1503) stand und der heiligen A n n a und den Vierzehn Nothel­

fern geweiht war, einschließlich seinem Retabel abgebrochen wurde. D e n n in der Vergangenheit ging man vermutend davon aus, daß das T a f e l g e m ä l d e zu diesem Altar g e h ö r t e1 6. Die G o t ­ teskastenrechnung 1697/1698 bestätigt den A b b r u c h des Altars 3 Lucas Cranach d. Ä., „Sippenaltar", 1509, Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt am Main (sog. „Torgauer Fürstenaltar")

(3)

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4 Inschrift vom „Sippenaltar" (Ausschnitt von Abb. 3)

im S e p t e m b e r 16971 7. Z a h l u n g e n d a fü r an einen Gesellen wer­

den wie folgt ausgewiesen: den alten v o r d e m Altar helfen abreißen, das Steinwerk auf den Kirchhof bringen, die Bilder auf das G e w ö l b e über der Sakristey geschafft, . . . " '8 Noch vor

1832 m u ß dann die Nothelfertafel in die Sakristei versetzt wor­

den sein. Die übrigen „Bilder" des Retabels sind nicht mehr auffindbar.

D a ß diese „Bilder" wirklich die zu besprechende Gemäldelafel einschlössen, ist aus einer bisher für die Beantwortung dieser

19 Frage unbeachteten lateinischen Beschreibung von 1731 zu folgern, die sich auf den erwähnten Altar bezieht. Der Autor Daniel Friedrich Ianus stellte einen Bericht über das Sophien­

grab voran und zitierte anschließend die U r k u n d e der Stiftung des Altars , die von Friedrich d e m Weisen und Johann 21 d e m Beständigen veranlaßt worden war. Die U r k u n d e ist am 19. Juli

22

1505 datiert und in deutscher Sprache verfaßt ". Sie berichtet:

„Wir von gots gnaden Friderich des heiligen Romischen Reichs Ertzmarschall C h u r f u r s t e und J o h a n n s gebrudere Hertzog zu Sachsenn Lantgrauen In Doringcn unnd marggraven zu m e y s ­

sen T h u n k u n t . . . das wir mit hoher Betrachtunge vnnser g e m u t e zu synnen g e n o m e n ... haben D o r u m b mit w o h l b e d a c h t e m mute ... und zu eren der hochgelobten J u n c k f r a w e n Marien gots mut­

ter und dem gantzen hymlischen here zu lobe unsern lieben El­

tern und vorfarn und sunderlich der h o c h g e b o r n n e n Fürstin Fra­

wen Sophien gebornnen von Mecklenburg Hertzogin zu Sachsen Lantgrauyn In Doringen und M a r g r a f y n zu Meyssen unser lieben Schwester unnd gemahl seliger und lobelicher ge­

dechtnus ... Eynen nawen Altar in der eren der heyligen f r a w e n Sanct A n n a und der heyligen vierzehn nothelfer g e w e y h e t in unser lieben Frawen pfarrkirchen zu Torgaw vor d e m chore mit f u n f f ewigen wochenlichen messen auffgerichteth, gestiftet not­

durftiglich versehen vnd b e w y d e m p t Uffrichten Stifften und be­

w y d e m e m ..."

Weiterhin sind sehr g e n a u e Angaben gemacht, in welcher litur­

gischen Form die Messen abzuhalten sind und daß sie d e m G e ­ dächtnis der Herzogin dienen sollen . Durch seine nachfolgen­

den Erläuterungen stellte Ianus den Z u s a m m e n h a n g zwischen der G e m ä l d e l a f e l und dem Altar her. Sie erzeigen sich als be­

deutsam für den Nachweis, daß es sich genau u m diese erhalte­

ne Tafel handelt, denn in den detailreichen Beschreibungen der Vorder­ und Rückseite geht er sehr präzise auf das Dargestellte ein. Die Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts berichten anson­

24 sten zu allgemein von der Tafel und der Altarstiftung . Eine Identifizierung und damit eine Bestätigung der a n g e n o m m e n e n Provenienz kann durch sie nicht erfolgen.

Bei Ianus ist zu lesen2 5: „ C u m igitur in dedicalione huius alta­

ris, q u a e S. A n n a e facta est. quatuordeeim opitulatorum, seu d i u o r u m a p o t r o p a e o r u m mentio facta sit, eorum n o m i n a recen­

sebo, q u a n t u m mihi e pictis tabulis, q u a e apud nos adservantur, c o g n o s c e r e lieuit. M e d i u m e a r u m locum ocupat [. m a g n u s Chri­

stophorus, adiuneta arbore, humeris sustinens Iesum i n f a m e m , ad cuius dextram conspicitur II. S. Georgius, eques, c u m con­

fecto dracone, qui mortuus ex eius brachiis dependet. III. est S. Hubertus vestitu indutus viridi, q u e m venatores gerere c o n ­

5 Lucas Crcmach d. Ä., „Katharinenaltar", 1506, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Alte Meister

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Das Gemälde „Die Vierzehn Nothelfer" und „Christus als Schmerzensmann" in der Marienkirche zu Torgau 41

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6 ///. Christopherus (Ausschnitt von Abb. 1)

26 suescunt, cum signo Christi, cruci adfixi inter cerui cornua, ...

Hunc sequitur IV. Sanctus qiudam facie iuvenili, et capillo cris­

po depictus. V. S. Mauritius, praefectus legionis Thebanae, ca­

taphracta circumdatus, vexillum gerens albi coloris. VI. S.

27 •

Franciscus , aut imago saneti cuiusdam cuius manus supra Ca­

put complicatae clavo ferreo transfixae sunt. VII. episcopus quidam. manu tenens ardentem candelam. Ad sinistram Chri­

28 stophori se repraesentat VIII. Antonius Patavinus , cuius in tu­

tela sues sunt et peeudum genera, eique pecusculum quoddam attribuitur. IX. Episcopus, qui insulam capiti impositam utraque manu tenet. X. Alius 9 iterum occurrit episcopus, cuius capiti draco. in aere sublimis, maximo corpore, alisque, vespertilio­

num instar, instruetus imminet, longo praeter ea et praeacuto capite. XI. Episcopus S. Erasmus cum instrumento, quo viscera ex eius corpore anno CCCIII die II hin. torta sunt. XII. Sanctus recentioris aevi, qui caput galli eiusque cristam rubri coloris pectore ostentat, signi loco. XIII. Eiusdem generis sanctus30, iuvenis, se conspiciendum praebet, post cuius caput calix ex auro exiguae magnitudinis positus est cum pane orbiculato sacri epuli. XIV. Sanctus est, nescio quis, librum legens, qui litteris constat monachis usitatis ac rubro colore compactus. Legenti adstat monstrum, quod ad draconis similitudinem accedit, cum capite coronis cineto; quod autem agni capitis refert speciem, et tarnen geri coruna. Monile Collum circumdat, quod habet ali­

quot carenae articulos. Posterior pars pictae huius tabulae, si

7 Lucas Cranach d. Ä., Hl. Christophorus, 1509?. Holzschnitt

eam vertimus exibet Iesum, e ligno crucis sublatum, qui sedens a pictore pictus est coloribus ac artificio longe impari, quo saneti opitulatores depicti sunt. Iesum autem, vero et sanetissi­

mo sospitatori, adstant duo angeli ex quorum alis plumae sunt evulsae ac discissae."

Die kleinen Unstimmigkeiten in diesen Darlegungen, die in der falschen Benennung von drei Figuren (III.. VI., VIII.) und der Einschätzung von Margareta (X.) und Barbara (XIII.) als männ­

liche Heilige bestehen, trüben nicht das akribisch nachgezeich­

nete Bild von dem Gemälde. Die Tafel ist eindeutig zu identifi­

zieren.

Leider geht aus den Ausführungen von Ianus nicht hervor, wo sich die Tafel zum Zeitpunkt seines Berichts befand. Im Er­

scheinungsjahr seiner Schrift ­ 1731 ­ war sie, wie aus den oben zitierten Notizen zum Abbruch des Altars zu ersehen ist, nicht mehr im Kirchenraum aufgestellt. Der „nur" vierunddrei­

ßigjährige Abstand zum Vorhandensein des Altars einschließ­

lich seines Aufsatzes und die sorgfältige Beschreibung lassen uns hingegen fest mit der Glaubwürdigkeit der Worte von Dani­

el Friedrich Ianus rechnen. Aufschlußreich ist seine Bemerkung quantum mihi e pictis tabulis, quae apud nos adservantur, cognoscere lieuit"31. Die Verwendung des Plurals belegt, daß mehrere Tafeln gemeint sind, die zusammen aufbewahrt wur­

(5)

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-

9 Ä"o/?/*fes Christus (Ausschnitt von Abb. 8)

Damit wird die Vermutung Werner Sehndes, die Tafel mit der Nothelfer­ und S c h m e r z e n s m a n n d a r s t e l l u n g sei eine selbstän­

dige Altartafel oder, wie von Sibylle Harksen in Betracht gezo­

gen, ein nicht zu e i n e m Altar g e h ö r e n d e s G e m ä l d e (s. o.), außer Kraft gesetzt. M a x J. Friedländers und Hans­Joachim G r o n a u s H y p o t h e s e ist somit ebenfalls hinfällig3 6. Der Wortlaut in den zitierten Quellen des 18. Jahrhunderts und in der E r w ä h n u n g des Altarabbruchs deutet darauf hin, daß die übrigen, verschol­

37 lenen Teile des Altaraufsatzes ebenfalls G e m ä l d e enthielten' . Eine R a h m u n g der Nothelfertafel mit Schnitzwerk ist aber des­

halb nicht ausgeschlossen . Selbst ein vollständig gemaltes Retabel konnte von Schnitzerei umgeben sein.

