A 128 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 4|
24. Januar 2014STUDIEN IM FOKUS
Gramnegative Bakterien wie Ente- ro- und B-Streptokokken sind auch bei relativ hohen Keimzahlen im Mittelstrahlurin selten Ursache ei- ner unkomplizierten Zystitis. Der Nachweis von E. coli – selbst in ge- ringer Zahl – ist dagegen bei prä- menopausalen Frauen prädiktiv für einen Befall der Harnblase.
Bei 202 gepaarten Proben einer aktuellen Studie befand sich zu 91 % E. coli im Katheterurin, wenn der Erreger auch im Mittelstrahl - urin nachgewiesen wurde. Der Bla- senbefall korrelierte mit urinären coliformen Kolonien bereits bei 100 Koloniebildnern/ml Urin und war damit positiv prädiktiv. Gram- negative Keime dagegen fanden sich nur selten (bis 12 % der Kultu- ren) im Mittelstrahlurin allein und waren nicht prädiktiv für eine Zys- titis. In 6 von 10 Fällen lag eine ge- mischte E.coli-Infektion vor.
Fazit: Kulturen aus dem Mittel- strahlurin sind bei Verdacht auf eine unkomplizierte Zystitis bei ansons- ten gesunden Frauen vor der Meno- pause nicht indiziert. Wird auf E.
coli geprüft, muss die Belastung bis auf 100 Koloniebildner/ml quantifi- ziert werden, um falschnegative Er- gebnisse und damit eine Unterthe- rapie zu vermeiden. Bei immerhin einem Viertel der Zystitis-Episoden mit Keimen im Mittelstrahlurin er- wies sich der Blasenurin als steril.
„Profitieren diese Patientinnen von einer Antibiose, oder werden sie unnötig behandelt?“, ist eine Frage im Editorial. Die Deutsche Gesell- schaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin stimmte bei der Leitlinienkonferenz gegen die rou- tinemäßige Antibiose bei akuter, unkomplizierter Zystitis und für ei- ne probatorische symptomatische Therapie. Prof. Dr. med. Eckhard
Petri, Leiter der Urogynäkologie an der Universitäts-Frauenklinik Greifswald, verweist zusätzlich auf die interdisziplinäre S3-Leitlinie zu Harnwegsinfektionen, nach der bei ansonsten gesunden Frauen in der Prämenopause auf eine Urinunter- suchung und weitergehende Dia - gnostik verzichtet werden kann. Bei postmenopausalen Frauen wird ei- ne Diagnostik trotz fehlender schlüssiger Studien empfohlen, bei Schwangeren muss sie wegen der möglichen Komplikationen auf je- den Fall erfolgen. Bei der Therapie sollte auch der Wunsch der Patien- tin nach raschem Abklingen der Symptome berücksichtigt werden.
Deshalb wird häufig neben der rein symptomatischen Therapie eine orale Kurzzeit-Antibiose verordnet.
Dr. rer. nat. Renate Leinmüller
1. Hooton TM, et al.: Voided midstream urine culture and acute cystitis in premenopausal women. NEJM 2013; 369: 1883–91.
2. Donnenberg MS: Uncomplicated cysti- tis—not so simple. NEJM 2013; 369:
1959–60.
AKUTE, UNKOMPLIZIERTE ZYSTITIS
Kultur aus Mittelstrahlurin nicht immer aussagekräftig
Eine deutliche Assoziation zwi- schen dem Risiko für Netzhautab- lösungen und einer oralen Therapie mit Fluorochinolonen fanden kana- dische Forscher in einer großen Fallkontrollstudie (1). Die Analyse einer Kohorte von knapp einer Mil- lion Patienten (n = 989 591) ergab ein um den Faktor 4,5 erhöhtes Ri- siko für eine Ablatio retinae bei Pa- tienten, die Fluorochinolone ein- nahmen (3,3 % versus 0,6 % bei Patienten ohne Fluorochinolone;
10 gematchte Kontrollpatienten pro Patient mit Netzhautablösung).
Nun sind dänische Forscher der Frage nach diesem Arzneimittelrisi- ko erneut nachgegangen: auf Basis einer Kohorte von 748 792 Patien- ten, die einem nationalen Register zufolge zwischen 1997 und 2011
Fluorochinolone eingenommen hat- ten, meist Ciprofloxacin (88 %), und einer Kohorte von 5 520 446 Nichttherapierten (2). Die Inzi- denzraten lagen bei 25,3 pro 100 000 Personenjahre (PJ) bei aktueller Fluorochinoloneinnahme, bei 18,9 und 26,8 pro 100 000 PJ bei kurz und länger zurückliegen- der Therapie und bei 19,0 pro 100 000 PJ bei nicht Behandelten.
Die Unterschiede waren nicht sig- nifikant. Die Differenz des absolu- ten Risikos pro Million Behand- lungsepisoden betrug 1,5 %.
Fazit: Die Verordnung von Antibio- tika aus der Gruppe der Fluorochi- nolone geht zumindest nicht mit ei- ner erheblichen Erhöhung des Risi- kos für Netzhautablösungen einher,
zum Beispiel um den Faktor 3, ist das Fazit großen Registeranalyse.
Ein Kommentator zieht aus den wi- dersprüchlichen Daten zweier Stu- dien den Schluss, die Einnahme von Fluorochinolonen müsse zwar nicht zu größerer Besorgnis um das Risiko für Netzhautablösungen bei indizierter Fluorochinoloneinnah- me führen, eine Risikoerhöhung sei aber auch nicht auszuschließen (3).
Bei Rückfragen oder Wünschen nach unnötiger Antibiotikaverord- nung lasse sich auf diese unter- schiedlichen Studiendaten verweisen.
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze 1. Etminan M, Forooghian F, et al.: Oral fluoro- quinolones and the risk of retinal detach- ment. JAMA 2012; 307: 1414–9.
2. Pasternak B, et al.: Association between oral fluoroquinolone use and retinal detach- ment. JAMA 2013; 310: 2184–90.
3. Brett A: Oral fluoroquinolone use and retinal detachment. Reconciling conflicting fin- dings in observation research. JAMA 2013;
310: 2151–3.
THERAPIE MIT ORALEN FLUOROCHINOLONEN