8 Lucas Cranach d. Ä., „Schleißheimer Kreuzigung", 1503, Bayerische Staatsgemäldesammlungen München

den. Mit allerletzter Bestimmtheit kann daraus noch nicht auf die übrigen Teile des Retabels vom Nothelfer­ und Annenaltar geschlossen werden, o b w o h l dies sehr naheliegt3 2. D o c h die oben a n g e f ü h r t e n A u s s a g e n z u m A b b r u c h des Altars weisen ebenfalls auf die Existenz mehrerer Bilder, denn es hieß: „ ...

die Bilder auf das G e w ö l b e über der Sakristey g e s c h a f f t . "

G e n a u e r e A u s k u n f t über Aufstellung und Funktion der Tafel gibt eine Publikation aus d e m Jahre 1671. In ihr heißt es über den Nothelfer­ und Annenaltar am Sophiengrab: „Dieser Altar/

daran der 14 Nothhelffer/ ingleichen St. A n n a e und anderer Heiligen Bildnisse sehr schön und künstlich gemahlet zu sehen/

stehet noch/ iedoch zu e i n e m andern und bessern Brauch ausge­

setzet/ und wird alle Sonn­ und Fest­Tage das H. A b e n d m a h l / 33 nach Christi Einsetzung/ darauff a u s g e s p e n d e t . ' " Diese Be­

schreibung w u r d e mit g e r i n g f ü g i g e n orthographischen A b w e i ­ c h u n g e n in einer noch unbekannten, im 18. Jahrhundert abbre­

chenden, undatierten, a n o n y m e n Schrift zitiert. Sie ist als M a n u s k r i p t zu einer Chronik von Torgau zu betrachten . In den f ü r die Rekonstruktion der Ausstattung der Marienkirche wesentlichen Stellen n a h m der Schreiber auf ältere Quellen Be­

zug, das heißt, er schrieb sie z u m Teil a b3 5. O h n e Z w e i f e l ist in beiden Schriften ein Retabel gemeint.

Welche Überlieferungen liegen nun aus der Entstehungszeit von Altar und Retabel vor? Es sei n o c h m a l s daran erinnert, daß die Stiftung und Weihe des Nothelfer­ und Annenaltars, zu d e m die Tafel nach den obigen Untersuchungen gehört haben muß, a m

19. Juli 1505 urkundlich festgehalten wurde. Bereits am 1. Mai erhielt der Steinmetz Z a h l u n g e n , und am selben Tag sind A u s ­ gaben für „8 lot w e y r o c h z u m neuen Altar, als man ihn w e y e t "

in den A m t s r e c h n u n g e n von T o r g a u3 9 verzeichnet. M e n s a und Stipes w a r e n also spätestens seit d e m 1. Mai z u m liturgischen G e b r a u c h bereit. Auf ein Retabel gibt es noch keinerlei Hinwei­

se. Es war zu j e n e r Zeit überhaupt nichts besonderes, einen Altar o h n e Retabel zu weihen, damit er genutzt werden konnte.

Die U r k u n d e der Fürsten besagte j a auch, der Altar wäre „not­

durftiglich vesehen". Darunter sind wohl die z u m gottesdienst­

lichen G e b r a u c h notwendigsten Geräte, wie Leuchter und Kel­

che, vor allem aber die Altarbekleidung zu verstehen. Im G e g e n s a t z zu den sich daran anschließenden Notizen in den A m t s r e c h n u n g e n bezogen sich die bereits genannten Rech­

n u n g s v e r m e r k e eindeutig auf den Nothelfer­ und Annenaltar.

D a s ist aus den vorangegangenen Zahlungsposten zu ersehen.

Die Interpretation von Einträgen aus d e m Jahr 1507, die e b e n s o mit d i e s e m Altar in Verbindung gebracht w u r d e n4 0, kann sich nicht auf benachbarte Textstellen, die eine Z u o r d n u n g e r m ö g ­ lichen würden, stützen. Unter den A u s g a b e n sehr vermischten Inhalts ist o h n e irgendeine B e z u g n a h m e auf den z u m Sophien­

g r a b gehörenden Altar zu e n t n e h m e n , daß der Bischof den n a w e n altar in unser libn f r a w e n n Kirchen g e w e y e t A u f der

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Das Gemälde „Die Vierzehn Nothelfer" und „Christus als Schmerzensmann" in der Marienkirche zu Torgau 43

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/0 Hl. Cyriakus (Ausschnitt von Abb. I) 11 Betender Engel (Ausschnitt von Abb. 2)

12 Hl. Pantaleon und hl. Blasius (Ausschnitt von Abb. I) 13 Hl. Aegidius (Ausschnitt von Abb. 1)

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14 Lucas Cranach d. Ä., Johann der Beständige, Detail vom rechten Flügel des „Sippenaltars", 1509, Städelsches Kunst­

institut, Frankfurt am Main

Rückseite des Blattes w u r d e unter anderem ein Groschen ver­

zeichnet. Diesen „ ... hat Simon choralis ... zw Lochau vorthan ... der thaffeln halben so man auff den nawen altar m a c h e n solt". Und der Buchhalter f ü g t e hinzu: „auff m g H H Hannßen bevell"4 1, was aufzulösen ist in: auff m e i n e s gnädigen Herrn Herzog H a n n ß e n bevell4 2. D e m n a c h war es ein Auftrag, um den sich Herzog Johann der Beständige persönlich k ü m m e r t e . Zwei Tatsachen wurden beim Hinzuziehen dieser Quellen nicht berücksichtigt: 1505 war in der Marienkirche am 19. Juli ein zweiter Altar von den Landesherren gestiftet und geweiht wor­

den. Warum sollte nicht dieser Altar „in eren des heiligen creutz coneeptionis beate Marie v i r g i n i s "4 3 im Jahre 1507 gleicherma­

ßen als neu bezeichnet w e r d e n ? D e m z u f o l g e ist im U m g a n g mit beiden Quellen äußerste Vorsicht geboten. D e s weiteren könnte bei der K e n n t n i s n a h m e der Z a h l u n g an Simon choralis ein Lesefehler unterlaufen sein. Er g a b Geld „der thaffeln h a l b e n "

aus. Es wurde daraus abgeleitet, es habe sich u m eine einzige Tafel g e h a n d e l t4 4. Die F o r m u l i e r u n g meint j e d o c h den Plural . Also erfahren wir aus den Rechnungseinträgen lediglich, daß einer der beiden neuen Altäre 1507 wieder geweiht wurde, viel­

leicht weil ihm ein Retabel aufgesetzt worden war, für dessen B e s c h a f f u n g Johann der Beständige Geld ausgeben ließ.

Eine weitere gedruckte E r w ä h n u n g des Sophiengrabs und des Altars aus d e m Jahre 1508 läßt es als möglich erscheinen, „daß die Ausstattung des Altars einschließlich seines Retabels bereits vollendet w a r "4 6. Allerdings halten wir die entsprechende Textstelle „ ... ad altare preciosissima clinodia & pene navi Hie­

ras o r n a t u s "4 7 f ü r zu verschieden auslegbar, um auf sie allein bei einer B e g r e n z u n g der in Frage k o m m e n d e n Entstehungszeit des Altaraufsatzes zu bauen. Unter den „preciosissima clinodia"

können beispielsweise auch Reliquienbehälter. Leuchter oder anderes liturgisches Gerät gemeint sein.

Schließlich ist ein letzter Eintrag in die A m t s r e c h n u n g e n zwi­

schen Walpurgis (1. 5.) und Elisabeth (15. 12.) 1509 von B e ­ lang. Der Schreiber vermerkte: „IUI d Welsamer von Reichen­

bach hat ii eichenn holezer vonn Cuntzen balbirer in Anders Otte haws geschleifft meister hannßenn d e m Maler ßall zur taf­

felnn zum N a w e n altar m g f (= meiner gnädigen frau ­ I. R.) seligenn post A s s u m p c i o n e m "4 8. Sonach wurden vier Pfennige für die Vorarbeiten zur Holzvorbereitung ausgegeben, welche die Voraussetzung f ü r Leistungen des Malers Hans am A u f s a t z des Nothelfer­ und Annenaltars bildeten. Meister Hans m u ß nicht unbedingt ein Tafelmaler gewesen sein. Hinter der Berufs­

b e z e i c h n u n g „ M a l e r " kann sich ebensogut ein Schnitzer oder Faßmaler verbergen. Auch an den Inhaber einer Werkstatt, in der verschiedene, an der Retabelherstellung beteiligte B e r u f e vereint g e w e s e n waren, ist zu denken. A u s diesem Blickwinkel spricht der Rechnungseintrag dafür, daß nach H i m m e l f a h r t (17.

5.) 1509 noch Holzarbeiten am Retabel ausgeführt werden mußten. Vorstellbar sind letzte Arbeiten am G e h ä u s e und sei­

nem Zierwerk. Die G r ö ß e der erhaltenen G e m ä l d e t a f e l mit der Darstellung der Vierzehn Nothelfer, die wegen des Q u e r f o r m a t s

49 in die Predella einbezogen g e w e s e n sein m u ß , deutet auf ein sehr großes Retabel. D e m e n t s p r e c h e n d groß wird der A u f w a n d f ü r j e n e , die G e m ä l d e r a h m e n d e n Elemente g e w e s e n sein.

Darum können sich die Arbeiten daran durchaus hingezogen haben, und die späte Rechnungsnotiz braucht nicht zu v e r w u n ­

, 50 d e m .

Datierung und Zuschreibung

A u s den untersuchten Quellen ergibt sich der R a h m e n f ü r die Datierung der einzigen ü b e r k o m m e n e n Gemäldetafel des Reta­

bels. Der terminus post q u e m liegt aufgrund der Stiftungsur­

kunde, in der es j a hieß, der Altar sei nur „notdurftiglich verse­

hen", auf d e m 19. Juli 1505. Durch die Rechnungsnotiz von 1509 rückt die obere zeitliche Begrenzung hinter den H i m m e l ­ fahrtstag desselben Jahres, den 17. Mai. Welche Überlegungen führen nun zu einer Präzisierung der Entstehungszeit und zu einer Vertiefung der Z u s c h r e i b u n g ? Auf j e d e n Fall hat f ü r einen fürstlich dotierten Altar, der außerdem d e m G e d e n k e n der Her­

zogin Sophie von Mecklenburg dienen sollte, n i e m a n d anderes als die Fürsten selbst das Retabel in Auftrag gegeben. Deshalb k o m m e n im Dienste der Fürsten, vor allem aber f ü r den als Kunstförderer bekannten Friedrich den Weisen tätige Maler in Betracht5 1. Z w i s c h e n 1505 und 1509 ist es neben d e m Venezia­

ner J a c o p o d e ' Barbari Lucas C r a n a c h5 2, dem die Malerei des T a f e l g e m ä l d e s seit langem zugeschrieben w i r d5 3. Für die regio­

nal orientierte Kunstforschung m u ß t e der G e d a n k e an Lucas C r a n a c h nächstliegend sein, w a r doch das Wirken J a c o p o d e '

(8)

Das G e mä l d e „Die Vierzehn N o t h e l f e r " und „Christus als S c h m e r z e n s m a n n " in der Marienkirche zu Torgau 4 5

•i. I

"S 15 Hl. Margarete und hl. Barbara (Ausschnitt von Abb. 1)

Barbaris im Dienste der ernestinischen Fürsten, das sich nicht einmal über ein Jahrzehnt erstreckte und an keinem so u m f a n g ­ reichen Erbe gemessen werden kann, in Sachsen weniger be­

kannt und von Interesse. Auch die aus dem Bestand an säch­

sischer Tafelmalerei herausragende Qualität m a g alle Z u s c h r e i b u n g e n auf Cranach gelenkt haben. So wurde seine Urheberschaft selbstverständlich vorausgesetzt, und nur einige Autoren suchten nach B e g r ü n d u n g e n . Besonders trug dazu die Vermutung bei, der 1906 für das Städelsche Kunstinstitut in Frankfurt am Main e r w o r b e n e „Sippenaltar" (Abb. 3), der na­

mentlich bezeichnet und 1509 datiert ist (Abb. 4), und die Tor­

54 Auch Hin­

gauer Nothelfertafel würden z u s a m m e n g e h ö r e n '

weise auf die den frühen Holzschnitten C r a n a c h s verwandte F o r m e n s p r a c h e spielten eine Rolle"". A m ehesten zeigt sich diese Verwandtschaft zwischen den Christophorusgestalten auf der Nothelfertafel (Abb. 6) und d e m 1506 datierten, mit L C und der Schlange signierten Holzschnitt (Abb. 7). der z u d e m beide sächsische Wappen trägt und den Heiligen aus dem Wasser stei­

gend darstellt . Die motivischen Ü b e r e i n s t i m m u n g e n sind von den Halspartien an nach oben so groß, daß man das Blatt als be­

nutzte Vorlage für die gleichnamige Figur unter den Nothelfern ansehen könnte. D e m steht j e d o c h das Schlangensignet entge­

gen, das Cranach erst nach Erhalt des Wappenbriefes im Jahre 1508 verwendete und das f ü r eine spätere Datierung des Holz­

schnittes spricht. Wichtig ist dabei auch, daß der Holzschnitt als Tonschnitt ausgeführt worden ist. Die widersprüchlichen An­

haltspunkte für die Datierung des Blattes hängen vielleicht mit der A u s f ü h r u n g dieser Technik z u s a m m e n . Hinweise auf Cra­

58 nachs Beschäftigung mit ihr gibt es nur aus d e m Jahre 1509 . Deshalb ist der Holzschnitt wahrscheinlich in j e n e m Jahr ent­

standen. Vermutlich liem beiden Werken eine g e m e i n s a m e , un­

S9 bekannte Vorlage zugrunde, die sich nicht erhalten hat . Das Hauptargument, f ü r die A u s f ü h r u n g der Malerei der Tor­

gauer Tafel Lucas Cranach in A n s p r u c h zu n e h m e n , war die stilistische Nähe zu G e m ä l d e n , die sowohl der Schaffensperi­

ode vor seiner Niederlassung in Wittenberg als auch j e n e r der ersten Jahre danach angehörten(. Bei diesen Vergleichen kam d e m „Dresdner Katharinenaltar", dessen Mitteltafel mit L C und der Jahreszahl 1506 bezeichnet ist (Abb. 5), große Bedeutung

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16 Hl. Vitus (Ausschnitt von Abb. 1)

z u " . 61 A u ß e r d e m w u r d e auf stilistische Anklänge zu der Cranach zugeschriebenen, inschriftlich 1503 datierten „Schleißheimer

62 K r e u z i g u n g " (Abb. 8) in der Alten Pinakothek M ü n c h e n " auf­

m e r k s a m g e m a c h t6 3. Zutreffend erscheint uns hier die Ähnlich­

keit im Gesichtsschnitt von Christus auf der Schleißheimer Kreuzigungstafel (Abb. 9), Cyriakus (Abb. 10) aus der Nothel­

ferdarstellung und dem betenden Engel (Abb. 11) von der Rück­

seite . Es ist j e n e Bildnishaftigkeit der Köpfe, die vor allem Kurt Glaser schon 1921 als G e m e i n s a m k e i t von d e m Torgauer G e m ä l d e und d e m „Dresdner Katharinenaltar" (Abb. 5) hervor­

hob , auch dem M ü n c h e n e r Tafelbild eigen. Der Meister er­

reichte sie durch das ausdrucksstarke Mienenspiel differenziert durchgebildeter Gesichter, w o f ü r das Antlitz der Nothelfer Christophorus (Abb. 6), Blasius (Abb. 12) und Aegidius (Abb. 13) als beispielhaft gelten kann. Vor allem der Wechsel von faltendurchfurchter und wulstiger Haut, von schlaffen und straffen Gesichtspartien sowie der beseelte, prägnante Blick gleichen e i n e m M a r k e n z e i c h e n seines malerischen Könnens.

Die Beherrschung jener, obschon verhaltener eingesetzten Mit­

tel war auch eine Voraussetzung f ü r die Entstehung der Porträts von Dr. J o h a n n e s Cuspinian und seiner G e m a h l i n Anna, die

1502 gemalt w u r d e n6 6. A u c h das 1503 datierte Porträt, hinter d e m Dr. Johann Stephan Reuss vermutet w u r d e6 7, und das da­

zugehörige Bildnis der Ehefrau sind ohne diese Fähigkeiten des Malers nicht denkbar.

(9)

I: v .

17 Jacopo de' Barbari, Drei Gefangene, Kupferstich, Alber­

tina, Wien

Z w e i f e l s o h n e sind Verbindungen hinsichtlieh stilistischer Eigenheiten zu C r a n a c h g e mä l d e n , die d e m vor 1509 entstande­

nen CEuvre zuzurechnen sind, festzustellen. Ihnen ist eine warm 69

glühende Farbigkeit g e m e i n s a m , welche die Lokaltöne weni­

ger v o n e i n a n d e r abgegrenzt, sondern m e h r als Z u s a m m e n s p i e l erscheinen läßt. T e m p e r a m e n t und Bewegtheit w o h n e n den Ge­

mälden j e n e r Zeit inne. Malerisch großzügig wurden Wirkun­

gen erreicht, die der Malerei des sogenannten „Donaustils"

• ,70 eigen sind .

Der Frankfurter „Sippenaltar" bezeugt hingegen einen Stilwan­

del Cranachs, der durch die Eindrücke von seiner Reise in die Niederlande 1508 ausgelöst wurde. Die Veränderungen äu­

ßern sich in überschaubarerer Räumlichkeit und in einer weni­

72 ger gedrängten, übersichtlicheren A n o r d n u n g der Figuren . Farben und Formen scheinen nun in kühleres Licht getaucht zu sein, und f ü r letztere ist nicht m e h r die Expressivität charakteri­

stisch, die in den früheren G e m ä l d e n f ü r eine A t m o s p h ä r e der A u f w ü h l u n g sorgt. D e n n o c h lassen sich die beschriebenen Eigenschaften, die zur Bildnishal'tigkeit führten und vorwie­

gend an den männlichen Gesichtern beobachtet werden können, auch am Frankfurter „Sippenaltar" ablesen. Hier ist es auf d e m

rechten Flügel sogar das Porträt von Johann dem Beständigen (als Z e b e d ä u s ) (Abb. 14), d e m ein Vergleich mit den Gesichtern von Christopherus (Abb. 6), Blasius (Abb. 12) und Aegidius (Abb. 13) standhält.

Welche B e w e g g r ü n d e auch i m m e r dazu veranlaßt haben m ö ­ gen, das G e m ä l d e Cranach zuzuschreiben, es finden sich über­

dies darauf tatsächlich Elemente und stilistische M e r k m a l e von J a c o p o de' Barbari und damit der venezianischen Kunst. Zuerst

73

machte Karl W o e r m a n n 1899 darauf a u f m e r k s a m , und wenig später sprach diese Auffälligkeit Franz Rieffei 19067 4 an.

18 Jacopo de' Barbari, Hl. Sebastian, Kupferstich

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(10)

Das G e mä l d e „Die Vierzehn Nothelfer"' und „Christus als S c h m e r z e n s m a n n " in der Marienkirche zu Torgau 47

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20 Röntgenaufnahme mit dem hl. Blasius von der „Nothelfer­

tafel"

19 Röntgenaufnahme mit dem hl. Dionysius und hl. Aegidius von der ..Nothelfertafel"

Werner S c h a d e griff auf diese G e d a n k e n im Katalogtext von 1971 z u r ü c k7 5. Er erweiterte und präzisierte die diesbezügli­

chen Feststellungen: „Der Kopf der Heiligen Margareta in seiner W e n d u n g erinnert an Bildungen J a c o p o de' Barbaris, ...

Venezianisch sind die weichen glatten Frisuren bei Margareta, Barbara. Vitus und d e m weinenden Engel und vor allem das Motiv des S c h m e r z e n s m a n n e s , der auf seinem Sarkophag von Engeln beklagt w i r d " (Abb. 2). Wir meinen h i n z u f ü g e n zu kön­

nen, daß auch der heilige Pantaleon (Abb. 12) an Figuren Jaco­

po d e ' Barbaris erinnert. Ähnlichkeiten bestehen insbesondere zu d e m Kupferstich „Drei G e f a n g e n e " mit dem Signet des Ve­

nezianers, einem C a d u c e u s (Abb. 17). Das Gesicht des Pantale­

on hat das des hockenden G e f a n g e n e n z u m Vorbild. Der Kopf von Vitus (Abb. 16) geht auf den Stehenden zurück, wenngleich der Heilige seitenverkehrt ü b e r n o m m e n und mit einer geordne­

teren Frisur versehen wurde. Dieser Kupferstich müßte f ü r die Arbeiten an der „Nothelfertafel" vorgelegen h a b e n7 6. Bekannt g e w e s e n sein m u ß auch der unsignierte, J a c o p o de' Barbari zu­

geschriebene Kupferstich „Heiliger S e b a s t i a n "7 7oder die Vorla­

ge zu d i e s e m7 8. Die Figur des Sebastian (Abb. 18) ist als Leit­

bild für die Gestalt des heiligen Pantaleon nicht zu verkennen.

Der von Karl Woermann 1899 festgehaltenen Beeinflussung von Jacopo­de'­Barbari­Stichen auf die Torgauer Nothelfer kann nur im begrenzten U m f a n g zugestimmt werden. Motivi­

sche A n k l ä n g e sind durchaus den von ihm aufgeführten Kupfer­

7 9 8 0

Stichen „Darstellung im T e m p e l " , „ M a d o n n a mit K i n d " ,

„Heilige Familie" , die alle mit dem e r C a d u c e u s bezeichnet

87

sind, zu e n t n e h m e n . Yay Alan Levenson wies 1978 a u ß e r d e m

8 ^

auf die Verwandtschaft des Motivs der heiligen Margareta vom Nothelfergemälde mit d e m wahrscheinlich um 1501 ­

1503 entstandenen Kupferstich „Judith mit d e m Haupt des

8 4

H o l o f e r n e s " hin. W i e d e r u m handelt es sich um eine Seiten­

verkehrung. Darüber hinaus erweist sich die motivische Nähe zwischen Margareta (Abb. 15) und der Frau auf d e m signierten und inschriftlich 1503. datierten G e m ä l d e „Ungleiches Paar"

von J a c o p o de' Barbari in P h i l a d e l p h i a8 5 als auffallend. Eine ähnliche Ü b e r e i n s t i m m u n g der Heiligenfigur ist ferner zu d e m in Dresden ausgestellten G e m ä l d e „Heilige Katharina" (Abb.

26), das d e m Venezianer zugeschrieben wird , zu beobachten.

Von den R ö n t g e n a u f n a h m e n der Vorderseite, die alle K ö p f e ein­

beziehen, sind leider nur sieben kleinere Ausschnitte aussage­

kräftig. Sie geben A u s k u n f t über die malerische Beschaffenheit der Gesichter von 1. Aegidius (Abb. 19) und Blasius (Abb. 20), 2. G e o r g (Abb. 21), Dionysius (Abb. 19) und d e m Christuskind sowie 3. Margareta, Barbara (Abb. 22) und Pantaleon (ein­

schließlich seiner H ä n d e und A r m e ) (Abb. 23). Die übrigen Par­

tien und auch die Rückseite ergaben zu unscharfe A u f n a h m e n . Überlagernd scheinen rückseitige Figuren durch, oder Fehlstel­

len, Kittungen und andere von Restaurierungen (besonders der Rückseite) b e t r o f f e n e Abschnitte beeinträchtigen das Bild. U n ­

(11)

t e r d e n genannten, fü r unsere Z w e c k e auswertbaren Stellen fällt auf, daß die mit den Figuren aus J a c o p o d e ' Barbaris Werk ver­

wandten Motive (mit A u s n a h m e des Gesichtes von Vitus, des­

sen A u f n a h m e durch die von der Rückseite durchscheinende Malerei uneindeutig ist) ein einheitliches Bild ergeben (vgl.

3.!). Für j e n e Details, die an zweiter Stelle a u f g e f ü h r t wurden, sind kräftigere, kontrastreicher erscheinende Bleiweißstruktu­

ren typisch. Die R ö n t g e n a u f n a h m e n von Aegidius (Abb. 19) und Blasius (Abb. 20) (vgl. 1.!) schließlich zeichnen sich durch die Wiedergabe eines malerischen G e f ü g e s mit einer noch mar­

kanteren Bleiweißverteilung aus. Nicht zufällig wird es sich hier um gerade die K ö p f e handeln (von der nur unscharf zu ge­

w i n n e n d e n A u f n a h m e des Christophorus läßt sich nichts ablei­

ten), die in augenfällig enger Verbindung zu Cranachs Werk ste­

hen (s. o.)8 7.

A u f g r u n d dieser Gegebenheiten war es naheliegend, einen Ver­

gleich der Margareta, Barbara und Pantaleon abbildenden Rönt­

g e n a u f n a h m e n mit solchen von J a c o p o ­ d e ' ­ B a r b a r i ­ G e m ä l d c n anzustreben. Dieses Vorhaben ist j e d o c h nur mit Schwierigkei­

ten und Einschränkungen umsetzbar. Von den elf f ü r J a c o p o de' Barbari mit Glaubwürdigkeit in Anspruch g e n o m m e n e n G e m ä l ­

SS

den weisen nur neun Inkarnate auf. Eines dieser Bilder wird 89 90

vermißt , zwei befinden sich in Privatsammlungen und drei 91 weitere in öffentlichen S a m m l u n g e n des Auslands . So blieb zunächst nur der Weg zu den drei G e m ä l d e n im Besitz der Staatlichen K u n s t s a m m l u n g e n Dresden frei. Alle drei G e m ä l d e gelangten 1588 aus d e m Nachlaß von Lucas Cranach d. J. in die Kurfürstliche K u n s t k a m m e r D r e s d e n9 2. Deshalb kann davon ausgegangen werden, daß sie als Zeugnisse von J a c o p o de' Bar­

baris Tätigkeit in Wittenberg, die nach archivalischen Quellen 93

frühestens im D e z e m b e r 1505 endete, zu betrachten sind.

Weil Lucas Cranach d. J. noch nicht geboren war, als der Italie­

ner den kursächsischen Hof verließ, m ü ß t e er die G e m ä l d e von seinem Vater ü b e r n o m m e n haben. Diese Provenienz entschädigt bis zu e i n e m gewissen Grade f ü r die fehlende Signierung , weil die mit ihr verbundenen U m s t ä n d e und die stilistische N ä h e zu signierten G e m ä l d e n des Venezianers keine andere Zu­

o r d n u n g zulassen. Eines der Dresdener Bilder, „ D e r segnende C h r i s t u s " (Abb. 24), wird obendrein durch die A b b i l d u n g auf einem 1553 datierten Holzschnitt von Lucas Cranach d. J. be­

glaubigt, aus dessen Inschrift hervorgeht, daß das G e m ä l d e f ü n f z i g Jahre zuvor von J a c o p o d e ' Barbari geschaffen worden w a r9 5. Allerdings erfuhren die Bilder in Dresden tiefgreifende restauratorische Veränderungen. Die G e m ä l d e „Der segnende Christus" und „Die heilige B a r b a r a " sind von Holz auf Lein­

w a n d übertragen worden. An letzterem überwiegen zahlreiche Retuschen und größere Ergänzungen. Deshalb können über den maltechnischen A u f b a u keine brauchbaren Erkenntnisse ge­

w o n n e n werden. Die Tafel mit der Darstellung der heiligen Ka­

tharine (Abb. 26) w u r d e auf der Rückseite abgetragen, mit e i n e m Anstrich versehen und parkettiert. Eine Abbildung der Malerei in einer R ö n t g e n a u f n a h m e ist aufgrund des bleiweiß­

96

haltigen Anstrichs nicht m e h r möglich . So blieb uns zur Ge­

genüberstellung mit den Ergebnissen von der Torgauer Tafel nur die R ö n t g e n a u f n a h m e vom „segnenden Christus". Und wirklich nähern sich der Christuskopf (Abb. 28) und die Partien mit den unter 3. a u f g e f ü h r t e n Heilgen, Margareta, Barbara (Abb. 22) und Pantaleon (Abb. 23), in der maltechnischen Aus­

2 / Röntgenaufnahme mit dein hl. Pantaleon und hl. Georg von der „Nothelfertafel"

f ü h r u n g an. Leider m u ß mit einer, wenn auch leichten, Verfäl­

schung des Röntgenbildes gerechnet werden, weil die Lein­

wand, auf die das G e m ä l d e übertragen wurde, auf der Rückseite mit e i n e m konservierenden Anstrichstoff behandelt worden ist.

A u f g r u n d dieser Eingriffe verbietet es sich zu entscheiden, ob das Christusbild und die genannten Ausschnitte im malerischen A u f b a u ü b e r e i n s t i m m e n oder nur einander ähneln. Zu überle­

gen wäre, wie es zu dieser Ähnlichkeit kam. Da wir nicht selbstverständlich davon ausgehen können, daß Lucas C r a n a c h und J a c o p o de' Barbari an ein und demselben Tafelbild arbeite­

ten ­ denn nichts dergleichen wurde j e m a l s bekannt ­ möchten alle nachvollziehbaren U m s t ä n d e und die Beschaffenheit der Werke beider Maler zu Rate gezogen werden, um in dieser Fra­

ge w e i t e r z u k o m m e n .

Bevor das Oberflächenbild der Nothelfertafel weiter analysiert wird, soll deshalb zuerst die Unterzeichnung beurteilt werden.

Durch ihre Detailliertheit wird sie weit über die den Unterzeich­

nungen sonst eigene Skizzenhaftigkeit hinausgehoben. Wie be­

sonders an den I n f r a r o t a u f n a h m e n der Gesichter von Christo­

phorus (Abb. 29), Aegidius (Abb. 30) und Blasius abgelesen werden kann, konzentrieren sich in der Unterzeichnung maleri­

sche und graphische Mittel, die z u s a m m e n und souverän ge­

handhabt eine qualitative Gleichsetzung mit den hochstehend­

(12)

Das G e mä l d e „Die Vierzehn Nothelfer"' und „Christus als S c h m e r z e n s m a n n " in der Marienkirche zu Torgau 49

sten H a n d z e i c h n u n g e n v o m A n f a n g des 16. Jahrhunderts erlau­

ben. Die stoffliche Beschaffenheit von L e b e n d e m und Totem, Licht, Schatten sowie die dazwischen liegenden Helligkeits­

werte wurden durch schwungvolle Striche mit d e m spitzen Pin­

sel, gekonnte Lavierungen und, isoliert gesehen, linear wirken­

de S c h r a f f u r e n e r f a ß t9 . Lediglich Höhungen fehlen. Eine solch treffende und zugleich temperamentvolle L i n i e n f ü h r u n g und si­

chere A u s s c h ö p f u n g der übrigen Möglichkeiten ist ebenso den frühen H a n d z e i c h n u n g e n Lucas C r a n a c h s eigen.

Wenn auch die g e w ö h n l i c h e n Z u s c h r e i b u n g e n g e g e n ü b e r den wenigen gesicherten sowie den durch A r g u m e n t e fundiert und unwidersprüchlich zu belegenden Z e i c h n u n g e n von ihm über­

wiegen, so können die erwähnten Eigenschaften in unterschied­

licher A u s p r ä g u n g Blättern e n t n o m m e n werden, deren Entste­

hungszeit in den Jahren bis 1509/1510 zu suchen ist. Als Beispiele hierfür wären die H a n d z e i c h n u n g e n mit der Darstel­

lung des heiligen Martin (Abb. 31). mit L C signiert und in­

schriftlich 1504 datiert . sowie von Lucretia (Abb. 32), mit 98 99 d e m Schlangensignet und der Jahreszahl 1509 bezeichnet , zu n e n n e n1 0 0. Im deutschsprachigen Raum findet diese Unter­

zeichnung, die in ihrem hohen Niveau a u t o n o m e n Handzeich­

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22 Röntgenaufnahme mit der hl. Margareta und hl. Barbara

23 Röntgenaufnahme mit dem hl. Pantaleon von der „Nothel­

fertafel "

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nungen n a h e k o m m t , in dieser Zeit vorerst keine Entsprechung.

Dabei ist unbedingt zu berücksichtigen, daß stilistische A n n ä ­ herungen zwischen Unterzeichnung und H a n d z e i c h n u n g i m m e r nur als Tendenzen betrachtet werden können. Die Vergleiche sind mit größter Vorsicht zu ziehen, weil die Infrarotstrahlen kein völlig adäquates Bild erzeugen. Gemindert werden kann die Schärfe der Linien, und die Helligkeitswerte können ver­

fälscht sein.

Die Unterzeichnung der „Nothelfertafel", die nach den obigen Feststellungen zu keinem anderen als Lucas Cranach führt, steht in deutlichem G e g e n s a t z zu d e m , w a s die Infrarotaufnah­

men von J a c o p o ­ d e ' ­ B a r b a r i ­ G e m ä l d e n sichtbar machen (Abb.

33. 34). Mit einem sehr feinen Pinsel deutete der Italiener in h a u c h d ü n n e n Linien, wie mit einer Nadel gezogen, nur die al­

lerwichtigsten Teile des Motivs auf d e m Kreidegrund an. Seine Anhaltspunkte f ü r die a u s z u f ü h r e n d e Malerei bestehen bei e i n e m Gesicht aus den B r a u e n b ö g e n . Ober­ und Unterlidern, den Lidfalten, einem Nasenflügel, der Mundlinie und d e m Rand der Ober­ und Unterlippe. Diese Teile sind j e w e i l s mit nur einem zarten Strich markiert. W ö l b u n g e n , Vertiefungen, die Hautstruktur, Licht und Schatten spielen auf der Grundierung überhaupt noch keine Rolle. Schließlich treten diese am Ende auf der O b e r f l ä c h e der G e m ä l d e von J a c o p o de' Baibari kaum, auf alle Fälle aber w e n i g e r kontrastreich als bei Lucas C r a n a c h in Erscheinung (Abb. 24, 26, 27). Der Venezianer erzielte mit zurückhaltender eingesetzten Mitteln glattere, matt s c h i m m e r n ­ de, porzellanhaft wirkende Inkarnate, die von e i n e m sanften in­

neren Leuchten erfüllt zu sein scheinen. So zu beschreibende Hautpartien bedurften nur eines einfach weißen Untergrundes.

Bei den bescheiden gefältelten G e w ä n d e r n kennzeichnete der M a l e r auf der grundierten Tafel nur die am schwierigsten aus­

führbaren Stellen, wie z u m Beispiel vor der Achselhöhle (Abb.

35). wo die Stoffalten zu bündeln waren. Hier setzte er keinen haarfeinen, sondern einen stärkeren Spitzpinsel ein. Solche zeichnerischen, orientierenden A n g a b e n beschränken sich aus­

schließlich auf das Allernotwendigste und ausgewählte, eng be­

grenzte Bereiche des Malgrundes.

Nun wissen wir, daß Lucas C r a n a c h im übrigen seine G e m ä l d e nicht so sorgfältig vorzeichnete, wie es an der „ N o t h e l f e r t a f e l "

der Fall ist . A u c h er begnügte sich m e h r oder weniger mei­

stens damit, das Wesentlichste und Unverzichtbare festzuhalten, obwohl er in keiner der bekannten Unterzeichnungen der Spar­

samkeit J a c o p o de' Barbaris g l e i c h k o m m t . Was m a g ihn also b e w o g e n haben, soviel Elan in etwas zu investieren, das wenig später nach d a m a l i g e r Vorstellung f ü r i m m e r verdeckt werden sollte?

Sicherlich ist daran zu denken, d a ß die Fürsten oder ihre Beauf­

tragten jederzeit G e l e g e n h e i t hatten, den Malern am H o f e „über die Schulter zu sehen". Noch nicht lange in fürstlichen Dien­

102

sten , doch spätestens ab Mai 1505 außerhalb von Wittenberg hauptsächlich in den Schlössern Torgau und L o c h a u1 0 3 tätig, hatte C r a n a c h zunächst k a u m die Möglichkeit, sein K ö n n e n in der Tafelmalerei f ü r ein Retabel zu bestätigen. Als erstes signiertes und datiertes Werk aus der Wittenberger Zeit ist der Dresdener „Katharinenaltar" überliefert, der nicht vor d e m S o m m e r 1506 entstanden sein k a n n1 0 4. Die Nähe des Torgauer

(13)

24 Jacopo de' Barbari, Segnender Christus, Staatliche Kunst­

l

sammlungen Dresden

Tafelbildes zu den vor seiner Wittenberger Zeit entstandenen Werken läßt j e d o c h a n n e h m e n , daß es vor d e m „Katharinen­

altar", vermutlich noch im Jahre 1505, begonnen wurde. Das heißt, Cranach arbeitete von Beginn an unter den A u g e n J a c o p o de' Barbaris an der G e m ä l d e t a f e l . Der Italiener, der wegen seiner vorherigen Anstellung bei Kaiser Maximilian hohes A n ­ sehen genossen haben muß, ist am H o f e Friedrichs des Weisen schriftlich erstmals im Juli 1504 bezeugt . Alle Quellen deu­

ten darauf hin, daß J a c o p o d e ' Barbari, bevor und als Cranach in den kurfürstlichen Dienst trat, eine Vorrangstellung unter den anderen am Hof beschäftigten Malern zukam. Von letzteren ist w e d e r eine so b e m e r k e n s w e r t e künstlerische Vergangenheit be­

kannt, noch w u r d e ihnen am H o f e eine solch großzügige Be­

handlung wie d e m Venezianer zuteil1 0 6. Vermutlich lag Cra­

nach viel daran, den „welschen M a l e r " mit seinem Können zu überbieten. Er trachtete wohl schon zu A n f a n g nach der führen­

den Position, die er später nach erfolgreichem Konkurrieren auch e i n n e h m e n durfte. Deshalb konnte er die Gelegenheit nicht auslassen, sogar auf d e m M a l g r u n d mit A u ß e r g e w ö h n ­ lichem a u f z u w a r t e n . Es ist nicht s c h w e r zu erraten, welch ein Kontrast zwischen einer grundierten und von J a c o p o de' Barba­

ri vorgezeichneten G e m ä l d e t a f e l und der nur mit der Unter­

zeichnung versehenen „ N o t h e l f e r t a f e l " in den fürstlichen Werk­

stätten für den S c h ö p f e r der letzteren vereinnahmt haben muß.

Andererseits gaben die vollendeten Werke J a c o p o de' Barbaris, einschließlich der Graphik, C r a n a c h eine sichere Orientierung

Wir wissen nichts darüber, wie detailliert der Italiener und der deutsch S p r e c h e n d e einander über ihre A u f f a s s u n g e n von der Malerei verständlich gemacht haben. Cranach können j e d o c h nach seinem Dienstantritt in Wittenberg die Ansichten des dort tonangebenden Malers nicht entgangen sein. Diese müßten am Hole Verbreitung g e f u n d e n haben, denn J a c o p o de' Barbari hat­

te sie vor seiner Anstellung bei Friedrich d e m Weisen in einem ihm g e w i d m e t e n Traktat, das einer „captatio benevolentiae"

108

gleicht, in italienischer Sprache dargelegt . Der Kurfürst kann den Inhalt des Schriftstücks, das er vom Verfasser wohl in

109

Nürnber« persönlich überreicht bekam , nur mit Hilfe eines 110

Ubersetzers erschlossen haben , der zum Kreise der d e m Hof verbundenen Gelehrten gehört haben mag. Und es widerspräche d e m Selbstwertgefühl des Italieners, sollte er im übrigen U m ­ g a n g seine A n s c h a u u n g e n , die den Malern nördlich der Alpen allgemein nicht schmeichelten, verborgen haben. Beredsam hat­

te er in seiner A b h a n d l u n g die Erhabenheil der Malerei erläutert und bei Friedrich zu erwirken versucht, daß letztere als achte zu den Sieben Freien Künsten a u f g e n o m m e n würde. Als Bedin­

g u n g für die A u s f ü h r u n g dieser Kunst, die einen solchen Rang verdient, sah J a c o p o d e ' Barbari die Gelehrtheit der Maler an.

Dieses Gelehrtsein sollte die Vertrautheit mit den Sieben Freien Künsten einschließen1 1 1. Der Tätigkeit des Malens würdig wur­

den von ihm nur v e r m ö g e n d e M ä n n e r vornehmen Geblüts er­

achtet, w a s j a w i e d e r u m eine G r u n d l a g e f ü r eine über die hand­

werklichen Kenntnisse hinausreichende Bildung war. D e m Handwerklichen, der Maltechnik, k o m m t in seinem Traktat keine Bedeutung zu. Sie wird o f f e n b a r vorausgesetzt oder kann 25 Ausschnitt Abb. 24

f ü r das, w a s o f f e n b a r a n g e n o m m e n und geschätzt w u r d e 107

(14)

Das G e mä l d e „Die Vierzehn N o t h e l f e r " und „Christus als S c h m e r z e n s m a n n " in der Marienkirche zu Torgau 51

-•t

26 Jacopo de' Barbari, Hl. Katharina. Staatliche Kunstsamm­

lungen Dresden

nur dann zur optimalen Entfaltung k o m m e n , wenn die obigen Bedingungen erfüllt sind. Deshalb endet die Schrift mit folgen­

den Worten: „... che qual un dara hopera a essa pitura se non sara perito ne le sopra dite intelligencie, non la possi exprimere sopra tabule ne con preciosi colori. Et s e q u e n d o questo per cau­

sa de la illustrissima vostra signora essa pitura vi promete laude de eterna memoria, valete."

Was hatte der aus Kronach s t a m m e n d e Sohn einer Malerfamilie den von J a c o p o de' Barbari bewußt suggerierten Maßstäben entgegenzusetzen? Auch wenn wir über seine Bildung keine ge­

nauere Kenntnis haben, so läßt sich doch aus d e m U m g a n g mit Wiener Humanisten und den diplomatischen Aufträgen, in die ihn Friedrich später einbezog, schließen, daß er nicht ohne gei­

stige Prägung nach Wittenberg g e k o m m e n sein kann. D e m Ita­

liener, dessen Malerei (Abb. 24 ­ 27) recht verhalten und im 112

Kleinlichen befangen anmutet , w a r Cranach durch die mit souveräner Großzügigkeit beherrschten handwerklichen Tradi­

tionen und ein geniales U m s e t z u n g s v e r m ö g e n seiner Beobach­

tungen und E m p f i n d u n g e n überlegen1 1 3. Trotzdem war er be­

müht, auch j e n e Eigentümlichkeiten aufzubieten, die man von

2 7 Ausschnitt von Abb. 26

seinem geachteten Kollegen kannte. Nicht nur die Ü b e r n a h m e von Motiven des Venezianers, sondern e b e n s o das bewußte Ausrichten an D ü r e r1 1 4 zeigen Cranachs sicheres G e s p ü r f ü r Erfolge, die er allein aus sich selbst heraus nicht zu vollbringen vermochte. Auf diese Weise lassen sich die Motive aus d e m (Euvre von J a c o p o de' Barbari auf der Nothelfertafel, die schon in C r a n a c h s Unterzeichnung entsprechend angelegt sind, erklä­

ren. Die unübersehbare stilistische Verwandtschaft einiger Figuren, zum Beispiel Blasius, Christopherus, Aegidius und Cyriakus, zu anderen frühen Werken von Cranach w u r d e bereits ausführlich besprochen. Sie führt unter Berücksichtigung der ü b e r e i n s t i m m e n d e n R ö n t g e n a u f n a h m e n (vgl. 1.) zu der A n n a h ­ me, daß mindestens diese Heiligen von ihm selbst gemalt wor­

den sind.

Welche Schlußfolgerungen ergeben sich nun aus den abwei­

chenden Details? Mit einer Fremdbeteiligung an der stilistisch in sich geschlossenen Unterzeichnung ist nicht zu rechnen. O b ­ schon f ü r Hans­Joachim Gronau zwei „Unterzeichnungsebe­

n e n " existieren 3, veranlaßt dies nicht a n z u n e h m e n , sie würde von mehr als einer Person herrühren1 1 6. Hingegen war es nicht ungewöhnlich, Mitarbeiter an den folgenden Arbeitsschritten zu beteiligen. Der „ A u f b a u " der damaligen Tafelmalerei in Schich­

ten und j e nach Farbigkeit in festgelegten Abschnitten brachte 117

es mit sich, stufenweise heranzugehen . Diese M a l w e i s e bot sich f ü r die E i n b e z i e h u n g von Mitarbeitern an. Im Nachhinein ist nicht m e h r ohne weiteres feststellbar, w o sie mitwirkten. Bei der Bewertung der Motive nach J a c o p o d e ' Barbari sollte des­

halb, so lange nicht u m f a n g r e i c h e r e naturwissenschaftliche Un­

tersuchungen m e h r A u f s c h l u ß geben können, einfach konsta­

tiert werden, daß ihr Maler, gleich wer es war, abweichend vorging. O h n e Z w e i f e l ergeben die R ö n t g e n a u f n a h m e n diese Ableitung. Hinzu k o m m t , d a ß die Barbari­Motive auch mit einer A n n ä h e r u n g an die M a l w e i s e des Italieners v e r b u n d e n sind. Ihr Oberflächenbild steht j e d o c h trotz dieser Tatsache im G e g e n s a t z zu den Dresdener G e m ä l d e n . An ihm zeigt sich eine weitaus großzügigere B e h a n d l u n g der Details als an den Ge­

mälden des Venezianers. O b w o h l besonders die Augenpartien mit viel Feingefühl und in kleinteiligen F o r m e n ausgeführt wur­

den (Abb. 12, 15, 16), werden sie von der Subtilität und Zartheit

(15)

28 Röntgenaufnahme mit dem segnenden Christus von Jacopo de' Barbari, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

der Einzelheiten, wie W i m p e r n , Lidrändern und Brauen auf den G e m ä l d e n in Dresden (Abb. 25, 27) mit Abstand übertreffen.

J a c o p o de' Barbari setzte diese kleinteiligen Elemente, die teil­

weise nur aus der Nähe w a h r n e h m b a r sind, w i e d e r u m mit einem haardünnen Pinsel in verhaltenen, mitunter transparenten Farben am Ende auf. In den als weiche Locken über die Schul­

ter der heiligen Katharina fallenden, wie Seidenfäden feinen Haare, welche die Haut im Kleiderausschnitt durchscheinen las­

sen (Abb. 27), liegt trotz der insgesamt k a u m herausragenden Malerei ein H ö h e p u n k t der mit diesen Mitteln zu erzielenden Wirkung. Sie findet auf der Nothelfertafel nicht ihresgleichen.

Dort k o m m t eine andere malerische A u f f a s s u n g von der Stoff­

lichkeit z u m Ausdruck. Sie w u r d e bereits beschrieben. Die Un­

terschiede der Resultate der Malerei von J a c o p o de' Barbari und den zu vergleichenden Stellen auf der Nothelfertafel sind nach eingehender Betrachtung zu gravierend, u m seine Mitarbeit an der Torgauer Gemäldetafel a n z u n e h m e n . D a r u m kann zusam­

m e n f a s s e n d festgehalten werden, daß die Tafel von C r a n a c h mit einer grandiosen Unterzeichnung begonnen und malerisch min­

destens in wesentlichen Teilen von ihm ausgeführt wurde. Hier­

bei m u ß offenbleiben, o b ein G e h i l f e oder er selbst es war, der sich bei den motivischen Ü b e r n a h m e n von J a c o p o de' Barbari auch an dessen Malweise anlehnte. Der eigenhändige Arbeits­

anteil C r a n a c h s m u ß in j e n e r frühen Zeit bei H o f e noch all­

gemein groß gewesen sein. Informationen, m e h r gelegentlich fixiert, erwecken Vorstellungen von einem zunächst bescheide­

nen Werkstattbetrieb, der erst nach d e m U m z u g vom Schloß in die Stadt, wohl 1510, und der Etablierung zu einem Unterneh­me men beachtliche A u s m a ß e a n n a h m . Einzelheiten über die Arbeitsteilung an einem einzigen Werk liegen bis dahin noch mehr im dunkeln als später.

Ferner haben Spekulationen über die Ursachen des etwas an­

dersartigen Erscheinungsbildes der R ö n t g e n a u f n a h m e n von den unter 2. aufgezählten Stellen wenig wert. Die A b w e i c h u n g e n zu den A u f n a h m e n der 1. Gruppe, die deutliche Anklänge an ande­

re C r a n a c h g e m ä l d e zeigt, sind nicht stark genug, um sie f ü r m e h r als nicht außergewöhnliche handwerkliche S c h w a n k u n ­ gen zu halten. Maltechnische Unterschiede in diesem Grad ver­

wundern im übrigen bei Cranach nicht.

E r w ä g u n g e n zur Datierung führten bisher zu folgenden Ergeb­

nissen: „um 1505' 1 5 0 6 "1 2 2. „ 1 5 0 6 "1 2 3

tharinenaltar (1506) ( I 5 0 8 ) "1 2 5

119 '1505 1 2 0 ,121

•um 1507 und vor

, 1 2 4

5 0 7 " , und "1509"127.

„1505 ­ 1 5 0 6 " ­ "um ,nach dem Dresdener Ka­

der niederländischen Reise

Wie bereits herauszufinden war, sprechen alle U m s t ä n d e und Indizien dafür, daß die Malerei der Torgauer Tafel vor d e m Dresdener „Katharinenaltar" begonnen wurde. Wir hatten schon darauf hingewiesen, daß Cranach die Arbeiten an diesem Reta­

bel w i e d e r u m nicht vor seinem Eintreffen in C o b u r g angefan­

gen haben kann, weil auf dem rechten Flügel die Veste darge­

stellt ist. Die Quellen bezeugen ihn während des halbjährigen Jagdlagers, das Friedrich der Weise und Johann der Beständige

128

in C o b u r g abhielten, im O k t o b e r 1506 an diesem Ort . Doch d a r f e i n längerer Aufenthalt vermutet werden . Wann er ende­

te, bleibt ungewiß. Die Abreise der namentlich nicht genannten Maler fand mit d e m A u f b r u c h der Hofgesellschaft im Februar

1507 statt1 3 0. O b Cranach unter ihnen war oder zu dieser Zeit längst wieder Tätigkeiten an anderen Stätten des wettinischen Fürstenhauses nachging, wissen wir nicht. Es scheint aber gut möglich, daß er als Angehöriger des Hofstaates bis A n f a n g des Jahres 1507 an der Seite der Fürsten in C o b u r g weilte. Auf­

zeichnungen aus j e n e m Jahr beurkunden ihn erst wieder im S e p t e m b e r in W i t t e n b e r g1 3 1. Auffällig ist, daß die bekannten E r w ä h n u n g e n von 1507 nicht f r ü h e r als im September ein­

setzen.

Das Fehlen der übrigen Teile des Retabels vom Nothelfer­ und Annenaltar aus der Torgauer Marienkirche wirkt sich f ü r die Datierung der Predellentafel nachteilig aus. Nach den M a ß e n zu urteilen, m u ß es sich um ein sehr großes Retabel gehandelt haben, dessen Herstellung viel Zeit beanspruchte. Darauf deutet selbst das Datum der oben zitierten Rechnungsnotiz vom

17. Mai 1509, die eventuell den Abschlußarbeiten am G e h ä u s e und an d e m Zierwerk galt. Vergleiche mit anderen C r a n a c h w e r ­ ken und ganz besonders der Stilwandel, z u r ü c k z u f ü h r e n auf die in den Niederlanden e m p f a n g e n e n Eindrücke, lassen auf die Entstehung der Predellentafel vor seiner Reise nach Antwerpen schließen. Damit m u ß der terminus ante q u e m in den S o m m e r des Jahres 1508 verschoben werden, denn in A n t w e r p e n ist Cra­

nach im O k t o b e r des Jahres n a c h w e i s b a r1 3 2, und aufgrund von Nachrichten zuvor kann der Reiseantritt schon um Mitte Juli erfolgt sein . Natürlich können andere Teile des gemalten

(16)

Das G e mä l d e „Die Vierzehn N o t h e l f e r " und „Christus als S c h m e r z e n s m a n n " in der Marienkirche zu Torgau 53

Retabels nach der R ü c k k e h r aus den Niederlanden zwischen N o v e m b e r 1 5 0 81 3 4 und seiner Aufstellung entstanden sein. Auf eine A n a l y s e der Malerei dieser Teile, die darüber A u f s c h l u ß bringen würde, läßt sich leider nicht m e h r zurückgreifen. Sollte Simon Choralis wirklich wegen dieses Retabels nach Lochau geschickt worden sein, w o sich Cranach zur Innendekoration des Schlosses oft aufhielt, so wäre zu e n t n e h m e n , daß der A u f ­ trag f ü r den Nothelfer­ und Annenaltar der Torgauer Marien­

kirche 1507 noch nicht vollendet war.

Für die Entstehung der Predellentafel k o m m t nach unseren Un­

tersuchungen der Zeitraum zwischen dem 19. Juli 1505 und d e m S o m m e r 1508 in Frage. Nicht vollständig zu klären war, o b sie schon vor C r a n a c h s Aufenthalt in Coburg, also im Spät­

s o m m e r 1506 fertiggestellt war, wenngleich man dies anneh­

men könnte. U n z w e i f e l h a f t erscheint aber, daß die Malerei der Tafel davor begonnen w u r d e und wenigstens z u m großen Teil ausgeführt war. Die engen Verbindungen zu den stilistischen Eigenheiten in Cranachs Werken vor 1505, die partiell trotz Stilwandels auch noch in den mit der „ N o t h e l f e r t a f e l " verwand­

ten, um 1509 entstandenen Arbeiten zu finden sind, erlauben diesen Schluß.

2 9 Infrarotaufnahme mit dem hl. Christopherus von der „Not­

helfertafel"

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30 Infrarotaufnahme mit dem hl. Aegidius von der „Nothelfer­

tafel"

Zustand und Restaurierungen

Die 15 m m starke Lindenholzplatte besteht aus dreizehn verti­

kal verleimten, u n g l e i c h m ä ß i g breiten Brettern und mißt 84 x 135

118 cm . Sie ist auf der linken Seite, die Nothelferdarstellung als Vorderansicht vorausgesetzt, leicht beschnitten. Die Malkante blieb j e d o c h erhalten. Der Abstand zwischen Mal­ und Tafel­

kante beträgt an der beschnittenen Seite ca. 2 m m , an der rech­

ten Seite ca. 5 m m , ober ca. 10 m m und unter ca. 12 m m . Auf der Vorderseite sind zwischen Mal­ und Tafelkante W u r m l ö c h e r sichtbar. Auf der Rückseite können sie über die ganze Tafel ver­

teilt festgestellt werden. M e h r e r e ebenfalls vertikal verlaufende Risse markieren sich auf der Vorder­ als auch der Rückseite. Sie w u r d e n zum Teil verleimt. Der jetzige R a h m e n stammt von der Restaurierung von 1969 ­ 1971 . Eine fotografische A u f n a h ­ m e vor dieser Restaurierung zeigt die Tafel in einem R a h m e n aus schmaleren Leisten . Der originale R a h m e n wird, wie zu Beginn des 16. Jahrhunderts üblich, ein N u t r a h m e n g e w e s e n sein, der in das Predellengehäuse eingearbeitet war. Wann diese ursprüngliche R a h m u n g entfernt worden ist, konnte nicht genau ermittelt werden. Bei der im 19. Jahrhundert ausgeführten Re­I « ü

staurierung sind auf der Rückseite Stabilisierungsleisten auf­

geleimt worden, die Verwölbungen e n t g e g e n w i r k e n sollten.

Stärkere Verwerfungen wären durch den N u t r a h m e n , falls

1 ^9

dieser noch bestanden hätte, verhindert worden ' . Nach der Spur zu urteilen, m u ß die horizontale Stabilisierungsleiste in 26

(17)

bis 27 cm Hö h e ca. 10 cm breit g e w e s e n sein. A u ß e r d e m wur­

den bei der Restaurierung im 19. Jahrhundert zur Stabilisierung auf der Rückseite an der oberen und unteren Tafelkante Leisten angebracht, f ü r die ebenfalls 3 (unten) und 3,5 cm (oben) breite Bahnen mit d e m Zahnhobeleisen von der Malschicht entfernt wurden. Das geschah auch, u m in 10 cm E n t f e r n u n g von der linken Tafelkante der Rückseite eine vertikale, 4 cm breite Lei­

ste aufzusetzen. Alle Leisten wurden bei der n a c h f o l g e n d e n Re­

staurierung entfernt. Zur Fugensicherung wurden Holzklötz­

chen (Abb. 2) a u f g e s e t z t1 4 0. Diese Holzklötzchen sind während der Restaurierungsarbeiten 1969 ­ 1971 an der oberen und un­

teren Querleiste völlig entfernt worden. Die Tafel w u r d e neu verleimt. An der Leistenspur in halber Bildhöhe ersetzte m a n an j e n e n Stellen, w o eine Fugensicherung^unbedingt nötig war, die

Holzklötzchen mit Plexiglasplättchen

Die Vorderseite weist in der N ä h e der oberen und unteren Tafelkante und parallel zu ihnen eine Reihe von verkitteten und retuschierten Nagellöchern auf. Diese könnten d a f ü r sprechen, daß die obere und die untere Stabilisierungsleiste auf der Rück­

seite zusätzlich angenagelt waren. Die geringe Stärke der Tafel hätte dann das Durchstoßen der Nägel bedingt.

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31 Lucas Cranach d. Ä., Hl. Martin, 1504, Feder­ und Pinsel­

zeichnung, Staatliche Graphische Sammlung München

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32 Lucas Cranach d. Ä., Lucretia, 1509, Feder­ und Pinsel­

zeichnung, Staatliche Museen zu Berlin ­ Preußischer Kultur­

besitz., Kupferstichkabinett

Durch das hohe Alter der Tafel sind besonders die Malschichten 142

der Inkarnatpartien so transparent geworden , daß an vielen Stellen die Unterzeichnung durchscheint. Die Wirkung ihrer grauen Linien trägt neben den bräunlichen Binnenzeichnungen wesentlich zu Differenzierungen der Hautoberfläche in den G e ­ sichtern und an den H ä n d e n bei (Abb. 6, 12, 13). D e m z u f o l g e m u ß damit gerechnet werden, daß der originale Eindruck der Malerei verfälscht ist. Sie erscheint dadurch heute qualität­

voller, als es zu A n f a n g der Fall g e w e s e n sein m u ß . Da der Ori­

ginalzustand dieses und anderer mit Cranach in Verbindung zu bringenden G e m ä l d e nicht dokumentiert ist, läßt sich kaum nachvollziehen, wie deckend die Inkarnate ursprünglich ausge­

führt waren 143

Auf der Tafelrückseite verlaufen über der mittleren Querleisten­

spur mehrere Messerschnitte durch die Gesichter und weitere Hautpartien. A u ß e r d e m weist die Rückseite zahlreiche mutwil­

lige Ritzungen von M o n o g r a m m e n , B u c h s t a b e n f o l g e n und Jah­

reszahlen auf. Diese reichen bis zur Spur der mittleren Stabili­

sierungsleiste. A u s n a h m e ist ein geritztes M o n o g r a m m , das sich unter d e m Bogen der vergoldeten Ecke links oben befindet. B e ­ achtet werden sollten vor allem die eindeutig identifizierbaren Jahreszahlen 1552, 1582 und 1613. Sie liefern einen weiteren Beleg, daß die Tafel vor 1697, dem Jahr in welchem der Not­

helfer­ und Annenaltar abgebrochen wurde, noch im Kirchen­

(18)

Das G e mä l d e „Die Vierzehn N o t h e l f e r " und „Christus als S c h m e r z e n s m a n n " in der Marienkirche zu Torgau 55

räum aufgestellt war. Nach ihnen zu urteilen, m u ß die Seite mit der Darstellung der Nothelfer in die Vorderansicht einbezogen gewesen sein, weil sich an ihr keine derartigen Zerstörungen feststellen lassen. Wie in der Stadtkirche zu Wittenberg bot sich die Rückseite des Retabels, an der keine M e n s a im Weg war, besonders f ü r übermütige Verewigungen mit dem M e s s e r an.

Die Predella, deren obere Kante im G e g e n s a t z zu den anderen Teilen des Retabels M a n n s h ö h e nur wenig überragt haben wird, war dabei zuerst in Mitleidenschaft gezogen. Es mutet wie ein W u n d e r an, daß gerade die Predellentafel und nicht die anderen G e m ä l d e , die vielleicht sofort als Retabelteile erkennbar g e w e ­ sen wären, erhalten blieb.

Anmerkungen

* Die vorliegenden Ausführungen gehören zum Ergebnis des For­

schungsprojekts NE9ROS, das vom Bundesministerium für Forschung und Technologie gefördert wurde. Zu Dank verpflichtet bin ich Rainer Grötzschel und Christian Neelmeijer aus dem Forschungszentrum Rossendorf für die Förderung der Grundlagenforschung. Besonderer Dank gilt den Mitarbeiterinnen des Stadtarchivs Torgau Angelika Grä­

ber und Simone Mieth für die engagierte Bearbeitung unserer An­

liegen sowie Wolfgang Wagner (Frankfurt am Main) für zahlreiche Hinweise aus der Fachliteratur. Ferner haben wir den Dresdener Re­

*

33 Infrarotaufnahme von Jacopo de' Barbari, Segnender Chri­

stus (Ausschnitt)

34 Infrarotaufnahme von Jacopo de' Barhari, Hl. Katharina (Ausschnitt)

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St *

35 Infrarotaufnahme von Jacopo de' Barhari, Segnender Chri­

stus (Ausschnitt)

stauratoren Christine Keim, Gerhard Rüger und Christoph Schölzel zu danken.

Kritische Anregungen und vielfältige Unterstützung gaben Heinrich Magirius (Dresden), Renate Drucker (Leipzig), Hans­Joachim Krause (Halle), Isolde Lübbeke (München). Gisela Goldberg (München). Karl Schütz (Wien), Harald Marx (Dresden), Gregor Weber (Dresden), Kurt Löcher (Nürnberg). Andreas Tacke (Augsburg), Ursula Mende (Nürnberg), Bodo Brinkmann (Frankfurt am Main). Rainer Hambrecht (Coburg). Hansjochen Hancke (Siegen) und Hartmut Ritschel (Leip­

zig). Ihnen und allen genannten Sammlungen. Bibliotheken und Archi­

ven zollen wir großen Dank.

1 Dürerzeit 1971, S. 102.

2 Harksen/Magirius 1972/1982, S. 23/24. Diese Meinung äußerte sie erneut in: Harksen/Magirius 1993, S. 17.

3 Harksen/Magirius 1962, S. 24 f. So auch: Flechsig 1900, S. 82;

Flechsig 1900 (Tafelbilder), S. 10; Glaser 1921. S. 47; Friedlän­

der/Rosenberg 1932, S. 31 (Nr. 15).

4 Über die Zugehörigkeit der „Nothelfertafel" und des „Torgauer Fürstenaltars" zu ein und demselben Retabel vgl. Friedländer/Ro­

senberg 1932, S. 31 f. (Nr. 15, 18. 20) und Harksen 1958. S. 31.

5 Rieffei 1906, S. 271. Rieffels Bemerkungen wurden in der Folge­

zeit übersehen. So wird er auch in der jüngeren Literatur nicht be­

achtet und beispielsweise in den Erläuterungen zur

„Nothelfertafel" sowohl bei Friedländer/­Rosenberg 1932, Nr. 15.

S. 30 f., als auch bei Friedländer/Rosenberg 1989, S. 69 f. (Nr.

16) nicht erwähnt.

6 Swarzenski 1907. S..59 f.; Mielsch 1923. S. 21: Mielsch 1924, o.

S.; Tucholski 1930. S. 8: Friedländer/Rosenberg 1932. S. 31 (Nr.

15) ; Barbe 1939. S. 11; Friedländer/Rosenberg 1989, S. 70 (Nr.

16) . Auch in der älteren Literatur wurde der Zusammenhang der Tafel zu einem Altaraufsatz vorausgesetzt, so: Vogel 1832, S. 82 (er bezeichnet sie als „Schreingemälde"); Bürger (Grulich) 1855,

124 f.; Jacob 1887, S. 147; Publikationen 1890, S. 41 f.; Friedlän­

der 1899, S. 244; Woermann 1899 (Dresdener Cranach­

ausstellung), S. 31.

7 Verglichen wurden zunächst die Längenmaße der Nothelfertafel (118 cm) und der Frankfurter Mitteltafel (99 cm). Das seitliche Überstehen des Torgauer Tafelbildes von je 9,5 cm, wenn es ein Teil der zugehörigen Predella gewesen sein soll, war bei diesem Vergleich als verhältnismäßig eingeschätzt worden. Werner Esser bemerkte jedoch, daß die Torgauer Tafel als Predella (Höhe 84 cm) mehr als zwei Drittel der Höhe des Frankfurter Mittelbildes eingenommen hätte (Höhe 120 cm), vgl. Esser 1986. S. 216 (auch zusammenfassend über die bisherigen Vergleiche der

Längenmaße). 1994 konnte bei Untersuchunsien eine leichte Be­

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